Seewölfe Paket 7

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„Zufrieden?“ rief Ben zu dem Achterdeck des Prahos hinauf.
„Ich halte es für falsch, zur Insel überzusetzen, ehe der Seewolf einen Schuß abgegeben hat.“
„Ein Schuß war nicht vereinbart, Tiger!“
„Das sagst du …“
„Mir langt es jetzt“, erwiderte Ben Brighton gereizt. Er war ein sonst ruhiger und umsichtiger Mann, aber wenn er richtig wütend wurde, hatte das meist höchst unerfreuliche Folgen. „Hasard hat den Radschloß-Drehling dabei, das stimmt!“ rief er. „Aber erstens weiß ich, daß er den Gebrauch der Feuerwaffe um jeden Preis vermeiden wollte, und zweitens wird er zum Zeichen seines Sieges nicht in die Luft schießen, um die angstschlotternden Leute im Inselinneren nicht noch mehr zu erschrecken. Klar, Tiger?“
„Immer noch nicht ganz.“
„Gut“, sagte Ben Brighton. „Aber uns hinderst du nicht daran, jetzt die Insel aufzusuchen. Wir haben keine Waffen dabei – wie vereinbart. Du wirst ja wohl nicht mit der Heldentat protzen wollen, einen wehrlosen Haufen Männer zusammengeschossen zu haben.“
Damit bedeutete er den Männern der „Isabella“ durch eine Gebärde, weiterzupullen. Die Boote beschleunigten unter dem rhythmischen Eintauchen und Wiederhochschwingen der Riemenblätter und ließen den Verband der Prahos hinter sich.
Auf dem Achterdeck des Dreimasters war Yaira, die Tochter des Stammesältesten Otonedju, neben den „Tiger von Malakka“ getreten. Zum erstenmal, seitdem sie sich kennengelernt hatten, wagte sie es, ihm ihre schmale Hand auf die Schulter zu legen.
„Immer noch mißtrauisch?“ fragte sie ihn.
„Ich spreche mein eigenes Todesurteil, wenn ich von meinen Instinkten ablasse“, erwiderte er, während er den Booten nachblickte.
„Man muß seine Freunde erkennen können, hat der Seewolf gesagt.“
„Das hört sich fast ehrfürchtig an“, sagte er bitter. „Gefällt dir dieser Mann?“
Sie lachte leise auf. Dann, rasch wieder ernst werdend, entgegnete sie: „Ich habe in seinen Augen gelesen, daß er es ehrlich meint. Warum glaubst du immer noch daran, daß er für die Spanier arbeitet und dir eine Falle stellen will?“
„Das hängt mit meiner Vergangenheit zusammen.“ Der schwarzhaarige Mann mit den ausdrucksvollen Augen und dem empfindsamen Mund drehte sich zu ihr um. „Ich halte es für möglich, daß er Bublas noch gar nicht begegnet ist, daß er nur seine Männer auf die Insel holen und uns einen heißen Empfang bereiten will, sobald auch wir übersetzen.“
„Niemals …“
„Der Seewolf hat ein mehrschüssiges, kompliziert gebautes Gewehr mitgenommen. Vielleicht genügen die Schüsse, uns allen den Garaus zu bereiten.“
„Das tut der Seewolf nicht, und du unterliegst einem furchtbaren Irrtum, wenn du es wirklich annimmst“, stieß sie entsetzt aus.
„Woher willst du das wissen, Yaira?“
„Ich fühle es.“
Plötzlich trat ein verwegener Ausdruck in die Züge des hochgewachsenen Mannes. „Das Schiff, auf dessen Planken du stehst, ist nie getauft worden, Yaira. Ich ging bei diesem Verhalten davon aus, mich an keinen Praho binden zu dürfen, nicht durch Sentimentalitäten, denn ein Praho kann im Gefecht sinken und mit seinem Rumpf und seinem Namen auch alle Wünsche und Hoffnungen auf den Grund der See entführen. Falls du heute nacht aber recht behältst, schöne Tochter Otonedjus, verleihe ich dem Segler deinen Namen.“
Er drehte sich zu seinen Männern hin, legte eine Hand als Schalltrichter an den Mund und rief: „Boote abfieren, wir folgen den Seewölfen!“
Ungefähr fünf Minuten später lief ihnen am Ufer des zwischen Mangroven versteckten Flüßchens als erster der junge Krieger entgegen, der den Bezwinger des mordenden Tigers entdeckt und in seiner Muttersprache beglückwünscht hatte.
