Seewölfe Paket 29

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Er trank einen kleinen Schluck Tee und lehnte sich auf seinem Sitzkissen ein wenig zurück. Dann rief er nach dem Jungen, der wie aus dem Boden gewachsen hinter einem Vorhang erschien.
Er sagte ein paar kurze Sätze auf Türkisch. Gleich darauf erschien der Junge wieder und gab Aladin ein paar Rollen, die er auf den Boden legte und beschwerte.
„Hier habe ich das, was Sie suchen. Es sind vier Karten, die man aneinanderreihen kann. Mit Hilfe dieser Karten können Sie über Kreta bis zur libyschen Küste segeln. Die meisten Inseln sind eingezeichnet, bis auf ein paar kleine Eilande, und viele sind auch namentlich benannt. Sehen Sie sich die Karten nur gründlich an. Ich werde Ihnen auch die nötigen Erklärungen geben, wenn Sie es wünschen.“
Hasard und Dan stießen fast mit den Köpfen zusammen, als sie sich über die Karten beugten. Der Seewolf brauchte nur einen kurzen, aber intensiven Blick.
„Phantastisch“, sagte er, „die Karten scheinen ganz hervorragend zu sein. Würden Sie sie verkaufen?“
„Natürlich, wir müssen auch nicht darum feilschen. Ich nenne Ihnen einen annehmbaren Preis.“
Der Preis, den Aladin nannte, war so lächerlich gering, daß Hasard ihn erstaunt anblickte.
„Das ist zu wenig“, sagte er entschieden.
„Dann könnten Sie die Karten auch um den Preis eines Fasses Rotwein verkaufen.“
„Es kommt immer darauf an, wem ich sie verkaufe“, sagte Aladin ruhig. „Wenn ich sehe, daß jemand wirkliche Freude daran hat und auch etwas damit anfangen kann, dann bescheide ich mich mit einer kleinen Verdienstspanne. Ich will ja nicht reich werden, ich will nur in einem bescheidenen Rahmen meinen Lebensabend genießen. Allah weiß, daß ich kein Mensch bin, der nach Macht, Ruhm oder Reichtum strebt.“
Aladin war wirklich bescheiden. Er freute sich, daß er mit den Männern plaudern konnte, und das tat er gern und ausgiebig. Er ließ noch frische Melonen reichen und blickte zu Dan, der die Karten intensiv studierte und offenbar etwas nicht richtig verstand.
„Fragen Sie nur, wenn Ihnen etwas unklar erscheint, Efendi.“
Dan deutete auf die erste Karte. „Was bedeuten diese schraffierten Linien?“
Hasard konnte ebensowenig damit anfangen wie Dan oder Don Juan.
Der alte Seemann erläuterte es ihnen.
„Am Eingang zum Bosporus liegt Istanbul. Das ist von hier oben aus deutlich und klar zu erkennen. Wenn Sie weitersegeln, gelangen Sie in das Marmarameer, das man früher Propontis nannte. Es ist ein Nebenmeer zwischen dem Ägäischen und dem Schwarzen Meer. Wenn Sie dieses Meer erreicht haben, wird Ihr Kurs etwa Südsüdwest sein. Er führt Sie weiter nach dem antiken Hellespont. Das ist eine Meeresstraße, die man die Dardanellen nennt. Sie liegt zwischen der Halbinsel Gallipoli und Kleinasien und verbindet die Ägäis mit dem Marmarameer.“
„Interessant“, sagte Hasard. „So genau hat uns das noch niemand erklären können. Das ist wirklich erstaunlich. Diese dünne Linie ist also die Meeresstraße, durch die wir hindurch müssen.“
„Sehr richtig. Hier müssen Sie besonders gut aufpassen, denn in den Dardanellen herrschen starke Strömungen, die das Marmarameer hineindrückt. Deshalb ist diese Stelle als Markierung besonders schraffiert. Die Straße ähnelt einem breiten Kanal und ist etwa fünfunddreißig Meilen lang. Ja, und dann ist da noch etwas, über das aber nicht gern gesprochen wird.“
Aladin ließ wieder Tee nachschenken und die Melonenscheiben reihum gehen. Er sah, daß seine Zuhörer beeindruckt waren, und lächelte.
