Seewölfe Paket 29

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„Er hat noch gar kein Töpfchen!“ rief Smoky. „Nie hat er sich darum gekümmert. Das ist vielleicht eine Erziehung! Kein Wunder, daß das arme Tier überall seine Haufen hinsetzt.“
„Überall!“ tönte Pete Ballie. „Du sagst es, Smoky! Neulich fand ich einen Haufen in meiner Koje. Und was habe ich getan? Ich habe den Haufen weggeräumt – ohne großes Geschrei, ohne ein Wort darüber zu verlieren.“
„Ha! Wo ich schon überall Haufen gefunden und ohne viel Aufhebens beseitigt habe!“ rief Smoky. Und es folgte eine Aufzählung, aus der hervorging, daß Sir John keinerlei Hemmungen bezüglich seiner Platzwahl hatte. Sogar in der Kohlsuppe hatte eine Ablage stattgefunden.
Carberry kriegte kein Bein an Deck. Die Kerle standen wie ein Mann gegen ihn. Er war auf Glatteis marschiert, als er Pete Ballie zugemutet hatte, die Talje zu säubern. Das begriff er selbst, und so fierte er stumm die Talje ab, um eigenhändig die Reinigungsprozedur vorzunehmen.
Dafür wurde er von Sir John angemeckert, der sich offenbar auf der Talje wohlgefühlt hatte.
„Halt deinen verdammten Schnabel!“ blaffte er sein Sir Jöhnchen an, das sich beleidigt auf den Vormast verzog und ihn einen „besengten Hirsch“ nannte.
Carberry hätte ihm am liebsten einen Belegnagel oder einen Stiefel hinterhergeworfen.
Pete Ballie gab noch keine Ruhe.
„Dein Liebling hat dich eben einen ‚besengten Hirsch‘ genannt, Mister Carberry“, sagte er ein bißchen hinterhältig. „Wie findest du das?“
„Interessiert mich nicht“, knurrte Carberry. „Außerdem hat er nicht mich, sondern dich gemeint, und da hat er voll ins Schwarze getroffen. Besengt bist du sowieso, und wie ein Hirsch siehst du auch ohne Geweih aus, vor allem, wenn du mit deinen Ohren wedelst!“
„So! Dein Taljenbekacker hat also mich gemeint“, schnaubte Pete Ballie. Er stieß Smoky an. „Was hältst du davon?“
„Gar nichts. Er hat den Profos gemeint. Der hat ihn ja auch angelabert, er solle seinen Schnabel halten. Und wenn es hier das Abbild eines besengten Hirsches gibt, dann bist du das bestimmt nicht, Pete.“
„Sondern?“
„Dreimal darfst du raten!“
„Ach – den meinst du!“ rief Pete Ballie.
„Genau den“, sagte Smoky.
Und beide blickten impertinent feixend zu Carberry. Bei dem kam die Galle schon zu den Ohren raus.
„Ihr habt wohl lange nicht mehr euer eigenes Geschrei gehört, was, wie?“ fauchte er.
„Zuletzt als Büblein, Mister Profos“, sagte Pete Ballie freundlich. „Ich versteh gar nicht, daß du dich so aufregst! Hast du dich geärgert?“
„Nein! Überhaupt nicht!“ brüllte der Profos.
„Ed! Bist du verrückt, hier so zu brüllen?“ Das war die Stimme von Philip Hasard Killigrew, und er stand auf dem Achterdeck, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Sogar die Leute an Land schauen schon her!“
Carberry drehte den Kopf. Ja, die starrten zu der Dubas, die Leute von Burgas. Er schrumpfte etwas und sagte: „Hab’ nur dem Mister Smoky und dem Mister Ballie was geflüstert, Sir, weil die so schwerhörig sind.“ Und er polierte mit dem rechten Unterärmel heftig die Talje.
„Die solltest du noch mit Leinöl behandeln, Mister Profos“, sagte Pete Ballie, „weil der Stuhlgang von Papageien sehr ätzend ist!“ Er drückte sich sehr gewählt aus, der breitschultrige Gefechtsrudergänger der Arwenacks, der Pranken so groß wie Bratpfannen hatte.
„Uaahh!“ gurgelte der Profos.
„Er erstickt uns“, sagte Smoky besorgt.
