Seewölfe Paket 20

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„Das sind wir alle“, sagte der Wikinger mit dröhnendem Baß. „Aber Arne ist schlau genug, sich von den Dons nicht packen zu lassen.“
„Langsam“, sagte Old O’Flynn. „Selbst wenn Don Juan noch nicht nach Havanna zurückkehrt ist, dürfen wir nicht vergessen, daß da Don Antonio, die fette Ratte, hockt. Der ist imstande, Arne und seine beiden Helfer festzunehmen, wenn er was erfährt. Und dann versucht er, daraus Kapital zu schlagen, indem er uns erpreßt.“
„Ich bin der Ansicht, daß Arnes Einsatz in Havanna nicht mehr zu verantworten ist“, sagte der Seewolf. „Er steht auch in keinem Verhältnis zur Effektivität möglicher Beutezüge. Das heißt, das Leben und die Sicherheit unserer drei Gefährten haben absoluten Vorrang vor der Jagd nach spanischen Schatzschiffen.“
„Was hast du vor?“ fragte die Rote Korsarin. „Du planst doch bereits etwas, das sehe ich dir an.“
„Ja. Um in dieser Beziehung Klarheit zu schaffen, ist es unbedingt notwendig, mit Arne persönlichen Kontakt aufzunehmen. Seine Situation muß durchgesprochen und beraten werden. Danach können wir dann entscheiden, wie wir vorgehen.“
„Also laufe ich aus!“ rief der Wikinger. „Mich kennt in Havanna keiner!“
„O Gott, nein“, sagte Jean Ribault. „Die Spanier kriegen einen Schrecken, von dem sie sich nicht wieder erholen, wenn du auf Kuba erscheinst.“
„Odin läßt dir den Himmel aufs Haupt fallen!“ brüllte der Wikinger. „Ich gebe mich als harmloser Handelsfahrer aus! Was ist schon dabei?“
„Daß du nicht harmlos aussiehst“, erwiderte Old O’Flynn gelassen. „Ein schwarzer Kahn voll wilder, menschenfressender, behelmter Nordpolbären – Himmel, die Dons machen sich ja in die Hose, wenn ihr da auftaucht.“
Thorfin geriet in Fahrt. Wütend rückte er sich seinen Kupferhelm zurecht. „Nein! Das ist Quatsch! Immer, wenn ich was unternehmen will, habt ihr was dagegen! So geht das nicht! Ich protestiere!“
„Du hältst die Sache nur auf“, sagte der Seewolf. „Denk mal logisch. Wir haben nur ein Schiff zur Verfügung, das perfekt getarnt nach Havanna segeln kann und dort kein Aufsehen erregt.“
„Die ‚Wappen von Kolberg‘ etwa?“ brüllte der Nordmann. „Nein! Die ist am 10. März mit offiziellem Ziel Kolberg von Kuba abgesegelt! Daß sie in Wirklichkeit die Schlangen-Insel angelaufen hat, wissen die Dons nicht! Die riechen also glatt Lunte, wenn die ‚Wappen‘ jetzt schon zurückkehrt! Sie könnte allenfalls erst im Juli wieder in Havanna sein!“
„Schrei nicht so“, sagte Jean Ribault. „Dein Gebrüll ist bis nach Coral Island zu hören. Die Timucuas werden sich fragen, was hier los ist.“
„Ich brülle soviel, wie es mir paßt!“
„Deine Überlegungen sind schon richtig, Thorfin“, sagte Hasard. „Aber ich habe auch nicht vor, die ‚Wappen‘ einzusetzen.“
„Sondern?“ fragte Jerry Reeves überrascht.
„Ihr habt die ‚Santa Clara‘ vergessen“, sagte der Seewolf. „Unsere feine, gut armierte Perlengaleone. Sie ist genau das richtige Schiff für dieses Unternehmen.“
Die „Santa Clara“ war von Hesekiel Ramsgate gründlich umgebaut worden, nichts erinnerte mehr an das typische Bild einer spanischen Galeone. Der Alte hatte sie richtig „umfrisiert“, und zwar zu dem Zweck, sie als zweites Schiff aus der Flotte des Handelshauses der Manteuffels in Kolberg nach Havanna zu schicken, um dort neue Waren für die Schlangen-Insel und Coral Island zu übernehmen und Arne andererseits Perlen aus der Beute der „Santa Clara“ als „Betriebskapital“ zu überbringen.
