Seewölfe Paket 29

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Der Mann in der Sänfte trug ein Gewand, das mindestens so kostbar war wie das Blattgold, mit dem er sich umgab. Seine Statur war imposant, doch konnte man ihn nicht als massig bezeichnen.
Was den Seewolf und seine Gefährten am meisten erstaunte, war die Tatsache, daß der Mann in der Sänfte mit keinem einzigen feindseligen Blick betrachtet wurde. Im Gegenteil, jene, die ihm auf seinem Weg zuschauten, bedachten ihn mit begeisterten Rufen. Und die Art, wie er ihnen zuwinkte, hatte nichts Herablassendes oder gar Blasiertes.
Dieser Kemal Yildiz mußte ein überaus beliebter Mann sein.
Nur um ihn konnte es sich handeln, denn seine Träger hielten auf die Pier zu, an der die Dubas vertäut lag.
„Auf den Mann bin ich ehrlich gespannt“, sagte Ben Brighton leise.
„Dann geht es dir nicht anders als mir“, entgegnete der Seewolf. Er wollte weitersprechen.
Ein greller Blitz verhinderte es.
Der Blitz zuckte aus der Sänfte, gut zweihundert Yards entfernt, und er wurde im winzigsten Bruchteil einer Sekunde vom Donner der Explosion gefolgt.
Das schimmernde Gold der Sänfte wurde vom Gleißen des Detonationsfeuers verschlungen. Die Körper der Träger wirbelten durch die Luft. Von Kemal Yildiz war nichts mehr zu sehen. Es war, als hätte ihn das Zentrum der Detonation ebenso verschlungen wie seine kostbare Sänfte.
Arbeiter und Handwerker, die in der Nähe gestanden hatten, wurden von der Druckwelle zu Boden geschleudert. Kisten und Ballen fielen durcheinander. Erst im Nachhall der Explosion waren die gellenden Schmerzensschreie von Verwundeten zu hören. Durcheinander entstand. Jene, die unverletzt geblieben waren, schrien ebenfalls und rannten nach allen Seiten auseinander. Einige sprangen ins Wasser, wo sie sich vor möglichen weiteren Explosionen sicher glaubten.
In Sekundenschnelle war der Platz am Kai wie leergefegt.
Nur die zerfetzten Leiber der Sänftenträger lagen noch dort. Die Verwundeten, die in unmittelbarer Nähe der Sänfte gestanden hatten, wälzten sich in ihrem Blut. Ihre Schreie wollten nicht enden.
Der Seewolf überwand den Moment des fassungslosen Entsetzens als erster. Er stürmte los und war im nächsten Moment bereits an der Verschanzung.
„Kutscher!“ brüllte er. „Mister Pellew!“ Die beiden Kombüsenmänner fungierten zugleich als Feldschere, wenn es erforderlich sein sollte.
Und jetzt wurden ihre medizinischen Künste verdammt nötig gebraucht, wie es schien.
Sie packten ihre Tragekisten mit den Instrumenten zusammen und eilten hinter dem Seewolf her.
Die übrigen Arwenacks hielten sich zurück. Sie gehörten nicht zu jener Sorte, die als Gaffer immer und überall zur Stelle war, wenn sich blutiges Geschehen abgespielt hatte.
Der Seewolf ging auf die Stelle zu, an der die Explosion stattgefunden hatte. Aus einiger Entfernung war Befehlsgebrüll zu hören. Entweder hatten sie es bei der Stadtwache selber gehört, oder ein erster Augenzeuge war bereits dort eingetroffen und hatte Alarm geschlagen.
Die zerborstenen Bestandteile der Sänfte waren dreißig bis vierzig Yards weit auseinandergeflogen, an den Köpfen der Träger vorbei. Kemal Yildiz indessen existierte nicht mehr.
Dort, wo ihn die Explosion zerrissen hatte, befand sich lediglich ein rußartiger Fleck auf den Pflastersteinen.
Hasard betrachtete die Steine mit gefurchter Stirn.
