Seewölfe Paket 20

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Ed beruhigte sich und winkte verlegen ab, zumal Philip junior jetzt in einem dritten Topf zu rühren begann, aus dem erneut verführerische Düfte aufstiegen. Der Profos schluckte hart. Da lief einem wirklich das Wasser im Mund zusammen.
„Ist ja schon gut, Kutscher, der Teufel kann dich auch noch nach dem Backen und Banken holen“, sagte er. Dann trat er einen Schritt näher und senkte die Stimme. „Wenn ich schon zufällig hier bin, könntest du mir wenigstens verraten, was da in den riesigen Töpfen ist.“
Der Kutscher tat, als müsse er eine schwerwiegende Entscheidung treffen.
„Nun erzähl’s schon“, fuhr Ed fort, „du verrätst damit doch kein Geheimnis der englischen Krone, was, wie?“
„Das nicht gerade“, sagte der Kutscher, „aber meist erkläre ich erst hinterher, was es war. Dann weiß ich nämlich schon, ob es auch geschmeckt hat. Auf diese Weise kann man Vorurteilen aus dem Weg gehen.“
„Das ist sehr schlau von dir“, säuselte der Profos und schielte dabei verlangend zu den großen Töpfen, in die die Zwillinge jetzt extra hineinschnupperten und dabei genüßlich die Augen verdrehten. Nachdem er sich schmachtend die Lippen beleckt hatte, sagte er: „Du weißt ja, daß ich keine Vorurteile habe, also kannst du es mir ruhig anvertrauen. Dem – äh – dem himmlischen Duft nach muß es etwas ganz Hervorragendes sein.“
Der Kutscher grinste und wußte nur zu gut, daß er den armen Profos jetzt nicht mehr länger auf die Folter spannen konnte.
„Es gibt heute etwas Karibisches“, verkündete er.
„Etwas Karibisches?“ Ed war verblüfft. „Und was ist das? Nach Rum riecht es nicht.“
„Es ist ja auch keine Rumsuppe.“ Der Kutscher deutete zu den Töpfen. „Was darin gart, ist ein sogenannter Westindischer Pfeffertopf. Er besteht aus mehreren erlesenen Gemüsesorten, die ich alle frisch in Havanna eingekauft habe. Dazu gehören natürlich Bohnen, Erbsen, Möhren, Schwarzwurzeln, Weißkraut, Sellerie, Ogra, Yam-Wurzeln und Pigstail. Im Gemüse werden prächtige Fleischstücke vom Rind, Hammel und Schwein mitgekocht, dann wird das Ganze noch mit Langustenschwänzen verfeinert.“
Dem Profos gingen fast die Augen und Ohren über.
„Himmel, Arsch und Ziegenkäse“, sagte er schließlich fast andächtig. „Da hast du dir wirklich was besonderes Gutes einfallen lassen, Kutscher.“ Wieder leckte er sich genüßlich über die Lippen. „Wie lange – ich meine, dauert es noch lange bis zum Backen und Banken, was, wie?“
„Wir können gleich damit anfangen“, versprach der Kutscher.
Der dankbare Blick, den der Profos ihm jetzt zuwarf, sollte ihm noch lange in Erinnerung bleiben.
Die Nacht senkte sich mit tropischer Schnelligkeit über die Karibik. Die Mannschaft der „Pommern“ hatte es gerade noch vor dem Dunkelwerden geschafft, mit dem Backen und Banken fertig zu werden, und der Kutscher sah überall nur zufriedene Gesichter.
Vor allem Edwin Carberry lächelte das Lächeln der Glückseligen, als er seinen vollen Magen betastete.
Der Kutscher beugte sich zu ihm hinunter, weil er auf einer Taurolle hockte.
„Da du ja keine Vorurteile hast, Mister Carberry“, flüsterte er, „sage ich dir im Vertrauen, daß es morgen zu Mittag ein deutsches Gericht mit viel gutem Fleisch geben wird, denn wir haben ja auch viele Deutsche an Bord.“
„Ah, das ist sehr gut, Kutscher, wirklich“, lobte der Profos. „Die deutschen Blondschöpfe verstehen ja fast schon soviel von gutem Essen wie wir Engländer.“
Der Kutscher nickte.
