- -
- 100%
- +
Manfred schluckte. Er spürte, dass er seine grundsätzliche Entscheidung für oder gegen eine Hypnose hier und jetzt treffen musste. So freundlich und nett Frau Papenfuß auch sein mochte, irgendwie war die Tante knallhart. Die latente Hoffnung, ihr etwas vorspielen zu können, hatte er schlagartig aufgegeben. Urplötzlich traf ihn wieder dieser stechende Schmerz in seinem rechten Oberschenkel. Er verzog unmerklich für einen Moment das Gesicht und strich abwesend über sein Bein. Ihm wurde schlagartig klar, dass er die Chance hatte zu gehen, aber auch, dass er dann sein Problem wieder mitnehmen würde. Das hatte er bis jetzt unbewusst immer so gemacht, aber jetzt war es ihm plötzlich bewusst. “Zu gehen“ hatte für ihn in diesem Augenblick die gleiche Bedeutung wie “zu fliehen“ – zu fliehen vor sich selbst. Eine immense, innere Kraft stieg in ihm auf. Eine Kraft, die er nie zuvor bemerkt hatte und die ihm doch so vertraut war. Nein, er würde nicht fliehen – diesmal nicht. Entschlossen blickte er Frau Papenfuß an: „Ich bin bereit!“
Die hypnotische Trance
„Gut“, sagte sie. „Das freut mich sehr. Dann werde ich Ihnen erst einmal etwas über die Hypnosetherapie erzählen: Wenn Sie sich nachher für eine Hypnosebehandlung entscheiden, dann willigen Sie darin ein, sich in den Zustand einer hypnotischen Trance zu begeben. In diesem Zustand werden Sie eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfahren. Sie werden viel mehr wahrnehmen, als Sie sich in Ihrem jetzigen, bewussten Zustand vorstellen können. Aber das wird Ihnen alles vollkommen egal sein. Sie werden möglicherweise von sehr berührenden Emotionen, also sehr intensiven Gefühlen durchströmt werden. Aber auch das wird Ihnen aus Ihrer jetzigen, bewussten Sicht, vollkommen egal sein. Mit anderen Worten: Im Zustand einer solchen hypnotischen Trance befinden Sie sich in Ihrem tiefsten Inneren – im Reich Ihrer intensivsten Gefühle. Es werden Erinnerungen und Erfahrungen in Ihnen aufsteigen, die Ihnen im bewussten Zustand niemals zugänglich wären – ein tiefes, inneres Wissen. Sie werden dies alles intensiv fühlen, wissen und wahrnehmen und trotzdem wird Ihnen alles vollkommen egal sein. Es wird Ihnen deshalb vollkommen egal sein, weil Sie in diesem Zustand nicht werten. Und das kommt daher, dass Ihr Bewusstsein, aus dem Ihr Ich-Gefühl herrührt, dem Ganzen teilnahmslos zuschaut. Eine hypnotische Trance ist also ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit bei völlig eingeschränkter Kritikfähigkeit – vom Gefühl her etwa zu vergleichen mit einem intensiven Traum. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in diesem Traum jemand mit Ihnen spricht und Ihnen Fragen stellt. Sie antworten und erzählen, was Sie sehen und was Sie fühlen. Aber auch das ist Ihnen vollkommen egal. Die Worte kommen wie von selbst. Und dabei werden Sie sich manchmal fragen, wer da eigentlich spricht. Aber das interessiert Sie nicht wirklich. Sie bemerken es nur, aber im Grunde ist es Ihnen völlig gleichgültig.“
Unbewusste Programme und Wirksuggestionen
Frau Papenfuß lehnte sich bequem zurück. „In diesem Zustand sind Sie erhöht suggestibel. Alles, was man Ihnen in diesem Zustand suggeriert, geht ungefiltert direkt in Ihr Unterbewusstsein ein und wird dort zu einer festen, bleibenden Überzeugung. Eine Überzeugung, die man auch als “feste Regel“ bezeichnen könnte oder auch als “unbewusstes Programm“.
