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Reise in die untere Welt
Beginnen wollen wir unsere schamanischen Gehversuche mit einer Reise in die untere Welt. Vorausschicken möchte ich gleich hier: Es kann durchaus der Fall sein, dass sich bei Ihrer ersten Reise nichts besonders Aufregendes ereignet. Betrachten Sie sie daher wie eine Art erstes »schamanisches Sightseeing«.
Wer einen Berg besteigen will, muss allerdings zuerst einmal wissen, wo sich dieser befindet und wie er zu ihm hinkommt. Und dann sollte er auch wissen, wie und auf welchem Weg er am besten hinaufgelangt.
Wo also befindet sich unser Reiseziel, die untere Welt, und wie kommt man am einfachsten dorthin? Und schließlich: Welche Reisevorbereitungen sind notwendig, um den Weg gut zu überstehen und ans Ziel zu gelangen?
Als nützliche Begleiter empfehlen sich für spirituelle Arbeit geeignete Räucherstäbchen. Bewährt haben sich beispielsweise die Padminis, die man in Indienläden bekommt, und die sehr dicken Stäbe aus Thai-Geschäften. Schwere Duftnoten wie »Fichtennadeln« oder »Winternacht« und so erfrischende wie »Lemongras« eignen sich nicht.
Die richtigen Vorbereitungen treffen
Für den Anfänger besteht die beste Vorbereitung für seine erste schamanische Reise darin, sich in einem Kreis Gleichgesinnter unter Anleitung eines erfahrenen Lehrers auf den Weg zu machen. Er erspart sich damit unter Umständen Fehlversuche und zeitraubende Umwege, wird von dem spirituellen Feld profitieren, das sich erfahrungsgemäß in einem gemeinsamen Übungsraum aufbaut und wird auch Antworten auf seine Fragen erhalten. Allein tun sich die meisten Menschen zu Beginn schwerer. Trotzdem kann sich auch dieser Versuch lohnen.
Zunächst ziehe man sich in einen ruhigen Raum zurück, den man mit Hilfe von Jalousien und Vorhängen fast völlig abdunkeln kann. Ein sonnenbeschienenes Zimmer beispielsweise, das zudem auf eine stark befahrene Straßen hinausgeht, ist für den noch leicht störungsanfälligen Anfänger ungeeignet.
Wer zu Hause »reisen« möchte, sollte außerdem dafür sorgen, dass er während seiner spirituellen Reise nicht gestört wird. Dazu gehört auch, die Wohnungsklingel abzustellen, den Stecker aus der Telefonbuchse zu ziehen und sich von Mitbewohnern oder Familienmitgliedern Ruhe und Ungestörtheit zu erbitten.
Die richtige Trommel
Mit das wichtigste Utensil für die schamanische Reise ist die Trommel. Am besten eignet sich eine flache Rahmentrommel von etwa 40 Zentimeter Durchmesser (oder mehr) mit einem nicht allzu harten Schlägel.
Man erhält solche Instrumente in vielen Musikaliengeschäften, meist mit Kunststoffrahmen und Synthetikfell. Sie können aber auch auf einem Trödel- oder Flohmarkt oder beispielsweise in einem Afrikashop eine typische Schamanentrommel kaufen. Letztere ist zwar oft schöner als die anderen Trommeln, meist aber erheblich teurer und lässt sich häufig nur mühevoll und mit viel Übung nachspannen.
Helfer für den Anfang
Leider spielt sich die Trommel nicht von selbst. Dieser Punkt bereitet besonders Anfängern Probleme. Für sie ist es meist sehr schwierig, gleichzeitig zu trommeln und schamanisch zu reisen. Günstig ist es daher, sich für die erste Reise einen Helfer zu suchen, der das Trommeln übernimmt. In Seminaren ist das der Lehrer.
