Seewölfe Paket 20

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Auf seinen Befehl hin drehten die „San Sebastian“ und die „Almeria“ nach Norden hoch. Jetzt durften sie es wagen, ohne ein Zerschellen auf den Klippen zu riskieren. Schon nach kurzer Zeit tauchte ein grauer Streifen Land aus der Sturmsee auf. Und immer, wenn die Galeonen über den Kamm eines Wellenberges taumelten, war Kuba in aller Deutlichkeit zu erkennen. Dann wieder, im Hinabtauchen in die dunklen Schluchten, verschwand die Insel all ihrer Hoffnungen, als sei sie nur ein Trugbild gewesen.
Rascón ließ sich nicht beirren, er konnte nach wie vor klar genug denken. Das Kap de Cruz bot in seiner Situation eine hervorragende Abschirmung und Schutz gegen den Sturm aus Osten. Rascón dirigierte sein Schiff unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen um die Landspitze herum in jenen Bereich der See, der in den Golf von Guacanayabo überging – und dann, endlich, war es geschafft.
Die „Almeria“ folgte ihrem Führungsschiff und gelangte ebenfalls an den geschützten Platz, ohne auf eine Korallenbank oder auf Klippen zu laufen, die hier wie fast überall um Kuba herum als tückische Schiffsfallen versteckt lagen.
Die Schiffe verholten ein paar Meilen nördlich der Kapspitze. Hier ließen Rascón und Alentejo die Anker werfen.
Solares, der Erste Offizier der „San Sebastian“, wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Señor“, sagte er auf dem Achterdeck zu seinem Kapitän. „Das wurde aber auch höchste Zeit. Ein paar Luken sind in den letzten Stunden nämlich doch undicht geworden.“
„Hat es weitere Beschädigungen gegeben?“ fragte Rascón.
„Das Leckwasser steht bereits in den unteren Laderäumen.“
„Lassen Sie sofort die Pumpen einsetzen.“
Solares gab die Anweisung an den Bootsmann weiter, dessen Aufgabe es nun war, die unteren Schiffsräume leerzulenzen.
Vor der unmittelbaren Wucht des Sturmes war man jetzt sicher, aber neues Unheil bahnte sich an, und zwar fast gleichzeitig an Bord beider Galeonen. Die Spreu hatte sich vom Weizen gesondert, zwei Parteien hatten sich gebildet. Besonders traten jene hervor, die vom Stadtgefängnis in Cadiz an Bord der Schiffe „abgestellt“ worden waren. Sie lungerten auf den Decks herum, obwohl es noch alle Hände voll zu tun gab.
Natürlich hatte auch Kapitän Juan Alentejo an Bord der „Almeria“ den Befehl gegeben, unverzüglich das eingedrungene Wasser aus den Laderäumen zu pumpen – eine völlig selbstverständliche Maßnahme, an der sich jeder Mann reihum zu beteiligen hatte. Doch Ärger drohte von Marcela Buarcos. Sie stand – wie alle anderen Passagiere – bis zu den Knöcheln im Leckwasser und stieß die unflätigsten und gemeinsten Verwünschungen aus. Als das erste Lenzkommando mit einer Pumpe auftauchte, baute sie sich breitbeinig vor den Kerlen auf und begann höhnisch zu lachen.
Zum offenen Bruch zwischen der Schiffsführung und dem Schiffsvolk kam es jedoch zuerst an Bord der „San Sebastian“.
Der Bootsmann trat auf die am Schanzkleid herumlungernden Kerle zu und sagte: „Vorwärts, an die Pumpen, Männer. Wir dürfen jetzt nicht schlappmachen. Es gibt noch genug zu tun, das wißt ihr.“
Der willige Teil der Mannschaft – das registrierte er in diesem Augenblick – hatte bereits mit dem Ausmessen der Sturmschäden unter der Aufsicht des Schiffszimmermanns begonnen. Vorbildlich verhielten sich diese Männer, obwohl auch sie am Ende ihrer Kräfte waren. In ihnen überwog der echte Geist der Kameradschaft und die Sorge um das Wohl der ganzen Besatzung.
