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„Wann haben Sie beide zum letzten Mal mit ihrem Ex-Freund gesprochen?“, fragte Webber.
„Außer der Nachricht, die ich ihm hinterlassen habe“, meinte Mr. Torres, „haben wir nur mit ihm gesprochen, als sie ihn zum Essen mitgebracht hat.“
„Hat er einen Namen?“, fragte Mackenzie.
„Ken Grainger“, antwortete Mrs. Torres.
„Wenn Sie ihn treffen“, sagte Mr. Torres, „stellen Sie sicher, dass er weiß, dass eine seiner ungehobelten Nachrichten vermutlich das letzte war, was mein Baby vor ihrem Tod gesehen hat. Und wenn sich herausstellt, dass er dahintersteckt … ich würde viel Geld dafür bezahlen, wenn ich nur fünf Minuten mit ihm allein sein darf.“
Eine Träne schlich sich aus seinem rechten Auge. Mackenzie glaubte nicht, jemals jemanden dabei beobachtet zu haben, vor Wut zu weinen. Weder sie noch Webber kommentierten seine Aussage. Sie packten ihre Sachen zusammen und verließen das Haus. Mackenzie hatte das Gefühl, Mr. Torres‘ Wut klebe an ihr wie ein Spinnennetz.
* * *Mithilfe der Techniker auf dem Revier war Mackenzie in der Lage, innerhalb von fünfzehn Minuten Adresse, Arbeitgeber und Handynummer von Ken Grainger herauszufinden. Seine Wohnung lag elf Kilometer vom Haus der Torres entfernt und im schäbigeren Teil Downtowns. Das Stadtgebiet schien in der Vergangenheit stecken geblieben zu sein. Graffiti an Gebäudewänden lasen NIRVANA FOREVER, RIP KURT und LAYNE LEBT.
„Ich verstehe die Nirvana und Kurt Cobain Anspielungen“, sagte Mackenzie. „Aber was bedeutete ‚Layne lebt‘?“
„Layne Staley, Sänger von Alice in Chains. In diesem Stadtteil kann man der Grunge-Bewegung nicht entkommen.“
Mackenzie nickte. Seattle war nicht für Starbucks und Dauerregen bekannt, sondern auch als Geburtsstadt der Grunge-Musik. Auf dem Weg zu Graingers Wohnung entdeckte sie weitere Graffiti, kleine Clubs und eine alarmierende Zahl an Schallplattenladen. Dort angekommen standen sie vor verschlossener Tür. Das war nicht allzu schockierend, schließlich war es mitten am Tag und die meisten Leute bei der Arbeit.
Doch ein Anruf bei seinem Arbeitgeber ‚Next Wave Graphics‘ brachte ähnliche Ergebnisse. Ein sehr ärgerlich klingender Mann teilte ihnen mit, dass Ken Grainger seit drei Tagen nicht bei der Arbeit erschienen war und außerdem nicht ans Telefon ging. Der wütende Mann bat Mackenzie, Ken darüber zu informieren, dass er gefeuert war.
„Klingt mehr als verdächtig, wenn du mich fragst“, sagte Webber.
„Geht mir ähnlich“, meinte Mackenzie. „Wir müssen ihn schnell finden. Wenn er unser Mann ist und kein Problem damit hat, die Staatsgrenzen zu überschreiten, wird es schwer, ihn zu lokalisieren.“ Sie dachte eine Weile darüber nach, während sie und Webber im Wagen saßen und an ihrem Kaffee nippten. „Fällt dir im Büro jemand ein, der ein Talent dafür hat, schnell persönliche Informationen herauszufinden? Sozialversicherungsnummer, Kreditkarteninformationen, solche Dinge?“, fragte Mackenzie, während sie über die nächsten Schritte nachdachte.
„Naja, das ist Standard, es würde also nur etwa zwanzig Minuten dauern, diese Infos zu besorgen“, sagte Webber.
