Seewölfe Paket 7

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Schwitzend, außer Atem und nervlich fast völlig zerrüttet verhielt der Teniente Savero de Almenara. Es hatte ihn Kraft und Schweiß gekostet, sich mit dem Säbel durch das schlüpfrig-feuchte Dickicht zu arbeiten. Er hatte die Orientierung fast völlig verloren, schaute zu dem blassen Mond und den Sternen auf, fand aber auch dort keine Möglichkeit, sich zu orientieren, wo Norden, Süden, Osten und Westen lagen.
„Hölle“, keuchte er. „Ich bin Soldat. Kein Seemann.“
„Das hat nie jemand bezweifelt“, raunte eine Stimme rechts neben ihm.
Sie gehörte dem Feldscher der „Santa Barbara“. Der Mann hatte sich ihm angeschlossen, als er, de Almenara, vom Strand aus die Flucht ins Inselinnere angetreten hatte. Außer ihnen beiden hatte sich noch Siabu, der Batak, absetzen können – und ein vierter Mann, ein einfacher Soldat, der beim Sturz aus dem Boot seinen Helm eingebüßt hatte.
„Laß deine dämlichen Witze“, sagte der Teniente rauh. „Wir sitzen tief genug in der Tinte. Da brauchen wir uns nicht gegenseitig aufzuziehen.“
„Es ist das einzige, was mich hochhält“, sagte der Feldscher. „Übrigens habe ich den Richtungssinn auch verloren.“
„Laßt mich vor“, flüsterte der Batak. „Ich finde mich schon zurecht. Sie müssen mir nur sagen, wohin Sie wollen, Teniente.“
„Das weiß er selbst nicht“, zischte der Feldscher.
„Feldscher, paß auf, daß ich dir nicht die Faust ins Gesicht schlage“, sagte der Teniente nur mühsam beherrscht. „Ich kann deine Art auf den Tod nicht leiden.“
„Du wirst dich daran gewöhnen“, erklärte der Wundarzt. „Wir sitzen in einem Boot.“
„Eben deshalb hast du dich meinem Kommando unterzuordnen.“
„Du irrst dich, Teniente. Ich bin auf der ‚Santa Barbara‘ gefahren, du kommst von der ‚Santissima Madre‘. Aber ein Mann meines Berufs läßt sich von einem Teniente nichts vorschreiben, und wenn dieser tausendmal vom Flaggschiff des Verbandes stammt.“
„So ist das also“, sagte de Almenara. Er ballte die Hände fest zusammen und beschloß, sich bei nächster Gelegenheit entsprechend zu revanchieren. Im Moment erschien es ihm wenig aussichtsreich, handgreiflich zu werden und den Feldscher auf diese Art zu unterwerfen. Er konnte ja nicht einmal sehen, wo der Kerl stand.
„Ich schlage vor, wir beschreiben einen Bogen, pirschen zum Dorf zurück und schnappen uns eins der Eingeborenenboote“, wisperte der Feldscher. „Was bietet uns die Insel? Keinen wirklichen Schutz. Vielleicht suchen der Seewolf und seine Bastarde bald nach uns, vielleicht scheuchen sie uns den Wilden in die Hände – oder dem ‚Tiger von Malakka‘, der sich ja auch hier irgendwo versteckt halten könnte.“
„Es ist noch zu früh“, entgegnete der Teniente.
„Das finde ich auch“, pflichtete der Batak ihm bei. „Der Seewolf hat den Kampf gewonnen, wer von unseren Kameraden noch fliehen konnte, hat das getan.“
„Daran besteht kein Zweifel“, sagte der Feldscher. Es klang spöttisch.
„Jetzt warten die Korsaren auf jeden Fall den Morgen ab“, fuhr Siabu fort. „Sie stellen Wachen auf und knallen jeden ab, der sich der Küste nähert. Sie können sich doch auch an fünf Fingern abzählen, daß wir zurückschleichen und aufs Meer zu entkommen versuchen.“
„Dazu müssen sie erst mal wissen, daß wir hier im Urwald sind“, sagte der Soldat. „Ich glaube, sie haben nicht beobachten können, daß wir auf und davon sind.“
„Könnte stimmen“, sagte der Feldscher lakonisch.
