Der Junge mit dem Feueramulett - Die Schule der Alchemisten

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Sie alle hatten ihr Haupt vor Flanakan und Tsarr gesenkt. Dem Herrscher sah man kaum an, dass seine Mutter eine Vampyrin gewesen war. Aber auch wenn ihm die lederartigen Flügel fehlten, die normale Vampyre, wenn sie unter Menschen wandelten, gerne wie einen warmen Mantel um sich schloßen, verriet doch die dunkle, faltige Haut, dass Flanakan kein Mensch war. Seine gelben Augen waren nur zwei Schlitze, mit denen er die Anwesenden griesgrämig musterte. Selbst Tsarr, stellte Makral fest, wie immer gekleidet in ihrem schwarzen Priestergewand, auf dem auch diesmal ein paar getrocknete Blutspritzer zu sehen waren, blieb von der schlechten Laune des Herrschers nicht verschont.
Makral berichtete von den zunehmenden Unruhen in Haragor. Mit diesem angeblichen Minas-Schwert hatte es angefangen. Die Schlacht am Branubrabat zwischen Laoch und einigen aufmüpfigen Gestalten war nicht gänzlich unbemerkt geblieben. Aber die Mär von einem Drachenprinzen wollte dann doch keiner wirklich glauben. Dieses unsinnige Gerücht war zur Zeit das geringste Problem. Es gab handfeste, reale Probleme! Störrische Toraks, unzufriedene Menschen und nicht zu vergessen dieses Scharmützel zwischen Amazonen und Ichtos am Rande des Reiches in den Weiten des Ozeans.
Makral bemerkte, wie Tsarr immer nachdenklicher wurde, während sie seinen Worten lauschte. Als sie das Wort an ihn wandte, war die unterdrückte Wut der Gova deutlich zu spüren.
»Vasallin Plr, Königin der Ichtos, scheint ihren Gehorsam gegenüber Flanakan vergessen zu haben sollte. Diese halben Fische dürfen nicht vergessen, welchem Herren und welchen Göttern sie dienen müssen.«
Flanakan nickte. »Die Oberste Priesterin Goibas hat recht. Wenn Plr nach der Magie Branus trachtet, müssen die Ichtos lernen, was es heißt, sich gegen die Magie der göttlichen Schwestern zu stellen.«
Makral wusste, dass Tsarr sehr darauf bedacht war, dass ihre Göttin, Goiba, nicht ins Hintertreffen kam. Die Waagschalen von Branu und Goiba mussten stets zu ihren Gunsten gefüllt sein.
Flanakans gelbe Augen richtete sich auf den Obersten Stadtrat. »Wisst ihr noch, Oberster Stadtrat, wieso ich eure Ratsversammlung damals in die Schwarze Burg verlegt habe?«
Der Angesprochene schluckte nervös und nickte langsam. »Ja, großer Herrscher. Es gab da einige von uns, die, äh, behaupteten, äh, ein Regent wäre… überflüssig.«
Das letzte Wort war kaum zu hören, der Oberste Stadtrat griff sich an die Kehle, als ob er eine unsichtbare Hand lösen wolle, die ihn gerade würgte.
»Und wie haben wir das natürliche Gleichgewicht wieder hergestellt?« Flanakan starrte den sich windenden Obersten Stadtrat unerbittlich an.
»Bestimmt meinst du den Tag der hundert Hinrichtungen…« Der Obersten Stadtrat versuchte verzweifelt zu lächeln, aber seine nach oben gezogenen Mundwinkel standen im krassen Gegensatz zu seinen hin und her huschenden Augen, die nach einem Fluchtweg suchten.