Hier aber, den Galgenstricken gegenüber, sah die Lage anders aus. Der Bootsmann zuckte unwillkürlich zusammen, als sie sich untereinander anstießen und verächtlich zu grinsen begannen.
Fierro hatte seine große Stunde. Er trat einen Schritt vor, stemmte die Fäuste in die Seiten und blickte den Bootsmann frech an. „Wir, hast du gesagt? Gut, dann geh du doch an die verdammte Pumpe. Ich habe die Schnauze voll, und zwar gestrichen. Einen Dreck werde ich tun. Du kannst mich mal! Jetzt ist Schluß.“
Der Bootsmann zuckte noch einmal zusammen, kaum merklich diesmal. Er wußte genug über Fierro – daß er im Gefängnis von Cadiz gesessen hatte, weil er ein notorischer Raufbold und Streithammel war, daß er längst am Galgen gehangen hätte, wenn auch seine Mordtaten bekannt geworden wären. Doch war das ein Grund, vor diesem Kerl zurückzuschrecken?
Der Bootsmann fühlte sich in seiner Autorität angegriffen. Er mußte handeln – sofort. Es war seine Pflicht, ein Exempel zu statuieren, sonst hatte er für alle Zeiten vor der Mannschaft verspielt. Das konnte er sich nicht leisten.
Schon sprang er vor – direkt auf Fierro zu. Er packte ihn und riß die Faust hoch, sie war auf Fierros Kinn gezielt. Mit einem einzigen Hieb gedachte er, den Kerl zu fällen. Dann wollte er ihn vor der versammelten Mannschaft mit der Neunschwänzigen züchtigen. Der Angriff, so meinte er, erfolge viel zu überraschend für Fierro.
Aber er hatte sich in Fierro getäuscht. Der hatte auf den wütenden Ausfall nur gewartet. Absichtlich hatte er den Bootsmann provoziert, denn anders war die Meuterei nicht herbeizuführen. Jetzt war der Funke ins Pulverfaß geflogen, und das Verhängnis nahm seinen Lauf.
Fierro reagierte geistesgegenwärtig. Sein Kopf ruckte nur ein wenig zur Seite – und der Fausthieb des Bootsmannes ging fehl. Fierro versetzte ihm einen Stoß gegen die Brust, daß er ins Taumeln geriet, folgte seiner Rückwärtsbewegung und schlug selbst mit voller Wucht zu.
Er traf – der Bootsmann flog zurück und rutschte auf dem Deck aus. Die Kerle johlten schadenfroh. Auf dem Achterdeck sprangen der Erste Offizier, der Steuermann und der Rudergänger an die Querbalustrade, um nachzusehen, was geschah, doch aufhalten konnten sie den Lauf der Dinge auch nicht mehr.
Der Bootsmann prallte rücklings gegen die Nagelbank des Großmastes. Sein Kopf und sein Nacken gerieten mitten zwischen die Köpfe der Koffeynägel, ein häßliches Geräusch war zu vernehmen. Dann sank er schlaff zu Boden und rührte sich nicht mehr.
„Der steht so schnell nicht wieder auf!“ brüllte Fierro. „Recht so! Geht nicht an die Pumpen, Amigos! Laßt den Kapitän die Lausearbeit verrichten! Der tut den ganzen Tag über sowieso nichts!“
Gomez Rascón befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Kapitänskammer, war aber ebenfalls durch den auf der Kuhl entstehenden Lärm alarmiert. Soeben blickte er von seinen Kurskarten auf, ließ sie auf dem Pult liegen und schritt zur Tür, die halb offenstand. Er tastete instinktiv zur Pistole und zum Degen und vergewisserte sich, daß er sie wie üblich bei sich trug.
Solares, der Erste Offizier, hatte seine Radschloßpistole bereits in der Hand. Er spannte den Hahn. Das metallische Geräusch war bis zu Fierro und den anderen Kerlen zu vernehmen. Sie standen mitten auf der Kuhl. Fierro hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte herausfordernd zum Achterdeck hoch.
Solares verließ das Achterdeck auf dem Weg über den Backbordniedergang.
