Seewölfe Paket 7

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„Nur von den Besatzern“, stellte Sotoro richtig. „Für weiße Freunde wie dich und deine Männer ist in unserer künftigen Republik immer Platz.“
„Eine gerechtere Art, die Geschikke eines Volkes zu leiten“, sagte Hasard. „Das sind hochgesteckte Ziele, aber Rempang könnte ein echter Anfang sein. Nur darfst du den Gegner nicht unterschätzen.“
„Tue ich das?“
„Ich habe den Eindruck, die Spanier haben ein regelrechtes Kesseltreiben begonnen, dem du früher oder später zum Opfer fallen mußt“, erwiderte der Seewolf gedämpft. „Übersetze das weder Yaira noch jemand anderem, behalte es für dich. Der Überfall auf Otonedjus Insel, die Vertreibung der Seenomaden – es sind die ersten Zeichen, daß etwas Einschneidendes im Gang ist.“
„Das ist mir durchaus klar. Was du nicht weißt: In Bengkalis nutzt ein elender Verräter jede Gelegenheit aus, die Spanier gegen mich aufzuhetzen und ihnen Hinweise zu liefern, wie sie mich stellen könnten.“
„Siabu? Der ist tot.“
„Nein, nicht der Batak. Es handelt sich um einen Atjeh aus dem Norden Sumatras. Sein Name ist Uwak. Früher hat er zu uns gehört, aber dann ist er zu den Spaniern übergelaufen. Wegen Geldes ist er zum Abtrünnigen geworden, sie haben ihn gekauft wie Siabu. Wir mußten daraufhin unser Versteck wechseln, denn auch das hat er seinen neuen Herren natürlich sofort verraten.“
„Ich verstehe jetzt, warum du so unendlich mißtrauisch bist“, erwiderte der Seewolf. „Tausend Tücken und Intrigen, Repressalien und Verrat durch Männer aus den eigenen Reihen – so was zermürbt und kann einen Mann innerlich zerbrechen. Wie kannst du trotzdem ein so großer Idealist sein?“
„Weil die Zahl derer, die für mich den Tod riskieren, größer ist als die Zahl der räudigen Hunde, die es nur verdienen, für alle Zeiten von uns ausgestoßen zu werden. Man muß die Spreu vom Weizen trennen.“
Diese Sätze klangen vielleicht etwas zu markig, aber Hasard wußte ihnen den richtigen Stellenwert zu verleihen. Er konnte nicht umhin, Sotoro zu bewundern, denn nach allem, was er bisher erfahren und von ihm gesehen hatte, schienen die Ziele dieses Mannes völlig uneigennützig zu sein. Der Tiger war weniger darauf aus, sich durch blitzschnelle Raids gegen die Spanier zu bereichern, als vielmehr ihren Machteinfluß in und um Malakka zu schmälern.
„Uwak hat dem Kommandanten Escribano den Tip gegeben, Otonedjus Insel anzulaufen und nach dir und deinen Männern abzukämmen“, sagte Hasard.