»Genau, Oberster Stadtrat. Hundert Hinrichtungen. Natürlich waren die meisten Toraks, aber im Endeffekt mussten viele verschiedene Wesen für ihren Frevel bezahlen, oder? Schließlich sollte ganz Haragor wissen, wer hier der Herrscher ist.«
Seine nächsten Worte richtete Flanakan an Makral. »Oberster Makral. Ich glaube, auch in diesem Fall werden hundert Hinrichtungen genügen. Es sollten vorrangig Ichtos sein! Dann wird dieses achtlose Weib, die sich Königin schimpft, auch mitbekommen, dass wir in Conchar nicht schlafen. Und…«, Flanakan ließ seinen Blick zum Fenster schweifen, »es dürfen auch Toraks und Menschen dabei sein. Amazonen, wenn man ihrer habhaft werden kann, können auch am Galgen baumeln. Schließlich sollen wirklich alle daran erinnert werden, wer der Herrscher Haragors ist.«
Flanakan schaute in die Runde, aber niemand hatte dem etwas zu entgegnen. Makral hatte ebenfalls keine Einwände. Sein Aufgabe war es, die Worte des Herrschers in Taten umzusetzen. Es stand ihm nicht zu, eigene Gedanken zu haben. Und Gefühle hatte er ja sowieso keine.
*
Der Bauer, der es sich im ›Knochenbruch‹, einer beliebten Kneipe in Conchar, gemütlich gemacht hatte, sah Gsaxt, den Wirt dieser Gastwirtschaft, mißtrauisch an. Für einen Menschen war der Mann recht groß und muskulös, was den riesigen Torak, der den Hünen immer noch um zwei Köpfe überragte, nicht im mindesten schreckte. Wenn es darauf ankommen würde, würde er es mit drei dieser Sorte aufnehmen. Gsaxt nahm den Krug, den ihm der Mensch zugeschoben hatte und nippte daran. Er ließ das Gebräu in seiner Mundhöhle kreisen, legte sogar sein mächtiges Haupt in den Nacken und gurgelte verhalten. Dann stellte er den Krug wieder vor seinen Gast.
»So wie immer, finde ich!«
»Wie immer, wie immer?« Der Bauer sah Gsaxt entgeistert an. Er war jung und offensichtlich einer, der Streitigkeiten unter Seinesgleichen eher mit der Faust als mit der Zunge regelte. Schon begann er, sich von dem Stuhl zu erheben, aber angesichts der Muskelmasse des Toraks, der mindestens das Doppelte auf die Waage brachte, besann er sich offensichtlich eines Besseren. Gsaxt sah ihn gutmütig an, lächelnd.
Der Bauer nahm den Krug und nippte nun seinerseits daran. Aber sofort spuckte er das Schoff wieder heraus. »Das ist kein Schoff, das ist Gift!«
Das Lächeln im Gesicht von Gsaxt hatte nun etwas Erstarrtes. Aber er war in erster Linie hier Gastwirt. Und der Kunde war König. »Wir machen dir einen neuen Krug, wie wäre es damit?«
»Einen neuen Krug, einen neuen Krug? Was will ich mit einem neuen Krug? Das Schoff ist einfach zu dünn, das ist ja mehr Wasser als sonst etwas.«
Der Mann sah ihn herausfordernd an. Gsaxt kannte diese Streithähne, die einen Anlass suchten, um sich ein wenig zu prügeln. Aber dieser Bauer schien noch etwas anderes im Schilde zu führen, was der Torak nicht so richtig einschätzen konnte.
»Dabei ist es das Schoff, das ihr uns selbst geliefert habt.«
»Kann gar nicht sein. Das Schoff, das ich euch geliefert habe, war süß und vollmundig und würzig und schwer. Ein Schoff, das einem nach dem ersten Schluck schon fröhlich macht. Nicht so ein dünnes Gesöff, wie ihr es hier anbietet.«
Es gab eben immer diese Wesen, die an allem etwas auszusetzen hatten. Gsaxt holte den Lieferzettel aus seiner Gesäßtasche.
»Und ist das nicht eure Unterschrift?«
»Ja, sicherlich. Aber das ist nicht das Schoff, das ich euch geliefert habe.«
»Wenn der werte Herr einen Blick hinter die Theke werfen möchte, wird er sogar das Fass sehen, welches wir heute morgen von seinem Wagen gehoben haben. Und mit Verlaub, Euer Schoff ist nicht besser oder schlechter als all die anderen Lieferungen, die wir bekommen.«
Gsaxt blickte weiterhin freundlich auf den Menschen, der unter ihm kurz vor der Explosion stand, und legte schon einmal beruhigend eine mächtige Faust auf die Tischplatte. Tatsächlich war dieser Bauer nicht der erste Gast, der sich wegen des Schoffs beschwerte, sodass der Torak inzwischen einige Übung darin hatte, mit diesem unbegründeten Verhalten umzugehen. Er hatte vor einiger Zeit sogar zusammen mit seinem Bruder einige Freunde eingeladen und ein Spiel gespielt. Sie hatten sich die Augen verbunden und dann blind die gefüllten Krüge geleert, um herauszufinden, ob das Schoff der unterschiedlichen Lieferanten tatsächlich verschieden schmeckte. Aber das Ergebnis war ernüchternd gewesen. Das Schoff waren immer gleich gewesen. Gleich dünn, gleich wässrig, gleich schlecht, gleich gut. Schoff eben.
