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Die Frage nach den bisherigen Antworten
Konnten Sie alle vorhergehenden Fragen aufrichtig mit Nein beantworten, und haben Sie trotzdem nichts erlebt?
Dieser Fall ist so selten, dass ich Sie bitten möchte, die zwölf Fragen noch einmal sorgfältig durchzugehen und genau zu prüfen, ob sich nicht vielleicht doch ein unzutreffendes Nein eingeschlichen hat.
Erst wenn das ganz bestimmt nicht der Fall ist, können Sie unverändert mit Ihren Reiseversuchen fortfahren. Wahrscheinlich wird Ihre Geduld dabei aber auf eine äußerst harte Probe gestellt. Ich habe einige wenige Menschen kennen gelernt, die jahrelang immer wieder vergeblich schamanische Reiseversuche unternahmen. Dann, auf einmal, stellte sich unvermittelt der Erfolg ein. Oft erweisen sich solche Menschen später als besonders befähigt für schamanische Arbeit. Denn nicht jeder ist das in gleichem Maß.
Einen neuen Versuch unternehmen
Wer sich mit seinen ersten schamanischen Reiseversuchen schwer tut, kann ein bisschen mit der Methodik spielen. Variieren Sie beispielsweise die Trommelfrequenz. Oder versuchen Sie es ohne Trommel, beispielsweise begleitend zu einer monotonen rhythmischen Körperbewegung wie Jogging.
Beginnen Sie in diesem Fall anstatt einer Exkursion in die untere Welt mit einer Mittelweltreise. Dazu schließen Sie die Augen und stellen sich zu den Trommelklängen einen gut bekannten Weg vor. Legen Sie ihn im Geist zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto zurück, so wie Sie es im Alltag gewohnt sind. Achten Sie unterwegs darauf, was sich Ihnen anders präsentiert als im Alltag. Vielleicht trägt der Paketbote an der Straßenkreuzung auf Ihrer Reise keine braune Uniformjacke wie üblich, sondern ein langes gestreiftes Nachthemd. Vielleicht begegnen Ihnen Autos mit fünf Rädern. Wenn das der Fall ist, schleichen sich ganz langsam erste schamanische Elemente ein. Und bald werden Sie reisen können.
Wenn Sie mehrere Male scheinbar vergeblich versucht haben, allein schamanisch zu reisen, ist es möglicherweise sinnvoll, sich an einen guten Lehrer zu wenden und im Rahmen eines Seminars neue Erfahrungen zu gewinnen.
Der Ablauf einer gelungenen Reise
Wer von einer erfolgreich stattgefundenen Reise zurückkehrt, kann sehr Unterschiedliches erlebt haben. Dabei geht es um derart viele verschiedene Möglichkeiten, dass es unmöglich ist, sie hier alle aufzuzählen. Doch gibt es einige Standardelemente schamanischer Reisen, die häufiger vorkommen als andere. Ein paar davon möchte ich hier vorstellen. Vielleicht kommt Ihnen das eine oder andere bekannt vor.
Tunnelerlebnisse und Eingangsräume
Häufig sind so genannte Tunnelerlebnisse. Nachdem der Reisende seinen Eingang hinter sich gelassen hat, fühlt er sich plötzlich in eine Art Röhre oder einen dunklen Tunnel hineingezogen, der mehr oder weniger steil nach unten führt. Manchmal haben diese Röhren den Charakter von Wellrohren, oder ihre Wände zeigen spiralige Linien. Durch solche Eingänge kann man gehen, laufen, fliegen oder fallen.
Es muss aber nicht immer ein Tunnel oder eine Röhre sein. Andere Menschen finden sich stattdessen unmittelbar nach dem Eintritt in die untere Welt in dunklen kellerartigen Räumen wieder, mit Treppen, die weiter hinabführen, oder in weiträumigen natürlichen Grotten und Tropfsteinhöhlen. Wieder andere sehen sich zunächst unter Wasser.
Erlebnisse in den ersten Räumen
Alle Anfangsphasen einer Reise in die untere Welt können in eine Landschaft münden. Das kann ein Gebirge sein, ein Hügelland, aber auch eine Steppe, Wüste oder ein Meeresufer. Man kann sich aber auch in einer Großstadt wiederfinden, genauso wie im Inneren eines Palasts. Eine weitere Variante ist ein dunkler, leerer Raum, in dem der Reisende scheinbar stecken bleibt. Manchmal stellt sich dieser Raum auch gleich nach dem Reisebeginn ein. Das bedeutet nicht, dass die Reise erfolglos ist. Solche Räume sind oft äußerst nützlich. Vielfach finden sich Menschen dort wieder, die im Alltag mit viel Stress zu kämpfen haben und erst einmal zu sich selbst finden müssen, bevor sie weiterkommen.
