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Der leichte Kopfschmerz, den sie nun beim Aufstehen und Anziehen verspürte, war ein Preis, den sie gerne bezahlte. Sie genoss die Zeit alleine, nachdem sie den ersten Schritt gemacht hatte, sich mit ihrer Mutter auszusprechen. Sie hatten sich auf den neusten Stand gebracht, von ihrem Leben geplaudert, schmerzhafte Momente geteilt und dann die Nacht gemütlich ausklingen lassen. Es war geplant, dass sie sich miteinander in Verbindung setzen würden, sobald Mackenzie wieder zu Hause war und sich entschieden hatte, wie ihre Karriere weitergehen sollte. Und nun war da nur noch ein Punkt auf Mackenzies Liste, den sie auf ihrer Nebraska-Tour abhaken wollte.
Sie hatte das Gefühl, den Kreis geschlossen zu haben. Sie war allein gereist, hatte ihre Mutter gesehen und die weite, offene Landschaft Nebraskas genossen. Auch wenn sie eigentlich kein gefühlsduseliger Mensch war, konnte sie den Drang nicht ignorieren, ihr altes Revier besuchen zu wollen. Das Revier, in dem sie vor fast sechs Jahren ihre Karriere begonnen hatte.
Nach dem Frühstück in Lincoln begann sie die eineinhalbstündige Fahrt. Ihr Flug zurück nach DC würde erst in sieben Stunden abheben, sie hatte also massig Zeit an der Hand. Wenn sie ehrlich mit sich war, wusste sie nicht, warum sie sich auf den Weg zum Revier machte. Sie hatte ihren Mentor nie wirklich gemocht und konnte sich kaum an ihre anderen Kollegen erinnern. Den Polizisten Walter Porter allerdings hatte sie nicht vergessen. Als kurzzeitiger Dienstpartner war er auch während dem Vogelscheuchen-Mörder-Fall an ihrer Seite gewesen – der Fall, der schließlich die Aufmerksamkeit des FBIs auf sich gezogen und deren Abwerbeversuche initiiert hatte.
Die Erinnerungen kamen langsam zurück, als sie auf der anderen Straßenseite vor dem Reviergebäude parkte. Es sah nun so viel kleiner aus, aber sie war stolz darauf, es zu kennen. Es war nicht nur Nostalgie, die sie erfasste, sondern eine herzerwärmende Vertrautheit.
Sie überquerte die Straße und betrat das Gebäude, während sich ihr Mund zu einem kleinen Lächeln verzog. Der kleine Flur brachte sie zum Empfang, der von Schiebetüren aus Glas eingegrenzt war. Hinter der Frau am Empfang befand sich eine Art Großraumbüro, das noch genauso aussah wie damals. Sie ging auf das Glas zu und war erfreut, ein bekanntes Gesicht vorzufinden, auch wenn sie lange nicht daran gedacht hatte.
Nancy Yule schien nicht gealtert zu sein. Noch immer befanden sich die Fotos ihrer Kinder auf ihrem Schreibtisch und dieselbe kleine Tafel neben ihrem Telefon, auf der ein Bibelvers stand, an den Mackenzie sich nicht erinnern konnte.
Nancy blickte auf und brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, wer gerade durch die Tür gekommen war. „Oh mein Gott“, sagte Nancy, sprang auf und eilte zu der Tür am langen Ende des Raumtrenners. Die Tür öffnete sich, Nancy kam heraus und umarmte Mackenzie innig.
„Nancy, wie geht es dir?“, fragte Mackenzie, während Nancy sie noch immer festhielt.