Manfred schluckte. „Bedeutet das, dass Sie einen Menschen durch Hypnose umprogrammieren können wie einen Computer? Und dass dieses neue Programm, also diese neue, unbewusste Regel dann auch nach Beendigung der Hypnose bestehen bleibt?“ „Genau das bedeutet es“, antwortete Frau Papenfuß ernst.
„Ich gebe Ihnen ein banales Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Hypnotiseur würde jemandem im Zustand der hypnotischen Trance suggerieren, dass jede Form von Kaffee, die er von nun an trinkt, wie Salzwasser schmeckt. Dieser Mensch würde nach der Hypnose noch einige Male versuchen, Kaffee zu trinken. Aber jedes Mal, wenn er den ersten Schluck nähme, würde er das Gesicht verziehen, weil er nur reines Salzwasser schmeckt. Wenn er das drei Mal probiert hätte, dann würde er vermutlich keinen Kaffee mehr anrühren -für den Rest seines Lebens. Und wenn der Hypnotiseur dann noch suggeriert hätte, der Betreffende würde alles, was während der Hypnose geschehen wäre, am Ende der Hypnose vergessen haben, dann wüsste er noch nicht einmal, warum das so wäre. Dies würde natürlich kein seriöser Hypnotiseur der Welt machen, aber möglich wäre es ohne weiteres.“
Ungläubig schaute Manfred die Hypnosetherapeutin an. „Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass so etwas möglich sein soll. Schließlich weiß ich doch, wie Kaffee schmeckt. Und wenn ich einen Kaffee mit klarem Wasser frisch aufbrühe, dann kann der nicht nach Salz schmecken. Ist doch logisch, oder?“ „Stimmt, das ist absolut logisch“, pflichtete die Hypnosetherapeutin ihm bei. „Kommen Sie, wir gehen das Ganze noch einmal logisch durch: Wann haben Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben Kaffee getrunken?“ Manfred blickt sie überrascht an. Er überlegte. „Vielleicht so mit sieben oder acht Jahren, so genau weiß ich das nicht mehr.“ Frau Papenfuß lächelte. „Also ist es schon sehr lange her, vielleicht dreißig oder vierzig Jahre. Bereits beim ersten Mal, als Sie Kaffee getrunken haben, haben Sie die persönliche Erfahrung gemacht, wie Kaffee schmeckt. Sie haben also ein unbewusstes Programm gebildet für den Geschmack von Kaffee. Und im Laufe der Zeit kamen hier noch viele weitere Programme hinzu, also für Kaffee mit Milch, mit Zucker, mit Zucker und Milch oder für Cappuccino. Heute haben Sie wahrscheinlich einige tausend unbewusste Programme für den Geschmack von Kaffee – eines für jede Variation. Und von diesen vielen tausend Programmen haben Sie einige wenige, die Sie besonders häufig abrufen. Das sind genau die Programme für die Arten der Kaffeezubereitung, die Sie besonders gerne mögen - zum Beispiel Kaffee mit Milch und einem Stück Zucker oder Espresso mit zwei Stück Zucker. Und wenn Sie sich heute einen Kaffee bestellen, dann bestellen Sie diesen exakt nach Ihrer unbewussten Vorstellung, wie dieser Kaffee Ihnen am besten schmeckt. Und wenn Sie dann den ersten Schluck getrunken haben, dann lernen Sie nicht neu, wie Kaffee schmeckt. Vielmehr passiert da blitzschnell etwas ganz anderes: Sie nehmen beim ersten Schluck Geschmacksreize wahr, die sofort das zu dieser Zubereitung passende, unbewusste Programm auslösen. Und dieses Programm wird sofort, ohne dass Sie bewusst darüber nachdenken, mit Ihrem Lieblingsprogramm für Kaffeegeschmack verglichen. Wenn die Geschmacksabweichung von Ihrer unbewussten Vorstellung gering ist, dann trinken Sie den Kaffee mit Genuss. Ist die Geschmacksabweichung größer, dann fügen Sie vielleicht noch etwas Milch oder Zucker hinzu.