Am besten bitten Sie einen Freund oder eine Ihnen nahestehende Person aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis, Sie zu begleiten und für Sie zu trommeln. Dabei sollten Sie sich allerdings seines Interesses und seiner positiven Einstellung gegenüber dem Schamanismus sicher sein. Im Zweifelsfall können Sie auch selbst vor einem Mikrofon trommeln, die rhythmischen Schläge auf Tonband aufnehmen, um sie danach für Ihre Reise abzuspielen.
Besonders empfehlenswert ist das traditionelle irische Boghdran, eine leicht spannbare schwere Folkloretrommel, wie sie in den Pubs der Grünen Insel verwendet wird. Eine Bezugsquelle für gute Trommeln dieser Art finden Sie im Kapitel Hersteller geeigneter Fachtrommeln
Den Rhythmus finden
Wichtig sind auf jeden Fall ein gleichmäßiger und gleichbleibender Rhythmus, gleichbleibende Lautstärke und Monotonie. Unter Monotonie ist die ganz gleichmäßige Betonung jedes einzelnen Schlags zu verstehen.
Am besten geht es, wenn Sie leise dabei zählen: 21, 22, 23, 24 ... Jede Zahl sollte etwa eine Sekunde ausmachen. Geschlagen wird die Trommel auf jede einzelne Silbe: eín-únd-zwán-zíg, zweí-únd- zwán-zíg ... So erreichen Sie einen 4-Hertz-Rhythmus, nach dem man gut reisen kann. Manche bevorzugen auch ein etwas schnelleres oder langsameres Tempo.
Alternative Möglichkeiten
Tonträger mit Trommelmusik kann man auch im Handel erstehen. Wenn Sie sich für diese Möglichkeit entscheiden, achten Sie bitte darauf, dass sich auf den Tonbandkassetten oder CDs nichts anderes findet als ein monotoner 3- bis 7-Hertz-Rhythmus. Angeboten werden heute auch völlig ungeeignete Machwerke, die von Synthesizer-Meeresrauschen und Vogelgezwitscher bis hin zu esoterischen Sphärenklängen oder säuselnder Schlummermusik mit Subliminals reichen und als schamanische Reisebegleitmusik vertrieben werden. Sie bringen samt und sonders nur Geld für den Produzenten und beinhalten nichts anderes als ablenkende Fremdbeeinflussung.
Wer sich zu solchen Geräuschen auf eine schamanische Reise begibt, was einem sogar recht leicht fallen kann, setzt das eigene Erleben völlig unkontrollierbaren äußeren Einflüssen aus. Gerade das jedoch gilt es unbedingt zu vermeiden. Ernsthafte schamanische Arbeit ist nämlich das genaue Gegenteil von äußerer Manipulation.
So genannte Subliminals sprechen das Unterbewusste an. Auf esoterischen Musikkassetten oder CDs sind häufig Affirmationstexte als Subliminals zu finden. Während man die Musik hört, wendet sich beispielsweise eine Affirmation wie »Es geht mir jeden Tag in jeder Hinsicht besser und besser« direkt an tiefere Wahrnehmungsschichten.
Abschluss der Reisevorbereitungen
Um Ihre Reisevorbereitungen abzuschließen, dunkeln Sie den Raum, in dem Sie Ihre Reise antreten, weitgehend ab. Das Licht einer Kerze reicht vollkommen. Zünden Sie, wenn Sie möchten, ein Räucherstäbchen an, und legen Sie sich dann auf eine nicht allzu harte Matte oder Decke. Anstatt der Rückenlage können Sie auch eine andere bequeme Haltung einnehmen.
Dauer und Rückrufsignal
Die erste Reise führt Sie in die untere Welt und sollte etwa 20 Minuten dauern. Damit das Ende der Reise nicht zu überraschend kommt, wird der Trommler ein Rückrufsignal schlagen. Das sieht so aus:
A . . . . . . .
B .... .... .... ....
C ....................