„Ach, wie immer“, sagte Nancy. „Wie geht es dir? Du siehst fantastisch aus!“
„Danke. Mir geht es gut. Ich habe meine Mutter besucht und dachte, ich lasse mich auch hier mal wieder blicken, bevor ich mich auf den Nachhauseweg mache.“
„Wohnst du immer noch in DC?“
„Ja, das tue ich.“
„Noch immer beim FBI?“
„Ja, ich habe sozusagen meinen Traum verwirklicht, wenn ich das so sagen kann. Ich bin verheiratet und habe ein Kind.“
„Ich freue mich so für dich“, sagte Nancy und Mackenzie zweifelte nicht daran, dass sie es so meinte. Ihr Blick trübte sich etwas, als sie hinzufügte: „Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich jeder über deinen Besuch hier freuen wird. Hier hat sich so ziemlich alles verändert.“
„Zum Beispiel?“
„Nun, Chief Nelson ist letztes Jahr in Rente gegangen. Berryhill ist befördert worden und hat seinen Platz eingenommen. Erinnerst du dich an ihn?“
Mackenzie schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Hey, hast du die Adresse oder Telefonnummer von Walter Porter? Ich erreiche ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr unter der Nummer, die ich von ihm habe.“
„Oh Liebes, ich habe ganz vergessen, dass ihr zeitweise zusammengearbeitet habt. Ich bin nur ungern diejenige, die dir davon erzählt, aber Walter ist vor etwa acht Monaten verstorben. Er hatte einen schweren Herzinfarkt.“
„Oh“, war alles, was Mackenzie herausbrachte. Sie fragte sich, ob sie ein schrecklicher Mensch war, die Neuigkeit so gefasst aufzunehmen. Aber er war für sie schließlich nicht mehr als ein Bekannter gewesen.
„Das ist furchtbar“, sagte sie. Sie blickte wieder durch die Glaspanele in das Großraumbüro und in die Flure, wo sie mehrere Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Hier hatte sie ihre erste Verhaftung vorgenommen, ihren ersten Fall gelöst und zum ersten Mal männliche Vorgesetzte vor den Kopf gestoßen.
All das waren schöne Erinnerungen, die sich mittlerweile nur noch wie verblasste Fotos anfühlten.
„Einige der Beamten, mit denen du gearbeitet hast, sind womöglich gerade auf Streife“, meinte Nancy. „Sauer, Baker, Hudson …“
„Ich will niemanden bei der Arbeit stören“, sagte Mackenzie. „Ich habe lediglich eine kleine Reise in die Vergangenheit gemacht und …“
Das Vibrieren ihres Handys in ihrer Hosentasche unterbrach sie. Sie nahm an, dass es Ellington war, der ihr erzählen wollte, wie niedlich Kevin wieder einmal gewesen war. Oder vielleicht handelte es sich um ein medizinisches Anliegen. Ihr Baby war die gesamten dreieinhalb Monate seines bisherigen Lebens gesund gewesen und sie warteten nur auf den ersten Arztbesuch.
Aber mit dem Namen, den sie auf dem Bildschirm sah, hatte sie während ihrer kleinen Findungsreise nach Nebraska überhaupt nicht gerechnet. McGrath.
„Entschuldige mich, Nancy. Da muss ich rangehen.“
Nancy nickte kurz und ging dann wieder zurück an ihren Schreibtisch, während Mackenzie den Anruf beantwortete.
„Agent White.“
„Kann ich, basierend auf der Art und Weise, wie Sie sich gemeldet haben, davon ausgehen, dass Sie sich dafür entschieden haben, bei uns zu bleiben?“, fragte McGrath. Sie konnte keinen Humor in seiner Stimme erkennen; es klang vielmehr so, als versuche er, sie zu überzeugen.
