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Als Steinböck schließlich gegen ein Uhr das Revier erreichte, waren die meisten Kollegen in der Mittagspause.
Man hatte ihm ein geräumiges Büro am Ende des Gangs überlassen, dessen einziges Fenster einen Blick über die Dächer der Stadt und auf die Frauenkirche zuließ. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und schaltete den PC an. In diesem Moment klopfte es. Die Tür öffnete sich, und Hasleitner steckte den Kopf herein.
»Derf ich reinkommen?«, fragte sie.
»Klar, wir sind doch jetzt Kollegen«, antwortete Steinböck mürrisch.
»Ich kann auch später noch mal kommen«, sagte sie schüchtern.
»Schmarrn, jetzt komm schon rein. Was hast du rausbekommen?«
Er deutete auf den Stuhl in der Ecke.
»Ich steh lieber. Also das Pärchen aus dem ersten Stock ist im Urlaub in den USA. Ihr Nachbar, ein Student aus Kenia, ist gerade in seiner Heimat. Im zweiten Stock leben der Onkel und die Tante der Besitzerin Maxi Müller, beide um die 70. Gegenüber in der kleinen Wohnung eine junge Rumänin, die sich um die beiden kümmert und nebenbei noch putzen geht. Also kurz gesagt, außer den beiden Alten war niemand zu Hause. Sie kannten Oskar Hacker gut, aber sie haben nichts bemerkt. Ich hab auch schon alle am Computer überprüft.«
Steinböck musterte sie. Sie hatte halblange blonde Haare und ein ausgesprochen hübsches Gesicht. Aber sie war mindestens 30 Kilogramm zu schwer.
»Also Hasleitner, hast du auch einen Vornamen?«
»Ich heiß Ilona«, sagte sie etwas verlegen.
»Gut, du nennst mich entweder Steinböck oder Chef. Und ansonsten kannst du mich duzen.«
»Jawohl, Herr Steinböck.«
»Lass den blöden Herrn weg, und jetzt erzähl mir, was du bei der Personenüberprüfung herausbekommen hast.«
»Also zuerst mal zum Opfer«, dabei durchsuchte sie den Stapel Blätter, den sie in der Hand hielt.
»Stopp, stopp. Wann hast du das alles recherchiert?«, fragte Steinböck entnervt.
»Na ja, als ich mit der Befragung fertig war, bin ich gleich ins Revier gefahren und hab’ die Namen durchlaufen lassen.«
Steinböck schüttelte den Kopf und sagte: »Also gut, Ilona, fang mit Oskar Hacker an.«
»Das Opfer ist am 8. Juli 1968 in Herrsching geboren. Gymnasium und Abitur in Weilheim. Zivildienst und anschließend Studium der Germanistik in München. Nachdem die Mauer aufg’macht hot, is er für zwoa Jahr nach Berlin ganga.«
»Halt, Ilona, du kannst gern deinen Dialekt sprechen, aber wenn du einen Bericht abgibst, dann versuchst du bitte, hochdeutsch zu reden.« Die junge Frau schluckte verlegen, dann fuhr sie etwas gestelzt, aber gut verständlich fort.
»Dann verliert sich seine Spur. Vermutlich war er im Ausland. 2005 hat er bei der deutschen Botschaft in Marokko seinen Pass verlängern lassen. Später hat er vermutlich auf Mallorca gelebt. 2011 veröffentlichte er bei einem kleinen Verlag in Berlin seinen ersten Roman, »Die Tränen der Sklaven«. Ich hab bei Amazon mal kurz die Inhaltsangabe gelesen. Es handelt sich um zwoa, Entschuldigung, um zwei marokkanische Brüder, die hier in Deutschland ums Leben gekommen sind.«
Steinböck überlegte krampfhaft, wie viel Zeit er bei Maxi Müller und in der Trambahn verbracht hatte. Diese junge Frau verblüffte ihn immer mehr.
»Weiter«, flüsterte er heiser.
»Seit dem Erscheinen dieses Buches ist er hier in München gemeldet. Wovon er lebt, ist unklar. Sein Konto ist hoffnungslos überzogen, und mit vereinzelten Einzahlungen hält er es bei um die 5.000 Miesen.«
Dann berichtete sie über die anderen Bewohner des Hauses, die aber alle unauffällig waren.