Als der Anführer der malaiischen Freibeuter die hastig ausgestoßenen Erklärungen des Orang Laut vernahm, beschlich ihn eine Art schlechtes Gewissen und Schuldgefühl. Wirklich, er hatte dem Seewolf unrecht getan, seit sie sich das erste Mal gegenübergestanden hatten. Plötzlich begann er, die Dinge aus Yairas Sicht zu sehen. Hatte er den Bogen nicht längst überspannt?
Fassungslos hörte er den Bericht des jungen Eingeborenen. Die Boote der Seewölfe und der Piraten glitten ans Ufer des Gewässers, die Männer sprangen an Land.
„Rasch!“ rief der Tiger nun auf spanisch. „Der Seewolf ist an der Schulter verwundet. Er muß dringend verarztet werden!“
Der Kutscher, auf der „Isabella“ Koch, Feldscher und Bader in einer Person, schob sich an Ben Brighton, Ferris Tucker und dem Profos vorbei.
„Laßt mich durch“, stieß er heiser hervor. Er stürmte in den düsteren Regenwald, und nicht einmal ein Drache oder Saurier hätte ihn davon abhalten können, sich auf dem schnellsten Weg zu seinem Kapitän durchzuschlagen. Der Orang Laut hatte Mühe, ihn einzuholen, um ihm den Weg weisen zu können.
Die Schmerzen in der rechten Schulter hatten zugenommen und drohten den Seewolf zu übermannen. Erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, wie stark er blutete. Mit verbissenem Gesicht kauerte er sich neben den reglosen Körper des gestreiften Mörders.
In dieser Haltung fanden ihn der Kutscher, der junge Krieger, Ben, Ferris, Carberry und Dan O’Flynn vor, die als erste den Kampfplatz erreichten.
„Keine langen Sprüche“, sagte Hasard zur Begrüßung. Sein Lächeln wirkte verkrampft. „Hast du Whisky mitgebracht, Kutscher? Her mit dem Zeug.“
Es war das Glück des Kutschers, daß er in weiser Vorsorge eine Flasche aus seinen Geheimbeständen mit eingepackt hatte, bevor er die „Isabella“ verlassen hatte. Jetzt kniete er sich neben den Seewolf, zog den edlen, original schottischen Stoff aus seinem Gepäck und entkorkte die Flasche.
Hasard nahm einen Schluck, dann goß er sich eine gehörige Ration auf die Wunde, die die Krallen des Tigers gerissen hatten. Hasard biß die Zähne zusammen und ertrug das Brennen und Beißen, das bis in seinen Kopf hinaufschoß und sich dröhnend ausbreitete. Er wurde fast ohnmächtig, kämpfte das Brausen und Würgen in sich aber nieder und schaute schließlich auf. „Desinfiziert habe ich die Blessur“, sagte er zum Kutscher. „Du kannst jetzt mit dem Verbinden anfangen.“
Der Seewolf schaute zu dem Tiger, der nun ebenfalls am Schauplatz des Geschehens angelangt war. „Der junge Krieger soll seinen Stamm zusammentrommeln“, sagte er auf spanisch. „Es gibt keinen Grund für die armen Teufel, noch länger in ihren Löchern zu hocken.“
Der Tiger nickte und lächelte ein wenig verunglückt. Er verdeutlichte dem Krieger in der etwas gutturalen Sprache der Malaien, was der Seewolf gesagt hatte. Der Eingeborene, der sich Bulbas hatte opfern wollen, um seine Stammesangehörigen zu retten, sprudelte ein paar Worte hervor, warf sich herum und lief los. Die Nacht schluckte seine Gestalt.
Der malaiische Piratenführer trat neben den regungslosen Leib des Tigers.