„Folglich?“ fragte Siabu.
„Folglich schlagen wir uns durch, so gut es geht, und warten, bis der Feind abgerückt ist“, erwiderte der Teniente. „Ihr könnt es drehen und wenden, wie ihr wollt, es bleibt unsere einzige Chance. Suchen wir jetzt einen Unterschlupf für die Nacht.“
Der Batak drückte sich an ihm vorbei und untersuchte die Umgebung, so gut das bei den Lichtverhältnissen möglich war. Nur ein paar Streifen fahlen Mondlichts drangen bis auf die ledrigen Blätter des Lianengesträuchs. Aber Siabu war sich seiner Sache bald sicher.
Er trat wieder neben den Teniente und wies in eine Richtung, die de Almenara völlig falsch erschien.
„Hier entlang“, flüsterte der Batak jedoch. „Wir gelangen auf diesem Weg zum höchsten Punkt der Insel. Dort wachsen weniger Bäume und Büsche, und dort finden wir vielleicht eine Höhle oder wenigstens einen Überhang, der uns Schutz bietet.“
Der Soldat hatte sich vorgeschoben. „Gibt es hier wilde Tiere?“
„Natürlich gibt es die“, erwiderte der Feldscher voll Sarkasmus. „Giftige Schlangen, faustgroße Spinnen, die dir ins Gesicht beißen, Blutsauger, Raubkatzen. Was willst du mehr?“
„Hör auf“, zischte der Teniente.
„Vielleicht lauert uns sogar ein echter Tiger auf …“
Der Teniente hatte den Standplatz des Feldschers entdeckt und wollte jetzt mit der Faust in diese Richtung schlagen, aber Siabu legte ihm die Hand auf den Unterarm und raunte: „Sehen Sie doch – dort.“
Der Teniente wandte unwillig den Kopf, zog dann aber vor Verwunderung die Augenbrauen hoch und öffnete den Mund. Vor ihnen in der verfilzten, menschenfeindlichen Selva schimmerte ein Lichtfleck. Aus der Art, wie er sich immer weiter nach rechts verlagerte, folgerte der Teniente: „Das muß eine Fackel sein.“
„Der Seewolf ist aufgebrochen, um den nackten Wilden die frohe Botschaft ihrer Rettung zu bringen“, murmelte der Feldscher. „Ich wette, daß es so ist.“
„Warum folgen wir der Fackel nicht?“ fragte der Batak. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug. Wenn „El Lobo del Mar“ sie tatsächlich zu den Eingeborenen führen sollte, wenn sie auf Otonedju, den Stammesältesten, stießen — dann würde er, Siabu, sich fürchterlich rächen. Er spürte den Schmerz, den ihm die Schnittwunden bereiteten, immer noch. Dafür und für die Schmach, die er ihm zugefügt hatte, mußte Otonedju büßen, büßen …
„Los“, sagte der Teniente. „Hinterher. Bemühen wir uns, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen.“
Eigenartig war die Insel des Riau-Archipels beschaffen. Oberhalb der steinigen Küste bildete ein weicher Untergrund den idealen Nährboden für alle Arten von tropischen Pflanzen. Mangrovenblätter schlugen den Seewölfen gegen Leib und Gesichter, es duftete herb nach unbekannten Blüten. Ein meilenbreiter Gürtel düsterer Erde – vielleicht vulkanischen Ursprungs – hatte sich um das ganze Eiland geschlossen. Nur in größerer Höhe öffnete er sich wieder zu ein paar bizarren Felsenformationen, die Zentrum und Gipfel der Insel bildeten.
Hasard hatte dies am Spätnachmittag beim Anlaufen der Insel schon festgestellt. Jetzt steuerte er instinktiv zu den oberen Felsen hinauf. Wenn die Eingeborenen sich versteckt hatten, mußten sie seines Erachtens dort oben hocken.
Fast zwei Stunden Arbeit kostete es die acht Männer, dann hatten sie eine kleine Lichtung oberhalb eines überwucherten Hanges erreicht. Hier verharrten sie und wischten sich den Schweiß aus den Gesichtern.