»Und jetzt zum Schluss: Maxi Müller. Sie ist die Besitzerin des Hauses und noch von drei anderen hier in München, die aber um einiges größer sind. Sie ist 52 Jahre und hat hier eine ganze Latte von Anzeigen.« Dabei tippte sie mit dem Finger auf das Blatt Papier.
Steinböck blickte verdutzt auf.
»Zeig mal her«, sagte er und griff nach dem Zettel.
Er begann zu grinsen. Sechs Anzeigen wegen Landfriedensbruch. Hatte sich bei Demos angekettet und wegtragen lassen. Dreimal wegen Beamtenbeleidigung. Und dreimal wegen Drogenbesitzes. Dafür hatte sie auch eine sechswöchige Haftstrafe absitzen müssen.
»Mann oh Mann, einmal drei Gramm Marihuana, einmal 2,3 Gramm; und beim dritten Mal waren es nur 0,8 und ein abgeernteter Stängel mit fast drei Gramm. Ein Hoch auf die bayerische Polizei«, sagte er sarkastisch.
»Aber Chef, Beamtenbeleidigung und Landfriedensbruch, des sind doch keine Bagatelldelikte. Vor allem so oft.«
»Grad, weil’s so oft war, zeigt, dass die Frau Charakter hat.«
»Des versteh ich jetzt nicht.«
»Macht nichts«, sagte der Kommissar. »Verbuchen S’ das unter Altersweisheit.«
»Aber Chef, jetzt hast mich wieder gesiezt.«
»Ist schon gut. Du gehst jetzt zum Hausmeister und lässt noch einen Schreibtisch hier reinstellen, und dann sollen die von der Technik dir einen Computer anschließen.«
»Für mich?«, fragte sie verdattert.
»Klar, wir sind doch jetzt Partner.«
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Gegen zwei Uhr kam Ilona Hasleitner mit dem Techniker im Schlepptau ins Büro.
»So, ihr wollts also an zweiten Anschluss«, sagte dieser. »Des macht aber jetzt Krach.«
»Schon gut«, sagte Steinböck, »ich geh ja schon.«
Er erhob sich, griff nach seinem Sakko und ging zur Tür. Dort blieb er kurz stehen.
»Wie schauts aus, Ilona, hast du heute schon Mittag gemacht?«
»Na, dazu hab ich keine Zeit gehabt.«
»Komm mit, ich lad dich ein, sozusagen zum Einstand.«
»Aber ich kann doch jetzt nicht weg.«
»Geh nur zu«, sagte der Techniker lachend. »Ich bin die letzten 20 Jahre auch ohne dich ausgekommen.«
Verlegen folgte die junge Polizistin ihrem Chef.
In der Pizzeria zwei Straßen weiter fanden sie einen leeren Tisch im Biergarten. Der Ober brachte zwei Karten und nahm die Getränke auf.
»Hast richtig Hunger?«, fragte Steinböck.
»Ich hab immer Hunger, sieht man des nicht?«, antwortete Ilona und machte dabei einen eher unglücklichen Eindruck.
»Gut, was hältst davon, wenn wir beide jetzt einen großen Salatteller mit Putenstreifen essen und dazu ein Pizzabrot?«
»Das hört sich gut an«, antwortete sie lachend.
»Chef, was ist eigentlich mit dieser Maxi Müller? Die hat doch auch kein Alibi, und einen Schlüssel zur Wohnung hat sie auch.«
Steinböck überlegte kurz, dann sagte er: »Aber zu jedem Mord brauchst du auch ein Motiv. Und bei ihr seh ich im Moment keines.«
»Genau, und wenn einer bei mir Mietschulden hätt, dann bring ich ihn nicht um, sondern ich hoffe, dass er irgendwann mal zahlen kann«, sagte sie nachdenklich und nahm einen Schluck von dem Mineralwasser, das der Ober inzwischen gebracht hatte.
»Somit gibt’s bis jetzt noch kein Motiv.«
»Das würd’ ich nicht sagen. Maxi Müller hat mir erzählt, dass Hacker an einem neuen Buch geschrieben hat, das ein absoluter Knüller werden könnte. Aber worum es ging, hat er geheim gehalten. Und wie schreibt man heutzutage ein Buch?«, fragte Steinböck.