Auf den Vorschlag von Renke Eggens war die „Santa Clara“ in „Pommern“ umgetauft worden. Ramsgate hatte ihre weibliche Galionsfigur entfernt und statt dessen als Galionszier einen Greif geschnitzt, das Wappentier von Pommern. Der Greif war rot angestrichen und stellte nach übereinstimmender Meinung von Renke Eggens, Hein Ropers, O’Brien und den anderen „Kolbergern“ ein kleines Meisterwerk dar. Ramsgate war sehr stolz auf dieses Urteil.
Ferner war die „Pommern“ völlig schwarz gepönt worden und hatte somit nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit der früheren „Santa Clara“. Sie verfügte über zwanzig Culverinen, zehn auf jeder Seite, sowie vorn und achtern je vier Drehbassen, zwei auf jeder Schiffsseite. Außerdem hatte der Alte auf jeder Seite an den Schanzkleidern Halterungen angebracht, in denen beliebig viele Drehbassen zusätzlich montiert werden konnten.
Der „Stapellauf“ und die „Taufe“ waren natürlich mit einem Umtrunk in „Old Donegals Rutsche“ gefeiert worden, und es hatte wieder mal Marys Stammgericht Calaloo gegeben. Im Grunde genommen hätte das Leben auf der Schlangen-Insel auch weiterhin in seinen üblichen Bahnen verlaufen können, wenn nicht die neue Bedrohung durch die Black Queen und durch Don Juan gewesen wären, die wie ein Damoklesschwert über dem Bund der Korsaren schwebte.
Die „Pommern“ war ein gesunder, stabiler Dreimaster, und tatsächlich kam nur sie für die Fahrt nach Havanna in Frage, weil sie für die Spanier eben ein „fremdes Schiff“ war.
„Soweit, so gut“, sagte der Wikinger grollend. „Aber mit welcher Crew soll der Kahn bemannt werden? Und wer, bei Geri und Freki, ist der Kapitän?“
„Ich“, erwiderte Hasard kühl. „Offiziell wird es allerdings Renke Eggens sein. Ich reise sozusagen inkognito mit.“
„In – was?“ brüllte Thorfin Njal. „Ich werd’ verrückt! Du willst nach Havanna? Das haut dem Faß den Boden aus!“
Auch die anderen waren erstaunt. Hasard blieb jedoch völlig ruhig und setzte ihnen auseinander, wie er sich die Bemannung der „Pommern“ im einzelnen vorstellte.
„Die Spanier werden sich natürlich fragen, wie es angehen kann, daß Renke nach Havanna zurückkehrt“, sagte Hasard. „Dafür geben wir ihnen folgende Erklärung: Auf dem Atlantik hat eine zufällige Begegnung zwischen der ‚Wappen von Kolberg‘ und der ‚Pommern‘ stattgefunden. Bei dieser Gelegenheit hat die ‚Pommern‘ Renke übernommen und als Kapitän eingesetzt, weil er die Havanna-Route ja bereits kennt. Ebenso ist die Hälfte der Crew der ‚Wappen‘ aus Gründen der Zweckmäßigkeit zur ‚Pommern‘ übergewechselt.“
„Ein tolles Stück“, sagte der alte O’Flynn. „Und du meinst, die Dons schlucken das?“
„Auf jeden Fall, weil wir es ihnen glaubwürdig genug darstellen.“
„Und die andere Hälfte der Crew für die ‚Pommern‘?“ verlangte Thorfin Njal zu wissen. „Woher soll die genommen werden? Doch wohl hoffentlich vom Schwarzen Segler!“
„Nein“, sagte der Seewolf. „Sie wird von der ‚Isabella‘ abgezogen. Deine Männer würden kaum als Deutsche durchgehen.“
Der Wikinger war immer noch wütend – und verzweifelt. Er wußte nicht, was er unternehmen sollte, um Hasard umzustimmen und die Besatzungsliste zu ändern. So ging es auch den anderen. Hasard hatte gesprochen – punktum und basta.
„Ich beantrage Abstimmung“, sagte er.