„Hier sind sie auch nicht“, sagte der Profos. „Ich hab’s ja geahnt. Der Teufel soll die Scheißinsel holen und ihre Bewohner dazu.“
„Ed, das ist nicht nett von dir“, sagte Sam Roskill.
„Nie nett gewesen“, grollte Carberry. „Vielleicht sitzt das Volk auch im Gestrüpp und glotzt uns aus sicherem Versteck wie ein Rudel fremder Tiere an.“
Hasard schritt über die Lichtung und leuchtete den jenseitigen Blättervorhang mit der Fackel ab. Er wollte sich gerade wieder zu seinen Männern umdrehen, da huschten zwei Gestalten auf ihn zu. Wie aus dem Nichts waren sie plötzlich da, zwei junge Männer, nach der Art der Malaien gekleidet, jedoch mit freien Oberkörpern. Der eine hatte einen Kris, der andere einen Parang.
Der Seewolf schleuderte die Fackel zur Lichtungsmitte, ließ sich gleichzeitig fallen und riß die Beine hoch. Seine Füße trafen die Bauchpartien der Gegner – ein erstaunlicher Trick und zudem die einzige Art, zwei Widersacher im selben Moment abzufertigen. Auch diese Methode hatte Sun Lo, der Mönch von Formosa, dem Seewolf beigebracht. Und Hasard war ihm wieder einmal unendlich dankbar dafür.
Die jungen Krieger stießen keuchende Laute aus und prallten zurück. Hasard schwang wieder hoch. Der Kris-Mann schleuderte seinen gewundenen Dolch, aber Hasard bot kein gut sichtbares Ziel mehr, weil er sich der Fackel entledigt hatte. Vielmehr fühlte sich der Gegner durch das zuckende Licht von links etwas geblendet. Der Kris huschte an Hasard vorbei und blieb in einem Baumstamm stecken.
Carberry, Shane, Ferris und Blakky umrundeten die liegende Fackel links und rückten auf die Kämpfenden zu. Smoky, Sam und Dan schoben sich von der anderen Seite heran.
Hasard flog plötzlich auf den nun waffenlosen Malaien zu, rammte ihn zu Boden und rollte sich über dessen Körper weg ab. So wirbelte er auf den zweiten Burschen zu. Der Parang beschrieb beängstigende Zukkungen in der Luft. Er war ein Zaubergerät in den Händen des Malaien. Zweimal versuchte er, den Seewolf zu treffen, doch beim dritten Ansatz kam Hasard ihm zuvor.
Hasard prallte dem jungen Krieger gegen die Beine, fuhr gleichzeitig hoch und wuchtete ihm den ausgestreckten Arm unter den Ellenbogen. Der Bursche stieß einen Wehlaut aus. Sein Arm war paralysiert und gefühlslos, er mußte den Parang loslassen, ob er wollte oder nicht.
Der Parang fiel und blieb im weichen Untergrund stecken.
Hasard packte die Fußknöchel des jungen Burschen und brachte ihn zu Fall, bevor er ausreißen konnte.
Carberry hatte sich den anderen geschnappt und trug ihn mühelos mit einer Hand zum Seewolf.
„Du krummbeiniger Kakerlak“, sagte er dabei. „Ich könnte dich an meinem Arm verhungern lassen, weißt du das?“
„Er versteht dich nicht, Ed“, sagte Ferris Tucker.
„Aber er begreift, daß er verraten und verkauft ist.“
„Laß ihn heil“, ermahnte Shane den Profos. „Wir sind die Freunde der Malaien, hast du das vergessen?“
„Ich denke immerzu daran“, brummte der Profos. „Wir wissen, daß es so ist, aber wissen diese Knaben es auch?“ Er war stocksauer, und auch Sir John, der auf seiner Schulter hin und her trippelte und ihn am Ohr zupfte, konnte seine Laune nicht bessern.
Hasard hatte den Parang in seinen Gurt geschoben. Den Gefangenen dirigierte er jetzt vor sich her.
„Folgt mir“, sagte er. Zielbewußt steuerte er ins Dickicht, das die gegenüberliegende Begrenzung der kleinen Lichtung bildete.