„Er ist nur betäubt“, erklärte Hasard. Der Kutscher untersuchte seine Blessur eingehend und hantierte mit Verbandszeug. Aber das hinderte Hasard nicht am Sprechen. „Wie du weißt, haben meine Leute ein Präparat zusammengebraut, mit dem ich die Pfeilspitzen eingerieben habe.“
„Wann wacht Bulbas wieder auf?“
„Noch vor Tagesanbruch.“
„Wir werden einen großen Käfig bauen, in dem er genügend Auslauf hat“, sagte der Tiger von Malakka. Er lenkte seine Schritte auf den Seewolf zu. „Was ich empfinde, will ich in wenige Worte kleiden. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich nicht eher erkannt habe, welcher Kern in dir steckt. Ich entschuldige mich bei dir und bedanke mich gleichzeitig für das, was du für das malaiische Volk getan hast.“
Er griff zum Gurt, zog die doppelläufige Radschloßpistole heraus, drehte sie um und reichte sie mit dem Kolben voran dem Seewolf. „Erinnerst du dich an das, was ich dir an Bord der ‚Yaira‘ gesagt habe?“
„An Bord der ‚Yaira‘?“ Hasard hob überrascht die Augenbrauen.
Der Tiger grinste breit. „Ja, so heißt mein Praho jetzt.“
„Ich verlangte meine Pistole zurück, und du sagtest, du würdest sie mir erst aushändigen, wenn du völlig von meiner Ehrlichkeit überzeugt wärest“, entgegnete Hasard. Er streckte die Hand aus und nahm die Reiterpistole, die er seinerzeit einem bretonischen Freibeuter abgenommen hatte, entgegen.
Er erhob sich trotz des Protestes des Kutschers, steckte die Waffe weg und reichte dem stolzen Malaien die rechte Hand. „Ein nachtragender Mann bin ich nie gewesen. Vergessen wir, was geschehen ist. Besiegeln wir nun unsere Freundschaft.“
Der Tiger nahm die ihm dargebotene Hand sofort an. Er wirkte unendlich erleichtert, als er sagte: „Gleich werden die Orang Laut hier sein, und ich habe bis auf ein paar Bordwachen auch meine Leute von den Schiffen sowie Otonedju und dessen Begleiter rufen lassen. Wir werden auf einer der Lichtungen, die weiter oberhalb liegen, Feuer anzünden und Fleisch und Gemüse zubereiten. Ich möchte ein Fest zu deinen Ehren feiern, Seewolf.“
„Männer!“ rief Hasard. „Habt ihr Lust, daran teilzunehmen? Ein bißchen Abwechslung könnte nach den Strapazen der letzten Tage doch nicht schaden, oder?“
„Aye, Sir!“ rief Dan O’Flynn überschwenglich zurück. „Mit anderen Worten, wir dürfen die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen.“
„Wir reißen ein Faß auf!“ rief Ferris Tucker.
Carberry rieb sich mit dem Handrücken über den Mund und schnaufte. „Ja. Das könnte euch so passen, wie? Aber wenn sich auch nur einer die Hucke vollsäuft und über die Stränge schlägt, gibt es dikken Ärger.“
Ungefähr eine Stunde später, als die Malaien eine Lichtung der oberen Dschungelregion als Festplatz hergerichtet hatten und die Feuer munter aufzuckten, begann aber auch der Profos endlich zu grinsen. Yaira, die Tochter von Otonedju, lächelte ihn nämlich auf hinreißende Weise an und beschrieb mit den Händen ein Zeichen, das in der Sprache der Inselbewohner soviel wie Frieden bedeutete.
Eine Woge des Frohsinns schien mit den Liedern, die die Eingeborenen anstimmten, über die Insel Rempang zu gleiten. Der Schrecken war gebannt, und die Dankesbezeigungen, die die geretteten Orang Laut dem Seewolf entgegenbrachten, wollten kein Ende nehmen. Hasard hütete sich, die Ovationen abzuwehren. Er hörte sich an, was die Seenomaden ihm zu sagen hatten, ließ es sich von dem Tiger von Malakka übersetzen und schüttelte Hände.