„Ja.“
„Uwak wußte also, daß Otonedju zu euch Rebellen hält?“
„Ja. Er nahm richtig an, daß wir wieder auf der Insel landen würden“, antwortete der Malaie. „Erst jetzt wird mir richtig klar, welchen Dienst du uns erwiesen hast, indem du die drei Kriegsschiffe der Spanier versenkt hast. Sie sind ja tatsächlich gesunken, und damit hast du den Spaniern einen empfindlichen Hieb versetzt.“
Hasard lächelte. „Die Dons werden mich deswegen noch inniger verehren. Ich habe sie mal wieder bis aufs Blut gereizt. Etwas anderes, Sotoro. Welche Rolle spielen die Orang Laut, die Seenomaden?“
„Ich habe ihren Stamm erst durch diese dramatische Begegnung auf Rempang kennengelernt. Sie kommen von einer der kleinen, südöstlich der Pulau Bintan gelegenen Inseln, zu denen wir bislang noch keinen Kontakt hatten. Übrigens habe ich von ihrem Häuptling Kutabaru erfahren, daß sie von Escribanos Verband aufgescheucht wurden, bevor dieser Otonedjus Insel heimsuchte. Im Gegensatz zu Otonedju und dessen Leuten gelang den Nomaden jedoch die Flucht. Nur ein paar Krieger fielen dem Angriff der Spanier zum Opfer.“
„Weiß Kutabaru, weshalb dies geschah?“
„Ich habe ihm auseinandergesetzt, warum die Spanier überall nach mir suchen. Ich glaube, ich kann die Orang Laut, die von Insel zu Insel ziehen, für meine Sache gewinnen.“ Er hob die Hände leicht an und ballte sie. „Und ich werde Uwak, diesen Hund, töten, dann sind wir wieder beweglicher, weil die Spanier allein nicht alle Verstecke kennen können, in denen wir immer wieder unterschlüpfen.“
Hasard sagte: „Du willst also nach Bengkalis?“
„Ja. Ich werde dieses Nest überfallen. Und du? Was hast du vor, Seewolf?“
„Eigentlich wollen wir morgen früh aufbrechen und weitersegeln, in den Indischen Ozean. Wir wollen nach England zurückkehren.“ Hasard grinste plötzlich, und in seinen eisblauen Augen tanzten jene tausend Teufel, die bei ihm immer eine kühne Initiative ankündigten.
„Doch ich sehe nicht ein, warum wir nicht mit dir zusammen einen Abstecher nach Bengkalis unternehmen sollten“, sagte er. „Das liegt schließlich auf unserem Kurs, wenn ich nicht irre.“
Er schaute auf, weil der aus Ost-Nord-Ost wehende Wind plötzlich aufgefrischt hatte. Er zerzauste den Männern, Frauen und Kindern auf der Lichtung die Haare, griff nach den Feuern und ließ die Flammen heftig hin- und herlekken.
Der Steuermann der Dreimast-Karavelle „San Rafael“ konnte sich einen Ausdruck der Schadenfreude nicht verkneifen, als der Wind an Stärke gewann und von frisch bis handig auf steif bis stürmisch aufbriste. Der Wind pfiff über die nördliche Einfahrt der Bengkalis-Bucht, in der sich der Dreierverband jetzt befand.
Der Kommandant Francisco Lozano stand zu diesem Zeitpunkt auf. dem Vordeck der Karavelle und konnte nicht sehen, wie sein Timonero heimlich und verschlagen grinste. Lozano hatte einen Decksmann auf die Galionsplattform hinabkommandiert. Der Mann lag bäuchlings schräg unter ihm und hielt Senkblei und Faden bereit, um die Wassertiefe auszuloten, falls der Kommandant es für notwendig erachtete.
Die Galeone „Santa Trinidad“ segelte im Kielwasser der dreimastigen Karavelle, und den Abschluß bildete die „Estremadura“. Hoch am Wind lagen die Schiffe. Aber während die wendigeren Karavellen mit ihren Lateinersegeln kaum Mühe hatten, den Kurs zu halten, mußte der Kapitän Rafael de Cubas an Bord der „Santa Trinidad“ sein ganzes seemännisches Können aufbieten, um mit dem schwerfälligeren Rahsegler den Kurs halten zu können.
Dem Rudergänger am Kolderstock der Galeone lief der Schweiß übers Gesicht — wegen der nervlichen Anspannung und des barschen Kommandierens des Kapitäns und der Offiziere, das pausenlos auf ihn einhagelte. Der Zuchtmeister brüllte die Decksleute an, die Schoten noch dichter zu holen, obwohl das nicht möglich war. Er drohte mit der neunschwänzigen Katze.
Die Stimmung an Bord war alles andere als rosig – und nun auch noch das!
Francisco Lozano konnte froh sein, keine Perücke zur Hebung seiner Amtswürde übergestülpt zu haben. Sie wäre ihm im jähen Aufbrisen des Windes zweifellos vom Haupt gerissen worden.
Seine wellige Frisur löste sich auf, seine Knebelbartenden zitterten im Wind. Sein wütendes Geschrei tönte über Oberdeck und war fast bis zur „Santa Trinidad“ zu hören.