„Vorsicht“, sagte Steuermann Elcevira hinter seinem Rücken. „Mit den Kerlen ist nicht zu spaßen.“
„Mit mir auch nicht“, sagte Solares wütend. Er näherte sich der Nagelbank, blieb stehen, bückte sich nach dem immer noch bewegungslos daliegenden Bootsmann und untersuchte ihn flüchtig, ließ die Kerle dabei aber kaum aus den Augen.
„Mein Gott“, murmelte er dann und richtete sich langsam wieder auf. Seine Stimme hatte sich verändert, sie klang etwas brüchig. „Er steht nie wieder auf“, sagte er. „Er ist tot. Es hat ihm das Genick gebrochen.“
„Gut“, sagte Fierro kalt. „Das Schwein hat’s verdient.“
Solares hob die Pistole und zielte genau auf Fierros Stirn. Hinter dessen Rücken traten die Aufrührer näher heran, als wollten sie ihn schützen. Fierro stand in unveränderter Haltung da. Er schien nicht die geringste Angst zu haben.
„Dafür bezahlst du“, sagte Solares grimmig.
„Señor“, sagte Fierro. „Überleg dir genau, was du tust. Du bist nicht der Kapitän und nicht das Bordgericht. Du weißt, daß du mich nicht abknallen kannst wie irgendeinen Hund.“
„Doch“, sagte Solares kaum verständlich. „Wie einen Hund.“
Kapitän Gomez Rascón trat in diesem Moment aus dem Schott, das den Mittelgang des Achterkastells abschloß.
„Solares!“ rief er. „Um Himmels willen, was tun Sie da?“
Solares antwortete nicht, aber Elcevira, der über Rascón an der Schmuckbalustrade stand, entgegnete: „Die Kerle haben unseren Bootsmann umgebracht, Señor.“
Solares schien durch das Auftauchen des Kapitäns irritiert zu sein. Fierro nutzte die Chance. Er war mit einem Satz bei dem Ersten und versuchte, sich auf ihn zu stürzen und ihm die Pistole zu entreißen. Doch Solares handelte gedankenschnell. Er wich zurück und drückte ab. Krachend brach der Schuß, eine Wolke Pulverqualm puffte in den Morgenhimmel hoch. Fierro ließ sich blitzschnell fallen und rollte zur Nagelbank hin ab. Die Kugel traf einen anderen Kerl, der sich ebenfalls auf den Ersten werfen wollte. Röchelnd brach er zusammen.
Jetzt gab es für die anderen keinen Halt mehr. Brüllend stürmten sie vor und bewaffneten sich mit Koffeynägeln, die Fierro aus der Nagelbank riß und ihnen zuwarf.
Ein Belegnagel flog haarscharf an Solares’ Kopf vorbei. Er wollte den Säbel zücken und sich den Angreifern entgegenwerfen, doch hinter ihm schrie der Kapitän: „Solares! Zurück!“
„Auf sie!“ brüllte Fierro und griff nach einer herumliegenden Zimmermannsaxt, die er gerade entdeckt hatte. „Schlagt sie nieder! Stürmt das Achterdeck! Der Kahn ist unser!“
„Aufruhr“, stöhnte Gomez Rascón. „Die Kerle haben Morgenluft gewittert.“ Er riß die Pistole aus dem Gurt und feuerte einen Warnschuß in die Luft ab. „Zurück!“ schrie er.
Solares war neben ihm, er hielt den Säbel jetzt in der Hand.
„Señor, die bringen uns alle um!“ stieß er hervor. „Wir müssen schießen, wir haben keine andere Chance mehr!“
„Vorwärts!“ brüllte Fierro. Er war auf den Beinen und schwang drohend die Zimmermannsaxt. Schon hatte er den Kapitän fixiert und versuchte, ihn zu erreichen. Die Horde setzte nach, und wieder flogen ein paar Koffeynägel. Elcevira konnte gerade noch rechtzeitig genug den Kopf einziehen. Der Rudergänger wurde getroffen und sank stöhnend auf die Planken des Achterdecks.
Rascón und Solares sahen sich schon umzingelt und niedergemetzelt, da geschah etwas Unerwartetes. Bislang hatte die reguläre Besatzung der „San Sebastian“ ziemlich fassungslos und irritiert verfolgt, was sich abgespielt hatte. Doch jetzt ergriff der Zimmermann die Initiative und sprang von der Back auf die Kuhl.