Betrachtet man das Ganze aus der Distanz, dann findet hier ein blitzartiges Zusammenspiel von tausenden unbewussten Programmen statt, über die Sie nicht eine Sekunde bewusst nachdenken. Ihrem Körper fehlt Zucker oder Koffein und schon verspüren Sie Lust auf eine Tasse Kaffee. Oder Sie setzen sich in geselliger Runde an einen Tisch. Dann sind Sie in einer Situation, in der bei Ihnen vielleicht das unbewusste Programm “Kaffeetrinken“ ausgelöst wird. Wenn Sie also einen Schluck Kaffee trinken, dann sind vorher bereits eine Vielzahl von unbewussten Programmen ausgelöst worden. Diese Programme haben bei Ihnen Empfindungen ausgelöst, die schließlich zu Handlungen geführt haben. Und während der ganzen Zeit haben Sie nicht einmal bewusst darüber nachgedacht. So wie Sie unbewusste Geschmacksprogramme für Kaffee haben, so haben Sie diese auch für Salz und Wasser. Und jetzt kommt der Hypnotiseur daher und suggeriert Ihnen, dass jede Form von Kaffee ab jetzt wie Salzwasser schmeckt. Was passiert da, Ihrer Meinung nach?“
„Das Geschmacksprogramm für Kaffee wird ausgetauscht gegen das Geschmacksprogramm von Salz?“, antwortete Manfred fragend. „Genau“, stimmte Frau Papenfuß zu. „Das Geschmacksprogramm für Kaffee ist nicht weg, aber es wird nach einer solchen Suggestion einfach nicht mehr ausgelöst. Stattdessen wird dann aber das Geschmacksprogramm für Salz ausgelöst. Also schmeckt der Kaffee nach Salzwasser.“
„Aber“, setzte Manfred nach, „wenn das so ist, dann kann ich doch den Geschmack von Kaffee neu erlernen und neue Geschmacksprogramme bilden.“ „Stimmt genau“, lächelte Frau Papenfuß, „funktioniert aber nicht wirklich. Da gibt es nämlich jetzt einen kleinen Haken, wodurch das Neuerlernen von Kaffeegeschmack verhindert wird: Sie haben bereits ein unbewusstes Geschmacksprogramm für Kaffee, und zwar jetzt das von Salz. Und in dem Moment wo Sie etwas bewusst neu erfahren wollen, wie in unserem Beispiel den Geschmack von Kaffee, dann wird beim ersten Geschmacksreiz automatisch abgefragt, ob bereits ein unbewusstes Programm für diesen Reiz vorhanden ist oder, ob etwas neues gelernt, also ein neues Programm angelegt werden muss. Ist aber bereits ein Programm vorhanden, wie in unserem Falle jetzt das für Salz, dann wird dieses automatisch ausgelöst und der Geschmacksreiz nicht weiter beachtet. So schmeckt für den Betreffenden das, was alle anderen genüsslich als Kaffee trinken, wie Salzwasser. Sie haben nicht die Spur einer Chance, ein einmal angelegtes, unbewusstes Programm bewusst zu ändern, auch wenn Sie das noch so gerne möchten. Das liegt einfach daran, dass Ihr Unterbewusstsein eine Million mal schneller arbeitet als Ihr bewusstes Denken.“
Manfreds Voreingenommenheit begann allmählich zu schwinden. Er hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wie sehr sein Leben möglicherweise durch unbewusste Programme beeinflusst werden würde. Im Gegenteil, er war bisher immer der festen Überzeugung gewesen, als rational denkender Mensch vollkommen bewusst durchs Leben zu gehen. Und nun begann er zu ahnen, dass seine Lebensqualität in hohem Maße von seinen eigenen, unbewussten Programmen abhängig sein könnte. Vielleicht wäre eine Hypnose für ihn ja genau das Richtige, um seine bedrückenden Probleme zu lösen oder sie wenigstens zu verringern. Er hörte hoch interessiert zu, als Frau Papenfuß mit ihren Erklärungen fortfuhr:
„Das Unterbewusstsein mit seinen vielen Billiarden Programmen ist aber für uns Menschen ausgesprochen praktisch. Es dient nämlich dazu, uns Menschen viel leistungsfähiger zu machen. Sie können sich das Unterbewusstsein als riesige Datenbank von Regeln und Programmen vorstellen. Hier sind für fast alle Situationen unseres Lebens unbewusste Programme vorhanden, die automatisch in einer bestimmten Situation ausgelöst werden.