„Damit jedoch niemand benachteiligt wird“, fuhr er fort, „wird es am Abend ein echt englisches Essen geben.“
„Ausgezeichnet“, sagte der Profos begeistert und klopfte dem Koch anerkennend auf die Schulter. „Das wird natürlich ein richtiger Festtag. Was gibt es denn?“
„Einen schönen dicken Hirsebrei“, verkündete der Kutscher, und da dem Profos augenblicklich die Kinnlade nach unten klappte und er einen verdammt wilden Blick draufkriegte, zog er es vor, samt den kichernden Zwillingen in der Kombüse zu verschwinden.
Dem schockierten Edwin Carberry blieb jedoch nicht viel Zeit, sich verulkt zu fühlen, denn Dan O’Flynn, dem Mann im Ausguck, war aufgefallen, daß etwas nördlich des Kaps mehrere große Feuer loderten, und zwar direkt am Ufer einer Bucht. Sofort hatte er die Crew gewahrschaut.
Einige Männer eilten zum Schanzkleid und blickten hinüber, obwohl es sich dabei nicht um ein außergewöhnliches Vorkommnis handelte, das Anlaß zur Besorgnis gegeben hätte.
Das, was jedoch in erster Linie die Blicke der Männer anzog, war nicht das Feuer, sondern ein großer Dreimaster, dessen Konturen sich gestochen scharf vor den Feuern abhob und der offenbar in der Bucht vor Anker lag.
Die Stimme Dan O’Flynns aus dem Großmars ließ erneut alle aufhorchen.
„Das ist die ‚Caribian Queen‘!“ rief er.
„Irrst du dich auch nicht?“ wollte der Seewolf wissen.
„Nein, es gibt keinen Zweifel. Die ‚Queen‘ liegt dort mit aufgetuchten Segeln vor Anker.“
Jeder glaubte ihm jetzt, denn es war bekannt, daß er die schärfsten Augen unter den Arwenacks hatte.
„Sofort alle Lichter löschen!“ befahl der Seewolf, der inzwischen wieder seinen Platz als Kapitän übernommen hatte. „Unsere Suche nach der ‚Caribian Queen‘ ist damit beendet.“
„Dann ist das sicherlich der Schlupfwinkel der Black Queen“, meinte Renke Eggens, „und wir brauchen gar nicht erst die Islas de Mangles abzusuchen. Das erspart uns eine Menge Zeit.“
„Wir werden der Sache gleich auf den Grund gehen“, entschied Hasard und wandte sich an Pete Ballie, der das Ruder übernommen hatte. „Wir fallen hart nach Backbord ab, Pete, dann gehen wir unmittelbar östlich des Kaps vor Anker. Wir sind noch weit genug von der Bucht entfernt, so daß man uns bei einigen Vorsichtsmaßnahmen nicht vorzeitig entdeckt.“
„Merkwürdig“, sagte Big Old Shane, der mit seinem langen grauen Haar und dem dichten grauen Vollbart an den Meeresgott Neptun erinnerte. „Ich anstelle der Black Queen hätte mir ein besseres Versteck ausgesucht. Es gibt doch hier so viele stille und abgelegene Buchten.“
Hasard nickte zustimmend.
„Da hast du nicht unrecht, Shane. Irgendwie paßt das nicht so recht zu diesem raffinierten Frauenzimmer. Trotzdem ist das Schiff dort drüben die ‚Caribian Queen‘, daran ist nicht zu rütteln.“
„Was willst du unternehmen?“ fragte Shane.
„Es darf uns jetzt kein Fehler unterlaufen“, sagte Hasard. „Also werden wir zunächst einmal die große Jolle aussetzen. Dann pullen wir vorsichtig in die Bucht, um auszukundschaften, was da los ist. Die zurückbleibende Crew kann inzwischen die ‚Pommern‘ gefechtsklar machen.“
So geschah es auch. Die deutschenglische Crew arbeitete Hand in Hand. Die große Jolle wurde abgefiert, und Hasard selber ging zusammen mit zehn Männern an Bord. Renke Eggens übernahm zusammen mit Big Old Shane das Kommando an Bord der „Pommern“ und sorgte dafür, daß die Galeone rasch und ohne unnötigen Lärm gefechtsklar gemacht wurde.
