Seewölfe Paket 7

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„Vielleicht haben die Wachen die Anweisung erhalten, alle Fremden auf Waffen zu durchsuchen“, sagte Dan O’Flynn. „Was dann, du Schlauberger?“
Da wußte Luke Morgan mit seinem Latein auch nicht weiter. Er wartete darauf, welche Aktion Blacky ihnen vorschlagen würde. Binnen weniger Minuten hatten sie den Hügel verlassen und kauerten sich eine halbe Meile vom Nordosttor der Stadtmauer entfernt in ein Mangrovengebüsch.
Blacky hatte sein Ohr auf den Untergrund gepreßt und lauschte. Nach Minuten, die wie kleine Ewigkeiten verstrichen, richtete er sich auf und sagte: „Da kommt was. Augen auf, Waffen ’raus und die Ohren gespitzt. Luke, hör zu, ich erkläre dir, was du zu tun hast.“
Auf dem Kutschbock des von zwei weißen Büffeln gezogenen Zweiradkarrens, der sich kurz darauf dem Versteck der Seewölfe näherte, saßen zwei spanische Soldaten in Helm, Brustpanzer und Kürbishosen. Auf der Ladefläche transportierten sie den letzten Schub Mais, der an diesem Abend von den Feldern nahe der Stadt in die Stallungen der Kommandantur befördert wurde, Mais als Nahrung für Schlachtvieh.
Die Soldaten entdeckten die auf dem Weg liegende Gestalt gleichzeitig. Der links sitzende Soldat hielt die Büffel an. Gehorsam verhielten die wuchtigen Tiere den Schritt und blickten stumpfsinnig auf den Mann hinunter, der da reglos auf der Seite ruhte.
„Santa Madre de Dios, was ist denn mit dem passiert?“ sagte der rechts auf dem Bock befindliche Soldat. „Ist der betrunken?“
„Sehen wir nach“, entgegnete der erste. „Der Kleidung nach ist es ein feinerer Bürger. Wir könnten Ärger kriegen, wenn wir ihm nicht helfen.“ Er sprach reines Katalonisch. Seine Wiege hatte in Barcelona gestanden.
Er kletterte vom Kutschbock, schritt auf den augenscheinlich bewußtlosen Fremden zu und beugte sich über ihn. Er wollte ihn auf den Rücken drehen, um nachzusehen, um wen es sich handele, aber da erwachte der Mann zu ungeahnter Aktivität.
Luke Morgan knallte dem Überraschten die Faust unters Kinn.
Der zweite Soldat fuhr vom Kutschbock hoch und versuchte, seine Pistole zu zücken. Doch auch das wurde vereitelt. Jemand sprang ihn von der Seite an, jemand, der auf den hohen Zweiradkarren zugekrochen war, während der Spanier sein ganzes Augenmerk auf die Szene vor sich auf der Straße gerichtet hatte. Blacky hieß dieser Jemand. Er schlug dem Soldaten etwas auf die Nackenpartie, und zwar mit der Handkante, wie Sun Lo es ihm beigebracht hatte. Sofort kippte der Mann ihm entgegen, ohne auch nur noch einen Laut von sich zu geben.
Auf Blackys Wink hin schlüpften Al, Sam, Dan und Matt aus dem Gebüsch hervor.
Schnell waren die überwältigten Soldaten hinter die Mangroven geschleppt, gefesselt und geknebelt. Die weißen Büffel standen unterdessen mit gesenkten Häuptern da und forschten auf dem staubigen Weg vergeblich nach Gräsern, die sie abrupfen konnten.
Der Karren rollte wieder an, als Luke Morgan in der Uniform des Katalonen auf dem Kutschbock saß und die Peitsche knallen ließ. Blacky, angetan mit der Montur des zweiten Soldaten, hatte sich neben ihn gesetzt.
Die anderen vier waren unter die Ladung des Karrens gekrochen. Der Mais verdeckte ihre Gestalten.
„Na, so kannst du ja wenigstens auf die Affenhaare verzichten“, sagte Blakky zu Luke. Er warf dem Kameraden einen Seitenblick zu. Unter dem spanischen Helm war von Lukes Glatze wirklich nichts zu ahnen.
