Seewölfe Paket 20

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Jetzt sah er auch, wer die Rufe ausgestoßen hatte.
Vier schwarze Gestalten rannten brüllend am Ufer entlang und winkten verzweifelt zu ihm herüber.
Caligula riß sofort das Ruder herum und steuerte hart nach Backbord. In gewissem Sinne fiel ihm ein Stein vom Herzen. Die Kerle, die da drüben winkten, gehörten bestimmt zur Besatzung des Zweideckers, auch wenn er das bis jetzt noch nicht genau feststellen konnte. Offenbar hatte die Queen sie hier zurückgelassen, damit sie ihn bei seinem Eintreffen über das neue Versteck unterrichten konnten. Also hatte sie doch an ihn gedacht. Das wäre ja auch noch schöner gewesen!
Zügig rauschte die Schaluppe durch das kabbelige Wasser und hielt auf das Ufer der Insel zu. Bald konnte Caligula die Kerle deutlich erkennen, die sogar ein Stück ins seichte Wasser gewatet waren. Sie winkten immer noch, als befürchteten sie, die Schaluppe könne plötzlich wieder verschwinden.
Caligula beobachtete das mit kritischem Blick. Verdammt, das sah ganz danach aus, als sei etwas passiert. Warum sonst gebärdeten sich die vier Kerle so wild? Nach seiner Landung fauchte er sie sofort an.
„Was ist los? Redet schon! Warum benehmt ihr euch wie ein paar Verrückte?“
Limba und seine drei Kumpane, die von Casco und den anderen Meuterern ins Wasser geworfen worden waren, redeten alle gleichzeitig.
„Meuterei!“ schrie einer. „Die Schweine sind mit dem Schiff abgehauen!“ ein anderer.
Erst nach einer heftigen Geste Caligulas beruhigten sich die Kerle, und Limba berichtete in kurzen Worten, was nach seinem, Caligulas, Weggang von der „Caribian Queen“ geschehen war.
„Auch die Black Queen ist hier“, fügte er hinzu. „Wir haben dort hinten zwischen den Palmen eine Notunterkunft für sie errichtet, denn sie ist ja noch nicht wieder richtig auf den Beinen.“
Caligula ließ einen ellenlangen Fluch vom Stapel. Hatte er überhaupt richtig gehört? Meuterei? Und dieser verdammte Casco war mit fast der gesamten Mannschaft und dem Schiff verschwunden?
Für einen Augenblick glaubte Caligula, wahnsinnig zu werden. Ohne jeden Grund, wie aus einer reflexartigen Bewegung heraus, verpaßte er einem der Kerle, der am leichtesten zu erreichen war, einen Fausthieb, der ihn rücklings in den Sand schleuderte. Dann sank er fluchend auf die Knie und trommelte mit beiden Fäusten unaufhörlich in den Ufersand. Die Kette zwischen seinen Händen klirrte und schepperte. Er tobte, fluchte und brüllte wie ein wundes Tier.
Nach einer Weile beruhigte er sich wieder und erhob sich. Die vier Kerle hielten sich in gebührendem Abstand von ihm auf. Schließlich wußten sie, wie unberechenbar er war.
Das Gesicht Caligulas glich einer steinernen Maske. Er folgte den vier Piraten wortlos zu einer Palmengruppe, hinter der sich üppiges Grün über die Insel hinzog. Der starre Ausdruck in seinem Gesicht löste sich erst, als er die Stimme der Black Queen vernahm. Sie hockte, halb liegend, in einer Nothütte, die die vier Männer mit ein paar Ästen und Palmblättern errichtet hatten, und sah ihn böse an.
„Hättest du nicht früher zurückkehren können?“ keifte sie. „Weiß der Teufel, wo du dich herumgetrieben hast. Sicherlich hast du sämtliche Hurenhäuser von Havanna abgeklappert, statt deinen Auftrag auszuführen und auf schnellstem Weg zum Schiff zurückzukehren. Jetzt stecken wir bis obenhin im Dreck.“
Caligula platzte erneut der Kragen. Er blieb vor der Queen stehen und riß die Arme hoch.
