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„Nett Sie kennenzulernen, Agents“, sagte er. „Ich bin Will Reed, und ich habe die Untersuchungen an den Stücken Stoff vorgenommen, die bei den letzten Mordopfern gefunden wurden. Ich nehme an, deswegen sind Sie hier? Agent DeMarco, ich nehme an, Sie sind diejenige, an die ich vorhin das Bild geschickt habe?“
„Richtig“, sagte DeMarco. „Wir hoffen, Sie können uns etwas mehr über diese Stofffetzen erzählen.“
„Ich würde Ihnen ja sehr gerne helfen, aber wenn es um diese Stofffetzen geht, dann fürchte ich, dass ich nicht wirklich helfen kann. Wie es scheint, hat sich der Täter nicht nur die Mühe gemacht, die Fetzen tief in den Rachen der Opfer zu schieben, sondern ferner ist auch die Tatsache beachtlich, dass er keinerlei Spuren von sich selbst hinterlassen hat.“
„Ja, das verstehen wir“, meinte Kate. „Aber ohne konkrete physische Hinweise, auf die man sich stützen kann, hätte ich gern gewusst, ob Sie mir über den Stoff selbst sagen können.“
„Oh, damit kann ich vielleicht dienen“, sagte Reed.
„Ich bin der Meinung, dass beide Fetzen vom gleichen Ursprungsmaterial stammen“, sagte Kate. „Wahrscheinlich von einer Decke. Einer kuscheligen Decke. Wie sie für Kinder hergestellt werden.“
„Ich denke, dass kann man mit einiger Sicherheit behaupten. Bis ich den zweiten Fetzen sah, war ich mir nicht ganz sicher. Aber beide passen hundertprozentig zusammen – Farbe, Muster, Beschaffenheit, und so weiter.“
„Ist es möglich zu sagen, wie alt die Decke war?“, wollte Kate wissen.
„Ich fürchte nicht. Allerdings kann ich Ihnen sagen, woraus die Decke gemacht wurde. Und ich fand es merkwürdig, denn es ist eine unübliche Stoffkombination für eine traditionelle Decke, soweit man das sagen kann. Der Großteil der Decke besteht natürlich aus Wolle, das ist üblich. Aber bei dem zweiten Material handelt es sich um Bambuswolle.“
„Inwiefern ist das etwas anderes als herkömmliche Wolle?“ fragte Kate.
„Ich bin nicht ganz sicher“, sagte er. „Wir sehen viel Kleidung und Stoffe hier. Aber ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich mit etwas in Berührung gekommen bin, das Spuren von Bambuswolle enthielt. Es ist kein explizit rares Material, aber generell keineswegs so weit verbreitet wie herkömmliche Wolle.“
„Mit anderen Worten“, sagte DeMarco, „sollte es nicht allzu schwierig sein, Firmen ausfindig zu machen, die Bambuswolle als primäres Material verwenden?“
„Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen“, antwortete Reed. „Aber es interessiert Sie sicher, dass Bambuswolle tatsächlich oft in flauschigen Decken verwendet wird. Es ist sehr luftdurchlässig. Sie sollten sich wahrscheinlich auf etwas Teureres konzentrieren. Tatsächlich gibt es eine Firma, direkt hier vor den Toren der Stadt, die genau solche Produkte herstellt.“
„Kennen Sie den Namen dieses Herstellers?“
„Biltmore Threads. Es handelt sich um eine kleinere Firma, die fast pleitegegangen wäre, als alle anfing, online zu kaufen.“
„Können Sie uns sonst noch etwas sagen?“, bat Kate.
„Ja, aber es ist ein wenig unappetitlich. Soweit ich weiß, war der Stoff bei der Nash-Frau so tief in den Rachen gestopft, dass sie sich fast übergeben musste, selbst im Todeskampf. Wir haben Magensäure an dem Fetzen gefunden.“
Kate stellte sich vor, wie viel Gewalt man anwenden musste, um dies zu bewerkstelligen… wie weit man die eigene Hand in den Rachen des Opfers hineinstoßen musste, damit der Fetzen Stoff dort platziert war, wo man ihn schließlich gefunden hatte.
„Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, Mr. Reed“, sagte Kate.
„Gerne. Lassen Sie uns nur hoffen, dass ich nicht bald einen dritten Stofffetzen zu Gesicht bekomme.“
Kapitel sieben
Um zu Biltmore Threads zu gelangen, mussten Kate und DeMarco unheimlicherweise die gleiche Straße nehmen, die sie schon morgens um vier befahren hatten, auf dem Weg nach Whip Springs. Die Produktionsstätte und das Lagerhaus befanden sich an einer zweispurigen Straße am Rande des Highways. Sie standen ein wenig zurück, hinter einem Streifen verdorrten Grases, und am Rande des gleichen Waldes, der das Haus der Familie Nash auf der anderen Seite abschirmte.
