Seewölfe Paket 7

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„Ich höre dich, Tiger!“
„Einer unserer Freunde vom Stamm der Orang Laut hat mir vom Ufer aus ein Zeichen gegeben. Die Nachricht der Wächter am Käfig von Bulbas lautet: Der Tiger sitzt sicher, er konnte trotz aller Versuche nicht aus seinem Gefängnis ausbrechen.“
„Den Rücken haben wir also frei“, sagte Hasard mit galligem Humor. Etwas leiser meinte er mehr zu sich selbst als zu seinen Männern: „Ein gutes Omen war Bulbas’ Brüllen aber trotzdem nicht. Eine Gefahr ist gebannt, jetzt rückt die nächste an.“
Ben Brighton hatte das Achterdeck ebenfalls erreicht und trat zu Hasard.
„Ob das unser lieber Freund Arturo Diaz Escribano ist?“ fragte er mit einer Geste zu dem rasch näherrükkenden Verband hin.
Hasard schüttelte den Kopf. „Selbst wenn er kurz nach seiner Niederlage aufgefischt worden ist, hat er einen neuen Verband nicht so schnell wieder zusammenstellen können. Unmöglich.“ Er blickte nach Südosten. Wie eitle Schwäne schoben sich die fünf Galeonen heran. Die „Isabella“ legte sich derweil mit Backbordhalsen an den Wind und verließ die Bucht.
„Ich möchte wirklich wissen, mit welchem Draufgänger wir es da zu tun haben“, sagte der Seewolf.
Er ahnte nicht, daß er dem Mann, der das Kommando über den spanischen Kriegsschiff-Verband führte, schon einmal unter nicht weniger dramatischen, verhängnisvollen Gegebenheiten begegnet war – ohne dessen Namen erfahren zu haben.
Lucio do Velho, der Mann mit dem ausdrucksstarken Gesicht und den Fähigkeiten eines Mimen, stand in erhabener Pose auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes. Er suchte nirgends mit den Händen Halt, sondern hatte die Arme vor der Brust verschränkt und glich die Decksbewegungen durch geschickte Beinarbeit aus.
Sein Blick war voraus gerichtet, über die Back derViermast-Galeone „Candia“ hinaus, rechts an ihrem Bugspriet vorbei auf die Bucht, in der die vielen Schiffe lagen. „Killigrew“, sagte der Portugiese do Velho. Fast schwang Ergriffenheit in seinem Tonfall mit, aber man hätte diese Färbung leicht falsch interpretieren können. DoVelho war bewegt, aber nicht wegen des Wiedersehens, sondern wegen seines Geschickes, seiner Fähigkeit, eine im Nichts verlaufende Fährte wieder aufzunehmen.
„Seewolf“, sagte er. „Du elender Bastard, seit mehr als vier Monaten suche ich dich jetzt. Endlich habe ich es geschafft. Diesmal gelingt es dir nicht, dich aalglatt und gerissen meinen Fängen zu entziehen.“
„Sind Sie sicher, daß wir die ‚Isabella‘ vor uns haben, Senor Comandante?“ erkundigte sich eine Stimme hinter seinem Rücken.
Unwillig wandte do Velho sich um. Sein zurechtweisender Blick fiel auf das derbe Gesicht von Ignazio, dem Mann aus Porto, der nicht nur sein Landsmann, sondern auch sein treuester Mitstreiter war.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, daß man seinen Comandante nicht von hinten anspricht, Ignazio?“
„Verzeihung.“ Iganazio tat zwei Schritte und stand neben seinem Herrn und Gebieter. „Ich habe das vergessen.“
„Du hast überhaupt ein schlechtes Gedächtnis“, erwiderte do Velho ungnädig. „Du kannst von Glück sprechen, daß ich dich auf diesem stolzen Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät überhaupt dulde. Aber man ist eben sentimental.“ Ignazio war außer doVelho der einzige Mann, der seinerzeit nördlich von Formosa lebend jene kleine Insel verlassen hatte, in deren Bucht der Seewolf die „Sao Fernao“ zusammengeschossen hatte.
