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>>Ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich, damit rechne ich überhaupt nicht. Auf Wiedersehen.<<
>>Auf Wiedersehen, Frau Rozina.<< Die Lehrerin zog den Kopf in den Nacken und breitete die Arme aus.
Auch die zweite Klasse der Grundschule schloss Marco mit ausgezeichnetem Erfolg ab und beglückte somit seine Mutter. Er ging regelmäßig zum Religionsunterricht, da er die Erstkommunion und Firmung empfangen sollte. Auf Befehl seiner Mutter musste er jeden Tag die Bibel und die Evangelien lesen. Eines Tages merkte der bereits 10-jährige Marco, dass seine Mutter wieder schwanger war. Das nervte ihn und ihr Gesundheitszustand bereitete ihm Sorgen, aber er sagte ihr nichts darüber. Die schöne Rozina brachte ihre Tochter Marija zur Welt. Sie erholte sich sehr schnell und widmete sich ihrer Familie. Marco, der schon in die vierte Klasse ging, saß lesend auf dem Stuhl vor dem Haus. Rozina kam zur Eingangstür: >>Marco, hast du gelernt, was du zu lernen hattest?<<, fragte sie ihn.
>>Nicht so gut.<<
>>Beeil dich! Du musst in die Kirche zum Religionsunterricht.<<
>>Mach dir keine Sorgen, Mama. Gabriel wird mich holen. Außerdem kann ich Religion.<<
>>In Ordnung, mein Sohn.<<
Marco machte sich mit Gabriel und noch einer Gruppe von Gleichaltrigen auf den Weg Richtung Kirche. Aber wie oftmals zuvor ging er zu den Jungs, die Fußball auf einer größeren Wiese spielten.
>>Marco, wo gehst du hin? Du musst in die Kirche gehen!<<, sagte Gabriel.
>>Ich werde nicht mehr in die Kirche gehen. All das ist mir zu langweilig geworden. Außerdem kenne ich den ganzen Religionsunterricht.<<
>>Weißt du, was du da sagst?<<
>>Geh mit uns, Marco, du bist kein Kommunist<<, sagte ein dunkelhaariger Junge.
>>Du bist auch kein Atheist<<, fügte ein blondes Mädchen hinzu.
>>Alle Leute, die nicht in die Kirche gehen, sind im Grunde Kommunisten oder Atheisten<<, fügte ein fülliger blonder Junge hinzu und dann brach er in Gelächter aus.
>>Marco, was ist mit dir los, um Himmels willen?<<, fragte Gabriel etwas leiser, da er nicht wollte, dass die anderen Kinder ihn hören. >>Was sagst du da vor ihnen? Du weißt, dass sie alles ihren Eltern erzählen, werden und die werden es Markan und Rozina weitererzählen. Markan wird dich umbringen, wenn er das herausfindet. Auf der anderen Seite ist es nicht das erste Mal, dass du nicht zum Religionsunterricht gehst. Ich kann den Pfarrer nicht jedes Mal anlügen.<<
>>Mir ist das alles egal. Nein! Ich gehe nicht zur Kirche. Ciao.<< Er ging zu den anderen Jungs, die Fußball spielten.
Der brünette 50-jährige Pfarrer bekreuzigte sich, schaute ganz aufmerksam ob jemand fehlt und schüttelte den Kopf. >>Gabriel, was ist mit Marco? Wo ist er schon wieder?<<
>>Er ist krank.<<
>>Er ist zu oft krank. Da stimmt etwas nicht.<<
>>Gabriel lügt wieder<<, sagte das blonde Mädchen sofort. >>Marco hat gesagt, dass er nicht in die Kirche gehen will.<<
>>Er ist Kommunist geworden<<, fügte der dunkelhaarige Junge zu Wort.
>>Alle Leute, die nicht in die Kirche gehen, sind Kommunisten oder Atheisten<<, wiederholte der füllige, blonde Junge schnell und laut. Alle Kinder lachten lauthals.