Dan O’Flynn nahm die Fackel auf. Shane hatte sich den Kris angeeignet, der im Baum steckengeblieben war.
Was sie nicht erwartet hatten: Nicht weit von der Lichtung entfernt riß der Blättervorhang unvermittelt wieder auf, und sie sahen einen sanft aufstrebenden Hang im Mondlicht vor sich liegen, der zu Felsentürmen hinaufführte. Die beiden Malaien sträubten sich erheblich gegen Hasards und Carberrys Griff – und das war für den Seewolf das sicherste Zeichen, daß er auf der richtigen Spur war.
Es nutzte den jungen Kriegern nichts, sie mußten mit den Seewölfen den Hang emporklimmen.
Auf halber Strecke stieß Smoky plötzlich einen Warnlaut aus. „Achtung, Hasard – über dir!“
Hasard schaute zu den wuchtigen Felsen auf und gewahrte die Gestalten, die sich jetzt überall hochschoben. Waffen wurden auf die kleine Gruppe gerichtet, Parangs, Dolche, Speere.
Hasard blieb stehen und hob eine Hand. Die andere brauchte er, um den Krieger festzuhalten.
„Wir sind Freunde“, sagte er zu den Eingeborenen hinauf. „Amigos. Versteht mich denn keiner?“ Er versuchte es noch einmal, aber die Feindschaft der Malaien war eine stumme Barriere, die sich entschlossen gegen sie richtete.
Hasard ließ seinen Gefangenen los.
„Ed, gib auch den anderen Jungen frei“, sagte er. „Nun sieh mich nicht so an. Das ist ein Befehl.“
Ed Carberry befolgte die Anweisung und blickte den davonhetzenden jungen Kriegern nach. Sie hatten nichts Eiligeres zu tun, als zu ihren Stammesbrüdern zu laufen, sich neue Waffen aushändigen zu lassen und dann den Seewölfen zu drohen.
Carberry verstand die Welt nicht mehr. Was war denn in den Seewolf gefahren?
Hasard hob beide Hände über den Kopf. Er schritt mutig weiter, lächelte und hörte nicht auf, auf die Männer des abgebrannten Dorfes einzureden.
Schließlich drehte er sich zu seinen Männern um und sagte: „Legt alle Waffen hin. Dan, halte die Fackel etwas höher. Sie sollen sehen, daß unsere Absichten nicht feindlich sind.“
„Wenn das man gutgeht“, murmelte Sam Roskill, der jetzt auch skeptisch geworden war. Er gehorchte dem Befehl aber selbstverständlich auch. Acht Seewölfe bückten sich und richteten sich dann wieder von ihren Pistolen, Säbeln und Entermessern auf. Sie fühlten sich ziemlich nackt.
„Wir sind Engländer“, versuchte Hasard den Eingeborenen auseinanderzusetzen. „Keine Spanier, wie ihr vielleicht denkt. Wir sind Feinde der Spanier, genau wie ihr. Aber ihr braucht vor den Dons keine Angst mehr zu haben, vorläufig jedenfalls nicht. Euer Dorf ist niedergebrannt, aber ihr lebt und könnt mit dem Wiederaufbau beginnen.“
Wieder hatte er einige Schritte zurückgelegt.
Dan hatte sich an seine Seite gebracht. „Ich habe Höhleneingänge entdeckt“, sagte er verhalten. „Sie sind kaum zu erkennen, aber ich schätze, daß es sich mindestens um ein halbes Dutzend Grotten handelt. Dort haben sich bestimmt die Frauen, Kinder und Greise versteckt. Die Krieger werden alles tun, um sie zu verteidigen.“
„Du meinst, es ist zu riskant, was wir tun?“
„Willst du es auf einen Versuch ankommen lassen?“
„Ja“, sagte der Seewolf und kletterte weiter.
Und dann geschah etwas Seltsames, das keiner erwartet hatte, wahrscheinlich nicht einmal die Malaien selbst. Hasard konnte zwischen sie treten, ohne niedergestreckt oder durchbohrt zu werden. Die Eingeborenen beschränkten sich darauf, etwas zurückzuweichen und ihn unverändert feindselig anzublikken.
