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Es geht hier nicht um einen Test, den Sie bestehen müssen. Es geht darum, zu reflektieren, inwieweit Ihr derzeitiges Verhalten dem einer mutigen Führungskraft oder dem eines Feiglings entspricht. Dabei sollten Sie niemandem etwas vormachen – am allerwenigsten sich selbst. Also: Seien Sie ehrlich und reflektieren Sie. Welche Aussagen, Denk- und Verhaltensweisen sind typisch für Sie?
Der Feigling
Typische Aussagen eines Feiglings:

























Definition des Feiglings
Feiglinge schwimmen mit dem Strom
Ein Feigling ist eine Person, die Angst hat, sich klar zu positionieren. Diese Angst ist für andere nicht ohne Weiteres erkennbar, was die Identifizierung von Feiglingen so schwierig macht. Doch wovor genau haben diese Feiglinge Angst? Auf allen Führungsebenen – vom Teamleiter bis zum Vorstand – herrscht die Angst, nicht mehr gemocht zu werden, sich unbeliebt zu machen – sei es durch unpopuläre Entscheidungen, kritische Rückmeldungen oder unbequeme Fragen. Daneben gibt es die Angst, den Job durch gewagte Entscheidungen zu gefährden. Beide Ängste – Zuwendungs- und Jobverlust – beschreiben die große Sorge, nicht mehr dazuzugehören, vom System, sprich vom Unternehmen, ausgeschlossen zu werden. Das versucht der Feigling auf jeden Fall zu vermeiden. »Möglichst mit dem Strom schwimmen und nirgendwo anecken«, so lautet seine Devise. Um dies zu erreichen, nutzt der Feigling unterschiedliche Verhaltensweisen. Wenn es zum Beispiel zu Diskussionen kommt, äußert er erst dann »seine« Meinung, wenn die allgemeine Tendenz der Anwesenden erkennbar ist. Er schließt sich buchstäblich seinen Vorrednern an und formuliert das auch so. Er bezieht sich oft auf andere Personen, meistens auf jene, die in der Hierarchie über ihm stehen: »Wir sollten bei der Kundenansprache darauf achten, dass wir im Vorfeld eine Selektierung nach Zielgruppen vornehmen, wie Herr Vorstand es gesagt hat« oder »Nach Aussage von Herrn Bereichsleiter ist das kein Problem«.
Seine Formulierungen lassen die eigene Positionierung vermissen. Statt eines »Ich« wählt der Feigling lieber ein »Wir« oder »Man«. Konjunktive wie »würde«, »hätte«, »könnte« kommen als i-Tüpfelchen hinzu. Die Sprache wirkt dadurch unverbindlich und verringert das Risiko für den Absender, für das Gesagte zur Verantwortung gezogen zu werden. Wenn Entscheidungen oder neue Prozesse zu lange dauern, hat er das ja nicht zu verantworten – das war schließlich der Vorstand! Der Feigling kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil er ständig versucht, sich hinter den Aussagen, Entscheidungen und Worten anderer zu verstecken.
Feiglinge etablieren eine Misstrauenskultur
Die Mitarbeiter des Feiglings leiden besonders unter der Mutlosigkeit ihres Vorgesetzten. Sie bezeichnen ihn oft als »Fähnchen im Wind«, weil er seine Meinung der gewollten oder weit verbreiteten Haltung anpasst. Schlimmer ist noch, dass sie sich auch in wichtigen Themen nicht auf die Aussagen ihres Vorgesetzten stützen und verlassen. Es etabliert sich eine Misstrauenskultur, in der alles angezweifelt wird, was der Vorgesetzte sagt und tut. Besonders schlimm ist es dann, wenn Mitarbeiter Jahre später feststellen, wie sehr ihnen ihr feiger Chef geschadet hat: Er hat ihr Leistungsverhalten so gut wie niemals kritisiert, geschweige denn, Anregungen zur Verbesserung gegeben. Nach seinen Aussagen war immer »alles gut«, die klassische Mitarbeiterbeurteilung fiel stets positiv aus. Und plötzlich kommt ein neuer Chef, der vieles anders sieht. Er fängt an, zu kritisieren, verlangt ein höheres Arbeitspensum in kürzerer Zeit, setzt ganz andere Arbeitsweisen voraus. Und dann? Dann knirscht es im Gebälk, der neue Chef gerät unter Druck. Er erkennt, wie weit der Weg zu einem erfolgreichen Team ist, und die Mitarbeiter entwickeln Angst um ihren Arbeitsplatz, weil sie Sorgen haben, den Erwartungen kurzfristig nicht gerecht werden zu können. Hätte der vorige Chef offen und ehrlich Kritik geübt, hätten die Mitarbeiter die Chance nutzen können, ihr Leistungsverhalten weiterzuentwickeln. Hätte, könnte, würde …
Die Führungskraft
Typische Aussagen einer Führungskraft:

























Definition der Führungskraft
Eine wahre Führungskraft ist eine Person, die Freude an der Zusammenarbeit mit anderen hat, weil sie in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Verhalten und Meinungen Chancen für Synergien sieht. Sie ist der Überzeugung, dass die Teamleistung stets größer ist als die Summe der Einzelleistungen. Aus dieser Überzeugung heraus schätzt und fördert die Führungskraft kontroverse Diskussionen, in denen sie klare Positionierungen der Beteiligten einfordert und sich selbstverständlich selbst eindeutig positioniert.
