Seewölfe Paket 20

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Als sie ihm folgten und weiter nach Osten pullten, öffnete sich eine Bucht vor ihnen, in die jetzt der Mond schien.
Es war wie in einer anderen Welt. Die Bucht war groß und ausladend. Es gab genug Platz, um mindestens vier Galeonen hier hineinzusegeln und zu verankern.
Smoky und Shane sahen sich beeindruckt an.
„Unheimlich still ist es“, sagte Shane und blickte zu den steilen Felsen auf. Er wurde das Gefühl nicht los, als würde diese gigantische Masse jeden Augenblick auf sie niederstürzen.
In der Bucht war es fast totenstill. Das Wasser war still, ruhig und sehr tief, wie er bei der nächsten Lotung feststellte. Auch hier fand das Lot keinen Grund.
Von See her war diese Bucht überhaupt nicht einzusehen. Man mußte schon hineinsegeln und nachschauen.
Immer wieder sahen sie sich um. Was Hasard auch immer vorhatte, wenn er hier zwei Schiffe verstecken wollte, dann war dieser Platz ideal gewählt. Kein vorbeisegelnder Don würde auch nur die Mastspitzen der Schiffe sehen können.
„Hinein geht’s ja noch“, sagte Smoky bedächtig, „aber wie soll man hier wieder hinaussegeln? Da weht ja nicht das geringste Lüftchen.“
„Schleppen“, sagte Shane lakonisch, „die Jollen vorspannen und kräftig pullen.“
„Ich kann mir etwas besseres vorstellen.“
„Es gibt schlimmere Dinge“, sagte Shane gelassen.
„Pullen wir zurück?“
Shane warf noch einen Blick in die Runde, dann nickte er.
„Ja. Ich möchte endlich wissen, was Hasard plant.“
„Das würde ich auch gern erfahren.“
Sie pullten zurück. In der Bucht war es so still, daß sie überlaut hörten, wie die Riemen ins Wasser tauchten. Wie klatschende Schläge hörte sich das an.
Sie legten an der „Pommern“ an, vertäuten das Boot und gingen aufs Achterdeck, wo Hasard ihnen gespannt entgegensah.
„Hervorragend geeignet, um ein paar Schiffe zu verstecken“, berichtete Shane. „Vier Galeonen haben gut und gern in der Bucht Platz.“
Er beschrieb dem Seewolf genau, was sie entdeckt hatten.
Hasard rieb sich zufrieden die Hände. In seinen Augen tauchte wieder jenes Glitzern auf, wenn es galt, den Dons eins auszuwischen.
„Dann segeln wir hinein“, entschied er, „Dan kann gleich darauf folgen.“
Ein paar Segel wurden aufgegeit, damit sie nicht zu schnell in die Bucht liefen. Pete Ballie steuerte vorsichtig den Einschnitt an.
„Wird ein bißchen knapp werden“, sagte er, „da muß man sich ja direkt hineinmogeln.“
Man mußte sich wirklich hineinmogeln, aber jetzt schien zum Glück der Mond wieder und gab Orientierungshilfe.
Im Windschatten zwischen den Felsen wurde es unheimlich still. Die Segel, die noch standen, sanken faltig in sich zusammen und hingen schlaff an den Rahen. Aber die restliche Fahrt reichte aus. Immer langsamer werdend, schob sich die „Pommern“ durch den Einschnitt nach Norden, folgte dem Ostknick und erreichte die Bucht. Hier rührte sich überhaupt kein Lüftchen mehr. Mit der auslaufenden Fahrt driftete sie den himmelhohen Felsen entgegen.
Hasard ließ den Anker setzen. Die Tiefe betrug etwas mehr als zwanzig Yards.
Etwas später folgte der düstere Zweidecker. Völlig lautlos glitt er in die Bucht. Die „Caribian Queen“ sah aus wie ein Geisterschiff, das von Unsichtbaren gesteuert wird.
Dann ließ auch Dan O’Flynn Anker setzen und gleich darauf das Boot abfieren. Als der Anker ins Wasser klatschte, war das Getöse so laut, als stürzten die Berge ein.
Beide Schiffe lagen jetzt vor Anker, ohne sich zu bewegen. Das Wasser ähnelte dunkler Tinte und wurde von keiner noch so kleinen Welle bewegt.
Als sich der Mond wieder hinter den Wolken versteckte, wurde es schlagartig finster.
Sie konnten es wagen, Lampen zu entzünden, denn von See her sah man das Licht nicht, falls zufällig ein Spanier vorbeisegelte.
Dan O’Flynn, Carberry und Ferris Tucker pullten gleich darauf mit der Jolle heran und enterten auf.