„Er würgt nur an was rum“, sagte Pete Ballie unbeeindruckt. „Oder er hat was verschluckt.“
„Da hilft mehrmaliges Klopfen über die Schulter“, sagte Smoky. „Das weiß ich vom Kutscher – verdammt, wo steckt der überhaupt?“
Ja, genau das war die Frage. Die hatte der Kapitän schon vor über einer Stunde gestellt. Jetzt war inzwischen eine weitere Stunde vergangen. Hasard wurde unruhig und hatte die Warterei satt.
Zu Dan O’Flynn sagte er: „Schau nach, wo die Kerle bleiben. Und wenn sie eine Pinte angesteuert haben, dann soll sie der Teufel holen!“
Dan O’Flynn grinste. „Der Kutscher eine Pinte? Eher steigt ein Huhn auf den Hahn, und der Hahn legt Eier!“
„Dämlicher Vergleich!“ knurrte Hasard.
„Entschuldige.“
„Schon gut. Aber Mac ist dabei, und der läßt keine Pinte aus. Nimm Matt mit. Schaut zuerst bei dem Kaufmann nach – und dann in den Pinten.“
„Aye, Sir. Melde mich von Bord.“
Und so zog Dan O’Flynn los, zusammen mit Matt Davies, dem harten Kämpfer, dem eine scharfgeschliffene Hakenprothese die rechte Hand ersetzte, was ihn der Mühe enthob, eine Waffe bei sich zu tragen. Im Nahkampf fürchtete er keinen Gegner, es sei denn, er wurde von hinten angefallen.
Sie fragten sich durch. Kymet? Ah, gut, gut! Und sie zeigten den beiden fremden Männern den Weg zum Hof des Kaufmanns. Dort erkundigte sich Dan O’Flynn wieder nach Kymet, und sie wurden zu dem freundlichen Dicken mit den listigen Augen geführt.
Es stellte sich heraus, daß Mehmed Kymet die spanische Sprache einigermaßen beherrschte, und so war eine Verständigung möglich. Dan O’Flynn fragte nach dem Verbleib der fünfköpfigen Gruppe, die hier beim „Señor Kymet“ habe einkaufen wollen. Jedenfalls seien die Männer noch nicht an Bord zurückgekehrt.
Er nahm jetzt selbst an, Mac Pellew habe die anderen überredet – sogar den Kutscher –, auf dem Rückweg „so im Vorbeigehen“ noch eine Pinte zu besichtigen. Wenn es sich um solche Besichtigungen handelte, konnte der gute Mac ziemlich hartnäckig werden – und noch verdrießlicher als sonst. Da war es durchaus möglich, daß der Kutscher klein beigegeben hatte. Dem hingen die nöligen Tiraden seines zweiten Kombüsenmannes sowieso ständig zum Halse heraus. Also Grund genug, den Miesgram was schlucken zu lassen und dadurch aufgeheitert zu sehen.
So stellte Dan sich das vor – und war verblüfft, als der Dicke mit heiterer Miene abwinkte und verkündete, die fünf Señores könnten noch gar nicht an Bord sein, weil sie in den Gewölben noch damit beschäftigt seien, eine sorgfältige Auswahl zum Kauf des Proviants zu treffen.
„Seit mehr als zwei Stunden?“ fragte Dan O’Flynn entgeistert, und auch Matt Davies schüttelte verwundert den Kopf.
„Je nun“, erklärte der Dicke nicht ohne Stolz, „ich habe so viele Spezialitäten anzubieten, daß die Señores die Qual der Wahl haben!“
Spezialitäten, aha! Dan O’Flynn nickte. Das war nun mal wieder typisch der Kutscher. Bei dem spielte die Zeit keine Rolle mehr, wenn er die Nase in Köstlichkeiten stecken konnte, mit denen in den Küchen fremder Länder gekocht wurde. Da war sein Wissensdurst noch unersättlicher als sonst. Und das war gut so, denn letztlich profitierten die Arwenacks davon, weil der Kutscher unermüdlich darum besorgt war, ihnen eine abwechslungsreiche Kost vorzusetzen. Was hatte er da nicht alles schon gezaubert!