„Denken Sie beim Durchsegeln an die starke Oberflächenströmung. Schon so manches Schiff ist daran gescheitert, wenn es das ertrunkene Tal durchsegeln will.“
„Ertrunkenes Tal?“ fragte Don Juan. „Was bedeutet das?“
„Das ist eine uralte Bezeichnung für jene Wasserstraße mit der starken Strömung. In früheren Zeiten befand sich dort angeblich einmal ein riesiges und fruchtbares Tal. Eines Tages bahnten sich die Wassermassen des Marmarameeres einen Weg und überfluteten das Tal. Man sagt, daß noch heute die Seelen Ertrunkener in diesem Tal umgehen. Sie wirbeln mit den Armen um sich, damit sie wieder nach oben gelangen. Daher rühren auch die vielen Strömungen. So sagt man jedenfalls.“
„Und was glauben Sie selbst?“ fragte Hasard lächelnd. „Glauben Sie auch an die Geschichte?“
„Sie mag stimmen, bis auf die Erzählung mit den wandernden Seelen. Ich habe jedenfalls eine andere Erklärung, und die ist ganz einfach. Das Mittelmeer liegt niveaumäßig ein wenig tiefer. Das Schwarze Meer wird von etlichen Flüssen gespeist, und das Wasser sucht sich den Weg durch den Bosporus ins Marmarameer. Und dieses Meer schiebt das Wasser durch die Dardanellen, denn bekanntlich fließt Wasser ja immer den leichtesten Weg und flußabwärts.“
Die Arwenacks grinsten bis zu den Ohren. Auch der Alte lächelte wieder verschmitzt.
„Natürlich ist es so“, sagte Hasard. „Eine absolut einleuchtende und logische Erklärung. Hoffentlich akzeptiert sie dein Vater auch, Dan.“
„Das bleibt noch abzuwarten“, murmelte Dan.
„Sie erwähnten vorhin etwas, über das nicht gern gesprochen wird“, sagte Don Juan. „Bezieht es sich auf diese Wasserstraße?“
Aladin nickte ein paarmal. „Ja, man sagt, daß sich in jeder Ecke Gesindel herumtreibt, das die Unwissenheit mancher Kauffahrer ausnutzt, um sich zu bereichern. Diese Leute verlangen einen hohen Zoll und sind manchmal recht unverschämt. Es soll auch schon zu harten Kämpfen gekommen sein. Aber, wie gesagt, darüber wird hier nicht gern gesprochen. Vermutlich stecken ein paar hohe Herren dahinter.“
„Aber die Benutzung dieser Straße ist zollfrei?“ vergewisserte sich Hasard.
„Ja, hier werden keine Zölle erhoben, denn der Handel wirft sehr viel ab.“
Sie staunten immer wieder über den alten Burschen, der hier nach Jahren der Plackerei vor Anker gegangen war. Vor allem verfügte er über ein beachtliches Wissen. Das bewies er jetzt wieder, als er sich über die Karten beugte und ihnen den weiteren Weg erklärte, der sie ins Mittelmeer brachte.
„Diesmal haben wir erstaunliches Glück gehabt“, sagte Dan. „Damit habe ich wirklich nicht gerechnet.“
Aladin zeigte ihnen etwas später seine Schätze, auch die Papageien und die kleinen Affen, die er von Seeleuten erworben hatte.
Es war ein Laden, in dem man sich stundenlang aufhalten konnte und immer wieder neue und interessante Dinge entdeckte.
Hasard sah sich ein paar Bücher an. Dabei erzählte er Aladin ein wenig über den Kutscher.
„Koch und Feldscher ist er“, sagte Aladin. „O ja, da habe ich auch eine ganze Menge. Es gibt Bücher in lateinischer Schrift über die ärztliche Kunst, über Heilkräuter und Magie. Es sind gelehrte Bücher, in denen er sicher etwas findet.“
Er zeigte ihnen ein paar Folianten, Bücher über Magie, die Kunst des Kochens, über Kräuter und Medizin. Insgesamt waren es sieben ziemlich dicke Bücher.