Schritte näherten sich aus einer der Gassen. Der Kutscher und Mac Pellew waren zur Stelle und kümmerten sich um die Verwundeten. Nur noch deren Schmerzenslaute waren zu hören. Die Angstschreie der Fliehenden waren verstummt. Aus der nächstgelegenen Gassenmündung erschienen Wachsoldaten im Laufschritt. Ein Offizier lief an der Spitze der Gruppe.
Hasard konnte den Blick nicht von jenem Punkt wenden, an dem sich das Zentrum der Detonation befunden haben mußte. Dann, nach kurzem Überlegen, drehte er sich zu den Arwenacks um, die in Steinwurfweite entfernt auf der Pier ausharrten.
„Al!“ rief der Seewolf. „Mister Conroy!“ Mit einer Handbewegung forderte er ihn auf, näherzutreten.
Als der schwarzhaarige Stückmeister zur Stelle war, verlangsamten auch die Soldaten ihre Schritte. Der Offizier ließ sie Aufstellung nehmen und wandte sich den Engländern zu.
„Was hältst du von der Sache?“ fragte der Seewolf seinen Stückmeister.
Al Conroy begriff sofort, auf was Hasard hinauswollte. Er zeigte auf die geschwärzten Steine. „Ich nehme an, es ist das, worüber du dich wunderst.“
Hasard nickte. „Ich vermisse einen Explosionstrichter. Oder liegt es daran, daß die Pflastersteine zu hart sind?“
Al Conroy schüttelte den Kopf. „Kaum.“
Der türkische Offizier verfolgte das Gespräch der beiden Männer mit interessierter Miene. Hasard bemerkte es und folgerte daraus, daß der Mann offenbar die englische Sprache verstand.
„Hast du eine Erklärung?“ fragte er den Stückmeister.
„Plausibel wird es nur folgendermaßen“, erwiderte Al Conroy, „wir gehen mit unseren Überlegungen von falschen Voraussetzungen aus. Du vermutest, daß jemand einen Sprengsatz unter die Sänfte geworfen hat. Stimmt’s?“
„Richtig.“
„Deshalb deine Folgerung.“
„Auch richtig.“
„Davon mußt du dich lösen“, sagte Al. „Der Sprengsatz oder die Bombe, was immer es war; wurde nicht unter die Sänfte geworfen, sondern hinein.“
Hasard furchte die Stirn. „Daß es keine Wurfbombe war, erscheint mir plausibel. Der Rest deiner Erklärung aber nicht. Gerade der Boden der Sänfte muß aus so starkem Material gefertigt gewesen sein, daß es diese Spuren kaum gegeben haben dürfte.“
„Einverstanden“, sagte der Stückmeister und nickte. „Daraus folgt aber, daß sich der Sprengsatz unter der Sänfte befunden haben muß. Und wie, bitte sehr, soll so etwas möglich sein? Der Mörder hätte sich heranschleichen müssen, um die Ladung unter dem Boden zu befestigen und die Lunte zu zünden. Das hätte er niemals schaffen können.“
„Aber die Ladung muß unter dem Boden geklebt haben“, sagte der Seewolf beharrlich. „Anders sind die Explosionsspuren beim besten Willen nicht zu erklären.“
Der Offizier räusperte sich. „Bevor Sie sich weiter den Kopf zerbrechen, Gentlemen, sage ich Ihnen lieber, womit wir es zu tun haben. Dies dürfte eindeutig das Werk des Höllenfürsten gewesen sein.“
Hasard und Al starrten den Offizier an. Hatten sie es hier mit einer türkischen Ausgabe des alten O’Flynn zu tun? Mit einem, der auch gleich behaupten würde, das Zweite Gesicht zu haben?
„Nichts für ungut“, entgegnete der Seewolf. „Aber Schauermärchen sind keine Erklärung.“
Der Offizier schüttelte den Kopf, und er wirkte absolut ernst dabei. „Seit einiger Zeit passieren in Istanbul immer wieder Fälle dieser Art. Immer sterben einflußreiche Persönlichkeiten dabei, und immer explodiert eine Ladung, ohne daß jemand in der Nähe ist, der sie gezündet haben könnte. Der Täter ist unbekannt. Er wird der Höllenfürst genannt, weil er offenbar die Fähigkeit hat, Sprengladungen hochgehen zu lassen, wann immer und wo immer er will, ohne selbst dabeizusein.“
„Das hört sich in der Tat teuflisch an“, sagte Hasard. „Aber Hexerei kann es nicht sein. Es muß eine Erklärung dafür geben. Hast du eine, Al?“ Er blickte den Stückmeister an.
