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„Vielleicht habe ich Angst, dass es nicht komisch ist?“, meinte Mackenzie.
„Dessen bin ich mir nicht so sicher.“
„Was, wenn das Treffen gut verläuft und sie ein Teil meines Lebens sein möchte? Unseres Lebens.“
Kevin saß in seiner Babywippe und starrte auf das kleine Meerestiermobile, das vor ihm befestigt war. Mackenzie sah ihn an, als sie redete und versuchte verzweifelt, nicht an das Bild ihrer Mutter im verfluchten Schaukelstuhl zu denken.
„Würdest du alleine mit Kevin klarkommen?“, fragte sie.
„Natürlich, wir Männer schaffen das schon.“
Mackenzie lächelte. Sie versuchte, sich Ellington vorzustellen, wie er vor zweieinhalb Jahren gewesen war, als sie ihn kennengelernt hatte. Aber es schwer. Er war nun so viel reifer, gleichzeitig aber auch verletzlicher im Umgang mit ihr. Damals hätte er sich nie so fürsorglich oder auch albern gezeigt.
„Dann werde ich es tun. Zwei Tage, nicht länger. Und das auch nur, damit ich nicht nur unterwegs bin.“
„Ja, nimm dir ein Motelzimmer. Ein gutes, mit Hot Tub im Zimmer. Schlaf aus. Nachdem du die letzten Monate damit verbracht hast, das Muttersein zu lernen und deinen Schlafrhythmus kontinuierlich zu verändern, hast du dir das verdient.“
Seine Ermutigungen waren ernst gemeint und auch wenn er nichts sagte, war sie sich ziemlich sicher, den Grund dafür zu kennen. Er hatte sozusagen jegliche, normale Großeltern-Situation auf seiner Seite der Familie aufgegeben. Wenn sie es also schaffte, die Probleme mit ihrer Mutter aus dem Weg zu räumen, hätte Kevin möglicherweise zumindest ein mehr oder weniger normales Großelternteil. Sie wollte mit ihm darüber sprechen, entschied sich aber dagegen. Vielleicht nach ihrem Trip, wenn sie wusste, ob er erfolgreich gewesen war oder nicht.
Sie nahm ihren Laptop, setzte sich auf die Couch und kaufte ihre Tickets. Als sie ihre Informationen eingegeben und den letzten Mausklick betätigt hatte, fühlte sie, wie ihr eine Last von den Schultern genommen wurde. Sie klappte den Laptop zu und seufzte. Dann betrachtete sie Kevin, der noch immer in seiner Wippe saß und lächelte ihn fröhlich, ja fast schon übermütig, an. Er belohnte sie mit einem langsamen Lächeln.
„Okay“, sagte sie und blickte zu Ellington. Er war noch immer in der Küche und räumte die Reste des Abendessens auf. „Tickets sind gekauft. Mein Flug geht morgen früh um halb zwölf. Kannst du den kleinen Mann von der Kita abholen?“
„Ja. Und damit beginnen dann unsere zwei Tage des liederlichen Männerdaseins. Ich fürchte, danach wird nichts wieder so sein wie zuvor.“
Sie wusste, dass er versuchte, sie zum positiven Denken anzuregen. Es half – ein bisschen – aber ihre Gedanken wanderten bereits weiter. Es gab noch etwas, was sie in Angriff nehmen wollte, bevor sie DC verließ.
„Weißt du was“, sagte sie. „Könntest du ihn auch bei der Kita absetzen? Ich denke, ich sollte mit McGrath sprechen.“
„Hast du auch diesbezüglich eine Entscheidung getroffen?“
„Ich weiß es nicht. Ich will zurück. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich sonst mit meinem Leben anfangen soll. Aber … ich bin jetzt eine Mom … und ich möchte Kevin das geben, was ich selbst nie hatte, verstehst du? Und mit uns beiden als FBI Agenten … wie würde sein Leben dann aussehen?“
„Das ist ein schweres Thema“, sagte er. „Ich weiß, dass wir schon darüber gesprochen haben, aber ich denke nicht, dass dies eine Entscheidung ist, die du jetzt treffen musst. Du hast aber Recht – rede mit McGrath darüber. Man weiß nie, was der Mann denkt. Vielleicht hat er eine Lösung. Vielleicht … ich weiß nicht … vielleicht eine andere Rolle?“
„Du meinst, keine Agentin mehr?“
Ellington zuckte mit den Schultern und ging zu ihr hinüber. „Ich kann verstehen, was du gerade durchmachst“, sagte er und nahm ihre Hand. „Ich kann mir dich auch nicht in einer anderen Rolle vorstellen.“
Sie lächelte und hoffte, dass er wusste, wie gut er darin war, das Richtige zu sagen. Es war der Auftrieb, den sie gebraucht hatte, um McGrath nach Feierabend anzurufen. Das hatte sie in ihrer Karriere noch nicht oft gemacht – noch nie, wenn es nicht um einen Fall ging – aber sie spürte plötzlich die Dringlichkeit der Situation.