„Die kaufe ich alle“, sagte Hasard. „Ich werde den Mann morgen oder übermorgen noch einmal persönlich vorbeischicken, damit er seine helle Freude an all den Schätzen hier hat.“
Aladin war sehr erfreut, daß er endlich mal auf Leute traf, mit denen man über „Gott und die Welt“ plaudern konnte. Er ließ es sich nicht nehmen, die Seewölfe zum Essen einzuladen, und Hasard wollte ihm die Bitte auch nicht abschlagen. Sie hatten ja ohnehin noch Zeit, und dieser Mann hatte ihnen sehr geholfen.
Sie hatten jetzt alles, was sie brauchten, um den Weg ins Mittelmeer zu finden. Keiner von ihnen hatte das erwartet.
Aladin ließ auftafeln. Es gab ein Haschee mit Reis und Eiern, in Butter gebraten und scharf gewürzt.
„Das ist Kadinbudu“, erklärte ihr Gastgeber lächelnd. „Das heißt soviel wie Frauenschenkel. Die türkische Küche hat da mitunter sehr eigenwillige Bezeichnungen für die Gerichte. Aber sie schmecken hervorragend.“
„Das kann man wohl sagen“, stimmte Hasard zu. „Vor allem erstaunte mich die Schnelligkeit bei der Zubereitung.“
„Man hat so seine guten und fast unsichtbaren Geister“, sagte Aladin verschmitzt.
Nach Kadinbudu folgte ein Auberginengericht. Die Auberginen waren mit Speckstreifen umbunden und mit einer scharfen pikanten Masse gefüllt. Auch das kannten sie noch nicht. Der Kutscher hätte mal wieder seine helle Freude daran gehabt.
„Das nennt sich Iman Bayaldi“, erläuterte Aladin. „Auch das ist wieder ein sehr eigenwilliger Name.“
Jung Hasard grinste bis an die Ohren. „Das heißt: Der Vorbereiter fiel in Ohnmacht. Oder habe ich das falsch ausgedrückt?“
Aladin blickte zu Hasard, dann zu seinem jüngeren Ebenbild. Er wußte bereits, daß es noch ein weiteres Ebenbild gab. Dieser Sohn hier war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.
„Nein, das ist ganz korrekt wiedergegeben, der Vorbereiter fiel in Ohnmacht, heißt es. Natürlich konnte er nur vor Entzücken in Ohnmacht gefallen sein, als er das Gericht vorbereitet und gekostet hatte.“
Zum Abschluß gab es Kabak Dolmasi, das war ein ziemlich großer gefüllter Kürbis mit unzähligen Leckereien. Danach wurde wieder Tee oder Fruchtsaft getrunken, diesmal zur Abwechslung hinter dem kleinen Laden, wo man einen herrlichen Blick auf Istanbul und den Hafen hatte.
Aladin kniff die Augen zusammen, ein Schatten fiel über sein Gesicht.
Die Arwenacks drehten die Köpfe zur Seite und blickten interessiert auf eine riesige Galeere, die in den Hafen einlief.
Es war ein prachtvolles Schiff mit einem gewaltigen Rammsporn am Bug und reichen Verzierungen. Vorn und achtern und an den Oberdecks waren große Armbrüste montiert, die schenkelstarke Eisenbolzen verschießen konnten.
Die Galeere lief nur unter dem Großsegel, die anderen Segel waren aufgetucht. Die Riemen tauchten ein, wurden durchgezogen, und die Galeere glitt wie ein riesiger Vogel durch das Wasser. Der Anblick war beeindruckend. Hasard sagte das auch.
„Ja, es ist ein schönes Schiff“, gab Aladin widerwillig zu. „Eine Dromone, aber man nennt sie hier nur die große Galeere. Es ist das stärkste Kampfschiff der Türken in Istanbul. So prächtig der Anblick von außen ist, so bejammernswert sieht es unter Deck aus. Dort rudern nur Gefangene, die meist zu lebenslänglich auf der Galeere verurteilt sind. Zu Unrecht allerdings“, fügte er leise hinzu. „Es sind kaum wirkliche Verbrecher dabei.“
„Und trotzdem sind sie verurteilt worden?“ fragte Don Juan.
