Seewölfe Paket 29

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„Ja, da hast du recht“, pflichtete Gary Andrews ihm bei. „Der Orient liegt ja nun wirklich hinter uns. Aber wie schaffen die Araber das bloß, daß sie sich ihr Leben lang ein solches Zeug einverleiben?“
„Über Geschmack läßt sich eben streiten“, meinte der Kutscher. „Und jedes Land hat seine Kultur und seine Traditionen.“
„Halt uns jetzt keinen Vortrag“, sagte der Profos. „Verrate mir lieber, was für heute abend auf dem Speiseplan steht.“
„Fisch“, erwiderte der Kutscher.
Carberry blickte argwöhnisch drein. „Frischer?“
„Natürlich. Bei uns gibt’s nur frischen Fisch“, sagte der Kutscher.
„Das ist ja wohl Ehrensache“, sagte der Profos. „Weiß der Henker, was ihr uns alles unterjubelt. Ihr laßt euch ja nie in die Kübel schauen. Aber das eine sage ich euch. Wenn der Fisch heute abend stinkt, hau’ ich ihn euch um die Ohren.“
„Die Zwillinge haben ihn selbst gefangen“, entgegnete Mac mit griesgrämigem Gesicht. „Du kannst sie ja fragen, ob die Biester schon tot waren, als sie sie aus dem Wasser zogen.“
„Versuche bloß nicht, witzig zu werden, Mister Pellew, sonst schicke ich dich als Kundschafter zu den Nixen, die in diesem Kanal baden“, sagte Carberry.
Und Sir John, der auf seiner Schulter hockte, plärrte: „Pfeifen und Lunten aus – alle Mann von Bord!“
Die Zeit verging. Hinter der nächsten Krümmung der Meerenge entdeckte Bill, der Ausguck, ein paar Bauten am östlichen Ufer. Bald waren auch Menschen zu sehen, die auf einem Bootssteg zusammenliefen. Nur Männer. Sie schirmten ihre Augen mit den Händen gegen die Sonne ab und spähten zu der Dubas.
Hasard ließ etwas näher unter Land gehen. Kurze Zeit darauf waren die Mannen mit dem Zweimaster auf Rufweite an die Siedlung herangesegelt. Der Seewolf gab seinen Söhnen ein Zeichen. Sie sollten sich mit den Einheimischen verständigen.
„He, das soll Beylerbey sein?“ fragte Ferris Tucker. „Na, da bin ich aber enttäuscht.“
„Hallo!“ rief Philip junior zu den Türken hinüber. „Welcher Ort? Sind wir in Beylerbey?“
Die Türken begannen zu lachen.
„Nein!“ schrie einer von ihnen. „Dies ist Beikoz.“
„Ihr seid Fischer?“ wollte Philip wissen.
„Ja!“
„Und wie weit ist es bis Beylerbey?“
„Zwei, drei Stunden!“ erwiderte ein anderer Türke. „Wer seid ihr?“
„Handelsfahrer!“ rief Hasard junior.
„Woher?“
„Aus Batumi!“ antwortete Philip der Einfachheit halber.
„Nie gehört!“ schrie ein dritter Türke. „In welchem Land liegt das?“
„Im Morgenland!“ erwiderte Hasard junior kurzerhand.
„Aha! Segelt ihr nach Istanbul?“ erkundigte sich der erste Sprecher an Land.
„Die sind aber neugierig“, sagte Carberry mit finsterer Miene. „Was geht die das eigentlich alles an?“
„Wir wollen nach Istanbul!“ erklärte Philip junior. „Ist der Weg dorthin offen, oder muß man Zoll bezahlen?“
„Offen“, gab der zweite Türke Auskunft.
„Aber paßt auf!“ rief der dritte. „Es könnte unterwegs gefährlich sein! Geht nicht an Land! Es ist in eurem Interesse!“
„Warum?“ fragte Hasard junior.
„Weil es an Land Banditen gibt!“ schrie ein vierter Türke. „Eine schlimme Bande! Giaurs! Sie wüten wie die Teufel! Wir alle müssen uns vor ihnen schützen!“
„Aha“, sagte der Seewolf, als seine Söhne für ihn übersetzten. „Das hört sich nicht sehr gut an. Fragt doch mal, welcher Herkunft diese Banditen sind.“
Das taten die Zwillinge, und prompt wurden sie auch darüber unterrichtet.