„Tut mir leid, alte Gewohnheit. Ich habe mich noch nicht entschieden.“
„Nun, vielleicht kann ich helfen. Hören Sie … ich respektiere, was Sie durchmachen und weiß Ihre Ehrlichkeit, die Sie mir bei unserem Gespräch entgegengebracht haben, wirklich zu schätzen. Aber ich rufe an, weil ich Sie um einen Gefallen bitten möchte. Es ist nicht wirklich ein Gefallen, da es technisch gesehen Teil des Jobs ist, den Sie noch immer haben. Aber ich habe vor einer Stunde einen Anruf aus Wyoming erhalten. Es geht um einen Fall. Und da Sie bereits dort draußen sind, dachte ich daran, Ihnen den Vorrang zu geben. Klingt nach einem einfachen Job. Womöglich müssen Sie nicht mehr tun, als vor Ort zu sein, den Tatort zu besichtigen und ein paar Leute zu befragen.“
„Ich dachte, Sie wollten unser Gespräch respektieren.“
„Das tue ich. Deshalb biete ich Ihnen den Job auch zuerst an. Sie sind bereits in der Gegend und es klingt nach einem unkomplizierten Fall. Ich dachte, es könnte Ihnen dabei helfen, herauszufinden, was Sie wollen. Außerdem haben Sie erst kürzlich an einem Fall gearbeitet, der diesem hier ähneln könnte. Wenn Sie nein sagen, ist das vollkommen in Ordnung. Ich kann morgen früh jemand anderen hinschicken.“
Wieder überkam sie das Gefühl, dass sich ein Kreis schloss. Sie stand genau an der Stelle, wo sie einst ihre Karriere als hoffnungsvolle Polizistin begonnen hatte – mit dem Ziel, Kripobeamtin zu werden. Diese Ambitionen hatte sie in sehr kurzer Zeit erfüllt. Und nun sprach sie, weniger als sieben Jahre später, mit einem Direktor des FBI.
Sie sah durch die Glasabtrennung hindurch zu den Schreibtischen, den Büros und den Fluren des Reviers. Es fiel ihr leicht, sich beim Betrachten des Raumes auch an das Zielbewusstsein zu erinnern, das sie damals verspürt hatte. Sie fühlte es noch immer, aber es war anders als damals, als sie eine Beamtin am Beginn ihrer Karriere gewesen war, in einer Welt, die noch immer von Männern dominiert wurde, und den Wunsch verfolgt hatte, die Welt zum Guten zu verändern.
„Was bedeutet unkompliziert?“, fragte sie.
„Es besteht der Verdacht, dass eine Person Menschen von beliebten Kletterstellen aus in den Tod stößt. Das letzte Opfer wurde im Grand Teton National Park gefunden. Bisher geht man von zwei Opfern aus.“
„Woher wissen wir, dass es sich nicht um typische Kletter-Unfälle handelt?“
„Es gibt Beweise für Gewalteinwirkung.“
Mackenzies Hirn arbeitete bereits auf Hochtouren, während sie versuchte, Antworten für den Fall zu finden. Und deshalb wusste sie auch, wie ihre Antwort für McGrath lauten würde. Ihre letzte, annähernd aktive, Jobtätigkeit war fast acht Monate her und die Aufregung, die sie nun überkam, war willkommen und gleichzeitig unerwartet.
„Schicken Sie mir die Fallinformationen und den Tripverlauf. Aber ich möchte innerhalb von zwei oder drei Tagen wieder zuhause sein.“
„Natürlich. Das dürfte kein Problem sein. Danke, Agent White. Ich schicke Ihnen alles per E-Mail zu.“
Mackenzie beendete den Anruf und hatte für einen Moment das Gefühl, sich in einem sehr unwirklichen Traum zu befinden. Da stand sie, in dem ersten Polizeirevier, in dem sie je gearbeitet hatte, grübelte über ihre Vergangenheit nach und versuchte gleichzeitig, ihre Zukunft zu bestimmen. Und dann kam aus dem Nichts der Anruf von McGrath und dieser unerwartete Fall, der gelöst werden wollte. Es fühlte sich an, als wollte sich das Universum in ihre Entscheidungsfindung einmischen.
„Mackenzie?“
Nancy Yules Stimme lenkte sie von der ganzen absurden Situation ab. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. „Sorry, ich war kurz ganz woanders.“
„Klang nach einem intensiven Gespräch“, sagte Nancy. „Ist alles in Ordnung?“
Mackenzie überraschte sich selbst ein bisschen, als sie nickte. „Ja. Ich glaube tatsächlich, dass es das ist.“
Kapitel acht
Sieben Stunden später war sie in der Luft und auf dem Weg nach Wyoming; unter ihr der Norden Nebraskas. Alles war so schnell gegangen, dass sie bisher weder die Zeit noch die Möglichkeit gehabt hatte, die Materialien auszudrucken, die McGrath ihr bezüglich des Falles im Grand Teton National Park geschickt hatte. Deshalb war sie nun gezwungen, sich die Informationen übers iPhone anzusehen.