Lozano brüllte, bis er rot anlief, als der Bootsmann auf der Back eintraf und auch noch verkündete: „Das Schiff läuft aus dem Ruder, wenn das so weitergeht! Wir werden auf Legerwall gedrückt und können den Kurs nicht halten, Senor Comandante!“
„Vayase al diablo!“ brüllte Lozano ihm ins Gesicht. „Zum Teufel, ich lasse euch alle kielholen und an der Rahnock aufbaumeln, wenn das passiert!“
„Si, Senor Comandante“, sagte der erbleichende Bootsmann. Er drehte sich um und stürzte an die Querbalustrade, die zur Kuhl wies. Sein Wortschwall ging auf den Stockmeister nieder, und dieser leitete die Anordnungen an den Steuermann weiter.
Der Timonero wußte ganz genau, daß Lozano imstande war, seine wüsten Drohungen in die Tat umzusetzen. Das Grinsen des Timoneros fror ein, er trat dem Rudergänger mit dem Stiefel ins Gesäß, scheuchte ihn weg und übernahm selbst den Kolderstock der „San Rafael“.
„Ich habe das Unheil kommen sehen“, stieß er zischend hervor. „Auf mich hat keiner hören wollen, und jetzt müssen wir die Köpfe dafür hinhalten, Hölle und Teufel.“
Der Wind heulte und pfiff in den Luvwanten und Pardunen der Schiffe und rüttelte an den Masten. Auf Steuerbordbug liegend liefen die drei Segler mit starker Krängung weiter auf Bengkalis zu, dessen Lichter wegen leichter Nebelbildung im Süden noch nicht zu erkennen waren.
Der Wind wurde stärker und ruppiger.
Der Timonero der „San Rafael“ wußte, daß das Schicksal unabwendbar war, und er bekreuzigte sich.
„Wir segeln in die Hölle“, sagte der entsetzte Bootsmann auf der Back, aber Francisco Lozano war an dem Bootsmann vorbei, hastete den Niedergang zur Kuhl hinunter, und beachtete die Worte des Mannes überhaupt nicht.
Lozano tobte, wurde handgreiflich und schlug auf einige Männer ein, aber dadurch änderte er auch nichts an den Gegebenheiten. Immer weiter wurden die Karavellen und die Galeone auf Legerwall zu geschoben. Wenig später war das Unheil perfekt.
Den manövrierfähigeren Karavellen gelang es, so weit nach Süden abzulaufen, daß die gefährlichen Korallenbänke Steuerbord achteraus zurückblieben. Doch die Galeone „Santa Trinidad“ war mittlerweile viel zu weit nach Westen versetzt worden.
Rafael de Cubas brüllte wie ein geistig umschatteter Mann, aber auch das nutzte nichts. Im Moment des Aufpralls aufs Riff wurden er und seine Männer aus dem Stand auf Deck gerissen und durcheinandergeschleudert. Sie überrollten und wälzten sich. Einige schlugen so hart gegen das Schanzkleid oder andere Widerstände, daß sie sich Verletzungen zuzogen. Ja, zwei Decksleute kippten sogar außenbords und verschwanden in der Nacht.
Es krachte und knirschte. Der Rumpf der 300-Tonnen-Galeone wurde von den harten, scharfen Formationen der dicht unter der Wasseroberfläche befindlichen Baum- und Rindenkorallen aufgeschlitzt. Gähnende Lecks klafften plötzlich in der hölzernen Schiffshaut, gurgelnd drangen die Fluten ein.
Der Schiffszimmermann und ein paar Helfer, die sofort in die unteren Räume eilten, wurden durch die rauschenden Wassermassen gestoppt. Obwohl der beherzte Zimmermann ein paar Tauchversuche unternahm, gelangte er an die Lecks nicht heran. Es war ausgeschlossen, die Galeone von innen her auch nur notdürftig abzudichten.
Die Männer kehrten auf Oberdeck zurück und erstatteten Meldung. Panik drohte um sich zu greifen.
Die Galeone krängte bedrohlich und schien jeden Moment querzuschlagen.