A besteht noch aus dem Trommelrhythmus der Reise, B ist das eigentliche Rückrufsignal, C zeichnet sich durch ein etwas leiseres schnelles Trommeln von etwa 30 Sekunden Länge aus und sollte auf keinen Fall kürzer ausfallen. Während dieser Zeitspanne findet der Reisende genügend Zeit, in seine Alltagsrealität zurückzukehren.
Eingänge in die untere Welt
Den äußeren Vorbereitungen folgen noch einige innere, die unentbehrlich sind. Zunächst muss man sich einen Eingang zu seinem Reiseziel, der unteren Welt, suchen. Dazu kann man sich alles vorstellen, was hinabführt: Goldmaries Brunnen ebenso wie die Kellertreppe im eigenen Haus. Als besonders gut haben sich Plätze in der Natur bewährt, die der Reisende kennt und mit denen er angenehme Eindrücke und Erfahrungen verbindet. Auch sie sollten nach unten führen. Eine natürliche Höhle bietet sich dazu an, ebenso wie der Eingang zu einem Fuchs- oder Kaninchenbau, ein hohler Baum o. Ä. Die Größe des Eingangs spielt dabei keine Rolle. Ein mächtiger Vulkankrater eignet sich ebenso wie ein fingerbreiter Felsspalt.
Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Ihnen auf der Reise Schreckliches oder Alptraumhaftes widerfahren könnte. Sollte Ihnen auf Ihrem Weg wirklich etwas Störendes begegnen, dann schicken Sie es einfach fort oder weichen Sie ihm aus. Nichts kann Ihnen gefährlich werden.
Wie der Zutritt auch beschaffen sein kann
Der Eingang zum Weg nach unten braucht nicht offensichtlich frei zu sein. D. h., er kann auch im Verborgenen liegen. So können Sie beispielsweise gedanklich in einen gesunden Baumstamm schlüpfen und von dort aus den Wurzeln in die Erde folgen oder in einen Teich springen, untertauchen und sich durch den weichen Boden weiter abwärts bewegen.
Haben Sie einen solchen Eingang für sich gefunden, dann sollten Sie ganz kurz die Augen schließen und versuchen, Ihr Eingangsszenario bildlich vor sich zu sehen. Das vereinfacht das spätere Reisen. Gelingt diese Visualisierung nicht, so ist das auch kein Problem. Dann können Sie versuchen, sich alles um den Eingang herum auf andere Weise sinnlich zu vergegenwärtigen. Vielleicht können Sie den Wind in den Blättern des Baums hören, in dessen Stamm Sie schlüpfen wollen. Vielleicht können Sie die raue Borke fühlen, vielleicht sind Sie auch ganz einfach von dem Wissen durchdrungen: »Ich bin da, wo ich sein möchte, obwohl ich weder etwas sehe, noch fühle, noch rieche...«
Bevor Sie den ersten Schritt tun
Ist es im Raum noch zu hell, dann decken Sie jetzt Ihre Augen ab. Dazu eignet sich beispielsweise eine Schlafmaske oder ein weicher Schal.
Bevor Sie nun endgültig zu Ihrer ersten schamanischen Reise aufbrechen, formulieren Sie dreimal still: »Ich reise in die untere Welt, um sie kennen zu lernen.«
Während Sie diesen Satz leise vor sich hin sagen oder denken, beginnt die Trommel. Kümmern Sie sich jetzt nicht weiter um die Formulierung, und lassen Sie sie so stehen. Das Einleitungsanliegen haben Sie gleichsam als Mission vorausgeschickt. Denken Sie sich stattdessen jetzt an Ihren Eingang zur unteren Welt, und gehen, springen oder schlüpfen Sie hinein.
Unternehmen Sie schamanische Reisen nüchtern und nicht nach Alkohol- oder Drogengenuss, sonst schleicht sich der Schrecken von ganz woanders her ein. Und machen Sie nie den zweiten Schritt vor dein ersten, d. h., halten Sie sich an die Reihenfolge der Reisevorschläge in diesem Buch.
