Seewölfe Paket 20

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Die Queen lebte nur noch ihrer persönlichen Rache. Da Cariba längst überfällig war, hatte der hünenhafte Caligula die Angelegenheit selber in die Hand genommen. Das aber war ein Fehler, wie sich noch zeigen sollte, denn seit er das Schiff verlassen hatte, bröckelte nicht nur der Zusammenhalt an Bord ab, sondern auch die Autorität. Und das war gefährlich, sehr gefährlich sogar.
In der Mannschaft gärte und brodelte es, und gerade Casco war einer von jenen, die genug Schlitzohrigkeit und Durchsetzungsvermögen hatten, um die allgemeine Stimmung auszunutzen.
Auch jetzt begann er das bereits schwelende Feuer wieder aufzuheizen.
„Manchmal frage ich mich“, fuhr er fort, „ob die Queen jemals wieder etwas als Kämpferin taugen wird. Ist euch nicht aufgefallen, wie schwach und abgemagert sie ist, he?“
Viele der Kerle, die sich auf der Back versammelt hatten, nickten zustimmend.
„Wie eine schwindsüchtige Kuh, die keinen Tropfen Milch mehr gibt“, bemerkte einer von ihnen und vollführte dabei eine geringschätzige Geste.
Ein kleiner Bursche mit Säbelbeinen und einer riesigen Warze auf der Nase sagte: „Sie kommt nie wieder richtig auf die Beine, auch wenn sie seit dem Landgang Caligulas ab und zu mal aus der Koje kriecht. Doch sie wird das niemals einsehen, selbst wenn wir hier langsam vermodern.“
„Da hast du verdammt recht, Silo“, ließ sich ein spindeldürrer und baumlanger Kerl vernehmen. „Wenn das noch eine Weile so weitergeht, werden wir vor Faulheit noch rund und fett. Außerdem haben wir nicht mal mehr so viel Kleingeld im Beutel, daß wir ein Spielchen riskieren können.“
Casco grinste breit.
„Dich möchte ich mal rund und fett sehen, du ausgedörrter Hering“, erklärte er. „Trotzdem ist es so, wie du sagst. Wir verarmen langsam, aber sicher, wenn wir uns diesen Zustand noch länger bieten lassen. Meiner Meinung nach wird es höchste Zeit, daß wir mal wieder richtig zuschlagen und was erbeuten.“
Der Kreole erntete rege Zustimmung, wenn auch nicht von allen.
Limba, ein magerer Bursche mit üppigem Kraushaar, farbig wie alle an Bord, erhob Einspruch.
„Ich finde, wir sollten die Rückkehr Caligulas abwarten“, schlug er vor. „Wenn erst die Sache mit den englischen Bastarden von der Schlangen-Insel erledigt ist, wird sich hier bestimmt auch einiges ändern, gleich, ob die Queen wieder hochkommt oder nicht. Caligula wird sich darum kümmern, denn er wird hier ebensowenig versauern wollen wie wir.“
Die meisten antworteten mit einem hämischen Lachen.
„Hast du etwa Sehnsucht nach Caligula?“ fragte Casco. „Sicherlich hat er dir noch nie seine Peitsche übers Fell gezogen, sonst würdest du nicht so einfältig daherreden. Außerdem: Wer weiß denn, ob er überhaupt jemals wieder hier auftauchen wird? Vielleicht hat er selber die Schnauze voll, und während wir hier auf ihn warten, vergnügt er sich in Havanna.“
„Das ist auch meine Meinung“, ereiferte sich der säbelbeinige Silo und befingerte dabei unentwegt die Warze auf seinem Nasenrücken. „Selbst Cariba ist noch nicht zurückgekehrt. Wenn ich mich recht erinnere, ist er schon vor einem Monat nach Havanna aufgebrochen. Wahrscheinlich hat er was Besseres gefunden, ebenso wie unsere drei Kameraden, die bereits heimlich abgemustert haben und es sich inzwischen auf Kuba gutgehen lassen. Sollen wir vielleicht warten, bis wir alt und grau geworden sind und beim Enterkampf die Arme nicht mehr hochkriegen?“
Casco nickte beifällig und ergriff erneut das Wort.