„Hier, sieh dir diese Kette an! Werden einem diese Dinger vielleicht in den Hurenhäusern angelegt?“
Die Queen starrte mit zusammengekniffenen Lippen auf seine Handgelenke.
„Was hat das zu bedeuten?“
Caligula hieb wild mit der Kette durch die Luft.
„Das bedeutet, daß man mich gefangengenommen hat!“ brüllte er. „Es war schon ein Kunststück, überhaupt wieder in diese Bucht zu gelangen, nachdem man mich in Havanna in den Kerker geworfen und gefoltert hatte. Wäre mir die Flucht nicht gelungen, würde ich jetzt noch im Verlies des Gouverneurs hocken und mich von den Ratten benagen lassen.“
Er berichtete mit erregter Stimme von dem, was in Havanna geschehen war. Die unliebsamen Dinge, wie zum Beispiel seine Geschwätzigkeit den Freudenmädchen gegenüber, verschwieg er wohlweislich.
Doch die sonst so intelligente und raffinierte Piratin brachte nur wenig Verständnis für die Ereignisse in Havanna auf. Ihre Gedanken kreisten im Augenblick nur um ihre ausweglose Lage.
„Was soll jetzt aus uns werden?“ geiferte sie zornig. „Wir hocken als arme Leute auf dieser beschissenen Insel und wissen nicht, was uns der morgige Tag bringen wird. Eins schwöre ich dir, Caligula: Sobald ich wieder gesund bin, werde ich diesen verdammten Hurensohn namens Casco jagen bis zum Ende der Welt. Und von dir erwarte ich das gleiche. Er wird bitter bezahlen für jede Minute, die ich auf dieser Insel verbracht habe.“
Darin pflichtete ihr Caligula lebhaft bei.
Dennoch war die Lage mehr als trostlos für das einst so erfolgreiche Gespann. Sie hatten – das mußten sie sich eingestehen – eine totale Niederlage erlitten. Der Traum von der Eroberung der Karibik war ausgeträumt, und zwar restlos. Sie standen vor einem völlig ungewissen Neuanfang. Die bisher so reiche Beute war weg, der Zweidecker war weg, und damit waren sie so arm wie die ärmsten Bettler. Hauptsächlich das war es auch, was sie nahezu um den Verstand brachte.
Caligula war nur noch ein entlaufener Sträfling, denn er hatte noch immer die Kette zwischen den Handgelenken, und die Queen war siech und schwach. Die einst so stolze Piratin, vor der jedermann gekuscht hatte, war nur noch ein gereiztes, keifendes und kränkliches Weib.
Die Stunden vergingen. Caligula, die Black Queen sowie Limba und die drei anderen Kerle hockten während der heißen Mittags- und Nachmittagsstunden im Schatten der Palmen und brüteten die meiste Zeit dumpf vor sich hin. Erst gegen Abend hatte sich Caligula zu einem Entschluß durchgerungen.
„Auf jeden Fall können wir nicht auf dieser Insel bleiben“, sagte er. „Hier gehen wir langsam vor die Hunde. Außerdem weiß man nicht, was Casco und den anderen Hurensöhnen noch einfällt. Ich halte sie sogar für imstande, dem Seewolf einen Tip zu geben, damit er weiß, wo er uns finden kann. Auf diese Weise hätte uns Casco rasch vom Hals.“
„Du hast recht“, bestätigte die Queen. Ihre Stimme klang wieder ruhiger und besonnener. „Der Boden ist hier zu heiß für uns. Auch wenn wir noch nicht wissen, wie es weitergehen soll, müssen wir zunächst von hier verschwinden.“
Die Schlußfolgerung, die Caligula geäußert hatte, klang zwar logisch, aber tatsächlich hatte er ganz andere Gründe für seinen Vorschlag. Er erinnerte sich nämlich dunkel daran, daß er bei den Huren in Havanna großspurig herumposaunt hatte, wo „sein“ Schiff zu finden wäre. Da brauchte nur eine ihr Wissen beim Gouverneur oder seiner Hofclique gegen blanke Münzen einzutauschen, und schon würde eine ganze Armada aufbrechen, um ihn zu schnappen.