»Also bestimmt nicht mit der Hand. Entweder auf einem Computer oder eher noch auf einem Laptop. Haben wir aber beides nicht gefunden. Vermutest du, dass ihn der Mörder mitgenommen hat?«
»Richtig. Wir schließen Maxi Müller für den Moment aus. Also müssen wir rausfinden, was Oskar Hacker so den ganzen Tag getrieben hat, und über was er geschrieben hat. Wenn wir mit dem Essen fertig sind, gehst du zurück an deinen Computer und schaust, ob du noch irgendetwas recherchieren kannst.«
»Und was machst du, Chef? … Tut mir leid, des geht mich eigentlich nix an.«
»Ich hab einen Besichtigungstermin für eine Wohnung. Ach noch was, der Tatortreiniger soll sich heut noch um die Wohnung vom Hacker kümmern.« In diesem Moment brachte der Ober das Essen, und für Steinböck war die Unterhaltung beendet.
*
Als Steinböck am späten Nachmittag zum Tatort zurückkam, stand der alte VW-Bus des Tatortreinigers mit eingeschalteter Warnblinkanlage in der Einfahrt zum Hof. Der Kommissar stieg die drei Stufen zum Eingang empor, ging den Gang entlang und blieb kurz vor Hackers Wohnungstür stehen. Die Polizeisiegel waren durchgeschnitten, und er entschloss sich, kurz nach dem Rechten zu sehen. Schließlich handelte es sich um seine neue Wohnung. Im Hausflur stand ein ganzes Bataillon von Kübeln, Besen und Schrubbern. Im Wohnzimmer kniete ein hagerer Mann im blauen Overall auf dem Boden und schrubbte mit einer Bürste an der Stelle, an der der Tote gelegen hatte, das Parkett. Als er Steinböck bemerkte, blickte er kurz auf. »Was wollen Sie hier? Das ist ein Tatort.«
»Ich weiß«, sagte der Kommissar grinsend und zog seinen Ausweis aus der Sakkotasche. »Steinböck. Mordkommission.«
Der Hagere erhob sich, wischte sich die Hände am Overall ab und griff mit spitzen Fingern nach dem Ausweis.
»Nie von Ihnen gehört. Sind Sie neu?« Dabei drehte er noch einmal den Ausweis und betrachtete interessiert die Rückseite.
»Brandneu sozusagen. Wann sind Sie fertig?«
»Das dauert schon noch ein bisschen«, sagte der Hagere und ließ sich wieder auf die Knie nieder. »War schließlich ’ne ganz schöne Sauerei.«
Steinböck musste grinsen.
»Genau, ein wahres Massaker.«
Der Tatortreiniger murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann fragte er noch: »Was soll ich mit dem Schlüssel machen?«
»Lassen Sie ihn einfach von außen stecken.«
Der Kommissar verließ die Wohnung, überquerte den Hausgang und klingelte an Maxi Müllers Tür.
»Kommen Sie rein, die Tür ist offen«, hörte er sie gedämpft aus der Wohnung. Er trat ein und ging in Richtung Wohnzimmer. Wieder umgab ihn der Duft von frischem Marihuana. Das Zimmer war leer.
»Hier draußen auf der Terrasse.«
Er folgte der Stimme durch die geöffnete Tür. Steinböck betrat einen Wintergarten, einen wahren Dschungel. Unzählige Töpfe mit allen möglichen Pflanzen reichten zum Teil bis an die Decke. Nur in der Mitte stand ein kleiner runder Korbtisch mit einer Glasplatte. Der ganze Raum war von oben bis unten verglast. Eine Tür, die in den Garten führte, war weit geöffnet. Der Kommissar erblickte auf Anhieb die drei kräftigen Hanfpflanzen, die sich in einer Ecke hochrankten.
»Setzen Sie sich, ich habe frischen Tee gemacht. Das hier ist mein Reich.« Sie zögerte kurz. »Und möchten Sie die Wohnung immer noch mieten?«
Steinböck setzte sich vorsichtig in einen der Korbsessel, der verdächtig knarzte, sich aber ansonsten seinem Gewicht anpasste. Maxi Müller hatte sich umgezogen und trug ein langes, rotes Kleid, eine Art indischen Sari, der über und über mit silbernen Pailletten bestickt war.