Sich treiben lassen
Schon wenig später wird sich die Umgebung verändern. So kann es sein, dass Sie zwar in den Kanal, der vor Ihrem Haus vorbeifließt, gesprungen sind, sich aber plötzlich in einer weiträumigen Tropfsteinhöhle wiederfinden. Sobald ein solcher Wandel eintritt, hören Sie auf, Ihre Reise selbst zu beeinflussen; es sei denn, Sie kommen an bestimmten Stellen nicht weiter.
Ist das der Fall, dann überprüfen Sie zunächst erst einmal, ob Sie überhaupt weiter wollen oder nicht. Wenn nicht, bleiben Sie, wo Sie sind, und sei es auch noch so dunkel um Sie herum. Zieht es Sie aber weiter, dann suchen Sie nach einem Ausweg; zwängen Sie sich durch einen engen Spalt, oder gehen Sie durch eine scheinbar kompakte Wand hindurch. Sie werden sich wundern, wie leicht das geht. Dies allerdings nur unter einer Voraussetzung: Seien Sie sich bewusst, dass Sie nichts erzwingen können.
Machen Sie Ihre Erfahrungen
Bevor Sie Ihre Lektüre an dieser Stelle fortsetzen, sollten Sie auf jeden Fall erste Reiseerfahrungen - auch negativer Art - gesammelt haben. Sonst fühlen Sie sich durch alles, was auf den folgenden Seiten ausgeführt ist, auf Ihren späteren Reisen von vorneherein bevormundet. Dann sehen Sie zwar etwas, können es aber nicht wirklich mit eigenem Erleben identifizieren, weil Sie glauben werden, sich lediglich bildhaft das von einem Fremden Gesagte vorzustellen. Um dieser Gefahr zu entgehen, wiederhole ich meine dringende Bitte: Lesen Sie hier erst weiter, wenn Sie über eigene Reiseerfahrungen verfügen, sonst mag sich der Rest dieses Buchs als ziemlich wertlos für Sie herausstellen. Wie bereichernd dagegen ist es, selbst Erfahrungen zu sammeln und danach die Bestätigung zu finden: Was ich erfahren habe, ist keine bloße Phantasie, sondern eine fremde aber objektive Realität, die sich anderen Menschen ganz ähnlich darstellt und meist auch ähnlich empfunden wird.
Ursachen für eine fehlgeschlagene Reise
Wenn Sie an dieser Stelle weiterlesen, haben Sie bereits erste Reiseversuche unternommen. Es gibt nun grundsätzlich zwei Ergebnismöglichkeiten: Entweder Sie können auf bestimmte mehr oder weniger ausgeprägte Erlebnisse zurückblicken, oder es hat sich gar nichts getan. Zwischenstufen gibt es nicht.
Nichts zu erleben, kann sich auf zweierlei Weise äußern: Entweder ist bei Ihren Versuchen, schamanisch zu reisen, überhaupt nichts geschehen, oder Sie haben lediglich den Eingang zur unteren Welt visualisiert, den Sie sich vor der beabsichtigten Reise vorgestellt haben. Von dort aus ging es jedoch nicht weiter.
Nehmen wir zunächst den - weitaus unwahrscheinlicheren - Fall an, dass Sie wirklich gar nichts erlebt haben. Das ist kein Grund, gleich entmutigt zu sein. Verschiedene Ursachen können für diese verunglückte Reise verantwortlich sein. Um diese zu ergründen, beantworten Sie bitte ganz aufrichtig die folgenden Fragen.
Auch die Reise des Odysseus, des Helden der griechischen Mythologie, kann als Schamanenreise verstanden werden. Nach der Einnahme Trojas tritt er die Heimfahrt an, auf der er die seltsamsten Abenteuer bestehen muss. So wird er beispielsweise von einem einäugigen Riesen in eine Höhle gesperrt und soll am Eingang zur Unterwelt den Schatten eines Sehers über sein weiteres Schicksal befragen.