Matt Davies hatte wohl die gleichen Gedankengänge, denn er stieß Dan an und sagte: „Echt Kutscher! Der läßt sich bei den Spezialitäten auch gleich erklären, wie sie zubereitet werden müssen. Daß wir mit der Proviantübernahme warten, hat er längst vergessen.“
„Glaube ich auch“, meinte Dan grinsend und fragte den Dicken, ob er so freundlich sei, sie zu den Gewölben zu führen, wo die Kameraden den Proviant aussuchten.
„Aber gern“, sagte der Dicke und schien geradezu glücklich zu sein, ihnen einen Gefallen tun zu dürfen. „Und vorher kosten Sie von unserem Burgas-Wein – ein erlesenes Getränk, Sie werden sehen!“
„Wie bitte?“ Plötzlich war Dan O’Flynn mißtrauisch. „Haben unsere Kameraden den Wein auch probiert?“
„Natürlich!“ Der Dicke nickte strahlend. „Was man kauft, muß man doch vorher probieren. Das ist bei Wein besonders wichtig. Ihr Küchenmeister hat sechs Fässer geordert.“ Der Dicke kicherte. „Darüber gab es sogar einen Disput, von dem ich nur so viel verstand, daß der Mann mit dem traurigen Gesicht offenbar mehr Fässer einkaufen wollte, was der Küchenmeister aber ablehnte.“
Jetzt grinste Matt Davies. „Der Mann mit dem traurigen Gesicht – das war Mac! Dem reichten sechs Weinfässer nicht, diesem Saufkopp!“
Dan O’Flynn mußte lachen. Die alte Geschichte! Da hatte Mac wieder herumgelabert, war aber wohl beim Kutscher auf Granit gestoßen.
Und Dans Mißtrauen? Das war schon verflogen.
Auch sie gingen also mit dem Dicken die breite Steintreppe hinunter und betraten das erste Gewölbe, wo die Weinfässer gestapelt waren und die wohlgeformte Maid ihres Amtes als Mundschenkin waltete. Als gestandene Mannsbilder konnten Dan O’Flynn und Matt Davies mitnichten an der bulgarischen Venus vorbeischauen. Das ging auch gar nicht, weil sie ihnen ja den Wein kredenzte.
„Hm-hm“, ließ sich Matt Davies vernehmen.
„Du sagst es“, murmelte Dan O’Flynn, obwohl Matt ja auch die Güte des Weins gemeint haben konnte – oder beides.
Der Dicke strahlte.
„Gut?“ fragte er.
„Vorzüglich“, erwiderte Dan, und im stillen dachte er, daß Mac eigentlich recht hatte, wenn ihm sechs Fässer dieses Weins zu wenig gewesen waren. Na, da war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er würde jedenfalls dem Kutscher zureden, ein paar Fässer mehr zu kaufen.
Sie probierten auch den Käse und das Fladenbrot, und beides paßte hervorragend zu dem herben Rotwein.
„Oh!“ sagte da die Maid, und es klang etwas erschrocken. Sie hatte Matts Prothesenhaken entdeckt – und wurde verlegen, daß sie ihr Erschrecken geäußert hatte. Ihr hübsches Gesicht erblühte in Rot. Hastig sagte sie etwas.
Der Dicke übersetzte: „Zlatina bittet um Verzeihung, daß sie sich so auffällig benommen hat, Señor.“
Matt Davies lächelte. „Nicht der Rede wert, Señor Kymet. Ich bin es gewohnt, daß manche erschrecken, wenn sie den Haken sehen. Zlatina ist ein hübscher Name. Sagen Sie ihr, sie brauche sich nicht zu entschuldigen.“
Der Dicke übersetzte wieder, und da errötete die schöne Zlatina noch mehr. Matt schien es ihr angetan zu haben. Zweifelsohne wirkte er attraktiv mit seinem braungebrannten Gesicht, zu dem die grauen Haare einen scharfen Kontrast bildeten. Sie waren das äußere Merkmal einer Nacht, die Matt Davies – gegen Haie kämpfend – auf einer Gräting verbracht hatte, von der ihn dann die Kameraden am nächsten Tag hatten abbergen können. In dieser einen Nacht waren seine Haare grau geworden. Aber diese Nacht hatte ihn nicht zerstört, sondern noch härter geschmiedet.
Zlatina schenkte ihnen noch einmal nach, und sie genossen den Wein. Doch als sie die Becher absetzten, zitterte Zlatina und war so weiß wie die gekalkten Wände des Gewölbes.