»Wenn wir uns einig werden, warum nicht?«
»Sie haben doch sicherlich über mich recherchiert?«, fragte sie und griff nach einem der Plätzchen. Steinböck überlegte, es ihr gleichzutun, fasste dann doch in die Jackentasche und zog sein Päckchen Tabak heraus. Er blickte sie fragend an.
»Rauchen Sie nur. Also was haben Sie über mich herausgefunden?«
»Nichts, was mich davon abhalten würde, hier einzuziehen.«
»Und mein Wintergarten?«
»Schön grün, aber ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung von Pflanzen«, antwortete er lächelnd, wobei er sich eine Zigarette drehte.
»Also gut, 950 Euro warm, und den Strom bezahlen Sie natürlich selbst. Zur Wohnung gehören ein Stellplatz auf dem Hof und der kleine Garten vor Ihrer Terrasse. Rasenmäher ist im Schuppen«, erklärte Maxi Müller und legte einen vorbereiteten Vertrag vor ihn hin. Steinböck zündete sich seine Zigarette an und überflog den Text.
»Der Vertrag läuft aber erst ab nächstem Monat? Ich würde gern sofort einziehen.«
»Kein Problem, von mir aus können Sie heute schon rein. Bezahlt wird ab nächstem Monat.«
»Und was machen wir mit Hackers Sachen?«, fragte der Kommissar.
»Was halten Sie davon, wenn wir morgen alles in einen Karton packen, und Sie tragen ihn dann in den Keller. Sie können die Sachen auch gerne mit aufs Revier nehmen, wenn Sie möchten. Außerdem könnte ich Aurelia, unsere rumänische Mitbewohnerin, fragen, ob sie die Wohnung einmal durchputzt. Sie nimmt zwölf Euro die Stunde. Natürlich schwarz. Aber nur, wenn es Ihnen recht ist.«
»Schon gut. Es ist mir sogar sehr recht.« Er griff nach dem Kugelschreiber, gab seine Daten ein und unterschrieb den Vertrag. Dann nahm Maxi Müller den Stift und unterschrieb ihrerseits.
»Und vergessen Sie nicht, Sie übernehmen die Katze.«
»Wo ist sie eigentlich?«
Die Frau mit den roten Haaren deutete auf einen Hocker, der unter einer mächtigen Yuccapalme stand.
»Sie liegt dort auf den Kissen und beobachtet uns.«
»Hat sie wieder mit Ihnen gesprochen?«, fragte er grinsend und blickte dabei auf die Plätzchen. Für einen Moment sah es so aus, als wenn sie auf seine Frage antworten wollte. Doch dann griff sie nach Steinböcks Vertrag und drückte ihn sich an die Brust.
»Ist das klar mit der Katze?«, fragte sie noch einmal eindringlich.
»Geht klar«, sagte er lächelnd und griff nach dem Vertrag.
»Soll ich sie gleich mitnehmen?«
»Sobald Sie eingezogen sind, kommt sie von selbst.«
»Woher wissen Sie das?«
Maxi Müller zuckte mit den Schultern. Dann stand sie auf.
»Hier sind Ihre Schlüssel. Ich bring Sie jetzt zur Tür.«
Steinböck rollte den Vertrag zusammen, steckte seinen Tabak in die Tasche und folgte ihr. Bevor sie die Tür hinter ihm schließen konnte, drehte er sich noch einmal um.
»Oskar Hacker – hatte er einen Computer?«
»Ja, so eine Art Koffer mit einem Käsegesicht drauf.«
Steinböck sah sie zweifelnd an.
»Was meinen Sie mit Koffer?«
»Na ja so ein Teil, bei dem man den Bildschirm hoch und runter klappen kann. Ich habe keine Ahnung von den Dingern und will es auch den Rest meines Lebens nicht mehr lernen.«
»Also einen Laptop«, stellte Steinböck fest.
»Von mir aus auch Laptop. Haben Sie ihn nicht gefunden?«
»Nein, offenbar hat ihn der Mörder mitgenommen.«
»Übrigens«, sagte Maxi Müller noch einmal ernst. »Die Katze – sie frisst nur Futter von Aldi.«
*
Zurück zu seiner Pension leistete sich Steinböck ein Taxi. Es war kurz nach 18 Uhr. Er packte seine beiden Koffer zusammen und beglich die Rechnung. Dann holte er seinen alten VW-Käfer aus der Tiefgarage und fuhr zu seiner neuen Wohnung. Dort stellte er das Gepäck ab und entschloss sich erst einmal, seine neue Umgebung zu erforschen. Der Münchner Süden war eine extrem teure Gegend, und ihm wurde immer klarer, was für ein gigantisches Schnäppchen er mit dem Abschluss des Mietvertrages gemacht hatte. Die Mietpreise in München waren seit Jahren die höchsten im ganzen Land, und das würde sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Steinböck hatte einen kleinen Gasthof entdeckt und genehmigte sich einen vorzüglichen Schweinebraten. Schließlich beschloss er, in seine neue Wohnung zurückzukehren.