»Also mein Schoff ist das bestimmt nicht!«
»Nun ja, hier in Conchar schmeckt es vielleicht anders als auf eurem Hof, auf der Fahrt werden die Fässer ja auch ganz schön durchgeschüttelt. Wieviel Tage ward ihr unterwegs?«
»Vier Tage. Aber davon wird das Schoff auch nicht dünner.«
»Dünner?« Gsaxt sah den Bauer jetzt tief in die Augen.
»Genau, dünner. Ihr panscht da doch herum, kann mir doch keiner erzählen.«
»Neue Lieferung!«
Die Stimme von Gsark dröhnte wie die Glocke des Feuerturms durch den Schankraum. Der ältere Bruder von Gsaxt stand an der Tür, die in den Keller des ›Knochenbruchs‹ führte, und hatte ein Schofffass geschultert.
»Neue Lieferung!«, wiederholte Gsaxt und schaute dem Bauer vielsagend ins Gesicht. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand hinter der Theke. Man hörte das Hämmern, als das neue Fass angeschlagen wurde, dann das Gurgeln und Zischen, mit dem sich ein neuer Krug füllte. Kurz darauf stand Gsaxt wieder vor dem Bauern und stellte ihm den neuen Krug genau vor die Nase. Der Mann nahm einen tiefen Schluck und man konnte sehen, wie er versucht war, dieses Schoff genauso herauszuspucken wie das Schoff zuvor. Aber diesmal besann er sich und schluckte die Flüssigkeit herunter.
»Viel besser«, rief er dann laut und vernehmlich, sodass es alle Gäste im Knochenbruch hören konnten. Gsaxt nahm nun seinerseits den Krug und einen Schluck des Schoffs. Dann reichte er das Gefäß seinem Bruder weiter, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. Die Toraks schauten sich an und schüttelten den Kopf.
»Genauso gut wie das letzte Fass!« Der Tonfall von Gsark war wesentlich schärfer als der seines jüngeren Bruders.
»Über Geschmack lässt sich nicht streiten.« Gsaxt hatte sich vor den älteren Gsark geschoben und lächelte den Bauern freundlich an. »Geht auf’s Haus!«
Der Mann nickte grimmig und klammerte sich an dem neuen Schoffkrug fest, während die Toraks durch den Schankraum stiefelten und hinter der Theke Stellung bezogen. Der Bauer trank daraufhin zügig seinen Krug leer. Das wütende Glimmen in den Augen von Gsark war nicht zu übersehen gewesen. Der Mensch zog es offensichtlich doch vor, einer direkten Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Der Mann schnappte sich bald seine Jacke und stiefelte aus dem Schankraum. Gsaxt sah ihm nachdenklich hinterher. Diese Begegnung ließ ihn für die Zukunft nichts Gutes ahnen.
Draußen auf der Straße wartete bereits der Schatten auf den Bauern. »Und, war es, wie ich es gesagt habe?«
»Ja, du hattest recht. Das Schoff war dünn wie Wasser.«
»Sage ich doch. Diese Geizhälse, die strecken das Schoff. Um uns armen, hart arbeitenden Menschen noch die letzten Argits aus der Tasche zu ziehen.« Vielsagend schauend stülpte der Schatten seine Taschen nach außen, um zu zeigen, dass dort keine einzige Münze zu finden war. Die dunkle Gestalt schien ganz aufgeregt, denn er begann nun, von einem Bein auf das andere zu hüpfen.