Das war der Grund dafür, daß Caligula es plötzlich sehr eilig hatte, von den Islas de Mangles zu verschwinden.
Sofort scheuchte er die vier Männer hoch. Die Schaluppe wurde eilig ausgerüstet. Der Proviant bestand ausschließlich aus Kokosnüssen und Früchten, die man auf der Insel gefunden hatte. Etwas Trinkwasser hatten die vier Männer, die der Black Queen treugeblieben waren, notdürftig in leere Kokosnüsse gefüllt.
Am Schluß wurde die schwarze Piratin in die Schaluppe verfrachtet, und kurz vor Einbruch der Abenddämmerung segelte der Einmaster aus der Bucht.
„Wohin geht die Fahrt?“ fragte Limba zaghaft.
„Nach Süden“, erwiderte Caligula kurz angebunden. Mehr wußte er im Augenblick selber noch nicht.
9.
Am Spätnachmittag des 27. April im Jahre des Herrn 1594 steuerten die „Pommern“ und der erbeutete Zweidecker jene einsame Insel an, die der Pirat, der von Hasard in die Mangel genommen worden war, als Schlupfwinkel bezeichnet hatte.
Hasard war auf Nummer Sicher gegangen und hatte den Kerl sogar eine Zeichnung der Insel anfertigen lassen, bevor man ihn zusammen mit seinen beiden Kumpanen in die Vorpiek gesperrt hatte.
Vor einer Stunde jedoch hatte man ihn herausgeholt und ihm einen Platz auf dem Achterdeck zugewiesen. Nach Hasards Berechnungen konnte man nicht mehr allzu weit vom Ziel entfernt sein, deshalb sollte der Schnapphahn jetzt als Lotse dienen.
Er tat es bereitwillig, sobald ihn ein Blick aus den eisblauen Augen des Seewolfs traf.
Natürlich erregte der verluderte Kerl auf dem Achterdeck sehr das Mißfallen Edwin Carberrys. Immer wenn er in der Nähe des Piraten zu tun hatte, hielt er sich die Nase zu und japste hinterher nach Luft.
„Ich hätte nie geglaubt, daß echte Rübenschweine so gottserbärmlich stinken würden“, röhrte er und zog dabei jeweils eine Grimasse, die den Kerl zusammenzucken ließ. „Da könnte einem schon der Appetit für den ganzen Tag vergehen. Mir macht’s ja nicht mehr viel aus, weil er mir ohnehin schon vergangen ist.“
„Warum denn das?“ wollte der Seewolf wissen. „Du bist doch sonst nicht so appetitlos, Ed?“
„Aber heute bin ich es, Sir. Heute ist nämlich jener schwarze Tag, an dem es dicken Hirsebrei gibt.“
Hasard schüttelte verwundert den Kopf.
„Dicken Hirsebrei?“
„Jawohl, Sir, das hat mir der Kutscher schon gestern im Vertrauen gesagt. Und das soll ein echt englisches Essen sein. Daß diese klebrige Pampe einem echten Engländer wie mir schon tagelang im voraus den Magen umkrempelt, das interessiert den Töpfeschwenker überhaupt nicht. Warum auch, er hat ja stinkende schwarze Salben und anderen Schweinkram mit dem er einem wieder aufpäppelt, wenn etwas schiefgelaufen ist. Ich als Profos nenne das verantwortungslos, jawohl.“
Obwohl Hasard nicht wußte, welche Ereignisse der üblen Laune Eds vorausgegangen waren, konnte er sich doch ein Grinsen nicht verkneifen.
„Wart’s ab, Ed, und laß dich überraschen. Vielleicht hat sich der Kutscher das längst anders überlegt.“
„Glaub’ ich nicht, Sir. Dem ist es gleichgültig, ob man von dem Zeug krank wird oder nicht. Ich bin es nämlich schon.“
„Du siehst aber noch ganz gesund aus“, mischte sich Pete Ballie ein.