Nur zögernd gab der Bund seine Zustimmung für den Vorschlag. Tatsächlich aber wußte auch keiner einen Gegenvorschlag vorzubringen. Nur Old O’Flynn erhob einen Einwand.
„Du könntest in Havanna erkannt werden, Hasard“, sagte er. „Dann sieht es nicht nur für Arne, Jussuf und Jörgen schlecht aus, sondern für euch alle.“
„Ich werde mich dort tagsüber nicht an Deck zeigen.“
„Aber da ist noch was“, sagte Jean Ribault. „Die Kampfkraft der ‚Pommern‘ reicht gegen den Zweidecker der Black Queen garantiert nicht aus. Es ist also noch die Frage, ob sich die eine Aktion mit der anderen verbinden läßt.“
Hasard setzte ein grimmiges Grinsen auf. „Auch daran habe ich gedacht. Ich habe nicht die Absicht, meine Männer und mich selbst in einem sinnlosen Gefecht zu verheizen. Vielmehr werde ich in die Trickkiste greifen, um der Queen und ihrem Anhang zur verdienten Höllenfahrt zu verhelfen.“
„Wie?“ fragte Siri-Tong.
„Das findet sich noch.“
„Das hört sich aber wirklich vage an.“
Er sah sie an. „Dann laß du dir doch etwas einfallen.“
„Als Handelsfahrer getarnt, könntet ihr die ‚Caribian Queen‘ in eine Falle locken. Vielleicht sind die Spanier sogar zur Zusammenarbeit bereit“, sagte sie.
„Wir schlagen die Queen also mit ihren eigenen Waffen – dem Feind Spanien, dessen sie sich bedient?“ Hasards Miene drückte wenig Überzeugung aus. „Das klingt nicht gut. Ich hasse Intrigen. Wir werden versuchen, sie auf dem direkten Weg zu vernichten.“
„Dann bietet sich an, daß weitere Schiffe die Schlangen-Insel verlassen und sich mit der ‚Pommern‘ an der Südküste von Kuba treffen“, sagte die Rote Korsarin. „An diese Möglichkeit hast du noch nicht gedacht. Im Verband können wir die Queen leichter schlagen.“
„Das ist ein brauchbarer Vorschlag“, sagte Hasard. „Aber laß mich erst mal die Lage sondieren. Danach sehen wir weiter.“
Er wollte allein aufbrechen, daran ließ sich nicht rütteln. Unterschwellig begriffen seine Kameraden, daß er genau das Richtige und in dieser Lage Ratsamste tat, aber sie hatten auch den Wunsch, ihm Unterstützung zu leisten. Daß sie auf der Schlangen-Insel zurückbleiben und praktisch mit gebundenen Händen die weitere Entwicklung abwarten sollten, behagte ihnen gar nicht.
Doch es ließ sich nicht ändern. Die „Pommern“ wurde noch an diesem Abend im Licht von Laternen und Öllampen ausgerüstet und munitioniert. Es war keine Zeit zu verlieren.
Hasard überlegte sich die Auswahl seiner Crew sehr genau. Schließlich entschied er sich für Dan O’Flynn, Ferris Tucker, Big Old Shane, Ed Carberry, Smoky, Blacky, Al Conroy, Stenmark, Gary Andrews, den Kutscher, Pete Ballie, Matt Davies, Sam Roskill, Luke Morgan und die Zwillinge. Auch Plymmie, die Wolfshündin, war mit von der Partie.
Die ersten zwölf sollten der „harte Kern“ der Crew sein, was aber keine Zurücksetzung der anderen bedeutete. Mit weiteren vierzehn Männern aus der Crew der „Wappen von Kolberg“ war die „Pommern“ am Ende also einschließlich Hasards, Renke Eggens’ und der Zwillinge mit zweiunddreißig Mann besetzt.
Voll ausgerüstet und munitioniert ging sie noch vor Mitternacht in See und nahm Kurs auf Havanna. Gleichfalls in dieser Nacht flog der Täuberich Izmir zurück nach Havanna, um Arne von Manteuffel über das bevorstehende Eintreffen der „Pommern“ zu informieren.