Zu der Jollenbesatzung gehörten vier „Kolberger“, wie die Deutschen von der „Wappen von Kolberg“ meist genannt wurden, sowie sechs Arwenacks – Gary Andrews, Stenmark, Blacky, Smoky, Luke Morgan und Ed Carberry. Philip Hasard Killigrew führte das Kommando.
Die Nacht war angenehm kühl, der Wind wehte immer noch aus westlicher Richtung. Die Luft war klar, und der Mond schien hell. Nur zeitweise verschwand der goldgelbe Ball am Himmel hinter vorbeiziehenden Wolkenfetzen.
Die Jolle gelangte gut voran, die Rudergasten legten sich kräftig in die Riemen. Besonders Ed als Steuerbordschlagmann packte zu, als müsse er einen Wettkampf gewinnen.
Je näher sie dem Zweidecker rückten, desto deutlicher hörten sie das laute Gebrüll und Gejohle, das der Wind vom Ufer her über die kabbelige Wasserfläche trug.
Etwas später hob Ed schnuppernd die Nase in den Wind.
„Braten!“ stellte er fest. „Der Duft weht bis hierher. Ich glaube, Sir, dort drüben wird mächtig gefressen und gesoffen. Ich wüßte nur zu gern, was die Affenärsche da feiern.“
Die Männer grinsten sich an.
Die Jolle wurde ziemlich dicht an die „Caribian Queen“ herangepullt. Doch dort rührte sich nichts, es war nichts zu hören und zu sehen. Auch eine brennende Lampe gab es nicht.
„Entweder ist niemand an Bord“, sagte Smoky leise, „oder die Ankerwache pennt.“
„Beides wäre in unserem Sinne“, meinte der Seewolf, dann traf er eine schnelle Entscheidung. „Ich werde das Schiff mit vier Mann entern und besetzen. Gelingt das, pullt der Rest mit der Jolle zurück zur ‚Pommern‘. Ed, du sorgst dafür, daß von dort aus mindestens zwanzig Mann unter dem Kommando von Dan und Ferris zum Land übersetzen und die Horde angreifen. Aber bitte ohne Pardon! Renke und Shane sollen die Gefechtsbereitschaft auf der ‚Pommern‘ auf jeden Fall beibehalten, sie können dann – falls es nötig wird – eingreifen.“
„Was soll mit der Black Queen und Caligula geschehen, Sir?“ fragte Ed.
„Sie dürfen nicht entwischen“, erwiderte Hasard. „Nach Möglichkeit sollen sie gefangengenommen werden. Vorausgesetzt natürlich, daß Caligula schon im Schlupfwinkel eingetroffen ist.“
Ohne weitere Zeit zu verlieren, gingen die Männer ans Werk. Die Jolle wurde so geräuschlos wie möglich ans Heck des Zweideckers gepullt. Das Plätschern des Wassers ging im Lärm der Piraten unter.
Das weitausladende Heck bot der Jolle die meiste Sicherheit, weil sie dort kaum gesehen werden konnte.
Der Seewolf stand aufrecht in der Jolle. In der Hand hielt er eine Leine, an der ein scharfer Haken befestigt war. Das dumpfe Geräusch, mit dem sich der Haken hoch oben im Holz der Heckgalerie verkrallte, war kaum zu hören.
Hasard überprüfte kurz die Festigkeit des Hakens, dann enterte er gewandt wie eine Katze auf. Oben angelangt, umwickelte er seine Pistole mit einem dicken Tuch und schlug eines der Heckfenster ein. Nachdem sich immer noch nichts rührte und auch im Inneren der Achterdeckskammer, zu der das Fenster gehörte, alles still blieb, zog Hasard kurz an der Leine.
Gary Andrews, Stenmark, Blacky sowie Smoky, der seine Gunnhild mit Little Smoky auf der Schlangen-Insel in guter Obhut wußte, enterten jetzt ebenfalls die „Caribian Queen“.
Als sie die Heckgalerie betraten, war Hasard bereits in der dunklen Fensteröffnung verschwunden. Die Arwenacks folgten ihm, ohne zu zögern.