Und die wurde noch stärker, als sie dem Klingeln lauschte.
* * *Sie erwartete, McGrath verärgert vorzufinden, sich zu einer so frühen Stunde mit ihr treffen zu müssen. Doch als sie sein Büro um acht Uhr morgens betrat, war seine Tür bereits offen und McGrath saß hinter seinem Schreibtisch. Er hielt eine Tasse Kaffee in der Hand und blätterte durch die Tagesmeldungen. Als sie eintrat, blickte er auf und das Lächeln auf seinem Gesicht wirkte ehrlich.
„Agent White, wie schön Sie zu sehen“, sagte er.
„Gleichfalls“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch.
„Sie sehen gut aus. Hat sich das Baby endlich einen normalen Schlafrhythmus angeeignet?“
„Normal genug“, sagte sie und fühlte sich seltsam. McGrath war nicht der Typ für Small Talk. Die Vorstellung, dass er tatsächlich froh war, sie zu sehen, kam ihr kurz in den Sinn und der Grund für ihr Treffen verschaffte ihr fast schon Schuldgefühle.
„Okay. Sie haben um dieses Meeting gebeten und wir haben etwa dreißig Minuten bis zu meinem nächsten“, sagte er. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Nun, mein Mutterschutzurlaub endet nächsten Montag. Und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich bereit bin, zurückzukommen.“
„Sind die Gründe körperlicher Natur?“, fragte er. „Ich weiß, dass die Heilung nach einem Kaiserschnitt langwierig und erschöpfend sein kann.“
„Nein, daran liegt es nicht. Die Ärzte haben mir grünes Licht gegeben. Aber, um ehrlich zu sein, bin ich hin und her gerissen, was ich tun soll.“ Das brennende Gefühl von Tränen in ihren Augenwinkeln alarmierte sie.
Scheinbar sah auch McGrath sie und fühlte mit ihr. Er gab sein Bestes, sich so natürlich wie möglich zu benehmen, als er sich nach vorne beugte. Er sah zur Seite, um ihr die Gelegenheit geben, die Tränen wegzuwischen, bevor sie sich lösten.
„Agent White, ich arbeite seit fast dreißig Jahren für das FBI. In meiner Zeit hier habe ich unzählige weibliche Agentinnen gesehen, die geheiratet haben und Kinder bekamen. Einige von ihnen haben das FBI verlassen oder zumindest eine weniger riskante Stellung angenommen. Ich kann nicht hier sitzen und Ihnen sagen, dass ich verstehe, was Sie durchmachen, denn das wäre eine Lüge. Aber ich habe es gesehen. Manchmal haben uns Agenten verlassen, von denen ich es nie erwartet hätte. Ist das auch die Richtung, die Sie einschlagen möchten?“
Sie nickte. „Ich möchte zurückkommen. Ich vermisse es – mehr als ich zugeben möchte. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich will. Vielleicht ein paar Wochen mehr? Ich weiß, damit bitte ich um eine Art Sonderbehandlung oder so, aber ich kann diese Entscheidung gerade einfach nicht treffen.“
„Ich kann Ihnen maximal eine weitere Woche geben. Wenn Sie diese möchten. Oder Sie kommen zurück und ich finde einen Schreibtischjob für Sie. Recherche, Nummern, Handy-Überwachung, so etwas. Würde Sie das interessieren?“
Ehrlich gesagt interessierte sie nichts davon. Aber es war besser als nichts. Und McGrath gab ihr den Beweis dafür, dass sie Optionen hatte.
„Vielleicht“, sagte sie.