„Dir scheint wohl ganz entfallen zu sein, wie das verdammte Schiff des verfluchten ‚Lobo del Mar‘ aussieht?“
„Comandante, ich kann es auf diese Distanz nicht so gut erkennen.“
„Dann nimm ein Spektiv zu Hilfe.“
„Ich habe es getan. Aber die Sonne blendet mich, und die vielen kleineren Schiffe in der Bucht verdecken mir die Sicht auf die Dreimast-Galeone.“
Do Velho winkte ärgerlich ab. „Du bist ein hoffnungsloser Fall. Du taugst zum Dreinschlagen, Ignazio, zu mehr aber nicht.“
„Ich bin betrübt, Senor“, murmelte der Mann aus Porto. Er schien es wirklich zu sein, denn er senkte den bulligen Schädel und starrte auf die Decksplanken.
„Vorhin, als der Ausguck die Schiffe in der Bucht von Rempang erspäht hat, bin ich selbst in denVormars aufgeentert“, setzte Lucio doVelho dem einfachen Mann auseinander. „Von dort oben habe ich die ‚Isabella‘ einwandfrei identifiziert.“
„Si, Senor. Aber was haben die verflixten Kähne der Eingeborenen in der Nähe der Galeone verloren?“
„Das sind Prahos, du Einfaltspinsel. Ich frage mich, wie ich in Manila so närrisch sein konnte, dich durch meinen Zuspruch zum Bootsmann avancieren zu lassen.“
„Ich habe Ihnen das Leben gerettet.“
„Das war deine Pflicht. Brüste dich bloß nicht damit. Außerdem wäre ich auf der Insel auch allein mit den Meuterern fertiggeworden. Du brauchst dir auf deine Tat nichts einzubilden.“
„Nein, Senor“, antwortete der Mann aus Porto untertänigst.
„Also – ich kann dich jederzeit selbst wieder zum einfachen, dreckigen Decksmann degradieren, vergiß das nicht. Unterlasse deine idiotischen Bemerkungen, sie beleidigen meine Ohren und verletzen meinen Geist. Ignazio, es interessiert mich nicht, warum die Prahos der Malaien bei den Seewölfen liegen, ich frage auch nicht danach, welche Begleitumstände dazu beigetragen haben, daß wir hier und heute auf die Hunde stoßen konnten.“
Sein Blick wanderte zur Kuhl ab, wo zwanzig bronzene 17-Pfünder-Culverinen ausgerollt und schußbereit gestellt worden waren. Auf dem darunter befindlichen Batteriedeck der „Candia“ stand noch einmal die gleiche Zahl Kanonen desselben Kalibers bereit, das Feuer auf den verhaßten Feind zu eröffnen.
„Ich bin jetzt froh, heute nacht den Sturm abgeritten zu haben“, sagte der Portugiese. „Anderenfalls hätte uns der Zufall nicht auf Rempang zugetrieben.“
„Niemals, Senor“, sagte Ignazio. „Aber mir ist etwas eingefallen. Die Eingeborenen auf den Prahos könnten Verbündete des Seewolfs sein.“
„Sehr gut, Ignazio. Ich rechne fest damit, daß es so ist. Da sie offenbar in trautem Einvernehmen bei den Bastarden von Engländern weilen, stufen wir auch die Malaien als unsere Todfeinde ein, die keine Rücksicht verdienen.“
„Mehr als ein Dutzend Schiffe gegen uns, Senor Comandante …“
„Mit unserer Armierung sind wir denen haushoch überlegen“, entgegnete do Velho. „Wage nicht, auch nur eine Sekunde daran zu zweifelh.“
„Gewiß nicht. Welches ist nun aber Ihr Plan?“
Lucio do Velhos Züge verhüllten die Grausamkeiten, die sein Geist sich ausmalte, um keinen Deut. „Wir greifen ohne jede Vorwarnung an. Wir schießen sofort aus vollen Rohren, das ist die einzige Art, diesem Dreckskerl von einem Korsaren zu begegnen.“
4.
Die „Isabella VIII.“ hatte die Bucht als erstes Schiff verlassen, jetzt ließ der Seewolf noch weiter anbrassen, luvte so weit wie möglich an und segelte tollkühn direkt auf den feindlichen Verband zu.