„Na, na!“ sagte Matt Davies. „Wir beißen doch nicht.“
Dan O’Flynn hatte sich umgedreht – und erstarrte.
Zehn Soldaten der Miliz standen verteilt in dem Gewölbe, und die Pistolen in ihren Fäusten waren auf Matt und ihn gerichtet. Die Tür in das Gewölbe verbarrikadierte der dicke Hafenkommandant Selim Güngör. Er war mit einer doppelläufigen Pistole bewaffnet, sein Vollmondgesicht hatte keinen freundlichen Ausdruck mehr, sondern zeigte harte Unnachgiebigkeit.
Matt Davies hatte sich inzwischen auch umgedreht und fragte verblüfft: „Was soll das denn?“
„Das würde mich auch interessieren“, sagte Dan grimmig. Er schaute zu Mehmed Kymet. „Können Sie uns das erklären, Señor?“ fragte er eisig. „Nennt man das hier Gastfreundschaft oder was?“
Der dicke Kaufmann lachte scheppernd. „Gastfreundschaft? Russischen Halsabschneidern gegenüber?“
Matt und Dan wechselten einen Blick.
„Die halten uns für Russen“, sagte Matt kopfschüttelnd, „diese Idioten.“
„So ist es“, sagte Dan, „für russische Halsabschneider, die sogar spanisch sprechen!“
Sie führten ihren Dialog in der englischen Sprache, was Kymet nicht paßte. Er wollte wissen, was sie gesagt hätten, und wenn sie meinten, einen krummen Trick aushecken zu können, dann sollten sie lieber gleich ihr letztes Gebet sprechen – falls sie jemals beten gelernt hätten.
„Jetzt bleiben Sie mal ganz sachlich, Señor Kymet“, sagte Dan O’Flynn gelassen, „und beantworten Sie mir eine Frage: Kennen Sie einen einzigen Russen, der die spanische Sprache beherrscht?“
Der Dicke stutzte. Dann erwiderte er: „Ja, Sie beide!“
„Mann, ist das eine Logik“, entgegnete Dan. „Aber außer uns kennen Sie keinen, nicht wahr?“
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Ganz einfach“, erwiderte Dan. „Wir sind Engländer, aber keine Russen. Für Engländer liegt es nahe, die spanische Sprache zu erlernen. Für Russen gilt das nicht. Ich bezweifle überhaupt, ob es russische Verbindungen nach Spanien oder spanische nach Rußland gibt. Vollends absurd ist der Gedanke, russische Schwarzmeer-Piraten – denn um die handelt es sich doch wohl, wenn Sie von Halsabschneidern sprechen – würden sich der Mühe unterziehen, die spanische Sprache zu erlernen. Können Sie mir geistig folgen?“
„Werden Sie nicht unverschämt!“ schnappte der Dicke wütend und begann ein Palaver mit dem Hafenkommandanten, von dem Matt und Dan leider nichts verstanden, weil die beiden türkisch sprachen. Oder bulgarisch.
„Wollen wir versuchen, durchzubrechen?“ fragte Matt unternehmungslustig. Er und Dan O’Flynn waren Draufgänger, aber genauso wie der Kutscher-Trupp unbewaffnet. Matt verfügte zwar über seinen mörderischen Haken, doch gegenüber elf Pistolen, die auf sie gerichtet waren, hatte auch er nicht den Hauch einer Chance.
Dan schüttelte den Kopf. „Hat keinen Zweck, Matt. Diese Bastarde haben die besseren Karten.“
„Fragt sich, ob sie die ausspielen“, meinte Matt ein bißchen verächtlich. Er meinte damit die Pistolen.
„Das auszuprobieren“, erwiderte Dan, „kann zu häßlichen Löchern in der Haut führen. Besser, wir versuchen’s mit Diplomatie.“
Matt grinste hart. „Bei diesen Holzköpfen?“
Dan wandte sich auf spanisch wieder an den dicken Kaufmann.
„Darf man sich erkundigen“, fragte er, „was Sie veranlaßt, uns für russische Halsabschneider zu halten?“
Der dicke Kymet schnaubte: „Lächerliche Frage! Ihr Kapitän ist der berüchtigte Igor Samoilow. Sie gehören zu seiner Verbrecherbande. Ihre Dubas ist an diesen Küsten bekannt wie ein bunter Hund …“
Er konnte nicht weitersprechen, weil Matt Davies und Dan, O’Flynn schallend lachten.