„Hoffen wir, daß alles klappt“, sagte Old O’Flynn in dieser Nacht. Heftig drückte er den Kameraden die Daumen – und das taten auch die anderen. Sie alle wußten, was von einem Gelingen der Aktion abhing: die Zukunft der Schlangen-Insel und Coral Islands – und das Leben ihrer Bewohner. Von daher war es nur zu verständlich, daß Hasard die Sache persönlich in die Hand genommen hatte.
7.
Carnera war ein alter, gebeugter Mann, dem in Havanna kaum jemand Aufmerksamkeit schenkte. Er war dürr und häßlich und auf einem – dem linken – Auge angeblich blind. Man beachtete ihn nicht, man mied ihn, er war allein und suchte fast jeden Abend in einer der Hafenkneipen Trost für die Einsamkeit bei einem, zwei oder auch drei Bechern Wein. Hier reagierte er auch seinen Haß gegen seinen Herrn ab, der ihn oft und gern mit Stiefeltritten traktierte.
Dieser Mann war der Kerkerkommandant. Carnera war der Kalfaktor im Gefängnis, der Mann, den man trat und stieß, anbrüllte und verfluchte. Er war das Mädchen für alles, keine Arbeit war zu dreckig für ihn. Carnera hier, Carnera da, Carnera vorn und hinten – er wurde wie ein Hund behandelt.
All seih Leid klagte er in dieser Nacht dem neuen Zechbruder, den er kennengelernt hatte. Ein alter Mann mit einem dichten Vollbart, der selbst nur wenig Bier trank, dafür aber ihm, Carnera, schon den vierten Becher Rotwein ausgegeben hatte.
„Du bist in Ordnung“, sagte Carnera. „Mit dir kann man wenigstens reden.“
„Ja“, sagte Jussuf. „Ich verstehe dich nämlich. Ich habe selbst auch schon viel erlitten.“
„Wohnst du in Havanna? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“
„Ich bin mal hier, mal da.“
„Ist ja auch egal“, sagte Carnera und trank wieder einen tüchtigen Schluck Wein. „Die Hauptsache ist, der Mensch lebt und hat was zu saufen.“
„Du arbeitest also im Kerker?“ fragte Jussuf.
„Ja. Manchmal fühle ich mich selbst wie einer der Kerle, die da einsitzen. Der Kommandant ist ein Leuteschinder. Der Sargento ist auch nicht viel besser, und die Soldaten verhöhnen mich dauernd. Ein Drecksleben ist das.“
Sie saßen im „Malagena“ neben einer Säule an einem kleinen Tisch. Die Kaschemme war inzwischen wieder eingerichtet worden. Lopez und Libero hatten sich die größte Mühe gegeben, wenigstens die Theke, die Regale, die Tische und Stühle wieder in Ordnung zu bringen.
Denn Lopez wollte sich sein gutes Geschäft nicht verderben lassen, nicht durch einen Caligula und nicht durch Diego Cámara und den Gendarmen, die ins Gras gebissen hatten. Ein weiterer Gendarm, so hieß es, lag im Sterben. Aber all das und die Erzählungen, die über Caligulas Raserei in Havanna kursierten, machten die „Malagena“ nur noch attraktiver. Brechend voll war es in dieser Nacht.
Jussuf hatte herausgefunden, daß Carnera der Kalfaktor im Stadtgefängnis war. Er hatte ihn beschattet und war ihm gefolgt. Dann war es ihm gelungen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und ihn zu einem „Schlückchen Wein“ einzuladen.
„Hast du auch mit den Gefangenen zu tun?“ fragte er ihn.
„Ja.“
„Sitzt nicht dieser Schwarze im Kerker, der hier Amok gelaufen ist?“
„Ja, der. Das ist vielleicht ein Kerl. Ich habe Angst vor ihm.“
„Sitzt er denn sicher?“
„Das schon. Er ist ja angekettet. Und jeden Tag wird er verhört“, erwiderte Carnera. „Aber er schreit nicht, das ist der Witz. Ich habe noch keinen erlebt, der so gut Schmerzen aushält wie der.“
Jussuf schloß unwillkürlich die Augen. Er verachtete alles, was mit Grausamkeit zu tun hatte. Folter und peinliches Verhör waren für ihn etwas grenzenlos Gemeines, Menschenunwürdiges, auch im Fall eines Mannes wie Caligula.
„Er sitzt also in Einzelhaft?“ fragte er.
