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Mara holt den Brief aus dem Umschlag und sagt: „Kann mich nicht erinnern, dass ich je einen Liebesbrief bekommen habe. Alles mit Füller geschrieben und sieben Seiten lang. Das Herz schlägt ihr bis zum Hals und sie beginnt zu lesen:
Timmendorfer Strand, Pfingstdienstag,
05. Juni 2001
Teure!
Es ist mir entfallen, ob wir uns duzten oder siezten. Wenn ich nun spaßeshalber die zweite Person Plural verwende, so nicht aus Nostalgie, sondern aus Verlegenheit. „Ruf an!“ oder „Rufen Sie an!“ sagtet Ihr gestern, heute morgen leichthin, als wir miteinander sprachen und ich Euch mit der Bemerkung zu halten suchte, ich hätte Euch noch etwas zu sagen. Jetzt schreibe ich. Ihr wisst ja nicht, auf welchen gerade fruchtbaren Boden Eure Aufforderung, etwas zu sagen, fiel. Ihr konntet nicht ahnen, dass ich, der wildeste aller Schreiber, mir gerade bei Euch vorgenommen hatte, nicht zu schreiben.
Alles begann mit Briefen. Aber nicht deshalb wollte ich nicht schreiben, damit keine Liebschaft begänne – ganz im Gegenteil: Ich bin rasend interessiert daran, mit Euch Unmengen von Kaffee und Tee, von Whiskey und Wein zu trinken. Euch dabei glühend anzufunkeln und ständig in größter Unaufdringlichkeit zu beschwören, doch eine wilde Liaison mit mir einzugehen. Aber ich wollte dieses Ziel endlich einmal ohne das Mittel des Briefes erreichen; ich wollte endlich einmal ohne diese Krücke auskommen. Mühelos und elegant gewunden kommen in Briefen die Geständnisse daher, unwidersprochen kann ich die Argumente der Leidenschaft ausbreiten, stammeln, toben, schluchzen – und wonach immer mir zumute ist. Nie wird man unterbrochen, nie heißt es: „Fassen Sie sich!“ Ein-zwei-drei hat man das Herz der Begehrten erobert. – Ihr zweifelt?
Als Ihr gestern den Raum betratet, erloschen augenblicklich all meine anderen Interessen. Gerade war ich im Begriff gewesen, ein besonders schwieriges Kapitel der Schlacht von Agincourt zu verstehen, doch sofort ließ ich meine Bemühungen fahren, um Euch fortan zu beobachten; ich hoffe, möglichst unauffällig. Wie sehr es um mich geschehen war, konnte ich nicht nur an dem Zerfall meiner beruflichen Interessen messen, sondern Eurem Haar wie Körper, erregten schlagartig mein Entrücken. Dazu Eure vorbildliche Nase, Euer prüfender Blick. –
Ich war schwach, bin es noch immer, und wie lange ich es sein werde, hängt von Euch ab.
Das Äußere allein hätte bewirkt, dass mir in den nächsten Tagen und vielleicht auch Wochen die unvermeidlich wollüstigen Gedanken gemacht und Euer Bild hervorgerufen hätte, um mir den Jammer des Alltags zu versüßen. Meine Verknalltheit schlug dann jäh vom Bauch in Kopf und Herz, als ich Euch sprechen hörte. In diesem Augenblick empfand ich eine rasende Solidarität, eine so göttlichgeile Komplizenschaft, eine impertinente Sicherheit, dass wir uns verstehen würden.
Fortan war es um mich geschehen.
Ich liebe Euch, versteht Ihr, und ich sehe nicht ein, wieso ich ein anderes Wort dafür verwenden sollte. Diese Vorsicht mit dem Wort „Liebe“, dieses bedächtige Antasten, ob es auch wahrhaftig Liebe sei, was man da empfindet, dieses ständige Zweifeln und Abwägen hält die Liebe in einer unguten künstlichen Höhe; da mache ich nicht mit.
Eben dies hätte ich Euch so gerne noch gesagt, Ihr hättet gelächelt und mir freundlich zugenickt, dass ich betrunken sei. Ich hätte auf der Nüchternheit meiner Aussage bestanden und versucht eine Verabredung mit Euch festzumachen.