Durch die Intensität des Erlebens während einer Reise verändert sich die Zeitwahrnehmung. Während tatsächlich vielleicht nur eine Viertelstunde vergangen ist, hat der Reisende nach seiner Rückkehr häufig das Gefühl, sehr viel länger fort gewesen zu sein.
Wesen, die einem begegnen können
Wer in eine wie auch immer geartete Landschaft gelangt ist, kann dort - abgesehen von Pflanzen - ganz allein gewesen sein. Oft begegnen einem aber schon auf der ersten Reise Tiere oder auch andere Menschen. Sie müssen keineswegs unseren Sehgewohnheiten entsprechen. Pferde mit Flügeln sind ebenso vorstellbar wie sprechende Fische oder Menschen mit Tierköpfen. Manchmal laden einen diese Wesen ein, mit ihnen gemeinsam eine Besichtigungsreise zu unternehmen. Dann sitzt man vielleicht auf einer Riesenschildkröte und fliegt mit ihr über eine endlose Sandwüste, oder ein Adler trägt einen durch ozeanische Korallengärten.
Den richtigen Rückweg einschlagen
Wenn die Trommel zur Rückkehr ruft, brechen Sie die Reise ab, indem Sie Ihren Weg in umgekehrter Reihenfolge zurücklegen. Das geht im Allgemeinen ohne weiteres Nachdenken und sehr rasch. Sie können auch auf Abkürzungen wieder in den Alltag zurückkehren, von wo aus Sie Ihre Reise in die andere Realität begonnen haben. Die Rückkehr auf demselben Weg wie dem Hinweg ist aber - besonders für Anfänger - sinnvoller. Man bekommt von Anfang an ein besseres Gespür dafür, wie man später selbst aktiv in das Reisegeschehen eingreifen kann.
Die Sprache der Seele
Wahrscheinlich haben Sie jetzt bereits Erfahrungen in der unteren Welt gesammelt und sind vielleicht ebenso überrascht wie irritiert von dem, was Ihnen begegnet ist. Die meisten Neulinge blicken auf wunderschöne Reiseerlebnisse zurück und wären gerne noch länger geblieben. Andere geben auch zu, dass sie etwas Angst verspürt hätten, weil sie nur in dunklen Kellerräumen herumgestolpert wären und dabei die Anwesenheit von unsichtbaren Kreaturen gefühlt hätten.
Gemeinsam ist den meisten Anfängern die Frage, ob sie das alles wirklich erlebt oder es sich nur eingebildet haben. Dazu lässt sich nur sagen, dass sie das noch eine ganze Weile nicht so recht unterscheiden können werden. In einigen verbindlichen Sätzen erklären lässt sich der Unterschied auch nicht. Stellen Sie die Frage daher erst einmal hintan. Später klärt sich für Sie alles von selbst.
Wichtiger ist zunächst etwas ganz anderes. Was bewirken all diese Erlebnisse? Warum erleben wir Tunnel, Höhlenlabyrinthe oder Berglandschaften, über die uns ein geflügeltes Pferd trägt? Was können wir damit anfangen?
Den Philosophen der Aufklärung gemeinsam war die Abkehr von der Vorstellung der Glaubenswahrheit der Theologie und die Überzeugung, die Vernunft sei die letztgültige Instanz zur Beurteilung dessen, was wahr ist.
Was ist eigentlich Wirklichkeit?
Um hierauf eine Antwort zu finden, muss ich mit einigen Irrtümern aufräumen, die im Abendland weit verbreitet sind und ihren Anfang bereits in der Philosophie der griechischen Antike nahmen. Seitdem schleppen wir sie in allen nur denkbaren Spielarten mit uns herum und werden durch sie als unserem kulturellen Hintergrund geprägt.
Von den griechischen Naturphilosophen über die mittelalterlichen Scholastiker hin zu den Aufklärern, Geschichts-, Transzendental- und Existenzphilosophen der Neuzeit reißt die müßige, weil ergebnislose philosophische Diskussion darüber nicht ab, was Wirklichkeit an sich ist, was wir in ihr wahrnehmen können und was nicht, und wie diese Wahrnehmungen überhaupt möglich sind. Dabei unterliegen alle diese Denker demselben, meiner Meinung nach der Philosophie generell innewohnenden Irrtum: Sie denken, und sie begnügen sich mit dem Denken. Denken aber geschieht immer in der Sprache des Geistes.