„Das Lachen wird Ihnen schon noch vergehen!“ schrie der Dicke zornig. „Und wenn Sie gedacht haben, auch Burgas überfallen zu können, dann haben Sie sich getäuscht! Wir werden Ihre ganze Bande hinter Schloß und Riegel bringen und Sie alle dem Richter vorführen. Danach werden Ihre Köpfe rollen – wie sich das für Mordbrenner, Frauenschänder und Halsabschneider gehört!“
„Ein Punkt in Ihrer phantasievollen Geschichte stimmt“, sagte Dan O’Flynn, und er war immer noch erheitert. „Die Dubas, mit der wir Ihren Hafen angelaufen haben, gehörte einem gewissen Igor Samoilow und seiner Horde wüster Strolche. Wir gerieten mit den Kerlen oben im Hafen von Varna aneinander. Dabei erlaubten wir uns, seine Dubas für uns zu beschlagnahmen. Unsere Dubas war nämlich kleiner und hatte auch ein paar Schäden in der Beplankung.“ Dan grinste. „Sie können uns allenfalls vorwerfen, einen nicht ganz legalen Tausch vorgenommen zu haben. Aber das wäre ja wohl ein Witz – angesichts dieser Samoilow-Rabauken.“
„Erstunken und erlogen!“ stieß der Dicke hervor.
„Vorsichtig, Kymet!“ sagte Dan scharf. „Wir Engländer lassen uns nicht als Lügner beschimpfen. Umgekehrt halte ich Sie und Ihren Hafenkapitän für reichlich schwachsinnig. Außer der Dubas haben Sie nicht den geringsten Beweis für Ihre Behauptungen. Kennen Sie diesen Samoilow überhaupt persönlich?“
„Nein!“
„Na also: Woher wollen Sie dann wissen, daß es sich bei unserem Kapitän um Igor Samoilow handelt? Aber ich kann diesen Kerl beschreiben. Er ist ein stiernackiger, blonder Mann mit wasserhellen Augen und einem Amboßkinn. Unseren Kapitän für diesen Mann zu halten, fasse ich nicht nur als Unverschämtheit, sondern mehr noch als Beleidigung auf. Wenn Ihre Miliz nicht wäre, würde ich Ihnen die entsprechende Antwort erteilen, Sie Narr!“
Der Dicke wollte etwas darauf erwidern, aber der Hafenkapitän schaltete sich ein und redete drauflos. Der Dicke nickte und sagte zu den beiden Arwenacks: „Der Hafenkapitän will wissen, wie Sie ins Schwarze Meer gelangt seien und was Sie hier wollen?“
„O Gott!“ Dan O’Flynn verdrehte die Augen. „Ob Sie’s glauben oder nicht, wir sind zu Fuß und mit Maultieren ans Schwarze Meer gestoßen, und zwar vom Tigris her, auf dem wir unser Schiff, eine Galeone, bei einer Naturkatastrophe verloren. In Batumi besorgten wir uns eine Dubas, nämlich jene, die wir in Varna zurückließen. Und was wir hier wollen, ist ebenfalls schnell erklärt. Wir suchen einen Weg ins Mittelmeer, um nach England zurückkehren zu können. Wir vermuten, daß es einen solchen Weg gibt, haben aber kein Kartenmaterial, und bisher hat uns niemand sagen können, ob es zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer eine Verbindung gibt. Aber vielleicht können Sie uns darüber aufklären. Dann sind Sie uns schon morgen los, wenn wir den Proviant übernommen haben.“
Der Dicke übersetzte Dans Antwort dem Hafenkapitän, und dann palaverten die beiden wieder. Der Miene des Hafenkapitäns war zu entnehmen, daß er Dan O’Flynn für einen ausgekochten Lügenbold hielt.
„Der nimmt uns unsere Geschichte nicht ab“, sagte Matt erbittert. „Wäre ja auch zu schön gewesen. Ich glaube, da können wir uns das Maul fusselig reden, die bleiben bei ihrer vorgefaßten Meinung.“
„Ist ja auch ’ne abenteuerliche Geschichte“, sagte Dan mit Galgenhumor.