„Nehmen Sie sich das Wochenende und denken Sie darüber nach. Vielleicht ein Kurztrip, um Ihre Gedanken zu sortieren.“
„Oh, das habe ich tatsächlich vor. Ich werde Nebraska einen Besuch abstatten.“
Sie war sich nicht sicher, warum sie ihm das erzählte und fragte sich, ob es immer so einfach gewesen war, mit McGrath zu sprechen. War seine Aura aufgeweicht und er dadurch zugänglicher geworden? Es war komisch. Sie war nur mehrere Monate weggewesen und McGrath wirkte plötzlich wie ein anderer Mensch – fürsorglicher, freundlicher.
„Das ist schön zu hören. Und Ellington bleibt alleine mit dem Baby zurück? Ist das nicht etwas mutig?“
„Ich weiß es nicht“, sagte sie lächelnd. „Er scheint sich drauf zu freuen.“
McGrath nickte höflich, aber es war offensichtlich, dass seine Gedanken woanders waren. „White … haben Sie um dieses Gespräch gebeten, um meinen Rat zu erhalten? Oder wollten Sie herausfinden, wie ich reagiere, wenn Sie sich dazu entschieden, uns tatsächlich zu verlassen?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht beides?“
„Nun, ich kann zweifellos sagen, dass ich es bevorzugen würde, wenn Sie bleiben. Ihre Bilanz spricht für sich selbst und auch wenn ich es nur ungern zugebe, sind Ihre Instinkte fast schon übernatürlich. In meiner Zeit beim FBI habe ich noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Ich glaube, es wäre eine absolute Verschwendung, wenn Sie Ihre Karriere so jung aufgeben würden. Andererseits habe auch ich zwei Kinder – ein Junge und ein Mädchen. Sie sind beide erwachsen, aber sie großzuziehen war eine der besten und lohnendsten Erfahrungen meines Lebens.“
„Ich hatte keine Ahnung, dass Sie Kinder haben“, sagte sie.
„Ich rede bei der Arbeit nicht gerne von meinem Privatleben. Doch in einem Fall wie diesem, wenn etwas so Kostbares wie ihre Karriere auf dem Spiel steht, stört es mich nicht, Ihnen ein paar Einblicke hinter die Kulissen zu geben.“
„Das weiß ich zu schätzen.“
„Also … Genießen Sie Ihr Wochenende. Sollen wir uns am Montag zusammensetzen und besprechen, wie es weitergeht?“
„Das klingt gut“, sagte sie. Doch Montag fühlte sich noch sehr weit weg an. Denn als sie aufstand, wusste sie, dass ihr nächster Stopp der Flughafen sein würde. Und dann Nebraska.
Als sie das FBI-Quartier verließ, hatte sie das Gefühl, sich selbst eine Falle zu stellen. Die meisten Menschen fühlten sich von den Geistern ihrer Vergangenheit verfolgt. Aber als sie sich darauf vorbereitete, nach Nebraska zurückzukehren, um ihre Mutter zu treffen, hatte Mackenzie das Gefühl, die Geister nicht nur aufzuwecken, sondern ihnen auch jede Menge Gelegenheit zu geben, sich von ihnen verfolgen zu lassen.
Kapitel sechs
Es war dreizehn Uhr fünfzehn Nebraska-Zeit, als ihr Flugzeug in Lincoln landete. Sie hatte den Flug hauptsächlich damit verbracht, den Trip zu planen. Aber erst als die Räder auf der Landebahn quietschten, wusste sie, dass sie es einfach hinter sich bringen musste. Danach konnte sie sich noch immer auf die Nacht im Luxushotel freuen, das sie bereits gebucht hatte.
Mithilfe des FBIs hatte sie (auf mehr oder weniger zwielichtige Art und Weise) herausgefunden, dass ihre Mutter noch immer dort arbeitete, wo sie es vor etwa einem Jahr getan hatte, als sie sich zum letzten Mal über den Weg liefen. Sie war ein Teil der Putzkolonne des Holiday Inns in der Kleinstadt Boone’s Mill, die wiederum nur zwei Stunden von Belton entfernt lag – der kleinen Stadt, wo sie aufgewachsen war und der sie ebenfalls einen Besuch abstatten wollte.