Die „Yaira“ folgte der großen Galeone in nach Backbord schräg versetzter Kiellinie und segelte somit am dichtesten unter Land. Sechs Kanonen schwer bestimmbaren Kalibers fuhren auf dem dreimastigen Praho des Tigers von Malakka mit. Sotoro hatte sie von einem chinesischen Freibeuter ergattert, dessen Dschunke er gekapert und anschließend versenkt hatte, als dieser ihm gefährlich geworden war. Al Conroy hatte die Geschütze als 15-Pfünder eingestuft, als die Seewölfe in der Nacht einen kurzen Abstecher an Bord der „Yaira“ unternommen hatten.
Nach und nach stießen nun auch die anderen Prahos der Rebellen von Malakka aus der geschützten Bucht, und danach glitten auch die kleinen, einmastigen Fahrzeuge der Orang Laut auf die offene See hinaus. Kutabaru und seine Krieger hatten keinen Augenblick gezögert, an dem drohenden Gefecht teilzunehmen.
Ben Brighton stand neben seinem Kapitän an der Five-Rail. Er hätte den Seewolf fragen können, wieso sie nicht durch rasches Runden der Insel nach Nordwesten und Norden versuchten, den Spaniern zu entgehen. Sotoro hätte ihnen auch helfen können, irgendwo zwischen den weiter nördlich verstreut liegenden Eilanden unterzutauchen.
Aber das wäre nicht nur ein Schwächebeweis gewesen. Sie hätten den auf sie lauernden Verband auch weiterhin ständig am Hals gehabt.
Nein, Ben konnte sich die Frage wirklich sparen.
Einige Chancen rechnete er sich noch aus, daß sie sich dem Kriegsverband gegenüber erfolgreich als Spanier ausweisen konnten. Mit diesem Trick hatten sie den Gegner schon oft genarrt. Die Anwesenheit der Eingeborenen ließ sich dadurch motivieren, daß die Malaien beispielsweise der „Isabella“, einem harmlosen Handelsfahrer, im Sturm geholfen hatten. Oder daß sie dem Kapitän der Kriegsgaleone „Isabella“ wertvolle Tips zur Ergreifung des gefürchteten Tigers von Malakka geliefert hatten. Es gab viele Möglichkeiten.
Ben lachte rauh. „Das glaubst du doch selbst nicht.“
Hasard wandte den Kopf und musterte ihn erstaunt. „Was denn?“
„Ach, ich rede mit mir selbst. Ich schätze, die Dons dort wissen, wen sie vor sich haben. Entweder kennen sie die ‚Isabella‘, die ja allmählich bekannt wird wie ein bunter Hund – oder die Prahos des Tigers. Oder gleich den ganzen Verband.“
„Ben, ich bin sicher, daß sie uns darüber nicht lange im unklaren lassen“, versetzte der Seewolf.
So war es. Vom Bug des Viermasters, der nach Hasards Schätzungen jetzt nur noch knapp eine Meile entfernt an der Spitze des Fünferverbandes segelte, stieg eine weiße Rauchwolke hoch. Das Buggeschütz sandte eine Kugel herüber, die auf diese Distanz zwar nur in etwa gezielt sein konnte, die aber die Reichweite hatte, dicht vor dem Vorsteven der „Isabella“ in die Fluten zu klatschen und eine rauschende Fontäne hochzujagen.
„Jetzt schlägt’s aber dreizehn!“ brüllte Carberry, dem solche Manieren sofort erheblich auf den Magen schlugen.
„Sir!“ rief Bill aus dem Großmars. „Der Don signalisiert uns aus den Toppen!“
„Was will er? Daß wir uns zu erkennen geben?“ fragte der Seewolf zurück.
„Das kann er haben“, sagte Ben Brighton. „Haltet die Flagge der spanischen Galeonen bereit. Vielleicht fallen die Hurensöhne ja doch auf unsere Parade herein.“
„Sir!“ schrie Bill entsetzt. „Der Don gibt uns zu verstehen, wir sollen Unverzüglich die Flagge streichen!“
„Da schau mal einer an“, sagte Hasard. Sein Lächeln war verwegen. „So packt er es also an. Er will uns gar nicht erst zum Zug kommen lassen. Was antworten wir darauf, Ben?“
„Daß wir ihm was husten.“
Carberry drückte es mal wieder drastisch aus. „Wir scheißen diesen Kakerlaken und Bastarden was. Wir hauen ihnen die Jacke voll, daß ihnen die Ohren wackeln und ihnen der Hintern abfällt, Männer!“ dröhnte sein mächtiges Organ über Deck.