„Recht so, Silo“, sagte er schmeichlerisch. „Du gehörst zu jenen Männern an Bord, die die Dinge mit klarem Blick sehen. Aber laß Limba nur bei seiner Herrin bleiben. Vielleicht hat sie sogar Verwendung für ihn und läßt ihm die Ehre zuteil werden, ihren Nachttopf entleeren zu dürfen. Außerdem, was geht es uns an, daß sich die Queen an diesen verdammten Engländern rächen will? Wir sind Piraten und möchten endlich mal wieder was im Beutel klimpern hören. Ich bin deshalb dafür, daß wir das Schiff übernehmen, um selbst entscheiden zu können, was zu tun ist.“
„Das ist Meuterei!“ kreischte Limba schrill.
„Nenne das, wie du willst, du Kriecher!“ sagte Casco wütend. „In meinen Augen ist das Selbsthilfe, reine Selbsthilfe, jawohl. Und wenn du dein vorlautes Maul nicht endlich hältst, bin ich gern bereit, es dir zu stopfen.“ Wie zufällig streichelte er den Griff seines Messers, das er wieder im Gürtel trug.
Limba schluckte und zog es vor, den Mund zu halten. Er verspürte nicht die geringste Lust darauf, den gleichen Weg wie Pablo zu gehen.
Casco wandte sich wieder den anderen zu, die jetzt alle mit gedämpften Stimmen durcheinanderredeten.
„Leute“, sagte er, „wir haben in der Vergangenheit oft genug bewiesen, daß wir eine schlagkräftige Mannschaft sind. Sogar diesem Seewolf und seinen Kerlen haben wir beachtlich zugesetzt. Und wir haben reichlich Beute geschlagen. Die Queen und Caligula sind dadurch reich geworden, während wir kaum noch einige Münzen für ein Würfelspielchen erübrigen können. Das aber wird sich ändern, wenn wir zusammenbleiben und über ein gutes Schiff wie dieses verfügen. Nicht das Weibsstück, das siech in seiner Koje liegt, wird dann die Karibik beherrschen, sondern wir.“
Zustimmendes Gemurmel brandete über die Back. So war das: Männer wie Casco und Konsorten waren schnell bei der Hand, ihre Anführer abzusetzen, wenn sie spürten, daß deren Glorienschein dahin war. Einen Treuebegriff kannte man in ihren Kreisen ohnehin nicht. Moralische Hemmungen schon gar nicht. Casco gelang es daher, daß sich auch diejenigen, die bisher gezögert hatten, auf seine Seite schlugen. Nur Limba und drei weitere Männer hielten sich noch zurück, aber das war für Casco, der sich seit einiger Zeit als Haupträdelsführer der Unzufriedenen an Bord aufspielte, kein Problem. Er stand längst im Mittelpunkt, und es gab keinen Zweifel daran, daß er die Führerrolle übernommen hatte.
„Wir müssen Cascos Vorschlag annehmen, wenn wir hier nicht verrotten wollen!“ rief Silo begeistert. „Wir sind eine eingespielte Mannschaft, die es am Ende doch noch schaffen wird, sich die Schätze von der Schlangen-Insel zu holen.“
„Natürlich schaffen wir das“, sagte Casco sofort, „obwohl wir es gar nicht mehr nötig hätten. Wenn dieses Schiff uns gehört, dann gehören uns auch die Schätze, die von den früheren Beutezügen her noch an Bord sind. All die Golddublönchen, die Piasterchen, Perlen und Klunkerchen werden nämlich im Achterdeck gehortet, und ich wette, daß selbst der Dümmste unter uns weiß, welche Werte dort lagern. Wir haben dazu beigetragen, daß diese Schätze erbeutet wurden, also haben wir auch ein Anrecht darauf.“
Mit diesen Worten hatte der bullige Kreole den Nerv der Galgenstricke getroffen. Diejenigen, die sich auf den Planken niedergelassen hatten, sprangen auf, als habe sie eine unsichtbare Faust am Kragen gepackt und hochgepurrt. Es entging Casco nicht, daß ihre Augen gierig zu glitzern begannen. Demnach mußte er die Gunst der Stunde nutzen. Und das tat er gründlich.
