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„Wer ist der Agent?“
„DeMarco“, sagte Duran. Er schien sich ein bisschen darüber zu freuen, ihr das sagen zu können. Selbst er hatte bemerkt, wie beide während ihrer Partnerschaft aufgeblüht waren. „Sie hat die Dinge bisher wunderbar gehandhabt, aber es geht nicht so schnell voran wie erwartet und sie braucht Hilfe. Natürlich wird sie es nicht zugeben.“
„Weiß sie, dass ich komme?“
„Ich werde sie anrufen, sobald wir dieses Gespräch beendet haben, um ihr Bescheid zu geben. Könnten Sie selbst fahren? Das FBI wird Sie auch für das Benzin entschädigen.“
„Das hört sich toll an.“ Und obwohl es sich wirklich großartig anhörte, konnte sie nicht anders, als an Allen und Chicago zu denken.
„Perfekt. Ich rufe DeMarco an und lasse sie sich bei mir melden, wenn Sie dort sind. Danke, Wise.“
Er beendete den Anruf und Kate blieb einen Moment am Tisch sitzen, um ihre Gefühle zu ordnen. Als sie wieder auf die Beine kam, sah sie Allen, der an der Eingangstür auf sie wartete. Er hatte ein schmales Lächeln im Gesicht, als sie sich ihm näherte.
„Das war doch nicht Melissa, oder?“, fragte er.
„Woher hast du das gewusst?“
„Du bist immer sehr entspannt, wenn du mit ihr sprichst. Das Gespräch, das du gerade hattest… du strahlst. Du saßt kerzengerade und warst sehr konzentriert. Es war Duran, nicht wahr?“
„Das war er.“
Er nickte, als er ihr die Tür öffnete. Als sie wieder auf der Straße waren, im Schein der Straßenlaternen, nahm er ihre Hand. „Ich nehme an, Chicago ist raus?“
„Mir wurde eine Chance gegeben“, sagte sie. „Ich dachte, wir könnten heute Abend darüber reden.“
„Ein Fall?“
„Ja“, sagte sie.
„Wann würdest du gehen?“
„Morgen früh.“
„Dann gibt es nichts mehr zu reden“, sagte er. „Kate, das hatten wir doch schon. Ich weiß, wie viel dir dieser Job bedeutet. Also geh einfach. Zum Teufel, ich muss sowieso zur Arbeit. Es wäre schön gewesen, dich dort zu haben, aber wir hätten uns kaum gesehen.“
„Allen, ich kann…“
„Es ist okay. Weißt du… ich habe dir vor einigen Wochen ein Ultimatum gestellt. Ich stehe immer noch dazu, aber das… Ich denke, es ist okay. Ich denke, wir sollten es im Hinterkopf behalten, wenn ich der Arbeitswelt endlich einen Abschiedskuss gebe.“
„Drei Monate“, sagte sie mit einem Grinsen.
„Ich weiß. Es ist schwer zu glauben.“
Das thailändische Restaurant war nur eineinhalb Meilen von ihrem Haus entfernt und sie hatten sich entschieden, zu Fuß zu gehen – etwas, das sie mindestens zweimal in der Woche versuchten. Der Abend war nett und begann sich ein wenig zu entspannen, als es langsam dunkel wurde.
„Also, wenn ich gegen halb fünf morgen das Haus verlasse, wirst du dich nicht aufregen?“ fragte sie kurz darauf.
„Nein. Ich will, dass du diesen Job genießt, solange wir beide ihn aushalten. Ich werde mich nicht allzu sehr aufregen. Aber küss mich, bevor du gehst.“
Sie lehnte sich an ihn und fragte sich, wie sie es jemals geschafft hatte, einen so verständnisvollen und nachsichtigen Mann wie Allen zu finden. Und damit fragte sie sich auch, wie lange er ihre Art von Arbeit noch aushalten würde.
„Wenn du dieses Verständnis mir gegenüber aufrechterhältst,“ sagte sie, „bekommst du viel mehr als nur einen Kuss.“
Er lachte, schlang seinen Arm um ihre Taille und sie gingen weiter durch die Nacht.