Jetzt erklärte der dicke Kymet: „Der Hafenkapitän glaubt Ihnen nicht – und ich auch nicht. Man kann nicht mit einer Galeone den Tigris hinaufsegeln …“
„Doch“, unterbrach ihn Dan, „zumindest bis Assur. Von da ab sind wir mit Kamelen getreidelt.“
„Ach ja?“ sagte der Dicke höhnisch. „Und über die vergletscherte Bergwildnis sind Sie dann ans Schwarze Meer geflogen, nicht wahr?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie hätten Märchenerzähler werden sollen, mein Freund!“
„Sie können jeden einzelnen Mann unserer Crew darüber befragen“, entgegnete Dan wütend, „er wird Ihnen nichts anderes berichten.“
„Natürlich“, erklärte der Dicke spöttisch, „und zwar deswegen, weil Sie sich genau über Ihre Märchengeschichte abgesprochen haben!“
Dan O’Flynn war drauf und dran, dem Dicken an die Gurgel zu springen. Aber jetzt war Matt der Besonnenere und hielt ihn zurück.
„Gib’s auf, Dan“, sagte er. „Sie wollen uns nicht glauben.“
Ein paar Minuten später landeten sie unter scharfer Bewachung in dem Gewölbe, in dem sich bereits der Kutscher-Trupp befand. Daß sie wie die Fuhrknechte fluchten, erleichterte sie zwar, aber das war auch alles.
Immerhin konnten sie die fünf Kameraden darüber aufklären, warum man sie gefangengesetzt hatte.
„Das gibt’s doch gar nicht“, sagte der Kutscher wild. „Habt ihr den Kerlen nicht erklärt, daß ihr gar kein Russisch könnt?“
Matt Davies feixte. „Wie denn, Kutscherlein?“
„Indem ihr verlangt, mit einem Russen konfrontiert zu werden – oder mit einem, der russisch spricht.“
„Na und? Der hätte uns auf russisch angequasselt, und wir hätten mit den Schultern gezuckt und gesagt: Nix verstehen! Und was weiter? Gar nichts, weil sie nämlich erklärt hätten, wir täten nur so, tatsächlich aber würden wir jedes Wort verstehen. Kapiert?“
Der Kutscher knirschte mit den Zähnen. „Wir und Russen! So ein Quatsch! Sehe ich vielleicht wie ein Russe aus?“
„Na, mit Dschingis-Khan hast du nicht viel Ähnlichkeit“, erwiderte Matt Davies grinsend, „aber was besagt das schon!“
„Hä-hä-hä!“ meckerte Mac Pellew. „Der Kutscher und Dschingis-Khan! Da lachen ja die Hühner!“
Matt Davies wandte sich zu ihm um und sagte trocken: „Bei dir würden sie einen Lachkrampf kriegen, sollte dich jemand mit Attila vergleichen!“
Macs Meckerlachen brach ab, und er sah mal wieder aus wie der Vorsteher einer Gemeinde von Trauerklößen.
„Mit Matt und mir“, sagte Dan O’Flynn sachlich, „sind nunmehr sieben Mann der Crew abgängig, ohne daß die anderen ahnen, was mit uns passiert ist. Ich fürchte, wir können bald die nächsten bei uns begrüßen.“
„Das befürchte ich auch“, sagte der Kutscher düster.
5.
Old Donegal bekam immer mehr Auftrieb. Daß „der Dünger“ was im Schilde führte, hatte er ja vorausgesagt. Und außerdem hatte er die schwarze Katze gesehen. Zwar gab’s hier kein Silberbergwerk, aber Old Donegal war inzwischen schon wieder vom Gegenteil überzeugt. Aber er hütete sich, das laut zu verkünden.
Statt dessen hatte er insofern Oberwasser, als nunmehr auch sein Sohn Dan und Matt Davies nicht an Bord zurückkehrten, von den fünf anderen ganz zu schweigen.
„Hm-hm“, brabbelte er vor sich hin, „ich soll zwar nicht mehr ganz richtig im Kopf sein, und was ich sage, wird als dummes Geschwätz bezeichnet, aber ich sehe klar: das Unheil reitet auf einem schwarzen Rappen!“
„Rappen sind immer schwarz“, erklärte Gary Andrews, „es gibt keine weißen Rappen und auch keine schwarzen Schimmel, weil die weiß sind. Und ’ne schwarze Katze mit einem Rappen zu verwechseln, das kann nur einer, dessen Augen auf mindestens zehnfache Vergrößerung eingestellt sind.“
„Klugscheißer!“
„Lieber klug scheißen als eine Maus zum Tiger vergrößern“, entgegnete Gary Andrews gleichmütig.