„Schneller wäre mit lieber. Lass die Sozialversicherungsnummer weg und sieh nach, ob wir eine Kreditkartennummer finden können, die unter Ken Grainger gelistet ist.“
Webber nahm sein Handy fast schon zu gehorsam in die Hand und folgte ihren Anweisungen. Er blickte von Mackenzie zur Straße und wieder zurück, während er telefonierte. Mackenzie lauschte und war beeindruckt, wie gut Webber die Person am anderen Ende händelte. Sie begann, zu verstehen, dass viele Beamten im Büro in Seattle Webber ziemlich zu respektieren schienen. Wenn er um etwas bat, bekam er es für gewöhnlich schnell und ohne Nachfragen.
Bei Ken Graingers Kreditkarteninfos war es nicht anders. Webber bekam, was er wollte und zwar innerhalb von sechs Minuten. Er legte seine Hand aufs Handy-Mikrofon und sah Mackenzie an. „Ich habe die Infos. Er checkt gerade, wann die Karte zum letzten Mal benutzt wurde …“ Er hielt inne und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung zu. „Ja … oh, wirklich? Ja, das wäre perfekt. Danke.“
Er beendete den Anruf und ließ den Wagen an. „Ken Graingers Kreditkarte wurde etwa fünfundzwanzig Kilometer von hier an einer Tanksteller verwendet. Das war heute Morgen um 8.37 Uhr.“
„Er ist also noch in der Stadt“, sagte Mackenzie. „Das war vor weniger als drei Stunden.“
„Es wird noch besser“, sagte Webber. „Zu der Zeit wurde die Karte zum letzten Mal in ihrer physischen Form benutzt. Mein Kollege meint, dass die Kreditkarte aber vor weniger als einer Stunde verwendet wurde, um eine Amazon-Bestellung zu bezahlen.“
„Wissen wir wo?“
„Noch nicht. Es wird daran gearbeitet, die IP-Adresse und deren Location zu finden. Im Moment fahre ich in Richtung der Tankstelle, schließlich muss er irgendwo in der Nähe sein. Genaueres liefert uns dann hoffentlich die Amazon-Bestellung.“
„Tolle Arbeit“, sagte sie.
Das Kompliment brachte Webbers Augen zum Leuchten, als er in den besseren Teil der Stadt zurückfuhr. Unterwegs begann es wieder, leicht zu regnen, doch der Himmel war größtenteils blau und wolkenlos.
Weniger als zwei Minuten später klingelte Webbers Handy. Er antwortete sofort, sprach nur wenige Worte und legte dann mit aufgeregtem Grinsen auf.
„Die Amazon-Bestellung wurde von einem Laptop etwa sechs Minuten von hier entfernt getätigt“, informierte er sie.
In diesem Moment verstand Mackenzie, dass bestimmte Dinge manchmal schlichtweg universal waren. Sie hatte so lange mit Ellington gearbeitet, dass sie fast schon vergessen hatte, wie es war, die Aufregung eines anderen Agenten mitzuerleben. Weder sie noch Webber sprachen ein Wort. Es war fast wie eine Achterbahnfahrt: Sobald die Metallstange auf deinem Schoß lag und der Wagen ins Rollen kam, verstummten all die lockeren Gespräche und Witzeleien. Webber beschleunigte sein Auto und begab sich zu der Adresse, die man ihm genannt hatte. Beide saßen sie zurückgelehnt im Wagen und schwiegen.
Mackenzie fühlte sich etwas schuldig, so gespannt und aufgeregt zu sein. Mit Ellington war ihre Arbeit schnell vorhersehbar und routiniert geworden. Sie hatten sich aneinander gelabt und hin und wieder sogar auf fast telepathische Weise miteinander kommuniziert. Aber das hatte auch einen Nachteil mit sich gebracht: Die Arbeit war alltäglich, fast schon langweilig geworden. Und als Webber durch die Straßen raste und manche Kurven so scharf nahm, dass das Wagenheck schon leicht ins Schleudern geriet, fragte sich Mackenzie, ob sie genau das gebraucht hatte. Ein bisschen Adrenalin in ihrer Karriere, nachdem sie endlich ihren verlängerten Mutterschutz hinter sich gelassen hatte, würde vielleicht Wunder bewirken.
Vier Minuten später erreichten sie ihr Ziel und Webber parkte auf dem kleinen Parkplatz. Die Wohnung war Teil eines Apartmentkomplexes. Als Webber ausstieg, folgte Mackenzie ihm ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Er sah sie an, als warte er darauf, zu sehen, ob sie die Führung übernehmen würde, aber sie überließ sie ihm.