„Ja. Zu den anderen Galgenvögeln hat er keinen Kontakt. Und das ist auch gut so. Er würde die anderen bloß aufwiegeln, hat der Sargento gesagt.“
„Und der Kommandant? Verhört er ihn persönlich?“
„Nein. Das tut der Gouverneur. Don Antonio. Der Dicke.“ Carnera grinste und trank seinen Becher leer. Jussuf griff zum Krug und schenkte nach. „Hast du den schon mal in seiner Prachtkarosse durch Havanna rollen sehen?“
„Nein, noch nie.“
„Er spielt sich auf wie der König von Spanien persönlich. In der Residenz sind auch die Türklinken aus Gold, und er kleidet sich wie zwei Fürsten auf einmal. Er gibt rauschende Feste und hat immer die schönsten Frauen um sich.“
„Das freut mich für ihn“, sagte Jussuf. Absichtlich stellte er sich unbedarft und unwissend. Dieser Carnera war ein Plappermaul, eine ausgesprochene Plaudertasche, dessen Geschwätzigkeit von Becher zu Becher stieg. Er war froh, daß er mal alles abladen durfte, was ihm auf der Seele lag. Es geschah sonst selten, daß ihm jemand so aufmerksam zuhörte wie dieser „alte Bart“, von dem er noch nicht einmal den Namen wußte.
Carnera nahm rasch noch einen Schluck Wein zu sich, dann schüttelte er so heftig den Kopf, daß Jussuf zu fürchten begann, er würde ihm von den Schultern fallen.
„Nein“, sagte Carnera. „Das darf dich nicht freuen. Frag lieber, woher er das viele Geld hat.“
„Als Gouverneur ist er sicher gut bezahlt.“
„Aber nicht so gut, daß er sich all den Prunk leisten kann.“
„Ich verstehe nicht, auf was du hinauswillst.“
„Don Antonio ist schlimmer als dieser Caligula“, raunte Carnera ihm über den Tisch hinweg zu. „Ein Schnapphahn und Galgenstrick der übelsten Sorte. Das glaubst du nicht? Oh, dann mußt du aber noch viel lernen, mein Freund.“
„Du meinst, er sei bestechlich oder so?“
„Durch und durch korrupt.“
„Und das darf sich ein Gouverneur ungestraft erlauben?“ fragte Jussuf mit gespielter Empörung.
„Ja. Keiner klopft ihm auf die Finger. Er ist wie ein Krake. Was er einmal an sich gerissen hat, das gibt er nicht wieder frei.“ Carnera beugte sich vor. Sie waren wie zwei Verschwörer, die die Köpfe zusammenstecken und einen geheimen Plan aushecken. „Nur einer hat versucht, ihm das Handwerk zu legen. Der Mann heißt Don Juan de Alcazar, und er soll ein Sonderbeauftragter des spanischen Königs und der Casa de Contratación sein. Auch den Rang eines Generalkapitäns hat er. Mehrfach hat er Don Antonio gerügt, seit er hier ist, und dafür hat der Dicke versucht, ihn verschwinden zu lassen. Du weißt wohl nicht, was hier passiert ist, als der Pirat Catalina die Stadt angriff, um sie in Schutt und Asche zu legen, was?“
„Nein, davon habe ich nichts gehört.“
Carnera holte zu einem ausführlichen Bericht über die jüngsten Ereignisse in Havanna aus. Er ließ nichts aus und erzählte und erzählte bis hin zu dem Tag, an dem Don Juan mit Cariba, dem Kreolen, an Bord der „Pax et Justitia“ gegangen und die Kriegskaravelle zur Jagd auf den Seewolf ausgelaufen war.
Jussuf unterbrach den Alten absichtlich nicht. Er wollte ihn nicht verärgern oder mißtrauisch stimmen. Carnera würde von sich aus wieder über Caligula sprechen. Im übrigen war es interessant, zu hören, wie gut er über alles informiert war. Nichts schien seiner Aufmerksamkeit zu entgehen. Jussuf merkte sich dies für spätere Gelegenheiten. Ein Informant wie dieser Alte konnte für ihn noch andere Male von großem Nutzen sein.