Schließlich antwortete er: „Ich danke euch, aber ich weiß, daß der Tiger von Malakka das gleiche wie ich getan hätte, nachdem er den einen von euch aufgefischt hatte, der von der Insel fliehen konnte. Und nicht zuletzt möchte ich auch dem jungen Krieger meine Hochachtung aussprechen, der sich im Namen eures Stammes und um eurer Rettung willen freiwillig in die Klauen Bulbas’ begeben hätte.“
Dies hatte zur Folge, daß die Orang Laut, die malaiischen Freibeuter, Otonedju und seine Leute und die Seewölfe nun den jungen Krieger hochleben ließen.
Der Tiger von Malakka stand unweit von Hasard und hatte dem Mädchen Yaira eine Hand um die Hüfte gelegt.
„Ich werde versuchen, Bulbas zu zähmen“, sagte er auf spanisch. „Er darf nicht sterben.“
„Solange die Hoffnung besteht, daß aus dem gefährlichen Mörder doch noch ein normal handelndes Tier wird, das frei von der Angriffs- und Tötungslust eines Amokläufers ist“, erwiderte der Seewolf. „Sollte das nicht gewährleistet sein, mußt du den Tiger töten.“
„Ich achte Bulbas.“
„Ich auch, Aber denke daran, was geschieht, wenn er eines Tages wieder ausbricht.“
„Ich werde alles daransetzen, ihn zu besänftigen“, entgegnete der Freibeuter ernst. „Ich will dir jetzt verraten, wo sich mein Versteck befindet. Vier Inseln liegen nördlich von Rempang in dem Wasser, das uns mit dem Festland von Malakka verbindet. Die zweitkleinste davon diente uns bisher als Unterschlupf.“
„Bisher?“
Der Tiger entblößte seine weißen, untadeliger. Zähne und lachte. „Ja, du hast dich nicht verhört. Ich gehe ganz einfach von der Tatsache aus, daß die Spanier und Portugiesen, kurzum, alle Feinde der Malaien, auch weiterhin annehmen werden, daß Rempang durch Bulbas ein menschenleeres Stück Wildnis im Meer ist, auf das niemand seinen Fuß zu setzen wagt.“
„Darum wirst du die Insel jetzt zu deiner neuen Domäne machen“, sagte Hasard.
„Was ist eine Domäne? Ein Staatsbesitz?“
„So ungefähr.“
„Du ahnst, auf was ich hinauswill, Seewolf.“
„Eben. Du bist mehr als ein Seeräuber.“
Der Tiger von Malakka beschrieb eine ausholende Gebärde, die die Lichtung erfaßte. „Hier werde ich den Grundstein für die Republik legen, die ich gründen will. Die Völker von Malakka und Sumatra, die Stämme der Inseln – alle will ich im Kampf gegen die Spanier vereinen und so ausrüsten, daß sie auch keine Kanonen mehr zu fürchten brauchen.“
„Du hast dir viel vorgenommen“, sagte Hasard ernst.
„Glaubst du, ich scheitere?“
„Nein, du schaffst es.“
2.
In dieser warmen Mainacht 1585 drang ein spanischer Schiffsverband von Norden her tief in die Malakkastraße ein. Aus einer 300-Tonnen-Galeone mit dem Namen „Santa Trinidad“ sowie zwei leichteren, jedoch gut armierten Kriegskaravellen bestand dieser kleine Verband, und er wurde von dem Kommandanten Francisco Lozano der Dreimast-Karavelle „San Rafael“ befehligt, dessen Order sich der Kapitän der Zweimast-Karavelle „Estremadura“, Raoul Souto Alonso, und der Kapitän der „Santa Trinidad“, Rafael de Cubas, zu unterwerfen hatten.
Vor zwei Nächten waren die drei Schiffe in Ban Na Kah am Isthmus von Kra ankerauf gegangen, und den Berechnungen des Comandante Francisco Lozano zufolge hätten sie eigentlich bereits am Nachmittag dieses heutigen Tages die spanische Niederlassung Bengkalis erreichen müssen. Doch der wechselhafte, ständig umspringende Wind bei der Überfahrt und ein kurzer, jäh über die Andamanensee fegender Sturm hatten Lozano einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen.
Er konnte noch froh sein, nur die Verzögerung in Kauf nehmen zu müssen. Es hätte schlimmer kommen können – was wäre gewesen, wenn die „Santa Trinidad“ in Havarie geraten wäre, was, wenn sie im Sturm den Kontakt mit ihrem Geleitschutz verloren hätte und möglicherweise Piraten in die Hände geraten wäre?