Ihr werdet nun möglicherweise sagen: Was will der denn? So ein Briefchen, ob es nun schmeichelt oder belästigt, ist nicht so übel; besser solche Botschaften per Brief, als wenn er mir mit roten Ohren im Treppenhaus Geständnisse gemacht hätte. –
Aber glaubt mir, ich blicke auf eine 20-jährige Erfahrung als Liebesbriefschreiber zurück. Ich weiß, warum ich Bedenken habe. Lasst mich kurz die Geschichte meiner Liebschaften erzählen, damit Ihr wisst, warum ich Euch einerseits gerne schreibe, andererseits Briefe als Hindernis ansehe.
Mein Mangel bestand immer darin, aus dem Rudel der Bewerber nicht überdeutlich hervorzuragen. Weder war ich ja ein besonders guter Fußballspieler noch ein fantastischer Säufer, nie war ich größer, stärker, intelligenter, gutaussehender, reicher als andere, immer nur guter Durchschnitt, also auch nie so armselig bemitleidenswert, dass ich via Mitleid hätte die Liebe der Frauen erschleichen können. Was also tun zwischen all den Rivalen? Als Verachter des waltenden Darwinismus war mir das drängende Gebuhle zuwider, das in den Dörfern, Kleinstädten, Großstadtvierteln, Schulklassen, Universitäten und auch auf allen Festen von einer Handvoll Männer um die schönste Frau am Platz veranstaltet wird.
Hier entdeckte ich den Brief als segensreiches Mittel mir in aller Ruhe Gehör zu verschaffen und ungestört vom Treiben der Nebenbuhler mein eindeutiges Anliegen möglichst vieldeutig vorzutragen.
So wie jetzt saß ich schon in jungen Jahren am Tisch, tunkte, um mir vollends wie ein Schillerscher Held vorzukommen, eine altertümliche Feder ins Tintenfass, beleckte hastig das Kuvert, eilte zum Postkasten und hatte das wohlige Gefühl, das Menschenmögliche getan zu haben. Mit dem Brief hatte ich ein geheimes Band geknüpft, und kaum eine Frau konnte sich einem entziehen. Jetzt trafen mich zwischen allen Rivalen hindurch schöne Blicke; wir waren Vertraute, noch ohne ein Wort gesprochen zu haben; und schon suchte sie mein Gespräch, und mühelos bahnte sich etwas an.
Ich legte damals mehr Wert auf eine geniale Handschrift als auf den Inhalt und weiß daher nicht mehr so recht, was in diesen Briefen stand. In jedem Fall übertrafen sie die lächerlichen Botschaften meiner Rivalen. Ich schilderte Begegnungen, wie ich sie mir gewünscht hätte, Begegnungen an Waldesrändern mit Abendsonnenbeleuchtung („die Rehe ganz rot vor Romantik“ – an diese Wendung und ihren Erfolg erinnere ich mich gerade mit Schrecken), Begegnungen in fernen Eisenbahnen, auf trägen Schiffen, in London oder Paris.
Natürlich erreichte ich nicht immer mein Ziel, aber meist entwickelten sich aus meinen brieflichen Vorstößen spannende Liebesgeschichten. Warum wurden aus diesen Geschichten kein großer Roman? Liegt es an der Vergänglichkeit der Liebe? An das zwangsläufige schnelle Ende der Liebesflattermägen weigere ich mich zu glauben. Es kann nicht das Wesen der Liebe sein, dass sie so rasch verblüht! Ihr pflichtet mir doch bei?
Nein, es lag wohl daran, dass die Wirklichkeit meinen Briefen nicht standhielt. Ich beschrieb den Geruch von Balkons in der Septembersonne, den Geschmack reifer Tomaten und dazwischen unbeschwert das Liebespaar. In Wirklichkeit saßen wir in miesen Kneipen bis zur Sperrstunde herum und dachten an nichts anderes als die Unerfüllbarkeit unserer Wünsche. Die Qualität meiner Briefe war ihr Erfolg, aber auch ihr Manko.
Lange aber sah ich immer nur den Erfolg und kam mir vor wie ein Zauberkünstler.
