Seewölfe Paket 20

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Ausnahmslos alle Männer waren auf Stationen. Alles was gebraucht wurde, lag so bereit, daß es nicht die geringste Verzögerung gab. Und sie waren gut aufeinander eingespielt.
Dan O’Flynn blickte angespannt zur „Pommern“. Ferris Tucker stand in lauernder Haltung an dem Abschußgestell für die Flaschenbomben. Arwenacks und Kolberger taktierten unkonventionell und waren an keine starren Verhaltensmuster gebunden, wie das bei den Dons der Fall war, die alles recht umständlich angingen. Da wurden erst lange Befehle gebrüllt, die umständlich weitergegeben wurden, und bis sie die Mannschaften erreichten, verging wertvolle Zeit. Niemand durfte bei den Dons eigenmächtig handeln. Es waren Seesoldaten, die nicht so gut aufeinander eingespielt waren und die nur einen begrenzten Rahmen zum Handeln hatten. Auch der lief haargenau nach einem bestimmten Schema ab und erlaubte keine Eigenmächtigkeiten.
Das war einer der Vorteile von Arwenacks und Kolbergern. Der andere bestand in den Tricks, Haken und Ösen, mit denen sie kämpften und ihre Gegner immer wieder überraschten.
Hasard peilte ein letztes Mal die Distanz. Er befand sich allein auf dem Achterdeck, außer dem Rudergänger Pete Ballie, denn jetzt wurde jede Hand gebraucht. Philip junior war ebenfalls eingesetzt worden, genau wie sein Bruder Hasard bei Dan.
Sie waren auf Schußweite heran und segelten stur weiter, um ihren Gegner in die Zange nehmen zu können. Der Zeitpunkt zum blitzschnellen Handeln war jetzt günstig.
„Klar zur Halse, Dan!“ rief Hasard zum Achterdeck des Zweideckers hinüber. „Wir greifen an – wie besprochen!“
„Aye, aye, Sir!“ schrie Dan zurück.
Von da an verwandelte sich die Szene zum Entsetzen der Dons schlagartig. Sie wurden so überrumpelt, wie sie es nie für möglich gehalten hätten:
Sofort nach dem Kommando liefen die Kurse beider Schiffe auseinander. Die Dons waren inzwischen noch etwas weiter aufgerückt.
Die „Caribian Queen“ begann ihre Halse zu fahren, während Hasard mit der „Pommern“ anluvte.
Dieses Manöver ließ die Dons noch näher heranrücken. So segelten die beiden Karavellen genau in die ihnen zugedachten Breitseiten hinein, ohne noch ausweichen zu können.
„Feuer!“ tönte es vom Achterdeck des Zweideckers.
„Feuer!“ dröhnte es auch auf der „Pommern“.
Als das ohrenbetäubende Donnern und Brüllen einsetzte, befanden sich die heransegelnden Dons nach wie vor in derselben Lage. Sie hatten noch nicht erkannt, daß die Gejagten plötzlich zu Jägern wurden. Das Taktieren mit dem grellen Sonnenlicht kriegten sie jetzt auf verheerende Art und Weise zu spüren.
Die Decks der „Caribian Queen“ erzitterten, als die Breitseite feuerspeiend und qualmend die Rohre verließ. Die schweren Eisenkugeln rasten hinaus und fraßen sich mit unglaublicher Wucht in die Karavelle hinein.
Der Donner der Geschütze war noch nicht verhallt, als er auch schon von Krachen und Splittern übertönt wurde. Der Fockmast der Karavelle flog davon und zersplitterte, als hätten ihn Riesenfäuste aus dem Kielschwein gerupft. Die Takelage barst, knallte und flog in einem wüsten Trümmerregen an Deck.
Auch in den Großmast schlug es krachend und splitternd ein. Die obere Hälfte des Mastes zersplitterte. Der Rest neigte sich nach achtern und begann zu fallen. Es war wie eine Kettenreaktion. Der zersplitterte Großmast donnerte mit Getöse auf den Besan und zertrümmerte ihn. Das alles geschah in Sekundenschnelle. Dann war die Karavelle, vom Deck aus gesehen, fast schon ein Wrack.