Lozano grauste es, wenn er nur daran dachte. Im Grunde genommen durfte er zufrieden sein. Bengkalis war fast erreicht und die kostbare Fracht der „Santa Trinidad“ somit nahezu vor allen Unbilden der Natur und menschlichen Hinterhältigkeiten bewahrt.
Der Verlust dessen, was in den Frachträumen der „Santa Trinidad“ ruhte und ihr ansehnlichen Tiefgang verschaffte, hätte sehr ernste Konsequenzen für den Kommandanten nach sich gezogen. Man hätte ihn nicht nur degradiert, sondern mit größter Wahrscheinlichkeit auch vor ein Gericht gestellt. Seine unrühmliche Rückkehr ins Mutterland wäre unabwendbar gewesen.
Die „San Rafael“, ein wendiges Schiff mit Lateinersegeln wie die „Estremadura“ und wie diese ein guter Am-Wind-Segler, führte den Verband und geleitete ihn auf die Einfahrt der langgestreckten Bengkalis-Bucht zu. Die Pulau Rupat, die Insel Rupat, Sumatra im Nordosten vorgelagert, lag bereits achteraus. Bald mußte jene Passage erreicht sein, die zwischen Sumatra und der Insel Bengkalis hindurch auf den nördlichen Einlaß der großen Bucht zu verlief.
Auf dem Achterdeck der „San Rafael“ trat der etwas untersetzte Comandante mit dem gewellten Haupthaar und dem sorgfältig gestutzten Knebelbart zu dem Steuermann, der sich hinter dem Rudergänger postiert hatte und ihm immer wieder Kurskorrekturen angab.
„Wir laufen Bengkalis ohne Aufenthalt an“, sagte Francisco Lozano. „Wenn nötig, werden wir die Wassertiefe ausloten.“
„Comandante …“
„Ich weiß, was Sie sagen wollen, Timonero. Wir haben den Wind aus OstNord-Ost. Wir müssen sehr hoch darangehen, um die Buchteinfahrt bis zum Hafen Bengkalis durchsegeln zu können. Aber glauben Sie mir, die Passage ist breit genug, auch bei Nacht.“
„Trotzdem ist es ein Wagnis.“
„Das Mondlicht reicht aus, uns den rechten Weg zu weisen, Timonero.“
„Im westlichen Bereich der Bucht befinden sich tückische Korallenriffe“, erwiderte der Steuermann. „Ich fahre diese Strecke nicht zum erstenmal.“
„Ich auch nicht!“
„Es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, daß wir durch den Wind auf die Korallenbänke gedrückt werden könnten.“
„Danke, das reicht“, entgegnete Francisco Lozano scharf. „Weitere Ausführungen können Sie sich ersparen, Senor. Ich führe das Kommando, und ich lasse mir nicht gern aufschwatzen, was ich zu tun oder zu lassen habe.“
Die Augen des Steuermannes verengten sich ein wenig, aber er gab sich Mühe, so freundlich wie irgend möglich zu bleiben. „Comandante, das lag auch nicht in meiner Absicht …“
„Dann halten Sie den Mund“, fuhr Lozano ihn an. „Ich trage die Verantwortung, nicht Sie. Haben Sie vergessen, was wir durch eine von Piraten verseuchte Gegend transportieren? Ich habe in Ban Na Kha stundenlang gedrängt, man solle mir mehr Kriegsschiffe zur Verfügung stellen, damit eine ausreichende Sicherung der Galeone gewährleistet sei. Spanien könne mit seinen Schiffen keine Verschwendung treiben, hat mir der hochverehrte Generalkapitän geantwortet, der dort den Ton angibt und für die Verladung der Ausbeute aus den Minen sorgt. Was hätten Sie dem entgegengehalten, Timonero?“
Der Steuermann schwieg, er hatte weder Lust, sich die Rechtfertigungen des Kommandanten anzuhören, noch dasVerlangen, sich auf größere Diskussionen einzulassen. Lozano war ein hitziger, streitsüchtiger Mensch, der seine Position rücksichtslos ausnutzte.
