- -
- 100%
- +
1.2.1Wirkungsweise
Die meisten Antidepressiva verstärken die Wirkung der beiden Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin, indem sie ihre Wiederaufnahme im synaptischen Spalt hemmen. Dadurch werden die Transmitter häufiger an den Rezeptoren angebunden und bewirken eine verstärkte Weiterleitung eintreffender Reize. Manche Antidepressiva wirken mehr auf den Neurotransmitter Serotonin (z. B. die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI), andere wiederum ausschließlich auf Noradrenalin (Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, NARI). Von dualer Wirkung spricht man, wenn beide Systeme beeinflusst werden, wie bei den trizyklischen Antidepressiva oder den selektiven Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI). Anders wirkende Medikamente blockieren den chemischen Abbau der Neurotransmitter, indem sie die Wirkung von Abbauenzymen (Monoaminooxidase) hemmen (MAO-Hemmer).
1.2.2Klinische Anwendung und Indikationen
Bei Antidepressiva besteht kein Abhängigkeitspotenzial, sie sind in der Regel gut verträglich, führen zu keiner Organschädigung und bewirken auch keine Persönlichkeitsveränderung. Der Begriff „Antidepressivum“ ist irreführend, da mittlerweile neben depressiven Störungen eine Reihe weiterer psychischer Störungen mit dieser Substanzgruppe behandelt wird. Die Wirkungen umfassen neben Stimmungsaufhellung und Antriebsnormalisierung auch Angstlösung („Anxiolyse“), Beruhigung, Sedierung und Schmerzdistanzierung. Wegen der häufig zu Beginn auftretenden Nebenwirkungen ist eine niedrige Dosis bei erstmaliger Einnahme hilfreich. Der Wirkeintritt erfolgt meist erst nach ein bis drei Wochen, was dazu führt, dass beispielsweise eine Stimmungsaufhellung nicht immer der Wirkung des Antidepressivums zugeordnet werden kann. Die Therapie ist nur dann sinnvoll, wenn sie über einen längeren Zeitraum erfolgt. Beispielsweise ist bei rezidivierenden depressiven Störungen eine oft jahrelange prophylaktische Einstellung notwendig. Indikationen für eine Pharmakotherapie mit Antidepressiva sind u. a. depressive Syndrome (depressive Störungen, Belastungsreaktionen), Angsterkrankungen (Panikstörung, Agoraphobie), Zwangsstörungen, Schlafstörungen, Somatisierungsstörungen und Essstörungen.
1.2.3Substanzgruppen und Nebenwirkungen
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI
SSRI sind die am häufigsten verschriebenen Antidepressiva mit geringen Nebenwirkungen. Die unerwünschten Wirkungen treten meist nur in den ersten Wochen der Einnahme auf und umfassen Übelkeit, Unruhe, Schlafstörungen und sexuelle Funktionsstörungen. Die Einnahme ist nur einmal pro Tag (morgens) notwendig.
Zu den SSRIs zählt man Fluoxetin (Fluctine®), Fluvoxamin, Paroxetin (Seroxat®), Sertralin, Citalopram (Seropram®) und Escitalopram (Cipralex®).
Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, NARI
Die Einnahme erfolgt zweimal pro Tag. Als seltene Nebenwirkungen beobachtet man Kältegefühl, Harnverhalt, Zittern und Kopfschmerzen. Der einzige am Markt befindliche „NARI“ ist Reboxetin (Edronax®).
Monoaminoxidasehemmer, MAO-Hemmer
MAO-Hemmer werden selten eingesetzt, da die Gruppe mittlerweile von anderen Antidepressiva verdrängt wurde. Hierzu zählt man Moclobemid (Aurorix®).
Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, SNRI
Die SNRIs werden meist erst dann eingesetzt, wenn mit anderen Antidepressiva kein Erfolg zu verzeichnen ist. Das Nebenwirkungsprofil ist ähnlich wie das der SSRIs. Ein „duales Wirkprinzip“ mit Beeinflussung sowohl von Serotonin als auch Noradrenalin weisen Venlafaxin (Efectin®), Milnacipran (Ixel®) und Duloxetin (Cymbalta®) auf.