Der Pfarrer hörte sich mit Skepsis diese Kommentare an. >>Marco ist weder Kommunist noch Atheist. Er ist ein richtiger Gläubiger. Und das sind keine netten Witze. Ah! Am Sonntag werde ich mit Rozina sprechen.<<
Nur Krankheit konnte Rozina davon abbringen sonntags in die Kirche zu gehen. Wie immer hörte sie sich mit Liebe die Heilige Messe an und betete mit den anderen Gläubigen. Als die Heilige Messe zu Ende war, ging Rozina nach draußen. Zehn Minuten später, während sie mit einer ihren Cousinen sprach, kam der Pfarrer zu ihnen. Ihre Cousine entfernte sich gleich. Und Rozina kam etwas komisch vor. >>Ich hoffe, dass mein Sohn nichts Schlechtes getan hat<<, sagte sie zu Pfarrer.
>>Ach, ich weiß nicht, aber er war gestern nicht beim Religionsunterricht.<<
>>Das ist unmöglich! Er ist mit den anderen Kindern von zu Hause losgegangen.<<
>>Aber er war nicht in der Kirche. Er hat bereits viele Male nicht am Religionsunterricht teilgenommen.<<
>>Viele Male!?<<
>>Ja, leider.<<
>>Ich habe keine Ahnung, wo er war. Er geht immer mit den anderen Kindern und kommt mit ihnen zurück.<<
>>Ein Mädchen hat gesagt, dass er nicht in die Kirche gehen möchte. Das bereitet mir Sorgen.<<
>>Ich kann Ihnen nichts sagen, bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe.<<
>>Mach dir keine großen Sorgen! Er wird die heilige Kommunion empfangen, da er den Religionsstoff kann. Aber wenn er wirklich nicht in die Kirche will… Hm? Das ist ein Problem. Wir leben in dieser verdammten kommunistischen Gesellschaft.<<
>>Ich verstehe Sie. Auf Wiedersehen.<< Die aufgewühlte Rozina machte sich auf den Heimweg. Mein Sohn muss ein vorbildliches, christliches Kind sein. Er soll Pfarrer werden, dachte sie sich beim Gehen. Marco saß am Tisch und machte seine Hausaufgaben. Rozina war mehr als sauer. >>Wo warst du gestern, Marco?<<
>>Ich habe Fußball gespielt.<<
>>Hättest du beim Religionsunterricht sein sollen oder nicht?<<
>>Ja, aber ich kann den Stoff vom Unterricht schon.<<
>>Nichtsdestotrotz musst du jedes Mal beim Religionsunterricht anwesend sein! Und das Schlimmste ist, dass ein Mädchen vor allen Kindern gesagt hat, dass du nicht in die Kirche gehen willst. Weißt du, was das bedeutet?<<
>>Diese Kinder haben keine Ahnung! Sie reden Blödsinn!<<
>>Aber diese Kinder haben Eltern und sie können reden. Sie werden ihren Eltern alles erzählen, und das bedeutet, dass alle Einwohner in der Pfarrei wissen werden, dass du nicht in die Kirche gehen willst. Auch Markan wird das erfahren. In Gottes Namen, Kind, er wird uns beide umbringen. Du bist jung und verstehst viele Sachen nicht. Die Einheimischen mögen es zu lästern. Wenn diese Kinder ihren Eltern sagen, dass du nicht in die Kirche gehen willst, werden sie dem noch vieles, was richtig und nicht richtig ist, hinzufügen, nur um dich schlecht zu machen.<<
>>Mama, ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir sehr leid.<<
>>Liebst du deine Mutter?<<
>>Selbstverständlich, Mama, ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.<<
>>Dann wirst du auf deine Mutter hören und den Religionsunterricht nicht mehr schwänzen.<<
>>Ich werde auf dich hören. Ich werde nie wieder vom Religionsunterricht fernbleiben.<< Er ging zu seiner Mutter und gab ihr einen Kuss.
