Getönte Fenster

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„Hier ist was wir haben“, sagte Cooper. „Vor ungefähr einer Stunde haben wir einen Anruf von Rock and Sam’s, einer Bar hier um die Ecke bekommen. Der Bartender, Sam, ist ein guter Freund von mir, ich kann für ihr bürgen. Er sagte, dass ein Typ reingekommen war, ein Typ, den er zuvor schon gesehen hatte, namens Carol Hughes. Er isst dort immer zu Mittag. Hughes bestellte das Übliche, und als er die Hand nach seinem Bier ausstreckte, bemerkte Sam eine Uhr an seinem Handgelenk. Es war eine schicke Uhr, eine die nicht wirklich zu dem Typen zu passen schien. Nicht nur das, sondern Sam hatte genau so eine Uhr in der Vergangenheit schon ein paar Mal gesehen – und zwar am Handgelenk von Steven Fielding.“
„Wirklich?“, fragte Rhodes. „Er meint, er hat dieselbe Uhr schon bei jemand anders gesehen?“
„Naja, es ist eine ziemlich einzigartige Uhr. Sie ist aus Gold – ich bin mir nicht sicher, ob es echtes Gold ist, oder nicht – und sie hat das Logo der Tennessee Volunteers auf dem Zifferblatt. Sam sagte, dass er sich genau erinnerte, dieses Logo vor ein paar Wochen auf der Uhr gesehen zu haben, die Steven trug, als er über College Football schimpfte. Als er die Uhr also an Hughes Handgelenk sah, erinnerte er sich daran, dass er gehört hatte, dass Steven vor ein paar Tagen erst bei einem abscheulichen Einbruch ermordet worden war. Er rief uns unauffällig an. Ich bin persönlich drangegangen und bin dann zur Bar, um den Kerl aufzugabeln. Er hat sich fast in die Hose gemacht, als er die Polizei in die Bar kommen sah. Hat sich gegen die Festnahme gewehrt, hat aber nichts gestanden.“
„Das klingt schon sehr eindeutig“, sagte Chloe.
„Wenn Sie die Uhr sehen wollen, sie wurde soeben konfisziert und zu den Beweismaterialien gebracht. Hab‘ sie nach Fingerabdrücken untersucht, und es scheint zwei verschiedene Paar zu geben. Ich würde mein Haus darauf verwetten, dass die einen Fielding gehören und die anderen unserem Verdächtigen.“
„Das wird nicht nötig sein“, sagte Chloe. „Ich denke, es würde reichen, wenn wir mit dem Verdächtigen sprechen könnten.“
„Fühlen Sie sich wie zuhause. Und lassen Sie mich wissen, wenn Sie etwas brauchen.“
Mit diesen Worten sperrte Cooper die Tür zum separaten Raum neben der Arrestzelle auf. Wie Chloe erwartet hatte, diente dieser als Verhörraum. Im Zentrum des Raumes stand ein klischeehafter Tisch, an den Carol Hughes mit Handschellen am rechten Handgelenk festgeschnallt war. Als Chloe und Rhodes den Raum betraten, sah er so aus, als würde er gleich vom Stuhl aufspringen
Er war ein sehr unauffälliger Mann. Er konnte einen Haarschnitt gebrauchen, da seine Koteletten wucherten und seine Stirn mit unordentlichen Strähnen fettigen Haares bedeckt war. Er schaute sie mit großen Augen an und dann kam ein Ausdruck der Verwirrung über sein Gesicht. Chloe begann sich langsam zu fragen, ob Rhodes und sie zu Partnerinnen gemacht worden waren, um die Hypothese zu überprüfen, dass Verdächtige oft verblüfft waren, wenn sie zwei zierliche Frauen hereinkommen sahen. Sie fragte sich, ob eine solche Verblüffung Kriminelle aus dem Konzept bringen konnte. Wenn das FBI nach Belegen suchte, dass dies der Fall war, wäre Hughes ein großartiges Subjekt für eine derartige Studie gewesen.