Kapitel zwei
Es war schon ewig her, seit Kate das letzte Mal in den frühen Morgenstunden Auto gefahren war. Um 4:50 Uhr war sie aus dem Labyrinth der DC-Ausfahrten und Straßen heraus und fuhr in nordöstlicher Richtung nach Delaware. Sie hatte am Abend zuvor ihre E-Mail überprüft und nichts von Duran gefunden. Aber kurz nachdem ihr Wecker geklingelt hatte, hatte sie noch einmal nachgesehen und ohne große Überraschung festgestellt, dass Duran ihr kurz nach Mitternacht den exakten Ort sowie elektronische Kopien der Fallakten geschickt hatte.
Die Stadt, in der sich die Morde ereignet hatten, hieß Estes, eine kleine Stadt, die um den Fallows Lake herum lag. Mit der aufgehenden Sonne, die die Straße in einem schönen, wohligen Licht erscheinen ließ, erinnerte sie an den Strandurlaub, den sie und Allen gemacht hatten; sie hatten einen Morgen, früh am Strand verbracht und Bagels und Erdbeeren gegessen, während sie den Sonnenaufgang beobachteten. Obwohl eine Stadt am See weit entfernt von einem Strandurlaub war, stellte sie sich vor, dass sie wahrscheinlich trotzdem die gleichen Reize hatte… besonders in dieser saisonalen Vorhölle, die in diesen wenigen Wochen zwischen den letzten richtigen Sommer- und den ersten kühlen Herbsttagen lag.
Die Erinnerung ließ sie sich glücklich, aber auch schuldig fühlen. Allen schien fast zu verständnisvoll in Bezug auf diesen plötzlichen Fall zu sein. Sie fragte sich, ob er sein Ultimatum in drei Monaten, nachdem er in den Ruhestand gegangen war, aufrechterhalten würde. Er hätte ein Recht darauf, nahm sie an. Und das bedeutete, dass sie über einige ernste Dinge nachdenken musste.
Für den Moment gab es jedoch einen Fall. Und wenn sie aus dem letzten Fall etwas gelernt hatte, dann, dass sie ihr Privatleben unbedingt von ihrem Berufsleben trennen musste. In mancherlei Hinsicht war es jetzt noch schwieriger als zu der Zeit, als sie verheiratet gewesen war und ein heranwachsendes und ziemlich schwieriges Kind gehabt hatte.
Sie kam um 7:40 Uhr in Estes an, zwanzig Minuten vor dem Zeitpunkt, an dem sie DeMarco am letzten Tatort treffen sollte. Während die Stadt etwa eine Meile vom See entfernt war, war Estes so gebaut worden, dass man das Gefühl hatte, direkt am Ufer zu sein. Zum Teufel, es gab bestimmte Merkmale der Gegend, die es so aussehen ließen, als ob der Ozean gleich um die Ecke wäre und nicht nur ein See. Die Häuser waren alle an der Küste gelegen und es gab mehrere Souvenirläden entlang der Hauptstraße, die aussahen, als wären sie einfach von den Stränden Delawares‘ hier hergesetzt worden, die etwa achtzig Meilen östlich lagen. Da Kate zu früh gekommen war, ging sie an einem kleinen Café vorbei und bestellte einen schwarzen Kaffee, bevor sie sich auf den Weg zum aktuellsten Tatort machte.
Als sie fünf Minuten später dort ankam, befand sich DeMarco bereits dort. Sie hatte in der gepflasterten Einfahrt geparkt, nippte an ihrem eigenen Kaffee und lehnte sich dabei an das, was eindeutig ein Dienstwagen war. Sie lächelte und winkte Kate zu, als sie neben ihr parkte.
„Hey“, sagte Kate, als sie ausstieg. „Tut mir leid, dass ich eure Party störe.“
„Ich werde ehrlich sein“, sagte DeMarco. „Ich war irgendwie froh, als Duran anrief und mir sagte, dass er dich schickt.“
„Läuft der Fall ein bisschen aus dem Ruder?“, fragte Kate.
