- -
- 100%
- +
Doch sie hatte schon zuvor Menschen gesehen, die die Trauer zerbrochen hatte und tief in sich fühlte sie, dass Clark vermutlich unschuldig war. Niemand konnte diese Art von Trauer spielen, ganz zu schweigen von seiner Unfähigkeit zu schlafen. Doch früher oder später würden sie auf jeden Fall mit seinen Freunden sprechen müssen.
Als Clark die Hoteldetails gefunden hatte, gab er Mackenzie sein Handy, damit sie diese notieren konnte. Sie schrieb auch die Namen und Nummern der Freunde ab, die sich am Abend von Christines Tod in Clarks Wohnung aufgehalten hatten. Während sie schrieb, bemerkte sie, dass auch sie mit ihrem Ehering gespielt hatte. Ellington sah es ebenfalls und schenkte ihr, trotz der Situation, ein kurzes Lächeln. Als sie das Handy entgegennahm, hörte sie auf, an dem Ring zu drehen.
* * *Margaret Lynch war das genaue Gegenteil von Clark Manners. Sie war kühl und gesammelt und begrüßte Mackenzie und Ellington mit einem Lächeln, als sie sich in der Lobby des Radisson-Hotels trafen, wo sie wohnte. Sie geleitete sie zu einer Couch im hinteren Teil der Lobby, wo sie zum ersten Mal Schwäche zeigte.
„Wenn ich beginne, zu weinen, möchte ich das lieber nicht vor allen anderen tun“, bemerkte sie und verschwand in der Couch. Sie schien sich ziemlich sicher zu sein, dass das passieren würde.
„Ich würde gerne mit der Frage beginnen, wie gut Sie Clark Manners kennen“, sagte Mackenzie.
„Nun, ich habe vor zwei Tagen zum ersten Mal mit ihm gesprochen. Nach dem Vorfall. Aber Christine hatte ihn einige Male am Telefon erwähnt. Ich denke, sie war ziemlich angetan von ihm.“
„Gibt es irgendeinen Verdacht von Ihrer Seite?“
„Nein. Ich kenne den Jungen natürlich nicht, aber basierend auf Christines Erzählungen kann ich mir nicht vorstellen, dass er derjenige war, der es getan hat.“
Mackenzie bemerkte, dass Mrs. Lynch alles ihr Mögliche tat, um Worte wie getötet oder ermordet zu vermeiden. Sie nahm an, dass die Frau in der Lage war, bei Verstand zu bleiben, weil sie es schaffte, sich davon zu distanzieren. Die Tatsache, dass sie beide bereits seit einiger Zeit an verschiedenen Enden des Landes gelebt hatten, machte es vermutlich einfacher.
„Was können Sie mir über Christines Leben hier in Baltimore erzählen?“, fragte Mackenzie.
„Nun, sie begann ihr Studium in San Francisco. Sie wollte Anwältin werden, aber die Schule und der Lernstoff … es passte einfach nicht. Wir redeten lange über ihren Wunsch, sich bei der Queen Nash Universität zu bewerben. Sehr lange. Ihr Vater verstarb, als sie elf Jahre alt war und seitdem waren es nur Christine und ich. Keine Onkel, keine Tanten. Wir waren schon immer eine kleine Familie. Sie hat eine noch lebende Großmutter, doch die leidet an Demenz und lebt in einem Heim in der Nähe von Sacramento. Ich weiß nicht, ob Sie es bereits wissen, aber ich werde sie hier in Baltimore einäschern lassen. Es macht keinen Sinn, sie zurück nach Kalifornien zu bringen, um dort genau dasselbe zu tun. Wir haben dort keine wirklichen Verbindungen. Und ich weiß, dass ihr es hier gefallen hat, also …“
Diese arme Frau wird ganz alleine sein, dachte Mackenzie. Wenn sie Menschen befragte, war sie sich solchen Dingen immer bewusst, aber dieser Gedanke überrollte sie wie ein riesiger Fels.
„Wie auch immer, sie wurde angenommen und wusste bereits nach dem ersten Semester, wie gut es ihr hier gefiel. Sie war immer sehr entschuldigend, machte sich Sorgen um mich, ihre einsame, alte Mutter. Sie blieb in Kontakt und rief zwei Mal die Woche an. Sie redete über ihre Kurse und, wie gesagt, auch über Clark.“
„Was sagte sie über ihn?“, fragte Ellington.