„Dan“, sagte Hasard zu dem jungen O’Flynn, der schräg hinter ihm in Nähe des Besanmastes stand. „Ich frage dich, wie können wir kapitulieren, wenn wir uns überhaupt nicht mit dem überheblichen, krankhaft siegessicheren Don herumgeschlagen haben?“
„Praktisch ist das kaum drin“, erwiderte Dan grinsend. „Jedenfalls nicht, soweit es unsere Gewohnheiten betrifft.“
„Dann hiß mal schnell unsere Flagge.“
Dan befolgte die Aufforderung des Seewolfs, und Sekunden später flatterte der White Ensign, die weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz, munter im Besantopp unter dem Einfluß des frischen Morgenwindes.
„So“, sagte Big Old Shane, dessen Platz vorläufig noch auf dem Achterdeck war. „Jetzt spielen wir mit offenen Karten.“ Den Köcher mit den Pfeilen hatte er sich schon umgehängt, und auch der Bogen hing von seiner breiten Schulter. Im Getümmel würde er zweifellos wieder seine Position im Großmars beziehen und mit Batuti, der in denVormars aufzuentern pflegte, ein Zielschießen auf die Gegner verüben.
Daß es ein Getümmel gab – daran zweifelte keiner der Seewölfe.
Das Flaggschiff des spanischen Verbandes ließ mit der Reaktion auf den White Ensign nicht auf sich warten. Die rasch nachgeladene Kanone im Vordeck und das zweite Buggeschütz krachten, wieder stiegen weiße Qualmgebilde in den Himmel auf, und bedrohlich nah heulten die Kugeln heran. Eine saß sehr, sehr nah vor dem Bug der dahinrauschenden „Isabella“, die zweite schlug an Steuerbord in Höhe der Fockwanten in die See.
Gleich darauf eröffneten auch die anderen vier Galeonen der Spanier das Feuer. Etwas nach achtern versetzt pflügten sie in breiter Formation zusammen mit ihrem Flaggschiff „Candia“ die Fluten. Die Meile Abstand zwischen ihnen und der „Isabella“ schrumpfte schnell auf eine halbe zusammen.
Acht Buggeschütze donnerten – hervorragend koordiniert — fast gleichzeitig los. Die Seewölfe zogen instinktiv die Köpfe ein und standen mit ausgebreiteten Armen und abgespreizten Fingern, um sich notfalls platt auf Deck zu werfen.
Hasard stand mit schmalen Augen hinter der Five-Rail. „Noch warten wir“, sagte er kaum verständlich. „Lassen wir uns nicht nervös machen, Männer. Wenn wir vielleicht auch scheitern, die Probe bestehen wir.“
Die Geschosse der Spanier waren heran und orgelten gegen die „Isabella“ an. Das Gros ging fehl, aber eine Kugel hieb in die Steuerbordrüsten der Fockwanten und richtete zu Ferris Tuckers Wut beträchtlichen Schaden an. Eine zweite knallte knapp unterhalb des Bugspriets in die Galion, so daß ein feiner Ruck durch das ganze Schiff lief.
„Satansbraten!“ tobte der Profos. „Hurensöhne von Dons! Das werdet ihr büßen!“
Von der „Yaira“ gellte ein Schrei herüber. Hasard und seine Männer fuhren herum und spähten zu dem in Backbord laufenden Schiff des Tigers. Zunächst dachten sie, eine der Kugeln habe den großen Praho erreicht und jemand verletzt oder gar getötet, aber dann stellte sich heraus, daß es Sotoro gewesen war, der diesen Schrei ausgestoßen hatte.
Wild schwang er seinen Parang.