Was war die Ursache für ihr Zögern? Die Tatsache, daß die Seewölfe sich ihrer Waffen entledigt hatten? Hasards sicheres Auftreten? Die acht von der „Isabella“ wußten es nicht. Nur in einem war der Seewolf sicher. Die Malaien verstanden kein Wort von dem, was er zu ihnen sagte.
Hasard stand auf einem kleinen Plateau. Seine sieben Begleiter gruppierten sich dicht hinter ihm. Sie schritten langsam weiter, auf die Höhlen zu, und die Krieger unter der Führung eines alten, weißhaarigen Mannes mit prägnanten Zügen bewegten sich rückwärts.
Hasard nahm die Fackel und leuchtete in die Höhleneingänge. Und da sah er sie kauern: die Frauen, die Kinder aller Altersklassen, die alten Frauen und Männer des Stammes. Wie viele? Hundert? Mehr? Er vermochte ihre Zahl nicht zu schätzen.
Ängstlich wichen auch sie vor den Fremden zurück.
Hasard drehte sich den Kriegern zu. Er wollte dem alten Mann durch Zeichen zu verstehen geben, aus welchem Grund sie hier waren. Aber Dan stieß ihn plötzlich mit dem Ellbogen an.
Eine Wende der Situation war eingetreten.
Hasard erlaubte sich einen Rundblick. Das Ergebnis lautete, daß die neue Lage keineswegs zu ihren Gunsten sprach.
Abenteuerliche Gestalten hatten sich ringsum aufgerichtet, auf den Höhen der Felsentürme, im Dickicht vor den Höhlen, am Hang, den die Seewölfe eben noch hinaufgeklettert waren. Lautlos waren sie erschienen, und sie hielten die Waffen von Hasard und seinen Männern. Sie legten auf die unerwünschten Gäste an.
Hasards Blick verharrte auf einem Mann von überraschend hoher Gestalt. Einen Turban trug dieser dunkelhaarige, bärtige Schurke auf dem Kopf, und um seine Hüfte hatte er sich einen breiten, schärpenartigen Gurt gewunden. In seiner rechten Hand blinkte ein Krummsäbel.
Hasard schritt auf ihn zu.
„Ein großartiger Auftritt“, sagte er, aber es war seinen Männern nicht ganz klar, ob er zu ihnen oder zu den exotisch und wild aussehenden Kerlen sprach.
„Wir sind perfekt überrumpelt worden“, fuhr der Seewolf fort. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu kapitulieren. Wir könnten die Fischer als Geiseln nehmen und uns auf diese Art schützen, aber wir sind ja nicht als Feinde hier.“
Er blieb vor dem Turbanträger stehen. „Oder bist du anderer Meinung – Tiger von Malakka?“
6.
Der Teint des Mannes war dunkel und olivfarben grundiert, seine Augen ähnelten schwarzen Juwelen. Sie schienen sich mit ihrem Blick in Hasards eisblaue Augen bohren zu wollen.
„Woher kennst du mich?“ fragte er in tadellosem Spanisch. Hasard hatte sich dieser Sprache bedient, und es war folglich klar, daß der Dunkelhaarige jedes Wort verstanden haben mußte.
„Wir sehen uns zum erstenmal“, erwiderte der Seewolf, ohne dem Blick des Mannes auszuweichen. „Aber es gehört kein Scharfsinn dazu, sich auszurechnen, wer du bist. Der spanische Kommandant war so freundlich, mir mitzuteilen, daß er hinter dir her sei. Du bist an anderer Stelle der Insel gelandet, und erst vor kurzem, nicht wahr? Nur so konntest du ihnen entgehen.“
„Darauf antworte ich nicht.“
„Du brauchst es nicht. Ich kann mir auch so genügend zusammenreimen“, sagte Hasard völlig ungerührt. „Nur solltest du deinen Freunden, den Fischern, erklären, daß sie wieder die unumschränkten Herrscher über die Insel sind. Wir haben den spanischen Verband zusammengeschossen. Ihr werdet den Kanonendonner ja wohl gehört haben.“
„Ja. Und du nimmst den Mund reichlich voll“, sagte der „Tiger von Malakka“. „Wer bist du?“
„Man nennt mich den Seewolf.“
„Und wie lautet dein richtiger Name?“
„Den sage ich dir, wenn du mir deinen genannt hast.“
Der „Tiger“ hob den Krummsäbel, bis die scharfe Klinge beinahe die Brust des Seewolfs berührte. „Ich kann dich zwingen, es mir zu sagen.“
„Eine Meisterleistung einem unbewaffneten, wehrlosen Mann gegenüber“, sagte Hasard spöttisch. „Kannst du noch mehr solcher Kunststücke?“
Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle der Tiger von Malakka wirklich Gebrauch von der Waffe machen. Hasards Männer rückten ein Stück zu ihrem Kapitän hin auf – unerschrocken trotz der Tatsache, daß sie waffenlos waren, und bereit, dem Seewolf zu helfen.