Er hetzte und schürte, er beschwor und versprach mit einer Überzeugungskraft, die ihresgleichen suchte. Das Feuer, das er entfachte, pflanzte sich in Windeseile über die Decks fort. Überall wurde erregt debattiert, und viele rieben sich erwartungsvoll die Hände. Die Meuterei auf der „Caribian Queen“ war nicht mehr aufzuhalten. Casco brachte nahezu die gesamte Mannschaft auf seine Seite, während die Black Queen ahnungslos in ihrer Koje lag und dumpf brütend gegen die Decke starrte.
Nur vier Männer gab es noch an Bord, die ihre Bedenken äußerten und glaubten, bei der Black Queen nicht abmustern zu dürfen. Zu ihnen gehörte nach wie vor der magere Limba, dem die Furcht vor der Rache der schwarzen Piratin und ihres Geliebten im Nacken saß. Er ballte hilflos die Hände, während Casco die übrigen Männer anfeuerte.
„Wir müssen sofort handeln“, erklärte der Kreole, „und nicht erst warten, bis Caligula zurückgekehrt ist. Jetzt, in diesem Augenblick, müssen wir zuschlagen. Einen Kampf wird es nicht geben, wenn wir uns einig sind. Allein hat die Queen keinerlei Chance gegen uns.“
„Das ist Wahnsinn!“ rief Limba mit bebender Stimme. „Völliger Wahnsinn! Der Einflußbereich der Queen ist noch immer groß. Wir werden uns nirgends mehr in der Karibik sehen lassen können, ohne daß sie sich an uns rächen wird.“
„Wir könnten sie ja ins Jenseits befördern“, sagte ein bärtiger Kerl kalt, „dann braucht sich niemand mehr aus Angst vor ihrer Vergeltung in die Hosen zu machen.“
Limba tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe.
„Du Schwachkopf hast wohl Caligula vergessen, wie? Er würde uns über alle Meere der Welt folgen, darauf kannst du dich verlassen.“
„Schluß jetzt mit all dem Schwachsinn!“ befahl Casco herrisch. „Was dich betrifft, Limba, zwingt dich niemand, daß du dich uns anschließt. Wir alle haben längst bemerkt, daß du dich vor einer kranken und schwachen Frau fürchtest, und auf solche Feiglinge können wir allemal verzichten. Aber bilde dir nur nicht ein, daß auf unserem Schiff noch Platz für dich sein wird. Das gilt auch für diejenigen, die mit dir ins selbe Horn blasen. Ihr alle dürft gern in dieser anheimelnden Gegend bleiben. Wenn ihr hübsch fleißig seid, könnt ihr drüben auf der Insel Bananen und Kokosnüsse ernten, damit euer Freund Caligula und seine Hure was zu beißen haben.“
Der Kreole ging einen Schritt auf Limba zu, packte ihn übergangslos am Gürtel und Kragen, wuchtete ihn hoch, und bevor der magere Schwarze einen Schrei ausstoßen konnte, klatschte er bereits ins Wasser. Seine drei Freunde folgten ihm in wenigen Augenblicken, denn es fehlte Casco fürwahr nicht an Helfern.
„Verschwindet, ihr Angsthasen!“ rief der Kreole. „Aber beeilt euch, sonst beißen euch die Haie die besten Stücke ab.“
Die vier Männer schwammen um ihr Leben. Wenn ihnen kein Hai begegnete, hatten sie eine Chance, die Insel zu erreichen. Im Grunde mußten sie noch froh darüber sein, daß man sie nicht einfach nach alter Piratenmanier abgemurkst hatte.
Der Spott ihrer ehemaligen Kumpane war ihnen auf jeden Fall sicher. Wüstes Gelächter begleitete sie, bis Casco die Bande wieder zur Ordnung rief und sie ermahnte, sich nicht durch zuviel Lärm zu verraten.
„Es ist soweit, Kameraden“, sagte er grinsend. „Wir werden unseren Kapitän wohl oder übel von unserem Entschluß in Kenntnis setzten müssen.“
Die grelle Vormittagssonne übergoß die endlosen Wassermassen der Karibischen See mit gleißendem Licht. Der tiefblaue und wolkenlose Himmel vermittelte ein Bild des Friedens und der Ruhe.