Trizyklische und Tetrazyklische Antidepressiva, TZA
Die trizyklischen Antidepressiva sind die erste Gruppe, die bereits seit den 60er-Jahren zum Einsatz kommt. Sie beeinflussen mehrere Neurotransmittersysteme, weswegen auch vermehrt Nebenwirkungen zu erwarten sind. Diese umfassen Mundtrockenheit, Müdigkeit, Akkomodationsstörungen, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall, Verstopfung und Harnverhalt. Dies ist der Grund, weswegen die TZAs stark an Bedeutung verloren haben. Der Einsatz beschränkt sich auf „therapieresistente“ depressive Störungen. Zu den noch eingesetzten TZAs gehören: Amitriptylin (Saroten®), Clomipramin (Anafranil®) und das tetrazyklische, besser verträgliche Antidepressivum Mianserin (Tolvon®).
Weitere Antidepressiva
Chemisch andersartige Antidepressiva sind Mirtazapin (Mirtel®) und Trazodon (Trittico®). Diese haben auch eine beruhigende und angstlösende Wirkung, weswegen sie abends als Schlafhilfe eingenommen werden können und bei innerer und äußerer Unruhe wirksam sind. Weitere Substanzen mit anderen Wirkmechanismen sind Agomelatin (Valdoxan®), Tianeptin (Stablon®) oder Vortioxetin (Brintellix®). Das Phytopharmakon Johanniskraut (Hypericum-Extrakt) ist wegen seiner pflanzlichen Basis bei PatientInnen beliebt, dessen Einsatz beschränkt sich jedoch auf leichte bis mittelschwere Depressionen.
1.3Phasenprophylaktika
Phasenprophylaktika sind Psychopharmaka, die zur Rückfallsverhinderung bei zyklischen Erkrankungen wie bipolaren oder schizoaffektiven Störungen entwickelt wurden. Zur Substanzgruppe zählen Lithium, Antikonvulsiva sowie manche neuere Antipsychotika.
1.3.1Wirkungsweise
Phasenprophylaktika sind bezüglich der Wirkungsweise eine heterogene Gruppe von Psychopharmaka, die bei PatientInnen Stimmungsschwankungen verhindern oder verringern sollen. Im Idealfall beeinflussen die Medikamente sowohl depressive Symptome als auch manische Zustände positiv, die Hauptindikation liegt jedoch in ihrer vorbeugenden – prophylaktischen – Wirkung. Durch regelmäßige Einnahme kann die Wahrscheinlichkeit eines neuerlichen Auftretens einer Krankheitsphase deutlich verringert werden. Lange Zeit galt Lithium als einziges Medikament, welches diese komplexen Eigenschaften einigermaßen erfüllt, in neuerer Zeit kommen Medikamente, die eigentlich zur Behandlung von Epilepsie entwickelt wurden („Antikonvulsiva“) und zunehmend auch Antipsychotika zur Anwendung.
Lithium ist ein chemisches Element, das Kalium und Natrium ähnlich ist. Dementsprechend besteht die Wirkungsweise von Lithium im Zellstoffwechsel und in der Erregung von Nervenzellen, wobei es generell zu einer Dämpfung kommt. Auch Neurotransmittersysteme werden durch Lithium beeinflusst.
Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin wirken über eine Veränderung der Kommunikation zwischen den Nervenzellen, dadurch dass die Übererregbarkeit in manchen Hirnregionen verringert wird oder die Wirkung eines Neurotransmitters (GABA) verstärkt wird. Dies erklärt auch die Senkung der Wahrscheinlichkeit von epileptischen Anfällen nach Einnahme dieser Substanzen. Die Annahme, dass auch bei extremen Stimmungsschwankungen gleichfalls eine veränderte Erregbarkeit von Nervenzellen vorliegt, führte zum bewährten klinischen Einsatz bei bipolaren Störungen.
Die Wirkungsweise von Antipsychotika wird im entsprechenden Abschnitt (siehe auch Kapitel III, 1.5, S. 47) besprochen.
