Seewölfe Paket 29

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Der Bucklige schrie „Ah!“ und „Oh!“ und brüllte nach Allah, während der Mickrige stumm die Hände rang und entsetzt zum Himmel blickte, ob Allah denn das Biest nicht endlich zur Umkehr bewegen würde.
Auch Carberry, Smoky und Luke Morgan wichen ein paar Schritte zurück, als das Biest auf sie zuschlängelte. Nur der Kutscher und Jung Philip blieben stehen.
Der Sohn des Seewolfs bückte sich in aller Seelenruhe, griff der Schlange hinter den Kopf und hob sie hoch. Genauso ruhig trug er sie ein paar Schritte weiter, grinste, den Mickrigen an und packte die Schlange wieder in den Korb zurück.
Der Bucklige war starr vor Staunen, der Schlangenbeschwörer riß den Mund auf und stierte Philip ungläubig und fast ein wenig verärgert an. Aber er sagte nichts, auch kein Wort des Dankes wollte über seine Lippen gelangen.
„Bist du wahnsinnig?“ zischte der Profos, als Philip feixend wieder zurückkehrte und die entsetzte Menge ihn aus sicherer Entfernung neugierig anstarrte. „Wenn das Vieh dich gebissen hätte – ah, gar nicht auszudenken! Wir wären unseres Lebens nie mehr froh geworden.“
„Eine Naja“, sagte Philip lässig, „eine ganz stinknormale Kobra. Die hätte mich niemals gebissen. Die kannst du unbesorgt mit in die Koje nehmen, Mister Profos.“
„Kobras sind giftig“, erregte sich der Profos, „das weiß jeder, der mal mit Schlangen zu tun hatte.“
„Klar, sie sind giftig, will ich ja auch gar nicht abstreiten, sehr giftig sogar, sofern sie nicht einem Schlangenbeschwörer gehören, der damit die Leute begaunert.“
„Hat er nicht“, sagte der Profos.
„Hat er doch“, versicherte Philip. „Die Kobra hatte nämlich keine Zähne mehr und kann auch kein Gift mehr verspritzen. Die ist völlig harmlos. Bei Kalibans Gauklertruppe hatten wir auch einen Schlangenonkel, und der hat den Giftschlangen immer sehr sorgfältig die Beißerchen gezogen, damit ihm nichts passiert. Aber das wissen die Leute nicht, die glauben, das sei alles echt.“
„So ist das also“, murmelte der Profos. „Na ja, du mußt es ja wissen, aber es wirkte ganz echt.“
„Soll es ja auch, damit die Leute ihr Geld herausrücken.“
Die Menge fand sich wieder ein, denn jetzt trat ein anderer Mann auf, der nur eine Pluderhose und einen rotleuchtenden Turban trug.
Er blickte mit gefurchter Stirn in die Menge, griff dann nach einem großen Korb und schüttete den Inhalt auf dem Boden. Der Inhalt bestand aus Glasscherben und Nägeln.
„Selim zeigt euch nun, wie man über Glasscherben und Nägel geht, ohne sich zu verletzen!“ rief der Bucklige enthusiastisch. „Dabei wird ihm nichts geschehen!“
Er griff wahllos in die Glasscherben und Nägel und verteilte sie unter den Zuschauern, damit jeder prüfen konnte, daß sie auch echt und richtig scharf waren.
Der Mann, der sich Selim nannte, verteilte die Glasscherben mit den Händen, bis sie eine daumendicke Schicht bildeten. Dann blickte er wieder in die Menge und schien jeden einzelnen zu mustern.
„Latscht der da wirklich durch?“ fragte Smoky ungläubig. „Oder ist das auch wieder ein Trick?“
„Das ist kein Trick“, sagte Philip. „Das ist so eine Art von Konzentration. Ihm passiert wirklich nichts, aber ich selbst möchte es nicht unbedingt versuchen.“
Der Kerl schien sich in den Scherben regelrecht wohl zu fühlen. Fast genußvoll trampelte er mit den nackten Füßen darin herum, ging dann hin und her und hatte den Blick zum Himmel gerichtet.