„Wer zum Teufel sind Sie?“, fragte er.
Chloe zeigte ihre Dienstmarke und ihren Ausweis vor, bevor sie sich dem Tisch näherte. Es gab keine Stühle auf der anderen Seite, also blieben sie und Rhodes einfach stehen. Sie standen nah am Tisch dran, um sicherzustellen, dass Hughes sich eingesperrt und umzingelt fühlte.
„Was war ihre Beziehung zu Steven Fielding?“, fragte Chloe.
„Gar keine. Ich hatte ihn in der Bar gesehen. Sah so aus, als könnte er Geld haben.“
„Scheint ziemlich dumm zu sein, eine Uhr zu tragen, die Sie aus seinem Haus geklaut haben. Besonders nachdem Sie ihn umgebracht haben. Sehen Sie das nicht auch so?“
Ein Anflug von Wut überzog Hughes Gesicht, aber nur kurz. Offensichtich wurde seine Wut schnell von der Einsicht weggespült, wie tief er nun wirklich in der Patsche saß.
„Ich wollte das nicht“, sagte er.
„Was genau?“, fragte Rhodes.
Hughes kämpfte einen Moment lang gegen etwas an. Chloe hatte es schon oft erlebt; selbst nachdem Menschen mit ihrer eigenen Schuld konfrontiert worden waren und genau wussten, dass sie erwischt worden waren, war es oft sehr schwer für sie einzugestehen, dass sie diese moralische Grenze überschritten hatten.
„Hören Sie, ich weiß, dass es falsch war, aber ich brauchte einfach etwas extra Geld, wissen Sie? Ich habe vor drei Monaten meinen Job verloren und die Rechnungen…man, es werden einfach immer mehr. Und meine Braut, sie will…sie will nicht einmal über eine Hochzeit nachdenken, solange ich nicht stabil bin…“
„Also erschien Ihnen ein Einbruch die angemessene Lösung zu sein?“, fragte Rhodes.
Chloe hatte dasselbe gedacht, doch sie hatte nie den Sinn darin gesehen, einen Verdächtigen vor den Kopf zu stoßen. Es führte meistens nur dazu, dass alles nur noch länger dauerte. Ehrlichgesagt hatte sie sich in Bezug auf Hughes auch die ganze Zeit den Kommentar verkneifen müssen, dass es wahrscheinlich keine gute Idee war, Bars zu frequentieren, wenn er seit drei Monaten keine Arbeit mehr hatte.
„Erzählen Sie uns der Reihe nach was passiert ist“, sagte Chloe.
„Ich bin ihm ein paar Tage lang nachgegangen, um mir seinen Tagesablauf zu merken. Ich dachte nicht, dass er zuhause sein würde. Ich hatte vor da schnell rein und raus zu sein, und das wäre alles.“ Er hielt nun einen Moment lang inne und erst dachte Chloe schon, er könnte anfangen zu weinen. Doch, was sie als Angst deutete, begann sich langsam in Horror zu verwandelt. Hughes begriff die Schwere dessen, was er getan hatte, und es begann endlich bei ihm einzusickern und ihn herunterzuziehen.
„Doch als ich durch die Eingangstür kam war er direkt vor mir, auf dem Sofa. Ich hatte ein Brecheisen in der Hand, weil ich erwartet hatte, dass ich die Tür aufbrechen müsste. Und als er auf mich zukam und wir zu kämpfen begannen, ist es… ist es einfach mit mir durchgegangen. Ich war überrascht und erschrocken und ich habe einfach… ich habe begonnen ihn mit dem Brecheisen zu schlagen. Und ich konnte nicht aufhören… ich konnte nicht…“
„Was hat Sie dazu gebracht aufzuhören?“, fragte Rhodes.