Carberry hielt den Schädel leicht gesenkt, um sich wie ein gereizter Stier auf den schwarzbärtigen Freibeuter zu stürzen. Sir John spürte, daß sich etwas Brandheißes anbahnte. Er zog es vor, sich in die Luft zu schwingen und über der Szene zu kreisen.
Die Züge des Tigers von Malakka glätteten sich wieder ein wenig.
„Es gelingt dir nicht, mich zu provozieren“, sagte er zu Hasard. „Der Tiger überwältigt einen Wehrlosen – das wäre Wasser auf eure Mühlen, wie?“
„Der leidet an geistiger Verirrung“, bemerkte Dan O’Flynn trocken, während er die große Gestalt des Seeräubers mit einem langen Blick abtastete. Hasards doppelläufige Reiterpistole steckte in dem Leibgurt des Tigers.
„Wir haben ihm und seinesgleichen geholfen“, sagte nun Ferris Tucker, wobei er sich ebenfalls der spanischen Sprache bediente. „Und jetzt bedroht er uns. Was soll der ganze Zauber eigentlich?“
„Ja“, meinte der Seewolf. „Das möchte ich auch gern wissen.“
Der Tiger von Malakka betrachtete die acht Männer, die ihm waffenlos ausgeliefert waren. Diesen Schwarzhaarigen mit den eisblauen Augen, dem kühnen Gesicht und der Narbe, die von der Stirn aus über die Wange verlief, dann den Narbengesichtigen mit dem wuchtigen Schädel und den riesigen Fäusten, den rothaarigen Riesen und den Hünen mit dem grauen Bartgestrüpp, den Bulligen mit dem braunen Haar, den Dunkelhaarigen an seiner Seite, den Schlanken in der abenteuerlichen Kostümierung, den noch sehr jungen Mann, der eben von geistiger Verirrung gesprochen hatte – tief in seinem Inneren konnte der Tiger nicht umhin, diese mutigen Kerle zu bewundern. Nichts schienen sie zu fürchten, weder Tod noch Teufel.
Er schaute zu dem bunten Vogel auf, der über ihren Köpfen schwebte und dann auf einem Felsen landete. Der Tiger ließ den Blick wieder sinken und fixierte den Mann, der sich Seewolf nannte. Fast wurde er wankelmütig und empfand so etwas wie Sympathie für den kleinen Trupp, aber dann gab er sich einen inneren Ruck.
„Ich will dir sagen, was ich denke“, erklärte er. „Fein habt ihr euch das alles ausgedacht, aber ich falle nicht darauf herein. Ein Spion bist du, Seewolf, ein verdammter Spanier, der mich durch eine billige Schmierenkomödie hereinlegen will. Anders könnt ihr mir nicht mehr ans Zeug, und so habt ihr euch diesen Überfall zurechtgelegt. Ihr habt ein wenig gewütet und geschossen, wußtet dabei aber ganz genau, daß ihr mich so niemals packen konntet. So habt ihr einen ‚Überfall‘ inszeniert, in dem du als Held auftreten solltest.“
Hasards Miene war fassungslos. Ihm fehlten wirklich die Worte.
Der Tiger trat zu dem Stammesältesten und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Otonedju wird bestätigen, was ich sage.“ Er übersetzte seine Worte für den Häuptling des Dorfes, und Otonedju nickte dazu.