Wie wir Wirklichkeit erfassen können
Was aber, wenn es Ebenen der Wirklichkeit gibt, die sich dem verbalen Denken völlig entziehen? Schließlich gibt es viele Dinge um uns herum, die sich weder analysieren noch diskutieren lassen, weil sie nicht unseren Verstand, sondern unmittelbar unsere Seele ansprechen.
Nehmen wir als Beispiel den Versuch, ein Kunstwerk zu erfassen. Dazu stehen uns verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Wir können ein Gemälde rein wissenschaftlich erforschen. Das bedeutet, Farbanalysen vorzunehmen und technische Hilfsmittel, wie ein Mikroskop oder Röntgengerät, zu bemühen. Dasselbe Werk können wir auch geschichtsphilosophisch diskutieren. So werden wir versuchen, den Zeitgeist zu begreifen, in dessen Rahmen es entstand. Ein Schamane hingegen wird das Bild primär mit seiner Seele betrachten. Die Erkenntnisse, die sich ihm dadurch darbieten, sind durchaus eine Form der Wirklichkeit.
In anderen Kulturkreisen, im alten Indien oder Ägypten etwa, ebenso wie in den großen chinesischen Heilslehren, im Shintoismus oder in den schamanischen Gesellschaften, geht man ganz selbstverständlich von der Existenz von Wirklichkeiten aus, die sich nicht logisch erklären und in Worte fassen lassen. Die Sprache dient hier allenfalls dazu, diese Realitäten durch Gleichnisse zu beschreiben.
Die großen Offenbarungsschriften sind voll von Parabeln. Eine der großartigsten Reden Christi, die Bergpredigt, ist weitestgehend in Bildern ausgedrückt, die dem Verstand nur schwer, der Seele aber intuitiv zugänglich sind.
Die Wirklichkeit der Schamanen
Die Seele hat ihre eigene Sprache. Aber diese kennt keine Worte. Das übersehen Philosophen ebenso regelmäßig wie Naturwissenschaftler. Ansatzweise erkannt hat diese Tatsache allenfalls die moderne Psychoanalyse.
Die nicht alltägliche Realität der Schamanen ist eine andere als die der abendländischen Denker. Sie fragt nicht nach Zusammenhängen von Ursache und Wirkung oder nach Begründungen, sondern nur nach Tatsachen. Schamanisch arbeiten bedeutet daher auch Tatsachen zu schaffen, sie zu verändern oder zu beseitigen; je nachdem, ob sie erwünscht sind oder nicht. So einfach ist das. Als Mittel dafür dient alles, was sich in der Praxis bewährt, ganz gleich, ob es nun einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise zugänglich ist oder nicht.
Die Einheit von Wirkung und Wirklichkeit
Einige Beispiele mögen dies illustrieren. Ein Kranker wendet sich an einen Heiler, bekommt von diesem kleine weiße Kügelchen verabreicht und wird davon gesund. Der schulmedizinisch ausgebildete Arzt wird dazu meinen, dass der Kranke einem Scharlatan aufgesessen sei, denn die Kügelchen bestehen aus nichts anderem als Milchzucker, sind aus seiner Sicht also keine Arznei. Dass der Patient dennoch gesund geworden ist, schreibt der Arzt dem so genannten Placeboeffekt zu. Der Schamane dagegen nennt die Kügelchen Medizin, denn schließlich bewirkten sie, dass der Kranke jetzt gesund ist.
Arzt und Schamane sind sich nicht über die Heilung uneins, nur über den Wirkmechanismus. Der Arzt ist der Meinung, die Ursache für die Genesung liegt nicht in den Pillen, sondern in der seelischen Bereitschaft des Patienten, gesund zu werden. Dem Schamanen ist das gleich, denn für ihn zählt allein, dass der Kranke gesund wurde.
Ein Placebo ist ein Scheinmedikament, das keine Arznei enthält. Dieses kann jedoch subjektiv seelisch und dadurch heilsam wirken, weil der Patient großes Vertrauen in die scheinbare Arznei setzt.