„Nein, nicht wirklich. Aber das ist mein erster Solo-Fall und bis jetzt ist noch nichts richtig gelaufen.“ Sie schaute in den Himmel und lächelte. „Ich weiß, es ist nur ein einfacher See, aber ist dir schon mal aufgefallen, dass sogar der Himmel anfängt anders auszusehen, je näher man dem offenen Wasser kommt?“
„Nein, ist mir nicht“, sagte Kate und schaute in den Himmel. Sie erkannte, dass DeMarco einfach versuchte, die Tatsache zu vermeiden, dass Duran sie in der Sache hinzugezogen hatte, weil DeMarco nicht in der Lage gewesen war, den Fall allein voranzutreiben. Sie fragte sich, wie lange DeMarco in der Lage sein würde, so etwas nicht laut auszusprechen.
„Hat Duran dir die Fallakten geschickt?“, fragte DeMarco, während sie auf das Haus zugingen. Es war ein zweistöckiges Pseudostrandhaus, ein weiteres der Häuser, welches man auch hätte entlang der Delaware-Küste bauen können. Ein ZU VERKAUFEN-Schild stand am Rande des Hofes, mit dem lächelnden Gesicht einer hübschen Frau. Ihr Name – Tamara Bateman – und ihre Nummer waren unter ihrem strahlenden Lächeln aufgeführt.
„Ja, aber ich dachte, es würde mir Zeit und Kopfschmerzen ersparen, es direkt von dir zu hören.“
„Klingt logisch“, sagte DeMarco. „Zwei Morde in Estes innerhalb einer Woche. Das letzte Opfer ist die hübsche Dame dort drüben.“ Sie nickte zurück in Richtung des ZU VERKAUFEN-Schildes.
„Wann wurde sie getötet?“
„Vor zwei Tagen. Ich wurde gestern angerufen, kam etwas später hinzu als mir lieb war. Ich habe mit den Leuten vom Immobilienbüro gesprochen, aber die waren keine große Hilfe. Einige von ihnen waren wirklich untröstlich. Andere sind zu ängstlich, um mit einem FBI-Agenten zu sprechen, aus Angst davor, was es für den Verkauf für Folgen haben könnte. Sie haben mir aber den Schlüssel gegeben.“
DeMarco fischte den Schlüssel aus ihrer Tasche, während sie die Stufen der Veranda hinaufstiegen. Sie schloss die Haustür auf und sie traten ein. Kate bemerkte, dass das Haus völlig leer war, nicht ein Möbelstück befand sich darin. Außerdem roch es nach frischer Farbe und irgendeiner Art von Politur auf dem Boden.
„Und sie war die zweite?“, fragte Kate, als sie die Tür hinter ihnen schloss.
„Ja. Die erste war auch eine Immobilienmaklerin, in einem Haus wie diesem. Das erste Opfer wurde jedoch in einem neueren Haus getötet. Ungefähr zwei Jahre alt, glaube ich. Das Haus, in dem wir gerade stehen, ist etwa 15 Jahre alt.“
„Irgendwas Besonderes im Privatleben der Opfer?“
„Noch nichts. Ich habe Hintergrundüberprüfungen angestellt und hatte die Hilfe der örtlichen Polizei bei der Suche nach Verhaftungsunterlagen. Es gibt nichts… nur ein paar Strafzettel für zu schnelles Fahren und eine einzige Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer. Auch die Familien sind keine Hilfe. Uns wurde gesagt, dass sie beide tolle Frauen waren und keiner Fliege was zuleide tun würden. So was in der Art.“
Kate sah sich um. Es gab Blutspritzer auf dem Boden, direkt in der Eingangshalle. Eine hohe Treppe begann direkt vor dem Foyer. Auf den Hartholztreppen befanden sich Flecken von getrocknetem Blut und sogar ein getrockneter Steifen davon lief an der hellen blaugrünen Farbe an der Wand entlang, die zwischen Treppe und Decke verlief. Die Treppe war eine von diesen, die bis zum zweiten Stockwerk vollständig sichtbar war, ein durchgehendes dickes Geländer, das den Raum zwischen der Treppe und dem Freien unterbrach.
Kate studierte das Muster und die Spur des Blutes und konnte keinen unmittelbaren Sinn darin erkennen.
„Scheint komisch zu sein, oder?“, sagte DeMarco. „Soweit ich weiß, wurde Tamara Bateman entweder auf der Treppe oder ganz unten angegriffen. Danach wurde sie fast bis ganz nach oben geschleppt. Sie wurde dann offenbar über das Geländer geworfen, mit einer Schlinge am Hals. Wenn man die Treppe hinaufgeht und die dritte Stufe von oben betrachtet, sieht man tatsächlich angesammeltes Blut und ganz offensichtlich Seilfasern“.