„Was verstehst du schon von Krankheiten, du triefäugiger Sumpfhahn“, fauchte ihn der Profos an. „Ich fühle mich hundeelend. Dicker Hirsebrei und dann noch so ein stinkendes Rübenschwein an Bord – da soll man noch bei Gesundheit bleiben!“
Noch bevor der Profos aufzählen konnte, welche üblen und vor allem äußerst ansteckende Krankheiten man von dickem Hirsebrei kriegen konnte, meldete Luke Morgan, der in den Großmars aufgeentert war, einen schwarzen Strich an der Kimm.
„Das wird die Insel sein“, sagte der Seewolf, und der Pirat nickte eifrig. Auch die Männer, die als Notbesatzung die „Caribian Queen“ übernommen hatten, schienen bereits bemerkt zu haben, daß Land in Sicht war.
Der große Augenblick stand also nahe bevor – jetzt sollte auch mit der Black Queen selber abgerechnet werden – und hoffentlich auch mit Caligula.
Der Lotse schnitt ein ängstliches Gesicht, als fürchte er sich jetzt noch vor der Queen. Offenbar malte er sich aus, was mit ihm geschehen würde, wenn er ihr jemals in die Hände fiel.
„Wir verfahren so, wie wir das besprochen haben“, sagte Hasard. „Wir werden unter äußersten Vorsichtsmaßnahmen auf der entgegengesetzten Seite der Schlupfwinkelbucht vor Anker gehen, damit sich das Gesindel nicht vorzeitig verkriecht.“
„Das Schnapphühnchen soll sich nur verkriechen“, sagte Ed, der jetzt seine schlechte Laune vom Hirsebrei auf die Queen übertrug. „Man wird es über die ganze Insel gackern hören, wenn ich es von der Stange fege!“
Nach mehr als einer Stunde erreichten die beiden Schiffe ihr Ziel. Nachdem die Anker Grund gefaßt hatten, wurde je ein Boot von der „Pommern“ und der „Caribian Queen“ abgefiert, denn zwei Suchtrupps sollten sich von verschiedenen Seiten her an die Bucht heranpirschen. Ein Kommando übernahm der Seewolf selbst, das andere Renke Eggens.
Die Boote erreichten die Insel mühelos und wurden dort an einer geschützten Stelle vertäut. Zwei Männer blieben als Wache zurück.
Das Eiland sah malerisch aus. Hohe Palmen und Farnbäume gaben ihm das Gepräge und boten Schutz vor der flirrenden Hitze. In den Baumwipfeln lärmten Scharen von bunten Vögeln, viele davon hoben sich erschreckt in die Luft, als sie die Männer sahen.
„Ich kann mir vorstellen, daß es hier genug Trinkwasser, Früchte und vielleicht sogar jagdbares Wild gibt, um eine Weile zu überleben“, sagte Hasard. „Trotzdem wird die Black Queen nicht darauf erpicht sein, hier ihren Lebensabend zu verbringen.“
Da pflichteten ihm die Männer grinsend bei.
Die beiden Suchtrupps trennten sich bald, um die Bucht in die Zange zu nehmen. Sie gelangten gut voran, und das üppige Grün verhinderte, daß man sie vorzeitig entdeckte.
Bald fiel das Gelände etwas ab, das Grün wurde spärlicher und ließ die riesigen Palmen noch höher erscheinen.
Hasard hob plötzlich die Hand und stoppte seine Schritte – die Bucht lag vor ihnen.
„Von jetzt an wird nur noch geflüstert!“ befahl er. „Wir haben von der Queen und den paar Kerlen zwar nicht mehr viel zu befürchten, aber ich möchte trotzdem ein Versteckspiel vermeiden.“
Nachdem man den Strand fast erreicht hatte, verteilte man sich und pirschte sich vorsichtig an die Palmgruppen heran.
Aber es war nirgends jemand zu sehen, und das ließ die Männer stutzig werden. Der Profos blickte besonders grimmig drein. Er gehörte zur Gruppe des Seewolfs und hielt wie alle anderen eine schußbereite Steinschloßpistole in der Hand.
Da plötzlich deutete Hasard auf eine windschiefe Blätterhütte, die sich, etwas versteckt, zwischen den Palmstämmen befand.