»Aber ehrlich gesagt hatten die dann eine neue Lieferung, die genauso schmeckte. Genauso dünn. Schoff eben. Und das direkt aus dem neuen Fass.«
»Neue Lieferung? Ach was. Alles Theater. Glaub mir. Die panschen herum. Betrüger. Lügner. Banditen.«
Dann stand der Bauer plötzlich wieder alleine auf der Gasse. Der Schatten war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Genauso wie vor seinem Besuch im ›Knochenbruch‹. Da hatte der Bauer sein schwer verdientes Geld schon wieder in all die Dinge umgetauscht, die man zu Hause brauchte. Eine neue Schaufel aus der Schmiede eines Toraks. Die Haarbürste aus gehärteten und flexiblen Seeigelstacheln von der Schreienden Makrele, diesem stadtbekannten Händler aus Ichtien. Wobei man sich immer fragte, wie diese Halbkiemenatmer es zu solcher Stimmgewalt bringen konnten. Ein paar weitere Dinge für den Hof hatte er noch erstanden. Zum Schluß wollte er noch gepflegt einen trinken gehen. Und dann war dieser Schatten aufgetaucht und hatte ihm sehr anschaulich und eindringlich von dem verdünnten Schoff erzählt. Gerade als die vielversprechenden Geräusche des ›Knochenbruchs‹ an sein Ohr gedrungen waren und er den Geschmack des Gebräus schon auf der Zunge hatte. Und als dem Bauern dann das dünne Gesöff die Kehle hinunter geronnen war, war das wirklich eine Enttäuschung gewesen. Der Schatten hatte wohl doch recht. Die Toraks verdünnten das Schoff und unten im Keller zechten die Geizhälse dann bis zum Umfallen. So etwas konnte auf Dauer nicht geduldet werden.
*
Der Torak-Schmied, der Kard eingestellt hatte, war anfangs natürlich mißtrauisch gewesen. Das hatte Kard nichts sonderlich überrascht. Ein Mensch als Schmied? Aber nach den ersten Gartenzaunscharnieren, Pflugscharen und Gülleschaufeln war der Meister überzeugt. Und mit welcher Kraft dieser kleine Mensch das Metall auf dem Amboss bearbeitete. Gar nicht schlecht.
Für sich selbst hatte der Junge als erstes eine Axt gefertigt, eine mit einem recht schweren Schneideblatt. Und sich freiwillig zum Holzhacken gemeldet, was dem Meister nur recht gewesen war. Noch bevor der eigentliche Tag in der Schmiede begann, stand Kard jeden Morgen nun im Hof und ließ die Axt auf die Holzstämme hinuntersausen. Die Sonne, sobald sie sich anschickte, ihr erstens Licht über die Hochebene und diese vergessene kleine Stadt zu schicken, wurde von Kards Schneide begrüßt. Der Junge gönnte sich ein kurzes Bad in den Strahlen, dann presste er die Lippen zusammen und schlug zu.
Wenn er dann später mit ähnlicher Verbissenheit die tägliche Arbeit verrichtete, glaubte der Meister zu sehen, wie die Glut der Esse dem Jungen, der seltsamerweise ohne Handschuhe arbeitete, direkt in die Arme kroch. Aber das musste ja eine Sinnestäuschung sein. Der Meister blinzelte zwei-, dreimal, schon war der Spuk vorbei. Und Kard lächelte ihn an. Mit diesen traurigen braunen Augen, die durch den Meister hindurch und in eine unbekannte Leere blickten.
Nachdenklich betrachtete Kard an diesem Abend den Ofengriff, den er gerade aus dem Abkühlbecken gezogen hatte. Das zerbrochene Gegenstück, das der Junge ihm gebracht hatte, lag neben ihm auf dem Amboss. Er drehte sich auf dem Absatz, so dass er nun den Griff um die Zange lockern konnte und den neuen Griff neben dem alten ablegen konnte.
Die Sonne war gerade untergegangen. Draußen vor den Fenstern der kleinen Schmiede war es bereits still geworden, die Bewohner saßen jetzt in ihren kleinen Hütten vor Tellern mit dünner Winxgrassuppe und tranken dazu ihr Schoff. Der Herbstwind, der hier am oberen Rand der Hochebene von Asch-by-lan nochmal richtig Schwung bekam, bevor er über die Kante der Hochebene hinunter in die Schwesterstadt Trok gezogen wurde, kündete bereits von der Kälte des kommenden Winters, die nun jede Nacht zunahm. Der Geruch von mitleidloser Feuchtigkeit und abgestandenem Rauch zog durch die Straßen der kleinen Stadt und erinnerte die letzten Bewohner, die durch die engen Gassen irrten, daran, sich möglichst schnell vor Goibas Kälte zu verstecken.