„Ja“, erwiderte Luke Morgan. „Und wenn wir das Nordosttor vor uns haben und die Wachen uns anquatschen, brauche ich bloß im schönsten Katalonisch zu antworten. Drück die Daumen, daß sie keine Parole von uns verlangen.“
Blacky drückte die Daumen, und zehn Minuten später gelangten sie tatsächlich unerkannt durch das Tor ins Innere der Stadt Manila.
9.
Nein, Hasard hatte die große Hecklaterne seiner „Isabella“ diesmal nicht löschen lassen. Hoch am Wind glitt das Schiff in die Bucht von Manila, an der Hafenmole vorbei, auf den Lichterglanz der Stadt zu. Munter flackerte die Achterlaterne vor sich hin, ein sichtbares Signal für jeden, der die „Isabella“ zu kontrollieren gedachte. Frech steuerte der Seewolf seinen Feinden in den Rachen, frech und gottesfürchtig.
Hasards Blick löste sich von der Mole, die Steuerbord achteraus zurückblieb.
„Wenn sich dort Wachen befinden, hätten wir sie alarmiert, indem wir ohne Licht eingelaufen wären“, sagte er zu Ben Brighton. „Aber noch scheint alles ruhig zu sein.“
„Vergiß nicht, daß die ‚Isabella‘ bekannt geworden ist wie ein bunter Hund“, wandte Ben ein.
Hasard grinste. In seinen Zügen spiegelte sich die ganze Tollkühnheit und Kaltblütigkeit, die der Einsatz von ihm verlangte. „Ich denke immer daran, Ben. Ständig. Aber in der Nacht müssen die Dons uns erst mal erkennen.“
Ben starrte den Seewolf plötzlich an. „He, da ist etwas, das wir ganz vergessen haben. Heute ist doch Silvester. Heute nacht geht es hier wahrscheinlich drunter und drüber.“
„Eben“, entgegnete Hasard mit unverändertem Gesichtsausdruck. „Das wird eine tolle Feier, und wir haben die große Ehre, daran teilzunehmen. Auf unsere Art.“
Er schaute voraus. Mit verminderter Fahrt schob sich die große Galeone auf die Reede von Manila. Und da lag sie nun, die festungsartig erbaute Stadt, die 1565 von einem gewissen Lopez de Legaspi gegründet worden war. Eigentlich waren Manila und die Felipinas nach Tordesillas den Portugiesen zugefallen, aber man hatte es mit der Einteilung der Meridiane nicht so genau gehalten, und deswegen hatten die Spanier von jeher die Kolonisation der Inseln betrieben. Das Gepräge allen Schaffens, die Brandmarke, die die Gefolgschaft Philipps II. der Hauptstadt aufgepreßt hatte, schien denn auch typisch spanisch zu sein.
Ben Brighton hatte die Schiffe auf der Reede gezählt.
„Neun Galeonen“, raunte er Hasard zu. „Dicke Brocken. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir drei Kriegsschiffe und sechs Handelssegler vor uns.“
„Das ist das richtige Verhältnis“, antwortete der Seewolf.
Mit der gleichen Verwegenheit, mit der er die Einfahrt der Bucht passiert hatte, wandte sich der Seewolf nun der Reede zu. Natürlich hatte er die spanischen Hoheitszeichen gesetzt, die Flagge der spanischen Galeonen mit einem gekrönten schwarzen Adler und dem Band des Ordens vom Goldenen Vlies. Trotzdem rechnete er damit, daß man ihn identifizieren könnte. Seine Männer standen auf den Gefechtsstationen bereit.
In den Kupferbecken, die neben den Geschützen aufgestellt worden waren, glomm das Holzkohlefeuer zum Anzünden der Lunten. Kübel und Pützen mit Seewasser zum Befeuchten der Wischer standen bereit, und der Kutscher und Bill hatten auf Oberdeck Sand ausgestreut, der den Männern im Gefecht einen festeren Stand auf den Planken sicherte und den Ausbruch von Feuer verhindern sollte.
Das Großsegel wurde als letztes Segel aufgegeit. Allmählich blieb die „Isabelia“ stehen. Hasard hatte nun auch noch die Dreistigkeit, den Buganker werfen zu lassen.
„Damit das Ganze echter aussieht“, erklärte er seinen Männern auf dem Achterdeck.