Aber zwei weitere Kugeln der großkalibrigen Rohre waren direkt an der Wasserlinie eingeschlagen und hatten große Löcher hinterlassen, gezackte Wunden, in die sich Wassermassen gierig ergossen.
Dazu kam die Wuhling auf der Karavelle. Die Seesoldaten waren unter Segeltuch, Fetzen, Leinen und Splittern begraben. Verwundete schrien ihre Schmerzen hinaus, doch in der allgemeinen Aufregung kümmerte sich niemand um sie. Jeder hatte genug zu tun, um sich selbst zu befreien. Die Soldaten rannten kopflos durcheinander oder suchten verzweifelt Deckung. Außerdem sahen sie nicht viel. Auch das Aufblitzen der Kanonenrohre war durch die grelle Sonne nicht bemerkt worden. Der Schreck war mehr als groß, so plötzlich beschossen zu werden.
Der achtern der „Pommern“ hersegelnden Karavelle erging es ähnlich. Auch dort war niemand auf diesen Angriff gefaßt. Im Gegenteil, sie waren es ja, die den Kerlen Manieren beibringen wollten. Daß sich das jetzt ins Gegenteil verkehrte, erfolgte reichlich überraschend und entnervte die Spanier.
Hasards Breitseite heulte zur selben Zeit durch die Luft. Al Conroy hatte mit der ihm eigenen Sorgfalt vorher alles überprüft und die Culverinen genau aufs Ziel justiert.
Zehn Rohre spuckten wildes Feuer und ließen dichten dunklen Pulverrauch aufsteigen.
Achteraus schlug es ein. Dicht an der Wasserlinie erschienen mehr als kopfgroße Löcher. Dann gab es den berühmten „Sonntagstreffer“, wie er nur selten erzielt wurde. Während Hasard noch zum Gegner blickte, um festzustellen, was die zehn Siebzehnpfünder angerichtet hatten, quoll aus einem der frisch gestanzten Löcher hellgrauer Rauch hervor. Der Rauch wurde dunkler, und eine kleine Flamme war durch die geknackte Bordwand zu erkennen.
„Da haben wir wohl ein Faß mit Olivenöl getroffen“, meinte Smoky, „viel war das ja nicht, aber …“
Sein „aber“ war vorerst das letzte Wort, denn der Sonntagstreffer entfaltete erst jetzt seine volle Wirkung. Wahrscheinlich hatte die glühend heiße Kanonenkugel Zugang zur Pulverkammer gefunden, ein bißchen angekokelt, herumgestreutes Pulver in Brand gesetzt und ein kleines Feuer ausgelöst.
Was jetzt folgte, war ein so gewaltiger Donnerschlag, als würden tausend Blitze zugleich durch die Luft zucken. Übergangslos entstand auf der Karavelle ein glühender, sich immer wilder aufblähender Feuerball, der das Schiff von innen nach außen buchstäblich zerfetzte.
Die grelle Explosion weitete sich nach den Seiten aus und stieg gleichzeitig immer schneller in die Höhe. Die zerfetzten Holzplanken und Splitter brannten schon, als sie noch nach allen Seiten davonflogen.
Eine Paradeschuß ist das, dachte Hasard und konnte es kaum fassen, daß die Karavelle schlagartig vom Meer geblasen wurde.
Für die Dons war das ein unverdaulicher Schock, der ihnen in die Knochen fuhr und sie lähmte.
Noch während sich die Überlebenden der einen Karavelle eiligst in die Boote absetzten, so gut das ging, begann auf der Galeone ein Höllenspektakel, das den Spaniern den letzten Nerv raubte. Durch den Explosionsdruck hatte es einige Kerle unmittelbar über Bord geweht. Die anderen waren in Deckung gegangen, um nicht die rotglühenden Trümmerstücke abzukriegen, die durch die Gegend wirbelten.
Das war das eine, was sie so nervte. Das andere war genauso schlimm, denn auf der spanischen Kriegsgaleone schlugen jetzt grelle Blitze ein, die funkensprühend heranrasten, in den Segeln steckenblieben und sich entzündeten. Das waren Shanes Brandpfeile, die mit tödlicher Präzision ihr Ziel trafen.