Könnt Ihr verstehen, meine Teure, dass mir der Erfolg meiner Briefe allmählich auf die Nerven ging? Solange ich in den Zwanzigern war, wurden sie offenbar noch als romantische Grußbotschaften eines poetisch veranlagten Helden entgegengenommen, als hervorragendes, aber noch irgendwie normales, Liebeszeichen. Als ich aber die Dreißiger erklommen hatte und mich in einem Alter befand, wo kein Mensch mehr für irgend etwas Zeit hat und am wenigsten für Briefe, wo die Handschriften der Erfolgreichen bereits zu verkümmern beginnen, wo Frauen nicht mehr viel von den Männern erwarten als die Bestätigung dessen, dass sie gefühllose geile Böcke sind, als ich in diesem Alter war und immer noch meine Briefe schrieb, kannte das Entzücken der Frauen kein Halten mehr. Ich hatte das Gefühl, durch meine Briefe zum wandelnden Anachronismus zu werden. Wo kein Mensch mehr schrieb, wo alles nur noch telefonierte, schrieb ich mit leichter Hand seitenlange Briefe. Wie rührend. Wie liebenswert. Ich glaube es war ganz egal, was ich schrieb, Hauptsache es schrieb einer, das war schon toll genug. Diese wunderbaren Briefe! Glaubt mir, ich konnte das Lob nicht mehr hören. Bloß, weil kein Schwein mehr vernünftige Briefe schrieb, hatte ich den großen Erfolg. Ich deckte mit meinen Briefen das poetische Defizit frustrierter Frauen. So war es wohl. Ich will aber nicht wegen meiner Briefe geliebt werden, sondern wegen mir. Bestehe ich nicht aus Fleisch und Blut? Ich hatte das Gefühl, meine Teuerste, dass einigen Frauen meine Briefe wichtiger waren als meine Anwesenheit. Nahm man mich nur in Kauf, um sich den Briefeschreiber zu bewahren? Dieser völlig unüberprüfbare Verdacht ließ mich nicht los. Ich begann auf meine eigenen Briefe eifersüchtig zu werden.
Nachtrag nach unserem Telefongespräch:
Ich möchte der geläufigen Unterstellung trotzen, dass Poeten immer nur ins Papier hineinlieben – alles nur sublimierte Sehnsucht am Schreibtisch und nicht die Hitze der wirklichen Sehnsucht in den Adern. Der hier schreibende rasende Verehrer gehört nicht zur Gattung der Schreibtischtäter. Natürlich drosselt ein so schönes Kapitel wie gestillte Sehnsucht und befriedigtes Verlangen den erotischen Schub des Literaten. –
Erfüllung aber sollte kein Grund sein, sich nur noch den zweifelhaften Wonnen der unrealisierbaren Liebe hinzugeben. Die Liebe und die Liebschaften müssen nur frisch, überraschend und kompliziert genug sein, dann geben sie den Stoff für das Schreiben – und ich hoffe der gute alte Körper kommt auch nicht zu kurz dabei.
Es umschlingt Euch herzlich
Euer treuer Verehrer
P.S.:
Telefonnummer, echter Name des Verfassers und Arbeitgeber klebten auf einem separaten gelben Zettel unten rechts, dessen Inhalt ich aber aus Persönlichkeitsrechten hier nicht näher erwähnen möchte.
Mara ist hingerissen vor Entzücken. Während des Lesens amüsieren sie einige Stellen, andere lassen sie vor Glück fast zerspringen.
Voll konzentriert nimmt Hanno jeden Gesichtsausdruck und jede Betonung seiner Teuersten war.
Nach dem Lesen sagt Mara zu Hanno: „Dankeschön“, steht vom Tisch auf, geht zu ihm, der auf dem Sofa sitzt, und gibt ihm spontan einen dicken Kuss auf den Mund. Hanno sagt noch, dass er Mara dies alles doch im Treppenhaus nicht hätte sagen können.
„Stimmt“, pflichtet Mara ihm bei, „und den Brief kann ich immer wieder lesen.“
Maras jüngerer Sohn Julian (19 J.), der noch im Haus wohnt, kommt während des Lesens ins Wohnzimmer; und Mara macht beide miteinander bekannt. Dann zieht Julian sich in sein Zimmer zurück.
Nun taucht er wieder auf und Mara sagt, dass sie in die Stadt wollen.
Julian folgt ihnen bis vor die Tür.
An der Gartenpforte weist Mara noch auf Schmutz am Pfosten hin und Hanno sagt zu Julian: „Du kannst alles gemacht haben und noch mehr, das sieht keiner, aber das kleine Wenige, was du vergessen hast, das wird bemerkt.“
Wie selbstverständlich gehen sie Hand in Hand zu Hannos Auto, und Julian sieht ihnen scheinbar zufrieden nach.
Hanno bemerkt, dass er zwar nie lügen würde, aber jetzt musste er seiner Frau nicht so ganz die Wahrheit sagen.
Hanno will in Ruhe mit Mara reden.