„Ich habe gehört, wie das Garagentor aufging. Ich nehme an, es war seine Frau, die nach Hause gekommen war. Ich hatte auch das auf dem Schirm. Ich wollte einfach rein und wieder raus, bevor sie zurückkam, wissen Sie? Ich wollte nie jemanden verletzen oder töten… aber ich habe dieses Garagentor gehört und hörte auf. Ich sah, was ich getan hatte und…“
Er stoppte, immer noch nicht in der Lage sich dazu zu bringen, es auszusprechen.
„Reden Sie weiter“, beharrte Chloe.
„Ich wusste, dass er tot war und ich hatte das Gefühl, dass ich irgendetwas mitnehmen musste. Ich habe die Uhr gesehen, dachte sie sei aus Gold. Holte sein Portemonnaie aus seiner hinteren Hosentasche und nahm das Geld heraus. Zweiundachtzig Dollar.“
„Und dann sind Sie gegangen?“, fragte Chloe. „Direkt aus der Tür heraus?“
Hughes nickte. „Ich konnte sogar das Garagentor wieder zugehen hören. Ich habe seine Frau wahrscheinlich bloß um knappe dreißig Sekunden verpasst.“
„Sie wussten, dass er tot war, als sie gegangen sind?“, fragte Rhodes.
„Nicht mit absoluter Sicherheit.“ Er zitterte nun und die Handschellen um sein Handgelenk ratterten gegen die Stange, an die er gekettet war. „Aber so wie sein Schädel aussah… und das ganze Blut, ich dachte mir, es sei unmöglich, dass er noch am Leben ist. Oder wenn er nicht tot war… dann würde er es bald sein…“
„Mr. Hughes, kennen Sie einen Mann namens Viktor Bjurman?“
Die Frage schien ihn zu überrumpeln, vielleicht, weil sie auf den ersten Blick in keiner Verbindung zu seinen eigenen Handlungen stand. Nachdem er einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, schüttelte er den Kopf. „Nein. Nein, nicht, dass ich wüsste.“
„Waren Sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der letzten Woche in Pine Point?“, fragte Chloe.
„Ja. Da gibt es einen kleinen Reformmarkt. Ich kaufe dort meine Vitamine. Das war… letzten Freitag, glaube ich.“
Chloe machte einen Schritt vom Tisch weg. Sie betrachtete Hughes und dachte an seine Aussage und seine Antworten. Selbst ein schlechter Lügner konnte eine Story wie diese erfinden. Doch man musste schon ein wahrer Soziopath sein, um auch die kleinsten Details, vom Zittern bis zum Ausdruck aufrichtiger Angst, so gut hinzubekommen. Auf der Basis ihrer Instinkte und ihrer Erfahrung wusste sie, dass er die Wahrheit sagte – und dass es ihm vor den möglichen Konsequenzen graute. Die Tatsache, dass er sogar ein kleines persönliches Detail, wie die Vitamine, mit in seine Geschichte eingeschoben hatte, überzeugte sie endgültig.
Und davon ausgehend, war sie sich ziemlich sicher, dass das nicht der Mann war, der Viktor Bjurman umgebracht hatte. Was bedeutete, dass die Morde überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Sicher, es fühlte sich ziemlich gut an, recht behalten zu haben, doch es war ebenso frustrierend, da sie nun wieder ganz am Anfang standen, was Bjurmans Mord anbelangte.
„Mr. Hughes, wir werden die Polizei vor Ort bitten mit Ihnen zu arbeiten und einen Zeitablauf festzuhalten, der Auskunft darüber gibt, was Sie getan haben und wo Sie gewesen sind in der Zeit zwischen ihrem unbeabsichtigten Totschlag an Mr. Fielding und dem Moment, an dem sie festgenommen wurden. Wenn Sie alles detailliert genug angeben können, wird das FBI nicht eingeschaltet werden müssen. Haben Sie alles verstanden?“
Er nickte und schaute immer noch wie ein verwirrter Schüler im Matheunterricht drein. „Ich verstehe bloß nicht, wie das alles passiert ist. Ich verstehe nicht…“
„Haben Sie noch etwas, Agentin Rhodes?“, fragte Chloe.