Der Zweidecker schien tatsächlich unbewacht zu sein. Wahrscheinlich waren die Kerle samt und sonders an Land gegangen, um an dem Gelage teilzunehmen. Aber das sollte Hasard nur recht sein.
Das Fenster, durch das sie eingestiegen waren, gehörte zu einer komfortabel ausgestatteten Achterdeckskammer, die allerdings in einem wüsten Zustand war. Gegenstände waren über die Planken verstreut, überall roch es nach verschüttetem Rum.
Während Smoky und Gary den Raum zum Schott hin absicherten, stieg Hasard noch einmal durch die Fensteröffnung und gab den in der Jolle wartenden Männern das vereinbarte Zeichen zum Ablegen.
Die Jolle wurde eilig zur „Pommern“ zurückgepullt.
6.
Philip Hasard Killigrew und seine vier Begleiter wunderten sich über den Zustand, in dem sich die „Caribian Queen“ befand. Schon die Achterdeckskammern sahen verwahrlost aus. Das war selbst im schwachen Mondlicht, das durch die Butzenglasscheiben hereindrang, zu erkennen.
Hasard wurde das merkwürdige Gefühl nicht los, daß hier etwas nicht stimmte, denn gleich, durch welche Räumlichkeiten und Gänge sie schlichen, es bot sich ihnen fast überall das gleiche Bild der Unordnung. Außerdem stank es penetrant nach Dreck, Schweiß und Rum.
Auch draußen auf den Decks, die sie ungehindert erreichten, sah es nicht anders aus. Taue lagen überall herum, Fallen waren nur nachlässig aufgeschossen, und auf den Planken fand sich überall Dreck und Unrat.
Am schlimmsten stank es in der Kombüse. Smoky, der gleich den anderen Männern eine schußbereite Pistole in der Hand hielt, wandte sich angewidert ab.
„Ein richtiger Schweinestall“, flüsterte er und erntete mit dieser Bemerkung ein reges Kopfnicken.
Hasard war sehr verwundert. Daß die „Caribian Queen“ ein solch stinkender Dreckskahn war, hatte er nicht erwartet, denn das alles paßte nicht zu der schwarzen Piratin, die so ein eisernes Regiment führte. Sollte er sich in dieser Frau so getäuscht haben? Hatte er es die ganze Zeit über mit einer Schlampe zu tun gehabt? Das war für ihn unvorstellbar.
Während sich Gary, Stenmark und Blacky noch auf der Kuhl aufhielten, trennten sich Hasard und Smoky nach der Kombüsenbesichtigung, um zur Back aufzuentern. Hasard nahm den Backbordniedergang, Smoky den Steuerbordniedergang. Nahezu gleichzeitig gelangten sie oben an und blieben wie angewurzelt stehen.
Beide vernahmen ein Geräusch, das sich wie ein lautes Schnarchen anhörte. Das war es in der Tat auch. In unmittelbarer Nähe des Fockmastes lag ein dürrer Kerl auf den Planken, hatte den Kopf gegen eine Taurolle gelehnt und schlief. Neben ihm lag ein leerer Weinkrug. Ein säuerlicher Geruch verriet, daß ein Teil des Weines verschüttet worden war.
Rasch sahen sich die beiden Männer um, doch es war weit und breit kein weiterer Schläfer zu entdecken. Der Kerl schien tatsächlich allein zu sein. Statt Ankerwache zu gehen, hatte er sich offenbar betrunken und war dann eingeschlafen.
Hasard und Smoky verständigten sich mit einem kurzen Blick. Smoky deutete stumm mit dem Zeigefinger auf sich, und der Seewolf nickte grinsend.
Smoky erreichte den Schläfer mit einigen schnellen Schritten, ohne daß dieser etwas bemerkte.
Der bullige Decksmann von der „Isabella IX.“ packte seine Steinschloßpistole am Lauf, bückte sich und klopfte dem Schnarcher freundschaftlich auf die Schulter. Aber das führte zu gar nichts. Smoky rüttelte und schüttelte den Kerl nun, da endlich hörte das Schnarchen auf. Es folgte ein Gurgeln, Schmatzen und Schlucken, dann riß der dürre Kerl die Augen weit auf.