„Giaurs!“ schrie einer der Türken auf dem Steg. „Weiße Gesichter, schwarze Haare! Sie töten, plündern, rauben – auch unsere Frauen!“
„Feine Gegend“, sagte Big Old Sahne. „Hier scheinen rauhe Sitten zu herrschen. Landsleute von uns werden diese sogenannten Giaurs aber wohl kaum sein. Sonst wären ein paar Blonde darunter.“
„Vielleicht sind es Griechen“, sagte Ferris.
„Warum zieht ihr nicht weg von hier, wenn es so gefährlich für euch ist?“ erkundigte sich Philip junior bei den Türken.
„Wir haben hier unsere Häuser!“ entgegnete der zweite Sprecher. „Und jeder hat sein Stück Land, wo er Knoblauch und Kürbisse anbaut! Das können wir nicht aufgeben! Lieber verrammeln wir unsere Türen und Fenster und gehen nachts mit der Flinte schlafen!“
„Seid ihr schon angegriffen worden?“ fragte Hasard junior.
„Wir noch nicht!“ rief der erste der Türken. „Aber Nachbarn von uns! Denen wurde ein junges Mädchen entführt! Bis heute ist es nicht wieder aufgetaucht!“
„Menschenraub“, sagte der Seewolf. „Das übelste aller Verbrechen. Man sollte diesen Hundesöhnen das Handwerk legen.“
„Mal nicht den Teufel an die Wand“, sagte Old O’Flynn. „Ein Gefecht mit solchen Bastarden hat uns gerade noch gefehlt.“
„Wo befindet sich denn der Schlupfwinkel der Bande?“ rief Philip junior den Türken zu.
Die Fischer konnten nur mit den Schultern zucken und die Köpfe schütteln.
„Das weiß keiner“, rief einer von ihnen zurück. „Man vermutet, daß sie in den Bergen hausen! Vielleicht in den Dodullu-Bergen! Aber es hat sich noch keiner dort hingetraut!“
„Hölle und Teufel“, sagte Carberry, der den Übersetzungen der Zwillinge ebenso gespannt lauschte wie die anderen Mannen. „Diese Galgenstricke scheinen aufzutauchen und wieder zu verschwinden wie der reinste Spuk. Ein starkes Stück. Sie müssen ziemlich gerissen sein, denn solche Hasenfüße und Memmen sind die Türken gewiß auch nicht.“
Die Dubas hatte sich während der Unterhaltung auf die Siedlung zugeschoben. Jetzt glitt sie an der wacklig wirkenden, aus Bohlen zusammengezimmerten Pier vorbei, auf der die Türken standen und an der die Fischerboote vertäut waren.
Der Zweimaster segelte weiter. Es blieb nicht mehr viel Zeit, noch weitere Worte zu wechseln. Die Distanz vergrößerte sich rasch wieder.
„Vielen Dank“, rief Hasard junior den Türken noch schnell zu. „Wir werden uns an eure Ratschläge halten!“
„Salem aleikum!“ erwiderte der erste Sprecher der Fischer. „Gute Fahrt!“
Etwa eine halbe Stunde verstrich, und es ereignete sich nichts Besonderes. Die Männer richteten ihre Blicke verstärkt auf das östliche Ufer. Etwas Bemerkenswertes war jedoch nirgends zu registrieren. Nichts regte sich. Nur Vögel kreisten wie üblich über den bewaldeten Hängen.
Plötzlich stieß Bill einen Warnlaut aus. „Achtung! Da sind Reiter!“
Die Männer richteten ihren Blick in die Richtung, in die Bill deutete. Hasard, Ben, Dan und Don Juan griffen sofort zum Spektiv. Und nun sahen sie deutlich, was sich am Land abspielte.
Ein Pulk Reiter raste hinter zwei einzelnen Männern her, die ihre Pferde zum Galopp antrieben. Eine Verfolgungsjagd. Sie führte quer durch den Zypressen- und Pinienwald.
Zwei weiße Wolken Pulverqualm stoben hoch. Gleich darauf war das Knallen von Schüssen zu hören. Die Reiter stoben den Hang hinunter und hielten auf das Ufer des Bosporus zu.
