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Zoe wartete gespannt, sah ihrer Mentorin bei der Betrachtung der Bilder zu.
„Die sind … verstörend.“ Dr. Applewhite schüttelte den Kopf, schob ihre Unterlippe für drei Sekunden zwischen ihre Zähne, während sie die Fotografie ans Ende des Stapels in ihren Händen schob und die nächste ansah. „Ich vergesse manchmal, dass du dir täglich solche Dinge ansehen musst. Es muss belastend sein.“
Zoe zuckte mit den Schultern. „Tote Körper sind tot. Mich belastet es, wenn ich einen Fall nicht lösen kann.“
„Und das hier ist einer, den du noch nicht lösen konntest.“ Es war keine Frage. Zoe hatte die Doktorin schon informiert, dass sie Hilfe brauchte. Dr. Applewhite wusste, dass es ein offener, aktueller Fall war und dass eine Erlaubnis notwendig gewesen war, damit sie überhaupt diese Unterhaltung führen konnten. Sie begriff also, dass die Zeit drängte. Mit jeder vergehenden Stunde sank die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Person finden würden, die das getan hatte.
Bei Tötungsverbrechen waren die ersten vierundzwanzig Stunden entscheidend. Jeder wusste das. Achtundvierzig Stunden ohne Verhaftung und man begann, sich auf gefährliches Territorium zu bewegen. Die Art von Fällen, die zu Episoden spätabendlicher Fernsehsendungen wurden.
Der Collegestudent war schon seit weit über achtundvierzig Stunden tot.
„Ich muss wissen, was es bedeutet“, erklärte Zoe. „Momentan ist es die einzige Spur, die wir haben. Es scheint keine Verbindung zwischen dem Professor und dem Studenten zu geben, abgesehen von ihren Fundorten. Keine Zeugen, kein Material aus Überwachungskameras. Wir müssen herausfinden, welche Botschaft der Mörder übermitteln möchte, wenn wir ihn fassen wollen.“
Dr. Applewhite betrachtete die Bilder stirnrunzelnd und legte sie neben Zoes Notizen, um die Berechnungen zu prüfen, die Zoe bereits gemacht hatte.
„Deine Berechnungen scheinen fehlerfrei“, sagte sie nach einer Weile. „Ich kann keinen anderen Weg sehen, den du nicht schon ausprobiert hast. Es ist ausgesprochen anspruchsvoll – sogar höher als der Level, auf dem ich arbeite.“
Zoes Herz sank. Sie war sicher, so sicher gewesen, dass Dr. Applewhite die Antworten hätte. Nun schienen diese Hoffnungen zerstört zu sein.
Sie grübelte bereits über Alternativen nach, überlegte, was sie Shelley sagen sollte, als Dr. Applewhite erneut sprach.
„Ich kenne einige Leute, die vielleicht helfen können“, sagte sie. „Professoren. Einige Mathematiker, die in anderen Bereichen arbeiten. Wenn ich ihnen das hier zeigen darf, könnte ich vielleicht damit ein wenig weiterkommen. Das ist die Art Herausforderung, die sie alle lieben werden, also würden wir wenigstens einige fähige Köpfe einbeziehen können.“
Zoe nickte zustimmend. „Das würde hilfreich sein.“
Dr. Applewhite strich ihren grauwerdenden Bob hinter ein Ohr und sah auf, fixierte Zoe nun mit diesem forschenden Blick. „Wie kommst du hiermit zurecht? Es geschieht nicht oft, dass eine mathematische Frage auftritt, die du nicht beantworten kannst.“
Zoe überlegte kurz, zu lügen, ließ dann aber ihre Schultern herabhängen. „Ein wenig wie ein Versagen. Das ist meine Spezialität. Ich sollte wenigstens in der Lage sein, es lösen zu können. Wenn ich es nicht kann, wer beim FBI sollte es dann tun?“
Bei jedem anderen hätte es wie Prahlerei geklungen. Für Zoe war es einfach nur eine Tatsache. Analysten und dergleichen arbeiteten vielleicht den ganzen Tag mit Zahlen, aber sie begriffen sie nicht so instinktiv wie sie es tat. Sie konnten nicht eine Gleichung auf einer Seite ansehen und die Antwort so deutlich sehen, als ob sie daneben stünde. Das war zumindest bei ihr normalerweise der Fall.