„Dass er süß und sehr lustig war. Sie erwähnte auch von Zeit zu Zeit, dass er etwas langweilig war und dazu neigte, öfters mal zu viel zu trinken.“
„Aber nichts Negatives?“
„Nicht, dass ich mich erinnern kann.“
„Entschuldigen Sie meine Frage“, sagte Mackenzie. „Aber wussten Sie, ob die beide exklusiv waren? Bestand die Möglichkeit, dass Christine sich noch mit jemand anderem traf?“
Mrs. Lynch dachte einen Moment nach. Sie schien an der Frage keinen Anstoß zu nehmen, sondern blieb genauso ruhig, wie sie es bei ihrer Ankunft gewesen war. Mackenzie fragte sich, an welchem Punkt die arme Frau schließlich umknicken würde.
„Sie hat nie erwähnt, dass es in Liebesfragen einen Konkurrenten für Clark hätte geben können“, sagte Mrs. Lynch. „Und ich denke, ich weiß, warum Sie fragen. Mir wurde gesagt, dass die Szene aussah, als ob … nun ja, sie war oben ohne und so. Ich hatte einfach angenommen …“
Sie hielt inne und brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Die folgenden Worte schienen etwas in ihr aufzuwirbeln, doch sie schaffte es, die Gefühle zu verbannen, bevor diese die Kontrolle übernahmen. Als sie weiterredete, war sie noch immer kalt wie Stein.
„Ich hatte einfach angenommen, dass es sich um einen misslungenen Vergewaltigungsversuch handelte. Dass der Mann aus irgendeinem Grund austickte und nicht in der Lage war, es zu Ende zu bringen. Aber ich nehme an, es besteht die Möglichkeit, dass es einen anderen Mann in ihrem Leben gegeben hat. Wenn es so war, dann wusste ich einfach nichts davon.“
Mackenzie nickte. Die Theorie der versuchten Vergewaltigung war auch ihr durch den Kopf gegangen, doch das Shirt auf dem Boden und ihr Kopf, der willkürlich darauf lag, schienen in diesem Zusammenhang keinen Sinn zu machen.
„Mrs. Lynch, wir möchten Sie nicht länger belästigen als absolut notwendig“, sagte Mackenzie. „Wie lange werden Sie in der Stadt bleiben?“
„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht ein oder zwei Tage nach dem Gottesdienst.“ Beim Wort Gottesdienst stockte ihre Stimme ein winziges bisschen.
Ellington überreichte ihr eine seiner Visitenkarten und stand auf. „Wenn Ihnen etwas einfällt oder Sie während der Beerdigung oder dem Gottesdienst etwas Auffälliges hören, geben Sie uns bitte Bescheid.“
„Natürlich. Und vielen Dank, dass Sie sich darum kümmern.“ Mrs. Lynch sah verloren aus, als Mackenzie und Ellington sich verabschiedeten. Natürlich, dachte Mackenzie. Sie ist alleine in einer Stadt, die sie nicht kennt, in die sie gereist ist, um sich um ihre verstorbene Tochter zu kümmern.
Mrs. Lynch brachte sie zur Tür und winkte ihnen zu, während sie zu ihrem Wagen liefen. Zum ersten Mal bemerkte Mackenzie, dass ihre Hormone aufgrund der Schwangerschaft offiziell verrücktspielten. Sie fühlte mit Mrs. Margaret Lynch, wie sie es noch nie zuvorgetan hatte. Die Frau hatte Leben erschaffen, es großgezogen und genährt – und es dann auf brutale Art und Weise verloren. Es musste furchtbar sein. Mackenzie war elend zumute, als sie und Ellington sich in den Verkehr mischten.
Und gleichzeitig spürte Mackenzie eine Entschlossenheit in sich auflodern. Sie hatte schon immer eine Leidenschaft dafür gehabt, die Dinge richtig zu stellen, Mörder und andere Monster zur Rechenschaft zu ziehen. Und es war ihr gleich, ob es die Hormone waren oder nicht, aber sie schwor sich, Christine Lynchs Mörder zu finden. Sie wollte Margaret Lynch unter allem Umständen die Möglichkeit geben, mit dem Geschehenen abzuschließen.