„Das Osmanische Reich geht seinem Untergang und Verfall entgegen, das ist unausbleiblich, und es zeigt sich besonders kraß hier in Istanbul, wo Haremsintrigen, Zank und Hader bei den Führungskräften an der Tagesordnung sind. Seltsamerweise verschwinden immer mehr jüngere Männer, die wohlhabend sind. Man beschuldigt sie und klagt sie an, bringt sie dann um oder steckt sie auf die Galeeren. Es wird gemunkelt, daß die drei obersten Kadis dahinterstecken.“
„Weshalb beschuldigt man sie?“ fragte Hasard.
„Damit man sie los wird, denn wer in der Türkei Geld hat, der verfügt auch über einen gewissen Einfluß, und das versucht man, von oben herab auszumerzen. Zudem fällt das konfiszierte Vermögen dann meist auf Umwegen und dunklen Kanälen den Richtern zu.“
„Wie in vielen anderen Ländern auch“, sagte Hasard. „Korruption, Geldgier, Machthunger, Einflußreichtum und was der Dinge mehr sind. Wir haben es oft genug kennengelernt. Dieses Übel wird nie auszurotten sein.“
„Ganz sicher nicht. Es gab hier kürzlich einen Fall, der in ganz Istanbul großes Aufsehen erregt hat. Er liegt erst zwei Wochen zurück. Da wurde ein junger Mann zum Tode verurteilt. Man warf ihm vor, mit den Spaniern und Venezianern paktiert zu haben. Eine lächerliche Anschuldigung. Dieser Mann, er hieß Ali Mustafa, wäre ebenfalls sang- und klanglos verschwunden, aber er verfluchte nach seiner Verurteilung den Kadi und den Henker.“
„Und sein Fluch hat sich erfüllt?“
„Ja, das ist es ja, was hier soviel Aufsehen erregt hat. Der Kadi brach kurz nach der Urteilsverkündung tot zusammen.“
„Ein Zufall“, sagte Hasard. „Ich glaube nicht an die Wirksamkeit eines Fluches. Ähnliche Sachen sind schon oft passiert. Möglicherweise hat sich der Kadi so über den Fluch erregt, daß sein Herz dabei versagte, zumal er sicher kein junger Mann mehr war.“
„Das ist richtig, er war schon alt. Nun, dieser Ali Mustafa, der nie mit den Spaniern oder gar Venezianern paktiert hat, wurde oben auf der Festung vor das Rohr einer großen Kanone gebunden. Dann wurde das Rohr von dem Henker Omar gezündet.“
„Ich nehme an, diesem Ali Mustafa passierte nicht viel“, meinte Hasard.
„So war es. Das Pulver wurde aus unerklärlichen Gründen durch das Zündloch und einen Riß im Kanonenrohr abgeblasen und verbrannte mit langer Stichflamme. Ali passierte nichts, absolut nichts. Aber der Henker geriet in die Stichflamme und zog sich schwere Verletzungen zu. Seither ist er erblindet. Was halten Sie davon?“
„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, sagte Hasard vorsichtig. „Es kann eine Verkettung besonderer Umstände sein, die zu den Ereignissen geführt hat. Mir leuchtet nicht so richtig ein, daß der Fluch sich so prompt erfüllt hat.“
„So war es aber.“
„Und was geschah mit diesem Ali dann?“
„Nach den Gesetzen des Koran mußten sie ihn begnadigen, und das haben sie getan, indem sie ihn lebenslänglich auf die Galeere verbannten. Jetzt sitzt er dort im Unterdeck und rudert, und er hat wohl kaum Aussicht, jemals lebend diese Dromone zu verlassen.“
Die Galeere steuerte eine breite Pier an. Die Riemen wurden eingezogen, und die Arwenacks sahen nachdenklich auf das schöne, aber auch schaurig wirkende Schiff.
Wie viele unschuldige Männer mochten dort sitzen, Männer, die irgendwelchen Intrigen zum Opfer gefallen waren und nun ihr Leben als Galeerensträflinge beschließen mußten – welche Schicksale hatten diese Männer hinter sich?