„Nichts.“
Die Agentinnen ließen Hughes sitzen, wo er war, mit einem verängstigten und nun auch ziemlich verwirrten Ausdruck im Gesicht. Sobald sie wieder auf dem Flur standen, kam Cooper zu ihnen herübergeeilt. Ein weiterer Polizist war nun an seiner Seite und sie sahen beide genauso verwirrt aus, wie Hughes eben bei ihrem Verlassen des Raumes.
„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte er.
„Nein“, sagte Choe. „Sie und Ihre Männer haben hervorragende Arbeit geleistet. Das ist hundertprozentig ihr Mann, bloß nicht derjenige, den wir suchen. Wenn Sie feststellen könnten, wo er die letzten paar Tage gewesen ist, sodass wir ihn als Viktor Bjurmans Mörder ausschließen können, wäre das super.“
„Ja… ich habe mir gedacht, dass er den Mord nicht auch noch begangen hat“, sagte Cooper. „So zittrig und verängstigt wie er ist, kann ich mir nicht einmal vorstellen, wie er das, was er Fielding angetan hat, vollbringen konnte. Ich meine, Grundgütiger… haben Sie die Fotos gesehen?“
Sie wollte die Haltung der Polizisten nicht irgendwie beeinflussen, daher nickte Chloe bloß. Sie gab Cooper ihre Visitenkarte und sagte: „Würden Sie uns bitte anrufen, sobald sie eine ungefähre Zeitabfolge der Ereignisse haben?“
„Natürlich“ sagte Cooper, obwohl offensichtlich war, dass er noch nicht ganz begriffen hatte, wieso sie bereits gingen.
„Danke für Ihre Zeit“, sagte Rhodes, als sie an ihm vorbei zurück zum vorderen Teil des Gebäudes gingen.
Chloe war es unangenehm, dass sie auf eine nahezu unhöfliche Art und Weise gegangen waren, doch es gab wirklich keinen Grund für sie dort noch länger zu verweilen. Während sie zu ihrem Auto zurückliefen überlegte Chloe angestrengt, ob es nicht auch nur die kleinste Möglichkeit gäbe auf Nummer sicher zu gehen, dass Carol Hughes nicht auch noch Bjurman umgebracht hatte – obwohl jeder Justizbeamte, der seinen Namen wert war, das schon nach zwei Minuten in der Gegenwart des Kerls sagen könnte.
„Gut für die Coliner Polizei“, sagte Rhodes, als sie hinters Steuer stieg. „Ich bezweifele, dass diese Kerle jemals so viel Action abbekommen.“
„Ja, gut für sie“, sagte Chloe. Dann fügte sie hinzu: „Du hast es auch gesehen, oder? Er war geschockt von dem, was er getan hatte… fast so, als würde er es selbst immer noch nicht glauben können.“
„Ja, ich hab’s bemerkt. Nicht ganz was man von einem kaltblütigen Mörder zweier Männer erwarten würde, der vom FBI verhört wird.“
„Trotzdem sollte wir versuchen ein Alibi ausfindig zu machen. Mal sehen, was Cooper und seine Männer herausfinden können.“
„Einverstanden“, sagte Rhodes. „Aber was machen wir bis dahin?“
Chloe dachte einen Moment lang nach und sagte schließlich schulterzuckend: „Mittagessen?“
Es bedeutete die Niederlage zugeben, ohne sie tatsächlich zuzugeben. Chloe konnte den Gedanken nicht ausstehen, dass einen Mörder zu überführen als Niederlage zu werten war, aber der scheinbar banale Fall von Carol Hughes setzte sie schon zurück, was den Fall Bjurman anbelangte. Chloe wusste, dass ohne eine Verbindung zwischen Bjurman und Fielding sie vom Fall abgezogen werden würden, was bedeuten würde, dass Bjurmans Tod als ungelöster Mord an die örtlichen Polizeibehörden übergeben werden würde.