Das hier war ein anderes Kaliber.
„Man kann nicht erwarten, dass du alles löst. Kein Agent in der Geschichte des FBI hatte je eine hundertprozentige Aufklärungsrate.“
Zoe lächelte matt. „Ich bin sicher, es gab einige. Agenten, die direkt nach der Lösung ihres ersten Falles getötet wurden oder das FBI verließen, zum Beispiel.“
Dr. Applewhite rollte mit den Augen. „Es sieht dir ähnlich, das Schlupfloch zu finden. Gut, ich werde einige Anrufe machen und diese Gleichungen einigen meiner Kollegen zeigen. Ich werde ihnen nicht sagen, worum es geht – nur, dass es dringend und eine große Herausforderung ist. Das sollte sie genügend faszinieren, um daran zu arbeiten. Ich werde dich sofort wissen lassen, wenn jemand einen Durchbruch erzielt.“
„Und auch alle andere“, forderte Zoe sie auf. „Wenn jemand einen Fehler findet, oder ein Zeichen, dass etwas fehlt. Wir konnten die erste Leiche nicht komplett überprüfen, um zu sehen, ob der Fotograf etwas übersehen hat. Denken Sie auch daran, dass wir nicht wissen, ob es eine Gleichung oder zwei separate Aufgaben sein sollen.“
„Verstanden.“ Dr. Applewhite legte die Fotografen vor sich auf den Schreibtisch, fünf Zentimeter rechts von sich, näher am Laptop. Eine Geste, die Zoe zeigte, dass sie sich darum kümmern würde, sobald sie die Möglichkeit hatte. „Nun, wie steht es mit Dr. Monks Empfehlungen? Hast du weiter darüber nachgedacht –“
Zoes Klingelton ertönte aus ihrer Tasche, begleitet von lautem Brummen. Gerade noch davongekommen, dachte sie, während sie ein entschuldigendes Gesicht machte und den Anruf entgegennahm.
„Special Agent Prime.“
„Z, ich bin’s. Ich hab was in den E-Mails des Professors gefunden.“
„Ich bin unterwegs“, sagte Zoe ihr, beendete das Gespräch und sprang mit einem Nicken in Richtung ihrer Mentorin aus ihrem Stuhl. Was auch immer es war, es musste vielversprechender sein als das Nichts, das sie jetzt hatten.
KAPITEL SIEBEN
Zoe fuhr auf den Campusparkplatz. Zu dieser Zeit, als der Abend sich rasch niedersenkte, war er ziemlich voll – die Autos gehörten den Studenten, die in den diversen Wohnheimen und Wohnungen der Umgebung lebten. Jedes hatte einen Aufkleber mit einer Universitätsparkerlaubnis auf der Windschutzscheibe. Zoes Auto hatte etwas Besseres – einen FBI-Aufkleber.
„Lies es mir noch mal vor?“ bat Zoe. Sie war hinsichtlich Shelleys Theorie immer noch unsicher. Über eine schlechte Note wütend zu sein, war eine Sache, aber wütend genug, um zu töten?
Shelley holte die Email ohne den leisesten Seufzer der Frustration wieder auf ihrem Telefon hoch, was ihr anzurechnen war. Sie hatte den Screenshot gespeichert und als Beweis mitgebracht – einen Beweis, den sie brauchen würden, wenn sie den Studenten konfrontieren wollten, der sie geschickt hatte.
„‚Professor‘“, las sie vor. „‚Ich kann nicht glauben, dass Sie mich haben durchfallen lassen. Meinen Sie das echt ernst? Ich habe mir verdammte Mühe mit dieser Hausarbeit gegeben und Sie haben einfach entschieden, mich aus dem Kurs zu werfen! Lehrer sollen helfen und unterstützen. Danke für ein beschissenes Garnichts. Sie sind der schlimmste Professor, den ich je hatte. Ich hoffe, Sie werden gefeuert. Ich bin nicht der Einzige, der Sie total hasst. Sie werden über glühende Kohlen laufen, wenn der Dekan sich unsere Beschwerden angehört hat. Versuchen Sie, heute gut zu schlafen, Arschloch.‘“
Zoe war mit den Gedanken schon woanders, als Shelley fertig war. Sie hatte es schon einige Male gehört und dieses erneute Mal hatte ihre Meinung nicht geändert. Es war studentisches Wutgeschrei, nichts weiter. Drohungen gegen seine Karriere, nicht gegen sein Leben.