Eins der Segel stand bereits in Flammen. Die Spanier schrien wild durcheinander und rannten mal hierhin mal dorthin, um die überall aufflackernden Brände zu löschen.
Doch da gab es noch etwas, das sie pausenlos in Deckung zwang. Durch die Luft torkelten unförmige flaschenähnliche Dinger. Sie senkten sich auf den Decks nieder und explodierten mit bestialischer Geräuschentwicklung. Gleichzeitig ging ein glühender Regen aus Eisensplittern, Schrot und rostigen Nägeln nieder, der die Dons von den Beinen warf.
Ferris Tucker feuerte von dem Abschußgestell eine Flasche nach der anderen ab. Hin und wieder verfehlte eine die Galeone und explodierte im Wasser. Aber die anderen trafen und richteten Verwüstungen an.
Ein weiterer Pfeil, von Shane aus dem Großmars abgefeuert, setzte das zweite Segel in Brand. Eine explodierende Flaschenbombe verhinderte, daß die Dons den aufflackernden Brand löschen konnten.
Es sah gar nicht mehr rosig für die siegessicheren Verfolger aus. Sie waren im Nachteil, mußten sich vage in den grellen Sonnenstrahlen orientieren und nahmen ihren Gegner kaum wahr.
Hasard und Dan nutzten das gründlich aus.
Eine Karavelle war in die Luft geblasen, die andere trieb fast entmastet im Meer, und auf der große Galeone herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Im Meer schwammen ein paar Soldaten, die aus Leibeskräften um Hilfe brüllten, aber niemand kümmerte sich darum.
Eins der abgefierten Boote trieb mit schwerer Schlagseite im Wasser, weil unzählige Kerle darum kämpften, einen Platz zu ergattern.
Das war der Zeitpunkt, an dem „Caribian Queen“ und „Pommern“ den entscheidenden Seitenwechsel vornahmen.
Qualm und Pulverrauch hingen über dem Wasser, als Dan O’Flynn mit dem Zweidecker anluvte und Hasard eine Halse segelte, so daß wiederum beide Breitseiten eingesetzt werden konnten.
Die Dons überfiel das Grauen, als sie sahen, daß ihre Gegner zwei schnelle und gekonnte Manöver fuhren, die Seiten wechselten und erneut zum Angriff heransegelten.
Hasard verständigte sich durch ein Zeichen mit Dan, der sich die Kriegs-Galeone vornehmen sollte. Hasard ging auf die fast entmastete Karavelle los. Die andere existierte nicht mehr.
Von der leicht ramponierten Galeone lösten sich zwei Schüsse. Blitze zuckten an der Bordwand auf.
„Die sehen tatsächlich kaum etwas“, sagte Pete Ballie zu Hasard und deutete auf zwei Wassersäulen, die aus der See aufstiegen. Die Entfernung betrug mindestens fünfzig Yards.
„Das war unser größter Vorteil, Pete. Wir haben sie völlig überrumpelt. Jetzt kriegen sie den Rest.“
Dieser erste Angriff hatte ein Chaos hinterlassen und für unglaubliche Wuhling gesorgt. Keiner der Dons hatte damit auch nur im entferntesten gerechnet. Sie versuchten zwar noch, zu feuern, doch die Splitter der Flaschenbomben zwangen sie immer wieder in Deckung. Auf den Decks lagen die ersten Toten und Verwundeten.
Aus den Segeln regneten brennende Fetzen nach unten, deren Glut sich wiederum in die trockene Beplankung fraß.
Dan O’Flynn donnerte die zweite Salve hinaus. Fünfzehn Zwanzigpfünder entluden sich mit urweltlichem Donner, ließen die Decks erbeben und die Männer wanken. Vor den Stückpforten bildete sich ein Vorhang aus dunklem, übelriechendem Pulverqualm.