„So ist das in Havanna“, schloß Carnera seinen umfangreichen Bericht ab. „Da siehst du mal, was hier so alles passiert.“ Er trank und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Aber warum erzähle ich dir das eigentlich alles? Du langweilst dich wahrscheinlich.“
„Durchaus nicht“, beeilte sich Jussuf zu versichern. „Für mich ist das spannend. Aber du wolltest mir noch mehr über diesen Caligula erzählen.“
„Richtig. Ich bringe ihm das Essen und Trinken und kehre seine Zelle aus. Er hat mich gefragt, ob ich ihm nicht heimlich ein Werkzeug zuschmuggeln könnte, aber ich habe geantwortet, das sei mir zu riskant. Wenn er flieht, kriegt der Kommandant doch sofort raus, wer ihm geholfen hat.“
„Ja, bestimmt.“
„Daraufhin hat er mich beschimpft und bespuckt. Ich gehe nicht mehr gern zu ihm rein. Ich habe Angst, er könnte mich mit den Ketten erdrosseln.“
„Und Don Antonio foltert ihn, oder?“
„Ja, genau das. Zweimal hat er ihn schon ausführlich vernommen. Aber das tut er nicht wegen der Toten, ach wo! Es ist ja sowieso klar, daß Caligula der Mörder ist. Er braucht also nichts mehr zu gestehen. Alles spricht gegen ihn.“
„Dann frage ich mich, warum Don Antonio ihn überhaupt foltert“, sagte Jussuf mit nachdenklicher Miene.
„Weil er ein gieriger Krake ist“, sagte Carnera gedämpft. „Wenn er nicht fette Beute wittern würde, hätte er den Gefangenen gar nicht erst aufgesucht.“
Jussuf winkte Libero zu. Das Kerlchen näherte sich und nahm den leeren Krug mit, um ihn zu füllen. Carnera leerte wieder seinen Becher. Jussuf nippte nur an seinem Bier und sagte: „Caligula hat also Geld bei sich? Meinst du das?“
„Golddublonen in einer Geldkatze, die er um die Hüften getragen hat, und zwei Beutel mit Perlen“, erwiderte der Alte. „Möglich, daß der Dicke darauf scharf ist. Fest steht, daß er darüber hinaus etwas von Caligula wissen will, was dieser aber nicht bereit ist, preiszugeben.“
„Was das wohl ist?“ sagte Jussuf.
„Denken könnte ich es mir schon“, brummte Carnera und schielte zu Libero, der mit dem frisch gefüllten Krug zurückkehrte. „Don Antonio will wissen, wo es mehr von dem Geld und den Perlen gibt. Aber er kriegt nichts aus Caligula heraus. Dem kann man die Arme und Beine abreißen, der sagt nichts.“
Jussuf hätte sich vor Widerwillen fast geschüttelt. Er hoffte inständig, daß der Alte ihm die Schilderung der Foltermethoden, mit denen man Caligula bearbeitete, ersparen würde. Und was Don Antonio de Quintanillas Bestreben betraf, dem Gefangenen das Geheimnis zu entlocken, da wußte er natürlich ganz genau, um was es sich handelte: Caligula sollte die Lage der Schlangen-Insel verraten. Aber er sträubte sich. Verständlicherweise. Wenn er redete, war er geliefert. Dann ließ Don Antonio ihn unverzüglich aufhängen.
Jussuf verließ die Kaschemme, Carnera war am Tisch eingeschlafen. Jussuf kehrte zur Faktorei zurück und teilte Arne und Jörgen, die beide noch wach waren, mit, was er erfahren hatte.