1.3.2Klinische Anwendung und Indikationen
Lithium hat einen antimanischen, antidepressiven und bei der bipolaren Störung auch einen phasenprophylaktischen Effekt. Besonders geeignet scheint das Psychopharmakon bei der klassischen bipolaren Störung mit euphorischen Phasen wirksam zu sein. Durch regelmäßige Einnahme kann das Risiko des Auftretens von erneuten Episoden um 60% reduziert werden. Dennoch hat das Medikament auch Nachteile: Da schon bei geringen Überdosierungen (geringe „therapeutische Breite“) Vergiftungserscheinungen auftreten können, ist eine regelmäßige Kontrolle des Blutspiegels erforderlich. Ein Wert von 0,6 bis 0,8 mmol/l ist zur Prophylaxe gefordert und unschädlich, vorübergehend kann unter stationären Bedingungen der Spiegel auf 1,2 mmol/l angehoben werden. Die Einnahme des Präparats erfordert daher erhöhte Sorgfalt und die Dauereinstellung ist nur für einen Teil von aufgeklärten und kognitiv nicht beeinträchtigten PatientInnen möglich.
Die Antikonvulsiva Carbamazepin und Valproinsäure eignen sich neben der bipolaren Störung auch zur Behandlung von Mischzuständen und der schizoaffektiven Störung. Die Anwendung erfolgt dann, wenn eine Einstellung auf Lithium nicht möglich erscheint. Lamotrigin hingegen wirkt vorwiegend antidepressiv und hat nur ein begrenztes Anwendungsgebiet.
Antipsychotika, die ursprünglich zur Behandlung der Schizophrenie entwickelt wurden, werden in neuerer Zeit ebenso bei bipolaren Störungen eingesetzt.
1.3.3Substanzgruppen und Nebenwirkungen
Lithum
Auf die klinische Wirkung von Lithium (Quilonorm®) und sein begrenztes Einsatzgebiet wurde schon eingegangen. Mögliche Nebenwirkungen sind zu Beginn leichtes Zittern (Tremor) der Finger, Übelkeit und Durchfall. Eine dauerhafte Einnahme führt manchmal zu Gewichtszunahme, Vergrößerung der Schilddrüse, Durstgefühl und Beinschwellungen (Ödeme). Vergiftungserscheinungen treten bei Überdosierung, falscher Einnahme oder bei kochsalzarmer Diät und Flüssigkeitsmangel auf. Die lebensbedrohlichen Symptome zeigen sich als starker Tremor, Erbrechen und Übelkeit, psychische Auffälligkeiten bis hin zu Verwirrtheit, Schwindel, Sprachstörungen und Koma.
Antikonvulsiva
Zu dieser eigentlich als Mittel gegen epileptische Anfälle verwendeten Gruppe zählt man Valproinsäure (Convulex®, Depakine®), Lamotrigin (Lamictal®) und Carbamazepin (Neurotop®). Die Medikamente werden in der Regel gut vertragen und eignen sich daher zur Dauerprophylaxe bei der bipolaren Störung besonders gut. In Studien ist vor allem die Wirksamkeit von Valproinsäure gut belegt. Nebenwirkungen von Carbamazepin sind Schwindel, Müdigkeit, Übelkeit. Bei der Einnahme von Valproinsäure wurden vereinzelt Zittern, Gewichtszunahme, Haarausfall beobachtet. Die unerwünschten Wirkungen von Lamotrigin ähneln den bisher beschriebenen Substanzen.
Antipsychotika
In zahlreichen Studien werden zurzeit die neuen atypischen Antipsychotika zur Behandlung der bipolaren affektiven Störung getestet und die Ergebnisse auf wissenschaftlichen Kongressen präsentiert. Die prophylaktische und antimanische Wirkung von Aripiprazol (Abilify®), Risperidon (Risperdal®), Quetiapin (Seroquel®) ist mit jener der übrigen Phasenprophylaktika vergleichbar. Ein Vorteil gegenüber den Antikonvulsiva ist jedoch noch nicht nachgewiesen worden. Das Nebenwirkungsspektrum reicht von Gewichtzunahme bis hin zu Stoffwechselstörungen und ist demnach nicht günstiger zu beurteilen.