Führungskräfte zeigen und fordern Haltung
Die Mitarbeiter einer solchen Führungskraft trauen sich, ihre Meinung einzubringen, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass der Chef ihnen zuhört und sie ernst nimmt. Das bedeutet für die Führungskraft nicht zwangsläufig, sich ihrer Sichtweise anschließen zu müssen, sondern vielmehr, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ohne die Mitarbeiter abzuwerten, wenn deren Meinung stark von der eigenen Sichtweise abweicht. Mit diesem Verhalten schafft die Führungskraft eine Vertrauenskultur, in der die Mitarbeiter erleben, dass ihre aktive Beteiligung gewollt ist und geschätzt wird. Gleichzeitig machen sie die Erfahrung, sich auf das gesprochene Wort ihrer Führungskraft verlassen zu können. Ein Ja ist ein Ja, eine Zusage bleibt eine Zusage, eine Vereinbarung ist verbindlich, ein Nein unumstößlich.
Die Sprache dieser Führungskräfte ist eindeutig: Sie sagen, was sie wollen. Sie sagen, ob sie diskutieren, informieren, motivieren, anweisen oder kritisieren wollen. Sie lassen ihr Gegenüber nicht im Ungewissen über die Absicht, mit der sie Themen platzieren. Worte wie »vielleicht«, »Könnte sein« oder »Ich würde mir wünschen …« gibt es in ihrem Wortschatz selten.
Eine Führungskraft investiert bewusst Energie in eine konstruktive Feedbackkultur und zeigt sich als professioneller Feedbackgeber und -nehmer. Die Weiterentwicklung der Mitarbeiter ist für sie fester Bestandteil einer Leistungskultur, daher sieht sie in Mitarbeiterbeurteilungen und Feedbacks eine echte Chance. Der Inhalt ihrer Rückmeldungen ist bei Weitem nicht immer positiv, aber die Mitarbeiter wissen stets, was ihre Führungskraft von ihrem Arbeitsverhalten und ihrer Leistung hält und wo Optimierungsbedarf besteht. Als Feedbacknehmer bittet die Führungskraft ihre Mitarbeiter um ein Feedback zu ihrem Führungsverhalten und freut sich regelrecht über kritische Äußerungen. Dadurch spürt sie, wie viel Vertrauen ihr entgegengebracht wird.
Eine Führungskraft beantwortet Fragen ehrlich und zeitnah. Eine ehrliche Antwort kann auch heißen: »Ich weiß es nicht« oder »Ich kläre das« oder »Dazu möchte ich momentan nichts sagen«. Dabei hat die Führungskraft stets im Blick, was ihre Antworten beim Mitarbeiter auslösen. Ist sie unsicher, fragt sie beim Mitarbeiter nach.
Führungskräfte etablieren eine Feedbackkultur
Last, not least: Die Mitarbeiter einer Führungskraft wissen, dass ihr Chef sich anderen im Unternehmen gegenüber genauso glaubwürdig verhält wie ihnen gegenüber. Die Führungskraft äußert Kritik, spricht auch Unangenehmes aus, stellt Fragen, konfrontiert, gibt und nimmt Feedback, interessiert sich für die Meinung von Kollegen und Vorgesetzten zu wichtigen Themen. Eine echte Führungskraft hat Mut, eine möglicherweise abweichende Meinung zu vertreten, und ist mit diesem Verhalten konsequent verlässlich. Das heißt, das, was sie von ihren Mitarbeitern erwartet, lebt sie selbst vor. Das bedeutet es, mit Klarheit und Courage zu führen.
Der Taktiker
Taktiker sind nicht feige, sondern berechnend
Neben der Führungskraft und dem Feigling gibt es noch eine »Spezies«, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Von meinen Seminarteilnehmern und Coachees werde ich oft gefragt, wo in meinen Betrachtungen denn der Taktiker Berücksichtigung findet. Wenn ich frage, was sie darunter verstehen, kommen Aussagen wie: »Das ist jemand, der auf seinen Vorteil bedacht ist und Kommunikation auf diplomatischem Parkett praktiziert.« Die Bezeichnung »Taktiker« ist oft negativ besetzt und man unterstellt überwiegend egoistische Motive. Doch für mich ist der Taktiker jemand, der zielorientiert vorgeht und gut überlegt, wann er wem was sagt. Er zeigt durchaus Verhaltensweisen, die denen eines Feiglings ähnlich sind, ohne jedoch Feigling zu sein. Der Taktiker schweigt nicht – wie der Feigling – aus Angst, sondern auf Basis sachlicher Überlegung. Er stellt keine kritischen Fragen, weil er möglicherweise gerade keine Lust auf Ärger hat oder an die strategischen Folgen seines Verhaltens für die Abteilung oder das Unternehmen denkt. Das unterscheidet den Taktiker vom Feigling. In jeder Führungskraft steckt hoffentlich ein Taktiker, der dafür sorgt, dass aus Mut kein Leichtsinn wird.