„Sie wurde erhängt?“
„Ja. Wie das erste Opfer. Nur wurde sie an einem Sparren aufgehängt, der horizontal an der Wohnzimmerdecke entlangläuft.“
„Waren die Opfer in derselben Immobilienfirma beschäftigt?“, fragte Kate.
„Nö. Verschiedene Agenturen. Aber beide Häuser sind erst kürzlich auf den Markt gekommen. Das und die Tatsache, dass beide Opfer weibliche Makler sind, ist die einzige Verbindung. Ich sage nur… aber es scheint, als dass diese Verbindungen mehr als genug wären. Aber – wie durch den Aufruf hier bewiesen – ist es das ganz sicher nicht.“
„Warst du schon mal hier drin?“, fragte Kate.
„Ja, gestern Nachmittag. Die Leiche lag etwa zwölf Stunden hier, bevor jemand bemerkte, was passiert war. Batmans Freund rief die Polizei, um eine Vermisstenmeldung abzugeben. Ein Anruf im Büro wurde getätigt, sie fanden die Objekte heraus, mit denen sie handelte, und voilà…sie fanden sie am Geländer hängend. Ich kam etwa acht Stunden, nachdem die Leiche entfernt worden war, hierher. Schau dir das Haus ruhig an. Ich verspreche dir, dass ich nicht beleidigt sein werde. Ich besorge dir auch eine Kopie des Berichts des Gerichtsmediziners, aber da steht so ziemlich dasselbe, was ich dir gerade gesagt habe. Wenn eine Frau auf den Kopf geschlagen und dann gehängt wird, gibt es dem normalerweise nicht viel hinzuzufügen.“
„Irgendein sexueller Missbrauch durch den Mörder?“
„Im Bericht steht nichts davon. Ernsthaft… das verdammte Ding war überhaupt keine Hilfe.“
Kate grinste sie an, obwohl es tatsächlich eine unangenehme Situation war. Sie fühlte sich, als würde sie DeMarco auf die Füße treten und ihren Kopf dort hineinstecken, wo man es vielleicht nicht unbedingt wollte. Außerdem war es der erste Fall, bei dem sie zusammenarbeiteten, bei dem DeMarco zuerst da gewesen war – wo sie mehr oder weniger die Autorität hatte.
Sie ging vorsichtig die Treppe hinauf und richtete ihren Blick nach unten, um sicher zu gehen, dass sie nicht in das Blut trat, auch wenn es bereits getrocknet war. Sie fand die Treppe, über die der Mörder die Leiche offenbar geworfen hatte. An der fein polierten Reling war ein sehr leichter Abrieb zu erkennen. Etwa alle sechs Zentimeter waren Zierspindeln angebracht, die das Geländer mit der Treppe verbanden. An der Spindel entlang dieser speziellen Stufe klebten ein paar Fäden, die wie haarfeine Jutefasern aussahen. Oder, wie DeMarco angedeutet hatte, Seilfasern. Diese lagen auch auf der Treppenkante, fast wie Staub.
Kate spähte über das Geländer auf den Boden. Ungefähr ein 3,5 Meter tiefer Fall. Das bedeutete, dass die Schlinge wahrscheinlich sehr kurz gewesen war. Und wenn sie kurz gewesen war, bestand die Möglichkeit, dass der Mörder sie absichtlich so kurz gehalten hatte, als hätte er es im Voraus geplant, da er wusste, wo er Tamara Bateman erhängen würde und wie viel Seil er brauchen würde.
„Hast die Maße der Schlinge?“, fragte Kate.
„Das Seil selbst war zwei Meter lang“, sagte DeMarco. „Scheint in dieser Länge gekauft geworden zu sein, da es keine eindeutigen Anzeichen für Kürzungen gab.“
Kate war beeindruckt. Die Seillänge war wahrscheinlich unwichtig, aber dennoch ein Detail, das für einen genauen und vollständigen Bericht notwendig wäre. Wie sie es erwartet hatte, hatte DeMarco nichts verpasst.