„Ein prächtiges Versteck“, sagte Dan. „Nur die Einfahrt ist etwas kompliziert. Wenn der Mond nicht geschienen hätte, wären wir mit Sicherheit angeeckt. Wie geht es jetzt weiter, Sir?“
„Das werden wir jetzt ausführlich besprechen. Ich habe schon einmal angedeutet, daß man die Kriegsgüter, die auf der Reede verladen werden, eines Tages auch gegen uns oder die Schlangen-Insel verwenden wird. Sechs Galeonen liegen auf der Reede. Die Dons verteilen Pulver, Kugeln und Kanonen an ihre Stützpunkte im karibischen Raum. Alle sechs Galeonen sind mit Kriegsgütern bis an die Halskrause beladen.“
„Das haben wir heute vormittag gesehen“, sagte Dan, „die Sachen könnten wir auch gebrauchen.“
„Eben, darauf läuft es ja hinaus. Für den Bund der Korsaren und die Insel brauchen wir Pulver, Kugeln und Kanonenrohre. Pulver können wir gar nicht genug haben, falls sie uns eines Tages doch mal entdecken. Und in den Bergen müssen wir weitere Kanonen installieren. Wir brauchen auch Reserven.“
Dan O’Flynn holte tief Luft. Gespannt sah er Hasard an. Ihm schwante schon etwas, er wußte nur noch nicht, wie das im Detail aussehen sollte.
„Da liegen noch weitere Kriegsschiffe im Hafen, Sir“, gab er zu bedenken, „eine größere Galeone, zwei …“
Hasard winkte ab.
„Mit denen müssen wir uns ja nicht auch noch unbedingt anlegen“, meinte er. „Für heute sind die Dons bedient. Drei Schiffe haben wir vernichtet. Nein, ich will anders vorgehen, ohne Gewalt.“
„Ohne Gewalt werden die Dons ihr Pulver nicht rausrücken“, sagte Ed. „Da müssen wir schon ein bißchen Gewalt anwenden.“
Hasard sah die Männer an, die ihn neugierig umstanden. In den Gesichtern lag Erwartung.
„Wir klauen den Dons heute nacht eine Galeone von der Reede“, sagte er lächelnd.
Der Profos kriegte das Maul nicht mehr zu. Ferris Tucker sträubten sich die Haare, während Dan verblüfft den Seewolf anstarrte. Shane vergaß fast, wieder auszuatmen.
„Wir – wir klauen den Dons eine Galeone?“ wiederholte Ferris Tucker fassungslos. „Hab ich das eben richtig verstanden, Sir?“
„Das war doch ganz einfach zu verstehen“, sagte Hasard. Sein Lächeln verstärkte sich noch mehr. „Wir klauen ihnen ein Schiff von der Reede, bugsieren es in das Versteck hier und nehmen das Schiffchen aus wie eine Weihnachtsgans.“
Shane begann leise zu lachen und schlug sich auf die Schenkel. Der Profos stierte immer noch in die Gegend und dachte über das Gehörte nach.
„Das wird ein Ding“, sagte Shane, „aber so einfach und gewaltlos wird das kaum abgehen, Sir.“
Jetzt waren sie alle am Grinsen und wollten mehr wissen. Dan O’Flynn äußerte sich etwas kritisch.
„Wir können nicht ungesehen mit einer Galeone verschwinden, noch dazu aus einem Verband von sechs Schiffen. Ich halte den Vorschlag zwar für gut, aber trotzdem für undurchführbar. Das wird ein Wahnsinnsunternehmen, und die Dons werden alles absuchen.“
„Natürlich werden die Dons alles absuchen“, sagte Hasard. „Doch in dem Unternehmen liegt Methode, wenn du genau darüber nachdenkst, Dan. Kein Don wird auf die Idee verfallen, die verschwundene Galeone hier in dieser Bucht zu suchen. Ich bezweifle, ob sie diese Bucht überhaupt kennen. Sie werden die See absuchen, in der Annahme, die Galeone sei abgetrieben. Und während sie suchen, rupfen wir das Schiffchen nach allen Regeln der Kunst und nehmen es aus.“
Zum ersten Mal grinste jetzt auch der rothaarige Schiffszimmermann.
„Da steckt tatsächlich Methode dahinter“, sagte er, „natürlich werden die Dons nicht hier herumsuchen, denn auf die Idee verfallen sie nicht. Wer wird denn auch annehmen, daß man ihnen von der Reede eine Galeone klaut? Die denken doch nicht im Traum daran, daß einer diese Frechheit aufbringt.“
Dan O’Flynn war immer noch skeptisch. Gewiß, das hörte sich alles gut und schön an und war eine einmalige Frechheit. Für den Seewolf war ein solcher Raubzug typisch, und er selbst hatte natürlich an einem derartigen Unternehmen auch seinen Spaß.