Dort wurde die Baumgruppe umzingelt, und der Seewolf sowie Ed und Ferris nahmen die Hütte in Augenschein. Wie sie fast schon erwartet hatten, war sie leer.
„Eine Notunterkunft“, sagte Hasard. „Es sieht ganz danach aus, als seien die Vögel ausgeflogen.“
„Verdammt, das wäre aber ärgerlich, Sir“, sagte der Profos. „Das Schnapphuhn kann doch unmöglich zur nächsten Insel geschwommen sein.“
„Das sicherlich nicht“, sagte Hasard, „aber es liegt immerhin im Bereich des Möglichen, daß es Caligula gelungen ist, ein Fahrzeug aufzutreiben und hierher zu segeln. Er kannte ja den Schlupfwinkel.“
Renke Eggens, der inzwischen ebenfalls mit seiner Gruppe eingetroffen war, bestätigte die Vermutung des Seewolfs. Der sichtbare Beweis für ihre Richtigkeit sollte den Männern gleich geliefert werden.
Sie fanden nämlich deutliche Fußspuren im Sand, die erkennen ließen, daß sich mehrere Personen zwischen der Hütte und dem Wasser hin und her bewegt hatten. Auch mußte an jener Stelle, an der die Fußspuren endeten, ein Boot gelandet sein, das war deutlich festzustellen. Da niemand weggeschwommen sein konnte, mußte also doch Caligula die Hand im Spiel gehabt haben. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er die Queen und die paar Kerle an Bord genommen und war mit ihnen davongesegelt. Aber wohin?
Der Seewolf war nahe daran, einen wüsten Fluch vom Stapel zu lassen, doch er verkniff sich diese menschliche Erleichterung.
„Es hat keinen Sinn, daß wir uns darüber ärgern“, sagte Hasard schließlich. „Wenn wir auch keinen totalen Sieg verbuchen können, haben wir doch auf jeden Fall einen ganz beachtlichen Erfolg errungen. Vor allem scheint der Versuch der Queen, den Bund der Korsaren durch die Spanier vernichten zu lassen, vorerst gescheitert zu sein. Die Bande der Queen existiert so gut wie nicht mehr, und sie und Caligula werden in absehbarer Zeit ihre Machtgier kräftig zügeln müssen. Die Königin ist von ihrem Thron gestürzt, und zwar ganz schön tief.“
„Hoffentlich hat sie sich dabei kräftig ihren schwarzen Hintern verstaucht“, sagte Ed boshaft.
Die Männer sahen ein, daß es zwecklos war, weiter nach der schwarzen Piratin zu suchen. Sie kehrten deshalb auf kürzestem Weg zu ihren Booten und dann auf ihre Schiffe zurück. Auf der „Pommern“ wurde anschließend Rat gehalten über das, was weiter zu tun sei.
Bald war man sich darüber einig, daß man zunächst einmal zur Schlangen-Insel zurücksegeln würde. Die „Caribian Queen“, dieses kampfstarke Schiff, sollte künftig unter der Flagge des Bundes der Korsaren segeln – vielleicht sogar wäre Siri-Tong, die Rote Korsarin, bereit, das Schiff ihrer bisher härtesten Gegnerin zu übernehmen.
„Und was soll mit den drei stinkenden Rübenschweinen geschehen?“ wollte Ed wissen.
„Wir werden sie auf dieser Insel lassen, und zwar ohne Waffe, Werkzeuge und Proviant“, erwiderte der Seewolf. „Besser haben sie es nicht verdient.“
„Nun ja“, sagte Ed, „ich hätte schon was Besseres gewußt.“
„Was zum Beispiel?“
„Ich hätte sie mit dem gesamten Hirsebrei gefüttert, den der Kutscher gekocht hat. Das wäre eine weit schlimmere Strafe für diese blaukarierten Affenärsche.“
Die Arwenacks lachten brüllend über diesen todernst vorgebrachten Vorschlag und das grimmige Gesicht ihres Profos’. Dennoch wurde natürlich die Anordnung Hasards beachtet. Die drei Schnapphähne wurden kurzerhand an Land gesetzt, da half ihnen kein Zetern, kein Fluchen und kein Bitten.