Zwanzig Minuten später wartete sie in der Autovermietung des Flughafens auf einen Wagen. Sie wusste, dass nur eine halbe Stunde entfernt das Gebäude lag, in dem sie ihre Karriere begonnen hatte. Sie dachte an den Mann, mit dem sie fast drei Jahre lang zusammengearbeitet hatte, bevor das FBI sich um sie bemühte. Ein Mann namens Walter Porter, der ihr, trotz seinem tiefsitzenden Sexismus und seiner Abneigung, mit einer Frau zusammenarbeiten zu müssen, viel darüber beigebracht hatte, was es bedeutete, ein effektiver Gesetzeshüter zu sein. Was er wohl mittlerweile trieb? Vermutlich war er inzwischen in Rente. Aber da sie sich in der Nähe des Reviers befand, überkam sie der Wunsch, sich auch mit ihm zu treffen.
Eins nach dem anderen, dachte sie, als sie von der griesgrämigen Frau hinter dem Tresen die Autoschlüssel erhielt.
Sobald sie auf der Straße war, zog Mackenzie die Nummer des Holiday Inns heraus, in dem ihre Mutter arbeitete, um sicherzugehen, dass sie Dienst hatte. Es stellte sich heraus, dass ihre Schicht in einer halben Stunde endete. Mackenzie würde also das Zeitfenster, in dem sie ihre Mutter am Hotel treffen konnte, um eine Stunde verpassen. Das war nicht weiter tragisch – Mackenzie hatte auch die Wohnadresse ihrer Mutter.
Sie war überrascht, als sie bemerkte, wie beruhigend das flache Land und die vertraute Atmosphäre Nebraskas auf sie wirkte. Das bevorstehende Treffen mit ihrer Mutter machte sie weder nervös noch ängstlich. Lediglich Kevin vermisste sie, als sie das offene Land und den Himmel betrachtete. Sie realisierte, dass sie noch nie so lange von ihm getrennt gewesen war und ihr wurde schwer ums Herz. Für einen Moment hatte sie Probleme, zu atmen. Doch dann dachte sie an Ellington und Kevin, zusammen in ihrer Wohnung, während der Tag sich dem Ende entgegen neigte. Ellington war ein hervorragender Vater und überraschte sie noch immer täglich damit. Sie begann zu verstehen, dass Ellington diese Zeit alleine mit seinem Sohn vermutlich genauso sehr brauchte, wie sie zurück in ihre Vergangenheit reisen musste, um die Situation mit ihrer Mutter zu klären.
Wenn alle Eltern diese Gefühle mitmachen, habe ich meiner Mutter das Leben vielleicht zu schwer gemacht, dachte sie.
Obwohl ihr seit dem Betreten des Flugzeugs in DC viel durch den Kopf gegangen war, war es dieser Gedanke, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie wusste, dass ihr Vater seine eigenen Dämonen hatte bekämpfen müssen, doch ihre Mutter hatte vor ihr oder Stephanie nie schlecht von ihm gesprochen. Schließlich wurde sie als Witwe zurückgelassen und musste alleine zwei Mädchen großziehen. Es war sehr gut möglich (und Mackenzie hatte auch schon zuvor darüber nachgedacht), dass sie so große Stücke auf ihren Vater gehalten hatte, weil er so früh verstorben war. Als junges Mädchen hatte sie keinen Grund gehabt, in ihm etwas anderes als ihren persönlichen Helden zu sehen. Aber was ist mit der Mutter, die versuchte, zwei Mädchen großzuziehen, dabei versagte und damit nicht nur die Verachtung der Gesellschaft, sondern auch die ihrer eigenen Töchter auf sich gezogen hatte?
Mackenzie brachte ein schmales Lächeln zustande, während sie sich die Tränen wegwischte. Sie fragte sich, ob ihr diese Gedanken nun kamen, wo sie selbst Mutter war. Sie hatte davon gehört, dass Frauen viele Aspekte ihres Wesens veränderten, sobald sie ein Kind in die Welt setzten. Aber ihr war nie in den Sinn gekommen, dass sie davon betroffen sein könnte. Doch sie war der lebende Beweis der Theorie, als ihr Herz sich für eine Frau öffnete, die sie für den Großteil ihres Lebens sozusagen dämonisiert hatte.