Kate ging die Treppe zum zweiten Stockwerk hinauf. DeMarco blieb hinter ihr zurück, war respektvoll und gab ihr viel Raum. Es gab fünf Türen entlang des oberen Flurs: zwei auf jeder Seite und eine am Ende des Ganges. Der Flur selbst war nicht mit Teppich ausgelegt, aber die geöffneten Türen zu allen fünf Zimmern zeigten, dass es sich um die Zimmer (außer dem kleinen Bad am Ende des Flurs) handelte. Kate betrat in das erste Zimmer. Das Haus war offenbar gereinigt und gut gepflegt worden, als die Vorbesitzer ausgezogen waren. Es gab keinen einzigen Kratzer an den Wänden und nur die geringsten Einkerbungen im Teppich, die zeigten, dass die Möbel überhaupt jemals dort gewesen waren.
Dieses Schlafzimmer war wahrscheinlich eines der Gästezimmer, da es recht klein war. Der einzige Bereich, den es außer dem leeren Raum selbst zu überprüfen galt, war der Schrank. Es war ein kleiner Schrank – nicht größer als ein Garderobenschrank, wirklich – und brachte nichts anderes als einen sehr sauberen Teppich hervor. Im nächsten Raum war es dasselbe Bild, ebenso wie das viel größere Hauptschlafzimmer. Das Hauptschlafzimmer bot ebenfalls ein großes Badezimmer, und es war genauso blitzsauber wie der Rest des Hauses.
Der dritte Raum, in den sie kamen, sah ähnlich aus nur der Schrank war viel größer; es war ein schmaler begehbarer Schrank, komplett mit Kleiderständern und einem Regal für Schuhe ausgestattet. Es war genauso leer wie die anderen Räume, aber es gab eine weitere Tür, die in der hinteren Wand saß. Sie war schmaler als die anderen, ganz in der Ecke des geräumigen Schrankes.
„Abstellraum?“, fragte Kate und ging auf die Tür zu.
„Ja, ich denke schon. So wie es aussieht, ist es ein weitgehend unfertiger Dachboden. Ich habe ihn gestern überprüft.“
Kate öffnete die Tür und wurde mit einem feuchten Luftstoß empfangen. Der Raum war in der Tat unfertig. Es gab freiliegende Balken und eine Isolierung, die nur durch die große Klimaanlage, die in dem Raum installiert war, unterbrochen wurde. Die Vorbesitzer hatten ein paar Sperrholzplatten ausgelegt, um sicher über das Gebälk gehen zu können, aber das war es dann auch schon. Im hinteren Bereich verengte die Form des Schrägdaches den Raum. Die Bauherren hatten dies mit mehreren Brettern unterstützt, wodurch eine Art falsche Wand entstanden war. Es war der einzige Bruch in dem perfekt quadratischen Raum.
Kate trat auf die Sperrholzplatte. Als sie darüber lief, dachte sie, es sei eine Schande, dass der Platz verschwendet worden war. Wenn er fertig wäre, hätte es ein tolles Büro oder Spielzimmer für eine Familie mit Kindern werden können. Gerade als sie begann, sich vorzustellen, wo sie eine Treppe hinbauen wollte, um den Fußboden zurück zur Hauptebene zu durchschneiden, kam sie zu der faulen, unfertigen Wand nahe der Rückseite, wo das Dach etwas schief war. Sie spähte hinter die Möchtegern-Mauer und drehte verwirrt den Kopf.
„Hast du gestern hier hinten nachgesehen?“, fragte sie.
DeMarco kam über den Sperrholzboden gelaufen, neugierig und besorgt. Sie schaute, sah dasselbe wie Kate und sagte: „Was zum Teufel?“
Auf dem Sperrholzboden lag eine Decke. Eine leere Dasani-Wasserflasche lag daneben, leer.