In seinem Schritt lag keine Dringlichkeit, als er zur Wohnungstür lief. Die rasante Fahrt hatte sie auf schnellstmögliche Weise zum Ziel gebracht. Die Amazon-Bestellung war vor etwas über einer Stunde getätigt worden und Ken Grainger hatte seinen Aufenthaltsort seither möglicherweise verlassen. Nun war es an der Zeit herauszufinden, ob er das getan hatte oder nicht.
Webber klopfte an die Tür. Sie hörten Bewegungen von drinnen und ein sehr leises Geräusch, das Mackenzie für Flüstern hielt.
Webber klopfte erneut, dieses Mal lauter. Einige Augenblicke später wurde die Tür von einem jungen Mann, vermutlich Anfang zwanzig, geöffnet. Er hatte kurz geschnittenes Haar und trug ein weißes Tanktop und weite Shorts.
„Ja?“, sagte er und versuchte, cool und gesammelt zu erscheinen. „Kann ich helfen?“
„Sind Sie Ken Grainger?“, fragte Webber.
„Wer? Ne, Mann.“
„Wie heißen Sie?“
Der Typ sah schon fast beleidigt aus. Er trat in den Türrahmen und versuchte, tough rüberzukommen. „Sie haben an meine Tür geklopft, Mann – wer sind Sie?“
Webber bewegte sich langsam und bedeutungsvoll, als er seine Marke und seinen Ausweis herauszog. Mackenzie verkniff sich ein Lächeln, als sie beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck des Mannes überrascht veränderte.
„Agent Webber, FBI. Das ist meine Kollegin, Agent White. Also, ich frage nochmal: Wie heißen Sie?“
„Toby Jones. FBI? Was ist los?“
„Wir suchen nach einem Mann namens Ken Grainger“, sagte Webber. „Wir sind uns ziemlich sicher, dass er hier war und zwar erst kürzlich.“
„Nope. Bin nur ich, Mann.“
„Dürfen wir reinkommen und nachsehen?“, fragte Mackenzie.
„Brauchen Sie dafür nicht eine richterliche Anordnung oder so?“
„Normalerweise ja“, sagte Webber. „Aber wir haben Informationen, die besagen, dass Ken Graingers Kreditkarte vor einer Stunde und zehn Minuten an einem Laptop dieser Adresse verwendet wurde. Sie haben also die Wahl: Wir befragen Sie zum Diebstahl Graingers Kreditkarte oder Sie lassen uns rein und wir gehen sicher, dass er nicht hier ist.“
Mackenzie sah, dass Jones Pupillen sich schnell nach links bewegten, als versuche er, durch den Hinterkopf zu schielen. Der Blick war kurz und heimlich, aber sie ertappte ihn dabei. Mackenzie blickte ihm über die Schulter, sah aber nichts.
„Scheiße, Mann“, sagte Jones. „Ja, kommen Sie rein.“
Aus der Wohnung hörte man eine weitere Stimme. „Danke für nichts, Toby.“
Als Mackenzie und Webber die Wohnung betraten, erschien ein zweiter Mann um die Ecke, wo sich offensichtlich das Wohnzimmer zu befinden schien. Er schien extremst beunruhigt zu sein, als würde ihm jeden Moment übel werden.
„Ken Grainger?“, fragte Mackenzie.
„Ja.“
„Sieht so aus, als hätten Sie versucht, sich zu verstecken“, sagte Webber. Seine Stimme war nicht anschuldigend, was gut war. Es machte keinen Sinn, davon auszugehen, dass Grainger ihr Täter war … obwohl sein Verhalten definitiv darauf zu schließen schien.
„Ich verstecke mich nicht. Nicht wirklich.“
„Irgendeine Ahnung, warum wir hier sind?“, fragte Webber.
„Wegen Sophie nehme ich an.“
Mackenzie bemerkte, dass Toby Jones noch immer hinter ihnen stand. Sie drehte sich zu ihm um und fragte: „Dürften wir kurz mit Mr. Grainger unter vier Augen sprechen?“
„Sicher“, sagte er. Er zog sich ein Paar Turnschuhe an, die neben der Haustür standen und verließ dann die Wohnung. Dabei warf er seinem Freund einen mitfühlenden Blick zu.