Schon lange planten die Brüder Porceddu, den reichen Kaufmann Kemil Haydar zu überfallen. Aber bislang hatten sie ihn nicht erwischen können. Einmal im Monat sammelte Haydar in den Dörfern nördlich von Üsküdar die Gelder ein, die die Bauern und Fischer ihm für die Waren schuldeten, die er ihnen auf Kredit verkaufte.
Sein Sohn Balat half ihm dabei, er begleitete seinen Vater auf Schritt und Tritt. Am Ende hatten sie eine Menge Geld zusammen, das sie nach Üsküdar transportierten. Sie nahmen ein hohes Risiko auf sich, wußten aber auch sehr gut mit ihren Musketen umzugehen.
Anderen Männern als seinem eigenen Sohn traute der Kaufmann Haydar nicht. Deshalb wollte er nur ihn bei sich haben, wenn die Gelder geholt wurden. Im übrigen legte Haydar nie den Tag und die Stunde fest, wann er nach Üsküdar zurückkehrte. Und jedesmal bediente er sich einer anderen Strecke, um dorthin zu gelangen.
Die Porceddus und ihre Kumpane hatten schon dreimal versucht, den beiden Haydars einen Hinterhalt zu legen. Jedesmal hatten sie vergebens gewartet. Dario und sein Bruder Silvestro wurden jedesmal fuchsteufelswild, wenn die Sache schiefging.
Aber vor Tagen hatten sie einen Hinweis von einem Türken erhalten, der Kemil Haydar wie die Pest haßte. Der Türke hatte bei Haydar in der Kreide gestanden und kaum noch einen Heller zahlen können. Haydar hätte ihn „ausgepreßt wie einen Schwamm“, behauptete der Kerl.
Jetzt war er bettelarm. Dafür wollte er sich rächen. Zufällig hatte er erfahren, durch welchen Wald die Haydars reiten würden, wenn sie nach Üsküdar zurückkehrten.
Für diese vorzügliche Information hatte Dario Porceddu dem Spitzel einen Goldpiaster gezahlt. Das war es ihm wert. Der Türke war überglücklich. Er würde auch in Zukunft mit guten Hinweisen dienen können, soviel stand fest.
Etwa anderthalb Stunden hatten die Porceddus mit ihrer Meute im Wald gelauert. Dann hatten sich die beiden Reiter genähert. Durch ein Fernrohr konnte Dario sehen, daß an den Sätteln ihrer Tiere dicke Ledersäcke hingen. Darin war das Gold. Die Beute.
Dario, Silvestro und Brodzu hatten als erste auf die Haydars gefeuert. Aber die hatten sich gerade noch rechtzeitig geduckt. Die Kugeln pfiffen an ihnen vorbei. Sie nahmen Reißaus – und die Bande preschte hinter ihnen her.
Jetzt trachteten die Porceddus danach, die beiden Opfer wieder einzuholen. Aber die Haydars hatten gute Pferde. Erstklassige Renner. Es war nicht leicht, den Abstand zu verkürzen, der zwischen beiden Parteien lag.
Wütend droschen die Porceddus mit Peitschen auf ihre Tiere ein. Hinter ihnen tobte die Meute. Um jeden Preis mußte man die Hundesöhne von Türken erwischen und ihnen die Hälse umdrehen. Die Beute, die da winkte, war zu fett!
Erstaunt nahmen die Banditen wahr, daß die Haydars nunmehr aus dem Wald auf das Ufer des Bosporus’ zuhielten. Und dort näherte sich ein Schiff. Ein Zweimaster. Was hatte das zu bedeuten? Erhofften sich Vater und Sohn Haydar etwa Unterstützung von der Besatzung?
Darüber mußte Dario nun doch lachen. Er blickte zu seinem Bruder hinüber. Der stieß ebenfalls ein Meckern aus.
„Die bilden sich ein, sie können uns noch abhängen!“ brüllte Silvestro.
„Da haben sie sich schwer geirrt!“ schrie Dario.
„Und Hilfe erhalten sie sowieso nicht!“
„Drauf!“ röhrte Brodzu hinter ihnen. „Machen wir sie kalt, diese Pfeffersäcke!“
Kemil Haydar uns sein Sohn Balat ritten in gestrecktem Galopp nebeneinander her. Sie wußten, daß es wenig Zweck hatte, sich im Sattel umzudrehen und auf die Banditen zu feuern. Es waren zu viele. Und bei diesem Tempo konnte man nicht gut zielen. Sie vergeudeten nur ihre Munition.