Während Nebraska an ihr vorbeizog, drang Mackenzie immer weiter in ihre Vergangenheit ein. Zum ersten Mal, seitdem sie den Bundesstaat verlassen hatte, war sie fast schon gierig darauf, diese Vergangenheit zu betreten und herauszufinden, was dort auf sie wartete.
* * *Patricia White lebte in einer Zwei-Zimmer-Wohnung knapp zehn Kilometer von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Die Wohnung befand sich in einem kleinen Gebäude, das nicht gerade verwahrlost war, aber definitiv etwas Aufmerksamkeit hätte gebrauchen können. Mackenzie hielt ihr Handy in der Hand und betrachtete Adresse und Hausnummer auf dem Bildschirm, die sie mithilfe von inoffiziellen FBI-Quellen herausgefunden hatte.
Sie ging auf die Wohnung ihrer Mutter im zweiten Stock zu. Anders als erwartet erstarrte sie nicht. Ohne zu zögern klopfte sie an der Tür und versuchte, nicht zu viel nachzudenken. Die einzige wirkliche Frage, die sich ihr stellte, war, wie sie die Konversation beginnen sollte. Sie wollte behutsam vorgehen, anstatt ins kalte Wasser zu springen und wie ein Hund herum zu paddeln.
Nach einigen Sekunden hörte sie Schritte. Die Tür öffnete sich und sie sah das überraschte Gesicht ihrer Mutter. Dann erstarrte Mackenzie. Sie war sich nicht sicher, wann sie ihre Mutter zum letzten Mal lächeln gesehen hatte und Mackenzie hatte das Gefühl, eine fremde Frau vor sich zu haben.
„Mackenzie“, sagte ihre Mutter mit dünner und aufgeregter Stimme. „Oh mein Gott, was machst du denn hier?“
„Ich hatte frei und wollte hallo sagen.“ Es war nicht gelogen und fürs erste vermutlich ausreichend.
„Und du wolltest mich nicht anrufen und vorwarnen?“
Mackenzie zuckte mit den Schultern. „Ich habe daran gedacht, wusste aber, wie es ausgehen würde. Außerdem … musste ich einfach mal raus.“
„Geht es dir gut?“ Sie klang ehrlich besorgt.
„Ja, Mom.“
„Nun, dann komm rein. Die Wohnung ist das reinste Chaos, aber ich hoffe, du kannst darüber hinwegsehen.“
Mackenzie betrat die Wohnung und sah, dass sie absolut nicht chaotisch, sondern sogar ziemlich aufgeräumt war. Ihre Mutter hatte nur minimalistisch dekoriert und Mackenzie entdeckte sofort das alte Bild von ihr und Stephanie, das auf dem kleinen Beistelltisch neben der Couch stand.
„Wie geht es dir, Mom?“
„Gut. Sehr gut sogar. Ich war in der Lage, hier und da etwas Geld zu sparen und habe es endlich geschafft, aus den Schulden rauszukommen. Bei der Arbeit wurde ich befördert … es ist immer noch kein Spitzen-Job, aber ich verdiene besser und habe einige Frauen unter mir. Wie geht es dir?“
Mackenzie setzte sich auf die Couch und hoffte, ihre Mutter würde es ihr gleichtun. Sie war dankbar, als sie es tat. Sie hatte noch nie an den Satz ‚vielleicht solltest du dich besser setzen‘ geglaubt; er erschien ihr viel zu dramatisch.
„Nun, ich habe tatsächlich ein paar Neuigkeiten“, sagte sie. Sie begann langsam, das Fotoalbum auf ihrem Handy zu öffnen und nach einem bestimmten Bild zu suchen. „Du weißt, dass Ellington und ich geheiratet haben, nicht wahr?“
„Ja. Lustig, dass du ihn noch immer bei seinem Nachnamen nennst. Hat das damit zu tun, dass ihr Kollegen seid?“
Mackenzie schmunzelte. „Ja, vermutlich. Bist du böse, die Hochzeit verpasst zu haben?“
„Oh nein. Ich hasse Hochzeiten. Das war vermutlich die schlauste Entscheidung, die du je getroffen hast.“
„Danke“, sagte sie. Ihre Nerven kochten wie Lava, als sie aussprach, weshalb sie wirklich gekommen war. „Ich bin hier, weil ich dir etwas anderes mitteilen möchte.“
Dann hielt sie ihr Handy nach oben. Ihre Mutter nahm es ihr ab und betrachtete das Foto von Kevin in seiner kleinen Krankenhausdecke, zwei Tage bevor sie die Klinik verlassen hatten.