„Kolossal witzig.“
„Oh, danke, das ist meine Art.“ Old Donegals Sticheleien prallten an Gary Andrews ab. Im übrigen zählte er zu jenen Arwenacks, die völlig immun gegen Old Donegals Prophezeiungen waren.
„Kannst du mir mal sagen, wo unsere Leute abgeblieben sind?“ fragte Old Donegal lauernd.
„Ja – an Land“, erwiderte Gary freundlich.
Old Donegal stieß einen Schnauflaut aus. „Und warum sind sie noch nicht zurück?“
„Sie werden ihre Gründe haben. Oder weißt du es mal wieder besser?“
„Sie sind in Gefahr“, sagte Old Donegal und blickte zum Land, wo sich nichts verändert hatte. Alles war beschaulich und friedlich.
Gary Andrews seufzte. „Hast du dafür einen Beweis?“
„Ich habe einen sechsten Sinn“, erklärte Old Donegal.
„Der genügt mir leider nicht. Aber du kannst ihn ja mal fragen, ob er Genaueres weiß. Sollte das der Fall sein, empfehle ich dir, alles unserem Kapitän zu melden, damit wir gegen die Gefahr etwas unternehmen können.“
„Der glaubt mir nicht.“
Gary nickte. „Ja, so ist das, Old Donegal. Ich glaube dir nämlich auch nicht.“
Carberry schob sich näher – er hatte was aufgeschnappt.
„Was glaubst du ihm nicht?“ fragte er.
Gary zuckte mit den Schultern. „Old Donegal behauptete, unsere Leute an Land seien in Gefahr. Ich fragte nach Beweisen, und da erklärte er, sein sechster Sinn sage ihm das. Na ja, ein sechster Sinn – was immer das auch sein mag – ist für mich kein Beweis.“
Old Donegal hob den rechten Zeigefinger und dozierte: „Ein sechster Sinn empfängt Wahrnehmungen aus der unsichtbaren Welt, die gewöhnlichen Sterblichen mit fünf Sinnen auf ewig verschlossen bleibt!“
„Ei der Daus!“ sagte der Profos. „Erzähl mal mehr aus der unsichtbaren Welt. Reiten da nackichte Hexen auf Besenstielen herum?“
„So ist es“, sagte Old Donegal dumpf, „vor allem gilt das für die Walpurgisnacht. Da reiten sie nicht nur auf Besenstielen, sondern auch auf Ziegen und Böcken zum Blocksberg, wo sie sich mit dem Teufel auf unzüchtige Handlungen einlassen!“
„Erklär das mal näher“, verlangte Carberry wißbegierig.
Old Donegal warf einen Blick nach achtern – und blieb stumm.
Dort stand nämlich Philip Hasard Killigrew, breitbeinig und die Fäuste in die Hüften gestützt. In seinen Augen schimmerte Gletschereis. Old Donegal zog den Kopf ein, drehte sich nach links und marschierte mit pochendem Holzbein zum Vorschiff.
„Wenn’s spannend werden soll, haut er ab“, grollte Carberry hinter ihm her.
Gary stieß ihn an und flüsterte: „Der Kapitän hat mitgehört!“
„Ach du Scheiße“, murmelte Carberry.
„Sollte da eben jemand etwas von Hexen auf Besenstielen und so weiter geschwafelt haben“, rief Hasard, „dann bitte ich das zu vergessen! Es handelt sich wieder mal um die Weisheiten eines Narren, der geistig nicht in der Lage ist, eine Katze von einem Rappen zu unterscheiden. Wenn der Kutscher hier wäre, würde er das vermutlich mit Altersschwachsinn bezeichnen. Aber der Kutscher ist überfällig und mit ihm sechs weitere Arwenacks. Das muß nicht unbedingt Gefahr signalisieren, aber ich möchte das auch nicht bagatellisieren. Ich schlage vor, daß wir noch einen Trupp an Land schicken, um ihn erkunden zu lassen, wo unsere Leute abgeblieben sind. Hat jemand einen anderen Vorschlag?“