„Hitzkopf“, sagte Hasard. „Seiner Meinung nach ist das Maß voll. Er fragt sich, wieso wir uns das gefallen lassen.“
„Leider können wir es ihm nicht erklären“, meinte Ferris Tucker. „Aber er wird auch so begreifen, wie unsere Taktik ist.“
Hasard blickte bereits wieder zum Gegner. Er hob das Spektiv vors Auge und gewahrte, wie die Galeonen sich anschickten, abzufallen, um ihnen auf diese Weise die Steuerbordbreitseiten zu präsentieren – alle fünf.
„Das wird ein eindrucksvolles Manöver“, befand Ben Brighton, der ebenfalls durchs Fernrohr beobachtete. „Übrigens hat der Viermaster meiner Ansicht nach vierundvierzig Geschütze, die Bug- und Heckkanonen mitgerechnet.“
„Ja“, entgegnete Hasard. „Ich versuche, die Männer auf seinem Achterdeck zu erkennen, aber es gelingt mir noch nicht. Dieser fanatische Bursche, der dort das Kommando führt – wer ist das bloß?“
„Weiß der Henker, wie sein Name lautet und welche Hure ihn gezeugt hat“, brummte Shane. „Bitte um Erlaubnis, in den Großmars aufentern und anfangen zu können, Hasard – Sir.“
Hasard grinste. Er sah verwegen aus mit seinem sonnengegerbten Gesicht und der Narbe, die von der Stirn über seine Wange lief, mit dem Verband der rechten Schulter, der unter dem Hemd hervorschaute, aber es war mit einemmal auch etwas beinahe Lausbübisches in seinen Zügen.
„Ab mit dir“, sagte er. „Und Batuti soll ’rauf in den Vormars. Ben, wir fallen ab und gehen platt vor den Wind.“
„Ed, Pete!“ rief Brighton dem Profos und dem Rudergänger zu. „Abfallen und vor den Wind!“
„Aye, aye!“ schallte es zurück, und Pete Ballie legte mit seinen schwieligen Pranken Hartruder, während Carberry „Schrickt weg die verdammten Schoten, ihr elenden Rübenschweine!“ schrie und die Rahen der Galeone herumschwangen.
Schnell vollzog die „Isabella“ das Manöver, geradezu unheimlich schnell und mit überragender Präzision. Obwohl sie später angesetzt hatte als die spanischen Kriegsschiffe, war sie um Sekunden eher auf dem neuen Kurs und beschleunigte ihre Geschwindigkeit vor dem Wind segelnd von zwei auf vier, schließlich auf über fünf Knoten.
Rund zweieinhalb Kabellängen trennten die feindlichen Parteien.
Hasard kannte die Vorzüge seines Schiffes, die zum Teil in einer überaus fortschrittlichen Bauweise begründet lagen – nicht umsonst hatten er und seine Crew sich an Englands besten Schiffsbauer gewandt, als sie den großen Dreimaster käuflich erstanden hatten. Die flache, schlüpfrige Konstruktion des Rumpfes, die niedrigen Kastelle und die überhohen Masten mit der großen Segelfläche verliehen der „Isabella“ den berechtigten Ruf eines der schnellsten und wendigsten Rahschiffe seiner Zeit.
Und noch etwas sollte jetzt zum Tragen kommen: die ungewöhnlich langen Rohre der 17-Pfünder-Culverinen, mit denen die Seewölfe ein Ziel auf fast eine Seemeile genau treffen konnten. Acht Geschütze waren es an Steuerbord der Kuhl, ebenso viele an Backbord.
Hasard fackelte nicht lange, er nutzte den zeitlichen Vorteil aus.
„Klar bei Lunten!“ rief er. „Feuer!“
„Feuer!“ brüllte auch Carberry auf der Kuhl. Sein Organ war die natürliche Verstärkung der Stimme Hasards, die die Männer nicht nur zusammenstauchte, sondern sie in Situationen wie dieser auch anspornte.
Knisternd fraß sich das Luntenfeuer durch die Zündkanäle in den Bodenstücken der Backbordkanonen. Rasend fuhr die Glut in das trockene Zündkraut, wie ein einziger Donnerschlag erfolgten die Explosionen, und heiß stoben die Kugeln aus den acht Rohrmündungen.
Wie gebannt blickten die Geschützführer zum Feind hinüber, während die Culverinen in ihrem vehementen Rückstoß von den Brooktauen aufgehalten wurden.