Kapitel sechs
Der erste Name auf der Liste, die Clark Manners ihnen gegeben hatte, war Marcus Early. Als sie versuchten, ihn zu kontaktieren, erreichten sie nur seine Mailbox. Mit der zweiten Person auf der Liste, Bethany Diaggo, konnten sie sofort ein Gespräch vereinbaren.
Sie trafen sich mit Bethany an ihrem Arbeitsplatz, einer Anwaltskanzlei, wo sie, als Teil ihres Studiums an der Queen Nash, ein Praktikum absolvierte. Da der Tag sich dem Ende zuneigte, stempelte sie eine halbe Stunde früher aus und traf sich mit ihnen in einem kleinen Sitzungszimmer im hinteren Bereich des Gebäudes.
„Den uns vorliegenden Informationen zufolge, befanden Sie sich an dem Abend, an dem Christine getötet wurde, in der Wohnung von Clark Manners“, sagte Mackenzie. „Was können Sie uns über diesen Abend erzählen?“
„Es war lediglich ein kleines, lustiges Zusammentreffen. Wir hatten etwas zu trinken – vielleicht ein bisschen zu viel. Wir spielten Karten, sahen ein paar Wiederholungsfolgen von The Office und das wars eigentlich.“
„Es gab also keine Streitereien?“, fragte Mackenzie.
„Nein. Aber ich habe beobachtet, dass Christine sich von Clark genervt fühlte. Wenn er trinkt, neigt er manchmal dazu, etwas zu übertreiben, verstehen Sie? Sie hat nichts gesagt, aber man konnte sehen, dass sie sich ärgerte.“
„Wissen Sie, ob das in der Vergangenheit je zu Problemen zwischen den beiden geführt hat?“
„Soweit ich weiß, nein. Ich denke, dass Christine einfach einen Weg gefunden hat, damit umzugehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie wusste, dass ihre Beziehung nicht für die Ewigkeit war.“
„Bethany, kannten Sie eine Frau namens Jo Haley? Ungefähr in ihrem Alter? Studentin der Queen Nash?“
„Ja“, sagte sie. „Nicht so gut wie Christine, aber wir kamen gut miteinander klar. Es kam selten vor, dass wir tatsächlich zusammen abhingen. Aber wenn wir uns in einer Bar oder so über den Weg liefen, setzten wir uns für gewöhnlich zusammen und plauderten ein bisschen.“
„Ich nehme an, dass Ihnen bekannt ist, dass sie ebenfalls vor einigen Tagen getötet wurde?“, fragte Ellington.
„Ja. Es war tatsächlich sogar Christine, die mir davon erzählt hat. Welch grausame Ironie.“
„Wissen Sie, woher sie davon gewusst hat?“, fragte Mackenzie.
„Keine Ahnung. Ich glaube, sie hatten ein paar Kurse zusammen. Oh, und sie hatten auch denselben Fachstudienberater.“
„Fachstudienberater?“, fragte Ellington. „Ist das ein modisches Wort für Vertrauenslehrer?“
„Mehr oder weniger“, sagte Bethany.
„Und Sie sind sich sicher, dass Jo und Christine denselben Berater hatten?“, fragte Mackenzie.
„Das meinte jedenfalls Christine. Sie erwähnte es, als sie mir erzählte, dass Jo getötet worden war. Sie sagte, es fühle sich etwas zu nah an.“ Bethany hielt inne. Vielleicht verstand sie zum ersten Mal das gruselige, vorausahnende Gewicht des Kommentars.
„Kennen Sie zufällig den Namen des Beraters?“, fragte Mackenzie.
Bethany dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Tut mir leid, nein. Sie hat ihn erwähnt, als wir über Jo redeten, aber ich kann mich nicht daran erinnern.“
Kein Problem, dachte Mackenzie. Ein Anruf an der Universität sollte dieses Problem schnell lösen.
„Können Sie uns sonst etwas über Jo oder Christine erzählen?“, fragte Mackenzie weiter. „Welchen Grund könnte jemand haben, beide zu töten?“
„Ich weiß es nicht“, sagte sie. „Es macht keinen Sinn. Christine war so konzentriert und undramatisch. Für sie ging es nur um die Schule und darum, einen frühen Start ins Berufsleben zu finden. Jo kannte ich nicht gut genug, um ein Urteil zu fällen.“
„Trotzdem, danke für Ihre Zeit“, sagte Mackenzie.