Die Frage nach der inneren Überzeugung
War es vielleicht Ihre bewusste oder unbewusste Absicht, sich selbst oder anderen zu beweisen, dass schamanisches Reisen grundsätzlich nicht möglich ist oder sogar, dass Schamanismus nichts anderes ist als Scharlatanerie oder Aberglaube?
Überdenken Sie dabei einmal das Folgende: Ein Mensch, der beispielsweise romantische Gefühle als unlogisch und unrealistisch oder lediglich als Symptome körpereigener chemischer Prozesse betrachtet, wird sich niemals aus vollem Herzen über die Schönheit eines bunten Schmetterlings freuen können und wird wohl auch niemals in der Lage sein, tiefe, bedingungslose Liebe zu empfinden.
Die Frage nach den Erwartungen
Hatten Sie vor Ihrer Reise überzogene oder ganz bestimmte, im Geist vorformulierte Erwartungen, und haben Sie sich dadurch womöglich unter eine Art Leistungsdruck gesetzt? Es muss jetzt unbedingt klappen! Andere können das schließlich auch. Ich darf keinesfalls versagen!
Bedenken Sie: Spirituelles Erleben lässt sich vom Verstand her nicht erzwingen. Stattdessen tritt meist eine Umkehrwirkung ein, die diese Art der Erfahrung eher behindert.
Die Frage nach Ängsten
Hatten Sie Angst, etwas Schreckliches oder Gefährliches könne Ihnen auf Ihrer Reise zustoßen, dem Sie sich nicht entziehen können und stellen müssen?
Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten, dann können Sie es getrost gleich noch einmal mit einer Reise versuchen. Auf schamanischen Reisen geschieht nichts Gefährliches.
Auch bleiben Sie auf jeder Reise stets Ihr eigener Herr und vollkommen handlungsfähig. Der schamanische Bewusstseinszustand ist keine hypnotische Tieftrance. Wenn Sie der einfachen Reiseempfehlung in diesem Buch folgen und die vorgeschlagene Exkursion in die untere Welt unternehmen, dann können Sie sicher sein, dass Ihnen nichts Gefahrvolles oder Erschreckendes begegnet. Und sogar wenn Sie diesen Punkt überspringen und gleich von Anfang an daran gehen wollen, ein schweres Kindheitstrauma aufzuarbeiten, werden sich die Schrecknisse in verkraftbaren Grenzen halten. Schließlich hätte selbst die Konfrontation mit einem früheren traumatischen Erlebnis allenfalls den Charakter einer Heilkrise.
Um eine untere Welt geht es in dem berühmt gewordenen Roman »Alice im Wunderland« von Lewis Carroll, der 1865 erschienen ist. Die kleine Alice begibt sich auf die phantastische Reise dorthin.
Die Frage nach Befürchtungen für die Zukunft
Haben Sie befürchtet, Ihre beabsichtigte schamanische Reise könne etwas bewirken, das vielleicht Ihr gewohntes Leben verändern wird? Glauben Sie, dass Ihr ethisches oder streng naturwissenschaftliches Weltbild ins Wanken geraten könnte, wenn Sie auf der Reise erleben, dass Schamanismus tatsächlich funktioniert? Befürchten Sie aufgrund Ihrer Erlebnisse Veränderungen, weil Sie sich nun beispielsweise im Klaren darüber sind, dass Sie mit dem falschen Partner zusammenleben? Oder haben Sie Angst davor, eventuell erkennen zu müssen, dass Ihre bisherige berufliche Tätigkeit ethisch und im Sinn des Gemeinwohls unverträglich ist und dass es besser wäre sie aufzugeben, selbst wenn dies mit existenziellen Nachteilen verbunden wäre?