Gary Andrews meldete sich vom Vormars aus. Seine Stimme klang gedämpft, war auf Deck aber trotzdem gut zu verstehen. Vorsichtshalber sprach er spanisch.
„Eine einmastige Schaluppe ist von einer der Piers losgesegelt“, verkündete er.
„Ah“, sagte der Seewolf. „Das ist das Empfangskomitee.“
„Ihr braucht nicht mit den Ohren zu schlackern“, meinte der alte O’Flynn zu den anderen. „Das ist ein gutes Zeichen. Sie haben uns immer noch nicht erkannt. Sonst hätten sie uns nämlich einen Schuß vor den Bug gesetzt, jawohl.“
„In Ordnung“, sagte Ferris Tucker leise. „Die Burschen in der Schaluppe wollen von uns wissen, wer wir sind, woher wir kommen, welches unsere Reiseroute und Ladung ist. Na, die werden sich freuen.“
„Ob Blacky und die fünf anderen es wohl geschafft haben?“ fragte Big Old Shane. „Nun, wir haben keine Gelegenheit, es festzustellen. Es ist, sagen wir mal, der einzige Unsicherheitsfaktor in unserem Spielchen.“
„Der einzige?“ Smoky lachte auf. „Na, du bist vielleicht ein Optimist.“
Hasard begab sich auf die Kuhl. „Eine Jakobsleiter an Backbord ausbringen“, sagte er zum Profos. „Benehmt euch anständig, Männer, wir wollen bei diesen Dons einen guten, nachhaltigen Eindruck hinterlassen.“
Carberry grinste wild und sah im schummrigen Licht der Achterlaterne ungefähr so aus, wie man sich den Teufel vorstellt. Er veranlaßte alles Erforderliche, dann packte er Sir John und stopfte ihn sich ins Wams. Der Papagei war nämlich durchaus in der Lage, im unpassendsten Augenblick auf englisch loszuzetern.
Die Schaluppe hatte Großsegel und Fock gesetzt und pflügte mit dem Nordostwind direkt auf die „Isabella VIII.“ zu. In einer Schleife, die man nicht anders als elegant nennen konnte, drehte sie bei, ging in den Wind, verlor an Fahrt und ging längsseits der großen Galeone.
„Daß die nicht Lunte riechen“, wisperte Jeff Bowie. „Die hohen Masten unserer Lady, die flachen Decks – die müssen uns doch erkennen.“
„Sei still“, zischte Will Thorne zurück. „Vielleicht haben sie ja schon ein paar Gallonen Wein intus, in Vorfreude auf den Jahresbeginn. Wäre das nicht herrlich?“
Hasard beugte sich übers Backbordschanzkleid und wechselte eiskalt und scheinbar völlig gelassen ein paar Worte mit den Männern der Schaluppe. Sie enterten daraufhin auf.
Eine Delegation, die der Hafenkapitän geschickt hatte – drei Offiziere, vier Soldaten. Zwei Soldaten blieben unten und paßten auf, daß die Schaluppe nicht abtrieb.
Sie bereiteten Hasard am meisten Kopfzerbrechen. Aber er bewahrte seine Ruhe und Berechnung. Mit einem feinen Lächeln ließ er die Offiziere und die beiden anderen Soldaten erst einmal über den Rand des Schanzkleides klettern und auf Deck treten.
Der Wortführer des kleinen Trupps, offenbar ein Teniente oder sogar noch mehr, blieb stehen und schaute sich verwundert um. „Sand? Holzkohlefeuer?“ sagte er verblüfft. „Por Dios, Senores, haben Sie zum Krieg gerüstet?“
Hasard trat dicht vor ihn hin und nahm zur Kenntnis, daß der gute Mann wirklich eine Weinfahne hatte. Das war es. Manila wiegte sich bereits im Taumel der Silvesterfreuden. Wenn ein Korsar das nicht ausnutzte!
„Wir haben Angst, angegriffen zu werden“, entgegnete der Seewolf mit Verschwörermiene. „Mein Name ist Diaz de Veloso, ich bin Kapitän auf diesem Schiff, und Sie können mir glauben, wir haben Entsetzliches hinter uns.“ Diaz de Veloso – so hatte er sich gelegentlich schon drüben, in der Neuen Welt, genannt. Fiel auch dieser Don darauf herein?