„Löscht die Ladung, verstaut sie in den Booten!“ schrie der Capitán de Cubas. „Wir müssen das Schiff aufgeben.“
„Senor Capitán!“ rief der Zimmermann zurück. „Wir müssen das Frachtgut im Stich lassen. Wir schaffen es nicht mehr …“
„Niemals! In die Frachträume!“ Rafael de Cubas’ Stimme steigerte sich zu einem Heulen. „Das ist ein Befehl, und ich werde jeden, der ihn nicht befolgt, wegen Meuterei und Feigheit zur Rechenschaft ziehen!“
Den Männern blieb nichts anderes übrig, sie mußten in die tosende, unheimliche Tiefe des Schiffsrumpfes zurückkehren. Unter Aufbietung all ihren Mutes bildeten sie eine Kette, dessen unterste Glieder in den Frachträumen immer wieder in die schwärzlichen, brodelnden Fluten tauchten und Kisten und Truhen, prall gefüllt mit Diamanten von Kra, heraufzerrten. Der Zimmermann befand sich unter diesen beherzten Männern.
Die Kisten wurden auf Oberdeck gemannt und in die bereits ausgebrachten Beiboote abgefiert, was nicht ohne Schwierigkeiten abging, weil die „Santa Trinidad“ immer weiter nach Steuerbord krängte.
So sehr de Cubas sich auch bis zuletzt dagegen sträubte – ihm blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich in ein Boot zu begeben und das sinkende Schiff zu verlassen.
Nur einen Teil des Diamant-Schatzes hatte er bergen können, etwa ein Viertel. Während aber die Beiboote an Steuerbord der Galeone dümpelten, während sich Masten und Rigg bedrohlich den Männern auf den Duchten entgegenneigten, hörten die auf dem Dreimaster Zurückgebliebenen nicht auf, Kisten und Truhen aus dem Schiffsbauch zu mannen.
Die Wassermengen füllten die „Santa Trinidad“ und ließen sie noch mehr nach Steuerbord krängen. Der jaulende Wind tat ein weiteres – die Galeone schlug endgültig quer.
Ein einziger Schrei des Entsetzens ging durch die Reihen der Spanier. Mit wilder Kraft der Verzweiflung pullten sie unter dem niederächzenden Mastwerk, der Takelung und dem laufenden und stehenden Gut fort. Zwei Booten gelang es, sich zu lösen, ein drittes, kleineres, wurde untergegraben. Nur ein Teil seiner Besatzung vermochte sich durch Wegtauchen zu retten.
De Cubas war für Minuten seiner Stimme beraubt. Er ließ in die Bucht hinauspullen, hatte sich auf der Heckducht seines Bootes umgewandt und verfolgte fassungslos die letzte Phase des Unglückes.
Knarrend rutschte die „Santa Trinidad“ vom Riff. Unglaublich schnell vollzog sich das. Man war versucht an einen bösen Traum zu glauben. Die Schatz-Galeone nahm den Großteil der Diamantenausbeute aus den Minen von Kra mit in die Tiefe, außerdem ein paar Männer, die nicht mehr rechtzeitig den Weg aus den unteren Schiffsräumen zurück auf Oberdeck fanden. Unter ihnen war auch der Zimmermann.
Sie ertranken in Gesellschaft des phantastischen, unermeßlichen Juwelenreichtums.
Die Überlebenden pullten zu den wartenden Karavellen. Der Kapitän Rafael de Cubas wußte, daß sein Davonkommen vor dem so nahen Tod kein dauerhafter Trost für den Verlust des Schatzes war. Man würde ihn wie den Kommandanten Francisco Lozano und den Kapitän der „Estremadura“, Raoul Souto Alonso, für das Unglück zur Rechenschaft ziehen.
Ob man die Diamanten vom Grund der Bengkalis-Bucht bergen konnte, hing in erster Linie davon ab, wie tief die „Santa Trinidad“ sank.
3.
Sotoros Männer hatten die Feuer auf Rempang rechtzeitig gelöscht, dann hatten sich alle an dem Fest Beteiligten zu den Booten begeben – außer den Wachen, die am Käfig des Tigers verharrten und die mit gemischten Gefühlen darauf warteten, daß das Tier wieder erwachte.