Er parkt sein Auto, und sie gehen Hand in Hand durch die Innenstadt, aber schon komisch, dass so viele Lokale noch geschlossen haben. Dann entdecken sie eines mit Biergarten und Hanno küsst erfreut Mara auf den Mund.
Das schlechte Gewissen seiner Frau gegenüber nagt schon an ihm und er mag sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn Bekannte ihn in Begleitung einer attraktiven Frau sehen würden und er sagt: „Ja gut, das wäre, was es will, also dich kennenzulernen und das Andere eben, dass ich Gefahr laufen muss, gesehen zu werden.“
Mara will wissen, wie lange Hanno schon verheiratet ist und er sagt: „Seit 1995.“
Das kann Mara kaum glauben und meint erstaunt: „Ich dachte, dass du schon zwanzig Jahre verheiratet bist.“ Er: „So alt bin ich doch noch gar nicht.“ Mara bekommt einen Schreck wegen des Alters und fragt nach: „Wie alt warst du denn, als Ihr geheiratet habt?“
„Siebenundzwanzig, also bin ich dreiunddreißig und meine Tochter ist fast vier. Ich weiß, dass du älter bist, aber das ist mir völlig egal. Ich liebe dich. Da ist doch das Alter egal, und wenn du achtzig wärest. Na ja, vielleicht doch etwas viel, oder sechzig. Ich liebe dich. Dabei hält er Maras Hände und streichelt sie liebevoll. So einen Mann hat sie in ihrem ganzen Leben noch nicht erlebt, so was von lieb. Mara kann sein Alter einfach nicht glauben und er zeigt ihr seinen Personalausweis. „Nein, das darf doch nicht wahr sein; ich habe überhaupt keine Chance. Ich bin schon fünfzig und du dreiunddreißig, verheiratet mit Kind. Das ist doch völlig aussichtslos. Ich kann und will nicht mehr kämpfen, das habe ich mein ganzen Leben lang getan.“
„Du brauchst auch nicht zu kämpfen und du hast sogar große Chancen. Wegen des Alters treffen wir jetzt eine Vereinbarung, sage mir bitte, wenn ich zu jung für dich bin und ich sage dir, wenn du zu alt für mich bist. Ich habe mit deinem Alter keine Probleme und du?“
„Nun ja, eigentlich habe ich mit deinem Alter auch keine Probleme.“
„Schließe jetzt deine Augen.“
Hanno streichelt ihr Gesicht und fragt danach. „Was hast du gefühlt?“
„Wie gut es deine Frau hat; ich beneide sie.“
„Ja, sie hat es so gut. Bis Pfingstmontag war ich der Meinung, dass meine Ehe okay sei, aber von dem Moment an, als ich dich in der Sauna gesehen habe, weiß ich es nicht mehr, denn dich liebe ich.“
Mara steckt ihre Hand in den Ärmel seines Hemdes und streichelt die Haut seiner Arme bis ihre Hand seinen Bauch erreicht.
Hanno: „Du weißt, was jetzt passiert? Ich kann jetzt nicht aufstehen. Verändere dich nicht; bleib so wie du bist; sei einfach nur du selbst. So habe ich dich kennengelernt und so liebe ich dich.“
Hanno stellt Mara Fragen und schreibt ihre Antworten, ohne dass Mara es sehen kann, auf einen Bierdeckel, den er jetzt umdreht.
Nachdem Mara geantwortet hat, dreht Hanno den Bierdeckel wieder auf die andere Seite.
„Komisch“, bemerkt Mara, das sind ja meine Antworten. Wie kann das angehen?“
„Ich kann dich verstehen und habe das Gefühl dich schon sehr ewig zu kennen.“
Eigentlich wollten sie noch etwas essen, aber die ganze Aufregung hat jeglichen Hunger auf Essbares vertrieben.
Hanno: „Ich möchte dich noch einmal so sehen wie in der Sauna.“ Mara hat Bedenken, dass er sie für ein leichtes Mädchen halten könnte und nur seinen Jagdtrieb befriedigen würde wollen.
Das sagt sie zu Hanno, als sie das Lokal verlassen, und er antwortet: „Ich fahre dich jetzt nach Hause, überlege es dir auf dem Weg, aber ich kann auch warten.“
Vor Maras Haus steigt Hanno wie selbstverständlich aus dem Auto aus, und sie gehen ins Haus.