Anschließend teilte Hasard die Mannschaft auf. Ein Teil der Arwenacks und ein Teil der Kolberger wechselte auf den Zweidecker über, den Dan O’Flynn für die Heimreise zur Schlangen-Insel als Kapitän übernehmen sollte.
Die Stimmung an Bord der „Pommern“ hob sich rasch – nicht zuletzt bei Edwin Carberry. Als der Kutscher wie entschuldigend erklärte, er habe den geplanten Hirsebrei leider nicht zubereiten können, da die Hirse infolge der tropischen Hitze schlecht geworden sei, erhellte sich das Gesicht des Profos’. Und als der Kutscher hinzufügte, er habe sich deshalb erlaubt, Berge von deftigen Speckpfannkuchen zu braten, strahlte Ed wie ein frischgebackener Kuchen.
Er hieb dem Kutscher begeistert auf die Schulter.
„Ich habe schon immer gesagt, Kutscher, daß du ein kluges Kerlchen bist und echtes Interesse an der Gesundheit der ganzen Mannschaft hast!“
Unter dem Grinsen der Arwenacks und Kolberger wurden die Anker gehievt. Noch während der Nacht liefen die beiden Schiffe aus der Bucht, um ostwärts an der kubanischen Küste entlangzusegeln.
ENDE

Burt Frederick
1.
Die Nacht vom 24. auf den 25. April des Jahres 1594 war ungewöhnlich lau. Ein sanfter karibischer Wind strich über die Schlangen-Insel. Das silberne Mondlicht verlieh dem Wasser in der Außenbucht einen Glanz von flüssigem Metall.
Rauhes und doch heiteres Stimmengewirr erfüllte die Felsenkaverne, die seit ihrer Entdeckung „Old Donegals Rutsche“ hieß. Einige der Männer hatten sich vor dem Eingang im Freien niedergelassen, um die Nachtluft zu genießen. Aus der Felsenkneipe wehte der Geruch von Bierpfützen und rußenden Pechfackeln zu ihnen hinaus.
Es war die rechte Art von Gemütlichkeit, wie Old Donegal Daniel O’Flynn sie sich früher in seinen Träumen immer vorgestellt hatte.
Er blickte vom Zapfhahn auf, als seine bessere Hälfte von draußen zurückkehrte. Ein Hauch von Rührung erfaßte ihn. Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, war mit Gold nicht aufzuwiegen. Was sie auch anpackte, sie bewältigte es spielend. Und wenn es sich nur um die Kleinigkeit eines vollen Dutzends leerer Henkelkrüge handelte, die sie hereinwuchtete. Mit einem Kranz von sechs Humpen in jeder Hand schob sie sich auf den Tresen zu.
„Mister O’Flynn!“ übertönte ihre energische Reibeisenstimme den Lärm. „Willst du deine Gäste verdursten lassen? Oder warum stierst du Löcher in die Luft?“
Old Donegal zuckte zusammen und beeilte sich, seine Tätigkeit am Zapfhahn fortzusetzen. Wie sollte er denn vor aller Öffentlichkeit erklären, daß sie nicht etwa Luft für ihn war? Und sie selbst hätte am allerwenigsten Verständnis dafür gehabt, wenn er ihr mitten in der Arbeit seine rührselige Anwandlung zu verklaren versuchte. Davon, daß er an übernatürliche Kräfte glaubte, die sie beide zusammengeführt hatten, brauchte er erst gar nicht anzufangen. Spinnflausen nannte sie das, und das energische Funkeln in ihren grauen Augen hatten ihn bislang jedesmal verstummen lassen. Dennoch gab er die Hoffnung nicht auf, daß er ihr eines Tages seine innersten Überzeugungen schildern durfte.
Mary knallte die leeren Trinkgefäße auf den Tresen, wischte sich eine Strähne ihres feuerroten Haars aus der Stirn und stemmte die Fäuste in die Hüften. Stirnrunzelnd beobachtete sie ihn, wie er den Gerstensaft in die Krüge schäumen ließ.