Doch der Schein trog. Zumindest die Black Queen, die in ihrer Koje lag und finsteren Gedanken nachhing, würde jenen Vormittag des 23. April 1594 nie vergessen, denn er sollte ihr die schwärzesten Stunden ihres bisherigen Lebens bescheren.
Ja, was konnte es für eine Frau wie sie, die sich bereits auf dem besten Wege, befunden hatte, die gesamte Karibik zu beherrschen, Schlimmeres geben, als bis an die Grenzen ihrer Kraft erniedrigt und gedemütigt zu werden! Sie war die Black Queen, die Schwarze Königin, vor der man noch vor Monaten gezittert und gekuscht hatte, wo immer sie erschienen war. Die Männer hatten lüsterne Stielaugen gekriegt, wenn sie auf einer der zahlreichen Inseln an Land gegangen war – halbnackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, der von einem handbreiten Ledergürtel festgehalten wurde und ihren athletischen Körperbau betonte. Trotz ihrer enormen Muskelkraft waren ihre weiblichen Reize unverkennbar gewesen, was mit Sicherheit nicht nur an den goldenen Ohrringen und der kostbaren, ineinander verschlungenen Halskette lag, die sie stets trug.
Dieses Bild der Black Queen gehörte jedoch der Vergangenheit an. Die schwere Schußverletzung, von der sie beinahe dahingerafft worden wäre, hatte ihr schwer zugesetzt und ihr Aussehen gewaltig verändert. Sie war dürr geworden, ihre einst so festen Brüste waren faltig und schlaff, die muskulösen Oberarme dünn und kraftlos, und ihr Gesicht wirkte spitz und eingefallen. Nichts erinnerte mehr an die sonst so vollen und sinnlichen Lippen. Die Augen lagen tief, in den Höhlen, die Haut war fahl und voller Falten.
Die Queen war zwar zäh wie eine Katze, sonst hätte sie die schwere Verwundung nicht überlebt, und sie würde auch nach und nach wieder gesunden, das war bereits jetzt schon abzusehen, aber all das zählte nicht für Casco und seine Kumpane. Sie blickten weder in die Vergangenheit noch in die Zukunft. Nur die Gegenwart zählte für sie, und das sollte der Black Queen zum Verhängnis werden.
Nach ihrem kurzen Rundgang, der sehr anstrengend für sie gewesen war, hatte sie sich wieder hingelegt. Sie fühlte sich jedoch verpflichtet, während der Abwesenheit Caligulas wenigstens ab und zu nach dem Rechten zu sehen, damit die Kerle an Bord nicht glaubten, sie könnten tun, was sie wollten.
Die Sache zwischen Casco und Pablo hatte sie nicht sonderlich berührt. Auf einen Kerl mehr oder weniger an Bord kam es sowieso nicht an, zumindest ihr nicht. In diesem Punkt hatte sich die schwarze Piratin nicht verändert. Ihr Charakter, ihre Gefühle, ihr Empfinden sowie all ihre Haß- und Rachegedanken waren die gleichen geblieben, auch wenn sich ihr Körper nachteilig verändert hatte.
Auch ihr Erzfeind war derselbe geblieben: Philip Hasard Killigrew, der Seewolf und Kapitän der „Isabella IX.“. Ihn und seine Männer, die die Schlangen-Insel zu ihrem Stützpunkt gewählt hatten, mußte sie zur Strecke bringen, koste es, was es wolle. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte sie zunächst Cariba losgeschickt und dann Caligula. Sollte auch der nicht zurückkehren, war sie bereit, selbst nach Havanna aufzubrechen. Notfalls würde sie auf allen vieren dorthin kriechen. Ohnmächtige Wut und kalter Haß schnürten ihr zuweilen die Kehle zu, wenn sie in ihrer Koje lag und gegen die Decke starrte.
Die Queen wälzte sich etwas zur Seite und griff nach einem kostbaren Zinnbecher, der randvoll mit Rum gefüllt war. Doch bevor sie den Becher an die Lippen führen konnte, wurde plötzlich das Schott zu ihrer Kammer weit aufgerissen.