Der Junge, dessen Namen Benji war, saß neben der Esse und starrte fasziniert in die glühende Schlacke. Er hatte Kard geholfen, den Blasebalg zu bedienen, was den etwa Zehnjährigen offensichtlich doch einige Kraft gekostet hatte. Wenigstens war ihm dabei warm geworden, denn er hatte nur eine dünne Hose und ein dünnes Hemd an. Jetzt saß er recht zufrieden auf einem Schemel, sein Gesicht gezeichnet von einer glücklichen Erschöpfung, die man nur bei Kindern findet, die noch nicht fragten, wieso sie sich gerade so verausgabt hatten. Er nickt Kard anerkennend zu.
»Sieht genauso aus wie der alte. Das ist gut.«
Kard nickte stumm. »Ihr habt große Öfen!«
Benji nickte aufgeregt. »Ja, es sind sogar mehrere. Aber nur zwei funktionieren noch. Und mit den neuen Griffen, kann man sie wieder richtig schließen, dann reicht das Holz im Winter doppelt so lang, sagen die Govas.«
Der Junge kam aus dem Waisenhaus im Dunklen Wald. Kard kannte die Griffe, die er gerade schmiedete. Mit ihnen hatte er als Kind selbst dutzende Male die Ofentüren geöffnet und geschlossen. Zu seiner Zeit hatten sie im Winter drei Öfen geheizt. Damit wurde Wasser erhitzt, das in Rohren durch das ganze Waisenhaus floss. Ein Technik, die man sonst nur in den Häusern der Reichen fand und es war ungewöhnlich, dass man eine so aufwendige Konstruktion in einem einfachen Waisenhaus installiert hatte. Wieso, fragte sich Kard, ließ man die Waisen nicht einfach frieren? Haragor war nicht gerade dafür bekannt, dass es sich besonders um seine Kinder kümmerte.
»Das ist eine besondere Legierung. Die Govas waren sich gar nicht sicher, ob es in Truk eine Schmiede geben würde, die das herstellen kann.«
Der Junge hatte recht. Aber Wallas hatte Kard damals einiges beigebracht, was man in anderen Schmieden nicht lernte.
»Andere Metalle würden schmelzen oder sich wenigstens verbiegen, man braucht eine spezielle Legierung. Deswegen habe die Govas auch mich geschickt, ich hätte es dir sonst erklären können.«
Kard schaute den Jungen zweifelnd an.
»Legierung? Du kennst ja Worte! Bist du etwa auch ein Schmied?«
»Nein, das ist mir viel zu heiß. Ich habe es gelesen!«
Benji sah Kard triumphierend an und knetete ganz aufgeregt seine Finger.
»Gelesen?«
»Ja, in der Bibliothek gibt es Bücher über wirklich alles. Da habe ich nochmal nachgeschaut, bevor ich los bin. Und zu diesem Ofen gibt es eine eigene Bedienungsanleitung.«
»Eine was?«
»So ein Buch, wo alles beschrieben ist. Sicherheitsanweisungen. Beschreibung der Teile. Welchen Hebel man runterdrücken muss, damit die Rohre in den Schlafsälen mit heißem Wasser gefüllt werden. Und auch, aus welchem Material alles besteht.«
Kard nickte anerkennend. Ich erinnere mich an die Bibliothek. Sie lag direkt neben dem Trakt der Govas. Immerhin hatte er im Waisenhaus ja auch selbst das Lesen gelernt. Die Welt der Buchstaben hatte ihn allerdings nie wirklich fasziniert.
»Es gibt sogar Bücher über die Drachenkönige!«
Benji hatte geflüstert und schaute Kard jetzt erwartungsvoll an. Bücher über die Drachenkönige in einer Bibliothek der Govas? Kard glaubte, sich verhört zu haben. Der Kleine will hier wohl ein wenig angeben.
»Über die Drachenkönige?«
Benji nickte ganz aufgeregt und lächelte verschmitzt.