Feigling und Führungskraft im Unternehmensalltag
So weit meine Definition von Feigling, Führungskraft und Taktiker. In welchen Beschreibungen und Aussagen finden Sie sich wieder? Haben Sie womöglich sogar herausgefunden, dass Sie immer mal wieder ein Feigling sind? Dann kann es wegweisend sein, sich über die folgenden Fragen Gedanken zu machen:






Je nach Ausprägung des Feiglings in Ihnen kann es sinnvoll sein, sich externe Unterstützung in Form eines Coachings zu suchen. Das ist oft schon der erste Schritt auf dem Weg vom Feigling zur Führungskraft.
Einmal Feigling heißt nicht immer Feigling
Wie agieren nun Feiglinge und Führungskräfte im Unternehmen? Zunächst einmal die frohe Botschaft: Einmal Feigling heißt nicht immer Feigling! Wenn jemand erkennt, welchen Preis er für feiges Verhalten zahlt, entsteht dadurch oft der Wille zur Veränderung.
So war es auch bei Herrn Anders. Er leitete bereits zwei Jahre den Aus- und Fortbildungsbereich eines Versicherungskonzerns. Zuvor hatte er im selben Unternehmen unterschiedliche Funktionen im Vertrieb ausgeübt, sodass ihm die Position in der Zentrale eine andere Perspektive und eine neue Aufgabenstellung bot. Herr Anders war von seinem Vorgesetzten auf die Stelle angesprochen worden und hatte bereits nach dem ersten Gespräch zugesagt. Einziger Wermutstropfen war die räumliche Entfernung zu seinem Wohnsitz und seiner Familie. Der neue Arbeitsplatz lag 450 Kilometer von seinem Heimatort entfernt.
Herr Anders entschloss sich, zunächst zu pendeln und nur an den Wochenenden nach Hause zu fahren. Er und seine Frau hatten vereinbart, dass die Familie an den neuen Arbeitsort umziehen würde, sobald Herr Anders in der neuen Aufgabe Fuß gefasst hatte. Dies war bereits nach drei Monaten der Fall und die Familie begann, die künftige Wohnsituation zu planen. Herr Anders und seine Frau kauften ein Grundstück an seinem neuen Wirkungsort und die Baumaßnahmen begannen. Bis zum Beginn des neuen Schuljahres wollten sie umgezogen sein, um ihren beiden Kindern den Start am neuen Gymnasium zu erleichtern.
Drei Monate vor dem geplanten Umzug bat der Vorstand Herrn Anders zu einem Gespräch. Er sei sehr zufrieden mit dessen Leistung und daher würde bereits eine neue Aufgabe an einem anderen Einsatzort auf ihn warten. »Da brauche ich Sie unbedingt und zähle auf Sie.« Dieses Angebot könne jedoch erst später genau benannt werden, da die Stelle aktuell noch besetzt sei. Daher wäre der Gesprächsinhalt selbstverständlich vertraulich und man bitte ihn gleichzeitig um Geduld. »Ich komme auf Sie zu, sobald sich die Dinge entsprechend konkretisiert haben und ich Ihnen Näheres dazu sagen kann.« Mit diesen Worten verabschiedete der Vorstand Herrn Anders.
»Es wäre ja verrückt, die ganze Familie umziehen zu lassen, wenn ich bald an einen anderen Standort versetzt werde«, dachte er und seine Frau teilte seine Sichtweise. Sie verkauften daraufhin das noch nicht ganz fertiggestellte Haus und lebten weiter damit, dass die Familie sich nur am Wochenende sehen konnte. Es war ja schließlich nur noch eine Frage der Zeit … Herr Anders wartete und sprach mit niemandem über das Gespräch mit seinem Vorstand. Als nach einem Jahr immer noch nichts passiert war, machte sich eine immer stärkere Unzufriedenheit in Herrn Anders breit. Die Belastung der Wochenendpendelei war ihm inzwischen anzumerken. Niemand verstand so recht, warum der Familienmensch Anders immer noch nicht mit seiner Familie zusammenwohnte. Die Situation hatte längst auch zu familiären Spannungen geführt. »Du hast gesagt, es ist nur vorübergehend und dann wohnen wir wieder unter einem Dach!«, waren die Worte seiner Frau und der Kinder.