So wie der Parkplatz aussah, ging es Biltmore Threads allerdings nicht so schlecht, wie Will Reed angedeutet hatte. Es schien, als arbeiteten mindestens fünfzig Leute hier, und das war nur nach der jetzigen Tageszeit beurteilt. Kate meinte, dass so eine Firma wahrscheinlich in Schichten arbeitete, was hieß, das wahrscheinlich weitere fünfzig Arbeiter später kamen, um die Nachtschicht zu übernehmen.
Sie betraten die dunkle Lobby. Die Frau, die hinter dem Empfangstresen sah, beäugte sie mit einem fragenden Blick. Es war klar, dass sich hierher nicht viele Besucher verirrten.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie.
DeMarco stellte sich und Kate vor und, nachdem sie sich ausgewiesen hatten, betätigte die Frau einen Türsummer am hinteren Ende der Lobby. Sie traten durch eine Tür, hinter der die Frau sie in Empfang nahm und sie einen schmalen Flur entlang führte, an deren Ende sie eine Doppeltür aufstieß, die in die Produktionshalle von Biltmore Threads führte. Mehrere Webrahmen und andere große Maschinen, die Kate noch nie zuvor gesehen hatte, ratterten vor sich hin. Am anderen Ende der Halle transportierte ein großer Gabelstapler eine Palette mit Stoffen ins Lager.
Sie gingen mit Vorsicht an der Wand der Halle entlang bis die Frau vor einer Tür Halt machte und sie dann hindurchführte. Sie standen in einem Flur, von dem fünf Räume abzweigten. Die Frau ging auf die erste Tür zu und klopfte an.
„Ja?“, donnerte eine Männerstimme von drinnen.
„Wir haben Besucher“, sagte die Frau, ohne die Tür zu öffnen. „Zwei Damen vom FBI.“
Es herrschte ein Moment Stille, bevor die Tür von innen geöffnet wurde. Dort stand ein dunkelhaariger Mann mit dicker Brille. Sein Blick wanderte an Kate und DeMarco auf und ab, weniger aus Nervosität heraus, sondern eher neugierig.
„FBI?“, fragte er. „Was kann ich für Sie tun?“
„Haben Sie eine Minute Zeit?“, fragte Kate.
„Sicher“, antwortete er, ging einen Schritt zur Seite und ließ sie in sein Büro eintreten.
Abgesehen von seinem Bürostuhl gab es nur einen einzigen anderen Stuhl in dem Raum. Weder Kate noch DeMarco setzten sich. Auch der dunkelhaarige Mann setzte sich nicht, sondern blieb bei ihnen stehen.
„Ich nehme an, Sie sind einer der Vorgesetzten?“, fragte Kate.
„Ich bin der Regionalmanager und Leiter der Tagesschicht, ja“, antwortete er und streckte ihnen schnell seine Hand entgegen; als sei er verlegen, dass er dies nicht schon früher getan hatte. „Ray Garraty.“
Kate gab ihm die Hand und zeigte ihm ihren Ausweis. Dann griff sie in die Tasche und zog das Plastiktütchen mit dem Stofffetzen, das vom Nash-Tatort stammte, hervor.
„Dies ist ein Stofffetzen, der kürzlich an einem Tatort gefunden wurde“, begann sie. „Und wir glauben, dass er elementar ist, um dem Killer auf die Spur zu kommen. Das Labor hat darin Bambuswolle gefunden, und soweit ich unterrichtet bin, verwendet Biltmore Threads regelmäßig eben solche Bambuswolle in seinen Produkten.“
„Ja, das tun wir“, sagte Garraty. Er griff nach dem Tütchen, zögerte und fragte, „darf ich?“
Kate übergab ihm das Tütchen. Garraty betrachtete es sehr genau und nickte dann. „Ohne es weiter zu zerreißen, kann ich natürlich keine Garantien geben, aber ja, hier scheint Bambuswolle drin zu sein. Wissen Sie, woher der Fetzen stammt?“
„Von einer Decke, nehme ich an.“
„Ja. Sieht so aus“, stimmte Garraty zu. „Und obwohl ich natürlich nicht sicher sein kann, sieht es so aus, als sei sie hier entworfen und produziert worden.“
„Hier bei Biltmore Threads?“, fragte Kate.
„Sehr gut möglich.“
Garraty gab Kate das Tütchen zurück und ging dann zu einem alten Aktenschrank in der Ecke seines kleinen Büros. Er öffnete die untere Schublade und zog nach einigem Suchen zwei Bücher heraus. Beide waren recht groß. Während er anfing, in dem einen zu blättern, sah Kate, dass es sich um Produktkataloge handelte.
„Farbe und Beschaffenheit kann man ähnlich erscheinen lassen“, erklärte er, während er weiter blätterte. „Wenn die Decke hier hergestellt wurde, ist sie in einem dieser Bücher abgebildet.“
Der Gedanke erregte Kate, aber sie war sich noch nicht ganz sicher, was dies bedeutete. Falls die Decke wirklich von Biltmore Threads hergestellt worden war, eröffnete dies denn überhaupt neue Möglichkeiten? Bevor man zu solch einer Schlussfolgerung gelangen konnte, mussten noch viele weitere Fragen gestellt und beantwortet werden.