Im Sturmwind hatten die Männer und Frauen zu ihren Schiffen übergesetzt und die Prahos und die „Isabella“ in eine geschützte Bucht an der Leeseite der Insel Rempang verholt. Den Orang Laut war es im weiteren Verlauf der Nacht auch gelungen, ihre Auslegerboote von dem Landeplatz in die Bucht zu verholen. Bei ihrem Eintreffen waren sie an der Nordküste an Land gegangen und mußten jetzt mit den Booten die halbe Insel runden, was kein leichtes Stück Arbeit war. Aber sie waren glücklich, feststellen zu können, daß die kleinen Prahos keinerlei Schaden genommen hatten. Der Seewolf hatte vor seinem Kampf gegen Bulbas angenommen, der Tiger habe die Boote kurz und klein geschlagen, aber in diesem Punkt hatte er sich getäuscht. Bulbas heiliger Respekt vor dem Wasser hatte eine schützende Barriere vor den Booten errichtet, die der Mörder nicht hatte überbrükken können.
Die geschützte Bucht wurde zum provisorischen Lager der Seewölfe und der Malaien.
Kutabaru, der Häuptling der Wassernomaden, hatte sich inzwischen bereiterklärt, für Sotoros Sache mitzukämpfen. Mit Otonedjus Männern und den Orang Laut zählte der Trupp des Tigers von Malakka mittlerweile also weit über hundert Köpfe.
„Genug, um eine Republik zu gründen“, sagte Sotoro zu Hasard, als er sich auf die Einladung des Seewolfs hin mit Yaira an Bord der „Isabella“ begab. „Wir werden auf Rempang Dörfer bauen, das Land urbar machen und als Alleinversorger auf keine Hilfe von außen angewiesen sein.“
„Die Spanier dürfen davon nichts merken“, gab der Seewolf zu bedenken.
„Wir werden den Dschungel als Sichtschutz an den Ufern wuchern lassen“, erwiderte der Tiger. „Und für unsere Schiffe gibt es genügend Versteckmöglichkeiten. Ich denke, wir können Jahre unter diesem Tarnmantel leben, ohne eine Invasion befürchten zu müssen.“
„Meinen Segen dazu habt ihr“, sagte Hassard. „Sotoro, ich möchte dir jetzt ein paar Seekarten zeigen, die ich auf dem Weg von China hierher ergattert habe. Vielleicht kannst du mir noch ein paar Hinweise geben, die für die Fortsetzung unserer Reise von großem Wert sind.“
„Du weißt ja, ich bin unter den Spaniern gefahren.“
„Eben deswegen. Gehen wir in meine Kammer im Achterkastell.“
Kurze Zeit darauf betraten sie die gemütliche Kammer im Heck der leicht schwankenden „Isabella“. Ein mittelschwerer Sturm tobte über die Insel Rempang weg, doch die Bucht lag behütet genug in Lee, und die beiden Männer und das schöne Mädchen konnten noch lange über den Karten und in ihre Erzählungen vertieft beim Schein der Öllampe zusammensitzen.
Erst kurz vor Anbruch des neuen Tages verließen Sotoro und Otonedjus Tochter die große Galeone wieder, um auf die „Yaira“ zurückzukehren. Hasard legte sich in seiner Koje zur Ruhe. Er wollte wenigstens noch ein oder zwei Stunden schlafen.
Im Morgengrauen ließ der Wind wieder nach, und die Wogen auf offener See glätteten sich. Hasards traumdurchwebtes Dahindämmern wurde jedoch abrupt durch einen Ruf unterbrochen, der über die Bucht hallte.
„Mastspitzen in Südost!“
Hasard war sofort wach. Kein Zweifel, es war Bill gewesen, der die Worte ausgestoßen hatte. Bill, der Schiffsjunge der „Isabella“, hockte seit der Wachablösung im Großmars und hielt weisungsgemäß die Augen offen, wie sich das für einen Ausguck gehörte. Jetzt, in aller Frühe, bewies er, daß er nicht geschlafen hatte.
Hasard sprang aus der Koje, stieg in seine blaue Hose und die ledernen Stulpenstiefel, zog sich Hemd und Wams über, dann lief er durch den mittleren Achterdecksgang nach vorn, nahm den Niedergang zum etwas höher befindlichen Schott mit einem Satz und stieß das Schott auf. Er lief auf die Kuhl hinaus.