1.4Tranquilizer
Tranquilizer (von lat.: tranquilare, beruhigen) sind Psychopharmaka, die eine beruhigende, entspannende, angstlösende und teilweise schlafanstoßende Wirkung besitzen. Historisch gesehen zählt man die bereits im 19. Jahrhundert verwendete pflanzlichen Substanzen (z. B. Chloralhydrat) und die vor mehr als hundert Jahren entdeckten Barbiturate dazu. Auch andere Substanzen wie manche Antipsychotika oder Antidepressiva können ähnlich wirken, heutzutage versteht man unter dem Begriff Tranquilizer jedoch vorwiegend die große Gruppe der Benzodiazepine und neuere ähnlich wirkende Substanzen, wie beispielsweise Zolpidem („Non-Benzodiazepin-Hypnotika“). Benzodiazepine, die seit den 1960er-Jahren verwendet werden, zeichnen sich im Gegensatz zu den Barbituraten durch ein günstigeres Nebenwirkungsprofil und geringere Toxizität aus.
1.4.1Wirkungsweise
Benzodiazepine binden an spezifischen Benzodiazepinrezeptoren von Nervenzellen und verstärken die hemmende Funktion von gewissen Neuronen („GABAerge“ Neuronen). Sie sind deswegen hochwirksam, weil sie direkt die „Angstrezeptoren“ (GABA-System) im Gehirn blockieren und deswegen zur Anxiolyse (Angstlösung) führen.
1.4.2Klinische Anwendung und Indikationen
Benzodiazepine wirken angstlösend (anxiolytisch), entspannend, schlafanstoßend (hypnotisch), muskelentspannend (relaxierend) und senken die epileptische Krampfschwelle (antikonvulsiv). Wegen der vielfältigen Wirkung ist auch das Einsatzgebiet entsprechend groß. Benzodiazepin-Tanquilizer werden u. a. bei Angstzuständen, Schlafstörungen, Erregungszuständen, Epilepsie, Muskelverspannungen, als Operationsvorbereitung und als Alkoholentzugsmedikamente eingesetzt. Die Anwendung soll nur vorübergehend (maximal einige Wochen lang) erfolgen, da sich ein Abhängigkeitssyndrom entwickeln kann (siehe Kapitel XIII, 4).
1.4.3Substanzgruppen und Nebenwirkungen
Benzodiazepine
Alle Benzodiazepine haben ein ähnliches Wirkspektrum. Die Differenzierung erfolgt hinsichtlich des hauptsächlichen Einsatzgebiets, der Halbwertszeit und der primären Wirkung. Man unterscheidet zwischen vorwiegend angst- und spannungslösend (anxiolytisch) und vorwiegend schlafanstoßend wirkenden Benzodiazepinen. Eine weitere Gruppe wird vorwiegend als Mittel gegen Epilepsie eingesetzt.
Zu den anxiloytisch eingesetzten Benzodiazepinen zählt man Alprazolam (Xanor®), Diazepam (Valium®, Psychopax®, Gewacalm®), Lorazepam (Temesta®), Bromazepam (Lexotanil®) oder Oxazepam (Praxiten®, Anxiolit®).
Als Schlafmittel (Hypnotika) werden Triacolam (Halcion®), Lormetazepam (Noctamid®) oder Flunitrazepam (Somnubene®, Rohypnol®) eingesetzt, wohingegen Clonazepam (Rivotril®) überwiegend als Antikonvulsivum verwendet wird.