„Guten Abend“, sagte Smoky mit einem freundlichen Grinsen, „bin ich hier richtig auf der ‚Caribian Queen‘?“
Die Antwort bestand zunächst aus einem völlig verständnislosen Blick, doch dann schien dem Schnapphahn irgendwo im Oberstübchen ein Licht aufzugehen. Jedenfalls wollte er jetzt blitzschnell aufspringen.
Aber damit war Smoky nicht einverstanden.
„Am besten, du schläfst weiter, Freundchen“, sagte er und hieb mit dem Griff der Pistole zu.
Der Kerl sank ächzend auf die Planken zurück und schlug mit dem Hinterkopf auf hartes Holz statt auf die weichere Taurolle.
Hasard konnte sich ein lautloses Lachen nicht verkneifen. Smoky zog sein Messer, schnitt ein Stück Tau ab, fesselte den Kerl und stopfte ihm schließlich einen Knebel in den Mund.
„Wahrscheinlich war er der einzige“, sagte Hasard mit gedämpfter Stimme. „Trotzdem finde ich es merkwürdig, daß die Queen plötzlich so unvorsichtig ist und nur einen Kerl als Ankerwache zurückgelassen haben soll.“
„Und der pennt hier noch selig“, ergänzte Smoky und rieb sich die Hände. „Was tun wir jetzt, Sir?“
„Wir gehen auf Nummer Sicher“, erwiderte Hasard und enterte zusammen mit Smoky wieder zur Kuhl ab. Dort winkte er Gary, Blacky und Stenmark herbei und schilderte ihnen in kurzen Worten, was sich auf der Back zugetragen hatte. „Gary und ich machen die Drehbassen schußklar“, fuhr er fort. „Wenn es den Kerlen einfällt, zu ihrem Dreckskahn zurückzukehren, werden wir sie damit zur Hölle schicken. Sten, Smoky und Blacky – ihr setzt die Durchsuchung des Schiffes fort. Seid aber äußerst sorgfältig, denn es ist durchaus möglich, daß irgendwo noch einer der Kerle steckt, der uns verraten kann. Achtet auf jede Kleinigkeit.“
„Aye, Sir“, sagte Stenmark, „falls wirklich noch einer da ist, wird er uns nicht durch die Lappen gehen.“
Die drei Männer verschwanden, während der Seewolf zusammen mit Gary an den schwenkbaren Geschützen hantierte.
Noch während sie mit den Drehbassen des Achterdecks beschäftigt waren, stieß Hasard Gary plötzlich an und deutete wortlos auf ein Beiboot, das, mit zwei Kerlen besetzt, von einem Steg ablegte und auf die „Caribian Queen“ zuhielt.
„Das ist offenbar die Wachablösung“, sagte Gary. „Jedenfalls sind die Kerle dafür in der richtigen Verfassung.“
So war es auch. Die beiden Schnapphähne alberten und grölten in ihrem Boot herum, ohne Zweifel waren sie stockbetrunken.
„Wir werden sie gleich gebührend empfangen“, sagte Hasard. „Am besten, wir verholen uns schon zur Kuhl.“
Die Jolle mit den lachenden und Witze reißenden Schnapphähnen schor nach einer Weile längsseits. Sie wurde an der Jakobsleiter vertäut.
Einer der Kerle turnte nach oben und schwang sich über das Schanzkleid. Damit war das Festgelage für ihn beendet, denn der Seewolf erwartete ihn. Ein Pistolengriff traf ihn wie ein Keulenschlag am Schädel und ließ ihn lautlos zusammensinken.
Gary schnappte sich den Kerl, fesselte und knebelte ihn und zog ihn hinter die Nagelbank des Großmastes.
Zur selben Zeit preite Hasard den im Boot wartenden Burschen an.
„Na los!“ rief er. „Enter auf! Deine Hilfe wird gebraucht. Es gibt hier nämlich ein Gespenst!“
Der Kerl kicherte und war viel zu betrunken, um zu erkennen, daß es sich um eine fremde Stimme handelte.
„Ein Gespenst, hihi!“ stieß er hervor. „Das werfen wir einfach über Bord. Laßt mich das nur besorgen.“
Gleich darauf enterte er hoch und rutschte über das Schanzkleid.
„Wo ist denn das Gespenst?“ lallte er.