Hasards Blicke verfinsterten sich, wenn er daran dachte. Er kannte die menschenunwürdige Behandlung, und auch seine Arwenacks kannten sie, denn einige von ihnen hatten schon die Ketten getragen und sich auf den Ruderbänken abgeschunden.
Die Galeere hatte jetzt angelegt, doch sie blieb nicht lange an der Pier liegen. Männer eilten geschäftig hin und her und brachten irgendwelche Sachen an Bord.
Schon nach einer halben Stunde legte das große und beängstigend wirkende Schiff wieder ab. Diesmal fuhr es ohne Segel, es wurde nur gerudert. Das nervtötende dumpfe Tam-Tam der Trommel war bis hier oben zu hören.
7.
Aladin hatte sie gar nicht mehr gehen lassen wollen. Aber Hasard hatte versprochen, daß es nicht bei diesem einen Besuch bleiben würde. So waren sie an Bord zurückgekehrt.
Der Kutscher war völlig überrascht, als Hasard ihm die Bücher gab.
„Medizin, Kochkunst, Heilkunde, Magie und Latein“, zählte der Seewolf auf. „Wir haben alles mitgenommen, was uns interessant erschien. Du kannst mit den Büchern sicher etwas anfangen, und Mac wird vielleicht auch mal einen Blick hineinwerfen wollen.“
Der Kutscher bedankte sich und versprach, sich am heutigen Abend mit einem „Gala-Essen“ zu revanchieren. Er war überglücklich über die vielen Bücher.
„Dann werden wir ihn wohl einige Tage lang nicht mehr sehen“, lästerte Smoky. „Der Kutscher muß doch erst alles lesen, sonst gibt er keine Ruhe.“
Hasard sah den Profos an und stutzte. Dem „lieben Ed“ war der linke Wangenknochen geschwollen und bläulich verfärbt. Er hatte auch eine dunkle Stelle am Hals und ein paar weitere Flecken.
„Was ist denn mit dir passiert?“ fragte Hasard. „Bist du jener Galeere dort vor den Rammsporn gelaufen?“
Carberry hüstelte verlegen und grinste ein bißchen. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
„Oder hat es wieder beim Landgang in einer Kneipe eine Schlägerei gegeben?“ hakte er nach.
„Aber nein, Sir“, versicherte Carberry rasch. „In der Kneipe war alles sehr friedfertig, nett und freundlich. Wirklich, die Leute waren alle sehr zuvorkommend. Da werde ich doch keinen Streit anfangen.“
„Und woher stammen die Blessuren?“
„Die – äh – Blessuren, Sir? Ach, du meinst diese kleinen Flecken?“
„Genau die meine ich.“
„Ja, die – ja, also die stammen von Ibrahim. Der hat nämlich behauptet, der stärkste Mann der Welt zu sein.“
„Der Bulle vom Großen Basar? Den habe ich vor zwei Tagen schon gesehen. Hast du dich etwa mit dem geprügelt?“
„Ein netter Mensch, Sir“, sagte der Profos. „Ein ehrlicher Kämpfer, alles was recht ist, er kämpft ohne Tricks. Und er hat mir ein Goldstück versprochen, falls ich ihn auf die Bretter schicke. Das Goldstück haben wir dann angefeuchtet, und dabei ging es sehr friedlich zu.“
„Du hast also gegen dieses Monstrum gewonnen“, stellte Hasard fest. „Sonst hättest du ja logischerweise das Goldstück nicht.“
„So war es, Sir. Aber das hatte nichts mit einer Prügelei zu tun, da sei Gott vor. Ich habe nur eine Herausforderung angenommen und ihm den Profoshammer gezeigt. Jetzt kennt er ihn, aber das Boxen ist ihm für heute wohl vergangen.“
„In der Tat“, sagte Hasard und grinste auch ein bißchen. „An der Bude war heute absolut nichts los.“
Na, da hat der liebe Ed ja wieder einmal kräftig zugelangt, dachte er, aber das war schließlich seine Sache. Carberry war es auch ganz sicher nicht um das Goldstück gegangen, dazu kannte er den Profos viel zu gut. Der hatte nur einmal wieder etwas beweisen wollen, entweder sich selbst oder den anderen.