„Nur so kann es sein“, erwiderte er. „Die fremden Eindringlinge sind zu jeder Gemeinheit fähig. Sie wollten mich zum Sprechen zwingen und dann töten. Sie wollten unsere Frauen und Mädchen mißhandeln und den ganzen Stamm niedermetzeln.“
Aus einer der Höhlen war Otonedjus Tochter getreten. Sie hatte mit angehört, was die Männer soeben gesprochen hatten.
„Aber ich erkenne keinen der Weißen wieder“, sagte sie überrascht. „Die Soldaten von den Schiffen waren anders gekleidet als diese Männer hier. Sie hatten Panzer auf dem Leib.“
Der Tiger wandte ihr den Kopf zu und lächelte sie an. „Siehst du, fast gehst du ihnen auf den Leim. Natürlich kreuzten diese Kerle erst auf, als ihr euch in den Busch hattet retten können. Vor euren Augen hätten sie ja niemals einen fingierten Kampf mit ihren Landsleuten beginnen können, eine Schattenschlacht, mit deren Hilfe wir alle hinters Licht geführt werden sollen.“
„Ich habe einen Späher zum höchsten Inselberg hinaufgeschickt“, sagte Otonedju. „Er soll sehen, was aus den Schiffen von der Bucht geworden ist.“
Der Tiger lachte auf. „Der Kriegsschiffverband wird sich in irgendein Versteck verholt haben. Bald rundet er die Insel, um nach uns zu suchen. Wir müssen sehen, daß wir noch heute nacht von hier verschwinden.“
„Ich wäre dankbar, wenn du uns übersetzen könntest, was ihr redet“, sagte der Seewolf. „Wir haben ein Anrecht darauf, Mann.“
Der Freibeuter hob die Augenbrauen. „Ah! Du nimmst den Mund immer noch viel zu voll. Aber einverstanden, ich sage dir, wovon Otonedju und ich überzeugt sind.“
Als er mit seiner fast wortgetreuen Übersetzung am Ende war, trat Hasard wütend zwei Schritte auf ihn zu.
„Deine Darstellungen haben weder Hand noch Fuß“, sagte er. „Es ist geradezu lachhaft und an den Haaren herbeigezogen, was ihr euch da ausdenkt.“
„Ein Krampf!“ schrie nun auch Carberry.
„Wir brauchen uns das nicht gefallen zu lassen“, fügte Blacky aufgebracht hinzu.
Die malaiischen Piraten hoben wieder ihre Waffen und zielten auf die Seewölfe. Hasards Kameraden ließen sich dadurch aber ebensowenig einschüchtern wie der Seewolf selbst.
„Tiger von Malakka“, sagte Hasard. „Wirf nur einen Blick auf die Bucht unterhalb des Dorfes. Dort sind drei Schiffe untergegangen – der komplette Verband. Kann man so etwas vortäuschen?“
Der Späher kehrte zu Otonedju zurück. Er war einer der beiden jungen Krieger, die der Seewolf auf der Lichtung hatte überwältigen müssen. Aufgeregt redete er auf seinen Häuptling ein, und Otonedju schaute zu dem Anführer der Piraten.
Der Tiger setzte eine triumphierende Maske auf.
„Nur ein Schiff liegt in der Bucht vor Anker“, sagte er zu Hasard. „Offenbar das deine. Die drei anderen sind verschwunden. Spurlos.“
„Teufel, weil sie gesunken sind!“
„So rasch?“
„Otonedju hätte zuschauen können, wie wir die ‚Santissima Madre‘, die ‚Santa Barbara‘ und die ‚San Juan‘ auf Grund gesetzt haben. Zumindest das Feuer, das wir auf ihren Decks entfacht haben, hätte er sehen müssen.“
Der Freibeuter unterhielt sich noch einmal in der eigentümlichen, abgehackt und leicht guttural klingenden Sprache der Malaien mit dem Dorfältesten, dann schüttelte er den Kopf. „Nichts. Das ist dein Pech, Seewolf. Du hast uns eben unterschätzt.“
„Geh zur Bucht und schau dir die Toten an, die dort verstreut liegen“, sagte Hasard mühsam beherrscht. „Die werden dich davon überzeugen, wie sehr du mit deiner idiotischen Meinung danebenliegst.“