Al Conroy rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger. „Ich bin mir nicht sicher. Ich erinnere mich an Berichte über einen deutschen Schwarzpulverfachmann, der Knochenbomben gebaut haben soll. Die Dinger sollen wie von selbst explodiert sein. Ich habe das bislang immer für eine Legende gehalten.“
Jetzt war selbst der türkische Offizier überrascht. „Knochenbomben?“ rief er. „Was heißt das – Knochen?“
„Ich kenne keine Einzelheiten“, antwortete der Stückmeister. „Nur so viel, daß Schwarzpulver in einen hohlen Knochen und in einer abgeteilten Kammer mit einer brennenden Lunte versehen wurde. Die Brenndauer soll dann für eine bestimmte Zeit genau berechnet worden sein. Ich konnte mir aber nie erklären, wie so was funktionieren soll. In dem geschlossenen Knochen, habe ich mir gedacht, muß die Zündflamme doch ersticken.“
„Vielleicht funktionierte es mit winzigen Luftlöchern“, sagte der Seewolf. „Und Knochen hat dein deutscher Pulverkollege wahrscheinlich deshalb verwendet, weil man sie in Speisezimmern oder Speisesälen unauffällig auf den Fußboden plazieren kann.“
Al Conroy nickte. „Trotzdem hat es für meine Begriffe immer sehr unwahrscheinlich geklungen.“
„Aber es wäre eine Erklärung!“ rief der Offizier. „Vielleicht hat der Höllenfürst solche Methoden verfeinert und bietet nun seine Dienste an.“
„Interessenten dafür gibt es in Istanbul genug, nehme ich an.“ Hasard blickte den Offizier fragend an.
Der Türke nickte. „Die Machtverhältnisse in unserer Stadt werden immer unklarer. Teilweise finden bereits offene Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen statt. Und dieser Mann“, er deutete auf die Reste der Sänfte, „hatte eine Menge Feinde.“
„Kemal Yildiz“, sagte der Seewolf. „Er wollte mich zu einer Besprechung aufsuchen. Er hatte vor, Handelsbeziehungen mit England aufzunehmen.“
Der Offizier sah ihn überrascht an. „Dann sind Sie ein wichtiger Zeuge, Sir. Ich muß Sie bitten, sich zu meiner Verfügung zu halten.“
Hasard hatte nichts dagegen einzuwenden. „Unser Schiff bleibt an seinem Liegeplatz. Ich nehme aber an, daß wir uns innerhalb der Stadt frei bewegen können, sofern wir immer wieder auf die Dubas zurückkehren.“
„Selbstverständlich, Sir.“
Der Kutscher und der Feldscher hatten ihr möglichstes für die Verwundeten getan. Sie wurden in ein Lazarett abtransportiert. Der Offizier ließ die Soldaten am Ort des grausigen Geschehens aufräumen. Schon eineinhalb Stunden nach der Explosion erinnerte nichts mehr an den Tod des Kemal Yildiz und seine Sänftenträger.
Hasard und seine Gefährten hatten sich unterdessen vorgenommen, diese Angelegenheit nicht auf sich beruhen zu lassen. Schließlich war der Kaufmann auf dem Weg zu ihnen umgebracht worden. Fast waren sie es ihm schuldig, die Umstände seines Todes aufzuklären.
4.
Am späten Nachmittag verließen Hasard und Don Juan die Dubas. Ben Brighton übernahm wie üblich das Kommando an Bord. Im Labyrinth der Gassen steuerten die beiden Männer ihr Ziel an, eines der vielen Kaffeehäuser.
Die Orientierung war einfach. Sobald man sich in einer Gasse befand, brauchte man nur dem unvergleichlichen Duft nachzugehen. Kaffeehäuser gab es überall, und es war die Tageszeit, zu der sich die Männer dem Genuß des schwarzen Getränks hingaben.