„Ist das …?“, fragte Patricia.
„Du bist Oma, Mom.“
Die Tränen ließen nicht auf sich warten. Patricia ließ das Handy auf die Couch fallen und legte sich die Hand auf den Mund. „Mackenzie … er ist entzückend.“
„Das ist er.“
„Wie alt ist er? Du siehst zu gut aus, ihn gerade erst auf die Welt gebracht zu haben.“
„Etwas über drei Monate“, sagte Mackenzie. Sie blickte zur Seite, als sie das verletzte Zucken im Gesicht ihrer Mutter entdeckte. „Ich weiß. Es tut mir leid. Ich wollte dich anrufen, um dir Bescheid zu geben. Aber nach unserem letzten Gespräch … Mom, ich wusste nicht einmal, ob du es wissen wollen würdest.“
„Das verstehe ich“, sagte sie sofort. „Und es bedeutet mir alles, dass du jetzt hier bist, um es mir persönlich zu sagen.“
„Du bist nicht verärgert?“
„Gott, nein. Mackenzie … selbst, wenn du mir nie davon erzählt hättest, würde ich den Unterschied vermutlich nicht kennen. Ich denke, ich habe mich sogar schon darauf vorbereitet, dich nie wieder zu sehen und … und ich …“
„Es ist okay, Mom.“
Sie wollte ihre Hand ausstrecken, sie halten oder in den Arm nehmen. Aber sie wusste, dass sich das für beide erzwungen und seltsam anfühlen würde.
„Ich habe letzte Woche einen neuen Mixer gekauft“, sagte ihre Mutter wie aus dem Nichts.
„Ähem … okay.“
„Magst du Margaritas?“
Mackenzie lächelte und nickte. „Oh, ja. Ich habe seit einem Jahr keinen Alkohol mehr getrunken.“
„Stillst du? Darfst du trinken?“
„Das tue ich, aber wir haben genug Milch auf Vorrat eingefroren.“
Ihre Mutter sah erst verwirrt aus und lachte dann los. „Tut mir leid. All das ist so unwirklich … du hast ein Baby, hast Muttermilch auf Vorrat …“
„Es ist unwirklich“, stimmte Mackenzie ihr zu. „Hier zu sein auch. Also … was ist nun mit den Margaritas?“
* * *„Dein letzter Besuch hier war der Auslöser“, sagte Patricia.
Sie saßen auf der Couch, jeweils einen Margarita in der Hand. Zwischen ihnen war ein Platz frei; es war offensichtlich, dass die Situation für beide noch immer unangenehm war.
„Für was?“, fragte Mackenzie.
„Du warst nicht übermäßig unhöflich oder so, aber ich habe gesehen, wie gut es dir ging. Und dann dachte ich mir: Sie ist meine Tochter. Ich weiß, dass ich keine tolle Mutter war … überhaupt nicht. Aber ich bin stolz auf dich, auch wenn ich zu dem Ergebnis nicht viel beigetragen habe. Es gab mir das Gefühl, dass auch ich etwas aus mir machen kann.“
„Und das stimmt.“
„Ich versuche es“, sagte sie. „Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt und endlich schuldenfrei. Natürlich ist die Arbeit im Hotel nicht die Karriere meiner Wahl …“
„Aber bist du glücklich?“, fragte Mackenzie.
„Das bin ich. Vor allem jetzt – mit deinem Besuch und den wundervollen Neuigkeiten.“
„Seitdem ich Dads Fall abgeschlossen habe … ich weiß nicht. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass ich versucht habe, jeden Gedanken an dich zu verdrängen. Ich dachte, wenn ich das, was Dad passiert ist, in der Vergangenheit lassen kann, kann ich dich genauso gut auch zurücklassen. Und das hatte ich auch vor. Aber dann kam Kevin und Ellington und ich realisierten, dass wir unserem Baby nicht wirklich viel Familie bieten können. Wir wollen, dass Kevin Großeltern hat.“
„Du weißt, dass er auch eine Tante hat“, sagte Patricia.