„Kate, ich werde dich nicht anlügen. Ich habe nicht einmal daran gedacht, dahinterzuschauen.“
„Es gab ja auch keinen Grund dazu“, sagte Kate. „Nicht für jemanden, der die Aufgabe hat, das ganz allein herauszufinden. Schreib das meinem allzu analytischen Verstand zu.“
„Trotzdem. Ich hätte nachsehen sollen.“
„Könnte ein Hausbesetzer sein“, sagte Kate, sie wollte DeMarco keine Zeit geben, zu hart mit sich ins Gericht zu gehen. „Sie kommen und gehen, vor allem in Immobilien, die schon lange leer stehen.“
„Zweifelhaft. Die Polizei war gestern den ganzen Tag hier, bis tief in die Nacht.“
„Könnte ein Hausbesetzer sein, der den Ort beobachtet und auf die Polizei gewartet hat. Und wenn das der Fall ist, könnte der Hausbesetzer der Mörder sein. Es wäre sicherlich ein verdammter Zufall, dass das jetzt hier ist, wenn es gestern nicht hier war, wenn man bedenkt, dass hier vor weniger als zwei Tagen jemand getötet wurde.“
„Jemand muss dieses Haus sehr genau beobachtet haben, das ist sicher.“
Kate und DeMarco blickten hinunter in den kargen Schlafbereich, ihre Gedanken waren bereits in Bewegung. Kate konnte nicht umhin, zu denken, dass sie, wenn dieser Quilt und diese Flasche tatsächlich dem Mörder gehörten, nach Richmond zurückkehren würde, bevor der Tag vorbei war.
Kapitel drei
Der Charme einer Kleinstadt hatte Kate nie gereizt, und Estes war dabei keine Ausnahme. Sicher, es war malerisch und könnte ein schöner Ort sein, um ein paar Wochen im Sommer zu verbringen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, an einem Ort wie diesem zu leben. Sie fühlte sich fast schlecht für die kleine Stadt – ihre Lebensgrundlage, die um diesen schönen, aber weniger bekannten See herum gebaut wurde, der wahrscheinlich von den weniger als anderthalb Stunden entfernten Stränden überschattet wurde. Es war, als ob die Stadt eine Identitätskrise hätte und sich dessen nicht einmal bewusst war.
Während DeMarco mit dem örtlichen Sheriff am Telefon sprach, sah Kate die Stadt vorbeiziehen und lauschte mit einem Ohr dem Gespräch.
„Wir brauchen mindestens eine Einheit im Haus in der Hammermill Street.“, sagte DeMarco.
„Wenn der Mörder mutig genug war, dort zu schlafen und seine Decke zurückzulassen, besteht eine sehr gute Chance, dass er wieder auftaucht. Und selbst wenn es nicht der Mörder ist, könnten er oder sie etwas gesehen oder gehört haben.“
Kate nahm sich einen Moment, um den Tonfall zu schätzen, mit der DeMarco an ihren Job heranging. Kate hatte DeMarco während ihrer gemeinsamen Zeit als Partner hier und da etwas Verantwortung übertragen, aber sie hatte sie nie in einer Führungsposition gesehen. Es schien ihr natürlich, dass die plötzliche Führung in einem Fall sie nicht ein bisschen einschüchterte. Sie arbeitete an dem Fall, als hätte sie vorher Hunderte von ihnen geleitet.
Kate lauschte dem Rest des Gesprächs, während DeMarco weitere Vorschläge machte und intelligente Fragen stellte. Nach einer Weile gab DeMarco ein kurzes Nicken und ein kurzes „Danke“, bevor sie auflegte.
„Wie ist die Polizei hier so?“, fragte Kate.
„Angenehm. Der Sheriff ist eine über fünfzigjährige Frau, die die Stadt liebt und ein sehr mütterliches Verhalten an den Tag legt. Die wenigen Offiziere unter ihr, die ich kennen gelernt habe, scheinen sie sehr zu mögen.“
„Hat einer der anderen Immobilienmakler mit der Polizei gesprochen?“
„Ja, ein paar. Der Kerl, zu dem wir jetzt fahren, war der einzige, an dem Sheriff Armstrong Zweifel hatte. Das hat sie ihn aber nicht wissen lassen. Sie wollte, dass ich heute nach ihm sehe.“
„Hat sie dir gesagt, warum sie an seiner Geschichte gezweifelt hat?“
„Sie sagte, als sie gestern Morgen den Anruf über das Verschwinden von Bateman erhielten, sagten einige der anderen Makler, er schien ein wenig zu eifrig zu sein, um nachzusehen. Ich habe auch seine Akte überprüft. Er hat eine Anklage wegen häuslicher Gewalt von vor ein paar Jahren irgendwo im Hinterland von New York.“
„Es liegt nahe, dass jemand, der sich mit den zum Verkauf stehenden Häusern auskennt, die Anforderungen an unseren Mörder erfüllen würde“, sagte Kate. „Jemand, der weiß, wo die Makler sind und wann sie allein sein werden.“
Sie fuhren mehrere Blöcke die Hauptstraße von Estes hinunter, bevor DeMarco nach links abbog und eine kleine Reihe von Souvenirläden, Restaurants und so weiter passierte. Ganz am Ende des Blocks befand sich ein Ort namens Lakeside Realty. Sie parkten auf einem Parkplatz, der mit Querbalken und Sand begrenzt war. Kate musste zugeben, dass die Art und Weise, wie die Stadt aufgebaut war, ihre Sehnsucht nach dem See weckte. Sie hätte viel lieber den Strand gehabt, aber sie nahm an, dass dies ein Gefühl war, das die meisten Leute in Estes von Zeit zu Zeit empfanden.