„Mir nach!“ schrie er. „Das lassen wir nicht zu!“
Tatsächlich zögerten die Seeleute nicht. Sie schlossen sich ihm an, fielen den Meuterern in den Rücken und in die Seite und entfesselten ein erbittertes Handgemenge. Ein mörderischer Kampf entbrannte auf der Kuhl. Rascón und Solares griffen aktiv mit ein, und auch die anderen Achterdecksmannen waren mit Waffen zur Hand. Sie wollten über die Niedergänge ebenfalls auf das Hauptdeck stürmen, aber Rascón hielt sie durch einen Zuruf zurück.
„Bleibt oben!“ schrie er. „Wir müssen das Achterdeck halten!“
„Schlagt die Hunde zusammen!“ brüllte der Zimmermann. „Fesselt sie! Sperrt sie ein!“
„Vorwärts!“ brüllte Fierro. „Nieder mit dem Kapitän!“
„Ich warte auf dich!“ schrie Rascón ihm zu. Er fühlte sich innerlich bestätigt und angespornt durch die Tatsache, daß der alte Teil seiner Mannschaft loyal zu ihm stand. Jetzt zahlte sich aus, daß er sie immer ehrlich und anständig behandelt hatte.
Der Kampf tobte hin und her. Fierro und die Meuterer setzten sich wie Raubtiere zur Wehr und droschen mit allem um sich, was ihnen in die Hände geriet.
Unter Deck war der Lärm natürlich auch nicht ungehört geblieben. Die Passagiere der „San Sebastian“ kauerten an den Schotten und unter den Luken und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
„Jetzt geht es uns an den Kragen“, sagte einer der Siedler mit entsetztem Gesicht.
„Nein“, begann eine Frau zu jammern. „Ich will nicht sterben. Lieber tue ich alles, was sie von mir verlangen.“
Die Kinder fingen wieder zu weinen an, und viele von ihnen zuckten unter jedem Schuß, der oben fiel, und jedem Fluch wie unter Peitschenhieben zusammen. Alle bangten um ihr Leben – nur die Abenteurer und die Huren unter ihnen nicht.
„Seid still“, sagte einer von ihnen, ein dunkelhaariger, gefährlich wirkender Mann namens Vitaliano. „Ihr wißt doch noch gar nicht, was wird. Vielleicht ist es unser aller Glück, daß die Männer da oben meutern. Ich kenne ihren Anführer. Er heißt Fierro. Der weiß, was er will.“
Die rothaarige Hure, die sich an seine Seite gedrückt hatte, lachte heiser. „Ja, er ist ein toller Kerl, nicht wahr? Einer, auf den man sich verlassen kann.“ Sie hieß Rosaria.
Vitaliano musterte sie von der Seite. Er konnte genau in ihren großzügigen, üppig gefüllten Ausschnitt blicken.
„Das ist jetzt eine Sache der Entscheidung, Muchacha“, brummte er. „Man muß wissen, auf welcher Seite man steht.“
„Ja“, sagte der Glücksritter, der hinter ihm stand. „Ich bin wie du für Fierro, und mit mir noch zwei oder drei andere. Was die anderen tun, ist mir scheißegal.“
„Warum gehen wir nicht rauf und unterstützen Fierro?“ fragte Vitaliano.
„Eine gute Idee!“ rief Rosaria und lachte. „Ich hab’ mich auch entschlossen! Ich bin mit dabei! Du gefällst mir, und ich glaube, wir können zusammen einiges auf die Beine stellen!“ Sie quietschte vor Vergnügen, als Vitaliano ihr grinsend in den Ausschnitt griff.
„Auf was warten wir noch?“ schrie ein anderer Abenteurer. „Los, wir verlieren hier nur kostbare Zeit! Das Schiff gehört uns!“
Sie stürmten aus dem Laderaum zum nächsten Niedergang, Vitaliano und Rosaria allen voran. Sie hatten Pistolen, und kaum langten sie auf der Kuhl an, feuerten sie die Waffen ab. An Bord war der Teufel los, es gab Tote und Verletzte.
3.