Ben Brighton blickte aufmerksam zu der Galeere, die immer noch im Hafen wie ein riesiger Hammer herumkrebste. Hasard folgte dem Blick.
„Eigenartig“, meinte Ben. „Das sieht so aus, als suchten sie etwas. Sie rudern von einer Pier zur anderen und sehen sich genau die Schiffe an, auch jene, die auf der Innenreede vor Anker liegen. Was mag da nur los sein?“
Das Gebaren kam den Arwenacks merkwürdig vor. Sie hörten laute Kommandos herüberschallen, dann immer wieder den überraschend schnell wechselnden Trommelschlag. Mal hörte er sich träge an, dann wieder war es wie ein einziges schnelles Hämmern. Und jedesmal änderte sich ebenso schnell der Rhythmus der Riemenschläge.
Eine Truppe Soldaten erschien am Hafen. Es waren etwa dreißig Mann, die mit Musketen und Säbeln bewaffnet waren. Der Trupp teilte sich und ging in entgegengesetzten Richtungen davon. Alle schienen es ziemlich eilig zu haben. Die Hektik war fast von einem Augenblick auf den anderen ausgebrochen.
„Keine Ahnung“, erwiderte Hasard. „Anscheinend suchen die etwas.“
Erstaunt sahen sie zu, wie die große Galeere Kurs auf eine Dhau nahm, die auf der Binnenreede ankerte.
Zwei Männer in einer Jolle pullten am Schiff der Arwenacks vorbei. Auch sie schienen es ziemlich eilig zu haben, denn sie droschen die Riemen nur so durchs Wasser.
„Frage sie mal, was da los ist, Philip“, sagte der Seewolf zu seinem Sohn.
Jung Philip preite die beiden Ruderer auf türkisch an. Sie gaben auch Antwort, pullten aber weiter.
„Venezianische Spione sind im Hafen“, übersetzte Philip zur Verblüffung der anderen. „Die sollen sich hier eingeschlichen haben, um alles auszukundschaften. Offenbar sind sie drüben auf der Dhau.“
„Ach, du lieber Himmel“, sagte Vater Hasard. „Was wollen die denn hier groß ausspionieren? Der Hafen ist doch für jeden zugänglich.“
„Venezianer“, wiederholte Dan O’Flynn. „Von Venezianern und Spaniern hat auch Aladin gesprochen. Vielleicht steht das in einem Zusammenhang. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Spione strategische und wichtige Punkte im Hafen auskundschaften.“
„Ausgeschlossen ist es nicht“, gab Hasard zu. „Mir ist über die internen Machtkämpfe in der Türkei nicht allzuviel bekannt. Aber Spanier und Venezianer haben ja bekanntlich an der türkischen Vormachtstellung ziemlich herumgesägt.“
Das Augenmerk aller Arwenacks richtete sich weiter auf die Galeere. Dort tat sich jetzt einiges.
Auf der Dhau begann es hektisch zu werden. Entweder handelte es sich wirklich um Spione, die ein unauffälliges Schiff benutzt hatten, oder die Besatzung hatte ganz einfach Angst vor diesem schwimmenden Monstrum mit dem gewaltigen Rammsporn.
Jedenfalls sprangen zwei Kerle mit riesigen Sätzen nach vorn und kappten das Ankertau. Die anderen setzten in aller Eile die Segel. Da sie an einer langen Rah gefahren wurden, ging das alles blitzschnell. Für die Dhau stand der Wind auch günstig. Sie nahm sofort Fahrt auf und versuchte in Richtung Marmarameer zu entwischen.
Auf der Galeere wurde gebrüllt. Laute Kommandos erklangen. Ein paar Männer sprangen an die riesigen Armbrüste.
Gleichzeitig beschrieb die Galeere eine schnelle Wendung nach Steuerbord.
Von einer Armbrust zischte der erste Pfeil los. Es war ein schenkelstarker Eisenpfeil mit einem Flügelschaft, der gradlinig und mit unheimlicher Wucht hinübersauste.
Das riesige Geschoß traf den Bug der Dhau, drang ein Stück durch das Holz und blieb zitternd stecken.