Sie verließen das Büro und Bethany machte sich dafür bereit, nach Hause zu gehen. Mackenzie versuchte, sich vorzustellen, wie sich zwei Frauen, die nun beide tot waren, auf den Fluren und im Gedränge der Universität über den Weg gelaufen waren. Vielleicht gingen sie aneinander vorbei, als eine das Büro des Beraters verließ, während die andere auf dem Weg zu ihrem Termin dort war. Die Vorstellung war unheimlich, aber sie wusste nur zu gut, dass diese Dinge in Mordfällen mit mehr als einem Opfer nicht selten vorkamen.
„Die Uni-Büros sind wegen der Ferien noch immer geschlossen“, meinte Ellington, als sie zurück zum Wagen gingen. „Ich bin mir sicher, dass sie morgen wieder öffnen werden.“
„Ja, aber ich nehme an, dass es eine Art Mitarbeiterregister auf der Webseite der Uni gibt. Basierend auf den Büchern in Christines Wohnung und der politischen Broschüre in ihrem Schlafzimmer können wir vermutlich davon ausgehen, dass sie Politikwissenschaften studiert hat. So können wir die Suche eingrenzen.“
Bevor Ellington ihr sagen konnte, dass die Idee gut war, hatte Mackenzie bereits ihr Handy in der Hand. Sie öffnete den Internetbrowser und begann zu scrollen. Sie fand zwar das Register, aber, wie vermutet, keine direkten Durchwahlen oder Privatnummern – lediglich die zu den Beraterbüros. Dennoch konnte sie zwei verschiedene Berater ausfindig machen, die für den politikwissenschaftlichen Bereich zuständig waren. Sie hinterließ beiden eine Nachricht und bat sie, so schnell wie möglich zurück zu rufen.
Sobald sie damit fertig war, scrollte sie weiter, dieses Mal durch ihr Telefonbuch.
„Und jetzt?“, fragte Ellington
„Es gibt nur zwei“, meinte sie. „Da können wir genauso gut einen Hintergrundscheck bei beiden durchführen lassen – vielleicht läuten da ja gleich ein paar Alarmglocken.“
Ellington nickte und lächelte. Ihr schnelles Denken beeindruckte ihn. Er hörte zu, wie sie die Informationsanfragen stellte. Mackenzie konnte spüren, wie sein Blick immer wieder zu ihr wanderte. Ein fürsorglicher und wachsamer Blick.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er.
Sie wusste, was er meinte. Er drehte das Gespräch vom Fall weg und fragte nach dem Baby. Sie zuckte mit den Achseln; es machte keinen Sinn, ihn anzulügen. „Die Bücher sagen, dass die Übelkeit bald vorbei sein sollte, aber ich glaube nicht daran. Ich habe sie heute mehrere Male mehr als deutlich zu spüren gekriegt. Und, um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich müde.“
„Vielleicht solltest du zurück nach Hause gehen“, sagte er. „Ich hasse es, wie ein gebieterischer Ehemann zu klingen, aber … naja, mir wäre es lieber, wenn dir und dem Baby nichts passiert.“
„Ich weiß. Aber dies ist eine Mordserie an einem Unicampus. Ich bezweifle, dass es gefährlich werden könnte. Es handelt sich vermutlich lediglich um einen Typen mit zu viel Testosteron, der sich daran aufgeilt, Frauen umzubringen.“
„In Ordnung“, sagte Ellington. „Aber du wirst ehrlich sein und mir Bescheid geben, wenn du dich schwach oder komisch fühlst, okay?“
„Ja, das werde ich.“
Er beäugte sie argwöhnisch und gleichzeitig spielerisch, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er ihr glauben konnte. Dann nahm er ihre Hand, während sie zurück ins Zentrum fuhren, um sich für die Nacht ein Hotel zu suchen.