Viel war es nicht. Die Polizeiberichte fielen spärlich aus, genau wie die forensischen Gutachten auch. Wenn ein Mensch so tief stürzt, steht die Todesursache normalerweise nicht zur Debatte. Sie las sich die Dokumente mehrere Male durch, fand aber nichts – das lag nicht an ihren mangelnden Fertigkeiten, sondern schlichtweg an den fehlenden Informationen. Selbst die Details, die sie zu den Opfern erhalten hatte, gaben nicht viel her. Zwei Menschen waren beim Klettern in den Tod gestürzt und es gab Beweise, dass es sich dabei nicht um Unfälle handelte. In einem der Fälle war ein abgetrenntes Seil involviert gewesen, im anderen passte eine Verletzung an der Leiche nicht zu denen, die bei einem Sturz zu erwarten sind.
Mackenzie machte sich auf dem Handy Notizen und fragte sich kurz, ob vielleicht der Vater mit dem Mord seines Sohns in Verbindung stand. Es war nicht viel, aber besser als nichts.
Als das Flieger sich im Landeanflug zum Jackson Hole Flughafen befand, bewunderte Mackenzie von ihrem Platz am Fenster die Bergspitzen des Grand Teton National Parks. Im klarblauen Licht des Morgens waren sie wunderschön und die Vorstellung eines Mörders, der in dieser Landschaft sein Unwesen trieb, war mehr als verstörend.
Bei dem Anblick musste sie auch an Kevin denken und ihr Herz schmerzte. Sie fühlte sich wie eine Versagerin, ihn zurückgelassen zu haben – eine herzlose Mutter, die schon jetzt andere Prioritäten hatte als ihr Baby. Doch sie hatte genügend Bücher verschlungen, um zu wissen, dass diese Gefühle für neue Eltern mehr als normal waren. Das machte diese aber nicht weniger real.
Als sie wenige Augenblicke später das Flugzeug verließ, hatte sie noch immer nicht ganz das Gefühl, sich inmitten eines Falles zu befinden. Sie trug bei ihrer Ankunft in Jackson Hole dieselbe Kleidung, die sie auch auf dem Polizeirevier bei ihrem Gespräch mit Nancy Yule getragen hatte. Schließlich hatte sie für den Besuch bei ihrer Mutter weder FBI-Uniform noch Dienstwaffe eingepackt. Das war etwas, was sie mit der örtlichen Polizeidienststelle regeln musste. Hoffentlich gab es keine Verzögerungen, weil es in Wyoming keine FBI-Filiale gab, da das Büro in Denver neben Colorado auch für Wyoming zuständig war.
Als ihr das klar wurde, hatte sie das Gefühl, sich am Ende der Welt zu befinden – ein Gefühl, das nur noch verstärkt wurde, als sie den Flughafen betrat. Sicher, es war ein hübsches Gebäude, aber im Vergleich zum chaotischen Gewimmel am Dulles-Flughafen in DC war der Menschenstrom hier dünn und fast schon ordentlich.
Aufgrund des mangelnden Menschenaufgebots in der Anlage entdeckte Mackenzie problemlos die Frau in der blauen Polizeiuniform, die am Gate auf sie wartete. Sie war um die vierzig und ihr blondes Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, umrahmte ein hübsches, kantiges Gesicht. Sie schien sich jede Person genau anzusehen, die mit Mackenzie hinter der Absperrung erschien. Als sich ihre Blicke trafen, nickte die Polizistin höflich und traf sich dann in der Flughafenhalle mit Mackenzie.
„Agent White?“, fragte die Frau. Die silberne Marke über ihrer linken Brust identifizierte sie als Timbrook.