Die Menge starrte ihn schweigend an.
Als er genug in den Scherben herumgelatscht war, ließ er sich auf den Boden nieder und legte sich in Glas und Nägel hinein. Dabei reckte und streckte er sich, als wolle er sich zu einem Schläfchen hinlegen.
Auf dem Rücken blieb er schließlich liegen und gab dem Buckligen ein Zeichen mit der Hand. Der sprang ihm daraufhin auf den Brustkasten und trampelte wild herum.
Wieder johlten einige vor Begeisterung. Sie erwarteten Blut zu sehen, doch als Selim sich erhob, waren Brust und Rücken nur ein bißchen staubig und verkratzt, und zwei Glasscherben klebten ihm noch am Rücken. Auch an seinen Füßen war keine Verletzung zu sehen.
Zwei Männer fegten den Scherbenhaufen zusammen und taten alles in den Korb zurück. Selim verneigte sich und verschwand ebenfalls in der Bude.
Carberry lauerte auf den stärksten Mann der Welt, doch der ließ sich vorerst noch nicht blicken. Anscheinend war er die Hauptattraktion.
Zunächst trat ein Feuerspucker auf, ein arroganter Kerl mit dem Gehabe eines eitlen Stutzers, der fast naserümpfend und erhaben in die Menge blickte. Er gab sich den Anschein, als sei er der einzige Feuerspucker auf der Welt und seine Kunst ein Geheimnis, das außer ihm niemand erlernen könne.
Er schob sich kleine brennende Fackeln in den Mund, erstickte die Flammen und blies dann darüber, bis sie wieder wild brüllend und fauchend gluteten.
„Der hätte sich bei dem Großbrand in London mal so richtig vollfressen können“, kommentierte der Profos. „Oder man könnte ihn als Brander gegen feindliche Schiffe einsetzen.“
Der arrogante Schnösel blies eine gewaltige Feuerwolke aus, die brausend in die Luft fuhr und dann versprühte. Dann warf er die erloschenen Fackeln dem Buckligen hochmütig vor die Füße und verschwand. Natürlich verbeugte er sich nicht vor einem Publikum wie die anderen. Das hatte er nicht nötig, denn die Leute waren hingerissen von dem billigen Zauber.
Der nächste war ein Schwert-, Degen- und Messerschlucker, der angekündigt wurde und natürlich genauso gefährdet war wie die anderen Gaukler auch.
„Solche Kerle müßte man auf dem Schiff haben“, sinnierte der Profos weiter. „Der Messer- und Degenschlucker könnte beim Entern eingesetzt werden. Innerhalb kurzer Zeit stehen die Gegner ohne Blankwaffen da, weil er sie alle im Magen hat.“
Fasziniert sah er zu, wie der Mann sich einen armlangen Säbel in den Mund steckte und ihn immer weiter nach unten schob, bis oben nur noch der Griff zu sehen war. Dabei drehte der Mann sich ganz langsam um seine Achse, damit alle sehen konnten, daß er sich keines Tricks bediente.
Danach traten noch ein paar verschleierte Ladys auf, die einen kleinen Bauchtanz aufführten. Als auch das vorbei war, kam endlich das, was den Profos schon die ganze Zeit über bewegte.
Ibrahim, der stärkste Mann der Welt, wurde mit großem Pathos angekündigt. Da begann Carberry breit zu grinsen.
4.
Was da auf die Bretter trat, nötigte sogar dem Profos Respekt ab.
Ein riesenhafter glatzköpfiger Mann mit einem gewaltigen schwarzen Schnauzbart erschien. Sein Körper war eingeölt, und am ganzen Körper zuckten Muskelwülste auf, sobald er sich bewegte.
Dieser Ibrahim trug nur eine knielange Hose und einen gewaltigen Ledergürtel. Sein Oberkörper war nackt, und den Schädel hatte er sich blitzblank rasieren lassen.
Er stellte sich in Positur und holte Luft. Dabei spannte er auch seine Muskeln an, riesige Wülste, die ruckartig aufquollen. Alles an diesem Mann strotzte nur so vor Kraft.