Sie sind doch eben mit dem Auto hierher gefahren. Haben Sie während dieser Autofahrt bewusst darüber nachgedacht, ob Sie das Lenkrad nach rechts oder links bewegen sollten, oder haben Sie vielleicht bewusste Entscheidungen getroffen, das Gaspedal oder das Bremspedal zu betätigen? Sagen Sie mir doch bitte einmal, wie Sie Ihre Autofahrt hierher erlebt haben.“
Manfred überlegte. Es dauerte eine kleine Weile, bis er antwortete. „Ehrlich gesagt, auf das Autofahren selbst habe ich mich gar nicht so richtig konzentriert. Das Fahren ging eigentlich wie von selbst, hierüber habe ich gar nicht nachgedacht. Ich war vielmehr während der ganzen Zeit mit meinen Gedanken und Problemen beschäftigt und mit der Frage, was mich jetzt wohl bei Ihnen erwarten würde.“ „Sehen Sie“, erklärte Frau Papenfuß. „Während der gesamten Autofahrt waren Ihre unbewussten Programme am Werke. So hatten Sie Gelegenheit, über alles Mögliche nachzudenken, was mit der eigentlichen Tätigkeit des Autofahrens nichts zu tun hatte. Wäre das allerdings heute Ihre erste Fahrstunde gewesen, dann hätten Sie bestimmt an nichts anderes gedacht, als sich mit Lenken, Bremsen und Gas geben zu beschäftigen. Heute verfügen Sie als erfahrener Autofahrer über so viele unbewusste Programme zum Thema Autofahren, dass das Fahren wie von ganz allein geht. Das Gleiche gilt natürlich auch für alle anderen Lebensbereiche wie Fahrradfahren, Skifahren oder auch das Sprechen. Wir sind in der Lage, uns hier bei einer Tasse Kaffee flüssig zu unterhalten, ohne dass wir einen einzigen Satz mühsam und bewusst formulieren müssten.“
Frau Papenfuß nahm die Kaffeekanne und schaute Manfred kurz fragend an. Er nickte. „Danke, gerne“ und hielt ihr seine Tasse entgegen. Die Hypnosetherapeutin goss Kaffee nach. Als Manfred die Tasse an den Mund führte, nahm er den Geschmack des Kaffees sichtbar bewusst wahr. Frau Papenfuß grinste schelmisch. „Schmeckt noch wie Kaffee, oder?“ Er fühlte sich ertappt und grinste bejahend zurück – aber es war ein nachdenkliches Grinsen.
„Aber das Unterbewusstsein beeinflusst unser Leben in noch weit höherem Maße“, fuhr Frau Papenfuß fort. „Es steuert jede einzelne Zelle unseres Körpers und somit alle Körperfunktionen. Die hier angelegten, unbewussten Programme entscheiden über Gesundheit oder Krankheit, Abneigung oder Zuneigung einem anderen Menschen gegenüber oder sogar gegenüber dem Leben selbst.
Das Unterbewusstsein wertet nicht. Es reagiert nur auf jede Art von Reizen, indem es nahezu ohne jede Zeitverzögerung blitzschnell die entsprechenden Programme aktiviert, die durch diese Reize ausgelöst werden. Hierbei ist es ihm völlig egal, ob seine unbewussten Reaktionen gut oder schlecht für uns sind. Es kann keinerlei Entscheidungen treffen, denn es verwaltet nur Erfahrungen, die zu unbewussten Programmen geworden sind. Neue Erfahrungen lässt es nur zu, wenn es hierfür noch keine Programme gibt. Unbewusste Programme können sehr nützlich sein und uns das Leben erleichtern wie zum Beispiel beim Thema Autofahren.
Problematisch wird es allerdings, wenn jemand ungünstige unbewusste Programme hat. Diese können dann die Lebensqualität extrem verringern. Auch hierfür will ich Ihnen ein Beispiel geben: Stellen Sie sich vor, ein kleiner Junge, sagen wir mal drei Jahre alt, sitzt vor seinem Teller und möchte irgendetwas absolut nicht essen, sagen wir mal Fisch. Seine Mutter sitzt daneben, schiebt ihm ein Stück in den Mund und zwingt ihn zu schlucken. In diesem Moment empfindet das Kind Ekel und schon hat es das unbewusste Programm: Fisch ist ekelig, kann man nicht essen.