Von dem kleinen Blutfleck war nichts mehr zu sehen. Er inspizierte kurz das Schlafzimmer. Die Matratze sah ordentlich aus. Er nahm sich vor, am nächsten Tag Bettzeug und dazugehörige Wäsche zu kaufen.
Steinböck entschloss sich dazu, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Er holte die Flasche Single-Malt-Whisky aus dem Koffer, die ihm die Kollegen aus Starnberg zum Abschied geschenkt hatten. Er durchforstete die Küche nach einem brauchbaren Glas. Hacker pflegte offensichtlich einen sehr minimalistischen Lebensstil. Außer einem zumindest sauberen Weinglas fand er nichts. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen bei Ikea vorbeizuschauen. Im Kühlschrank entdeckte er eine verschlossene Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure und mehrere Dosen Katzenfutter. Das Wasser und das Glas nahm er mit ins Wohnzimmer. Er schaltete den Fernseher an und war überrascht, dass die alte Kiste noch lief. Sogar die Fernbedienung funktionierte. Steinböck öffnete andächtig die Flasche. Ein 21 Jahre alter Lagavulin. Er wusste, dass die Flasche ein kleines Vermögen gekostet hatte, also goss er sich nur einen Fingerbreit ein und gab etwas von dem Wasser dazu. Trotzdem hatte er eine Stunde später ein Drittel der Flasche leer getrunken.
Sein Blick schweifte durch das Wohnzimmer. Die hohen Decken der Altbauwohnung erinnerten ihn an seine Wohnung in Starnberg. 20 Jahre hatte es gedauert, bis er die Wohnung abbezahlt hatte. Erst das Haus in Pöcking, das er seiner Ex überlassen hatte, und jetzt die Wohnung. Anfangs dachte Steinböck daran, täglich zu pendeln, aber dann entschloss er sich doch, nach München zu ziehen. Also packte er zwei Koffer, schloss die Wohnung ab, setzte sich in seinen Käfer und fuhr nach München. Seit drei Wochen war er nicht mehr dort gewesen. Ihm fehlte der See. Schließlich schlief er ein. Steinböck träumte vom Segeln auf dem Starnberger See, von seinem Büro, von seiner Arbeit. Plötzlich schwebte Ilona Hasleitner an ihm vorbei. Sie war nackt und nur mit einem durchsichtigen Vorhangstoff bekleidet. Sie winkte ihm zu und verschwand dann am Horizont. Von der Seite näherte sich eine weitere Gestalt, die ein langes rot-weißes Band in der Hand schwenkte. Aha, rhythmische Sportgymnastik, dachte er bei sich. Aber bald war ihm klar, dass es sich um Staller von der SpuSi handelte, dessen abgewickelte blutige Mullbinde wellenförmig hinter ihm her wehte. Aber Staller tanzte nicht. Sein Gesicht war furchtverzerrt. Er floh vor der übergroßen Katze, die ihn in eleganten Sprüngen in Zeitlupe verfolgte. Staller kam auf ihn zu und rief um Hilfe. Dicht vor ihm stürzte er. Die Katze sprang auf ihn und riss das Maul auf, als wenn sie den armen Kerl verschlingen wollte. Dann begann sie zu schnurren.
In diesem Moment öffnete Steinböck die Augen. Das Biest saß auf seiner Brust, den Kopf nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Sie musterte ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen. Dann gähnte sie. Der Kommissar verzog angewidert das Gesicht.
»Mein Gott, du riechst wie ein Müllschlucker.«
Die Katze richtete sich auf, machte einen Buckel und streckte sich. Schließlich drehte sie sich um, zeigte Steinböck das Hinterteil und schlug noch mal ihren Schwanz in sein Gesicht, bevor sie auf den Boden sprang. Erwartungsvoll blickte sie ihn an.