Hasard schielte zum Schanzkleid hinüber – auch die Soldaten befanden sich nun auf Deck. Hasard nickte, zog die Faust von unten herauf und setzte sie dem leicht angeheiterten Teniente rammbockartig unters Kinn. Die anderen „Senores“ von der „Isabella“ waren neben den vier weiteren Dons und fällten sie mit ein paar Hieben, die auch der hohen Schule des Sun Lo entstammten.
Kein Warnruf, kein verräterisches Stöhnen oder Poltern war zur Scharluppe hinuntergedrungen. Noch schöpften die beiden Soldaten unten keinerlei Verdacht. Hasard beschloß, das kaltblütig auszunutzen. Er hatte seine Abgeklärtheit immer noch nicht verloren.
„Bueno!“ rief er im edelsten Kastilisch aus. „Gut, dann entere ich jetzt in die Schaluppe ab, Teniente. Ganz wie Sie wünschen. Selbstverständlich habe ich nichts dagegen einzuwenden, mit Ihnen und Ihren Männern an Land zu gehen und persönlich beim Hafenkapitän vorzusprechen.“ Während er pausenlos weiterredete, glitt er über die Handleiste des Backbordschanzkleides, stieg an den Sprossen der Jakobsleiter abwärts, gelangte in die Schaluppe und wandte sich den etwas verdutzten Soldaten zu.
„Meine Freunde“, sagte er in öligem Tonfall. „Treten Sie näher, ich möchte auch Sie begrüßen und Ihnen einen Gruß der Nation überbringen.“ Sie rückten tatsächlich näher. Den einen brachte er mit einem Faustschlag zu Fall, dem anderen hieb er den linken Fuß unter die Kinnlade. Als sie ohnmächtig wurden, ergänzte der Seewolf: „Einen Gruß der englischen Nation natürlich.“
Er blickte sich um.
Vom Hafen aus konnte der Zwischenfall unmöglich beobachtet worden sein. Vor der Bordwand und auf der Kuhl der „Isabella“ war es viel zu dunkel, um ein Verfolgen von Land aus zuzulassen. Boote befanden sich auch nicht in der unmittelbaren Nähe – die Luft war rein.
Hasard schaute auf und gab seinen grinsenden Männern einen Wink.
Sie fingen daraufhin an, den wakkeren Teniente, die anderen beiden Offiziere und die Soldaten an der Jakobsleiter hinunterzuschaffen.
Sieben Mann stark war die Besatzung der einmastigen Schaluppe gewesen – sieben Mann stark wollte Hasard sie auch erhalten. Er hatte seine Gruppe rasch zusammengesetzt: Ferris Tucker, Ed Carberry, Smoky, Gary Andrews, Jeff Bowie und Bob Grey begleiteten ihn.
Neun Mann blieben nun noch an Bord der „Isabella“ zurück. Ben Brighton übernahm das Kommando von Hasard, Ihm zur Seite standen Big Old Shane, Batuti, der Kutscher, Pete Ballie, der alte O’Flynn, Will Thorne, Stenmark und Bill.
Nicht viel Zeit war verstrichen, und die Schaluppe löste sich wieder von der Bordwand der „Isabella“. Hasard ließ von seinen Männern das Großsegel und die Fock setzen, wählte raumen Kurs und steuerte auf die Halbinsel im Süden zu.
Unterwegs waren sie rege damit beschäftigt, den Spaniern die Kleidungsstücke auszuziehen und sich selbst damit auszustaffieren. Nicht alles wollte passen, aber darüber gingen die Seewölfe großzügig hinweg.
Unter dem schützenden Dunkel der Nacht fanden sie einen Platz am Ufer der Halbinsel, der recht üppig mit Büschen und Bäumen bewachsen war. Außerdem hatte dieser Ort den unschätzbaren Vorteil, daß sich niemand Ungebetenes an ihm herumtrieb.
Rasch hatten Hasard und seine Begleiter die bewußtlosen Spanier an Land geschafft. Ebenso flink hatten sie sie gefesselt und geknebelt. Danach kehrten sie zu der Schaluppe zurück und segelten weiter.
Ihr Ziel war die größte, dickste und tiefliegendste aller Handelsgaleonen im Hafen von Manila.