Die Bedeutung der inneren Haltung
Wenn nun der Arzt versucht, den Patienten darüber aufzuklären, dass nicht die Arznei ihn geheilt habe, dann vernichtet er damit zugleich ihre Heilwirkung. Ein zweites Mal wird sie bei derselben Beschwerde nicht helfen. Der Schamane verhält sich genau entgegengesetzt. Er wird seinen Patienten darin bestärken, dass er genau das richtige Medikament bekommen hat. Bei einem zweiten Mal wird die innere Überzeugung des Patienten von der Wirkung der Arznei damit sogar wachsen.
Die Bedeutung der individuellen Seele
Wer nun meint, diese Haltung als Aberglauben abtun zu können, der irrt sich. Bei der Heilung dieses Kranken war weit mehr als nur ein Placeboeffekt im Spiel. Derselbe Schamane, der dem Patienten A gegen seine Leiden jene Milchzuckerkügelchen verabreichte, wird den Patienten B bei gleichartigen Beschwerden wahrscheinlich ganz anders behandeln. Das unterscheidet ihn vom Schulmediziner, der bei einem gleichartigen Befund die gleiche Arznei verordnet. Der Arzt behandelt den Körper, der Schamane heilt die individuelle Seele.
Die Kügelchen sind nur ein äußerlich sichtbares Vehikel für seine Arbeit. Er weiß, dass sie nicht aufgrund ihrer Inhaltsstoffe heilsam wirken, sondern aufgrund des Geistes, in dem er sie dem Kranken verabreicht. Dieser liebevolle Geist wirkt auf die Seele und so auf den ganzen Menschen. Niemand wird bestreiten, dass Liebe heilen kann, während Gefühlskälte krank macht oder die Gesundung behindert.
Für den Genesungsprozess des Patienten ist es sehr wichtig, dass er im tiefsten Inneren davon überzeugt ist, ein unfehlbares Heilmittel zu sich zu nehmen. Dann erst wirkt es auf seine Seele, und diese ist es, die vor allem anderen geheilt wird. Das Körperliche ergibt sich dann von selbst. Die Seele aber fragt nicht nach Logik, sie verlangt Vertrauen und Liebe.
Das innere Geschehen entzieht sich der Analyse des Verstands. Hier handelt es sich um Realitäten der Seele, die sich nicht in Worte fassen lassen.
Das Wissen um die Heilwirkung auf die Seele
Der Schamane bedient sich Techniken, die in erster Linie auf die Seele eines Kranken wirken. Den einen Patienten behandelt er mit Gesang, den anderen durch Handauflegen, einen dritten durch Anschreien und seelisches Wachrütteln, einen vierten mit kleinen weißen Kügelchen.
Das Wissen um die Heilwirkung all dieser Maßnahmen bezieht der Schamane nicht aus eigener Kenntnis oder Erfahrung, denn er ist selbst nur ein Mensch, und als solcher kann er sich natürlich auch irren.
Seine Krafttiere, seine Hilfsgeister, seine spirituellen Lehrer führen ihm dieses Wissen zu. Dieses ist von ungeheurer Wichtigkeit. Wäre das schamanische Heilwissen lediglich auf Erfahrungen gestützt, dann bestünde immer noch die Möglichkeit von Unzuverlässigkeiten bei deren praktischer Umsetzung.

Iatren (Heilwirkungen) spielen sich tief im Inneren der Seele ab, wie bei dieser Pilgerin in Tschenstochau. Sie ist von der religiösen Freude sichtlich überwältigt.
Verstandene und gefühlte Wirklichkeit
Warum ist das Prinzip der Heilung über die Seele für Rationalisten und Naturwissenschaftler so schwer zu begreifen? Wer seine Welt aufmerksam wahrnimmt, begegnet doch tagtäglich Beispielen, die dieses Prinzip belegen. Da sieht ein Mensch, den starke Depressionen plagen, einen bunten Schmetterling über eine sonnenbeschienene Wiese gaukeln. Freude erfüllt ihn bei diesem Anblick, vielleicht beginnt er vor Glück sogar darüber zu weinen und ist von seiner Niedergeschlagenheit geheilt. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus ist dieses Phänomen unbegreiflich, schließlich ist einem Schmetterling keine objektive Heilwirkung auf ein depressives Gemüt nachzuweisen.