Ramón Vega Venteja hatte sich langsam von seinem Platz in der Ecke des großen Frachtraumes der „Almeria“ erhoben. Sabina und Pablito waren endlich eingeschlafen. Es war ihm gelungen, ihnen auf einem Stapel fest verzurrter Kisten ein provisorisches und trockenes Lager einzurichten.
Durch das Leckwasser schritt Ramón auf Marcela Buarcos zu. Er war fest entschlossen, ihrem Vorhaben Einhalt zu gebieten. Was sie plante, war ihm klar: Sie wollte Unfrieden und Zwietracht säen und eine Meuterei vom Zaun brechen. Das mußte verhindert werden, um jeden Preis. Ramón wollte nicht, daß seine Kinder den Galgenstricken in die Hände fielen, die sich auf diesem Schiff befanden. Er war aber auch um die Mitreisenden besorgt, von denen die meisten immer noch nicht begriffen hatten, was hier seinen Lauf nahm.
Marcela verhöhnte das Lenzkommando.
„Narren!“ rief sie ihnen zu. „Ihr könnt euch kaum noch auf den Beinen halten! Wann schlaft ihr endlich? Nie? Das will der Kapitän ja – daß ihr tot umfallt! Wenn, wir Kuba erreicht haben, braucht er euch nicht mehr! Er müßte euch sowieso irgendwie loswerden!“
„Sei still“, sagte der Anführer des kleinen Trupps, ein in Ehren ergrauter Seemann. „Du weißt offenbar nicht, was du redest. Das Wasser muß abgepumpt werden. Wir tun das für euch, will dir das nicht in den Kopf?“
„Ich wüßte eine bessere Beschäftigung“, sagte sie und bewegte aufreizend ihre Hüften.
„Zum Beispiel?“ fragte einer der Kerle an der Pumpe grinsend.
Er gehörte zu den Kerlen, die in Cadiz im Gefängnis gesessen hatten – und bei ihm waren zwei andere Galgenstricke. Somit bestand das Kommando aus vier Männern. Der alte Seemann ahnte schon, was sich anbahnte, aber er versuchte, etwas dagegen zu tun.
„Los“, sagte er. „An die Arbeit. Wenn der Kapitän erfährt, daß wir hier herumlungern, gibt es Ärger.“
„Ich warte noch auf eine Antwort“, sagte der Kerl an der Pumpe.
„Komm mit nach nebenan, dann erkläre ich dir, was ich meine“, sagte Marcela.
„Aha“, sagte der zweite Galgenstrick. „Wie wär’s, wenn ich auch mitgehe? Und mein Kumpel hier würde auch ganz gern erfahren, was man auf diesem Scheißkahn noch alles anstellen kann. Wir scheinen ja bislang ganz schön blöd gewesen zu sein.“
„Das wollte ich euch gerade erklären“, sagte sie. „Also los, meinetwegen, ich bin bereit, euch alle drei zu bedienen.“
Der Seemann trat zwischen sie und die Kerle.
„Seid ihr wahnsinnig?“ stieß er hervor. „Dafür läßt der Kapitän euch auspeitschen!“
„Und ihr habt kein Schamgefühl“, sagte Ramón, der Marcela in diesem Moment erreicht hatte. „Ihr seid wie die Tiere. Es sind Frauen und Kinder an Bord. Vor allem die Kinder solltet ihr achten. Was seid ihr bloß für ein erbärmliches Pack.“
„Halt du dich raus“, sagte Marcela. „Du hast hier gar nichts zu melden.“
Trotzdem packte Ramón sie an der Schulter und zog sie zu sich zurück.
„Jetzt ist Schluß“, sagte er. „Was du hier treibst, ist eine Schande.“
„Laß sie los!“ fuhr der Kerl an der Pumpe ihn an.
„Du tust mir weh!“ schrie Marcela.
„Aufhören!“ rief der Seemann und griff zur Pistole.
In diesem Moment ertönten die Schuß- und Kampfgeräusche von Bord der „San Sebastian“. Alle horchten auf, die Köpfe ruckten herum, einige stürzten zu den Luken, um ins Freie zu blicken. Auch auf dem Oberdeck der „Almeria“ wurde es lebendig. Schritte trappelten auf und ab, Befehle und fragende Rufe erklangen.