Die Frau, die damit nicht gerechnet hatte, zuckte unwillkürlich zusammen und setzte den Becher, ohne von dem Rum getrunken zu haben, hart auf den kleinen Tisch zurück. Ein Schluck der braunen Flüssigkeit schwappte über und verbreitete einen herben Geruch.
Casco, Silo und fünf weitere Männer stürmten in die Kapitänskammer. An ihren Gürteln hingen Säbel und Entermesser, außerdem hatte jeder von ihnen eine schußbereite Steinschloßpistole in der Hand.
„Was ist los?“ keifte die Queen und fuhr mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihrer Koje hoch. „Was wollt ihr hier? Ich habe euch nicht gerufen!“
Casco trat dicht an die Frau heran und richtete den Lauf seiner Pistole auf ihre Brust.
„Natürlich hast du uns nicht gerufen, Queen“, sagte er mit einem triumphierenden Grinsen. „Wir sind freiwillig erschienen.“ Mit einer raschen Bewegung beugte er sich etwas vor und griff nach der wertvollen doppelläufigen Pistole der Queen sowie nach ihrem ungewöhnlich geformten Entermesser. Beide Waffen lagen griffbereit am Fußende ihrer Koje, und jeder wußte, daß sie damit meisterhaft umzugehen verstand.
Casco drückte Silo die Waffen in die Hand.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte die Queen scharf. Sie lag halb aufgerichtet in ihrer Koje. Eine düstere Ahnung stieg in ihr auf und ließ sie vor Wut zittern.
„Eine klare Frage verdient eine klare Antwort“, sagte Casco. „Du bist nicht mehr unser Kapitän, Madam. Wir, das heißt der größte Teil der Mannschaft, haben beschlossen, das Schiff selbst zu übernehmen, weil wir es satt haben, unser halbes Leben lang in dieser Scheißbucht herumzugammeln und auf bessere Zeiten zu warten. Der Kahn ist bereits voll in unserer Hand, daran kannst weder du noch Caligula etwas ändern. Also – steh auf und bereite uns keine Schwierigkeiten.“
Die Black Queen schluckte hart. Eigentlich hatte sie schon begriffen, was los war, als die Kerle in ihre Kammer stürmten. Aber jetzt erst begriff sie die volle Bedeutung der Vorgänge.
„Das ist Meuterei!“ schrie sie und konnte dabei nicht verbergen, wie sehr sie die Erregung anstrengte. „Dafür werdet ihr hängen, das verspreche ich euch!“ Sie kochte vor Wut, denn noch vor kurzem hatte sie diese Kerle nach Belieben getreten wie räudige Hunde. Und sie hatten wie Hunde vor ihr gekuscht. Jetzt aber standen sie in ihrer Kammer, um zu meutern. Das alles war unfaßbar für sie. Für einen Augenblick schien es, als würde sie an ihrer Wut ersticken. Auf den Gedanken, daß es ein Fehler gewesen war, Caligula von Bord zu lassen, kam sie nicht.
„Du wirst niemanden mehr hängen, Queen“, sagte Casco höhnisch. „Im Gegenteil, du wirst froh sein, wenn wir dich laufen lassen. Deine Zeit ist vorbei, auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Jetzt sind wir am Zuge, daran wirst du nichts ändern. Was Caligula betrifft, wirst du vergebens auf ihn warten, denn er treibt es jetzt mit den Hafenhuren von Havanna. Wir könnten das natürlich auch tun, aber wir haben uns für den besseren Weg entschieden. Das Schiff gehört ab sofort uns, ebenso alle Schätze, die sich an Bord befinden. Du bist nicht mehr der Kapitän und hast uns nichts mehr zu befehlen.“
Die Queen stöhnte vor Zorn und Haß. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff sie nach dem Zinnbecher mit Rum und schleuderte ihn Casco mit einem wilden Schrei entgegen.
Der Kreole konnte nicht mehr ausweichen. Der Becher prallte gegen seine breite Brust und fiel polternd auf die Planken. Der Rum tropfte von seinem nackten Oberkörper und versickerte hinter seinem breiten Gürtel.
Casco lachte brüllend.
„Du warst schon wesentlich besser, Queen“, sagte er. „Jetzt aber bist du nichts weiter als ein kraftloses altes Weib!“
Die Queen schwang die Beine aus ihrer Koje. Es zerriß sie fast vor Wut.