„Ibrahim, der stärkste Mann der Welt!“ verkündete der Bucklige. „Wer ihn besiegt erhält ein Goldstück. Wer ihn nicht besiegt, der wird ein paar Goldstücke brauchen, um seine Knochen zusammenflicken zu lassen. Wer von den ehrenwerten Herren wagt es, gegen Ibrahim anzutreten? Es wird geboxt. Schläge bis an die Gürtellinie sind erlaubt. Ein Goldstück für den, der Ibrahim auf die Bretter schickt!“
Der Bulle flößte zwar allen Respekt und vielen auch Angst ein, aber als der Bucklige das Goldstück hochhielt und es der Menge zeigte, da gab es immer wieder Kerle, die es sich verdienen wollten und direkt hungrig auf das Goldstück blickten.
Mit einem Goldstück ließ sich sehr viel anfangen. Damit war der Lebensunterhalt für mehr als zwei Monate gesichert. Viele waren davon überzeugt, bei Ibrahim den richtigen Schlag anbringen zu können, und viele hielten sich für wesentlich stärker, als sie in Wirklichkeit waren.
Noch bevor der Profos reagieren konnte, drängte sich bereits ein junger, kraftvoller Türke nach vorn. Seine Blicke waren begehrlich auf das Goldstück gerichtet.
„Ich trete gegen ihn an!“ rief er.
Ibrahim sah gelassen und mit über der gewaltigen Brust verschränkten Armen zu, wie sich der Türke das Hemd vom Körper riß.
Dann ging es auch gleich zur Sache. Der junge Türke stürmte wie ein wildgewordener Büffel vor und drosch Ibrahim die Fäuste mit aller Kraft ins Gesicht. Er wollte schon triumphierend losbrüllen, doch der Bulle nahm den Kopf blitzschnell zur Seite. Die Schläge verpufften wirkungslos und gingen ins Leere. Ibrahim erwartete seinen Gegner mit einem schiefen Grinsen.
Beim zweiten Ansturm gelang dem Türken ein Schlag gegen die gewaltige tonnenförmige Brust. Der Bulle steckte den Schlag gelassen weg, als hätte er ihn nicht gespürt.
Er wartete auch den nächsten Ansturm noch ab und stoppte den Türken mit seinen gewaltigen Fäusten. Der versuchte jetzt, angesichts des Goldstückes, alles auf eine Karte zu setzen und schlug wieder zu.
Ibrahim blockte ab. Nur seine Arme wurden getroffen.
Jetzt begann es in der Menge zu kochen und zu brodeln. Die Kerle feuerten den jungen Türken an und brüllten wild durcheinander.
Bei dem Türken rastete etwas aus. Er schrie ebenfalls und drang mit wildem Gebrüll auf Ibrahim ein. Er hatte einen mörderischen Blick drauf und verlor die Übersicht. Statt den Klotz kühl und überlegt anzugehen, um vielleicht dessen Schwäche auszunutzen, schlug er planlos, wild und unüberlegt zu. Seine Arme wirbelten wie Dreschflegel, aber es gelang ihm nicht, einen richtigen Treffer anzubringen.
Als er wieder ins Leere schlug, erwischte ihn ein harter Schlag, dessen Wucht ihn quer durch den provisorischen Ring trieb.
Er stand kaum auf den Beinen, als ihn ein zweiter Schlag erneut fällte. Diesmal blieb er benommen auf den Knien hocken und schüttelte den Kopf.
Ibrahim ließ ihm Zeit und wartete, bis er wieder auf den Beinen war.
„Fair kämpft er ja“, sagte Smoky, „das muß man ihm lassen. Dafür kann er aber verdammt hart schlagen.“
Ganz überraschend griff der Türke an. Offenbar hatte er jetzt eine wilde Wut im Bauch und sah sein Goldstück für immer entschwinden.
Bei diesem Angriff erwischten ihn zwei mörderische Haken. Sein Kopf flog in den Nacken, er überschlug sich fast und brach gurgelnd auf den Brettern zusammen. Dort blieb er stöhnend liegen.