„Hört ihr das?“ schrie Marcela. „Die da drüben sind nicht so dumm wie wir! Die haben bereits angefangen!“
„Mit was?“ stieß einer der Siedler entsetzt hervor.
„Mit der Meuterei!“ schrie der Kerl an der Pumpe und streckte den Seemann mit einem einzigen Hieb nieder.
Er entriß ihm die Miqueletschloß-Pistole, spannte den Hahn und zielte auf Ramón, der in einem jähen Wutausbruch Marcela eine schallende Ohrfeige verpaßte. Marcela kreischte und stürzte. Der Kerl mit der Pistole feuerte über sie hinweg, donnernd hallte das Schußecho von den Schiffswänden wider.
Siedendheiß bohrte sich die rotgelbe Stichflamme in Ramóns Brust. Er wurde zurückgeworfen, stolperte über eine Kiste und fiel auf die Planken. Die Frauen und Kinder schrien vor Angst und Panik. Auch Sabina und Pablito fuhren von ihrem Lager hoch, sahen ihren blutenden Vater und stießen schrille, entsetzte Schreie aus.
Der Kerl ließ die schmauchende Pistole fallen, half Marcela auf die Beine und rief: „Los, nichts wie weg hier!“
„Ja!“ brüllte einer seiner Kumpane. „Zeigen wir es dieser aufgeblasenen Achterdecksbande! Auf zum Kampf!“
Sie stürmten quer durch den Laderaum zum Schott, rissen es auf und hasteten durch den im Halbdunkel liegenden Schiffsgang zum nächsten Niedergang. Ihre Schritte polterten auf den Stufen, durch Rufe verständigten sie sich mit anderen Passagieren, die sich ihnen spontan anschlossen.
Sabina wankte mit kreideweißem Gesicht zu ihrem Vater und ließ sich neben ihm auf die Knie sinken.
„Santa Maria“, stammelte sie fassungslos.
Juan Alentejo, der Kapitän, stand zu diesem Zeitpunkt längst auf dem Achterdeck der „Almeria“ und verfolgte durch sein Spektiv, was an Bord der „San Sebastian“ vor sich ging. Als in den unteren Räumen seines Schiffes der Tumult begann und der Pistolenschuß krachte, wußte er, daß sich auch hier die offene Auseinandersetzung nicht mehr vermeiden ließ.
„Aufpassen!“ rief er seinen Leuten zu. „Das ist eine Meuterei! Haltet die Waffen bereit!“
Fast schien es, als hätten sich die Galgenvögel von der „San Sebastian“ durch eine geheime Absprache mit den Meuterern der „Almeria“ verständigt. Das Backbordschott des Vorkastells flog auf und knallte gegen die Querwand. Die Meute, von Marcela Buarcos geführt, stürmte auf die Kuhl. Zwei, drei Seeleute, die verdutzt zu ihnen herumfuhren, wurden durch Hiebe gefällt. Marcela und ihre Spießgesellen entrissen ihnen die, Waffen. Dann begann der Sturm auf das Achterdeck.
Fierro war nach wie vor darauf aus, Kapitän Gomez Rascón zu erreichen. Wild schlug er mit seiner Zimmermannsaxt nach allen Seiten um sich und hatte schon drei Männer schwer verletzt. Aber die Zahl der Gegner war groß, und je mehr Blut floß, desto erbitterter wurde ihr Widerstand. Da erfolgte die Verstärkung – Vitaliano, Rosaria und die anderen Glücksritter aus dem Laderaum – wie gerufen.
Schüsse krachten, Männer stürzten, Schreie und Flüche tönten über das Hauptdeck der „San Sebastian“. Vitaliano und sein kleiner Trupp drangen bis zu Fierros Meute vor, und es bildete sich eine geballte, wehrhafte Einheit.
Aber Rascón hatte unterdessen Musketen und Tromblons verteilen lassen. Er selbst kniete vor der Querwand des Achterkastells und legte mit einer Muskete auf die Meuterer an.