„Jedes dieser Worte wirst du bereuen, Casco. Ich schwöre dir, daß du tausend Tode sterben wirst, und ich selbst werde es sein, die dich stückchenweise den Haien zum Fraß vorwirft. Du wirst noch darum winseln, an die Rah gehängt zu werden, aber niemand wird dir diesen Wunsch erfüllen. Das ist ein heiliger Eid, Casco, und ich werde ihn erfüllen. Selbst wenn du mich töten solltest, wirst du nicht entrinnen. Caligula wird wissen, was er zu tun hat.“
Casco und seine Kumpane hatten für diese Worte jedoch nur ein schwaches Grinsen übrig. Sie wußten nur zu gut, daß sie jetzt das Heft in der Hand hatten, und das genügte ihnen.
Der säbelbeinige Silo ließ ein meckerndes Lachen hören.
„Ihre spitze Zunge hat sie noch immer!“ schrie er. „Sie hat es nicht verlernt, Gift und Galle zu verspritzen, nur kann sie damit niemanden mehr beeindrucken. Sollten wir mit ihr nicht mal ausprobieren, wie es ist, wenn man stückchenweise an die Haie verfüttert wird?“
Casco tat, als müsse er überlegen.
„Das hat keinen Sinn“, meinte er schließlich. „Die Haie wären beleidigt, wenn wir ihnen nur ein paar morsche Knochen anbieten würden.“
„Schade“, maulte Silo. „Dann sollten wir wenigstens noch ein bißchen Spaß mit ihr haben.“ Er warf einen gierigen Blick auf die halbnackte Frau.
Doch Casco winkte ab.
„Bist du verrückt geworden?“ Er warf Silo einen tadelnden Blick zu. „Da ist jede Hafenhure besser als sie. Wenn sie nicht so abgemagert wäre, nun ja, da könnte es mich schon reizen, ihre Koje ein bißchen in Unordnung zu bringen, aber Magergänse waren noch nie mein Geschmack. Ich habe schon immer das Frische und Knackige vorgezogen.“ Er sah der Queen bei diesen Worten frech in die Augen, denn er hatte es darauf angelegt, sie zu beleidigen.
„Da hast du völlig recht, Casco!“ rief einer seiner Begleiter. „Nicht einmal mehr dazu taugt sie. Kein Wunder, daß Caligula bereitwillig nach Havanna abgehauen ist. Er hat die Nase ebenfalls voll von dürren Ziegen, die kein Fleisch mehr auf den Rippen haben.“
Die Black Queen stemmte sich mühsam vom Rand ihrer Koje hoch, um dem unverschämten Kerl ins Gesicht zu schlagen, doch Casco versperrte ihr den Weg und stieß sie roh auf ihr Lager zurück.
„Genug jetzt“, entschied er. „Bindet ihr die Hände zusammen und bringt sie ins Boot. Wir setzen sie drüben auf der Insel an Land. Dort kann sie zusehen, wie sie mit ihren vier treuen Freunden zurechtkommt, die ihr bereits vorausgegangen sind. Vielleicht sind sie scharf auf Magergänse, wer weiß.“ Er lachte dröhnend.
Die Meuterer packten die Black Queen und fesselten ihr die Hände auf den Rücken. Dann stießen sie sie aus der Kapitänskammer und trieben sie unter dem lauten Gejohle der restlichen Mannschaft zur Kuhl. Ihre wütenden Schreie und wilden Flüche, ihre Racheschwüre und Verwünschungen halfen ihr nichts. Die wüste Bande riß nur ihre Witze darüber, und einige versuchten sogar, an ihre Brüste zu fassen, als man sie an ihnen vorbeiführte. Doch Casco verhinderte das.
Wenig später befand sich die Black Queen in dem Beiboot, das man bereits während ihrer Gefangennahme abgefiert hatte. Casco und zehn weitere bis an die Zähne bewaffnete Kerle enterten ebenfalls ab, stießen das Boot von der Schiffswand und legten sich in die Riemen.
Das Ufer der einsamen Insel war bald erreicht. Die Queen mußte das Boot verlassen und im seichten Wasser an den Strand waten.