»Ja, ein bisschen versteckt in einem Buch über Steine. Es gibt Gestein, das durch Vulkane entsteht. Vulkane…« Benji senkte nochmals die Stimme, als ob eine der Govas hinter ihm stehen würde, »…Branubrabat…Drachenkönige!«
»Hm, ist ja interessant. Und die Govas lassen euch einfach so in die Bibliothek spazieren und alles lesen, was da steht?«
»Nein, das habe ich heimlich gemacht. Eigentlich dürfen wir nur da hin, wo die Schulbücher stehen. Rechnen und so.«
»Und da hast du mal so schnell nebenbei ein wenig in den anderen Büchern gelesen?«
»Nicht ganz! Aber ich weiß, wo der Schlüssel ist!«
Stolz schaute Benji Kard an.
»Der Schlüssel?«
»Der Schlüssel zur Bibliothek natürlich. Normalerweise ist immer eine der Govas dabei, wenn wir die Bücher holen. Aber wenn man den Schlüssel hat, kann man natürlich auch so rein.«
»Und jetzt laufen jede Nacht alle Kinder heimlich zwischen den Regalen herum?«
»Nur ich. Die anderen spielen lieber Grasball oder Verstecken. Die meisten interessieren sich nicht so besonders für Bücher. Bücher erinnert sie an die Schule und daran will keiner erinnert werden.«
»Wieviele seid ihr denn?«
Benji überlegte kurz, zählte mit den Fingern, seine Lippen bewegten sich stumm.
»Mit dem dicken Adrian sind wir siebzehn.«
Der dicke Adrian? Den kannte Kard sogar noch. Der Junge hatte damals mit zehn Jahren nur bis drei zählen können und die Spucke war ihm ständig aus dem Mund gelaufen. Was machte der noch im Waisenhaus? Normalerweise wurden die Kinder als Knechte an die Bauern oder Jäger gegeben, sobald sie kräftig genug dafür waren. Wieso hatten die Govas diesen dicken Klops, der soviel Suppe wie drei andere Kinder in sich hineinlöffelte, nicht einfach auf die Straße gesetzt? So wie sie es ihnen immer gedroht hatten, wenn einem der Kinder ein Missgeschick widerfahren war?
Siebzehn Kinder. Das waren nicht so viele. Zu meiner Zeit waren wir dreimal soviel gewesen.
Benji lächelte Kard vertrauensvoll an. Kard beneidete ihn irgendwie. In seiner Erinnerung war die Zeit im Waisenhaus geprägt von keifenden Govas und den Ellenbogen der anderen Kinder. Vertrauen war ein Gefühl, das Kard damals nur dem Feuer entgegengebracht hatte. Fast so wie heute. Aber es gab ja noch Madad. Als ob der Freund seine Gedanken gelesen hätte, stürmte der Cu in diesem Augenblick in die Schmiede.
»Papierfetzen jagen. Das ist vielleicht cool. Hier schau mal.«
Aus den Zähnen des Cus löste sich ein Stück Papier. Kard nahm es hoch und hob eine Augenbraue.
»Genau, da schaust du, oder?« Madad entblößte triumphierend alle Zähne.
Es war ein Flugblatt mit den anstehenden Hinrichtungen für das nächste Dadeugende, dem Ende der Arbeitswoche in Haragor. Ähnlich dem Flugblatt, wie es damals Gsam und seine Söhne gedruckt hatten. Damals, als Kard noch in die Lehre bei dem Torakschmied Wallas gegangen war, der ebenfalls zu dieser Gruppe gehört hatte. Ein paar verstreute Wesen, die sich Widerstand genannt und geglaubt hatten, sich mit einem Stück Papier gegen die Grausamkeit des Herrschers erwehren zu können. Nur ein Blatt Papier. Ohne Kommentar, ohne Unterschrift. Einfach nur die Liste. Aber nicht alle Wesen, die für die Hinrichtung bestimmt waren, waren, Toraks, was Kard verwunderte. Als Gsam, der Wirt des ›Knochenbruchs‹, die Flugbätter in Conchar gedruckt hatte, waren nur Toraks zum Tode verurteilt worden. Menschen hatten fast nichts zu befürchten. Wenn sie Pech hatten, mussten sie in die Minen als Zwangsarbeiter. Oder in den Kerker. Aber der Galgen war für die minderwertigen Halbriesen vorbehalten gewesen. Ein Grund, wieso der Widerstand sich hauptsächlich aus Toraks zusammensetzte.