Sie enterten die Galeone unter dem offiziellen Siegel eines Kontrollbesuchs. Die Besatzung der Galeone nahm ihnen dies unbesehen ab, sie hielt die Seewölfe auch dann noch für Abgeordnete des Hafenkapitäns, als sie gemächlich auf die Kuhl kletterten.
Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ standen unterdessen an den Geschützen bereit, um jederzeit eingreifen zu können. Ihre Anspannung wuchs fast ins Grenzenlose, sie mußten die größte Selbstkontrolle aufbringen und sich immer wieder beherrschen – was nicht einfach war, weil sie ja nicht wußten, wie es Hasard und den sechs anderen erging.
„Santa Elena“ hieß die stolze, prächtige Galeone mit dem erstaunlichen Tiefgang. Hasard schritt auf die Spanier zu, die mit gemischten Gefühlen zu ihm blickten. Nur ein Teil der Mannschaft befand sich an Bord, der Rest hatte Landgang, stellte der Seewolf fest. Ein junger, nach allem Dafürhalten noch unerfahrener Offizier der unteren Rangklasse stelzte gewichtig auf Hasard zu.
„Wer sind Sie, und was wünschen Sie?“ begann er. „Ich kenne Sie nicht. Was will der Hafenkapitän zu dieser Stunde von uns? Die Formalitäten sind doch erledigt.“
Hasard tat schnell zwei Schritte auf ihn zu und drückte ihm die Mündung seiner doppelläufigen Reiterpistole gegen den Bauch.
„Nur eine kleine Aufmerksamkeit verlangen wir“, sagte er leise und drohend. „Das kostet Sie nichts, mein Freund. Es sei denn, Sie wollen heute, am Silvesterabend, den Helden spielen.“
„Ich – nein …“
„Rufen Sie die Wachen. Alle. Sie sollen herkommen. Wird’s bald?“
Der junge Offizier tat, wie ihm befohlen wurde. Er fuhr auf einem Handelsschiff, nicht auf einem Kriegssegler. Sein Schneid war knapp bemessen. Außerdem stand er dem drohenden Tod zum erstenmal auf du und du gegenüber, und das war keine angenehme Sache für ihn.
Ferris, Carberry und die anderen traten in Aktion, als die komplette Decksmannschaft versammelt war. Urplötzlich gingen sie auf die Spanier los und streckten sie nieder. Nein, Gewissensbisse hatten sie dabei nicht, denn sie wandten ja immer Schläge und Griffe an, die einem Menschen nur Besinnungslosigkeit, nicht den Tod bescherten.
Hasard schickte den jungen Offizier mit einem der bewährten Handkantenschläge ins Reich der Träume. Er gab Smoky durch eine Gebärde zu verstehen, er solle die Ohnmächtigen bewachen, dann schlich er mit Ferris, Ed, Gary, Jeff und Bob durch das Schiff.
Kurze Zeit darauf hatten sie den Frachtraum entdeckt, in dem das Gesuchte lagerte. Hasard zündete ganz ungeniert zwei Öllampen an. Sie begutachteten die Ladung und öffneten immer neue Kisten, Truhen, Säcke.
„Gold- und Silberschmuck, mit Diamanten besetzt“, flüsterte Ferris Tucker. „Reines Gold und Silber in Barren. Mann o Mann, das Zeug kann doch wohl nur aus der Neuen Welt stammen. Vielleicht ist es vorgestern oder erst gestern eingetroffen und wartet darauf, gelöscht zu werden.“
Hasard schloß eine der größten Truhen wieder zu. „Zweifellos haben wir eine zweite Manila-Galeone vor uns. Sie ist aus Acapulco oder aus Panama eingetroffen und bringt die Bezahlung für die Güter, die von hier aus nach Neu-Spanien hinübergeschafft worden sind.“
Carberry rieb sich die schwieligen Pranken. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Fangen wir an?“
„Ja“, sagte Hasard und grinste.