Die Grundschule wurde neuerbaut. Marco besuchte nun die fünfte Klasse. Seine Mutter war wieder schwanger, weshalb er sehr enttäuscht war. Mit ihr sprach er nur das Nötigste. Rozina wusste, worum es ging. >>Sag mir, was dich bedrückt, Marco.<<
>>Nichts, Mama. Gar nichts. Es ist alles in Ordnung.<<
>>Du willst mir nichts sagen. Aber ich weiß, dass dir meine Schwangerschaft Sorgen macht. Liebling, unter meinem Herzen lebt dein Bruder oder deine Schwester. Soll ich deinen Bruder oder deine Schwester töten?<<
>>Nein, Mama. Deine Gesundheit und dein Leben stehen auf dem Spiel. Das musst du ein für alle Male verstehen.<<
>>Hab keine Angst, mein Sohn! Mir wird nichts passieren. In unserem Dorf gibt es viele Frauen, die zehn oder zwölf Kinder haben. Verstehst du das oder nicht, mein Sohn?<<
>>Aber die sind ganz gesund.<<
>>Ich bin auch gesund. Sei ohne Sorge! Und deine wichtigste Aufgabe ist es zu lernen, und nicht auf meinen Bauch zu schauen. Du musst die Grundschule erfolgreich beenden. All meine Lebenswünsche sind von dir abhängig. Ich will dich vor dem Altar in priesterlicher Kleidung sehen. Auch dein Vater träumt davon.<<
>>Alles klar, Mama.<< Marco seufzte und schüttelte fassungslos den Kopf.
Rozina brachte ihr sechstes Kind zur Welt, ihre Tochter Kristina. Sobald sie sich erholt hatte, machte sie sich auf den Weg in Richtung Busstation, da sie nach Zenica fahren musste, um Lebensmittel zu kaufen. Es war ein milder Morgen im Mai, sodass sie den Fußmarsch genoss. Rozina stieg in den Bus und setzte sich sofort. Kurz danach kamen Jakov und Eva Gruby in den Bus. Sie waren um zwei Jahre älter als Rozina. Jakov war der einzige Sohn des reichen Petar Gruby. Eva war seine Ehefrau. Sie hatten zwei Söhne und zwei Töchter. Die beiden waren sehr religiös. Jakov war ein kleiner und dicker Mann. Er hatte schwarzes Haar, ein rundes Gesicht und eine Stupsnase. Er war Bergarbeiter und seine Frau Eva war Hausfrau. Eva war eine große und kräftige Frau. Sie hatte dünnes langes braunes Haar, ein straffes Gesicht, schmale Lippen, ein hervorspringendes Kinn und einen dunklen Teint. Bereits ihr Aussehen ließ sie als strenge, sogar auf eine Art gefährliche Frau erscheinen. Sie war eine eigenwillige und heimtückische Frau. Jakov und Eva kannten Markan und Rozina sehr gut. Das Ehepaar setzte sich auf die Plätze vor Rozina. Jakov drehte sich um und nickte. >>Rozina, geht es deinem Herzen besser?<<
>>Alles in allem schaut es nicht so schlecht aus.<<
>>Gibt es noch was Neues bei euch?<<, fragte Eva, die sich erst jetzt zu Rozina drehte.
>>Nichts Besonderes<<, erklärte Rozina kurz, die diese Familie sehr gut kannte. Besonders kannte sie Eva und alle ihre psychologischen Dimensionen.
>>Ja, ja, aber sag mir, was mit deinem ältesten Sohn los ist.<<
Evas Frage überraschte Rozina und brachte sie zum Zweifeln. Sie zuckte ratlos mit der rechten Schulter und dachte nach. Eigentlich wusste sie, um was es geht. Aber sie wusste nicht, was die verschlagene Eva bereits vorbereitet hatte. Diese Situation war sehr unangenehm für sie. >>Nein, nein, ich kann dir nicht folgen.<<
>>Ach, Rozina, alle Pfarreismitglieder reden über deinen Sohn.<< Eva war geheimnisvoll.
>>Wovon redest du, Eva? Was willst du eigentlich von mir?<< Rozina schaute sie eindringlich an.
>>Verzeih mir, falls dich das beleidigen sollte, aber ich muss dir als vorbildliche Mutter und Christin etwas sagen. Die Leute erzählen, dass dein Marco Atheist geworden ist und…<<
>>Du redest Blödsinn!<<, unterbrach Rozina sie scharf. Die Reisenden lauschten aufmerksam dem Gespräch.
>>Nein, nein, das ist kein Blödsinn. Dein Marco will nicht in die Kirche gehen. Er verhöhnt Gott und den Glauben.<<
>>Das ist nicht wahr! Das sind Erfindungen niederträchtiger Männern und Frauen!<<
>>Liebe Rozina, die Leute sagen, es gibt keinen Rauch ohne Flamme. Er ist erst dreizehn Jahre alt und bereits ungläubig geworden. Da stimmt was nicht.<<
>>Mein Sohn ist kein Ungläubiger!<< Rozina fühlte sich beschämt.