Ganz davon abgesehen, dass der Student Englisch studierte, nicht Mathematik. Die Verbindung war nicht eng genug. Wie konnte dieser kaum des schriftlichen Ausdrucks fähige Student gewusst haben, wie man komplizierte Gleichungen schreibt? Kompliziert genug, um Experten vor Rätsel zu stellen?
Und außerdem, wenn der Junge auf den Professor sauer war, erklärte es nicht, warum er es auf das erste Opfer – den Studenten – abgesehen haben sollte.
„Nun?“ fragte Shelley.
Zoe realisierte, dass sie schweigend dagesessen und nicht auf Shelleys Vorlesen reagiert hatte. Sie zuckte jetzt mit den Schultern. „Klingt nach nichts.“
„Komm schon, er bedroht den Professor ganz offen, Z“, sagte Shelley. „Und dieser Hinweis auf andere verärgerte Studenten – was, wenn er andere kennt, die es vielleicht getan haben? Wir müssen ihn zumindest befragen.“
Zoe starrte hinaus auf den dunklen Campus, die Arme vor dem Steuer über der Brust verschränkt. „Wenn du meinst.“
Es war offensichtlich nicht die Antwort, die Shelley erhofft hatte, denn sie gab einen gereizten kehligen Laut von sich und drehte sich weg.
Ihr Telefon summte fast genau in diesem Moment und sie sah hinunter, um die eingehende Mitteilung zu lesen. „Ich habe gerade eine Mail von einer Sekretärin in der Zulassungsstelle bekommen. Sie hat Jones’ Stundenplan rübergeschickt.“
„Jones?“ unterbrach Zoe.
Diesmal seufzte Shelley und rollte mit den Augen. „Jensen Jones, der Student, wegen dem wir hier sind. Ich weiß, du glaubst nicht, dass es eine wirkliche Spur ist, aber ich hatte gedacht, dass du wenigstens aufmerksam bist.“
Zoe zuckte erneut mit den Schultern, entschuldigte sich nicht. Sie hatte bessere, wichtigere Dinge, auf die sie sich konzentrieren musste. Die Gleichungen. Die Tatsache, dass sie bei deren Lösung immer noch keinen Schritt weiter war. Es war eine Qual, darauf zu warten, dass Dr. Applewhites Kontakte sie sich ansahen und sich bei ihr meldeten.
„Das hier ist jedenfalls wichtig. Jones hat auch einen Physikkurs belegt. Und rate, wer der Tutor für diesen Kurs war?“
Zoe starrte sie unbewegt an. Sie würde dieses Spielchen nicht mitspielen.
Shelley fuhr unverdrossen fort: „Cole Davidson. Auch bekannt als Mordopfer Nummer Eins. Jones hatte eine persönliche Verbindung zu beiden Opfern.“
„Aber er studiert nicht Mathematik.“ Zoe konnte es nicht länger zurückhalten. Sie weigerte sich zu glauben, dass die Gleichungen einfach nur beliebig waren, nur Kritzeleien, die sie ablenken sollten. Sie mussten in dem Fall eine Schlüsselrolle spielen. Sie mussten.
Denn wenn sie das nicht taten, war Zoe in diesem Fall nicht so nützlich wie sie geglaubt hatte und alles wäre nur ein langweiliger Durchschnittsmordfall. Sie konnte nicht genau sagen, warum sie diese Möglichkeit so sehr störte. Sie wusste nur, dass sie diese Gleichungen lösen und diese der Schlüssel sein mussten.
„Schau, ich weiß, dass du dich auf deinen höheren Rang berufen könntest, wenn du wolltest. Du bist die vorgesetzte Agentin. Aber ich möchte nicht mit einem ungelösten Fall enden und nicht sagen können, dass wir jeden Stein umgedreht haben. Ich werde hineingehen und ihn befragen“, sagte Shelley entschieden, öffnete ihre Tür und stieg aus dem Auto.
Zoe blieb einen Moment sitzen, seufzte dann und öffnete ihre Tür. Letztlich waren sie Partner. Sie arbeiteten zusammen. Auch wenn Zoe keineswegs glaubte, dass dies hier notwendig war, sollte sie ihre Partnerin trotzdem unterstützen.
Also würde sie das auch tun.