Hasard und Don Juan entschieden sich für ein abseits gelegenes Haus, das schon von außen einen verschwiegeneren Eindruck erweckte. Die Räume, aus deren offenen Fenstern und Türen lautes Stimmengewirr drang, befanden sich an einem Innenhof, den sie durch einen Torweg erreichten.
Der gesamte Hof war vom Kaffeeduft ausgefüllt. Je weiter sie sich dem Eingang näherten, desto mehr schien die Luft nur noch aus jenem bittersüßen Aroma zu bestehen, das sich bei der Zubereitung des Türkentranks entfaltete.
Der Seewolf und sein Begleiter betraten den großen, saalartigen Raum, in dessen Mitte Kohle in einem Kupferbecken von Wagenrad-Durchmesser glühte. Über dem Becken hing ein mächtiger Topf, aus dem Männer mit Schürzen unablässig den Kaffee in kleine Porzellantassen schöpften.
Der Dampf aus dem Kaffeetopf vermischte sich mit dem Rauch des Feuers und stieg in einen geschwärzten Abzug, der vermutlich durch das Dach des Gebäudes reichte. Jungen, die gleichfalls Schürzen trugen, beförderten den brühheißen Kaffee auf Tabletts zielsicher durch die Tischreihen.
Nach einem unergründlichen System wußten sie stets genau, wann und wo jemand seine Tasse gerade geleert hatte. Niemand, so schien es, mußte länger als eine Minute ohne frischen Kaffee ausharren. Und die Bezahlung wurde offenbar nach einer Art Pauschalsystem geregelt.
Nirgendwo war auch nur der Zipfel eines Frauengewands zu sehen. Die Kaffeehäuser der Türken waren der Männerwelt vorbehalten. Das tosende Stimmengewirr ließ erkennen, wie sehr die Herren der Schöpfung es genossen, nach den Mühen des Tages bei einem anregenden Getränk unter sich zu sein.
Es hieß allerdings, daß die Kaffeehäuser den ganzen Tag über geöffnet wären und auch besucht würden. Während der früheren Tagesstunden mußten es dann die privilegierten Schichten sein, die es sich leisten konnten, ihre Tätigkeit für einen Kaffee zu unterbrechen.
Hasard und Don Juan sahen sich nach einem geeigneten Platz um. Die Männer hockten auf kissenartigen Lederpolstern, rings um flache Tische, auf denen neben den dampfenden Tassen auch Krüge mit klarem Wasser standen. Zwischen zwei Tassen Kaffee nahm man ein paar Schlucke Wasser zu sich, wohl, um den Geschmack zu neutralisieren.
Ein Servierjunge, dessen Tablett geleert war, winkte den Seewolf und den Spanier hinter sich her. Mit selbstbewußt erhobenem Kopf führte er sie zu einem Tisch in der Nähe der Hintertür.
Hasard und Don Juan setzten sich so, daß sie den Raum überblicken konnten. Der Junge entschwand, war jedoch in Sekundenschnelle wieder da – mit gefülltem Tablett, das er geschickt balancierte. Er stellte Tassen, aus denen es brühheiß dampfte, auf den Tisch, dazu saubere Gläser für das Wasser. Das Tablett mit weiteren Kaffeetassen auf der linken Handfläche balancierend, überprüfte er den Inhalt des Krugs.
Hasard winkte den Jungen zu sich, bevor er davoneilen konnte. „Verstehst du unsere Sprache?“
„Verstehen viel – sprechen bißchen“, radebrechte der Kleine.
Der Seewolf drückte ihm eine Silbermünze in die Hand.
„Wir suchen jemanden, mit dem wir über Kemal Yildiz sprechen können“, erklärte Hasard. „Für gute Informationen bezahlen wir einen guten Preis.“
Der Junge ließ die Worte in sich nachklingen. Dann nickte er.
„Warten hier“, sagte er. „Wird Mann kommen.“
Gleich darauf tauchte der Kleine mit seinem Tablett im Gewühl unter. Hasard und Don Juan sahen ihn noch ein- oder zweimal, wie er volle Tassen austeilte und leere einsammelte, ohne dabei das Tablett auch nur einmal aus der Balance zu verlieren.