* * *Sie hatten kaum genug Zeit gehabt, es sich in ihrem Zimmer gemütlich zu machen, als Mackenzies Handy klingelte. Sie antwortete sofort und ignorierte die unbekannte Nummer. Mit jeder Sekunde wurde das Ticken der symbolischen Uhr, die McGrath ihnen mitgegeben hatte, lauter. Sie wusste, dass es mit dem Start des neuen Semesters in fünf Tagen um einiges schwerer werden würde, den Fall abzuwickeln, wenn all die Schülers wieder zurück in der Gegend waren.
„Agent White“, sagte sie, als sie den Anruf angenommen hatte.
„Agent White, hier spricht Charles McMahon, ich bin Fachstudienberater an der Queen Nash Universität. Ich rufe zurück, weil Sie mir eine Nachricht hinterlassen haben.“
„Genau, vielen Dank für die schnelle Antwort. Sind Sie gerade an der Uni?“
„Nein. Ich habe einiges zu tun und deshalb meine Mailbox vom Büro zu meinem Privattelefon umgeleitet.“
„Oh, ich verstehe. Nun, ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht in der Lage sind, einige Fragen bezüglich eines Mordfalls zu beantworten.“
„Ich nehme an, es geht um Jo Haley?“
„Ehrlich gesagt, nein. Vor zwei Tagen hat es einen weiteren Mord gegeben. Auch eine Studentin der Queen Nash. Eine junge Frau namens Christine Lynch.“
„Das ist furchtbar“, sagte er und klang ehrlich schockiert. „Ist es … naja, mit zwei Frauen so kurz nacheinander … denken Sie, dass es sich um einen Trend handelt? Einen Serienkiller?“
„Das wissen wir noch nicht“, meinte Mackenzie. „Wir hatten gehofft, dass Sie uns bei der Auflösung helfen können. Ich habe auf der Webseite der Uni gelesen, dass es nur zwei Fachberater für den Bereich der Politikwissenschaften gibt und dass Sie einer davon sind. Ich weiß ebenfalls, dass sowohl Jo Haley als auch Christine Lynch vom selben Berater betreut wurden. Handelt es sich dabei um Sie?“
Ein angespanntes, nervöses Kichern ertönte am anderen Ende der Leitung. „Nein. Und dies ist sogar der Hauptgrund, warum ich gerade so viel zu tun habe. Der andere Fachberater unseres Bereichs, William Holland, hat drei Tage vor den Semesterferien gekündigt. Ich habe den Großteil seiner Studenten übernommen … und werde mich vermutlich um sie kümmern müssen, bis wir einen Ersatz finden. Wir haben einen Assistenten, der hilft wo er kann, aber ich bin vollkommen überlastet.“
„Haben Sie eine Ahnung, warum Holland gekündigt hat?“
„Naja, es gab Gerüchte, dass er sich auf eine Studentin eingelassen hat. Aber soviel ich weiß, gab es nie Beweise, die das belegen konnten. Aber seine plötzliche Kündigung wirft natürlich schon Fragen auf.“
Ja, finde ich auch, dachte Mackenzie.
„Wissen Sie, ob er je in andere dubiose Aktivitäten verwickelt war? War er der Typ von Mann, bei dem Neuigkeiten wie diese Sie schockiert hätten?“
„Das kann ich nicht mit Bestimmtheit beantworten. Ich meine … ich kenne ihn nur als Kollegen. Außerhalb der Uni war er quasi ein Fremder.“
„Ich kann also annehmen, dass Sie nicht wissen, wo er wohnt?“
„Nein, tut mir leid.“
„Wo ich Sie schon mal dran habe … Mr. McMahon. Wann haben Sie zum letzten Mal mit Jo oder Christine gesprochen?“
„Das habe ich nie. Sie waren Teil der Übergabe Hollands, aber die einzige Kommunikation zwischen uns war eine Massenmail, die an alle betroffenen Studenten verschickt worden war.“ Er hielt inne und fügte dann hinzu: „Wissen Sie was, aufgrund der Geschehnisse kann ich vermutlich Hollands Adresse für Sie herausfinden. Ich muss lediglich ein paar Anrufe tätigen.“
„Das weiß ich zu schätzen“, sagte Mackenzie. „Aber das ist nicht nötig. Ich kann diese Information selbst besorgen. Vielen Dank für Ihre Zeit.“
Damit beendete sie den Anruf. Ellington hatte, mit einem Schuh auf der Bettkante sitzend, zugehört.