Drüben bei den Spaniern krachte und splitterte es plötzlich – und die Männer der „Isabella“ pfiffen und johlten vor Begeisterung. Bob Grey warf seine Mütze hoch und fing sie wieder auf, ehe er wie die anderen in die Hände spuckte und daranging, die Geschütze in Ladestellung zu hieven.
Zwei Schiffe der Spanier waren getroffen worden – nicht die „Candia“ allerdings, an deren Bugpartie eine der 17-Pfünder-Kugeln haarscharf vorbeigefegt war. Die inzwischen vor dem Flaggschiff segelnden zwei Dreimast-Galeonen jedoch, denen der neue Kurs die führende Position im Verband verliehen hatte, hatten die restliche Breitseite, sieben Kugeln, in ihre Bordwände erhalten.
Da wirbelten Balken, Trümmer, Menschen, da klafften Lecks über der Wasserlinie. Auf Hasards Geheiß hin war die erste Breitseite der „Isabella“ hoch angesetzt worden. Er wollte mit eisernem Besen auf den Decks des Gegners kehren, Verwirrung und Panik stiften, um den Zusammenhalt des Verbandes zu zerrütten. Der Seewolf hatte immer noch nicht erkunden können, mit wem er es bei dem Flaggschiffkommandanten zu tun hatte. Aber ob er den Mann möglicherweise kannte oder nicht, interessierte ihn auch nur am Rande. Fest stand, daß er, Hasard, genauso unnachgiebig und draufgängerisch kämpfen würde wie der Gegner, der von Anfang an keinerlei Fairneß gezeigt, sondern die Partie mit einem Hieb ins Gesicht eröffnet hatte.
Die „Yaira“ hatte ins Kielwasser der „Isabella“ gedreht, Sotoro ließ nun gleichfalls das Feuer eröffnen.
Die anderen zwei- und einmastigen Prahos der Malaien glitten heran und beteiligten sich an dem Gefecht, als die spanischen Kriegssegler ihre vollen Steuerbordbreitseiten in Richtung auf die dschungelbedeckten Hänge Rempangs zündeten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die „Isabella“ noch mehr an Fahrt gewonnen. Sie überholte den in Kiellinie segelnden Feindverband und schickte sich an, nach Backbord anzuluven.
Das Gefecht wütete erbittert hin und her und trieb rasch ihrem infernalischen Höhepunkt entgegen. Der Ausgang schien nur in einem alles vernichtenden Höllenbrand liegen zu können.
Der Kapitän der vorn segelnden Kriegsgaleone fluchte Mord undVerrat. Selbst durch die Kanonenschüsse der „Isabella“ bereits erheblich angeschlagen, hatte er jetzt nur eine unvollständige Breitseite auf den Gegner abfeuern können, weil die Steuerbordpartie seines Schiffes halb zerfetzt war. Am größten war der Schaden auf der Kuhl. Männer lagen unter Trümmern des Schanzkleides begraben oder wälzten sich in ihrem Blut. Die Unversehrten hatten noch sechs Geschütze zünden können, und von diesen Kugeln hatten nur zwei im Ziel gelegen.
Zwar hatte die „Isabella“ jetzt ein Loch im achteren Bereich ihrer Bordwand, doch konnte es sie weder in ihrer Manövrierfähigkeit noch in ihrer Wehrhaftigkeit beeinträchtigen, denn es lag zu hoch, um zu einem echten Leck zu werden, und zu tief, um die Männer auf Oberdeck zu behindern.
Die andere Kugel hatte ein Stück von der Heckgalerie der großen Galeone abrasiert. Aber das eigentliche Ziel des spanischen Kapitäns, die Ruderanlage der „Isabella“ zu zerstören, war verfehlt worden.
Im über See streichenden Pulverrauch zog die „Isabella“ an der spanischen Galeone vorbei. Im Größerwerden der Distanz zwischen beiden Schiffen drehte sich der Vorsteven der „Isabella“ allmählich nach Süden.
„Madre de Dios!“ schrie der spanische Kapitän. „Dieser Bastard luvt an – er will uns rammen!“
Zwar war das eine totale Fehleinschätzung dessen, was der Seewolf wirklich plante, aber im Endeffekt wurde das erreicht, was Hasard vorhatte.