Sie holte Shelley, die so schnell wie möglich über den Campus ging, einige Minuten später ein. Eine knisternde Energie ging von der anderen Frau aus, eine Wut, die sich wie die Borsten eines Stachelschweins aufsträubte. Für Zoe war es eine bekannte Reaktion. Sie rief oft Wut bei anderen hervor, häufig ohne zu wissen, was sie falsch gemacht hatte.
Diesmal wusste sie es wenigstens.
„Ich akzeptiere deine Spur“, sagte Zoe. „Wenn du das Gefühl hast, dass wir durch den Jungen was herausfinden, dann stehe ich hinter dir.“
Shelleys Schritte strauchelten ein wenig, bevor sie wieder ihren Kurs aufnahm. „Danke“, sagte sie, ein wenig zu steif. Zoe begriff, dass sie immer noch aufgebracht war, aber warum? Sie hatte Shelley gegeben, was sie wollte, oder?
Solche Fragen würden später, oder vorzugsweise gar nicht, geklärt werden, denn sie waren vor einem Wohnblock am Rand des Campus angekommen. Shelley hatte die Kartenapp auf ihrem Telefon geschlossen, was Zoe zeigte, dass sie wohl da waren. Die aus den Fenstern dröhnende Musik, selbst wenn diese geschlossen waren, lag über der im Gesetz zur Ruhestörung festgelegten Grenze für im öffentlichen Raum hörbare Lautstärke . Das merkte sie auch hier draußen auf der Straße sofort.
Ein Collegestudent, vom Aussehen her höchstens neunzehn Jahre alt, taumelte aus der Tür, als sie sich näherten. Er hatte einen roten Becher in seiner Hand und hantierte mit einer Zigarette. Als er aufblickte und die beiden Frauen auf sich zukommen sah, weiteten sich seine Augen zu fast komischer Größe. Die dreißig Milliliter Flüssigkeit in seinem Becher wurden über seine Schulter ausgekippt, landeten auf einigen Büschen,und er ging schnell weg, umklammerte den jetzt leeren Plastikbehälter, als ob sein Leben davon abhing, diesen von ihnen fernzuhalten.
„Party“, sagte Zoe, erkannte die Anzeichen.
Shelley holte ihr Telefon wieder hervor und brachte eine Fotografie von Jensen Jones auf den Bildschirm, die von seiner Collegeanmeldung stammte. Er war jung, hatte ziemlich regelmäßige Gesichtszüge. Braune Haare, breite Nase, braune Augen. Überhaupt nichts Auffälliges.
Was angesichts von Shelleys nächsten Worten ungünstig war. „Wir müssen unsere Augen nach ihm offenhalten. Ich nehme an, die meisten von ihnen werden sich verteilen und wegrennen, sobald wir da sind. Wir sehen offensichtlich nach FBI, oder zumindest Polizei, aus. Wir müssen ihn vielleicht erwischen, während er versucht, abzuhauen.“
„Er gibt eine Party direkt nachdem er zwei Leute ermordet hat?“ fragte Zoe. „Würde man das wirklich als normale Reaktion betrachten?“
„Nicht normal, nein, aber es ist vorgekommen“, sagte Shelley. „Ich könnte einige Fälle nennen, aber es wahrscheinlich effizienter, wenn wir ihn uns greifen und es abklären.“
„Nach dir“, schlug Zoe vor und deutete auf die Tür.
Shelley holte tief Luft, als ob sie sich Kraft gab, nickte dann. „Gehen wir.“
Hinter der Tür des Wohnblocks war der Lärm wesentlich lauter. Es komplizierte ihre Suche, dass es alleine im Erdgeschoss drei offene Türen gab – die Bewohner jeder Wohnung öffneten ihre Privatbereiche, um Teil der Party zu sein. Diese hatte sich über den Flur ausgedehnt, die Treppen hinauf und – wenn man von der Vielzahl an Teenagern ausging, die sich in alle Richtungen bewegten – durch jede Wohnung des Gebäudes.
Zoes und Shelleys Erscheinen wurde nicht sofort bemerkt. Einige Studenten sahen sie und schoben sich an ihnen vorbei die Tür hinaus, wollten sich zweifellos so weit wie möglich von den Schwierigkeiten entfernen.