„So müssen wir uns also mit zwei lächerlichen Karavellen zufriedengeben!“ rief der Kommandant anklagend aus. „Falls wir dem gefürchteten Tiger von Malakka und seiner Horde begegnen, haben wir wenig Chancen, die Nacht zu überleben. Dieser hartgesottene, mit allen Wassern gewaschene Pirat und Schlagetot soll ein ganzes Dutzend Schiffe zur Verfügung haben, mit denen er immer wieder unsere Konvois angreift und spanische Siedlungen überfällt.“
Der Timonero konnte sich jetzt doch nicht verkneifen, zu entgegnen: „Das ist mir bekannt. Der Kerl stammt von der Landenge von Kra. Einmal, unter anderem Kommando auf einem anderen Schiff, habe ich das zweifelhafte Vergnügen gehabt, an einer Jagd auf seine Prahos teilzunehmen. Fast hätte er den Spieß umgedreht und uns arg in die Klemme gebracht. Dann aber verschwanden seine Schiffe irgendwo zwischen den Inseln. Die Ortskenntnis und die seemännischen Fähigkeiten dieses Tigers sind phänomenal, das versichere ich Ihnen, Comandante.“
„Schon gut, schon gut“, wehrte Lozano ab. „Ich habe jetzt anderes im Sinn, als die Taten dieses Halunken aneinanderzureihen. Fest steht jedenfalls, daß wir ein ungeheures Risiko eingehen, wenn wir Station einlegen, etwa eine geschützte Bucht suchen und dort bis zum Morgengrauen vor Anker gehen. Es braucht uns nur ein Späher der malaiischen Bastarde zu bemerken, dann sind wir geliefert und sitzen in der Falle.“
„Der Schatz muß nach Bengkalis“, erwiderte der Steuermann, der sich von dem im Bauch der „Santa Trinidad“ verstreuten Reichtum viel lieber selbst einen kleinen Anteil eingesteckt hätte.
„Recht so, Timonero“, sagte Lozano. „Sie begreifen jetzt also doch, wie richtig meine Entscheidung ist.“
Der Steuermann äußerte sich nicht zu dieser Bemerkung, er wußte, daß man sich mehr schlecht als recht durch die Bucht tasten würde. Aber wenn der Kommandant es so brandeilig hatte — bitte.
Wertvoll und daher hochbrisant war die Fracht der „Santa Trinidad“ allemal, das mußte jeder Mann an, Bord der drei Schiffe eingestehen. Erst vor kurzem war es den Spaniern gelungen, auf dem Isthmus von Kra die Minen zu entdecken, die von den Eingeborenen als Geheimnis gehütet wurden. Jetzt waren die Malaien zu Sklaven der neuen Herrscher herabgewürdigt worden und mußten unter menschenunwürdigen Bedingungen in den Minen arbeiten, um Steinchen um Steinchen aus dem rauhen Erdreich zu lösen.
Diamanten!
Hunderte – nein, Tausende davon lagen in den Truhen und Kisten, die die „Santa Trinidad“ beförderte. Wie groß der Wert dieser einzigen Schiffsladung hochkarätiger Edelsteine war, vermochte vorerst keiner zu ermessen. Erst viel, viel später würden die Beamten der Casa de Contratación das Meer glitzernder „Tränen der Götter“ durchwühlen, Listen anfertigen und Schätzungen anstellen.
Bis dahin war noch ein weiter Weg. Von Bengkalis aus mußten die Diamanten innerhalb der nächsten Tage unter strenger Aufsicht weiterverschifft werden, nach Manila, wo alle asiatischen Kostbarkeiten bis zur nächsten Reise der legendären „Nao de China“ gehäuft wurden. Mit der Manila-Galeone würde der Schatz nach Acapulco hinübertransportiert werden, dann auf dem Landweg nach Vera Cruz, von dort aus nach Havanna hinüber, wo die großen Geleitzüge, die Konvois dickbäuchiger Galeonen, zusammengestellt und nach Spanien auf Reise gesandt wurden.
Der Timonero befand im stillen, daß es bei allem Wert der Ladung doch besser gewesen wäre, die Bucht bei Tageslicht zu durchsegeln. In diesem Punkt ließ er sich nicht beirren. Aber selbstverständlich fügte er sich der Willkür von Francisco Lozano. Anderenfalls wäre er vielleicht noch als Meuterer bezeichnet worden.