Früher oder später ermüdeten die Pferde. Dann konnten sich die Haydars ihren Gegner nur noch ergeben. Kemil Haydar wußte, was das bedeutete. Die Banditen schossen oder stachen sie nieder und entkamen mit dem Geld. Gnade kannten sie nicht.
Haydar wußte, mit wem er es zu tun hatte. Es waren die gefürchteten Wegelagerer und Schnapphähne, die schon seit Jahren die Gegend terrorisierten. Bisher hatte er es verstanden, ihnen auszuweichen. Dieses Mal hatten er und sein Sohn Pech gehabt.
Es gab nur noch eine Chance. Der Zweimaster, der sich dort näherte, schien ein Geschenk des Himmels zu sein. Gelang es Haydar und seinem Sohn, rechtzeitig ins Wasser zu springen und zu dem Segler zu schwimmen, so war die Lage gerettet.
Schwimmen konnten sie beide. Und die Geldsäcke ließen sich im Wasser leichter schleppen als an Land. All das war kein Problem. Es ging lediglich darum, den Kugeln der Banditen zu entgehen.
„Hilfe!“ schrie Kemil Haydar der Besatzung der Dubas zu. „Steht uns bei!“
„Was hast du vor?“ rief sein Sohn.
„Wir schwimmen!“
Ob die Männer an Bord der Dubas Türken waren? Bei Allah, hoffentlich verstanden sie Haydars Worte! Wieder versuchte er, einen Kontakt mit den Leuten aufzunehmen. Dieses Mal glückte es. Eine Stimme wehte von Bord des Zweimasters zurück.
„Wir geben euch Feuerschutz!“
Es war Philip junior, der auf die Anweisung seines Vaters diese Worte ausstieß. Dem Seewolf und seinen Männern fiel es nicht sehr schwer, die Meute zu taxieren, die hinter den beiden einzelnen Reitern her war.
Das waren Galgenstricke der übelsten Sorte – wahrscheinlich die Kerle, von denen die Fischer berichtet hatten. Also galt es, diejenigen zu unterstützen, die im Nachteil waren und das Recht auf ihrer Seite hatten.
Gefechtsklar war die Dubas ohnehin. Hasard ließ die beiden Verfolgten dicht genug ans Ufer reiten. Sie zügelten ihre Tiere, rissen die Satteltaschen an sich und sprangen von den Pferden. Im nächsten Gebüsch suchten sie Deckung.
„Feuer!“ rief der Seewolf.
Al Conroy, Gary Andrews und Sam Roskill traten als Schützen in Aktion. Sie zündeten die Drehbassen an der Backbordseite der Dubas. Zischend brannten die Lunten ab, dann krachten die Geschütze. Drei Kugeln rasten auf die heranpreschenden Sarden zu. Sie schlugen vor der Meute in die Erde.
Ganze Grassoden wirbelten hoch. Die Banditen fluchten. Ihre Pferde bäumten sich wiehernd auf. Einer der Kerle stürzte vom Sattel zu Boden und mußte sich schleunigst zur Seite rollen, um nicht von den Hufen der Tiere zu Tode getrampelt zu werden.
„Das war die Vorwarnung“, sagte der Seewolf. „Wenn sie sich nicht zurückziehen, gibt es Zunder. Ladet die Geschütze nach.“
4.
Kemil Haydar und sein Sohn Balat staunten nicht schlecht, als sie aus dem Uferdickicht verfolgten, wie die Männer der Dubas den Banditen die Kugeln entgegenfeuerten.
„Vater, siehst du das?“ fragte Balat überrascht. „Die helfen uns wirklich!“
„Der Scheitan soll mich auf der Stelle holen, wenn das harmlose Fischer sind“, erwiderte Kemil Haydar. „Und Türken sind sie auch nicht.“
„Du meinst, wir müssen uns auch vor ihnen in acht nehmen?“
„Wir haben keine Wahl.“
„Und wenn sie uns das Geld abnehmen?“ fragte Balat.