Aber dann passierte das Schlimmstmögliche: einer der jungen Leute, ein sportlicher 1,80 m großer Kerl mit der Figur eines Quarterbacks, rief panisch aus: „Die Bullen sind hier!“
Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Buschfeuer im Gebäude und Panik setzte ein. Es hatte keinen Sinn, zu versuchen, inkognito zu bleiben. Zoe griff nach ihrer Marke in der inneren Tasche und schwenkte sie durch die Luft. „FBI. Diese Party ist zu Ende! Jetzt!“
Die Wirkung setzte umgehend und spürbar ein. Dreißig Studenten rannten rasch hintereinander an ihr vorbei, alle aus den Zimmern der unteren Wohnungen. Oben verbreitete sich die Nachricht ebenfalls und Leute polterten hinunter, verschütteten ihre Biere auf dem Teppich, als sie stolperten und torkelten.
Zoe wartete in der Halle, während Shelley nacheinander in alle drei Erdgeschosswohnungen ging, dadurch noch mehr Studenten durch die Gegend jagte. Sogar von ihrem Standort aus, an dem sie keinen Versuch machte, einen der an ihr vorbeirennenden Studenten aufzuhalten, konnte Zoe erkennen, dass Chaos herrschte. Zerknüllte rote Becher, heruntergefallenes Essen und verschüttete Getränke und zweifellos der gelegentliche Fleck Erbrochenes bedeckten jede sichtbare Oberfläche. Es war eine große Sache gewesen – die legendäre Art Party, von der die jungen Leute noch monatelang redeten. Zu schade, dass sie es beendet hatten.
Zoe konnte nicht behaupten, dass sie eine Art deplatzierte Nostalgie fühlte. Sie war selten zu irgendwelchen Partys eingeladen worden und hatte noch seltener an ihnen teilgenommen. Damals, wie jetzt, war diese Art Party zu überfordernd. Der Lärm, die Leute überall, die Trunkenheit und Verführung des verbotenen Alkohols – und, wenn man nach den Gerüchen ging, auch anderen Substanzen.
Auch mit dem Vorteil zusätzlicher Jahre der Erfahrung konnte Zoe nicht mehr tun, als sich auf die Gesichter jener zu konzentrieren, die an ihr vorbeirannten. Sie verglich jedes davon mit dem jungen Kerl auf dem Foto, aber obwohl mehrere ihm sehr ähnlich sahen, war keiner von ihnen der echte Jensen Jones. Sie fühlte sich wie ein Stein in der Mitte eines Flusses, der von der Strömung umspült wurde. Es gab reichlich interessante Dinge, die ihr ins Auge fielen, Winkel und Figuren und Zeichen, aber sie rasten so schnell vorbei, dass sie sie kaum registrieren konnte, bevor sie weg waren.
Shelley kam kopfschüttelnd aus dem dritten Zimmer. Zoe richtete ihre Augen wieder auf die Treppen, gerade rechtzeitig, um jemanden dort herunterlaufen zu sehen. Eine junge Frau, die eine Sammlung von zwölf zusammengebundenen Flaschenverschlüssen um den Hals trug, welche gegeneinander klapperten, während sie lief–
„Da!“ rief Shelley.
Zoe riss ihre Aufmerksamkeit zu spät von dem Mädchen los, sah nur eine verschwommene Gestalt an sich vorbeilaufen. Angesichts der Richtung, in die Shelley zeigte, wusste Zoe, dass es ihr Mann gewesen sein musste. Sie fluchte leise – er war schon durch die Türe.
Sie drehte sich um und raste ihm nach, behielt ihn im Blick, während er weglief. Er war 1,78 m groß, athletisch gebaut, die Muskeln spannten sich leicht in seinen Waden an, während seine Arme hoch und runtergingen. Jung, in Form und offensichtlich ein erfahrener Läufer.
Zoe hatte kaum fünf Schritte gemacht, bevor sie wusste, dass sie ihn auf gar keinen Fall erwischen würde.
In ihrem Kopf breitete der Campus sich wie eine Landkarte aus, Topographie und Neigungswinkel inklusive. Er schlängelte sich links davon, in Richtung einer Gruppe kleiner Gebäude, die am Rand des Campus verteilt waren. Hinter ihnen befand sich ein Zaun, der die Grenze zwischen dem College und der umgebenden Stadt zu markierte.