„Der schwierigste Teil des Unternehmens besteht doch darin, ungesehen mit der Galeone zu verschwinden, Sir“, sagte er. „Wie sollen wir das tun?“
„Auch das besprechen wir später noch genau. Es stellt kein sehr großes Problem dar, obwohl das wirklich der schwierigste Teil des Unternehmens ist. Darin muß ich dir recht geben.“
„Und die Dons an Bord?“ fragte Dan, „die werden ein Geschrei veranstalten, daß der ganze Hafen wackelt.“
Hasard ging lächelnd darüber hinweg.
„Die überwältigen wir, wie wir es schon oft getan haben. Sie werden ganz sicher nicht schreien. Wir helfen ein bißchen mit der Drohung nach, daß wir ein paar Lunten zur Pulverkammer gelegt haben. Und wenn sie aufmucken, dann würden wir diese Lunten zünden. Hast du noch weitere Bedenken oder Einwände, Dan?“ fragte Hasard sarkastisch.
„Du verstehst es, sie auszuräumen“, sagte Dan. „Ich bin von der Idee begeistert. Ich wollte nur das Für und Wider abwägen.“
„Mann“, sagte Carberry begeistert, „das wird doch ein tolles Ding. Wir klauen unter den Augen der Dons eine Galeone, genau vor ihrer Haustür, verholen sie hierher, übernehmen die Ladung, die wir gut brauchen können, und verziehen uns wieder. Da werden die Dons ein lausiges Rätsel zu lösen haben, und es wird ihnen verdammt schwerfallen.“
„Zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagte Dan schließlich. „Einmal für den Bund der Korsaren die Kriegsgüter und zweitens für die Dons eine gesalzene Niederlage. Ich bin dabei.“
„Dann besprechen wir jetzt die Einzelheiten“, schlug Hasard vor. „Wir brechen nachher mit zwei Jollen auf. Jede Jolle wird mit jeweils zwölf Mann besetzt. Wir können es uns erlauben, nur ein paar Männer zurückzulassen, denn daß wir in dieser Bucht entdeckt werden, halte ich für ausgeschlossen. Uns steht allerdings eine ziemlich harte Arbeit bevor, wenn wir die Galeone erst einmal haben. Den größten Teil der Ladung können wir auf der ‚Caribian Queen‘ unterbringen. Pulver kann ich auf der ‚Pommern‘ noch eine Menge stauen, obwohl wir das Holz an Bord haben.“
Carberry rieb sich dauernd die Hände.
„Das ist ein Ding nach meinem Geschmack“, verkündete er. „Daran werden die Dons eine ganze Weile zu kauen haben. Erst verbraten wir drei Schiffe von ihnen, dann segeln wir zurück und klauen ihnen ein weiteres. Ich möchte die Gesichter von den Kerlen sehen, wenn die Galeone verschwunden ist.“
Er begann zu lachen und schlug sich auf die Schenkel vor Begeisterung. Aye, Sir, das war doch was!
Weitere Einzelheiten wurden besprochen. Hasard entwickelte ganz konkrete und genaue Vorstellungen, wie alles unauffällig ablaufen sollte.
Die Kolberger lauschten andächtig und waren begeistert bei der Sache.
Hasard blickte in den Himmel. Der Mond linste nur noch selten durch die Wolkendecke.
„Eine Nacht für Wölfe“, sagte er, „wenn es weiterhin so dunkel bleibt, werden wir keine großen Schwierigkeiten haben, ungesehen an die Schiffe zu gelangen.“
Auf der „Caribian Queen“ sprach sich der neue Raid gleich wie ein Lauffeuer herum. Alle hatten es plötzlich eilig, und jeder wollte unbedingt dabeisein, wenn es losging.
Etwas später waren auch die letzten Einzelheiten durchgesprochen, und die Kommandos wurden zusammengestellt. Alles klappte reibungslos. Die Kerle flitzten nur so in die Boote.
Eine knappe Stunde nach Mitternacht brachen die zwei Jollen auf. Eine führte Hasard, die andere Dan O’Flynn. In jeder Jolle befanden sich zwölf von Erwartung fiebernde Männer. Leise glitten sie aus der Bucht, wurden durch den Knick gepullt und bewegten sich dicht unter Land auf die Reede von Santiago de Cuba zu. Hier wehte auch wieder ein handiger Wind.
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