Und es war diese Befürchtung, die ihr noch etwas anderes offenbarte: die Tatsache, dass sie um jeden Preis an diesem Fall weiterarbeiten wollte, weil sie nicht bereit war zu dem Drama zurückzukehren, das zuhause mit Danielle auf sie wartete.
***Ihr Mittagessen bestand aus einer fettigen, jedoch köstlichen Pizza und ein paar Salaten in einem örtlichen Pizzaladen. Sie aßen ziemlich schweigsam und waren sich sicher, dass Johnson oder einer seiner Untergebenen sie in jedem Moment anrufen würde, um sie zurückzupfeifen. Rhodes hatte das FBI Hauptquartier angerufen, nachdem sie das Polizeipräsidium von Colin verlassen hatten, um die Neuigkeiten zum Fall mitzuteilen, und selbst das hatte sich schon ziemlich final angefühlt. Chloe hatte keinerlei Zweifel daran, dass ihr Besuch in Pine Points sich dem Ende neigte.
„Quält dich noch irgendwas?“, fragte Rhodes.
„Wieso fragst du?“
Schulterzuckend wischte sich Rhodes die Hände an einer Serviette ab, die bereits von ihrer Margarita Pizza ganz durchfettet war. „Du siehst verstört aus… so, als hättest du etwas verloren.“
„Vielleicht ein bisschen“, gab Chloe zu. „Ich habe keinerlei Zweifel, dass Hughes Bjurman nicht umgebracht hat. Aber die ganze Bjurman Sache… irgendetwas an Theresa Diaz kommt mir sonderbar vor. Selbst, wenn sie damit rausgerückt wäre, dass sie mit Bjurman schlief – von was ich, übrigens, ziemlich überzeugt bin– ich glaube es gibt da immer noch etwas… etwas, das sie verbergen könnte.“
„Wenn sie miteinander geschlafen haben, war es vielleicht mehr als nur eine Affäre“, legte Rhodes nahe. „Vielleicht waren sie verliebt?“
„Möglich.“
Sie schwiegen erneut und überlegten sich das Gesagte. Etwa ein Viertel der Pizza war noch übrig, obwohl beide Agentinnen sich satt gegessen hatten.
Chloe konnte eine kleine Veränderung in sich spüren, als die Möglichkeit ihrer Rückkehr nach Hause immer realer wurde. Obwohl sie tatsächlich froh war von dem ganzen Danielle Drama fern zu sein – selbst wenn nur auf einer Distanz von eineinhalb Stunden Fahrt – machte sie sich trotzdem sehr große Sorgen darum, wie ihre Schwester reagieren würde, wenn (was viel wahrscheinlicher war, als falls, nahm Chloe an), das FBI sie kontaktieren würde. Die ganze Angelegenheit erzeugte einen glühenden Knoten der Sorge in ihrer Magengrube, weshalb sie ihr Bestes gab, diese Gedanken zu verscheuchen.
Als Rhodes Handy klingelte, während sie auf die Rechnung warteten, zuckten sie beide etwas zusammen. Sie dachten sich beide, dass es wohl Johnson sein würde, und Chloe gab ihr Bestes, nicht beleidigt zu sein, dass er sich entschlossen hatte, Rhodes statt sie zu kontaktieren.
Chloe hörte genau zu und versuchte so zu tun, als wäre sie nicht allzu interessiert an dem, was gesagt wurde. Doch das Mithören von Rhodes Anteil in diesem sehr kurzem Telefonat sagte ihr alles, was sie wissen musste. Als Rhodes auflegte, bestätigte ihr Gesichtsausdruck das. Es war eine Miene von milder Irritation und einer matten Art von Erleichterung.