„Zurück!“ brüllte er noch einmal. „Ihr habt keine Chance! Ergebt euch!“
„Aufs Achterdeck!“ schrie Fierro und versuchte, einen Keil in die Masse der Leiber zu treiben, die ihm immer noch den Weg versperrte. Doch jetzt drückte der Kapitän auf ihn ab. Laut knallte der Musketenschuß, und noch einmal hatte Fierro es seiner Geistesgegenwart und Schnelligkeit zu verdanken, daß er nicht mitten in die Brust getroffen wurde. Er warf sich zur Seite. Neben ihm brach einer seiner Kerle getroffen zusammen.
Jetzt krachten auch die anderen Musketen und die Blunderbüchsen. Solares, Elcevira und die anderen Verteidiger des Achterdecks feuerten, was das Zeug hielt, wobei sie aber darauf achtgeben mußten, die eigenen Getreuen nicht zu gefährden.
Es gab Tote und Verletzte auf beiden Seiten, aber dank ihres massiven Widerstandes konnten Rascón und seine Männer ihre Position halten. Sie verhinderten, daß Fierro und die Horde in einem neuen Anlauf das Achterdeck stürmte. Wieder landeten zwei Meuterer getroffen auf den Planken.
Fierro begriff, daß das Unternehmen zum Scheitern verurteilt war. Er beschloß zu retten, was noch zu retten war.
„Rückzug!“ schrie er. „Zur Back!“
Rascón verfolgte, wie die Front der Angreifer endlich zurückbrandete. Er hatte eine frisch geladene Muskete an sich gerissen, legte noch einmal auf Fierro an und feuerte, verfehlte ihn jedoch. Es war wie verhext – Fierro schien mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Er war nicht zu treffen. Nach wie vor war er unverletzt und schwang mit wüsten Flüchen und Drohungen seine Beuteaxt.
Die Bande wich zurück und verschanzte sich im Vordeck. In den unteren Schiffsräumen war unterdessen das Trappeln von Schritten zu vernehmen, das Rufen von Männern und Frauen und das Weinen und Klagen von Kindern.
„Achtung“, sagte Solares. „Sie kommen nach achtern und wollen uns in den Rücken fallen.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Gomez Rascón. Dann betrat er als erster das Achterkastell und eilte zum Niedergang. Mit vorgehaltener Muskete sprang er nach unten, in den Gang, der nach achtern führte.
Eine Frau taumelte ihm entgegen, sie hielt ein kleines Kind in den Armen.
„Señor!“ stieß sie mit flehender Stimme aus. „Bitte schießen Sie nicht! Bitte!“
„Ich bin der Kapitän“, sagte er. „Suchen Sie Schutz?“
„Ja. Wir wollen mit diesen Teufeln nichts zu tun haben.“
„Kommen Sie, Señora“, sagte Rascón. Er ließ die Waffe sinken und streckte die Hand aus. Die Frau ergriff sie, und er dirigierte sie an sich vorbei. Dann eilte er weiter nach achtern und stieß in dem kleineren achterlichen Stauraum, der hinter dem eigentlichen Laderaum lag, auf die Passagiere. Ängstlich waren sie zusammengerückt und wichen vor ihm in die Ecke zurück.
„Die Männer helfen mir“, sagte er. „Wir müssen die Schotten verriegeln, damit wir vor den Meuterern geschützt sind. Wer ist noch vorn?“
„Nur diese Galgenstricke“, erwiderte einer der Männer, ein stämmig gebauter Schmied. „Wir sind vor ihnen ausgerückt, weil wir ihre Handlungsweise ablehnen. Das sind Verbrecher. Deshalb fürchten wir um unser Leben.“
„Sie sind imstande und bringen jeden um, der ihnen im Weg ist“, sagte ein anderer Mann.
„Bestimmt“, sagte Rascón grimmig.
Er hastete zu den Schotten, die Männer folgten ihm. Er zeigte ihnen, was zu tun war. Inzwischen waren auch Solares und ein paar Männer der Besatzung eingetroffen. Mit vereinten Kräften wurden die Schotten verriegelt und abgesichert, die von den Laderäumen zu den Räumen unter dem Achterdeck führten.
„Das wäre geschafft“, sagte der Kapitän aufatmend. „Auf diesem Weg dringen sie jedenfalls nicht mehr zum Achterdeck vor.“