„Das bin ich.“
„Gut. Mein Name ist Shelly Timbrook. Ich dachte, es sei am besten, mich hier mit Ihnen zu treffen und Ihnen den Ärger zu ersparen, einen Mietwagen nehmen zu müssen. Außerdem – je eher ich Sie zum Tatort bringen kann, desto besser. Das zweite Opfer, der zweiundzwanzigjährige Bryce Evans, wurde am Fuß des Logan’s View gefunden. Da sich die Fundstelle innerhalb des Parks befindet, steht der Fall auch im Blickpunkt der Öffentlichkeit.“
„Wie weit ist es von hier bis zum Parkeingang?“, fragte Mackenzie.
„Nicht mal zehn Minuten. Dann nochmal fünf bis zum Logan’s View.“
„Dann los“, meinte Mackenzie.
Timbrook übernahm die Führung und bewegte sich auf den Ausgang des Flughafens zu. Mackenzie folgte und schrieb währenddessen Ellington eine Nachricht, um ihn wissen zu lassen, dass sie angekommen war und bereits mit der örtlichen Polizei in Verbindung stand. Als sie ihm von dem Anruf mit McGrath erzählt hatte, wusste er bereits Bescheid. McGrath hatte ihn scheinbar sofort nach seinem Telefonat mit Mackenzie kontaktiert. Ellington hatte aufgeregt geklungen und ebenfalls behauptet, dass sie eine Gelegenheit wie diese brauchte, um herauszufinden, wie ihre nächsten Schritte aussehen sollten.
Das Schlimme daran war, dass er recht hatte. Sie wünschte, er könnte hier bei ihr sein. Es war nicht nur die längste Zeit der Trennung von Kevin seit seiner Geburt – auch Ellington und sie waren seit ihrem Mutterschutz einen Monat vor Kevins Geburt nie länger als zehn Stunden voneinander getrennt gewesen.
Sie vermisste ihn. Und obwohl sie sich deshalb jung und unreif fühlte, war es die Wahrheit. Aber sie schaffte es, diese Gefühle fürs erste beiseite zu schieben. Sie würde ihn und Kevin per Videochat anrufen, sobald sie im Hotel war. Aber auf den furchtbar lückenhaften Polizeiberichten basierend, nahm sie an, dass ihr ein langer Nachmittag bevorstand.
* * *„Um es sofort aus dem Weg zu räumen, muss ich Ihnen etwas gestehen“, sagte Timbrook. „Ich bin eine Art Fan von Ihnen. Ich weiß, dass das albern klingt, aber als Sie vor einigen Jahren den Vogelscheuchen-Mord aufgeklärt haben, war ich mehr als beeindruckt. Darf ich fragen … sind Sie dadurch beim FBI gelandet?“
„Mehr oder weniger.“
„Es war sehr erfrischend, Ihnen dabei zuzusehen, wie Sie – als junge Frau – die Leitung über eine Truppe übernommen haben, die hauptsächlich aus Männern bestand. Das war ein gutes Gefühl.“
Mackenzie wusste nicht, wie sie auf diese Art von Kompliment reagieren sollte, also ignorierte sie es ganz und ging sofort zum Geschäftlichen über.