„Wer ist Holland?“, fragte er.
„William Holland.“ Sie informierte Ellington über die kurze Unterhaltung, die sie mit McMahon geführt hatte. Dabei setzte auch sie sich auf die Bettkante. Erst als ihre Füße den Boden nicht mehr berührten, realisierte sie, wie müde sie wirklich war.
„Ich kümmere mich um seine Kontaktdaten“, sagte er. „Wenn er an der Uni arbeitet, besteht die Chance, dass er auch hier in der Gegend wohnt.“
„Und falls es sich um unseren Typen handelt“, sagte Mackenzie, „hat mein Anruf ihn vermutlich aufgeschreckt.“
„Das heißt, wir sollten vermutlich schnell reagieren.“
Sie nickte und realisierte, dass sie wieder einmal eine Hand auf ihren Bauch gelegt hatte. Es war fast zu einer Gewohnheit geworden, wie Nägelkauen oder nervöses Knöchel-Knacken.
Da ist Leben drin, dachte sie. Und, wenn die Bücher recht haben, fühlt dieses Leben dieselben Emotionen wie ich. Meine Nervosität, mein Glück, meine Ängste …
Als sie Ellington dabei zuhörte, wie er sich die Adresse William Hollands besorgte, fragte sich Mackenzie zum ersten Mal, ob sie einen Fehler gemacht hatte, als sie die Schwangerschaft vor McGrath geheim hielt. Vielleicht setzte sie sich als aktive Agentin einem zu großen Risiko aus.
Wenn der Fall vorbei ist, sage ich es ihm, dachte sie. Ich werde mich auf das Baby und mein neues Leben konzentrieren, und …
Ihre Gedanken hatten scheinbar ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, denn sie merkte nun, dass Ellington sie wartend ansah.
„Tut mir leid“, sagte sie. „Ich war mit meinen Gedanken woanders.“
Er lächelte. „Das ist okay. Ich habe eine Adresse für William Holland. Er wohnt hier in der Stadt, in Northwood. Bereit für einen Besuch?“
Ehrlich gesagt war sie es nicht. Es war kein übermäßig zermürbender Tag gewesen, aber direkt nach ihrem Islandtrip mitten in einem Fall zu stecken und in den letzten sechsunddreißig Stunden nur wenig geschlafen zu haben, holte sie langsam ein. Sie wusste, dass auch das wachsende Baby einen Teil ihrer Energie abzapfte und beim Gedanken daran musste sie lächeln.
Andererseits: Wenn der Kerl befragt oder in Untersuchungshaft genommen werden konnte, würde es vermutlich nicht lange dauern. Also setzte sie ihr entschlossenes Gesicht auf und stellte sich wieder hin.
„Ja, lass uns gehen.“
Ellington stellte sich vor sie und sah ihr in die Augen. „Sicher? Du siehst müde aus. Und vor weniger als dreißig Minuten hast du noch gemeint, dass du erledigt bist.“
„Es ist okay. Mir geht es gut.“
Er küsste sie auf die Stirn und nickte. „Okay. Ich nehme dich beim Wort.“ Lächelnd streichelte er ihren Bauch, bevor er zur Tür ging.
Er macht sich Sorgen um mich, dachte sie. Und es ist überwältigend, wie sehr er dieses Kind bereits liebt. Er wird ein fantastischer Vater sein …
Doch bevor sie den Gedanken weiterdenken konnte, waren sie schon aus der Tür und auf dem Weg zum Wagen. Sie bewegten sich so schnell und zielgerichtet, dass ihr klar wurde, dass sie sich erst wieder voll und ganz ihren Zukunftsgedanken widmen können würde, wenn dieser Fall gelöst war.
Kapitel sieben
Es war kurz nach neunzehn Uhr, als Ellington seinen Wagen vor William Hollands Haus parkte. Es war ein kleines Gebäude in den Außenbezirken einer netten, kleinen Trabantenstadt und die Art von Haus, die mehr wie eine fehlplatzierte Hütte wirkte. Ein einziger Wagen stand in der geteerten Einfahrt, im Haus waren mehrere Lichter an.