>>Schone deine Nerven! Ich bin der Ansicht, dass ich mit dir darüber reden muss. Du weißt ja, dass wir vier Kinder haben, und weißt, wie wir sie erziehen. Mein Sohn Radovan und meine Tochter Magdalena gehen zum Religionsunterricht mit deinem Sohn. Mir ist das nicht recht. Ich will dir offen sagen, dass ich nicht möchte, dass meine Kinder mit deinem ältesten Sohn verkehren.<<
>>Rozina<<, meldete sich jetzt Jakov zu Wort, >>das ist wahrhaftig ein ernstes Problem. Unsere und alle anderen Kinder erzählen, dass dein Sohn Atheist geworden ist, und das bedeutet, dass er unseren Glauben und Gott auslacht.<<
>>Ihr und eure Bedeutungen! Das ist unmöglich! Das sind Lügen!<<, widersprach Rozina ihren unbegründeten Behauptungen.
>>Das sind keine Lügen<<, entgegnete Eva. >>Dein ältester Sohn befindet sich in teuflischen Händen!<<
>>Lass meinen Sohn in Ruhe! Du befindest dich in teuflischen Händen! Ich kenne dich ganz gut! Das weißt du doch!<< Rozina war außer sich.
>>Ich werde mit Markan reden und...<<, begann Jakov zu sprechen.
>>Lass mich in Ruhe!<<, unterbrach Rozina ihn schroff.
Rozina war völlig angespannt und zornig. Sie konnte es kaum erwarten, ihren Sohn zusehen und mit ihm abzurechnen. Als sie nach Hause zurückkam, saß Marco am Tisch im Wohnzimmer. >>Warum bist du so böse, Mama? Worum geht's?<<
>>Es geht um dich! Deine Freunde erzählen nur das Schlechteste über dich!<<
>>Die Kinder?<<
>>Ja, die Kinder!<<
>>Ach, Mama, es kann doch nicht sein, dass du diesen Kindern glaubst!<<
>>Marco, du verstehst nichts. Es geht nicht um diese Kinder, sondern um ihre Eltern.<<
>>Was habe ich gemacht!?<<
>>Ich weiß es nicht genau. Ich traf Jakov und Eva Gruby und sie erzählten mir, du seist Atheist geworden, dass du unseren Gott und den Glauben verhöhnen würdest.<<
>>Mama, ich bitte dich! Das ist ein ungeheuer Quatsch! Ich habe nie etwas gegen Gott und den Glauben gesagt!<< Marco fing an zu weinen. In diesem Augenblick erschien Gabriel an der Tür. Er war 15 Jahre alt und ein ausgezeichneter Schüler.
>>Komm her, Gabriel!<<, befahl Rozina. >>Und sag mir gleich, was in der Kirche geschah, als Marco das letzte Mal vom Religionsunterricht fernblieb, als er Fußball spielte?<<
>>Nichts.<< Gabriel setzte sich neben Marco.
>>Gabriel, du musst mir die Wahrheit sagen! Marco und ich befinden uns in einer gefährlichen Situation! Verstehst du das!?<<
>>Nichts Besonderes. Die Kinder scherzten, sie sagten, dass Marco ein Kommunist und Atheist sei und sie lachten ihn aus.<<
>>Aber warum, in Gottes Namen!? Warum!?<<
>>Er hat in Wahrheit nur gesagt, dass er nicht in die Kirche gehen will, da er Religion schon kann. Dann erfanden und sagten einige Kinder diesen kommunistischen und atheistischen Humbug.<<
>>Das ist es. Diese Scherze und Erfindungen verwandelten sich in Realität. Ihre Eltern konnten es kaum erwarten, von ihren Kindern so etwas zu hören. Sie ergötzen sich jetzt daran.<<
>>Mama, du musst mir glauben!<<, rief Marco.