Sie mannten die Kisten und Truhen, die ihnen am ertragreichsten erschienen, an Oberdeck und hievten sie von dort aus in die Schaluppe hinab. Nur das Beste vom Besten, nur das Lohnendste nahmen sie sich und pullten es zur „Isabella“ hinüber. Nach ihrer letzten Überfahrt blieb die Besatzung der „Santa Elena“ als jammervoller, gefesselter und geknebelter Haufen in einem der Beiboote des stolzen Dreimasters zurück. Das Boot dümpelte von der „Santa Elena“ fort, irgendwohin, zur Halbinsel hinüber, vielleicht aberwitzigerweise zu den rechtmäßigen Inhabern der Schaluppe hin. Die dickbäuchige Manila-Galeone aber füllte sich allmählich mit Wasser, weil Ferris Tucker sie von innen angebohrt hatte.
„Weiter“, sagte der Seewolf. Er hielt die Ruderpinne der Schaluppe und hatte sich bereits die nächste Galeone ausgesucht. Sie trug den frommen Namen „Asunción“, aber das konnte den Seewolf nicht abschrecken.
An Bord der „Asunción“ wurde schon kräftig gefeiert, und auch hier hatten sie nur einen Teil der eigentlichen Mannschaft vor sich. Prallvoll mußten die Kneipen in der Stadt sein, hoch mußte es in den Hurenhäusern zugehen, denn ein starker, vergnügungssüchtiger Trupp spanischer Seeleute und Soldaten bewegte sich da, um auf jeden Fall sturzbetrunken und befriedigt das neue Jahr zu beginnen.
Der zweite Überfall lief fast nach dem Muster des ersten ab. In den Frachträumen der Galeone entdeckten die sieben Männer der „Isabella“ diesmal aber kein Gold und Silber, keine Edelsteine – sie stießen auf Gewürze, Seide und Brokat, wie Hasard befürchtet hatte. Allerdings stöberte er schließlich auch noch Kunstgegenstände aus dem Reich der Mitte auf – Statuetten, Ringe, Armreife, mit größter Akribie gemalte Miniaturen und Gemälde auf Reispapier – sowie eine kleine Truhe voller Perlenketten.
Auch diese Beute konnten sie in der Schaluppe verstauen. Und Ferris brachte es auch diesmal fertig, den Boden der Galeone anzubohren, damit die „Asunción“ auf Nimmerwiedersehen auf dem Grund der Reede von Manila verschwand. Die gut verpackte Wachmannschaft schaukelte in ihrem Beiboot davon – und dann, ja, dann gellte ein Schrei über den Hafen.
„Ab durch die Mitte“, sagte Hasard. „Jemand hat spitzgekriegt, daß die ‚Santa Elena‘ absäuft.“
Sie enterten in aller Hast in die Schaluppe ab, stießen sich von der Bordwand der „Asunción“ ab und begannen zu pullen. Sie näherten sich der nächsten Handelsgaleone, und als sie am Bug der „Asunción“ vorbei waren, gewahrten sie die Segelpinasse, die sich geradezu bedrohlich nahe auf die „Santa Elena“ zugeschoben hatte. Jemand hatte sich im Bug der Pinasse aufgerichtet, schrie nach der Deckswache, die sich nicht melden konnte, und stimmte einen immer größeren Radau an.
„Der Bastard schreit Zeter und Mordio“, stieß Carberry finster hervor. „Ich hätte Lust, ihm den Hals umzudrehen. Wer ist das bloß?“
„Vielleicht gehört die Pinasse auch dem Hafenkapitän“, sagte Gary Andrews grinsend.
Carberry fixierte ihn. „Ja, lach du bloß. Aber wir kriegen hier gleich ein Feuerwerk, das sich sehen lassen kann. Dagegen ist der ganze Feuerzauber der Zopfmänner reiner Humbug.“
„Übertreib doch nicht so“, sagte Ferris Tucker.
Bob Grey hatte sich umgewandt. Der Mann im Bug der Pinasse brüllte Alarm, immer wieder Alarm, und plötzlich war überall hektisches Leben – auf den Kriegsschiffen, auf den Piers, am Kai, in der Stadt.
„Ich glaube, der Profos hat recht“, sagte Bob. Er konnte nicht verhindern, daß seine Stimme in diesem Augenblick belegt klang.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, raunte der Seewolf. „Los, zum nächsten Schiff, bevor man uns entdeckt. Nein, die Galeone dort nehmen wir uns nicht vor. Ich will zu dem Kriegsschiff, das gleich dahinter ankert.“
„Verwirrung stiften?“ fragte Carberry.