Das schien sich inzwischen verändert zu haben. Auf der Hinrichtungsliste waren ebenfalls Menschen und Ichtos zu finden. Selbst auf das abgelegene Truk fiel also der tödliche Schatten Flanakans. Aber offensichtlich gab es auch hier eine Zelle des Widerstands, eine Gruppe von Menschen und Toraks und anderer Wesen, die sich der Willkür des Herrschers entgegen stellten.
Benji drängte sich neben Kard und schaute neugierig auf das Blatt.
»Sind ja fast nur Toraks. Die Govas meinen sowieso, dass Goiba froh wäre, wenn es ein paar weniger von ihnen geben würde.«
Kard schaute Benji an. Er wusste, dass er in seinem Alter und auch noch viel später genauso gewesen war. Was die Govas gesagt hatten, war nicht zu hinterfragen gewesen.
»Stell dir mal vor, Benji, du wärst ein Torak. Wie würdest du dich fühlen, wenn du so ein Liste siehst?«
»Ich, ein Torak?« Das helle, fröhliche Lachen des Jungen hallte durch die Schmiede, brach sich an den kalten Wänden und verschwand mit dem Rauch der Esse im Kamin. Zurück blieb ein Schweigen und die Blicke von Kard und Madad, die den Jungen traurig ansahen.
»Aber ich bin doch ein Mensch. Wie könnte ich denn ein Torak sein?«
»Dann stell dir eine Liste mit Menschen vor. Nur Menschen. Keine Toraks.«
»Es werden auch Menschen hingerichtet. Mörder und so.«
Kard zeigte auf das Blatt.
»Wegen Diebstahls eines Fasses Schoff.«
»Das kann man nicht so wirklich mit Mord vergleichen, oder?« Madad schaute Benji mit diesem tiefen, herzzerreißenden Hundeblick an.
»Schau mal, der ist erst knappe dreißig Jahre alt, für einen Torak ist der damit noch fast ein Kind.«
Benji schaute trotzig zurück. »Also die Govas sagen, dass das alles gerecht ist. Wer gegen Flanakan ist, ist gegen Tsarr, ist gegen Goiba. Und wer gegen die Götter ist, der ist des Todes. Ganz einfach.«
»Genau, ganz einfach. Und Goiba ist die einzige Göttin, und Branu ist ein Idiot, oder?«
Benji schaute den Gotteslästerer entsetzt an. In Kards Augen glimmte kurz eine Flamme auf, wahrscheinlich das Spiegelbild einer kurzen Eruption der Schlacke in der Esse. Dann wandte sich Kard ab und lenkte seinen Blick hinaus auf die Straße. Dort hatte die Nacht begonnen. Der Winter kündigte sich an. Zeit von Dunkelheit und Kälte.
Die Zeit Goibas.
*
Der Schatten lauerte im Halbdunkel und überblickte den Marktplatz von Conchar. Überall schlurften diese riesigen Toraks herum. Mussten die nicht irgendetwas arbeiten? Wie die sich bewegten. In Zeitlupe. Hatten die es nicht eilig, hatten die nichts zu tun? Wenn diese Viecher sprachen, klang es, als ob jede Silbe sich einzeln aus ihrer Kehle herausarbeiten musste. Boaaahääällllschsch. Das konnte doch niemand verstehen. Und diese kleine Augen! Wie bei Schweinen. Und genauso stanken auch! Und trotzdem waren die noch ganz gut gekleidet. Hatte der da hinten nicht sogar eine Goldkette um den Hals? Sicherlich so ein reicher Winxbauer. Der sein verdünntes Gesöff gegen überhöhte Preise an die Menschen verkaufte. Widerlich. Und dann diese großen Nasen. Die hatten wirklich große Nasen, diese Toraks. Riesige Riechkolben. Hässlich. Abgrundtief hässlich. Und liefen hier herum, als ob ihnen die Welt gehöre. Aber wartet nur ab, ihr Viecher, eure Zeit wird schon noch kommen, wartet nur ab.