Jahre später ist der Junge ein erwachsener Mann. Das auslösende Ereignis ist längst verdrängt und vollkommen vergessen. Und der Mann fragt sich, warum er während seines ganzen Lebens eine solche Abscheu vor Fisch hatte, dass er sich noch nicht einmal überwinden konnte, jemals ein Stück zu probieren. Und das, obwohl es immer appetitlich ausgesehen hatte, wenn seine Tischnachbarn Fisch aßen.“
Manfred hatte aufmerksam zugehört. Er war noch nachdenklicher geworden. Im Stillen fragte er sich, ob es in seinem Unterbewusstsein ein Programm geben könnte, das seine unerklärlichen, immer wiederkehrenden Anfälle von Eifersucht auslöste. Und wenn ja, ob man dies ändern könnte …
„Könnte der Mann, der als Kind genötigt wurde, Fisch zu essen, seine Aversion gegen Fisch durch Hypnose beseitigen lassen?“, fragte er hoffnungsvoll. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann bräuchten Sie ihn dazu doch nur in eine hypnotische Trance zu versetzen und ihm zu suggerieren, dass Fisch die leckerste Speise der Welt sei.“
Entsetzt blickte die Hypnosetherapeutin ihn an. „Eine solche Wirksuggestion, so nennt man das, würde ich niemals geben. Das Fatale bei Wirksuggestionen ist, dass sie sehr sorgfältig formuliert werden müssen und dass man sich nach allen Seiten vergewissern muss, dass sie genau das enthalten, was der Klient damit erreichen möchte. Das Unterbewusstsein nimmt jede Wirksuggestion wortwörtlich an. Es interpretiert nicht. Es fragt sich nicht, was der Hypnotiseur jetzt mit dieser Wirksuggestion gemeint haben könnte. Es nimmt sie gnadenlos genauso an, wie sie gegeben wurde.“
„Aber Sie haben doch die ganze Zeit von solchen Wirksuggestionen gesprochen.“ Manfred wirkte etwas irritiert und seine gerade aufkeimende Hoffnung begann zu schwinden. „Ich habe Ihnen anhand von Beispielen die Wirkungsweise des Unterbewusstseins erklärt“, schmunzelte die Hypnosetherapeutin.
„Lassen Sie uns doch einfach einmal gemeinsam überlegen, was man mit einer solchen Wirksuggestion tatsächlich bewirken würde. Was denken Sie?“ Manfred überlegte einen Moment und schaute Frau Papenfuß verständnislos an. „Nun ja, der Mann würde gerne Fisch essen.“ „Stimmt“, antwortete sie. „Der Mann würde gerne Fisch essen. Fisch wäre für ihn die leckerste Speise der Welt.“ Manfred schaute sie verständnislos an. „Das sage ich doch. Und damit wäre doch das Problem des Mannes gelöst.“
„Davon bin ich nicht ganz so überzeugt“, gluckste Frau Papenfuß vor Vergnügen. „Stellen Sie sich vor, der Mann sitzt mit Freunden in einem Restaurant und bestellt sich, nachdem er Fischsuppe als Vorspeise und Forelle zum Hauptgang hatte, zum Dessert nun einen Krabbencocktail, während die anderen vor ihren Eisbechern sitzen. Er kommt aber gar nicht mehr dazu, sein Dessert anzurühren, weil er bereits bei der Forelle einen allergischen Schock erleidet und mit Blaulicht in höchster Lebensgefahr ins nächste Krankenhaus gefahren wird. Die Aversion gegen Fisch hatte ihn nämlich vor seiner Fischallergie geschützt. Ob damit das Problem des Mannes wirklich gelöst ist, wage ich zu bezweifeln“, grinste die Hypnosetherapeutin.