Als hätte sie ihren Sohn überhaupt nicht gehört, wandte sie sich Gabriel zu. >>Hat Marco irgendeinmal etwas Schlechtes über den Glauben, Gott und die Kirche gesagt?<<
>>Nein, niemals. Da bin ich mir sicher. Er hat niemals geflucht, die anderen Kinder fluchten oft.<<
>>Mein Sohn, diese Scherze können dich und mich den Kopf kosten. Du bist jung und unerfahren, deswegen weißt du nicht, dass unser Volk aus einer Mücke einen Elefanten macht. Ich glaube dir, aber das hilft uns keineswegs. Jakov hat mir gesagt, dass er mit Markan reden wird. Und dann…? Wie wird er reagieren?<<, redete Rozina mehr zu sich selbst als zu ihrem Sohn.
Marco nickte. >>Mama, du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde mit Vater alles regeln.<<
>>Ich hoffe, mein Sohn.<< Rozina stand auf und verließ das Zimmer.
>>Was habe ich dir damals gesagt, Marco?<<, fragte Gabriel sofort als Rozina rausging. >>Ich wusste, dass alles rauskommt und dass alles aufgebauscht wird.<<
>>Es tut mir um Mama leid. Ich habe Angst um ihr Leben. Mir ist es ganz egal, was mit mir sein wird.<<
6
Marco ging schon in die siebte Klasse. Rozinas Bauch wuchs zum siebten Mal. Für sie und ihren Ehemann war das etwas vollkommen Natürliches, aber für ihren ältesten Sohn war das ein echter Schock. Marco spielte mit Gabriel und den anderen Kindern Fußball und kam erschöpft nach Hause. >>Mama, um Gottes willen, warum bist du wieder schwanger?<<
Rozina lachte und schüttelte den Kopf. >>Ich möchte noch ein Geschwisterchen für dich auf die Welt bringen.<<
>>Mama, meine Schulkameraden tragen Adidas-Turnschuhe, und ich Riemenschuhe oder Gummistiefel. Verstehst du das?<<
>>Hab Geduld, mein Sohn! Eines Tages wirst du alles haben.<<
>>Wir brauchen dich. Dir darf nichts passieren. Ohne dich sind wir verlorene Kinder.<<
>>Mein lieber Sohn, du fantasierst zu viel. Lass es! Sei beruhigt und genieße das Leben. Lerne jetzt! Es ist bereits das Ende des Schuljahres. Lerne, merke und verstehe! Es ist überaus wichtig zu verstehen!<<
Markan war in der Frühschicht. Das frühe Aufstehen ging ihm immer mehr auf die Nerven. Sein einziger Trost waren das schöne Wetter und der trockene Weg. Als er unweit von dem Weiler Nover war, sah er Jakov Gruby, der in einem anderen Bergwerk arbeitete. Er beeilte sich, um ihn einzuholen. Jakov spürte, dass jemand hinter ihm war. Er drehte sich um und sagte: >>Was glaubst du, Markan, wann wird unsere Straße asphaltiert?<<
>>Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir viel länger schlafen könnten, wenn die Busse direkt zu unserer Kreuzung fahren würden.<<
>>Auch das wird eines Tages geschehen. Übrigens, schon lange zögere ich, dir etwas zu sagen, da mir das irgendwie unangenehm ist.<<
Markan lachte dumpf. >>Wenn es dir so unangenehm ist, dann kann ich mir denken, wie unangenehm es für mich sein wird.<<
>>Es geht um deinen ältesten Sohn. Er ist Atheist geworden oder, wie wir sagen würden, ein Ungläubiger. Er will nicht in die Kirche gehen.<<
>>Bestimmt hast du gestern Nacht zu viel Pflaumenschnaps getrunken und hattest keine Zeit nüchtern zu werden.<<
>>Zu deinem Unglück ist das die Wahrheit, Markan. Mein Sohn Radovan und meine Tochter Magdalena gehen mit deinem Sohn zum Religionsunterricht. Sie haben uns gesagt, dass dein Sohn Atheist geworden ist. Außerdem wissen das alle Einwohner in unserer Pfarrei.<<
>>Aber ich nicht.<<
>>Du hättest das irgendwann erfahren. Deswegen befand ich, dass es besser ist, dir das jetzt zu sagen, als es zu erfahren, wenn es zu spät ist. Es geht nicht nur um seinen Atheismus, sondern um noch schlimmere Dinge. Er verhöhnt Gott, den Glauben, unsere Heiligtümer und wer weiß noch was. Ich denke, du verstehst mich.<<