„Der Kampf ist entschieden!“ rief der Bucklige. „Ibrahim hat gewonnen! Oder hat jemand Einwände?“
Keiner hatte Einwände. Der Türke kam von allein auch nicht mehr auf die Beine, und so trugen sie ihn aus dem Ring.
„Du willst doch nicht gegen das Monstrum antreten?“ fragte der Kutscher. „Der hat noch gar nicht richtig gezeigt, was er kann. Für den war das nur ein Spielchen. Immerhin hat er den Türken mit ein paar Schlägen fast zugrunde gerichtet.“
Carberry grinste schief. Er blickte dem Türken nach, den sie auf den Boden legten, und der immer noch so entsetzlich stöhnte, als hätte er keinen heilen Knochen mehr im Leib.
„Warum nicht“, sagte er gelassen. „Spaß muß sein und Abwechslung erst recht. Ich werde den Kerlen doch nicht das Goldstück schenken.“
„Der zermatscht dich“, warnte der Kutscher eindringlich, doch damit stieß er bei Carberry nur auf taube Ohren.
Während die beiden sich noch unterhielten, war bereits ein anderer Mann im Ring erschienen, ein breitschultriger Kerl mit einer Schlägervisage, einer mächtig plattgehauenen Nase und riesigen Fäusten. Offenbar war er ein Seemann von einem der zahlreichen Schiffe, die im Hafen lagen. Er sah lüstern auf das Goldstück, das der Bucklige wieder hochhielt, nickte dann und drehte sich blitzschnell um. Er begann schon draufloszuschlagen, noch bevor der Kampf angesagt wurde.
Für Ibrahim kam dieser Angriff überraschend, und so mußte er zwei harte Treffer auf die Brust einstecken.
Kumpane des Breitschultrigen begannen zu grölen und zu pfeifen und feuerten ihn an.
Aber auch der Schläger hatte keine Chance. Nach seinen Treffern erwischten ihn die gewaltigen Fäuste und fegten ihn erbarmungslos durch den Ring. Seine plattgeschlagene Nase begann zu bluten, ein Veilchen blühte in seinem Gesicht auf, und er sah nach einem weiteren Hieb sehr lädiert aus.
Ibrahim gab ihm den Rest. Seine Fäuste flogen von links, von rechts, gestochen oder als wilde Schwinger. Dann explodierte eine Faust unter dem Kinn des Mannes, die ihn aus dem Ring warf. Wie ein Bündel Lumpen flog er zwischen seine Kumpane.
Der Kutscher wollte den Profos wieder ablenken und in ein Gespräch verwickeln, doch da hatte sich Carberry bereits einen Weg durch die Menge gebahnt und stand dem Bullen grinsend gegenüber.
„Ah, hier will es noch einer versuchen!“ schrie der Bucklige. „Ein wahrhaft starker und furchtloser Mann! Ob er wohl das Goldstück gewinnen wird?“
Carberry spürte, wie er von dem Glatzkopf gemustert wurde. Der Kerl tastete ihn mit Blicken ab und taxierte ihn ein.
Aber Carberry hatte das längst getan, und dabei hatte er festgestellt, daß dieser Ibrahim mühelos die schwersten Körpertreffer wegsteckte. Solche Schläge prallten an ihm wirkungslos ab.
Der Profos grinste ein bißchen und hob die Arme in Brusthöhe, und damit ging es auch schon los.
Ibrahim hatte seinen Gegner offenbar richtig eingeschätzt und wollte nichts anbrennen lassen. Dieser Narbenmann war mit Vorsicht zu genießen, da kannte er sich aus, denn er hatte schon einige hundert Männer auf die Bretter geschickt. Dieser Kerl mit dem gewaltigen Kinn gehörte jedoch nicht zu der Sorte, die losbrüllten und wild drauflosschlugen, der schlug gezielter.
Zwei riesige Fäuste flogen auf Carberry zu. Der einen konnte er ausweichen, die andere erwischte seine Schulter und wirbelte ihn herum.
Der hat einen Schlag drauf wie ein Hammerwerk, dachte der Profos. Sekundenlang war seine Schulter wie gelähmt, dann verging der Schmerz jedoch schlagartig.