Auf der Dhau rannten sie hin und her. Einer beugte sich über Bord und betrachtete den eisernen Pfeil. Er hatte offenbar nicht viel Schaden angerichtet, denn er befand sich weit oberhalb der Wasserlinie. Aber eine Planke war zu Bruch gegangen. Die Wucht hatte das Holz bersten lassen.
„Sieht so aus, als würden sie es schaffen, der Galeere zu entwischen“, meinte Ferris Tucker. „Aber wenn sie ihr Griechisches Feuer einsetzen, dann ist es aus.“
Die Dhau war wendiger, kleiner und flacher als die Galeere, die immer schwerfällig manövriert werden mußte.
„Ich glaube nicht, daß sie es im Hafen einsetzen werden“, meinte Big Old Shane. „Sie könnten andere Schiffe treffen. Außerdem brennt das Höllenzeug auf dem Wasser weiter.“
„Ganz richtig“, sagte Al Conroy. „Damit können sie das größte Unheil anrichten, wenn der Wind das Feuer auf die Schiffe zutreibt. Unter Umständen kann der ganze Hafen in Flammen geraten und das Feuer auf die Holzhäuser übergreifen.“
Das Griechische Feuer wurde auch nicht eingesetzt. Auf der Galeere war man wohl zu der gleichen Erkenntnis gelangt. Also wurden die vermeintlichen Spione gejagt, indem man versuchte, ihnen den Weg zu verlegen und abzuschneiden.
Das Tam-Tam der Trommel steigerte sich zu einem dumpfen Wirbel. Es hörte sich an, als würden pausenlos riesige Gongs geschlagen.
Dann erklang ein scharfer Befehl.
Verblüfft sahen die Arwenacks, wie sich die Ruderer auf dem oberen Deck erhoben. Es geschah in einer einzigen fließenden und schnellen Bewegung. Dann wurde die Galeere stehend gerudert, und das in einer Schnelligkeit, die atemberaubend wirkte.
Die Dhau versuchte, mit Kreuzschlägen davonzusegeln, und es wäre ihr auch fast gelungen, doch dann wurde wieder einer dieser schrecklichen Eisenpfeile abgefeuert. Er traf den Mann an der Ruderpinne, durchbohrte ihn und fuhr krachend in das Holz. Der Rudergänger wurde buchstäblich an die zerschossene Pinne genagelt.
Die Dhau lief aus dem Kurs und ließ sich nicht mehr steuern. Damit war ihr Schicksal auch schon besiegelt, als sie quer zur eigentlichen Fahrtrichtung trieb.
Die Galeere schwang herum und nahm Kurs auf die Backbordseite der Dhau. In diesem Augenblick, als das riesige Monstrum mit wildem Riemenstoß heranjagte, verloren ein paar Männer die Nerven. Sie sahen nur den gewaltigen Rammsporn, der immer größer und mächtiger wurde. Da sprangen sie in ihrer Verzweiflung über Bord.
„Sind unsere Drehbassen feuerbereit, Al?“ fragte Hasard den Waffen- und Stückmeister Conroy.
„Ja, Sir, ich habe heute mittag alles noch einmal kontrolliert. Wollen wir etwa …?“
„Nein, natürlich nicht. Außerdem ist es zu spät zum Eingreifen. Wir halten uns da heraus. Es ist nur für den Fall, daß man uns ebenfalls für Spione hält und die Galeere uns einen Besuch abstatten sollte.“
Dreihundert Yards entfernt vollzog sich jetzt der letzte Akt des Dramas. Unaufhaltsam schob sich der Rammsporn der mächtigen Galeere auf die Dhau zu. Da sprangen noch ein paar weitere Männer in ihrer Angst über Bord.
Auf dem Oberdeck wurden die Riemen mit aller Gewalt durchs Wasser gezogen. Die Ruderer erhoben sich, stießen die Riemen ein, setzten sich dann für einen Augenblick und zogen durch.
Sie ruderten selbst dann noch, als sich der Rammsporn mit einem lauten Krachen und Bersten in die Bordwand der Dhau bohrte.