Sie betraten das Gebäude und fanden eine große Lobby mit einem offenen Grundriss vor, abgetrennt durch einen barartigen Tresen, der die gesamte Etage durchquerte, unterbrochen durch eine süße kleine halbgroße Schwingtür in der Mitte. Eine Frau, die an einem Schreibtisch in der Lobby saß, begrüßte sie freundlich und tat ihr Bestes, so zu tun, als hätte sie nicht an dem Donut genagt, der neben ihr lag, bevor sie hereingekommen waren.
„Guten Morgen, meine Damen“, sagte die Frau. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Wir müssen bitte mit Brett Towers sprechen“, sagte DeMarco.
„Dann gehen sie nach hinten durch“, sagte die Frau. „Er ist der Einzige, der so früh hier ist.“
Sie taten, was ihnen aufgetragen wurde. Kate stellte sicher, dass sie hinter DeMarco blieb und sich nicht in den Vordergrund spielte. Tatsächlich war, wie die Frau vorne angedeutet hatte, nur ein Makler im hinteren Teil des Büros. Es gab fünf Schreibtische, die die große offene Fläche einnahmen, und nur einer war besetzt. Ein Mann – vermutlich Brett – saß hinter seinem Schreibtisch, nippte an seinem Kaffee und bewegte die Maus an seinem Arbeitsplatz. Er sah die Agenten sich nähern und stellte schnell seine Kaffeetasse ab.
„Agent DeMarco, richtig?“, fragte Brett.
„Ja, das ist richtig“, sagte sie. „Wir haben gestern kurz telefoniert. Das ist meine Partnerin, Agent Wise.“
Alle schüttelten sich die Hand, als Brett Towers sie einlud, sich ihm gegenüber an seinen Schreibtisch zu setzen. „Also bitte, lassen Sie mich wissen, wie ich Ihnen helfen kann. Tamara und ich standen uns sehr nahe; wir waren seit sechs Jahren hier beschäftigt, von Anfang an. Es waren nur wir beide in den ersten Monaten.“
„Sie waren also die ersten aktiven Makler, die für Lakeside Realty arbeiteten?“, fragte DeMarco.
„Das ist richtig. Nun, ehrlich gesagt, Tamara hatte sich an einem unserer Konkurrenten versucht, aber das hat nicht sehr lange angehalten.“
„Irgendeine Idee, warum Sie das Schiff verlassen hat?“, fragte Kate.
„Es war Crest Realty. Sie boten ihr mehr Geld an, aber nach ein paar Monaten kam sie zurück. Sie sagte, die Atmosphäre dort drüben sei zu angespannt. Sie sagte, es ginge mehr ums Geld als um die Suche nach dem richtigen Partner für die Kunden.“
„Hatte sie etwas Schlechtes über jemanden Bestimmtes zu sagen?“
„Nein. Und selbst wenn sie so empfinden würde, hätte sie nichts gesagt. Tamara war eine unglaublich nette Frau.“
„Mr. Towers“, sagte Kate, „kam es für Sie überraschend, dass Tamara Bateman ermordet wurde? Das heißt, können Sie sich irgendwelche Probleme vorstellen, die sie in den Tagen oder Wochen vor ihrer Ermordung gehabt haben könnte?“
„Keineswegs. Die Polizei hat mir genau die gleiche Frage gestellt.“