>>Ich verstehe nichts. Mein Sohn hat noch nie geflucht. Ich habe sogar niemals gehört, dass er sich unangemessen ausgedrückt hat. Und jetzt sag mir, was du mit 'zu spät' meinst.<<
>>Du musst agieren, Markan. Du musst dein eigenes Kind retten. Dein Sohn befindet sich in teuflischen Händen.<<
>>Pass auf, was du sagst, Jakov!<<, mahnte Markan streng an. >>Mein Sohn hat mit dem Teufel nichts gemeinsam. Ich muss dir sagen, dass ich kein einziges Wort von all dem glaube, was du mir gesagt hast.<<
>>Aber ich muss dir auch sagen, dass ich nicht will, dass meine Kinder mit deinem ältesten Sohn verkehren.<<
>>Das ist dein Problem. Verbiete es ihnen!<<
>>Damit du weißt, ich werde es ihnen verbieten.<<
Markan war völlig unkonzentriert, nichts ging ihm von der Hand. Er meldete sich bei seinem Schichtführer, verließ die Grube und eilte zum Mittagsbus. Während der Fahrt sprach er mit den anderen Leuten kein einziges Wort. Obwohl er Jakov nicht geglaubt hatte, quälte ihn all das. Rozina stand neben dem Herd. Als sie ihren Mann in das Wohnzimmer gehen sah, war sie überrascht. Sie sah gleich, dass er sehr wütend war. >>Wo kommst du her, Markan? Und warum bist du so böse? Was ist passiert?<<
>>Frag mich nicht. Wo ist Marco?<<, fragte er anstatt zu antworten.
>>Er ist gerade aus der Schule gekommen. Was willst du von ihm?<<
>>Alle Einwohner der Pfarrei reden davon, dass unser Sohn Marco, der Pfarrer werden soll, bereits ein Ungläubiger geworden ist! Verstehst du das? Gehe jetzt! Finde ihn und bring ihn zu mir! Ich muss mit ihm reden.<<
Rozina zitterte und ihr Herz schlug schneller. Im Grunde wurde ihr alles klar. Sie schaute ihren aufgebrausten Ehemann an, ging nach draußen, sah ihren Sohn und gab ihm ein Handzeichen zu ihr kommen.
>>Bitteschön, Mama<<, sagte Marco zu ihr kommend. >>Was ist los? Warum bist du so blass?<<
Rozina massierte ihre linke Brust. >>Markan ist sehr sauer. Sehr wahrscheinlich hat ihm Jakov all die Lügen erzählt. Möglicherweise hat er, weiß Gott was, hinzugefügt. Sei tapfer und sei vor allem ruhig.<<
>>Mama, mach dir keine Sorgen bitte! Sei völlig unbesorgt und unabhängig davon was zwischen mir und Vater geschehen sollte. Du bist schwanger, Mama. Und dein Herz funktioniert nicht gut. Wenn Vater mich zufälligerweise schlagen sollte, dann schau nur zu. Das ist nichts Schlimmes. Ich werde das aushalten.<<
>>Gut, mein Sohn, aber erwidere ihm nichts. Wiederhole nur, dass das Lügen sind und dass du unschuldig bist. Lass uns jetzt reingehen!<<
Markan saß auf der Couch. >>Gehst du in die Kirche, Marco?<<
>>Selbstverständlich.<<
>>Warum verhöhnst du Gott, den Glauben und unsere Heiligtümer?<<
>>All das sind Intrigen von Eva Gruby! Diese Frau ist ein lebendes Unheil! Das weißt du auch!<<, brauste Rozina fast giftig auf.
>>Rozina, ich bitte dich. Sei ganz ruhig! Dich habe ich nichts gefragt!<<
Marco war schon böse, da ihn diese Lügen beleidigten. >>Ich habe niemals Gott, unseren Glauben und unsere Heiligtümer verhöhnt!<<
Sehr hörbar pustete Markan. >>Ich sage dir ganz ehrlich, mein Sohn, in meinem Haus will ich keinen Atheist sehen! Es wird erzählt, dass du dich in teuflischen Händen befindest!<<
>>Das konnte dir nur Jakov sagen! Denn eigentlich befindet sich seine Frau in teuflischen Händen, und nicht mein Sohn! Sie ist eine echte Schlange<<, brüllte Rozina, da sie die Nerven verlor. Dann auf einmal ging sie in die Hocke und fiel bewusstlos zu Boden.