„Dann haben wir Pech gehabt“, erwiderte sein Vater mit unwiderlegbarer Logik. „Aber wir retten wenigstens unser Fell. Los!“
Sie schoben sich ins Wasser und zerrten die Geldsäcke mit. Im Wasser drehten sie sich auf den Rücken und nahmen die Säcke auf die Bäuche. Sie gingen mit ihrer Last zwar immer wieder unter, aber die Entfernung zur Dubas war nicht sehr groß.
Irgendwie schafften sie es, bis zu dem Zweimaster zu gelangen. Dort streckten sich ihnen Hände entgegen, und die Mannschaft zog sie an Bord.
Die Porceddus und ihre Spießgesellen gingen hinter Büschen und Bäumen in Deckung. Sie richteten ihre Musketen auf den Segler und verfolgten fluchtend, wie die Haydars an Bord geholt wurden.
Dario drückte auf den Vater ab. Die Muskete knallte. Aber der Sarde hatte schlecht gezielt, außerdem war die Distanz für einen präzisen Gewehrschuß noch etwas zu groß. Die Kugel prallte wirkungslos gegen die Bordwand der Dubas.
Auch Silvestro, Brodzu und die anderen Banditen feuerten. Doch keine einzige Kugel saß im Ziel. Die Haydars gingen unverletzt hinter dem Schanzkleid des Zweimasters in Deckung. Die Musketenkugeln konnten dem harten Eichenholz der Dubas nichts anhaben. Und auch von den Besatzungsmitgliedern vermochten die Banditen keinen einzigen zu treffen, weil diese ebenfalls die Köpfe eingezogen hatten.
Aber jetzt schossen die Unbekannten von der Dubas zurück. Wieder dröhnten die Drehbassen. Und auch Musketen belferten. Dann wirbelte etwas durch die Luft, das aussah wie eine Flasche.
Die Porceddus und ihre Kumpane hatten keine Zeit, sich über dieses Ding zu wundern. Die Flasche landete vor ihnen auf dem Gras und flog plötzlich mit einem ohrenbetäubenden Krach auseinander.
Splitter wirbelten – Glas und Blei. Die Kerle heulten und stöhnten. Einige von ihnen hatten blutige Gesichter. Einer, der rechts neben Brodzu kauerte, kippte plötzlich zur Seite. Tot. Der Splitter einer Drehbassenkugel, die gegen einen Baumstamm geprallt und zerplatzt war, hatte ihn in die Brust getroffen.
„Feuer! Feuer!“ brüllte Silvestro.
Die Musketen der Banditen krachten wieder, aber sie erwischten nicht einen einzigen der Gegner. Die Kerle stießen die übelsten Verwünschungen aus. Drüben blitzten wieder die Mündungen der Waffen auf, und neue Kugeln rasten den Sarden entgegen.
„Verflucht“, stieß Dario hervor. „Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Ja, ist hier denn alles verhext?“ Er warf sich zur Seite. Eine Musketenkugel sirrte haarscharf an seiner Schulter vorbei.
Kein Zweifel, die Banditen hatten es mit einem harten Gegner zu tun. Daß er kämpfen konnte, hatte er ihnen soeben handfest gezeigt. Dario begriff, daß es keinen Sinn hatte, das Feuergefecht weiterzuführen. Ja, es war sogar Dummheit, auf diesen Abstand auf die Dubas zu feuern und zu riskieren, daß die Höhenbastarde einen nach dem anderen ins Jenseits schickten.
„Rückzug!“ befahl Dario.
„Bist du verrückt?“ zischte sein Bruder.
„Es hat keinen Zweck, daß wir hier noch länger herumballern! Das bringt nichts!“
„Hast du die Hosen voll?“ grollte Silvestro.
Darios Augen verengten sich. „Nicht voller als du. Willst du, daß noch mehr von uns krepieren?“
„Ich will diese Hurensöhne erledigen und mir das Geld holen!“ brüllte Silvestro.
Die Drehbassen der Dubas spuckten wieder Feuer und Eisen aus. Eine Kugel knickte einen jungen Baum um, die beiden anderen ließen Erde und Gras hochspritzen. Aber das war noch nicht alles. Eine Flaschenbombe torkelte durch die Luft.
„Aufpassen!“ heulte Dario.