Der Profos drosch ihm eins an den Hals. Ein zweiter Schlag traf Ibrahim oberhalb des Gürtels. Den einen Schlag steckte er grinsend weg, der andere erschütterte ihn ein wenig.
Dann flogen nur noch die Fäuste, bis die Männer ins Schwitzen gerieten. Der Kampf verlief sehr zur Freude der Zuschauer, denn der Narbenmann ließ sich nichts schenken und drosch immer wieder zurück.
Carberry hatte sich eine besondere Taktik ausgewählt. Er schlug nur selten nach dem Gesicht des Glatzkopfes, er bearbeitete ihn mit Hieben und Treffern in die Magengegend, und damit erreichte er genau das, was er wollte. Ibrahim begann zu keuchen, das Trommelfeuer zeigte leichte Wirkung, obwohl auch der Profos eine Menge einstecken mußte.
„Den Profoshammer!“ brüllte Smoky wild. „Mann, laß den Profoshammer los, Ed!“
Carberry hörte nichts. Er sah nur diesen gewaltigen Kerl vor sich und mußte den heranfliegenden Fäusten ausweichen. Den Profoshammer, seinen ganz speziellen Schlag, hob er sich für später auf. Das sollte die Überraschung für Ibrahim werden.
Carberry fing sich einen Brocken ein, an dem er eine ganze Weile zu schlucken hatte. Der Kerl setzte immer wieder sofort nach und schlug jetzt ohne Pause auf ihn ein.
Aber Carberrys Schläge zeigten ebenfalls Wirkung. Ibrahim stand der Schweiß in dicken Perlen auf Stirn und Gesicht, und immer wieder mußte er tief Luft holen, denn dieser Narbenmann trieb ihm mit seinen fürchterlichen Schlägen die Luft aus den Lungen, wie er es noch nie erlebt hatte.
Die Zuschauer, die wie gebannt auf die Szene starrten, gaben keinen Mucks von sich. Eine fast beängstigende Stille herrschte auf dem Platz von Kasimpasa, wo sich immer mehr Zuschauer einfanden.
Ein schneller Haken erwischte das rechte Ohr von Ibrahim. Den Türken durchraste ein nie gekannter Schmerz. Er brüllte auf, sein Gesicht verzerrte sich, und dann hieb er wild um sich.
Der Profos setzte dem heranrasenden Büffel ein Ding auf das rechte Ohr und die andere Faust in die Schultergrube. Damit hatte er den Riesen genau da, wo er ihn haben wollte.
Ibrahim schlug jetzt unkontrollierter und beging den gleichen Fehler wie ihn seine anderen Gegner begangen hatten. Viermal schlug er an Carberry vorbei, dann geriet er in rasende Wut, als der Profos immer wieder unter seinen Fäusten wegtauchte.
Dem stärksten Mann der Welt rann Blut aus einer geplatzten Augenbraue. Sein linkes Ohr war eingerissen und blutete ebenfalls.
Er verstand die Welt nicht mehr und stierte mordgierig auf den Narbenmann. Dem lief zwar auch der Schweiß über das Gesicht, aber er zeigte noch keine Anzeichen von Erschöpfung. Sein Gesicht war auch noch nicht verbeult, er hatte nur schwere Körpertreffer eingesteckt.
Ibrahim riß die Arme hoch und wollte von der Seite zuschlagen. Aber da war der Narbenmann weg und die Schläge gingen ins Leere. Er wurde von der eigenen Wucht ein Stück nach vorn gerissen – und da stand der Narbenmann plötzlich wieder wie aus dem Boden gewachsen da.
Ibrahim sah noch klar und deutlich, wie der Kerl mit dem Amboßkinn sich einmal um seine Achse drehte. Es ging unwahrscheinlich schnell.
Weiter registrierte er noch, wie etwas auf ihn zuflog. Es war ein mörderisches riesiges Ding, das mit atemberaubendem Tempo heranraste. Er konnte nicht mehr ausweichen, er stolperte nur noch einen kleinen Schritt nach vorn – und damit lief er direkt in den Profoshammer hinein.