Das Eisengewitter hatte kaum das Rohr verlassen, als ausnahmslos alle Kugeln auch gleich darauf auf der Galeone mit Getöse und lautem Krachen einschlugen. Das war wie eine gewaltige Riesensense, die da durch die Takelage fegte. Die Kuhl wurde aufgerissen, das Schanzkleid zerfetzte, eins der Boote verwandelte sich übergangslos in einen nutzlosen Trümmerhaufen.
Dann brach es über Masten, Segel und Takelage mit der Wucht eines verheerenden Orkans her.
Noch beim Abdrehen feuerte Ferris Tucker unter dem Gebrüll des Profos zwei Flaschenbomben auf die Decks, die das Chaos vollkommen werden ließen.
Die spanische Galeone wurde regelrecht entmastet. Da war nur noch ein Krachen, Splittern, Dröhnen und Tosen in der Luft, in das sich die Schreie tödlich Getroffener und Verwundeter mischte.
Einen gezielten Schuß vermochte der überrumpelte Spanier nicht mehr abzugeben. Sie feuerten überhaupt nicht mehr, denn sie hatten alle Hände voll zu tun, um sich in Sicherheit zu bringen.
Auf dem Vordeck brannte es, die Kuhl war ein wüster, zerschossener Trümmerhaufen, und auf dem Achterdeck stand kein Mann mehr auf den Beinen. Dort hatten die hinuntergerauschten Segel alles wie mit glimmenden Leichentüchern zugedeckt. Steuerlos und brennend trieb sie in der See. Ein paar Überlebende waren dabei, Boote abzufieren. Sie taten das brüllend und schreiend, weil jeder so schnell wie möglich das brennende Schiff verlassen wollte.
„Hättest du das geglaubt, daß wir die Kerle auf Anhieb schaffen?“ fragte Ferris den Profos, der immer wieder die Arme hochriß.
„Kann ich selbst kaum glauben“, murmelte Ed erschüttert. „Und jetzt kriegt der andere auch noch den Rest.“
Dabei deutete er auf die „Pommern“, die jetzt ihre Breitseite auf die fast entmastete Karavelle ausspie.
Hasard ließ auf die Wasserlinie feuern. An Deck gab es nicht mehr viel zu zerstören, das sah aus wie ein Abfallhaufen.
Al Conroy wartete in stoischer Ruhe den günstigsten Zeitpunkt ab. Dann spuckten nacheinander zehn Culverinen ihre todbringende Ladung über die See.
Für die Dons auf der Karavelle war das Resultat erschreckend. Die erste Kugel hämmerte durch die Bordwand und erschütterte das ganze Schiff. Die nächsten folgten so schnell hintereinander, daß es sich anhörte, als wäre ein Riesenkaliber abgefeuert worden.
Gleich nach den Einschlägen verließen etliche Spanier brüllend und fluchend die Karavelle, indem sie einfach ins Wasser sprangen. Deutlich war zu hören, nachdem der Donner verebbt war, wie das Wasser in die Karavelle rauschte. Sie neigte sich langsam zur Seite und krängte noch härter über, als Hasard wieder ablief und sich erneut die Kurse der beiden Schiffe kreuzten.
Diesmal war Dan O’Flynn am Brüllen. Kolberger und Arwenacks schrien begeistert mit, denn Grund genug hatten sie ja. Ihr Gegner, der sie kaltblütig vernichtet hätte, war geschlagen. Seine Schiffe waren zerstört, und damit war wieder ein wenig an Spaniens Vorherrschaft gesägt worden. Es waren nur kleine Zähne, die da von Zeit zu Zeit sägten, aber sie schafften unermüdlich, und so summierten sich die kleinen Stücke schließlich zu einem großen.
Die wahnsinnige Verfolgungsjagd hatte die Spanier drei Kriegsschiffe gekostet, ganz abgesehen von den Seesoldaten, die ihr Leben gelassen hatten oder verletzt worden waren.
„Geschafft!“ schrie Shane, auf die Karavelle deutend. „Sie geht bereits zu den Fischen!“
Die Karavelle krängte jetzt so hart über, daß ihre Decks mit dem Wasser Kontakt hatten. Nur ein paar Augenblicke später kenterte sie und zeigte den muschelbewachsenen Rumpf.