Vor ihm griff sich plötzlich einer der Kerle an die Brust. Er gab noch einen gurgelnden Laut von sich, dann kippte er auf den Rücken. Aus seiner Brust ragte der Schaft eines Pfeiles.
„Die haben Pfeil und Bogen“, keuchte Brodzu. „Was sind das bloß für Kerle?“ Weiter gelangte er nicht. Die Höllenflasche detonierte, und noch einmal flog den Galgenstricken das Inferno um die Ohren. Fazit: Noch ein dritter Bandit blieb auf der Strecke.
Jetzt war auch Silvestro überzeugt, daß es klüger war, sich zu verziehen.
„Weg!“ stieß er hervor. „Sonst gehen wir alle drauf!“
Die Banditen krochen zu ihren Pferden und entfernten sich mit den Tieren. Von Bord der Dubas dröhnte ihnen ein „Arwenack“-Ruf nach, aber damit wußten sie nichts anzufangen. Die Porceddus und ihre Kumpane suchten den nahen Wald auf. Hier waren sie vor Schüssen aller Art, vor Wurfgranaten und Pfeilen sicher.
„Das war’s zunächst“, sagte der Seewolf. „Aber sie werden uns beobachten und uns auf den Fersen bleiben.“
„Damit müssen wir rechnen“, sagte Ben Brighton.
Kemil und Balat Haydar standen mit ihren Geldsäcken auf dem Deck des Zweimasters und musterten die „Giaurs“, als handle es sich um Gespenster.
„Ist das wirklich wahr?“ sagte Kemil Haydar. „Daß ihr so gut kämpfen könnt? Ihr seid noch besser als die türkische Marine.“
„Ist das als Lob zu verstehen?“ fragte Philip junior lächelnd.
„Ja.“
„Wer seid ihr?“ erkundigte sich Balat Haydar.
„Unser Kapitän ist Philip Hasard Killigrew“, erklärte Hasard junior. „Er steht dort.“ Er wies auf seinen Vater, dann auf seinen Bruder und sich. „Wir sind seine Söhne. Die meisten Männer unserer Crew stammen aus England. Wir sind freie Seefahrer.“
Kemil Haydar und sein Sohn verneigten sich tief vor dem Seewolf. Als sie sich wieder aufrichteten, sagte der Kaufmann: „Allah sei gelobt. Wir haben Ihnen unser Leben zu verdanken, großer Philip Hasard Killigrew, und stehen ewig in Ihrer Schuld. Was können wir tun, um Ihnen unseren Dank zu erweisen?“ Er deutete auf die Säcke. „Diese Säcke sind mit Geld gefüllt, Sie gehören Ihnen und Ihren Männern.“
Hasard schüttelte den Kopf. „Das kann und will ich nicht annehmen. Meine Männer und ich haben Ihnen geholfen, weil Sie in Not waren. Das ist alles. Wir haben unsere Pflicht als Menschen erfüllt. Sie sind uns nichts schuldig. Verraten Sie mir aber eins. Wer sind die Banditen?“
„Die Brüder Porceddu und ihre Meute“, erwiderte Kemil Haydar.
„Sind es Griechen?“ fragte Don Juan.
„Nein, Sarden“, antwortete der Kaufmann. „Schnapphähne der übelsten Sorte. Sie schrecken vor nichts zurück. Sie morden wie die Wölfe. Und sie entführen Frauen.“
„Das haben wir schon gehört“, sagte der Seewolf. Er berichtete von der Begegnung mit den Fischern von Beikoz. „Warum gibt es keine Garde oder Soldaten, die diesen Banditen das Handwerk legen?“
„Ach, das hat viele Gründe“, entgegnete Kemil Haydar. „Die Türkei ist kein sehr gut organisiertes Land. Die Städte sind untereinander verfeindet. Keiner arbeitet gern mit dem anderen zusammen. Und das Bergland ist eine Wildnis, in die sich kaum jemand traut.“
„Die Dodullu-Berge, nicht wahr?“ erkundigte sich Hasard.
„Ja.“ Wieder staunte Kemil Haydar. „Ihr kennt euch aber gut aus.“
„Auch das haben wir von den Fischern erfahren“, erklärte der Seewolf.
„Ja, die sind ein redseliges Völkchen“, sagte der Kaufmann.
„Aus welchem Ort seid ihr?“ wollte Hasard wissen.