Das Ding, das der Profos abfeuerte, kam mit aller Kraft aus dem Schultergelenk, die Drehung um die eigene Achse verstärkte die Auftreffwucht noch ganz erheblich, denn dahinter saß die ganze geballte Kraft des Narbenmannes.
Dieser Brocken erwischte Ibrahim wie der Tritt eines Elefanten, und er landete knallhart auf seinem Kinn. Eine mächtige Explosion schüttelte ihn von oben bis unten durch und stoppte ihn auf der Stelle. Dann torkelte er zwei Schritte zurück, verdrehte die Augen und spürte, wie es Nacht um ihn wurde.
Die Bretter dröhnten und vibrierten, als Ibrahim mit seinem ganzen Gewicht auf ihnen landete. Reglos blieb er liegen.
Carberry schnaufte ein bißchen, blieb mit gesenkten Fäusten stehen und starrte auf den gefällten Mann. Er hörte kaum die wilden Rufe und das Gebrüll, das über den Platz hallte. Von überall her riefen, brüllten, kreischten, pfiffen und schrien sie.
Der Bucklige stand mit offenem Mund da, stierte auf Ibrahim, dann wieder zu Carberry und wußte nicht, was er davon halten sollte, denn Ibrahim rührte sich immer noch nicht. Es sah aus, als halte er auf den Brettern ein Nickerchen.
Der Profos befühlte vorsichtig seine rechte Faust, die den Koloß mit einem mörderischen Schlag gefällt hatte. Tat ganz schön weh, das Ding, er hatte das Gefühl, in eine Eichenwand gedroschen zu haben. Die Knöchel waren aufgeschrammt und brannten wie Feuer.
„Nun sag schon, wer der Sieger ist“, knurrte er den Buckligen an. „Sicher hat niemand Einwände, was, wie?“
Der Bucklige war immer noch starr und blickte auf seinen stärksten Mann der Welt, dessen linkes Augenlid jetzt zuckte. Das war aber auch die einzige Reaktion, die bewies, daß noch Leben in ihm war. Etwas Derartiges hatte der Bucklige noch nicht erlebt. Der stärkste Mann der Welt hatte eine empfindliche Niederlage hinnehmen müssen.
„Das – das Goldstück gehört Ibrahim“, stotterte er verwirrt. Er versuchte, den Profos hinzuhalten. „Er – er selbst überreicht es.“
„Dein Ibrahim kann gar nichts mehr überreichen“, fauchte Carberry. „Mit dem ist heute nicht mehr zu reden. Und wenn du die Siegerprämie nicht gleich herausrückst, wirst du auch lange nichts mehr überreichen. Dann wackel ich dich nämlich so lange durch, bis dir der Arsch voll Tränen steht.“
Als Jung Philip das übersetzte, brandete in der Menge Gelächter auf. Gleichzeitig wurden aber auch Drohungen gegen den Buckligen laut. Mit einer hastigen Bewegung überreichte er dem Profos des Goldstück. Der nahm es grinsend in Empfang und ließ es in der Hosentasche verschwinden.
Dann sagte er: „Einen Gruß noch an den zweitstärksten Mann der Welt. Und wenn du noch mehr Goldstücke übrig hast – wir sind mehr als dreißig Kerle, die dem lieben Ibrahim zeigen, wo es langgeht.“
Er ließ den völlig verstörten Buckligen stehen und bahnte sich seinen Weg durch die Menge zurück.
Der Kutscher sah ihn besorgt und kopfschüttelnd an.
„Du hast dir ein paar ganz schöne Brocken eingefangen, aber du hast den Kerl prächtig geschafft. Hast du Schmerzen, wollen wir an Bord zurück?“
„Ich doch nicht!“ tönte der Profos. „Was soll ich jetzt an Bord – mir das Goldstück ansehen? Nein, mein lieber Kutscher, das werden wir jetzt auf den Kopf hauen, ich habe nämlich Durst. So ein Kampf strengt schließlich an, was, wie? Also, gehen wir.“
Mit diesem Carberry ist es doch immer das gleiche, dachte der Kutscher. Der würde sich nie ändern. Prügelte sich aus reinstem Jux herum, gewann ein Goldstück und haute es anschließend in der nächsten Kneipe auf den Kopf. Nicht zu fassen! Und dafür ging er das Risiko ein, halbtot geprügelt zu werden.