Wenn Derartiges im Spiel ist, dann überlegen Sie sorgfältig, was sich schlimmstenfalls in Ihrem Leben ändern könnte, wenn Sie einen spirituellen Weg beschreiten. Sind Sie nicht — oder noch nicht — bereit, einem möglichen Wandel zuzustimmen, dann unternehmen Sie keine weiteren Reiseversuche.
Denn eines muss gesagt sein: Beim schamanischen Erleben geht es wie beim ernsthaften Einschlagen jedes anderen spirituellen Wegs immer um alles oder nichts. Nur aus Neugier zu »schamanisieren« ist nicht möglich, man muss auch bereit sein, die Konsequenzen für sein Handeln zu ziehen. Wer ernsthaft eine Frage stellt, riskiert immer, eine Antwort zu erhalten. Wer ernsthaft um etwas bittet, muss damit rechnen, dass er es auch bekommt. Das gilt insbesondere auch für die fortgeschrittene schamanische Arbeit.
Die Frage nach der Religiosität
Befürchten Sie, dass die schamanische Arbeit mit Ihrer religiösen Einstellung unvereinbar ist?
Wenn Sie sich in diesem Punkt nicht sicher sind, dann lesen Sie noch einmal das Kapitel »Schamanismus und Religion«, bevor Sie weitere Reiseversuche unternehmen. Gegen Ihre religiöse Überzeugung schamanisch reisen zu wollen, funktioniert jedenfalls nicht. In einem schamanischen Basisseminar begegnete mir einmal ein katholischer Moraltheologe. Er erkannte bereits nach dem ersten Tag: »Wenn ich nur beobachtend dabeisitze, erfahre ich über Schamanismus gar nichts. Aber aktiv mitmachen? Darf ich das denn als praktizierender Christ?« Am folgenden Sonntag ging er morgens ins Hochamt und fragte in stillem Gebet den Heiligen Geist, um seine Zweifel zu beseitigen: »Darf ich Schamanismus praktizieren?« Die Antwort war: »Sicher. Was meinst du, was du jetzt gerade tust?«
Schamanisches Reisen setzt die Bereitschaft voraus, dem, was einem dabei möglicherweise begegnet, wirklich ins Auge schauen zu wollen. Es zeitigt mehr oder weniger einschneidende Konsequenzen für das eigene Leben.
Die Frage nach dem sozialen Umfeld
Befürchten Sie, dass Ihr persönliches Umfeld - Familie, Freunde und Arbeitskollegen - Ihre schamanischen Gehversuche ernsthaft ablehnen würde?
Wenn das der Fall sein sollte, Sie aber eine derartige Ablehnung nicht ertragen können, dann müssen Sie sich für das eine oder das andere entscheiden, bevor Sie weitermachen. Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen aus Ihrem Umfeld bereit sein werden, Ihren Weg zu respektieren, wenn Sie diesen nur entschieden genug vor sich selbst und Ihren Lieben vertreten.
Die Frage nach dem Selbstbewusstsein
Ist es möglich, dass Ihr Selbstbewusstsein nur schwach ausgeprägt ist und Sie sich der Reise einfach nicht gewachsen fühlen? »Wahrscheinlich können es wieder einmal alle, ich aber ganz bestimmt nicht.«
Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten, dann bin ich ganz und gar nicht davon überzeugt, dass Sie nichts erlebt haben. Vielleicht sind Sie nach dem Eingang in die untere Welt lediglich in einen dunklen Raum geraten, aus dem Sie sich in Ihrer selbst auferlegten Bescheidenheit nicht heraus getraut haben. Versuchen Sie es weiter! Und achten Sie auf jede Kleinigkeit. Vielleicht sehen Sie das erste Mal ganz flüchtig ein paar Augen im Dunkel, vielleicht ahnen Sie ein unterirdisches Labyrinth mehr als Sie es sehen. Langsam aber sicher werden Ihre Reiseerlebnisse deutlicher und stärker werden.
Die Frage nach der Vorstellungskraft
Verfügen Sie über eine sehr lebhafte Phantasie, und können Sie gut visualisieren, also vor Ihrem inneren Auge willentlich Bilder wachrufen?