Die hautsächliche Nebenwirkung von Benzodiazepinen ist unter Umständen auch die erwünschte Wirkung, nämlich der müde machende (sedierende) Effekt. Bei älteren Menschen kann es dadurch zu Gangunsicherheit und Stürzen kommen. Manchmal besteht bei dieser PatientInnengruppe auch eine paradoxe Reaktion, statt einer Sedierung kommt es zu Unruhe bis hin zu Verwirrtheit oder Erregungszuständen. In höheren Dosen und bei chronischem Gebrauch werden bei älteren Menschen die kognitiven Funktionen beeinträchtigt. Eine längere Einnahme führt auch zu einem Gewöhnungseffekt und infolge zu einem Abhängigkeitssyndrom. Deswegen sollte man Benzodiazepine nicht als Dauermedikament einnehmen, sondern nur in einem begrenzten Zeitraum und unter ärztlicher Kontrolle.
Benzodiazepinähnliche Hypnotika („Non-Benzodiazepin-Hypnotika“) Diese Substanzgruppe unterscheidet sich strukturchemisch von den Benzodiazepinen, bindet jedoch im Gehirn an denselben Stellen. Die Wirkung, aber auch deren Nebenwirkungen mitsamt dem Abhängigkeitspotenzial, sind den Benzodiazepinen ähnlich. Zu der hauptsächlich als Schlafmittel eingesetzten Gruppe zählt man u. a. Zolpidem (Zoldem®, Ivadal®) und Zaleplon (Sonata®).
1.5Antipsychotika (Neuroleptika)
Der früher häufig verwendete Begriff „Neuroleptikum“ wurde mittlerweile durch den international anerkannten Begriff Antipsychotikum ersetzt, der auf die therapeutische Wirkung bei psychotischen Symptomen, wie Wahn oder Halluzinationen, hinweist. Diese chemisch heterogene Gruppe von Medikamenten zur Behandlung von Psychosen wie Schizophrenie gewinnt aber auch bei anderen Krankheitsbildern zunehmend an Bedeutung.
1.5.1Wirkungsweise
Der Wirkmechanismus der einzelnen Antipsychotika ist noch nicht restlos geklärt. Man geht aber von einer starken Beeinflussung bzw. Dämpfung von dopaminerger Überaktivität der Nervenzellen aus. Demnach lagern sich die Pharmaka an Dopaminrezeptoren im Gehirn an, wodurch der Rezeptor durch das Antipsychotikum vorübergehend blockiert wird. Die Blockade führt zu einer Abschwächung der elektrischen Erregbarkeit der Nervenzellen, was klinisch den antipsychotischen Effekt bewirkt. Vereinfacht ausgedrückt, können psychotische Symptome mit einer Überregbarkeit im Dopamin-System gleichgesetzt werden (Dopamin-Hypothese). Die meisten Antipsychotika beeinflussen aber auch andere Neurotransmitter und Rezeptoren und führen somit zu unterschiedlichen klinischen Effekten und Nebenwirkungen.
1.5.2Klinische Anwendung und Indikationen
Das ursprüngliche Einsatzgebiet der Antipsychotika ist die akute Behandlung der Schizophrenie. Vor allem Wahnsymptome, halluzinatorisches Erleben und Erregungszustände lassen sich rasch und effektiv mit dieser Medikamentengruppe behandeln, da gleichzeitig ein reizabschirmender und beruhigender klinischer Effekt besteht. Antipsychotika wirken aber auch prophylaktisch und verhindern Rückfälle von schizophrenen Erkrankungen, wenn sie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Die Langzeiteinnahme ist möglich, da die Substanzen kein Abhängigkeitspotenzial besitzen. In neuerer Zeit werden manche Antipsychotika auch bei Manien und bei bipolaren Störungen als Phasenprophylaxe eingesetzt. Weitere Indikationen sind u. a. demenzielle Erkrankungen, Alkohol- und drogeninduzierte Psychosen, Verwirrtheitszustände (Delir), Schlafstörungen, Spannungszustände bei Persönlichkeitsstörungen oder affektiven Störungen sowie Schmerzsyndrome. Meist erfolgt die Einnahme von Antipsychotika durch Tabletten (oral), wobei manche Antipsychotika auch in Injektionsform (Ampullen) vorliegen. Zur Rückfallsverhütung von schizophrenen Erkrankungen haben sich auch „Depotformen“ bewährt, die nur alle zwei bis vier Wochen durch Injektion in den Gesäßmuskel verabreicht werden. Die Substanzen, die in einer speziellen Verbindung vorliegen, werden langsam im Laufe von ein bis vier Wochen aus dem Muskel freigesetzt und entfalten so ihre Wirkung (siehe Kapitel VI, 1.7.1).