„Ich weiß. Wo ist Stephanie?“
„Sie ist nach LA gezogen. Ich weiß nicht, was sie dort tut und habe Angst, zu fragen. Ich habe seit zwei Monaten nicht mit ihr gesprochen.“
Das zu hören schmerzte ein bisschen. Sie hatte immer gewusst, dass Stephanie kein Faible für Stabilität hatte. Aber sie dachte nur selten darüber nach, dass auch Stephanie sich dafür entschieden hatte, ein Leben weit weg von ihrer Mutter zu führen. Als sie mit dem Margarita in der Hand auf der Couch saß, fragte Mackenzie sich zum ersten Mal, wie es sich für eine Mutter anfühlen musste, zu wissen, dass beide Kinder der Meinung waren, ohne sie ein besseres Leben führen zu können.
„Ich habe das Gefühl, mich bei dir entschuldigen zu müssen“, sagte Mackenzie. „Ich weiß, dass ich dich nach Dads Beerdigung von mir weggeschoben habe. Ich war erst zehn und war mir dessen vermutlich nicht bewusst, aber … ja. Und das habe ich für den Rest meines Lebens so beibehalten. Aber hier ist die Sache, Mom. Ich will, dass Kevin eine Großmutter hat. Das will ich wirklich. Und ich hoffe, dass wir gemeinsam daran arbeiten können.“
Wieder kämpfte Patricia mit den Tränen. Sie lehnte sich nach vorne und verkürzte den Abstand zwischen ihnen. Dann legte sie ihre Arme um Mackenzie. „Auch ich war nicht da“, sagte Patricia. „Ich hätte anrufen oder mich anderweitig bemühen können. Aber als ich bemerkte, dass du dich entfernt hattest – sogar schon als Kind – habe ich dich gehen lassen. Ich war fast schon erleichtert. Und ich hoffe, dass du mir vergeben kannst.“
„Das kann ich. Kannst du mir verzeihen, dich abgewiesen zu haben?“
„Das habe ich bereits“, sagte Patricia, löste sich aus der Umarmung und nippte an ihrem Margarita, um den Tränenfluss zu stoppen.
Mackenzie konnte spüren, wie sich auch in ihren Augenwinkeln Tränen bildeten, doch sie war noch nicht ganz bereit, sich ihrer Mutter gegenüber so zu öffnen. Sie stand auf, räusperte sich und leerte ihr Glas.
„Lass uns rausgehen“, sagte sie. „Wir können etwas zu Abend essen. Ich lade dich ein.“
Patricia White blickte sie ungläubig an und begann dann zu lächeln. Mackenzie konnte sich nicht daran erinnern, ihre Mutter je so glücklich gesehen zu haben. Sie war wie ein anderer Mensch. Und vielleicht war sie das tatsächlich. Wenn sie ihrer Mutter eine Chance gäbe, könnte sie vielleicht herausfinden, dass die Frau, die sie vor so langer Zeit von sich gestoßen hatte, nicht das Monster war, für das sie sie gehalten hatte.
Schließlich war auch Mackenzie ein anderer Mensch, als sie es mit zehn Jahren gewesen war. Zum Teufel, sie hatte sich sogar im letzten Jahr, seit dem letzten Gespräch mit ihrer Mutter, verändert. Wenn Mackenzie etwas dadurch gelernt hatte, ein Baby zu haben, dann war es, dass das Leben sich ziemlich stürmisch wandeln konnte.
Und wenn das Leben sich so schnell ändern konnte, warum sollten die Menschen dann nicht auch dazu in der Lage sein?
Kapitel sieben
Mackenzie wachte am nächsten Morgen mit einem leichten Kater auf. Sich mit ihrer Mutter beim Abendessen zu versöhnen war schön gewesen – genau wie die Drinks im Anschluss. Im Hotel – dem luxuriösen, auf das sie und Ellington sich zuvor geeinigt hatten – hatte sie sich ein Bad im Whirlpool und eine Flasche Wein vom Zimmerservice gegönnt. Sie wusste, dass die zwei Gläser, die sie in der Wanne genossen hatte, vermutlich etwas zu viel gewesen waren. Aber sie hatte das Gefühl, den kleinen Rausch zu verdienen, nachdem sie während der gesamten Schwangerschaft auf Alkohol verzichtet hatte und auch nun, in der Zeit des aktiven Stillens und Abpumpens, größtenteils ohne auskommen musste.