Die Galeone trieb brennend in der See. Da gab es auch nichts mehr zu löschen. Die Kerle waren schon heilfroh, wenn sie ihr armseliges Leben retten konnten. Wie ein Feuerball leuchtete die Kriegs-Galeone in der See. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie das Schicksal der beiden anderen Schiffe teilen würde.
Von den beiden Schiffen dröhnte ein lautes „Ar – we – nack“ über das Wasser. Die Dons, die glücklich ihre Boote erreicht hatten, zuckten noch einmal zusammen, denn es hörte sich an, als würde gerade die nächste Breitseite abgefeuert.
Die Antwort waren Flüche und ein Wutgeheul der geschlagenen Dons.
„Kurs Südwest!“ rief Hasard zu Dan hinüber. O’Flynn zeigte klar. Beide Schiffe gingen auf Südwestkurs. Der Wind begann ganz unmerklich zu drehen.
Während sie vom geschlagenen Gegner abliefen, wurden auf den Decks immer noch die Kämpfe diskutiert.
Weder die „Pommern“ noch die „Caribian Queen“ hatten einen einzigen Treffer erhalten. Die Dons waren noch nie so schnell überrumpelt worden, und Hasards Taktik – aus der Sonne heraus zu kämpfen – hatte die Dons so verwirrt und geblendet, daß alles fast schon vorbei war, noch bevor es richtig begonnen hatte.
Aber damit war der Raid noch nicht beendet. Die Spanier sollten noch eine zweite Lektion erhalten.
Eine knappe Stunde später waren die Trümmer, Boote und fluchenden Spanier hinter der Kimm verschwunden. Nichts deutete mehr auf ein Gefecht hin.
Hasard segelte auf Rufweite an die „Caribian Queen“ heran. Es war jetzt dunkel. Beide Schiffe hatten keine Hecklaterne gesetzt, um sich nicht zu verraten. Der Mond schien auf das Wasser. Hin und wieder schob sich eine Wolke vor ihn. Dann herrschte für Augenblicke Dunkelheit.
„Was hast du vor, Sir?“ fragte Dan.
„Wir gehen wieder auf Nordkurs!“ rief Hasard hinüber. „Die Dons können uns nicht mehr sehen!“
„Nordkurs? Dann segeln wir ja wieder zur kubanischen Küste zurück“, sagte Dan verwundert.
„Sehr richtig. Unser Ziel ist die Reede von Santiago de Cuba. Ich habe da noch eine Überraschung geplant.“
Dan O’Flynn stieß hart die Luft aus. Er wußte nicht, was Hasard vorhatte.
„Hoffentlich gibt das keine Überraschung für uns, Sir“, meinte er.
Von der „Pommern“ klang ein unbekümmertes Lachen herüber.
„In der Höhle des Löwen ist man am sichersten, Dan! Damit wird kein Don rechnen, daß wir dort wieder aufkreuzen.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Dan, „auf nach Santiago.“
„Was kann er dort nur vorhaben?“ fragte Dan den Profos, der auf dem Achterdeck stand und mit dem Kieker die See absuchte, ob auch wirklich kein Don mehr weit und breit zu sehen war.
„Vielleicht will er ein paar Schiffchen versenken, so bei Nacht und Nebel“, meinte Ed. „Aber das kann mächtig ins Auge gehen, denn die Dons sind ja alarmiert.“
„So etwas Ähnliches dachte ich auch. Den Dons weiteren Schaden zufügen“, murmelte Dan. „Aber da steckt noch etwas anderes dahinter, damit gibt sich Hasard nicht zufrieden. Der hat irgendeinen harten Raid vor.“
Renke Eggens blickte zur „Pommern“ hinüber, wo er die Silhouette des Seewolfs auf dem Achterdeck sah. Er bewunderte diesen Mann, der kaltblütig und wild wie ein Wolf in die spanische Herde fuhr, sich ein paar Brocken herausriß und wieder verschwand. Er war sich sicher, daß sie das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld bald verdoppeln würden, denn der Schaden, den er den Dons zufügte, stieg unaufhörlich.