„Das ist eine ganze Menge“, sagte Arne. „Meine Hochachtung, Jussuf, du hast deine Sache wieder mal gutgemacht. Und einen neuen Informanten hast du dir auch gleich geschaffen.“
Jussuf grinste. „Der alte Knochen hat natürlich sehr geheimnisvoll getan und viel herumgeredet, aber ich habe ihm versichert, daß ich kein Sterbenswörtchen über unsere Unterredung verlauten lassen würde. Wir haben einen Pakt abgeschlossen und besiegelt, wenn ich das mal so nennen darf. Folglich dürfte ich euch gar nicht berichten, was er mir alles gesagt hat.“
„Mach es nicht so spannend“, sagte Jörgen. „Wie ist Don Antonio denn überhaupt mit den Wachsoldaten und dem Kommandanten im Gefängnis verblieben? Gibt es nun einen Prozeß oder nicht?“
„Noch nicht“, entgegnete Jussuf. „Und alle Wachleute bis hinauf zum Sargento und Kerkerkommandanten sind von Don Antonio dazu verpflichtet worden, nichts über den Gefangenen verlauten zu lassen, vor allem nicht einem gewissen Don Juan de Alcazar gegenüber, falls der wieder in Havanna erscheinen sollte. Auch Don Ruiz de Retortilla ist entsprechend instruiert worden.“
„Aha!“ sagte Arne. „Jetzt weiß ich Bescheid. Der Dicke will wieder mal sein eigenes Süppchen kochen und Don Juan vermutlich ausbooten. Das sieht ihm ähnlich.“
„Ein intrigantes Spiel“, sagte Jörgen. „Der Teufel soll diesen Fettwanst holen. Ich habe ihn von Anfang an nicht ausstehen können.“
„Wer kann ihn schon leiden?“ sagte Jussuf. „Ich wage zu behaupten, daß er der in Havanna am meisten gehaßte Mann ist.“
„Daran besteht kein Zweifel“, sagte auch Arne. „Wie ich Don Antonio kenne, ist er natürlich auf die Schätze der Schlangen-Insel versessen. Und wenn er dabei auch noch den ‚englischen Piraten Killigrew‘ schnappt, tut er der spanischen Krone und der Casa einen Gefallen, wird belohnt und belobigt und kann seine Position als Gouverneur auf diese Weise gewissermaßen auf Felsen bauen.“
„Don Juan wäre damit wegen Unfähigkeit abgemeldet“, sagte Jörgen.
„So ein Ding“, sagte Jussuf empört. „Das darf auf keinen Fall geschehen. Ich persönlich ziehe Don Juan als Gegner vor.“
Arne verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Ja, er ist ein netter Feind, nicht wahr?“
„Einer, den ich mir gut als Kameraden vorstellen könnte“, ging Jussuf sofort darauf ein. „Er ist aufrichtig, mutig und ehrlich.“
„Der würde zum Bund der Korsaren passen“, pflichtete Jörgen ihm bei. „Du weißt es ja selber, Arne.“
„Ihr zwei spinnt ganz schön“, sagte Arne. „Eure Phantasie kennt wohl keine Grenzen, was? Aber ich will euch was verraten: Das ist ein reines Hirngespinst. Don Juan kämpft weiter, bis zum letzten. Ein Mann wie er gibt nicht auf.“
„Nie“, sagte Jussuf. „Ich weiß. Er hat sich in seinen Auftrag sozusagen verbissen und läßt nicht locker. Daß Hasard gesiegt und ihn obendrein noch zusammengestaucht hat, stört ihn wenig.“
„Wahrscheinlich stört es ihn auch nicht weiter, daß er verletzt ist“, sagte Jörgen. „Er ist hart im Nehmen, wie es scheint.“
„Es scheint nicht nur, es ist so“, sagte Arne trocken. „Eigentlich wundert es mich, daß er von seinem Raid noch nicht zurück ist. Aber für uns bedeutet das eine Art Aufschub. Solange Don Antonio über den Erfolg oder Mißerfolg von Don Juans Aktion nichts bekannt ist, kann er nämlich auch nichts unternehmen. Er muß also abwarten.“
„Und in der Zwischenzeit läßt er Caligula zwiebeln“, sagte Jörgen.
„Scheußlich ist das“, sagte Jussuf. „Versteht mich nicht falsch. Ich bemitleide Caligula nicht. Aber ich verachte derartige Methoden.“
„Ich auch“, sagte Arne. „Eines Tages wird Don Antonio ein Opfer seiner eigenen Grausamkeit. Ein Sadist und Betrüger wie er strauchelt irgendwann. Das wünsche ich ihm von ganzem Herzen.“
Don Antonio de Quintanilla verabscheute jede Art von Arbeit, sie war ihm zuwider. Selbst das Laufen haßte er. Am liebsten verbrachte er den ganzen Tag in einem seiner riesigen Salons, auf einem Diwan ausgestreckt, oder in der Loggia, wo er kandierte Früchte knabberte, Süßwein trank und den Ausblick auf Havanna genoß.