Während Frau Papenfuß erzählt hatte, waren Manfred kalte Schauer den Rücken heruntergelaufen. Er hatte schlagartig begriffen, dass man mit Hypnose gravierende Veränderungen in kürzester Zeit herbeiführen konnte. Hierbei musste man als Hypnotiseur offensichtlich aber auch sehr umsichtig und präzise zu Werke gehen.
„Kann man“, fragte er, „eine solche Wirksuggestion, die sich als fehlerhaft herausgestellt hat, wieder korrigieren?“ „Das kann man“, erklärte Frau Papenfuß. „Dies setzt allerdings voraus, dass der Hypnotiseur präzise gearbeitet und die Wirksuggestion wörtlich protokolliert hat.“
„Wirksuggestionen“, sinnierte sie, „sind sowieso immer nur die zweitbeste Lösung. Bei der SOL Hypnose verwenden wir Wirksuggestionen so gut wie nie. Und wenn es doch irgendwann einmal nicht anders gehen sollte, zum Beispiel, wenn keine ausreichende Trancetiefe für eine analytische Hypnose erreicht werden kann, dann sprechen wir diese Wirksuggestionen vor der Hypnose ganz klar mit unseren Klienten ab. Wir formulieren sie sorgfältig und prüfen sie gemeinsam mit unseren Klienten nach allen Seiten ab. Dann wird die Wirksuggestion Wort für Wort aufgeschrieben und von unseren Klienten gegengezeichnet. Während der Hypnose lesen wir dann die Suggestion wörtlich ab. Aber, wie gesagt, wir verwenden solche Wirksuggestionen so gut wie nie. Der wesentliche Vorteil einer Wirksuggestion besteht allerdings darin, dass sie bereits bei einer sehr geringen Trancetiefe gut vom Unterbewusstsein angenommen wird. Insofern sind Wirksuggestionen genau dann das Mittel der Wahl, wenn der Hypnotisand nur geringe Trancetiefen erreicht. Dies ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel.“
Kommunikation mit dem Unbewussten
„Was machen Sie denn stattdessen?“, fragte Manfred wissbegierig. „Ganz einfach“, erklärte die Hypnosetherapeutin. „Wir leiten möglichst tiefe Trancen auf absolut neutrale Weise ein, indem wir nur Wohlbefinden und Entspannung suggerieren – nichts anderes. Hiermit schließen wir aus, dass wir irgendetwas Unbeabsichtigtes suggerieren. Und wenn eine genügende Trancetiefe erreicht ist, was wir im Übrigen gut an den Augenbewegungen und den Gesichtszügen erkennen können, dann machen wir das Einfachste und Natürlichste auf der Welt: Wir fragen das Unterbewusstsein nach der Ursache des Problems. Das Unterbewusstsein weiß alles! Es weiß jedes noch so kleine Detail über uns, aber auch über alle Zusammenhänge und Dimensionen, die weit jenseits all unserer bewussten Wahrnehmungsmöglichkeiten liegen.
Unbewusst sind wir zu jedem Zeitpunkt mit allem verbunden, was existent ist – auch mit jedem anderen Menschen, aber auch mit Dimensionen und Wesenheiten, zu denen wir auf unserer bewussten, rationalen Ebene keinen Zugang haben. Diese Verbindung ist durch eine subtile, psychische Energie gegeben. Wir strahlen diese Energie über unser körpereigenes Energiefeld, unsere Aura, in Form von Energiewellen aus. Die Art dieser Energiewellen ist abhängig von unseren momentanen Gefühlen und unseren unbewussten Überzeugungen. Wir senden Energiewellen aus, die von anderen Menschen empfangen werden und zugleich empfangen wir Energiewellen. Wir stehen also immer mit unserem Umfeld unbewusst in Wechselwirkung. Die Dimension, in der diese Wechselwirkung von psychischen Energien stattfindet, ist nicht an die Dimension von Raum und Zeit gebunden, so wie wir sie täglich wahrnehmen. Diese energetische Wechselwirkung findet also auch auf tausenden von Kilometern Entfernung statt. Wie ich schon sagte, tun sich bei unseren energetischen Hypnosen weit größere Dimensionen auf, viel größer, als wir uns bewusst jemals vorstellen können – und mit ungeahnten Perspektiven für unser Leben und unser gesamtes Sein.“
Manfred hatte erstaunt und ungläubig seine Augen umso weiter aufgerissen, je mehr die Hypnosetherapeutin ins Schwärmen kam. Bis jetzt war er von allem, was sie ihm bisher erklärt hatte, tief beeindruckt. Es hatte für ihn zwar stellenweise unglaublich geklungen, aber er hatte dennoch alles logisch nachvollziehen können. Und das war wichtig für ihn. Nun aber waren sie an einem Punkt angelangt, der sich jeglicher logischer Betrachtungsweise entzog. „Das klingt ja absolut fantastisch, absolut unglaublich!“, entfuhr es ihm. Er blickte die Hypnosetherapeutin zweifelnd an.