Sonnenglast ließ die frisch geschrubbten Planken der „Isabella“ schimmern und verhalf den kleinen Wellen in der Bucht zu glitzernden Kronen. So kurz nach ihrem Aufgang besaß die Sonne hier bereits große Macht, während ihr Licht weiter westlich über der Insel von aufsteigenden Nebelstreifen gefiltert wurde.
Hasard mußte die Hand als Schutz über die Augen legen, um zu Bill in den Hauptmars aufzublicken.
Ben Brighton, Carberry und Shane hatten sich ebenfalls auf Oberdeck eingefunden und gesellten sich zum Seewolf. Ferris Tucker, Smoky, Stenmark und die beiden O’Flynns stürmten ihnen soeben nach.
Der alte Donegal wetterte und rief den Deckswachen Sam Roskill und Jeff Bowie zu: „Was zum Teufel ist jetzt wieder los? Kann man nicht mal in Ruhe einen Törn an der Koje horchen?“
„Mastspitzen, du hörst es doch!“ rief Roskill eher mürrisch zurück.
Auf der „Yaira“ und den anderen Prahos war es inzwischen auch lebendig geworden, und an Land richteten sich überall die Gestalten jener Eingeborenen auf, die die Nacht allen Gefahren der Selvas zum Trotz zwischen den Büschen verbracht hatten, weil sie den Wächtern des Tigers sofort zu Hilfe eilen wollten, falls Bulbas sich regte.
Bill lehnte sich über die Umrandung des luftigen Postens, legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund und rief seinem Kapitän zu: „Fünf Schiffe der großen Klasse, Sir, ich kann sie jetzt deutlich auseinanderhalten.“
„Welchen Kurs nehmen sie?“
„Offenbar Westen.“
„Also an Rempang vorbei?“
„Sieht so aus, Sir!“
„Sieht so aus“, äffte Old O’Flynn einen Yard neben der Kuhlgräting den Schiffsjungen nach. „Kann der Bengel sich nicht deutlicher ausdrükken?“
„Kann er nicht“ nahm Carberry Bill in Schutz. „Denn wenn die Himmelhunde; die die Schiffe führen, uns sichten, schlagen sie möglicherweise einen anderen Kurs ein — wer immer sie sein mögen. Holzauge, sei wachsam.“
„Meinst du damit mich?“ fragte der Alte mit verkniffener Miene.
Carberry grinste, was seinem Narbengesicht einen fratzenhaften, beinah monströsen Ausdruck verlieh. „Natürlich nicht, Donegal. Niemals würde ich so was zu dir sagen. Du hast ja auch gar kein Holzauge, sondern nur ein Holzbein. Oder?“
„Ach, geh doch zum Teufel“, knurrte der Alte.
Insgeheim maß noch keiner von der Crew den fremden Schiffen im Südosten große Bedeutung bei. Man nahm allgemein an, die Segler würden auf ihrem Kurs weiterziehen.
Hasard aber wollte es genau wissen. Er enterte katzengewandt in den Wanten auf, kletterte zu Bill in den Mars und richtete sein Spektiv in die angegebene Richtung. Der kreisrunde Ausschnitt der Optik fing zunächst die Mastspitzen ein, die sich da über die Kimm geschoben hatten, dann die dazugehörigen Rümpfe, die mittlerweile auch sichtbar geworden waren.
Etwas blaß nahmen sich die Konturen unter dem Glanz der jungen Morgensonne aus, aber der Seewolf konnte genug Einzelheiten erkennen.