Es dauerte auch nicht lange, da hatten sie die richtige Pinte gefunden. Sie war gar nicht weit vom Hafen entfernt.
Dann begann eine fröhliche Runde.
5.
Ali Mustafa hatte die schlimmste Nacht seines Lebens hinter sich.
Als der Morgen graute, hatte er nicht eine einzige Minute geschlafen. Sein Körper war nur noch ein Stück rohes Fleisch. Er war mit Blutergüssen und dunkelblauen Striemen von oben bis unten übersät. Jeder einzelne Knochen tat ihm weh, und auf den Beinen konnte er schon gar nicht mehr stehen. Alles brannte wie höllisches Feuer.
Er hörte Schritte, aber er sah niemanden. Er verspürte Hunger und einen entsetzlichen Durst, doch keiner kümmerte sich um ihn. Es war, als hätten sie ihn längst vergessen. Aber sie erschienen wenigstens auch nicht, um ihn wieder zu foltern.
Das erste Gebet des Muezzin war verklungen.
Als auch das zweite abgeleiert war, lag er immer noch fast reglos in der kalten stinkenden Brühe. Danach hörte er Schritte, die vor seinem Verlies abrupt endeten. Zwei Männer unterhielten sich leise, aber er konnte kein Wort verstehen. Sie flüsterten miteinander.
Angst wallte in ihm auf. Sicher wollten sie ihn holen. Er lauschte angespannt und mit plötzlich hellwachen Sinnen.
Nach einer Weile erstarb das Flüstern, und er hörte, daß sie an der Tür hantierten.
Die Ungewißheit peinigte ihn. Er wußte nicht, was sie taten. Aber vielleicht wollten sie ihn nur verunsichern, ihn ängstigen, bis er wahnsinnig wurde.
Die Schritte entfernten sich wieder. Ali Mustafa atmete erleichtert auf, daß die Schergen weg waren.
Nach endlosen Ewigkeiten hörte er den Muezzin wieder. Es war das dritte Gebet. Sein Herz begann laut zu pochen. Bald mußte es soweit sein.
Er versuchte den Gedanken zu verdrängen, wenn sie ihn vor das Kanonenrohr banden. Sicher würde es ein schneller und fast schmerzloser Tod sein, wenn die Kanone gezündet wurde. Doch der Gedanke ließ sich nicht verdrängen, er kehrte immer wieder beharrlich zurück.
Ali Mustafa zuckte zusammen, als erneut Schritte zu hören waren. Es waren drei Männer, das hörte er deutlich heraus. Mit klopfendem Herzen lauschte er.
Direkt vor seiner Tür blieben die Schritte aus. Geraschel und Gekratze waren zu hören, dann ein Quietschen der Türscharniere. Undeutlich erkannte er die Umrisse von drei Männern.
Es war soweit!
„Raus mit dir, Ali Mustafa“, sagte eine Stimme.
Der Gefangene rührte sich nicht.
„Raus mit dir!“ wiederholte die Stimme, jetzt schärfer.
„Vielleicht hat er die Nacht nicht überstanden“, sagte jemand. „So was soll ja passieren.“
„Der ist zäh wie Leder. Holt ihn da raus.“
Die Soldaten fluchten, als sie in das Verlies stiegen. Sie fluchten über den Dreck und die Brühe, aber nur, weil sie Angst hatten, sich die Schuhe zu versauen.
Sie packten Ali Mustafa bei den Armen und zerrten ihn hinaus. Mit einer Fackel leuchteten sie ihm ins Gesicht, bis seine Haare versengten.
„Vorwärts, durch den Gang hinaus“, befahl einer. „Du siehst ja noch ganz gesund aus, also kannst du auch laufen.“
Aber Ali konnte nicht laufen. Er war nicht einmal in der Lage, ein Bein vor das andere zu setzen. Jede Bewegung bereitete ihm höllische Qualen.