„Ich weiß auch nicht, was er vorhat“, sagte er leise, „aber es wird wohl mit den Schiffen zusammenhängen, die auf Reede liegen. In zwei Stunden ist Mitternacht“, setzte er nachdenklich hinzu.
„Eine gute Zeit, um eine schlafende Herde aufzuscheuchen“, meinte Dan. „Wir werden es ganz sicher bald erfahren. Vermutlich ist er gerade dabei, alles bis ins letzte Detail zu planen.“
4.
Das war tatsächlich der Fall. Hasard hatte seinen Plan allerdings reiflich durchdacht und hatte die Absicht, ihn so bald wie möglich in die Tat umzusetzen.
Shane, der wieder nicht wußte, was anlag, trat unruhig von einem Bein auf das andere.
„Das ist vielleicht eine Geheimniskrämerei“, schimpfte er leise, „jetzt pirschen wir uns wieder auf die Sierra Maestra zu, und keiner hat eine Ahnung, was da passieren soll. Hast du etwa vor, die sechs Kähne zu versenken, Sir, sozusagen klammheimlich und bei Nacht und Nebel?“
„Du weißt schon, um was es geht, Shane. Alles zu seiner Zeit. Mit Geheimniskrämerei hat das wirklich nichts zu tun. Denk doch mal ein wenig nach, was ich vor kurzem gesagt habe.“
„Du meinst wegen der Kanonen, des Pulvers und der Waffen, die man eines Tages gegen uns verwenden wird?“
„Das meine ich. Heute vormittag habe ich an der Küste in den Felsen einen breiten Einschnitt gesehen. Das war wie eine riesige Spalte, die zwischen die Felsen führt. Sie war etwa dreißig Yards breit. Wenn wir die gefunden haben, wirst du alles weitere erfahren. Davon hängt nämlich alles ab.“
Es war jetzt knapp eine Stunde vor Mitternacht. Immer wenn der Mond zwischen den Wolken hindurchschien, glänzten und glitzerten die gewaltigen Felsen der Sierra Maestra in gespenstischem Licht. Dann huschten dort spukhafte Schatten durch das Gebirge, was Old O’Flynn sicherlich zu den fürchterlichsten Vermutungen hingerissen hätte. Aber das alte Rauhbein war nicht an Bord.
Dicht unter der Küste – der Wind blies jetzt aus Ost – pirschten sich die beiden Schiffe ostwärts, genau die Strecke, die sie heute schon einmal abgesegelt hatten. Der lange Bogen hatte sie wieder an den Ausgangspunkt zurückgeführt.
Der Ausguck hatte Anweisung, nach diesem Einschnitt in der Steilküste Ausschau zu halten. Hasard selbst ließ es sich nicht nehmen, ständig mit dem Kieker die Felsen abzusuchen.
Der Ausguck, diesmal war es Hanno Harms, ein sturer Dickschädel aus Hinterpommern, der oft als Rudergänger fungierte, tat sich allerdings schwer damit, denn er hatte dem Einschnitt beim Vorbeisegeln keine Beachtung geschenkt und nicht die geringste Ahnung, was der Seewolf damit vorhatte. Außerdem geschah es immer wieder, daß die Steilküste stark hervortrat, riesige Kliffs ins Meer schickte und an anderer Stelle wieder so stark zurücktrat, daß sie wie Buchten aussahen. Jedes Mal entpuppte sich das als optische Täuschung. Auch der zweite tiefere Einschnitt erwies sich als zwei nebeneinanderstehende Felsen.
Hasard orientierte sich am Pico Turquino und rechnete im Geist die abgesegelte Strecke nach.
„Es war nicht sehr weit von der Reede entfernt“, sagte er, „eine deutlich erkennbare Kerbe, die wie ein Schlauch hineinführte.“
„Vielleicht sind wir schon dran vorbei“, meinte Shane.
„Das glaube ich nicht.“
Er fluchte leise, denn eine kleine Wolkenbank schob sich gerade vor den Mond. Fast schlagartig wurde es finster. Das Gebirge schien kompakter zu werden. Wie ein riesiger düsterer Block lag es da, drohend, unheilverkündend und gespenstisch still.