1.5.3Substanzgruppen und Nebenwirkungen
Die Einteilung von Antipsychotika ist nach verschieden Gesichtspunkten möglich, wie z. B. nach der chemischen Struktur oder der antipsychotischen Wirksamkeit. Letzteres Einteilungsprinzip („neuroleptische Potenz“) unterscheidet hochpotente Antipsychotika, die in mittlerer Dosierung eine gute antipsychotische Wirkung zeigen, von niedrigpotenten, die nur gering antipsychotisch eingestuft werden und vorwiegend eine sedierende Komponente aufweisen. Ebenso lassen sich Antipsychotika in konventionelle ältere und „atypische“ neuere unterteilen.
Konventionelle hochpotente Antipsychotika
Zu dieser Substanzgruppe zählt man vor allem Haloperidol (Haldol®), welches sich durch eine gute antipsychotische Wirksamkeit auszeichnet, aber langfristig zu Bewegungsstörungen (extrapyramidalmotorische Symptome), wie Schlundkrämpfe, starre Mimik, kleinschrittiger Gang und Muskelsteifheit führt. Diese auch als „Parkinsonsyndrom“ bezeichnete Symptomatik war als gefürchtete Nebenwirkung bei der ersten Generation der (konventionellen) Antipsychotika anzutreffen und führte nicht selten zum vorzeitigen Absetzen der Medikamente. Haloperidol ist dennoch ein notwendiges Medikament in der Psychiatrie, das sich bei deliranten Zustandsbildern und Erregungszuständen aufgrund seiner guten Kreislaufverträglichkeit bewährt hat. Zuclopenthixol (Cisordinol®) wird aufgrund des Nebenwirkungsprofils nur mehr sehr selten verabreicht.
Niedrigpotente Antipsychotika
Diese Gruppe von Psychopharmaka wirkt bei mittlerer Dosierung kaum antipsychotisch, jedoch stark sedierend. Diese Substanzen sollen wegen der Nebenwirkungen (Blutdruckabfall, Tachykardie, Atemnot) nur bei starker psychomotorischer Erregung als Zusatzmedikation oder als Schlafmittel verwendet werden. Zu den niedrigpotenten Antipsychotika zählt man Chlorprothixen (Truxal®), Levopromazin (Nozinan®) oder Prothipendyl (Dominal®).
Atypische Antipsychotika
Die Bezeichnung „atypisch“ bezieht sich auf die fehlende Nebenwirkung des Parkinsonsyndroms, das diese Gruppe von Antipsychotika mehr oder weniger auszeichnet. Das erste „Atypikum“, welches keine Bewegungsstörungen (Parkinsonsyndrom) auslöst, ist Clozapin (Leponex®). Es gilt als das wirksamste Medikament in der Behandlung der Schizophrenie, hat jedoch eine Reihe von Nachteilen, weswegen es nur bei therapieresistenten Fällen verwendet werden darf. Neben starker Müdigkeit und Gewichtszunahme ist eine Blutbildveränderung (Leukozytenabfall) als unerwünschte Wirkung möglich. Regelmäßige Blutbildkontrollen sind deswegen notwendig, und bei einem Abfall der Leukozytenzahl im Blut ist das Präparat abzusetzen.
In den letzten Jahren kamen ein Reihe von Weiterentwicklungen von atypischen Antipsychotika auf den Markt, die primär zur Schizophreniebehandlung entwickelt wurden, nun aber ebenso bei bipolaren Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Demenzen zum Einsatz kommen sollen. Obwohl diese Medikamente statistisch gesehen weniger Bewegungsstörungen verursachen, sind sie nicht frei von anderen unangenehmen Nebenwirkungen. Bei manchen atypischen Antipsychotika kommt es zu Gewichtszunahme, Stoffwechselstörungen, Herzrhythmusstörungen, Blutbildveränderungen und bei Frauen zu Störungen der Menstruation sowie Brustvergrößerung mit Milchfluss. Zu den „Atypika“ zählt man neben Clozapin (Leponex®), Risperidon (Risperdal®), Olanzapin (Zyprexa®), Quetiapin (Seroquel®), Amisulprid (Solian®), Ziprasidon (Zeldox®) und Aripiprazol (Abilify®).