Der Kapitän der ersten Dreimast-Kriegsgaleone wechselte gleichfalls den Kurs und ließ anluven. So vollzog er gemeinsam mit der „Isabella“ praktisch das gleiche Manöver – aus Angst, es könnte wirklich die Absicht dieses offensichtlich verrückten Korsaren sein, eine Kollison hervorzurufen.
Aber nach einem Entermanöver sah das Ganze wahrhaftig nicht aus.
Hasard hatte hart anbrassen lassen und schaffte es nun, in einem engeren Bogen und flinker als das spanische Schiff zu drehen. Während der erste Gegner in großer Schleife nach Süden ablief, drehte die „Isabella“ in den Wind.
„Wir gehen über Stag!“ schrie Hasard seinen Männern zu.
Wenig später hatten sie die zweite Dreimast-Galeone der Spanier vor dem Bug. Für Sekunden segelten beide Schiffe direkt aufeinander zu. Dann feuerte der Don seine Buggeschütze ab und luvte ebenfalls in der gleichen Kursrichtung wie die erste Galeone an.
„Vordeck!“ kommandierte der Seewolf. „Drehbassen Feuer!“
Smoky und Al Conroy zündeten die in drehbaren Gabellafetten gelagerten Hinterlader und trafen unter dem Jubel der Kameraden das Vorkastell des Spaniers.
Hasard stieß einen grellen Pfiff aus. Er genügte, um auch Big Old Shane und Batuti, den schwarzen Herkules aus Gambia, in Aktion zu versetzen. Kleine Feuerzungen loderten in Groß und Vormars aus, sie verließen das Schiff und huschten zu der spanischen Galeone hinüber. Das Zielschießen mit Pfeilen hatte begonnen, die Takelung des Dons begann zu brennen, aber die pulvergefüllten Pfeile, eine Spezialität, bewahrte sich Shane noch für später auf.
Der Tiger von Malakka war derweil in die Flanke des Gegners gefallen. Seine „Yaira“ und die anderen Prahos waren ungemein beweglich und dem Feind in dieser Beziehung weit überlegen.
Hasard hatte erreicht, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Der Fünferverband war aufgesplittert.
Die „Isabella“ legte sich hoch am Wind auf den Backbordbug. Carberry brüllte, daß die „Isabella“ bis in ihre Maststengen erzitterte, und dann raste die Steuerbordbreitseite, achtmal siebzehn Pfund massiven Eisens, aus dem Schiff.
Ferris Tucker hatte eins der Geschütze bedient, aber er schaute auf und sah zu dem eigentümlichen hölzernen Gestell, das er auf dem Quarterdeck placiert hatte.
Hasard bemerkte es und rief ihm zu: „Noch nicht, Ferris. Deine Höllenflaschenabschußkanone bedienst du erst, wenn ich es dir sage.“
„Aye, Sir!“ rief Ferris zurück. Dann betätigte er sich als Ladenummer, indem er sich unter die Brüstung des Schanzkleides kauerte, um vor dem Feuer des Gegners geschützt zu sein, und mit dem Borstenschwamm zunächst das Rohr der Culverine reinigte. Bill, der Schiffsjunge, stand hinter dem Bodenstück der Kanone und hielt die Zugtalje, die verhinderte, daß der 17-Pfünder auf seiner Lafette vorrollen konnte.
Ferris führte mit Hilfe der Kelle eine Kartusche in das Rohr und preßte dann mit einem Ansetzer, der einen biegsamen Griff hatte, ein Knäuel Kabelgarn aufs Pulver. Darauf kam zuletzt die Kugel, die wiederum mit einem Wergknäuel in ihrer Lage festgehalten wurde.
Unterdessen griff das Feuer auf der zweiten spanischen Galeone um sich. Der Besatzung gelang es nicht, die Flammen zu ersticken.
Hasard wollte an das Flaggschiff des Verbandes heran, doch der Kommandant war mit dem Kurs auf Nordosten nun seinerseits Überstag gegangen und segelte auf den tollkühnen Sotoro und dessen „Yaira“ zu.