„Er will, dass wir uns mit der Coliner Polizei in Verbindung setzen, bevor wir fahren, und dann sollen wir zurück nach Hause kommen“, sagte Rhodes. „Und wenn du mich fragst, sollten wir dann genau zur richtigen Zeit in DC sein, um noch ein paar Drinks zu trinken, bevor wir den Tag beenden.“
Sie beglichen ihre Rechnung und machten sich auf zum Coliner Polizeipräsidium. Auf ihrem Weg zurück nach Colin fuhren sie genau an dem Gehsteig vorbei, wo Bjurman ermordet worden war. Ohne Polizeiautos und Tatortabsperrung, sah es wie eine ganz normale Straßenecke in einer beliebigen Stadt Amerikas aus. Chloe verstörte es irgendwie zu wissen, dass es Antworten an dieser Straßenecke gab, die womöglich niemals gefunden werden würden – Antworten die, so wie es jetzt aussah, für immer außerhalb Chloes Reichweite verbleiben würden.
KAPITEL SIEBEN
Danielle balancierte auf der sehr feinen Grenze zwischen angeheitert und absolut betrunken, als irgendjemand an ihrer Tür klopfte. Sie hatte getrunken, um diesem Kapitel ihres Lebens ein Ende zu setzen, es verschlossen zu halten, wie eine Schatztruhe, die auf dem Grund des Ozeans begraben war. Auf der Arbeit hatte man ihr letzten Abend keine Schicht zugeteilt, und auch keine für heute Abend. Aber sie würde morgen wieder anfangen, mit der Nachmittags- und der Nachtschicht auf einmal. Sie hatte nie gedacht, dass sie sich freuen würde, den Stripclub wiederzusehen oder den Geruch von verschüttetem Alkohol und billigem Rasierwasser der Männer, die an den Bars saßen, zu riechen.
Doch sie konnte es kaum erwarten, wieder zurück zu sein. Aber zuerst wollte sie in gewissem Sinne einen kleinen Absturz erleben. Es war eine Weile her, dass sie sich alleine betrunken hatte. Sie war sich sicher, dass manche Leute es als traurig und armselig ansehen würden, aber sie hatte es immer als eine Art Befreiung empfunden, die sie nicht ganz einordnen konnte.
Als es an der Tür klopfte, hatte sie bereits drei Margaritas runtergekippt, die sie in ihrem Mixer gemacht hatte – eine perfekte Mixtur, die sie auf der Arbeit gelernt hatte. Als sie zur Tür hinüberging, fragte sie sich, ob es Chloe sein könnte, die gekommen war, um alles noch einmal persönlich zu besprechen. Danielle hoffte beinahe, dass dies der Fall war. Mit einer ausreichenden Menge von Tequila in sich, würde sie ungehemmt die Dinge aussprechen, die eine nüchterne Danielle eher für sich behielt.
Als sie öffnete, fand sie allerdings nicht Chloe auf der anderen Seite der Tür vor. Es war ein Mann, auf eine Art gekleidet, die Danielle immer als „Affen-Anzug“ empfunden hatte. Weil ihre Schwester beim FBI arbeitete, erkannte sie die Klamotten und die viel zu ernste Miene sofort. Er war ein föderaler Agent. Er sah asiatischer Herkunft aus und als er sie anlächelte, erschien ihr sein Lächeln viel zu gestellt.
„Danielle Fine, korrekt?“, sagte der Mann.
„Ich bin’s. Und Sie sind…?“
„Agent Shin, FBI.“ Er zückte seine Dienstmarke und erlaubte ihr diese einen Moment lang zu betrachten, bevor er sie wieder zuklappte und zurück in die Innentasche seiner Jacke steckte. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich für einen Moment reinkäme?“
„Bei allem Respekt, wozu?“, fragte Danielle.