Der Schamane hingegen wird sagen: »Der Geist des Schmetterlings hat die Seele des Kranken geheilt.« Ist das bloß Aberglaube? Begreift man den Satz wortwörtlich, dann vielleicht. Doch genau wortwörtlich will der Schamane auch gar nicht verstanden werden. Er spricht einfach in der Sprache der Seele, die den Verstand überhaupt nicht mehr erreicht. Und doch hat er in seiner verstandesfremden Sprache nichts anderes als beobachtbare Wirklichkeit beschrieben: »Hier war ein depressiver Mensch. Dann kam ein Schmetterling. Sein Anblick hat den Menschen von seinen Depressionen befreit.« Was an diesen Tatsachen ist also unglaublich?
Nicht jede Wirklichkeit ist nur deshalb real, weil sie sich wissenschaftlich er- und begründen lässt.
Trauma und Iatra
Nehmen wir ein anderes Beispiel, an dem deutlich wird, dass man durch künstliche Beeinflussung von außen am Verstand vorbei direkt auf die Seele einwirken kann. Traumata entstehen beispielsweise durch das Erlebnis eines schweren Unglücks, einer schweren Misshandlung, eines Unfalls. Das Wort »Trauma« bedeutet ursprünglich nichts anderes als Verletzung des Körpers wie der Seele. Um ein Trauma zu heilen, bedarf es des heilkundlichen Wissens, der Iatrik. Ich erlaube mir deshalb, der seelischen Erkrankung »Trauma« den Begriff des gezielt herbeiführbaren die Seele heilenden »Iatra« gegenüberzustellen.
Iatren sind ebenso wirklich wie Traumata. Ein Schamane ist ein Spezialist für diese Iatren. Er ruft aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten gezielt Iatren bei seinen Patienten hervor, indem er unmittelbar mit deren verletzter Seele kommuniziert und dabei den Verstand ganz bewusst umgeht oder sogar ablenkt.
Das Land der Seele
Wie sich die Realität der Seele für einen Schamanen im Vergleich zur äußeren Wirklichkeit der Sinne und der Materie darstellt, lässt sich anhand eines schamanischen Reiseprotokolls sehr deutlich zeigen. Dazu sollten wir uns im Vorfeld die wesentlichsten Aspekte des schamanischen Menschenbilds vor Augen führen.
Eine Seele, die frei und glücklich ist, kann sich in Weisheit und Zufriedenheit entfalten.
Spuren in der Außen- und der Innenwelt
Wann immer ein Mensch etwas tut, sieht, anderweitig wahrnimmt oder empfindet, wünscht oder denkt, hinterlässt das eine Spur. Manche dieser Spuren sind groß und dauerhaft wie beispielsweise ein Haus, das jemand gebaut hat; andere fallen kaum auf, wie das flüchtige Lächeln nach einem liebevollen Gedanken, wie schamhaftes Erröten oder der für Sekundenbruchteile verhaltene Atem nach einer Überraschung. Spuren aber gibt es immer.
Doch nicht nur in der Welt der Sinne und des Verstands zeichnen sich solche Spuren ab. Jeder Mensch lebt zugleich noch in einer anderen Welt, der Welt der Seele. Die Spuren, die hier entstehen, haben andere Qualitäten als jene in der äußerlich wahrnehmbaren Welt. Sie sind dauerhafter und nach ganz anderen Maßstäben ausgerichtet.
Seelenwohnung und Seelenumgebung
Baut beispielsweise ein Architekt einen Wolkenkratzer, so muss das im Land seiner Seele gar nicht besonders auffallen. Stattdessen setzt vielleicht der flüchtige Anblick eines bunten Schmetterlings, der über einer sonnigen Blumenwiese flattert, im Seelenland eine weithin sichtbare Marke.
Weise Menschen kennen den Lebensraum ihrer Seele ganz genau. Sie wissen, ob sie in einer versteckten Hütte tief im Wald wohnt, auf einer Insel inmitten eines Sees oder in einer Etagenwohnung in einem anonymen Wohnblock. Sie wissen, ob sie gern auf Reisen geht oder lieber zu Hause bleibt. Im Land unserer Seele können wir genauso planen, bauen und gestalten wie im Land der Sinne und des Verstands. Wir können die Wohnung unserer Seele auch so einrichten, dass sie sich darin wohl fühlt, mit wohlbestellten Gärten oder Wegen zu schönen Aussichtspunkten.
Warum die Kenntnis der Seelenlandschaft so wichtig ist
Jenen weisen Menschen bleiben auch die Seelenlandschaften ihrer Mitmenschen nicht verborgen. Wenn diese es zulassen, können sie dort zuweilen sogar etwas gerade rücken oder anderweitig für Ordnung sorgen.