1.6Weitere Psychopharmaka
1.6.1Antidementativa
Antidementativa sind zentralnervös wirksame Substanzen, die Hirnfunktionen wie Konzentration, Lern- und Denkfähigkeit sowie Gedächtnisleistungen verbessern und Beeinträchtigungen von Alltagsaktivitäten verringern sollen. Zielgruppe sind ältere PatientInnen, bei denen ein cerebrales Abbaugeschehen im Sinne einer Demenz vorliegt. Seit mehreren Jahren werden Medikamente eingesetzt, denen man eine Wirksamkeit bei verschiedenen Demenzerkrankungen oder allgemeiner Vergesslichkeit nachsagt, wie beispielsweise Piracetam (Nootropil®), Ginkgo biloba (Tebonin®) oder Flunarizin (Tebofortan®). Für diese gern verabreichten Präparate liegen allerdings keine oder wenige wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweise vor, sodass ExpertInnen mittlerweile keine Empfehlungen für ihren Einsatz abgeben. Zwei Substanzgruppen haben sich jedoch in wissenschaftlichen Studien als wirksam herausgestellt und finden zunehmend Verbreitung: Zur ersten Gruppe gehören die Cholinesterasehemmer, die den bei AlzheimerpatientInnen bestehenden Mangel des Neurotransmitters Acetylcholin ausgleichen und Hirnleistungen verbessern können. In der Regel wird aber nur der Krankheitsverlauf verlangsamt oder sein rasches Fortschreiten nur kurzfristig verzögert. Die Erkrankung selbst kann durch Einnahme dieser Psychopharmaka nicht verhindert werden. Zu den Cholinesterasehemmern zählt man Donezepil (Aricept®), Rivastigmin (Exelon®) und Galanthamin (Reminyl®). Bei der zweiten Gruppe, den Memantinen, liegen ebenso zahlreiche Studien zur Wirksamkeit vor. Das Memantin (Axura®, Ebixa®) beeinflusst den gestörten Stoffwechsel des Neurotransmitters Glutamat und wird zur Behandlung von mittelschweren und schweren Demenzen eingesetzt (siehe Kapitel XIV, 1.5.1).
1.6.2Psychostimulanzien
Psychostimulanzien sind psychisch anregende und antriebsstimulierende Arzneimittel, die kurzfristig leistungs- und konzentrationssteigernd wirken, das Hungergefühl unterdrücken und in hohen Dosen eine Euphorie auslösen können. Unkontrollierte Einnahme kann zu einem Abhängigkeitssyndrom führen. Die Wirkung erfolgt durch Beeinflussung des Katecholaminstoffwechsels im synaptischen Spalt mit Erhöhung von Dopamin und Noradrenalin. Zur Gruppe der Stimulanzien zählt man neben Koffein, Nikotin, Kokain oder den Weckaminen (Amphetamine) Medikamente gegen die Aufmerksamkeits-Defizitstörung (ADHS). Diese vor allem bei Kindern und zunehmend auch bei Erwachsenen diagnostizierte Störung zeichnet sich durch gesteigerte Aktivität, Unruhe, erhöhte Ablenkbarkeit und Konzentrationsstörungen aus. Das bekannteste Medikament ist Methylphenidat (Medikinet®, Ritalin®), welches auf noch nicht ganz geklärte Weise zu Beruhigung und Nachlassen der Impulsivität und Hyperaktivität führt. Bei richtiger Indikation ist die klinische Wirkung beeindruckend und die Suchtentwicklung vernachlässigbar. Methylphenidat soll jedoch nur im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans mit Berücksichtigung psychosozialer Bedingungen verabreicht werden (siehe Kapitel XVI).