„Du wirst doch wohl nicht müde werden, mein Alter?“ sagte sie halblaut. Nur er konnte es im durcheinander der Männerstimmen hören.
Ihre plötzliche Besorgnis ließ ihn stutzen. Meinte sie es ernst? Oder war das ein Wink mit dem Zaunpfahl, daß er nicht mehr der Jüngste war?
„Sehe ich so aus?“ knurrte er daher, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
Ihr Grinsen gab ihm wieder einmal das Gefühl, daß sie ihn bis auf die Knochen durchschaute. Sie schüttelte den Kopf.
„Nicht, wenn du dich anstrengst. Aber sag lieber rechtzeitig Bescheid, wenn’s dir zuviel wird. Die Kerls schlucken heute abend wie die Wale. Und je schneller wir ihnen Nachschub bringen, desto besser für unsere Kasse. Wenn du also Hilfe brauchst …“
Er schnitt ihr das Wort ab.
„Brauche ich nicht. Wir füllen sie ab, bis ihnen das Bier zu den Ohren rausläuft. Das schaffe ich ohne einen Handlanger. Ist das klar, Miß Snugglemouse?“ Er begann, die gefüllten Humpen eilends auf den Tresen zu schieben.
Sie nickte und grinste noch breiter.
„Aber ja. Hauptsache, du kippst mir nicht aus den Pantinen.“
Er schluckte es, denn er begriff nun, daß sie auf ihre Art tatsächlich um ihn besorgt war. Sie war eben doch eine Frau, auch wenn sie meistens so tat, als wollte sie sämtliche Mannsbilder dieser Welt in die Tasche stecken. Ohne mit der Wimper zu zucken, rückte Mary O’Flynn die vollen Krüge zurecht und packte zu. Wieder waren es sechs Humpen in jeder Hand, mit denen sie abrauschte. Der alte O’Flynn konnte nur staunen, wie sie das Stunde um Stunde, Abend für Abend bewältigte. Schon die leeren Krüge hatten ein beträchtliches Gewicht. Aber in gefülltem Zustand würde selbst mancher Mann seine liebe Not damit haben.
Mary hatte die Hälfte ihres Weges in Richtung Ausgang zurückgelegt, als einer der Männer von den leeren Fässern aufsprang, die als Sitzgelegenheit dienten. Er war ein mittelgroßer, drahtiger Bursche mit schwarzem Kraushaar und gehörte zur Mannschaft der Ramsgate-Werft.
„Nicht so schnell, Lady!“ rief er bierselig und schwenkte einen leeren Humpen in der rechten Hand. Breitbeinig versperrte er ihr den Weg. „Die da draußen können warten. Mir trocknet die Kehle aus, wenn ich nicht sofort Nachschub kriege. Also zeig ein mitfühlendes Herz und rück einen von deinen Krügen heraus.“
Mary blieb einen Schritt vor ihm stehen.
„Du bist noch nicht dran“, sagte sie ruhig. „Hier gilt gleiches Recht für alle. Also setz dich wieder.“
„Eine Ausnahme wird doch wohl drin sein, oder?“ Der Kraushaarige verzog das Gesicht zu einer flehenden Miene.
Old O’Flynn unterbrach sein Humpenspülen. Er sah den Verdruß heraufziehen. Doch wenn er glaubte, daß Mary wegen ihrer schweren Last hilflos war, dann sah er sich im nächsten Moment getäuscht. Sein Holzbein erlaubte ihm ohnehin keine besondere Schnelligkeit. Noch bevor er die Theke hinter sich lassen konnte, klärte Mary die Lage auf ihre eigene Art.
„Jetzt reicht’s“, knurrte sie und walzte mit ihrer flüssigen Last auf den Kraushaarigen zu.
Sein Mund klappte auf, und in seiner Verblüffung schaffte er es nicht mehr, zu reagieren.
Der Anprall von Mary O’Flynns Krugkränzen traf ihn vor den Brustkasten. Er stieß einen erschrockenen Laut aus, verlor das Gleichgewicht und kippte hintenüber auf den felsigen Boden. Sein leerer Humpen zerschellte dabei mit einem trockenen Geräusch.