Die beiden Männer von der Dubas schlürften den Kaffee in vorsichtigen Schlucken, wie es die Türken taten. Der heiße Trank war bitter, aber sie spürten doch jenes unvergleichliche Aroma, das dieses Gebräu erst bei den Ägyptern und dann beiden Türken so beliebt hatte werden lassen.
„Man muß positiv eingestimmt sein“, sagte Don Juan. „Wenn man von vornherein eine Abneigung gegen den Kaffee hat, wird er einem auch nicht schmecken.“
Hasard nickte. „So würde es den Türken wahrscheinlich ergehen, wenn sie unser englisches Bier trinken sollten.“
„Was sie nicht dürfen. Der Koran verbietet es ihnen.“
„Der Koran hat keine Ahnung, was englisches Bier ist“, sagte Hasard grinsend. „Mohammed hat den Wein verboten, wenn ich mich nicht irre. Aber von Bier hatte er bestimmt noch nie etwas gehört, als er seine Prophezeiungen aufschrieb.“
„Vom Kaffee auch nicht“, sagte Don Juan lächelnd. „Ich habe gelesen, daß sich die Schriftgelehrten des Islam den Kopf darüber zerbrochen haben, ob sie dem Volk den Kaffee erlauben sollten oder nicht. Irgendwann müssen sie festgestellt haben, daß das schwarze Zeug keine so schlimme Wirkung wie Wein hat.“
„Ich denke, wir wissen es besser“, entgegnete Hasard, immer noch grinsend. „Wer mit Wein und Bier umzugehen weiß, hat viel mehr davon als jene, die das Zeug sinnlos in sich hineinkippen.“
„Vom karibischen Rum ganz zu schweigen.“
„Und vom Wasser des Lebens.“
„Was soll denn das nun schon wieder sein?“
Hasard lachte. Die besonderen Erfahrungen, die die Arwenacks mit dem dänischen Schnaps gesammelt hatten, lagen vor jener Zeit, in der Don Juan zu ihnen gestoßen war.
„Die Dänen nennen es Aquavit“, sagte der Seewolf.
Don Juan nickte verstehend. „Aqua, das Wasser, Vita, das Leben. Die Iren haben allerdings auch ein Wasser des Lebens. Uisge Beatha, Gälisch für Whisky.“
„Donnerwetter“, sagte Hasard beeindruckt. „Deine Kenntnisse sind enorm.“
„Überhaupt kein Wunder“, entgegnete Don Juan abwehrend. „Vergiß nicht, daß Spanien seit Generationen Handelsbeziehungen mit dem Westen Irlands pflegt. Im Hafen von Galway wirst du mehr spanische als englische Schiffe sehen.“
„Stimmt. Mit Galway haben wir unsere besonderen Erfahrungen.“ Hasard ging nicht weiter darauf ein, denn ein Mann näherte sich ihrem Tisch. Die Abenteuer, die Hasard und die Arwenacks im irischen Rebellenland bei Galway erlebt hatten, lagen ohnehin schon Jahre zurück.
Der Mann, seiner Kleidung nach ein Türke, verneigte sich vor dem Tisch.
„Ich bitte um Erlaubnis, Sie anzusprechen, Gentlemen“, sagte er in hart rollendem Englisch und verneigte sich dazu. „Mein Name ist Ahmet Ezgin. Ich habe erfahren, daß Sie an gewissen Informationen interessiert seien.“
„So ist es“, antwortete der Seewolf. „Bitte setzen Sie sich zu uns, damit wir darüber reden können.“
Ezgin, ein schlanker Mann mit gepflegtem Spitzbart, folgte der Aufforderung. Er lächelte dankbar, als Don Juan ihm unter dem Tisch die ersten Silbermünzen reichte. Ezgin ließ die Münzen geschickt unter seiner Kleidung verschwinden.
Unvermittelt tauchte der Servierjunge wieder auf und brachte frischen Kaffee. Gleich danach verschwand er erneut im Gewühl des von Palaver erfüllten Raumes. Die Männer brauchten keine Sorge zu haben, daß man am Nebentisch auch nur Wortfetzen ihres Gesprächs mithörte. Jeder führte seine Unterhaltung lautstark, so daß sich nur unmittelbare Sitznachbarn untereinander verstehen konnten.