„Hier“, sagte Hasard und tauchte wie ein Schatten neben ihm auf. Ein Hieb, und der Kerl fiel ebenfalls in sich zusammen wie ein leerer Mehlsack. Gary „behandelte“ ihn sofort weiter.
„Hoffentlich merken die Beutelschneider an Land nicht, daß ihre Kumpane nicht zurückkehren“, sagte Gary.
Doch der Seewolf winkte ab.
„Wahrscheinlich fällt es gar nicht auf. Bei einem solch wüsten Gelage haben die Besseres zu tun, als sich um Wachablösungen zu kümmern. Nur die Black Queen – zum Teufel –, ich glaube, die ist ebenfalls betrunken, anders kann ich mir ihre Nachlässigkeit nicht erklären.“
Stenmark, Blacky und Smoky kehrten von der Durchsuchung des Zweideckers zurück.
„Wen haben wir denn da?“ Smoky deutete auf die beiden besinnungslosen und gefesselten Gestalten. „Hat sich der Kerl auf der Back plötzlich verdreifacht?“
„Das sind nur zwei nette Besucher“, erwiderte Hasard, „die wollten hier unbedingt ein Gespenst fangen.“
„Verstehe“, sagte Smoky und grinste von einem Ohr zum anderen. „Sie scheinen ihm begegnet zu sein.“
„Habt ihr noch jemanden gefunden?“ fragte Hasard.
Smoky schüttelte den Kopf.
„Es ist wirklich niemand mehr an Bord. Dafür aber gibt es jede Menge Dreck. Sogar die Kammer der Black Queen stinkt vor Schmutz. Außerdem sieht es dort aus, als habe man das Weibsstück ganz plötzlich aus der Koje gezerrt.“
„Was soll das nun wieder heißen?“ Der Seewolf warf ihm einen verwunderten Blick zu.
„Nun“, fuhr Smoky fort, „es liegen dort weggefetzte Decken herum, außerdem Arzneien und Verbände. Ein wertvoller Zinnbecher kullert auf den Planken hin und her, der Inhalt ist dem Geruch nach verschüttet worden.“
Hasard fand dafür auch keine Erklärung.
Jetzt meldete sich Stenmark zu Wort.
„Es wäre ungerecht, Sir, zu sagen, wir hätten nur Dreck gefunden, denn der Schatz, den wir unter der Kapitänskammer in einem Stauraum entdecken haben, war pieksauber und stank auch nicht. Wenn du das Zeug siehst, Sir, haut es dich glatt aus den Stiefeln.“
„So?“ meinte Hasard. „Nun ja, ich werde ihn mir später ansehen.“ Er war zur Zeit gar nicht so sehr an Schätzen interessiert, dafür aber gingen ihm tausend Gedanken durch den Kopf. Irgendwie konnte er sich noch keinen Reim auf das Ganze bilden.
7.
Das wüste Gelage, das die Schnapphähne von der „Caribian Queen“ in dem winzigen Fischerdorf feierten, tobte jetzt schon die dritte Nacht. Den wenigen männlichen Bewohnern, die den brutalen Überfall überlebt hatten, und den gepeinigten Frauen saß immer noch die Angst im Nacken. Es blieb ihnen nur die Hoffnung, daß bald die letzte Ziege geschlachtet und die letzte Flasche Rum geleert war. Wenn es absolut nichts mehr zu holen gab, würden die Kerle vielleicht verschwinden – ein verwüstetes Dorf und geschändete Frauen und Mädchen in völliger Armut zurücklassend.
Bis jetzt dachten die Piraten aber noch nicht daran, das Freß- und Saufgelage zu beenden. Noch immer herrschten Angst und Grauen zwischen den armseligen Lehmhütten.
Casco, der bullige Kreole, griff nach einer riesigen Hammelkeule und biß hinein, daß ihm das Fett vom Kinn tropfte. Während des Kauens nickte er dem verlotterten Gesindel zu, das sich um die Feuer geschart hatte.
Einige der Kerle versuchten zu tanzen, obwohl ihnen das nur torkelnd gelang, andere trieben derbe Scherze und brüllten dazu vor Begeisterung. Die meisten soffen alles in sich hinein, was sie ergattern konnten und johlten und sangen hinterher.