In diesem Fall laufen Sie wahrscheinlich Gefahr, alle schamanischen Reiseerlebnisse als bloße Produkte Ihrer eigenen Vorstellungskraft abzutun. Kümmern Sie sich nicht darum, wo Ihre Phantasie aufhört und das eigentliche Reisegeschehen beginnt. Später merken Sie das ganz von selbst und lernen beides sehr gut unterscheiden.
Eines der ersten Erlebnisse des Ritters Owein war ein dunkler, kellerartiger Raum, in dem er sich wiederfand. Mancher angehende Schamane hat es bei seinen ersten Gehversuchen tage- und wochenlang mit solchen Räumen zu tun. Dabei handelt es sich um eine wichtige und notwendige Entwicklungsphase.
Die Frage nach der sinnlichen Qualität der Erlebnisse
Haben Sie vielleicht etwas anderes erlebt als Sie erwartet haben und deshalb die Reise als Ganzes angezweifelt?
Manche Menschen glauben, vor ihrem geistigen Auge müsste eine Art lückenloser Spielfilm ablaufen. Sie sind dann enttäuscht, »nur« einzelne blitzlichtartige Standbilder oder überhaupt nichts gesehen zu haben. Vielleicht fühlten Sie nur einen kalten Luftzug und hatten einen bestimmten Geruch in der Nase. Auch das sind schamanische Reiseerlebnisse.
Lassen Sie alle vorgefassten Meinungen darüber fallen, wie eine schamanische Reise verlaufen könnte. Vielleicht wünschten Sie sich, durch einen Brunnenschacht in eine blühende Landschaft zu gelangen und fanden sich stattdessen auf der Rolltreppe eines U-Bahnhofs wieder. Sie sagten sich dann sofort: »Aber das will ich doch gar nicht.« Und schon war Ihre Reise zu Ende, bevor sie beginnen konnte. Nehmen Sie alles so, wie es kommt, und wenn Sie es nicht mögen oder verstehen, wie es ist, dann fragen Sie nach, warum Sie dies und nichts anderes erleben. Irgendjemand wird erscheinen und Ihre Fragen beantworten.
Die Frage nach spirituellen Alternativen
Haben Sie vielleicht bereits einen anderen spirituellen Weg gefunden, der Ihnen mehr liegt als Schamanismus, beispielsweise Zen-Meditation oder Raja-Yoga?
In diesem Fall möchte ich Ihnen empfehlen, auf Ihrem Weg zu bleiben. Verzetteln Sie sich nicht. Man kann einen Berg nicht auf zwei Wegen gleichzeitig besteigen.
Die Frage nach den äußeren Begleitumständen
Haben Sie Ihre Reiseversuche vielleicht unter innerem oder äußerem Stress durchgeführt? Waren Sie unter Zeitdruck, weil Sie gerade Besuch erwarteten? Oder litten Sie unter Kopfschmerzen oder Migräne, die Ihre Reise störten?
Am besten beginnt man schamanische Reisen in einem entspannten Zustand. Unter Stress ist Reisen besonders für Anfänger schwierig.
Die Frage nach Erfahrungen mit Nirwana-Meditation
Sind Sie erfahren in Nirwana-Meditation? In diesem Fall müssen Sie sich wahrscheinlich erst umgewöhnen. Schamanisches Reisen bedeutet nahezu das Gegenteil Ihrer bisherigen Meditationserfahrungen. Ging es bei Ihren bisherigen Bemühungen darum, Ihr Bewusstsein weitestgehend zu entleeren, so kommt es jetzt auf intensives Erleben an.
Nirwana bedeutet soviel wie verwehen, erlöschen. Der Begriff aus der buddhistischen Lehre bezeichnet das Heilziel dieser Religion. Nirwana ist der Zustand des Erlöstseins, der Überwindung allen Strebens und allen Leides.