Die Kapitäne Rafael de Cubas und Raoul Souto Alonso schienen keine Einwände gegen das Unternehmen zu haben, sonst hätten sie mit den Hecklaternen ihrer Schiffe herübersignalisiert.
So komme denn, was will, dachte der Steuermann gottergeben.
Leise, eigentümliche Musik, von den Europäern unbekannten Instrumenten erzeugt, wurde vom Wind gegen die Hänge Rempangs gedrückt, die Höhen hinaufgetragen und verlor sich irgendwo wieder im Regenwald, der alles schluckte. Mädchen aus Otonedjus Stamm und aus den Reihen der Seenomaden tanzten mit Seewölfen und malaiischen Freibeutern um die zuckenden Feuer, es wurde gescherzt, gegessen, getrunken, ohne daß einer der Beteiligten auch nur einen Augenblick über das Maß hinausging, das die Ausgelassenheit erreichen durfte.
Hasard hatte sich mit dem Tiger, Yaira, Otonedju und einigen anderen Malaien an einem der Feuer niedergelassen.
Am Rand der Lichtung erhob sich jetzt ein aus starken Baumästen und Rohr gezimmerter Käfig, in dem der Tiger Bulbas schlummerte. Ferris Tucker hatte bei der Herstellung des Gitterbaues tatkräfig mitgeholfen.
Hin und wieder blickten die Männer zu dem Käfig hinüber, aber noch gaben die dort postierten Wachen kein Zeichen, noch regte die große Raubkatze sich nicht und bestand kein Anlaß zur Besorgnis. Ließ die Wirkung des Betäubungsmittels nach, würde der Tiger sich erheben und im Nachlassen seiner Benommenheit gewiß den ersten Ausbruchsversuch unternehmen. Dann mußte sich zeigen, ob der Käfig seiner Wut standhielt.
Hasard schaute den Mann an, der seinen Beinamen von Bulbas’ Rassenbezeichnung ableitete. „Wie lautet dein wirklicher Name? Jetzt kannst du ihn mir verraten.“
„Sotoro. Und deiner?“
„Philip Hasard Killigrew.“
Sotoro lachte auf. „Dreimal so lang wie der meine. Bist du etwa adliger Abstammung?“
„Wenn man es genau nimmt, ja. Aber meine Feinde nennen mich gern einen Bastard, wobei sie sich auf gewisse Tatsachen berufen.“ Hasard setzte dem Tiger auseinander, warum das so war.
Sotoro nickte ernst und nahm nach dem Seewolf einen Becher mit Reiswein aus den Bordbeständen der Prahos entgegen, der von Yaira aus einem Krug eingeschenkt wurde.
Sotoro nahm einen Schluck zu sich, setzte den Becher dann wieder ab und entgegnete: „Ich bin als Sohn eines malaiischen Reisbauern und einer Inderin auf der Halbinsel Kra zur Welt gekommen. Aber ich will mich kurz fassen, was meine Kindheit betrifft.“ Sein Mund verzog sich zu einem Ausdruck der Bitterkeit und des tiefen Hasses. „Bei einem Überfall auf mein Dorf wurden meine Eltern von Spaniern getötet. Man verschleppte mich an Bord eines spanischen Seglers, wo ich als Aufklarer und Decksjunge die niedrigsten Arbeiten verrichten mußte. Ich wurde wegen meiner Herkunft und Hautfarbe verhöhnt, getreten und geschlagen. Aber ich lernte die spanische Sprache, ein paar Brocken Englisch und die Kunst, ein Segelschiff sicher übers Meer zu lenken. Später bin ich auf und davon, habe mich zu den Freibeutern von Malakka durchgeschlagen und wurde einer der ihren. Nach verschiedenen Machtkämpfen, Verrat und Intrigen bin ich der geworden, den die Spanier zu respektieren gelernt haben.“
„Der Tiger von Malakka“, murmelte Hasard. „Als Rebell hast du es dir nun zum Ziel gesetzt, Malakka, Sumatra und die übrigen Teile Inselindiens nach und nach von allen Fremdländern freizufegen.“