Die Frauen, von denen die meisten während des Überfalls Angehörige verloren hatten, wurden immer wieder gezwungen, an den Tänzen teilzunehmen. Dazwischen mußten sie sich um die Feuerstellen, das Fleisch und die Getränke kümmern. Wenn sie sich weigerten, wurden sie brutal geschlagen.
Als Casco die Hammelkeule vertilgt hatte, warf er die Knochen einfach ins Feuer. Dann nahm er einen irdenen Krug und goß sich Rotwein in die Kehle.
Nachdem er sich die fettigen Lippen mit dem Handrücken abgewischt hatte, griff er nach Pepita, dem dunkelhäutigen Mädchen mit den großen Rehaugen. Sie war schlank, hatte langes, pechschwarzes Haar und war höchstens zwanzig Jahre alt.
„Jetzt bist du wieder an der Reihe, Schätzchen“, sagte er, „sonst beschwerst du dich am Ende noch und meinst, ich hätte dich vernachlässigt. Komm nur her, du Katze!“
Mit einem anzüglichen Grinsen zog er das zitternde Mädchen zu sich heran. Daß ihr dabei ein halbvoller Weinkrug, den sie für ihn zur Verfügung halten mußte, aus der Hand fiel und zerbrach, störte ihn nicht im geringsten.
„Laß mich los, du Scheusal!“ rief Pepita und schlug ihm in ihrer Verzweiflung beide Hände ins Gesicht.
Doch Casco lachte nur roh. Erst als ihm Pepita mit aller Kraft die Fingernägel durch das Gesicht zog, stieß er sie mit einem wilden Fluch von sich und befühlte seine Wangen. Als er Blut an seinen Händen sah, stemmte er sich vom Boden hoch, um dem davoneilenden Mädchen nachzujagen.
„Warte, du elende Hure!“ brüllte er. „Das wirst du mir büßen!“
Casco hatte jedoch noch keine zehn Schritte unter dem Gelächter seiner Kumpane zurückgelegt, da brach völlig überraschend und unerwartet die Hölle über die Piratenbande herein.
Plötzlich krachten Schüsse durch die Dunkelheit, und einige der Schnapphähne brachen tot zusammen. Auch Casco hätte es um ein Haar erwischt, wenn er sich nicht geistesgegenwärtig auf den Boden geworfen hätte.
Eine ganze Anzahl der betrunkenen Piraten begriff trotz der Schüsse noch nicht, was geschah. Die Kerle grölten einfach weiter, während andere plötzlich stocknüchtern wurden und zu ihren Waffen griffen.
Zwischen dem Krachen der Pistolenschüsse dröhnte jetzt ein vielstimmiges „Ar-we-nack!“ durch das Dorf.
Casco war der erste, der begriff, mit wem er es zu tun hatte, und diese Erkenntnis ließ ihn in der Tat Pepita augenblicklich vergessen.
„Zu den Waffen!“ brüllte er, daß sich seine Stimme überschlug. „Das sind die verdammten Kerle von der Schlangen-Insel! Los, zeigt’s den Hunden!“
Er selber riß seine Steinschloßpistole aus dem Gürtel, spannte den Hahn und feuerte sie ziellos auf einen Schatten in der Dunkelheit ab. Doch der erwartete Aufschrei blieb aus, und Casco schleuderte die nun wertlos gewordene Waffe auf die Erde, um nach seinem Säbel zu greifen.
Ja, innerhalb von Sekundenschnelle war tatsächlich der Teufel los. Dan O’Flynn und Ferris Tucker waren sofort nach der Rückkehr der großen Jolle mit zwanzig Männern aufgebrochen, um den Beutegeiern von der „Caribian Queen“ kräftig einzuheizen, und zwar ohne jegliches Pardon – wie der Seewolf aufgetragen hatte.
Keiner der Piraten hatte bemerkt, daß ein Stück oberhalb des Dorfes und noch weit außerhalb des Feuerscheins, der schwerbewaffnete Trupp an Land gegangen war. Der Lärm, den sie veranstalteten, hatte sich für die Arwenacks und Kolberger als äußerst nützlich erwiesen. Sie hatten sich unbemerkt zwischen den Lehmhütten verteilt, um das Kommando Dan O’Flynns abzuwarten.