„Hier“, sagte Garraty, drehte das Buch zu ihnen und wies auf eine von vielen verschiedenen Decken auf einer Seite im hinteren Teil des Buches. „Sieht das für Sie passend aus?“
Kate und DeMarco betrachteten die Seite. Sie blickte zwischen dem Stofffetzen und dem Bild hin und her, um sicherzugehen, dass sie sich nichts einbildete. Aber nach einigen Sekunden antwortete schon DeMarco.
„Ich meine, der Fetzen, den wir haben, ist ausgeblichen, aber es passt. Trotz des verblichenen weißen Karomusters.“
„Es ist verblichen, weil es ein altes Produkt ist“, sagte Garraty. Er zeigte auf die Produktbeschreibung. „Hier steht, dass es ab 1991 produziert wurde, und dass 2004 die Produktion eingestellt wurde.“
„Diese Decke wurde also dreizehn Jahre lang produziert?“, fragte DeMarco.
„Ja, es war ein sehr beliebtes Produkt, deshalb habe ich es auch gleich erkannt.“
„Das heißt, das letzte Mal, dass solch eine Decke ihr Lager verlassen hat, war 2004“, meinte Kate. „Also ist unser Fetzen zwischen fünfzehn und dreißig Jahre alt.“
„Korrekt.“
Also, selbst wenn die Decke eine Verbindung darstellt, macht es das dreißigjährige Zeitfenster extrem schwierig, dachte Kate.
„Mr. Garraty, wie lange sind Sie schon in dieser Position beschäftigt?“
„Fast sechsundzwanzig Jahre“, antwortete Garraty. „Nächstes Jahr gehe ich in Rente.“
„Während Ihrer Zeit hier, hatte Biltmore Threads jemals Angestellte namens Scott oder Bethany Langley, oder Toni und Derrick Nash?“
Garraty überlegte einen Moment und zuckte dann mit den Schultern. „Die Namen sagen mir nichts, aber wenn es hier um einen Zeitrahmen von mehr als zehn Jahren geht, würde ich Sie an die Personalabteilung verweisen. Wir haben eine große Fluktuation, was Angestellte angeht.“
„Wie bald können Sie uns eine konkrete Antwort geben?“, fragte DeMarco.
„Innerhalb einer Stunde.“
„Das wäre hilfreich“, sagte Kate. „Eine Frage hätten wir noch. Gab es einen Angestellten, der der Firma innerhalb des letzten Monats Ärger gemacht hat? Einen Störenfried, oder jemanden, den Sie oder das Management aus irgendeinem Grunde im Auge behalten haben?“
„Wo Sie das nun gerade ansprechen…“, sagte Garraty. „Vor zwei Wochen musste ich einen Arbeiter entlassen. Er ist stoned zur Arbeit erschienen und wir sind sicher, dass er auch Material gestohlen hat. Als ich ihn konfrontiert habe, ist er handgreiflich geworden, und ich musste die Security rufen. Und da wir nur einen Security-Mann haben, musste ich auch die Polizei involvieren und der Mann wurde verhaftet. Aber am nächsten Tag war er schon wieder draußen.“
„Material gestohlen?“, fragte DeMarco mit einem Anflug von Erregung in der Stimme.
„Ja… aber nicht das da“, sagte Garraty und zeigte auf das Plastiktütchen. „Da die Produktion eingestellt wurde, haben wir den Stoff seit Jahren nicht mehr auf Lager gehabt. Später, als sich der Mann beruhigt hatte, kam er nochmal vorbei und sagte, dass er das Material für irgendein Projekt seiner Freundin gestohlen hatte. Sie hat einen online-Shop oder so etwas.“
„Wie lautet der Name des Mannes?“, fragte Kate.
„Travis Rogers. Er ist ungefähr dreißig Jahre alt. Hat eine kriminelle Akte, glaube ich, irgendwas leicht gewalttätiges. Aber wir hier bei Biltmore Threads geben den Leuten gern eine zweite Chance.“
„Ist er aus der Gegend?“, fragte DeMarco.
„Ja, aus Whip Springs. Ich kann Ihnen seine Adresse besorgen.“
„Das wäre eine große Hilfe“, sagte Kate.
Garraty begleitete sie aus seinem Büro und den gleichen Weg zurück, den sie vorher mit der Rezeptionistin gekommen waren. Als sie wieder in der Lobby ankamen, sprach Garraty mit der Rezeptionistin, während sich Kate und DeMarco nahe der Lobbytüren aufhielten.
„Dass die Decke hier hergestellt wurde…“, begann DeMarco. „Das kann doch nicht nur ein unheimlicher Zufall sein?“
„Könnte sein. Ich tendiere dahin. Allerdings, man muss sich schon fragen…“
„Was muss man sich fragen?“
„Egal woher die Decke stammt, wir wissen, dass sie alt ist. Mindestens fünfzehn Jahre, und vielleicht sogar bis zu dreißig. Wenn das also der Fall ist, dann hat jemand sie so lange aufbewahrt. Warum sollte man so etwas so lange aufbewahren, wenn es nicht irgendeine Bedeutung für einen selbst hat?“
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