„Sie wissen, es handelt sich um Kemal Yildiz“, sagte Don Juan. „Wir möchten mehr über ihn erfahren.“
Ahmet Ezgin lächelte kaum merklich. „Er hatte eine Verabredung mit Ihnen, nicht wahr? An Bord Ihres Schiffes. Auf dem Weg dorthin wurde er umgebracht.“
„Sie sind gut informiert“, sagte Hasard.
„An guten Informationen sind Sie interessiert“, entgegnete der Türke. „Wenn ich sie nicht liefern könnte, würde ich mich nicht erdreisten, Ihnen meine Dienste anzubieten.“
„Ein vernünftiger Grundsatz.“ Der Seewolf schlürfte von seinem Kaffee und beugte sich vor. „Was für ein Mann war Yildiz? Wer waren seine Feinde? Und warum mußte er sterben?“
„Über die letzte Frage gibt es nur Vermutungen“, erwiderte Ezgin. „Wenn ich Ihnen darüber Auskunft geben könnte, wäre ich schlauer als alle amtlichen Organe, die sich mit dem Fall zu befassen haben. Sie werden sich lange damit befassen, und am Ende verläuft die ganze Angelegenheit im Sande, wenn niemand mehr darüber spricht. So viel vorweg zum Offiziellen.“
„Yildiz wollte über uns Handelsbeziehungen mit England anknüpfen“, sagte Don Juan. „Vielleicht ist das ein Ansatzpunkt für Sie.“
„Haargenau“, erwiderte Ezgin und setzte seine Kaffeetasse ab. „Kemal Yildiz war für seine ungewöhnliche Denkweise bekannt. Daß er zu den reichsten Kaufleuten von Istanbul gehörte, brauche ich nicht extra zu betonen. Kein anderer Kaufherr würde aber auf die Idee verfallen, mit – Verzeihung – Ungläubigen Handelskontakte anzustreben. So etwas, würden sie sagen, konnte sich nur Yildiz leisten. Es paßte zu seiner merkwürdigen Einstellung – genauso, wie er einen Teil seines Barvermögens für mildtätige Zwecke zur Verfügung stellte. Deswegen hat er sich allerdings wohl die meisten Feinde geschaffen.“
„Erklären Sie das genauer“, bat der Seewolf und leerte seine Tasse.
„Die Armut in Istanbul ist groß“, sagte Ezgin. „Noch bedenklicher erscheint verantwortungsbewußten Männern wie Kemal Yildiz die Kluft zwischen arm und reich, die immer größer wird. Die Gegenseite im Lager der Reichen hält es für das beste Mittel, den Pöbel mit Gewaltmaßnahmen zu unterdrücken. Die Freunde des Kemal Yildiz vertreten dagegen die Ansicht, daß nur Verständnis und Hilfe für die Schwachen und Benachteiligten auf Dauer den Verdruß beseitigen könne.“
Hasard und Don Juan wechselten einen Blick. Istanbul, so schien es, unterschied sich kaum von anderen Orten dieser Welt, an denen Menschen auf engem Raum zusammenlebten. Mit Ungerechtigkeiten machten sie sich gegenseitig das Leben zur Hölle. Und Männer, die ehrlich versuchten, etwas dagegen zu unternehmen, wurden wegen ihrer Hilfsbereitschaft von ihresgleichen angefeindet.
„Wir wollen versuchen, den Mörder von Yildiz zu finden“, sagte der Seewolf. „Wo können wir mit der Suche anfangen?“
Der Informant senkte seine Stimme zum Flüsterton. „Es ist so gut wie unmöglich, eine Spur aufzunehmen. Ich wüßte nur einen einzigen Weg. Aber der wäre sehr gefährlich.“
„Wir sind bereit, ein Risiko zu tragen“, sagte Don Juan.
„Lassen Sie hören“, drängte Hasard.
Der Spanier steckte dem Türken eine weitere Silbermünze zu. Der Servierjunge erschien mit neuem Kaffee. Ezgin wartete, bis der Junge außer Hörweite war.