Ellington klopfte selbstbewusst an die Tür. Er war dabei keinesfalls unhöflich, sondern wollte Mackenzie lediglich verdeutlichen, dass er, während er sich um ihre Gesundheit sorgte, in jedem Aspekt des Falles die Führung übernehmen würde: Fahren, an Türen klopfen und so weiter.
Ein gepflegter Mann, vermutlich Ende vierzig, öffnete die Tür. Er trug eine modische Brille, einen Blazer und eine Khakihose. Dem Geruch nach zu urteilen, der durch die Tür wehte, hatte er chinesisches Takeout zum Abendessen gehabt.
„William Holland?“, fragte Ellington.
„Ja. Und wer sind Sie?“
Sie zeigten gleichzeitig ihre Dienstmarken. Mackenzie machte einen Schritt nach vorne. „Agenten White und Ellington, FBI. Wir haben gehört, dass Sie kürzlich Ihren Job an der Queen Nash verlassen haben.“
„In der Tat“, sagte Holland unsicher. „Aber ich bin verwirrt. Warum würde das einen Besuch vom FBI rechtfertigen?“
„Können wir eintreten, Mr. Holland?“, fragte Ellington.
Holland dachte kurz darüber nach, bevor er einwilligte. „Sicher, ja, kommen Sie rein. Aber ich … ich meine, worum geht es?“
Ohne zu antworten betraten sie seinen Flur. Als Holland die Tür hinter ihnen zuzog, beobachtete Mackenzie ihn aufmerksam. Er schloss sie langsam und fest. Er war also entweder nervös oder hatte Angst – oder, am wahrscheinlichsten, beides.
„Wir sind in der Stadt, um zwei Mordfälle aufzuklären“, antwortete Ellington schließlich. „Zwei Studenteninnen der Queen Nash, die beide, wie wir heute erfahren haben, von Ihnen betreut wurden.“
In der Zwischenzeit hatten sie Hollands Wohnzimmer betreten und dieser ließ sich sogleich auf einen kleinen Sessel fallen. Er sah aus, als verstehe er wirklich nicht, was sie von ihm wollten.
„Moment … sie sagten zwei?“
„Ja“, sagte Mackenzie. „Wussten Sie das nicht?“
„Ich habe von Jo Haley gehört. Und das auch nur, weil wir vom Hochschulleiter informiert werden, wenn einer unserer Studenten verstirbt. Wer ist das andere Mädchen?“
„Christine Lynch“, sagte Mackenzie und untersuchte sein Gesicht nach einer Reaktion. Seine Augen flackerten kurz wiedererkennend auf. „Sagt Ihnen der Name etwas?“
„Ja. Aber ich … ich habe kein Gesicht vor Augen. Sie müssen wissen, ich hatte über sechzig Schüler in Betreuung.“
„Das ist die andere Sache“, sagte Ellington. „Das hatte. Wir haben gehört, dass sie ihren Job kurz von den Semesterferien gekündigt haben. Hatte das etwas mit den Gerüchten zu tun, dass sie mit einer ihrer Schülerinnen involviert waren?“
„Jesus“, sagte Holland. Er lehnte sich zurück und zog seine Brille ab. Er massierte seinen Nasenrücken und seufzte. „Ja, ich bin mit einer Schülerin liiert. Ich wusste, dass sich das rumspricht und was es mit meiner und ihrer Karriere anstellen kann. Also habe ich gekündigt.“
„Einfach so?“, fragte Mackenzie.
„Nein, nicht einfach so“, schnappte Holland. „Wir haben unsere Beziehung monatelang verheimlicht. Aber ich habe mich in sie verliebt. Und sie sich in mich. Wir haben lange und ausführlich darüber gesprochen, wie wir weitermachen wollen. Doch in der Zwischenzeit ist die ganze Sache rausgekommen und plötzlich wusste jeder von uns. Das hat uns die Entscheidung abgenommen. Aber … was hat das mit den Mordfällen zu tun?“
„Hoffentlich nichts“, sagte Ellington. „Aber Sie müssen die Situation aus unserer Sicht sehen. Wir haben zwei ermordete Studentinnen und die einzige Verbindung zwischen den beiden ist ihr gemeinsamer Fachberater – Sie. Wenn man dann noch die Tatsache hinzunimmt, dass Sie eine relativ offene Beziehung mit einer Schülerin führen …“