>>Mama!<< Marco hob den Kopf seiner Mutter, nahm schnell eine Tablette aus ihrer Tasche und schob sie ihr unter die Zunge. >>Wach auf, Mama! Wach schon auf! Komm!<<
Nach einigen Minuten öffnete Rozina die Augen. Markan stand reglos da und schaute seine Frau und seinen Sohn an. >>Es tut mir sehr leid.<<
>>Vater, du darfst dich vor Mutter nie wieder so unkontrolliert benehmen! Du weißt doch, dass sie schwer krank ist!<<, schrie Marco.
>>Verzeiht mir.<<
>>Und damit du es weißt, alles, was Jakov dir gesagt hat, ist gelogen. Meine Mutter hätte deswegen das Leben verlieren können.<<
Marcos Mütterchen gebar das siebte Kind, Sohn Kristian. Sie erholte sich wie immer sehr schnell und widmete sich ihrer großen Familie und ihrem Heim. Tag für Tag näherte sich ihr Liebling dem Schulabschluss. Mit Erfolg schloss er die Grundschule ab, bekam sein Zeugnis und eilte zu seinen Eltern.
>>Mama, das Zeugnis ist da!<<, rief Marco und setzte sich neben seine Mutter.
>>Du warst und bleibst meine große Hoffnung.<< Rozina packte ihn und drückte ihn an sich. Ihr Gesicht strahlte. >>Aber jetzt geht es um Sein oder Nichtsein. Marco, wirst du Pfarrer?<<
>>Mama, ich bitte dich um Verständnis...<<
>>Rozina, ich bitte dich auch<<, meldete sich Markan zu Wort. >>Er kann auch auf eine andere Weise unsere Träume erfüllen. Es ist noch nichts verloren. Er ist nicht nur ein guter Schüler, sondern auch fleißig, strebsam, hartnäckig und verantwortungsbewusst. Er schafft alles. Lassen wir ihn seinen eigenen Lebensweg gehen. So kann er alles von sich geben und glücklich sein.<<
Marco wandte sich an seine Mutter. >>Mama, für so was habe ich keinen Willen. Auf der anderen Seite ist es uns viel zu viel. Nur Vater arbeitet. Ich will die Mittelschule beenden, eine Arbeit finden und euch helfen.<<
>>Nein, Marco, das kommt nicht in Betracht. Wenn du kein Pfarrer wirst, musst du die Mittelschule beenden und dann studieren!<<
>>Das kostet zu viel Geld.<<
>>Es ist egal wie viel es kostet<<, meldete sich Markan zu Wort. >>Wir werden dich bis zum Ende deiner Ausbildung finanzieren, selbst wenn wir alle nur trockenes Brot essen müssen.<<
>>Ich bin stolz auf dich, Markan.<< Rozina seufzte erleichtert.
>>Das freut mich, Rozina. Aber mich sorgt etwas anderes... Eigentlich sorgt mich sein Lernfortschritt. Hier hat er keinerlei Voraussetzungen zum Lernen. Die Kinder sind da. Das Haus ist zu klein. Der Fußmarsch ist zu lang. Im Winter sind Schnee und Kälte da, und im Frühjahr und Herbst Matsch und Regen.<<
>>Du hast recht, Markan, aber daran können wir eben nichts ändern. Er wird sich quälen und trotzdem lernen müssen.<<
>>Nein, nein! Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Am besten wäre es, wenn wir ihm irgendein Zimmer in Zenica mieten würden, denn nur so könnte er in Ruhe leben und lernen.<<
>>Vater, diese Idee ist mehr als ausgezeichnet, sollte sie umsetzbar sein<<, sagte Marco. >>Ich meine, dass es am besten für mich wäre, mich in die elektrotechnische höhere Schule einzuschreiben.<<
Rozina küsste ihn. >>Passt! Melde dich für diese Schule an. Die gefällt mir. Später kannst du Elektrotechnik studieren und ein bekannter Elektroingenieur werden.<<