„Das ist es“, sagte sie. „Es ist für unser gesamtes, bewusstes Denken einfach nicht vorstellbar. Es ist durch unsere fünf Sinne nicht erfahrbar und es passt zugegebenermaßen auch nicht in ein mechanistisches Weltbild, das viele Menschen in unserem Technik- und erfolgsorientierten Umfeld haben. Aber, fuhr sie fort, es ist dennoch absolute Realität. Eine übergeordnete Realität, die sich aus dem Unbewussten erschließt und die wir als Hypnosetherapeuten bei fast allen Hypnosen immer wieder aufs Neue erfahren. Und wenn ich sage erfahren, dann meine ich hunderte und aberhunderte von minutiös protokollierten Hypnosesitzungen, die mein Kollege und ich in über zehn Jahren mitgeschrieben haben.“
„Möchten Sie noch einen Kaffee?“ Manfred nickte entgeistert, „ja gerne“, murmelte er. Für ihn war alles, was er bis jetzt über das Unterbewusstsein, unbewusste Programme und deren Auswirkung auf das Leben erfahren hatte, absolutes Neuland – aber es war logisch nachvollziehbar. Dass er unbewusst mit allen anderen Menschen und sogar Wesenheiten in anderen Dimensionen verbunden sein sollte, erschien ihm schier unglaublich. Aber schließlich hatte Frau Papenfuß ihm sehr glaubhaft erklärt, dass sie und ihr Kollege diese Erfahrung schon bei vielen Hypnosen gemacht und sogar jede Einzelne protokolliert hätten. Sollte es tatsächlich möglich sein, dass er in einer viel größeren Realität lebte, als in der, die er täglich mit eigenen Augen sehen konnte?
Manfred begann zu grübeln. Wenn die Hypnosetherapeutin Recht hatte, dann würden seine urplötzlich aufsteigenden Eifersuchtsattacken vielleicht in seinem eigenen Unterbewusstsein entstehen. Die ganzen Sorgen, die ihn jetzt quälten, hätte er selbst unbewusst herbeigeführt – nicht die anderen, wie er immer geglaubt hatte. Für ihn war diese Vorstellung absolut unglaublich. Sie war sogar vollkommen absurd. Aber, grübelte er weiter, wenn es vielleicht doch so wäre, dann hätte er fast sein ganzes Leben lang unter einem Phänomen gelitten, das er gar nicht hätte beeinflussen können. Moment, noch einmal und ganz ruhig, konzentrierte er sich: Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass sein Unterbewusstsein eine Million mal schneller war als sein bewusstes, logisches Denken, dann würde er bewusst nie etwas gegen seine Eifersuchtsanfälle ausrichten können. Dazu hätte er auch keine Chance, wenn das unbewusste Programm “Eifersucht“ nur doppelt so schnell ausgeführt werden würde, als er mit seinem bewussten Denken dagegenhalten könnte. Aber eine Million mal schneller – da würde er nicht die Spur einer Chance haben, seine Eifersucht bewusst in den Griff zu kriegen.
Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, war seine Bereitschaft, sich von Frau Papenfuß hypnotisieren zu lassen, sprunghaft gestiegen. Er gierte geradezu danach, seine Eifersucht und all die Enttäuschung, die Wut und schließlich das Leid, das hiermit verbunden war, endlich loslassen zu können. Und in der Hypnose sah er nun seine Chance dazu. Diese Chance wollte er auf jeden Fall nutzen.