Wer allerdings nicht weiß, wo und wie seine Seele wohnt und womit sie sich umgibt, der muss mit einer sehr starken Seele oder einem schwachen Verstand gesegnet sein, um auf Dauer nicht krank zu werden oder nicht unter einer inneren Daseinsangst zu leiden. Viele Menschen haben vom Land ihrer Seele gar keine oder nur eine sehr vage Vorstellung, der Hauptgrund weshalb viele von Beschwerden geplagt werden.
Ein bildhaftes Beispiel führt oft schneller zum tieferen Verständnis eines Zusammenhangs als es mehr oder weniger abstrakte Ausführungen vermögen.
Bericht von einer Seelenreise
Ziel der hier aufgezeichneten Reise war es, die zahlreichen seelischen und körperlichen Leiden einer Klientin von Grund auf spirituell zu verstehen, bevor eine Behandlung beginnen konnte. Die in dem Protokoll geschilderten äußeren Umstände der Klientin entsprechen nicht eins zu eins ihren tatsächlichen Lebensumständen. Das hängt damit zusammen, dass sie eben nicht in der Sprache des Verstands, sondern gleichnishaft in Bildern der Seelensprache ihren Ausdruck fanden.
Die äußere Welt
Frau Sihet ist eine recht attraktive und in der Welt der Sinne und des Verstands sehr erfolgreiche Frau mittleren Alters. Sie stammt aus einem wohlsituierten, harmonischen Elternhaus, genoss eine gute Schulbildung, ist mit einem leitenden Angestellten verheiratet, dessen Karriere ihn bis in die Vorstandsetage führte und betreibt selbst eine gut gehende kleine Boutique.
Ihre beiden Kinder, ein älterer Sohn und eine Tochter, sind bereits erwachsen und stehen auf eigenen Füßen. Die Altersversorgung von Frau Sihet ist geregelt, eventuelle Krankheitsfälle deckt eine umfassende private Krankenversicherung ab. Andere Versicherungen schloss das Ehepaar gegen Unfall, Feuer, Sturm- und Wasserschäden, Einbruch, Diebstahl und andere mehr oder weniger wahrscheinliche Risiken des Lebens ab. Die Förderung der Kinder hat die Familie finanziell kaum belastet, denn für das Studium kam eine Ausbildungsversicherung, für die Hochzeit der Tochter eine Mitgiftversicherung auf. Rechtsschutz, Kraftfahrzeug-Schutzbriefe, private Haftpflicht-, Reiserücktritts- und Reisewetterversicherungen schlossen auch die letzten Lücken im Sicherheitsbedürfnis der Familie Sihet. Ihrem Leben konnte nichts etwas anhaben...
Die Befindlichkeit der Klientin
Frau Sihet hätte - so könnte man meinen - allen Grund, rundum glücklich zu sein. Aber sie war es ganz und gar nicht. Sie fühlte sich oft verkrampft und ausgelaugt zugleich, klagte über ständige Müdigkeit, konnte nachts dennoch kaum schlafen, litt unter Alpträumen und innerer Unruhe und wurde schließlich von einer ganzen Reihe lästiger körperlicher Probleme geplagt. Rückenschmerzen, Verdauungsschwierigkeiten und Migräneanfälle waren dabei noch die geringsten Übel. Mehr zu schaffen machten ihr immer wiederkehrende Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre, gelegentliche Hautreizungen, ihre Anfälligkeit für allerlei Infektionskrankheiten sowie Herzrhythmusstörungen und Atemnot. Zwei Operationen im Darmbereich und eine Gebärmutterausschabung musste sie schon über sich ergehen lassen. Zu alledem kam die ständige Furcht vor dem Altern.
Der Klientin ist die Sicherheit in sich selbst verloren gegangen. Möglicherweise hatte sie auch niemals die Chance, diese überhaupt zu entwickeln.
Auf der Suche nach Auswegen
Frau Sihet versuchte die Ursachen für ihre diversen Leiden zu ergründen. Sie verfiel zunächst auf die Esoterik und glaubte an eine schwere karmische Belastung. Überzeugt davon, eine alte Schuld aus einem früheren Leben abtragen zu müssen, vertraute sie sich verschiedenen spirituellen Meistern an, die versuchten, ihr mit Aura- oder Chakratherapien beizukommen sowie mit so genannten Rückführungen in frühere Leben, und ihr obskure Lebensmittel verordneten.