„Ich habe die Berichte beider Opfer gelesen und leider nur wenig erfahren“, sagte sie. „Ich weiß, dass das zweite Opfer erst gestern gefunden wurde, aber warum die Verzögerung bezüglich der Informationen zum ersten Opfer?“
„Weil man für die ersten zwölf Stunden von einem tragischen Unfall ausgegangen ist. Oder sogar Selbstmord. Auch ich habe so etwas vermutet. Die Leiche wurde unterhalb der Exum Ridge gefunden und war dort vermutlich bereits mehrere Tage gelegen.“
„Wie weit sind der Logan’s View und die Exum Ridge voneinander entfernt?“
„Etwa vier Kilometer. Es gibt einige Hauptwanderwege, die zwischen den beiden Aussichtspunkten verlaufen.“
„Und wir gehen davon aus, dass die beiden Morde etwa vier Tage auseinander liegen, nicht wahr?“
„Soweit wir es sagen können, ja. Die Annahme basiert bisher lediglich auf den Untersuchungen der Gerichtsmediziner. Wir dürfen nicht vergessen, dass beide Leichen von Wanderern entdeckt worden sind. Wir können keine Aussagen darüber treffen, wie lange die Leichen sich bereits an ihrer Position befunden hatten. Das Gespräch mit den Familien und die Erstellung von Zeitplänen kann uns nur eine ungefähre Vorstellung geben.“
„Können Sie mir sagen, was wir über das erste Opfer wissen?“
„Sicher. Es handelt sich um die dreiundzwanzigjährige Mandy Yorke. Ihre Leiche wurde am Fuß der Exum Ridge gefunden. Sie hatte sich relativ weit von den üblichen Kletterrouten entfernt aufgehalten, was darauf hinweist, dass sie eine Art Profi gewesen sein muss. Das kommt häufiger vor. Gute Kletterer halten sich nur selten mit den traditionellen Routen auf. Sie verlassen die ausgetretenen Touristenpfade, um etwas Anspruchsvolleres zu finden. Deshalb wurde zuerst angenommen, dass es sich bei ihrem Tod um einen Unfall gehandelt haben könnte. Aber bei der Suche nach Beweisen am Tatort mussten wir feststellen, dass ihr Kletterseil abgetrennt worden war.“
„Absichtlich?“
„So sieht es aus. Es ist ein glatter Schnitt. Wir haben ihn mit einigen alten, gebrochenen Seilen im Park verglichen. Der saubere Schnitt von Yorkes Seil unterschied sich immens von den ausgefransten Enden der anderen.“
„Weiß man, wo das Seil abgeschnitten worden ist?“
„Oben. Es sieht fast so aus, als hätte der Mörder darauf gewartet, dass Yorke die Spitze erreicht.“
„Wurde beim zweiten Opfer auch sabotiertes Equipment gefunden?“, fragte Mackenzie.
„Nein. Die Gerichtsmediziner meinten, wir hätten Glück gehabt – mit wir sind wir Ermittler gemeint – weil das Opfer auf seinen Rücken gefallen ist. Dadurch konnten wir problemlos erkennen, dass das stumpfe Trauma am Kopf nicht vom Fall verursacht wurde. Vielmehr wirkt es wie das Resultat eines Angriffs, womöglich mithilfe eines Steins oder Hammers.“
„Ist die ganze Truppe mit dieser Theorie einverstanden?“
„Kaum“, meinte Timbrook. „Der Gerichtsmediziner muss noch bestätigen, dass die Stirnverletzung des zweiten Opfers nicht vom Fall verursacht wurde. Aber der bloße Anblick spricht bereits Bände. Wie Sie wissen, reicht das allerdings nicht aus. Und während fast alle zustimmen, dass das sauber abgetrennte Seil Yorkes verdächtig ist, sind auch hier nicht alle bereit, Fremdeinwirkung in Betracht zu ziehen. Kletterunfälle sind nicht selten, jedes Jahr sterben drei bis vier Kletterer und Wanderer, etwa fünfzig werden verletzt.“
„Aber zwei Todesfalle in vier oder fünf Tagen?“, fragte Mackenzie.
„Ich weiß. Ich vermute, dass jeder auf dem Revier mittlerweile skeptisch ist, aber niemand will es aussprechen, bevor wir absolute Sicherheit haben.“
Mackenzie nickte langsam. Sie verstand das Zögern, zwei Todesfälle Morde zu nennen, wenn es keine handfesten Beweise gab. Aber noch mehr verstand sie Timbrooks Gedankengänge. Sie hatte schon oft in ihren Schuhen gesteckt – eine ruhige Polizeibeamtin, umringt von Männern, die sie zwar respektieren, aber nur langsam schalten, wenn es darum geht, ihre Ideen als Tatsachen wahrzunehmen. Sie wusste natürlich, dass auch in der Gesetzesvollstreckung Gleichberechtigung immer mehr zur Norm wurde, aber ihr war auch bewusst, dass manche Traditionen nur schwer abzulegen waren.
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