„Und wie …“
Ferris grinste seinen Kapitän an und zog zwei Flaschen unter der einen Ducht hervor. „Wie gut, daß ich meine Höllenflaschen mitgenommen habe, was, Sir?“
Er hatte kaum ausgesprochen, da fiel der erste Schuß. An der Bordwand der einen Kriegsgaleone – sie lag weiter nach Südwesten versetzt und gar nicht weit von der „Isabella“ entfernt – blitzte es grellrot auf, dann puffte Qualm hoch, und eine Eisenkugel heulte zu Hasards Schiff hinüber.
Sie klatschte der „Isabella“ vor den Bug. Dies war die erste und letzte Warnung. Die Spanier hatten die „Isabella“ jetzt identifiziert, alles konzentrierte sich auf die feindliche Galeone mit den hohen Masten, während der Seewolf und seine sechs Gefährten weiter zwischen den spanischen Schiffen dahinpirschten.
Der nächste Kanonenschuß krachte, Donner wälzte sich schwer über das Wasser und auf die Mole zu. Von dem spanischen Kriegssegler aus orgelte eine zweite Kugel auf die „Isabella“ zu, und sie ging nur deshalb fehl, weil sie schlecht gezielt war.
Ben Brighton ließ zurückfeuern.
Dumpf wummerten die Culverinen der „Isabella“. Der Tanz war eröffnet.
10.
Im Brüllen der Kanonen und dem Schreien der Spanier schob sich die einmastige Schaluppe an dem dritten Handelsfahrer vorbei. Ungehindert erreichte sie den Bug, oben, auf Deck der Galeone, war Betrieb, aber die Mannschaft blickte nur zur Reede und schenkte der Schaluppe keinerlei Beachtung.
Weiter segelte die Schaluppe. Sie lief an der Galeone vorbei, und der Seewolf hatte den Blick frei auf das große Kriegsschiff. Dort traf man Anstalten, die Anker zu lichten und in den Kampf einzugreifen, ehe überhaupt alle richtig wußten, was eigentlich geschah.
„Nur ein paar Yards noch“, flüsterte der Seewolf. „Wir schaffen es.“
„Schneller“, stieß der Profos immer wieder hervor. „Himmel, geht denn das nicht schneller?“
Nein, schneller lief die Schaluppe nicht, denn sie lag hart, ganz hart am Nordost. Aber sie glitt doch an der Bordwand des Feindes entlang, bevor die Spanier ihre Gegner auch in dem Fahrzeug des Hafenkapitäns orten konnten.
Ferris Tucker hatte schon immer davon geträumt, seine Höllenflaschen mal in fremde Kanonenläufe befördern zu können. Jetzt erhielt er die Gelegenheit dazu. Die Stückpforten der oberen und unteren Batterie der Kriegsgaleone öffneten sich, die Geschütze rumpelten aus – die Schaluppe befand sich in unmittelbarer Nachbarschaft schwerer 17-Pfünder-Culverinen.
Ferris arbeitete mit Eifer, Gary, Jeff und Bob assistierten ihm. Da wurden Explosionsflaschen mit langen Lunten gezündet und weitergereicht. Der rothaarige Riese ließ sie sanft in die gähnenden Mündungen gleiten, ohne daß im Schiff jemand ahnte, was gespielt wurde.
Dann gab Ferris ein Zeichen.
Im Weitergleiten der Schaluppe hatte er fast alle Höllenflaschen verteilt. Jetzt ging es darum, schleunigst zu verschwinden. Rasch verlor die Schaluppe den Kontakt mit der Galeone – und nach wie vor schöpfte keiner der Spanier den Verdacht, sie könne etwas mit dem Gegner zu tun haben.
Ihr Vorbeilaufen an dem Kriegsschiff schien etwas Zufälliges, nicht Beabsichtigtes zu sein, und jetzt segelte sie, die Schaluppe des Hafenkapitäns, zu der am weitesten nördlich liegenden Pier des Hafens. Wenn sie auch zuvor nie hiergewesen waren, Hasard hatte mit Blacky und dem Landtrupp vereinbart, sich an dem Punkt des Hafens zu treffen, der am weitesten nach Norden versetzt lag.