Zoe dachte schneller als sie rennen konnte. Sein Weg würde notwendigerweise gewunden sein, dem Verlauf des Zaunes folgend, bevor er eine Lücke und einen Fußgängerdurchgang erreichte. Dies auch nur, falls er seinen Studentenausweis bei sich hatte, der ihres Wissens an diesem Punkt, wie auch an weiteren Collegeeinrichtungen, für den Ausgang notwendig war.
„Bleib an ihm dran!“ schrie sie über ihre Schulter, sah Shelley aus dem Augenwinkel, während sie selbst rechts abschwenkte. Bei dieser Geschwindigkeit würde er sie immer abhängen. Aber sie konnte in der gleichen Zeit eine kürzere Entfernung überqueren und wenn sie seine Meilen pro Stunde mit ihren verglich, wusste sie, dass sie ihn beim Durchgang erwischen konnte.
Aber nur, wenn sie einen offenen Hof in direkter Linie überquerte, dann einen engen Weg zwischen zwei Gebäuden nahm und dann direkt über den dahinterliegenden Parkplatz lief.
Nur, wenn niemand ihr in den Weg geriet.
Zoe bewegte Arme und Beine stärker, wurde schneller, selbst als sie dachte, sie hätte ihre Grenze erreicht, kämpfte gegen die kalte Nachtluft, die in ihre Lungen strömte. Es geschah dieser Tage nicht oft, dass sie sich einer wirklichen sportlichen Herausforderung stellen musste. Und sie war nicht so jung wie er. Aber sie trieb sich zum Äußersten, hatte vor, verdammt sicherzustellen, dass sie rechtzeitig dort sein würde – selbst wenn es auf ihrem Weg ein Hindernis gab.
Der Hof flitzte verschwommen vorbei, dann schoss sie durch den engen Weg, zum Glück war dort niemand, der ihr vor die Füße stolpern konnte. Der Boden unter ihr wurde zum harschen, holprigen Asphalt, bestrafte ihre Füße dafür, dass sie normale Schuhe anstelle von Turnschuhen angezogen hatte.
Zoe konnte den Zaun auf der anderen Seite der Gebäude immer noch nicht sehen, aber sie konnte den Durchgang sehen. Ein weiterer Schwung Adrenalin ließ sie vorwärts hasten. Wenn sie nicht rechtzeitig ankam…
KAPITEL ACHT
Sie durfte keine Zeit verlieren. Zoe gab zum Abschluss noch einmal alles, zwang ihren Körper über seine normale Belastungsgrenze hinaus.
Zoes Herz hämmerte im gleichen Takt wie ihre Füße auf dem Parkplatz und sie wurde zu einem abrupten Anhalten gezwungen, als ihr Körper mit einem anderen zusammenstieß. Sie streckte instinktiv die Arme aus, um ihn zu ergreifen und drückte Jensen Jones gegen den drei Meter hohen Zaun, so dass er seine Körpermasse nicht zur Flucht nutzen konnte.
Shelley erreichte sie schon in wenigen Augenblicken. Sie war völlig außer Atem und rot im Gesicht, Haare hatten sich aus ihrem Chignon gelöst, aber sie war da. Sie half Zoe dabei, ihm mit Handschellen die Hände hinter dem Rücken zu fesseln, während sie Warnungen über die Flucht vor Strafverfolgungsbehörden und ihr Recht, ihn zu befragen hervorkeuchten. Er ließ nur den Kopf hängen, versuchte selbst, wieder zu Atem zu kommen.
Zoes ganzer Körper fühlte sich an, als ob er aufgewacht wäre. Luft und Licht hatten ihre Gelenkzwischenräume angefüllt, das Strecken seit langem ruhender Muskeln fühlte sich wundervoll an. Natürlich hatte sie auch Schmerzen, besonders in ihren Knöcheln, die das Gerüttel über den Parkplatz keineswegs genossen hatten. Im Ganzen aber fühlte sie sich phantastisch. Es war ein besonderes Gefühl, den Wind in den Haaren zu spüren, während man gegen jemanden um die Wette rannte – und gewann.
***Nun, da der Wohnblock abgesehen von ihr, Shelley und Jensen leer war, fühlte er sich für Zoe anders an. Die Gäste hatten sich in alle Winde zerstreut, die Bewohner mit ihnen. Sie legten es zweifellos auf glaubhafte Bestreitbarkeit an.
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