„Üsküdar“, erwiderte Kemil Haydar.
„Liegt das bei Beylerbey?“ fragte Ben Brighton.
„Etwas weiter südlich“, erklärte Haydar. „Üsküdar ist größer und schöner als Beylerbey.“
Hasard deutete zum Wald. „Die Banditen lecken jetzt ihre Wunden und verschnaufen. Ganz zurückziehen werden sie sich nicht, wie ich sie einschätze.“
„Sarden sind sehr rachsüchtig“, sagte Don Juan. „Sie beratschlagen jetzt, wie sie uns am besten überrumpeln.“
„Deshalb schlage ich vor, Sie bleiben bis Üsküdar bei uns an Bord“, sagte der Seewolf zu den beiden Türken. „Dann kann Ihnen nichts mehr passieren.“
„Und die Pferde?“ fragte Ferris Tucker.
Kemil Haydar lächelte. Wieder verneigte er sich. „Ich danke Ihnen für dieses großzügige Angebot, Kapitän Killigrew“, sagte er. „Oh, die Pferde finden den Weg nach Hause allein. Sie kennen sich bestens aus.“
So segelte die Dubas weiter. Sie blieb weiterhin gefechtsbereit. Bill und Dan ließen die Wälder nicht aus den Augen. Sie konnten die Banditen nicht sehen, doch sie vermuteten, daß diese dem Segler folgten.
Die beiden Pferde der Haydars trotteten am Ufer entlang. Bald waren sie der Dubas um gut eine halbe Meile voraus. Der Gedanke an den wannen Stall und das Futter, das auf sie wartete, schien sie anzuspornen.
Häufiger waren nun Häuser und Siedlungen zu beiden Seiten des Bosporus zu erkennen. Und immer öfter tauchten Segler auf, deren Besatzungen neugierig zu der Dubas starrten. Nach einer Stunde glitt der Zweimaster an Beylerbey vorbei. Etwas später deutete Kemil Haydar voraus und wies die Mannen auf den Hafen hin, dessen Becken sich am Ostufer öffnete.
Gegenüber, an der westlichen Seite, erhoben sich im milchigen Licht des zur Neige gehenden Tages die Zwiebeltürme von Moscheen und die spitzen Nadeln der Minarette aus einem Meer von Dächern.
„Istanbul“, sagte der Seewolf.
Dario und Silvestro Porceddu dachten nicht daran, ihre Kumpane zu bestatten, die bei dem Gefecht ums Leben gekommen waren. Sie hatten nur eines im Sinn: Rache.
Büßen sollten die Giaurs von der Dubas, die gewagt hatten, den Haydars zu helfen und das Feuer auf die Sarden zu eröffnen. Sterben würden sie – auf grausame Weise. Und auch die Haydars würden verrecken. Das schworen sich die Porceddus und ihre Spießgesellen.
Also galt es, die Dubas fortan nicht mehr aus den Augen zu lassen. Mit finsteren Mienen verfolgten die Banditen aus ihrer Deckung im Wald, wie der Zweimaster weitersegelte. Am Ufer trabten die Pferde von Kemil und Balat Haydar.
„So“, sagte Silvestro mit verzerrtem Gesicht. „Die Hurensöhne geleiten die beiden Türkensöhne sogar noch feierlich nach Hause, wie’s scheint.“
„Ja“, sagte Dario erbittert. „Aber wir bleiben ihnen auf den Fersen. Wohin sie auch fahren, sie entgehen uns nicht.“
„Ich werde sie mit meinem Säbel köpfen“, sagte Brodzu. „Einen nach dem anderen.“
„Erst sind wir an der Reihe“, sagte Silvestro. „Mein Bruder und ich. Noch nie ist uns eine derartige Schmach zugefügt worden.“
„Es ist unsere erste Niederlage“, sagte Dario.
„Wer sind diese Hunde?“ fragte einer der Banditen. „Woher kommen sie?“
„Keiner von uns weiß es“, erwiderte Dario. „Aber wir werden es herauskriegen.“
Die Meute setzte sich in Bewegung. Im Schutz der Bäume und Büsche folgte sie der Dubas. Der Kurs des Zweimasters führte nach Süden, vorbei an Beylerbey und anderen Vororten von Üsküdar und Istanbul.