„Es kursiert ein bestimmtes Gerücht in der Stadt. Und zwar darüber, wie man jemanden ermordet, ohne sich selbst die Finger zu beschmutzen. Man beauftragt den Höllenfürsten.“
„So soll es auch im Falle Yildiz gewesen sein“, entgegnete Hasard.
Ezgin nickte. „Lassen Sie durchsickern, daß Sie jemanden aus dem Weg geschafft haben möchten. Wer das Opfer sein soll, ist zunächst unwichtig. Ein Bote wird an Sie herantreten und sich anbieten, dem Höllenfürsten eine Nachricht zu überbringen. Das ist die Möglichkeit für Sie, eine Spur aufzunehmen.“
„Und wie setzen wir das in Gang?“ fragte Don Juan.
„Ich würde es übernehmen, die Nachricht unter das Volk zu bringen“, erwiderte Ezgin. „Sie müßten sich dann nur regelmäßig am selben Ort blicken lassen. Beispielsweise hier, in diesem Kaffeehaus, an diesem Platz.“
„Einverstanden“, sagte der Seewolf.
Don Juan erhöhte den Lohn des Türken um eine weitere Münze.
„Wenn Sie sich gründlich informieren wollen, sollten Sie unbedingt auch noch mit Münnever Yildiz sprechen“, sagte Ezgin. „Das ist die Witwe des Ermordeten. Sie hat seine gedankliche Einstellung in die Tat umgesetzt. Es gibt bei den armen Leuten von Istanbul keinen beliebteren Menschen als Münnever Yildiz. Nun, ich denke, ich werde jetzt …“ Er unterbrach sich, während er dabei war, sich zu erheben. „Blicken Sie nicht zum Vordereingang“, sagte er, indem er sich wieder seinen beiden Gesprächspartner zuwandte. „Da sind ein paar Burschen aufgetaucht, denen wir besser nicht gemeinsam begegnen. Noch haben sie uns nicht gesehen. Es wäre ratsam, durch den Hinterausgang zu verschwinden.“
„Was für Burschen?“ fragte Hasard.
„Sie arbeiten für jenen Machtblock, gegen den sich Kemal Yildiz gewandt hat“, erwiderte Ezgin. „Niemand weiß genau, wer dahintersteht. Aber es sind einflußreiche Kreise, soviel steht fest.“
Hasard und Don Juan waren einverstanden, sich zurückzuziehen. Ahmet Ezgin wirkte auf sie vertrauenerweckend. Kein Halsabschneider, der falsche Informationen verkaufte und seine Abnehmer hinterher ans Messer lieferte.
Die Gelegenheit, unbemerkt zu verschwinden, ergab sich, als am Nebentisch drei Männer auf einmal aufstanden und sich in Richtung Vorderausgang zum Gehen wandten.
Hasard, Don Juan und ihr türkischer Verbündeter schlüpften durch die Hintertür.
Sie fanden sich auf einem weiteren Hof wieder, der von weißen, fensterlosen Mauern eingegrenzt wurde. Eine schmale Gassenverbindung führte offenbar zur nächstgelegenen Straße.
„Ich werde von der Vorderseite ins Kaffeehaus zurückkehren“, sagte Ezgin. „Es ist mein gewohnter Aufenthaltsort. Sie sollten sich dagegen lieber entfernen.“
Hasard wollte zustimmen und etwas erwidern.
Ihm blieb der Ansatz der ersten Silbe im Hals stecken.
Zwei Gestalten schnellten aus der Gassenverbindung hervor. Klingen blitzten.
Ezgin stieß einen Entsetzenslaut aus. Im hastigen Zurückweichen stolperte er und schlug der Länge nach hin.
Einer der Angreifer wollte sich auf ihn stürzen und mit seinem Krummsäbel zustoßen.
Reaktionsschnell hatten Hasard und Don Juan blankgezogen.
Mit einem sausenden Hieb traf Don Juan die Klinge des Mannes, der im Begriff war, Ezgin zu töten. Der Türke wurde aus dem Schwung gerissen. Durch die Wucht des Hiebes verlor er den Säbelgriff aus den Fingern. Er ruckte herum und wich von dem am Boden Liegenden zurück.