»Du hast Hunger?«, das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Gleichzeitig stand Steinböck vom Sofa auf und schlurfte in die Küche. Er holte eine Dose aus dem Kühlschrank, füllte die Hälfte davon auf einen kleinen Teller und stellte diesen auf den Boden. Die Katze schaute ihn erwartungsvoll an.
»Was ist damit nicht in Ordnung?«, fragte er leicht entrüstet. »Hast du Durst?« Er durchsuchte den Küchenschrank. Dort fand er eine offene Schachtel mit Trockenfutter und einige Schälchen. Er füllte eines davon mit dem Futter, das andere mit Wasser und stellte sie ebenfalls auf den Boden.
»Bitte schön, Frau Merkel, Ihr Dinner«, sagte er sarkastisch und blickte höhnisch grinsend auf die Katze. Diese zuckte einige Male mit Hintern und Schwanz, was dem Kommissar einen aggressiven Eindruck vermittelte. Schließlich kauerte sie sich nieder und begann, vom Nassfutter zu fressen. Steinböck wandte sich zufrieden ab und nahm wieder seinen Platz auf dem Sofa ein. Er mixte sich einen neuen Drink, dann drehte er sich eine Zigarette. Anschließend schaltete er den Ton des Fernsehers stumm und stellte fest, dass Klaas und Yoko eindeutig gewannen, wenn man sie nicht hören konnte. Wenige Minuten später kam die Katze aus der Küche, setzte sich ihm gegenüber auf den Sessel, betrachtete ihn kurz und begann dann sich zu putzen. Interessiert – und unter deutlichem Einfluss des Malt-Whisky – sah er ihr dabei zu. Schließlich klappten ihm trotz des faszinierenden Schauspiels die Augendeckel zu, und er driftete wieder ab in die Welt der nackten Ilona Hasleitner. Die Katze bemerkte, wie der Kopf des Kommissars nach unten kippte. Daraufhin hörte sie auf sich zu putzen und betrachtete ihn eindringlich.
»Mein Gott, jetzt hab ich einen Träumer gegen einen Säufer eingetauscht. Wenigstens trinkt er keinen Fusel wie der arme Kerl unter der Brücke. Zumindest bis jetzt noch nicht. Er hat mich doch vorhin tatsächlich ›Frau Merkel‹ genannt. Allein der Gedanke, ihr nur irgendwie ähnlich zu sehen, könnte einen ungeheuren Depressionsschub bei mir auslösen. Nur diese idiotische Maxi Müller konnte auf so eine saudumme Idee kommen. Eigentlich das beste Beispiel, wie schnell ein dummes, unüberlegtes Wort zu einer Katastrophe führen kann. Sollte sich der Name ›Frau Merkel‹ weiterverbreiten, werde ich ihre drei Marihuanapflanzen innerhalb von zwei Tagen zu Tode urinieren.
Hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass der Typ gleich einzieht. Andererseits, bei der Wohnungssituation hier in München würde es mich auch nicht wundern, wenn der eine oder andere Tod eines Singles ein verdeckter Mord wäre, um endlich wieder freie Wohnungen auf dem Markt zu schaffen. Eigentlich die geniale Idee für einen Krimi. Die einen klauen Gullydeckel, die anderen killen Singles.
Ob jemand nur Oskars Wohnung wollte? Wohl kaum. Bei unserer Späthippie-Vermieterin weißt du eh nicht, wen sie nehmen würde. Ihre Entscheidungen hängen sowieso nur davon ab, wie viele Marihuanaplätzchen sie intus hat. Eigentlich konnte ich nie verstehen, was Oskar an ihr fand. Obwohl sie alle Voraussetzungen hat, etwas Besonderes zu sein. Sie ist eine der wenigen, die mich hören kann. Aber sie fürchtet sich davor. Oskar hatte diese Gabe nicht. Schade, aber das hätte ihn auch nicht davor bewahrt, erschossen zu werden. Ich habe leider nichts davon mitbekommen. Aber ich werde den Mörder finden. Schließlich habe ich jetzt den Bullen, der den Fall bearbeitet, als Mitbewohner. Auch wenn er ein Säufer ist. Und wenn wir den Kerl haben, kann ich mich immer noch mit einem der Singlemörder in Verbindung setzen.«
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