Beide Schiffe kreuzten in kurzen Schlägen dicht unter der Küste gegen den Ostwind. Hasard ließ so in den Wind drehen, daß sie kaum noch Fahrt liefen. Er wollte abwarten, bis die große Wolkenbank vorbei war und das Mondlicht wieder die Sierra erhellte.
Das war kurz darauf der Fall. Fahles Licht ergoß sich über das Meer und ließ die Schatten der Sierra immer weiterwandern, als würden dort riesige dunkle Tücher weggezogen.
Hanno Harms meldete sich aus dem Großmars, kaum daß das Mondlicht wieder schien.
„Halbe Kabellänge Backbord voraus ist ein Einschnitt“, rief er zum Deck hinunter.
Hasard ließ die Stelle ansteuern und erkannte sie wieder.
„Ja, das ist der Einschnitt, den ich meine. Wir gehen in den Wind und setzen die kleine Jolle aus, Shane. Du kannst mit Smoky hinüberpullen und feststellen wie groß die Bucht dahinter ist, falls es dort überhaupt eine gibt. Aber es sieht ganz so aus, als führe der Einschnitt noch weiter in die Felsen. Ihr sollt nur feststellen, ob die Bucht groß genug ist, um darin die beiden Schiffe zu verstecken.“
„Dort sollen wir nachts hindurchsegeln?“ fragte Shane ungläubig.
„Am Höllenriff auf der Schlangen-Insel ist es wesentlich schmaler. Ihr sollt erst mal erkunden, ob es da keine Untiefen gibt. Ich will mir ein genaues Bild über diese Bucht verschaffen, denn sie scheint sehr günstig zu liegen, immer vorausgesetzt, sie führt weiter in die Steilküste.“
„Aye, Sir. Wir wollen uns also erst einmal vor den Dons verstecken, und das scheint hier ein günstiger Platz zu sein, den die Dons unter Umständen gar nicht kennen.“
„Das ist gut möglich.“
Dan O’Flynn vollzog alle Manöver des Seewolfs nach. Auch er sah den Einschnitt in der Küste, denn er hatte noch schärfere Augen als die anderen, wagte aber noch nicht zu beurteilen, ob man da wirklich hindurchsegeln konnte, denn das hatte Hasard zweifellos vor.
Die Segel wurden so gebraßt, daß sie fast längs zur Schiffsrichtung standen und dem Wind keine Angriffsfläche mehr boten. Sie killten leicht. Beide Schiffe liefen keine Fahrt mehr.
Inzwischen wurde die kleine Jolle abgefiert und mit Smoky und Shane besetzt. Als sie ablegte, ließ Hasard wieder anbrassen und segelte bei Ostwind einen kleinen Schlag nach Südost. So bezogen sie Lauerstellung und brauchten keinen Anker zu setzen.
Smoky und Shane pullten los. Die Felsen ragten in ihrem Rücken unglaublich steil in die Höhe. Der Mond schob sich wieder durch die Wolken und verzerrte die Konturen der Felsen.
„Wirklich nicht breiter als dreißig Yards“, sagte Smoky, als sie den ersten Felsen der schmalen Rinne passiert hatten. Von hier aus sahen die beiden Galeonen wie sprungbereite Ungeheuer aus, die auf der See lauerten. Der Zweidecker, den sie der „Black Queen“ abgenommen hatten, wirkte noch unheimlicher. Schwarz und drohend lag er da, nur ganz leicht von der Dünung bewegt.
Shane und Smoky pullten weiter. Einmal ließ Smoky den Riemen los und lotete die Wassertiefe.
„Kein Grund“, sagte er. „Jedenfalls tiefer als zwanzig Yards. Pull mal einen Schlag näher heran, Shane.“
Auch dicht an den Felsen blieb die Wassertiefe gleich. Unter ihnen befand sich ein senkrecht abfallender Kessel, der sich mit dem Handlot nicht ausmessen ließ. Es bestand also nicht die Gefahr, daß sie hier irgendwo aufschrammten.
Der Einschnitt zog sich etwa vierzig Yards nach Norden, dann grenzten Steilwände ihn ab, und er knickte nach Osten.