„Wirklich fünf Schiffe“, bestätigte er Bills Aussage. „Vier Dreimaster – und ein imposanter Viermaster. Muß ein wirklich bildschönes Schiff sein. Lassen wir sie noch ein bißchen näher heran, dann kann ich dir auch sagen, ob es sich um Kriegs- oder Frachtschiffe oder um einen gemischten Verband handelt.“
Bill beobachtete ebenfalls unausgesetzt durch seinen Kieker. „Das letztere ist doch wohl naheliegend, Sir.“
„Glaubst du? Und noch schöner wäre es, wenn eine dieser Galeonen wertvolle Ladung an Bord hätte, nicht wahr?“
„Oder zwei, drei Galeonen …“
„In dem Fall würden wir sie angreifen, entern und von den Mastspitzen bis zum Kielschwein ausnehmen wie fette Gänse“, entgegnete der Seewolf schmunzelnd. „Das wolltest du doch ausdrücken, Bill, nicht wahr?“
„Äh – ja, Sir.“
„So erpicht darauf, daß es mal wieder Zunder gibt?“
„Ganz ehrlich?“
„Sicher doch.“
„Ja, Sir, und wir haben eine richtige Streitmacht zur Verfügung, mit der wir einen solchen Verband knakken könnten“, stieß der Junge mit stolz geschwellter Brust hervor.
Hasard hatte das Spektiv nicht abgesetzt, und der heitere Ausdruck verschwand jetzt von seinen Zügen. Sein Mund erstarrte, die Lippen schienen von granitener Härte zu sein. „Ich schätze, daraus wird nichts, jedenfalls nicht so, wie du es dir vorstellst, Junge. Das da sind fünf Kriegs-Galeonen spanischer Herkunft, augenscheinlich gut armiert und unter vollen Segeln.“
Er setzte das Fernrohr mit einem Ruck ab und wandte den Kopf. Sein Blick bohrte sich in Bills Augen. „Sie haben angeluvt und halten auf uns zu. Die Brüder haben uns entdeckt, wie auch wir sie entdeckt haben, mein Freund.“
Bill, der seinen Kieker auch hatte sinken lassen, sagte: „Und – was gedenken Sie nun zu tun, Sir?“
Der Laut, der von der Insel herüberdrang, unterbrach ihr Zwiegespräch. Bulbas’ Brüllen klang so schaurig, als stiege es geradewegs aus den Schlünden der Hölle hervor. Es fuhr Bill, dem Moses, unter die Haut und trieb ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.
Hasard traf Anstalten, auf Deck zurückzuklettern. „Der Wächter der Insel ist erwacht, später, als ich mir ausgerechnet hatte. Jetzt trifft uns sein ganzer Groll, und ich habe die Befürchtung, das ist ein schlechtes Omen für diesen Vormittag.“
Er hangelte in den Webeleinen der Wanten nach unten, traf auf der Kuhl ein und drehte sich sofort seinem Profos zu. „Ed, alle Mann auf Gefechtsstation und klar zum Gefecht rüsten. Sieh zu, daß ihr in Windeseile fertig seid, ich will nicht von den Dons überrumpelt werden.“
„Zum Teufel, nein!“
„Wie bitte, Mister Carberry?“
„Ich meine – aye, aye, Sir!“ brüllte der Profos.
Hasard lief in Richtung Achterdeck und rief: „Wir gehen ankerauf und laufen mit Kurs Süd-Süd-Ost hart am Wind aus der Bucht!“
„Verstanden“, erwiderte Ben Brighton.
Auf der Kuhl hasteten die Männer auf und ab, die Geschütze rumpelten aus, als die Stückpforten aufschwangen, es wurden alle erforderlichen Vorkehrungen für ein bevorstehendes Gefecht getroffen. Je zwei Mann stürzten mit Handspaken bewaffnet an die Gangspille auf Vor- und Achterdeck, wenig später hoben sich Bug- und Heckanker an ihren schweren Trossen vom Grund der Bucht. Stenmark, Sam Roskill, Batuti, Will Thorne und ein paar andere krebsten in den Wanten hoch, um die Segel zu setzen.
Hasard trat auf dem Achterdeck ans Schanzkleid und blickte zur „Yaira“, die keine zwanzig Yards querab von der „Isabella“ lag. Sotoro, Otonedju, Yaira und ein paar andere drehten sich auf seinen Ruf hin ihm zu.
„Wir müssen auf alles gefaßt sein!“ schrie der Seewolf. „Ich denke, die Dons werden uns einen guten Morgen wünschen wollen.“
„Wir rüsten bereits zum Kampf“, erwiderte der Tiger von Malakka, ebenfalls spanisch sprechend. „Hast du eine Ahnung, wer den Verband befehligt?“
„Nein. Ich kenne die Schiffe nicht.“
„Seewolf!“