„Naja, obwohl ich Ihre Schwester nicht persönlich kenne, habe ich von der Tortur gehört, die sie beide in Texas durchgemacht haben. Es ist eine Geschichte, die beim FBI irgendwie die Runde macht. Ich wurde gebeten vorbeizukommen, und nach Ihnen zu sehen.“
„Von wem?“
„Von meinem Vorgesetzten. Es gibt ein paar lose Enden, was die Ereignisse in Texas angeht, und wir versuchen diese aus der Welt zu schaffen. Natürlich können diese Dinge bei Ihrer Schwester intern geklärt werden. Aber wir brauchen einfach auch einige Versicherungen und Antworten von ihrer Seite.“
Sie sah ihn skeptisch an, machte aber die Tür auf und ließ ihn hinein. Sie erinnerte sich, dass Chloe ihr am Telefon erzählt hatte, dass es eine interne Ermittlung gäbe und dass sie ruhig bleiben sollte, wenn jemand zu ihr käme, um Fragen zu stellen.
Sie trat zur Seite und machte die Tür weit auf, damit Agent Shin reinkommen konnte. Danielle setzte sich an ihren Küchentisch, womit sie ihm auf eine höfliche Art und Weise klar machte, dass sie nicht vorhatte, ihn tiefer in ihre Wohnung vordringen zu lassen. Shin gab nach und lehnte sich an ihre Küchenzeile.
„Zu allererst“, sagte er, „wie geht es Ihnen? Ich weiß, dass sie von der ganzen Sache einige Verletzungen davongetragen haben.“
„Danke der Nachfrage“, sagte sie und gab ihr Bestes ihren Charme dick aufzutragen. „Aber ich scheine in Ordnung zu sein. Ich gehe morgen zurück an die Arbeit und – ich kann es genauso gut auch zugeben – ich habe heute sozusagen gefeiert.“ Sie nickte zum Mixer mit dem blass-grünen Drink herüber.
Shin lächelte und sagte: „Freut mich zu hören. Nun, ich muss sie das irgendwie fragen und es tut mir leid, wenn das zu persönlich ist, aber haben Sie vor, sehr auf der Fahndung nach ihrem Vater zu bestehen?“
„Nein“, sagte sie sofort. „Scheiß auf ihn. Der einzige Moment, in dem ich mich um ihn scheren werde, ist wenn er in DC auftaucht, um mich und Chloe wieder zu bedrohen.“
„Naja, wie Sie wissen, wurde seine Beschreibung an mehrere Feldoffiziere verteilt. Aber wir können es nicht zu einer Priorität machen, außer Sie bestehen darauf.“
Danielle zuckte mit den Schultern und nippte an ihrer derzeitigen Margarita. „Chloe und ich können das noch einmal besprechen, aber ich glaube, wir sind fertig mit ihm.“
Shin nickte, so als würde er sie genau verstehen. Als er nickte, durchfuhr Danielle ein kleiner Funken Angst. Sie dachte daran, wie sie das Loch in einer wahnsinnigen Eile ausgehoben hatten, die Leiche ihres Vaters hineingeworfen und es wieder aufgeschüttet hatten. Hatten sie tief genug gegraben? War irgendein nach Nahrung suchender kleiner Fuchs bereits vorbeigekommen und hatte ihren Vater als Leckerbissen für sich entdeckt?
„Nachvollziehbar“, sagte Shin. „Ich habe einige weitere Fragen zu dem, was vorgefallen ist, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Schon wieder? Wirklich?“
„Ich weiß. Aber da ihre Schwester eine föderale Agentin ist, müssen wir wirklich sichergehen, dass wir alles verstehen.“
„Ja, ich verstehe, denke ich“, sage sie. Ihr war sehr bewusst, dass sie angeheitert war. Ein Ausrutscher oder selbst die geringste Abweichung von der eingeübten Geschichte, und sie würden riesige Probleme bekommen.
„Erinnern Sie sich, wie lange Sie genau in diesem verlassenen Schlachthof in Millseed gewesen waren? Wie lange hat Ihr Vater Sie dort festgehalten?“
„Ich war mir nie ganz sicher. Vielleicht etwas länger als einen Tag. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir am Nachmittag dort ankamen, weil die Sonne gerade unterging. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie erneut habe untergehen sehen. Es war schwer das von dort drinnen zu sagen, wissen Sie?“
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