„Viel Spaß auf dieser hübschen Insel!“ brüllte Casco. „Wir haben dafür gesorgt, daß dir genügend Dienstpersonal zur Verfügung steht!“
Die schwarze Piratin stand nach vorn gebeugt im Ufersand, ihr kranker Körper zitterte und bebte. Sie ballte ohnmächtig vor Wut die gefesselten Hände und stieß wilde Drohungen aus. Schließlich spukte sie in die Richtung, in der sich das Boot mit den Meuterern entfernte.
Als eine Weile danach Limba und seine drei Kumpane, die sich wohlweislich im Dickicht verkrochen hatten, bei ihr auftauchten und ihr die Fesseln lösten, mußte sie im Schatten der weitausladenden Palmen mitansehen, wie die „Caribian Queen“ ankerauf ging und unter dem Gejohle der nahezu vierzig Schnapphähne an Bord aus der Bucht segelte.
Bei allen Göttern und Geistern, nie in ihrem Leben würde die Black Queen diesen Tag vergessen. Nein, ganz gewiß nicht.
2.
Havanna, am Morgen des 24. April.
Die „Pommern“, eine schwarz gepönte Dreimastgaleone mit zwanzig Culverinen sowie acht Drehbassen an Bord, rauschte stolz in den Hafen. Im Großtopp wehte die Flagge mit dem roten Greif auf silbernem Feld, das Wappen Pommerns, und an der Besanrute die Flagge von Kolberg mit der Bischofsmütze, den drei Stadttürmen und den beiden Schwänen.
Daß die wendige Beutegaleone, die früher einmal „Santa Clara“ geheißen hatte, auf der Schlangen-Insel durch die sachkundigen Hände des Schiffbaumeisters Hesekiel Ramsgate gegangen war, gereichte ihr sehr zum Vorteil. Nichts an dem Dreimaster erinnerte mehr an sein früheres Aussehen, selbst die weibliche Galionsfigur war entfernt und durch einen rot angestrichenen hölzernen Greif, das Wappentier Pommerns, ersetzt worden.
Die beiden Forts östlich und westlich der Hafeneinfahrt – das Castillo del Morro und das Castillo de la Punta – hatte die „Pommern“ unbehelligt passiert. Die Besatzung brauchte zu ihrer Zufriedenheit keinerlei Formalitäten und Kontrollen über sich ergehen zu lassen, weil die Galeone neben der „Wappen von Kolberg“ als zweites Schiff aus der Flotte des Handelshauses der von Manteuffels nach Havanna geschickt worden war. Zudem war Arne von Manteuffel, der Vetter des Seewolfs, vom Gouverneur der Insel als deutscher Kaufherr bestätigt worden.
Arne war darüber informiert, daß die „Pommern“ Havanna anlaufen würde, denn der Täuberich Izmir hatte die Nachricht schon am 20. April von der Schlangen-Insel gebracht. Die Brieftauben garantierten fürwahr einen absolut zuverlässigen Informationsdienst.
Während der Dreimaster auf die Pier zuhielt, die in unmittelbarer Nähe von Arnes Faktorei lag, wurden die Segel ins Gei gehängt. Laute Kommandos dröhnten in deutscher Sprache über die Decks, und die guteingespielte Crew demonstrierte den zahlreichen Gaffern und Herumlungerern, die das Hafengebiet bevölkerten, wie man fachkundig mit einem solchen Schiff umging. Die Zusammenarbeit zwischen den deutschen und englischen Besatzungsmitgliedern funktionierte hervorragend, und das war kein Wunder, denn sie alle hatten bisher dem Teufel auf allen Meeren der Welt beide Ohren abgesegelt.
Jawohl, trotz des deutschen Stimmengewirrs gehörten siebzehn Engländer – ausnahmslos Seewölfe von der „Isabella IX.“ – zur Crew. Außer dem Seewolf handelte es sich dabei um Dan O’Flynn, Ferris Tucker, Big Old Shane, Edwin Carberry, Smoky, Blacky, Al Conroy, Stenmark, Gary Andrews, Pete Ballie, Matt Davies, Sam Roskill, Luke Morgan sowie um den Kutscher und die Zwillinge.