Als er weg war, schien Grainger noch etwas blasser zu werden. Er stand bewegungslos im Flur und sein Blick wanderte zwischen den Agenten hin und her.
„Warum gehen Sie davon aus, dass wir wegen Sophie hier sind?“, fragte Mackenzie ihn.
„Ich weiß, dass sie ermordet wurde. In unserem Freundeskreis ist das die Nachricht schlechthin. Und ich nehme an, wegen meiner albernen Nachrichten verdächtigt zu werden.“
„Laut ihrem Vater haben Ihre Nachrichten indiziert, dass Sophie von Ihnen beobachtet wurde“, sagte Webber. „Dass Sie ihr gefolgt sind. Stimmt das?“
„Nur einmal. Ich habe am Ende des Häuserblocks geparkt, wo sie wohnt. Ich war mir sicher, dass sie sich mit jemand anderem trifft, also bin ich fast einen Tag lang dort gesessen. Aber ich habe sie nie gesehen.“
„Wann war das?“
„Vor fünf Tagen. Das war dann … was? Zwei Tage vor ihrem Tod?“
„Mr. Grainger, Sie verstehen, wie diese Nachrichten aufgrund der Ereignisse aussehen müssen?“, fragte Mackenzie.
„Das tue ich.“
„Wenn Sie kein felsenfestes Alibi für die Nacht ihres Todes haben, werden wir Sie als Verdächtigen mitnehmen müssen.“
„Das war Montagabend. Ja, ich habe ein ziemlich gutes Alibi. Ich habe mir einen hinter die Binde gekippt und mit Toby und ein paar anderen Freunden bis zur Sperrstunde gefeiert.“
„Kann das außer Toby jemand bestätigen?“, fragte Webber.
„Bestimmt. Ich habe ein paar Namen.“
„Haben Sie noch die Nachrichten auf dem Handy, die Sie Sophie geschickt haben?“
Grainger schien bereits gewusst zu haben, wo die Unterhaltung hinführte. Er zog sein Handy aus der Tasche, suchte den Nachrichtenverlauf heraus und übergab ihnen das Telefon. Mackenzie nahm es und scrollte durch die Nachrichten. Sie sah sofort, dass er keine der SMS gelöscht hatte. Die Unterhaltung datierte über ein Jahr zurück. Sie sah Herz-Emojis, Selfies der beiden und ein eher provokatives Foto Sophies in einem bauchfreien T-Shirt und Unterhose. Doch am Ende des Verlaufs wurde klar, dass die Beziehung dabei war, zu zerbrechen. Es ging viel um Sophies Modelkarriere und ihre Chance, an einem kleinen Kunstprojekt teilnehmen, wo sie dafür bezahlt werden würde, nackt zu posieren. Mackenzie überflog den gesamten Verlauf, während Webber weiterhin Grainger befragte.
„Mr. Granger, waren Sie in letzter Zeit in Oregon?“
„In letzter Zeit? Nein. Sophie und ich waren vor zwei Jahren auf einem Konzert in Portland. Das war mein einziger Besuch seit meiner Kindheit. Welche Rolle spielt das?“
Webber antwortete nicht, sondern setzte seine Befragung fort. „Können Sie uns sagen, warum Sie und Sophie Torres sich getrennt haben?“
„Das steht alles in den Nachrichten, die Ihre Kollegin gerade liest“, sagte Grainger. „Ich war eifersüchtig und anhänglich. Sie zog mit den lokalen Werbeanzeigen, für die sie gemodelt hat, jede Menge Aufmerksamkeit auf sich – genau wie mit einigen ihrer Instagram-Postings. Sie bekam Angebote von Indie Bands und fadenscheinigen Kunstprojekten. Ich kam damit nicht klar. Und als mir klar wurde, dass ich sie deshalb verlieren könnte, bin ich die Wände hochgegangen.“
Einige der Nachrichten, die Mackenzie sich durchlas, bestätigten das. Manche wiesen sogar darauf hin, dass Ken Grainger möglicherweise suizidale Neigungen hatte.
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