Im Wohnzimmer nimmt Hanno auf dem Sofa Platz, Mara setzt sich auf sein Bein und Hanno sagt: „Mir ist, als ob ich dich schon ewig kenne.“
„Mir geht es genauso. Du, sag mal, weißt du noch, was du gestern gegen 11 Uhr gemacht hast?“
„Ich hatte mich eine Viertelstunde ins Klo eingeschlossen, weil ich Angst hatte, dass man es mir ansehen würde und Fragen stellen könnte.“
Mara: „Zur gleichen Zeit habe ich ganz stark an dich gedacht und total intensiv.
Ist das Telepathie?“
„Muss wohl so sein.“
Sie schmusen inniglich und können es vor Sehnsucht kaum noch aushalten. Wie von Geisterhand getrieben landen sie im Schlafzimmer, ziehen sich gegenseitig küssend aus. Nackt nebeneinander liegend stellt Hanno fest: „Es ist schon schön, nur neben dir zu liegen. Mir ist, als ob ich dich schon ewig kenne.“
Voller Zärtlichkeit streichelt Hanno Mara, die ihn ebenfalls streichelt bis sie es beide nicht mehr aushalten und Mara ihn endlich spüren möchte. Immer wieder fragt Hanno: „Liebst du mich auch wirklich, denn ich liebe dich so sehr.“
Mara: „Ja, ich will dich mit Haut und Haaren.“
Er: „Ich bin kein Mann der schnellen Entschlüsse, aber ich bin süchtig nach dir. Du schmeckst so gut und riechst so gut, deine Haare, deine Haut, deine ganze Art. Ich liebe dich.“
„Ich will dich aber deiner Familie nicht wegnehmen.“
Hanno: „Ich stehe jetzt neben mir. Wenn ich es schaffe, komme ich am Freitag wieder, aber ich habe eine Menge Termine.“
Im Weggehen will er noch einmal von Mara hören, dass sie ihn liebt.
„Ich liebe dich, mein Herzblatt, komm gut nachhause.“
Dann schließt sich die Haustür.
Mara steht jetzt alleine im Hausflur, friert, fühlt sich leer, ist glücklich und traurig zugleich. Sie bleibt ganz still im Wohnzimmer sitzen und trinkt ein Bier.
Dann geht sie schlafen und weint, weil alles so aussichtslos ist, sie will keine Ehe zerstören und spricht mit sich selber: „Ich will trotzdem hoffen, aber auf was? Wunder geschehen, was für Wunder? Egal, nein, nicht egal. Ich liebe ihn und würde ihn gerne für mich alleine haben, weiß aber, dass das nicht geht.“
Mit langen Selbstgesprächen und von Tränen gestreichelt schläft Mara irgendwann ein.
Hanno fühlt sich innerlich zerrissen
Während der Nacht und den ganzen nächsten Tag spürt Mara in sich und überall Hanno. Sie kann das Geschehene gar nicht fassen und ist überwältigt. Sie denkt laut: „Könnte es doch unser Leben lang so bleiben. Ich würde alles dafür tun.“
Mittags 13.30 Uhr steckt sie immer noch taumelig vor Glück in ihrem Schlafanzug. Sie ist froh, dass sie Urlaub hat. So kann Mara dem dringenden Bedürfnis ihres Innern nachgeben und noch einmal jede gewesene Sekunde mit ihrer großen Liebe gedanklich durchleben, um das Erlebte etwas zu verarbeiten.
So langsam macht Mara sich doch noch tageslichttauglich und versucht sich mit Arbeit abzulenken, indem sie ihre weiße Pforte und die Pfosten noch einmal streicht.
Natürlich sind ihre Ohren so was von gespitzt, um ja nicht Hannos Anruf zu verpassen, denn es könnte ja sein, dass seine vielen Termine ihm doch noch Raum für einen kurzen Anruf lassen, aber ihr Telefon will und will nicht klingeln.
„Na gut“, denkt Mara, „vielleicht ist ein Tag Ruhe auch nicht schlecht, damit sich alles erst einmal auf beiden Seiten etwas setzen kann.“
Als am nächsten Tag Hanno immer noch kein Lebenszeichen sendet, macht sich Mara Sorgen, dass ihm oder seiner kleinen Tochter etwas passiert sein könnte. Möglich sogar, dass der Krieg schon ausgebrochen ist, aber keiner hingeht … haha, aber in seiner Position ist doch viel möglich.
Nur mit erzwungener Konzentration schafft es Mara, ihre Tasche für den Wochenendausflug mit Freunden nach Schwerin zu packen. Maras Nerven liegen blank, aber sie versucht alles, um in den nötigen Schlaf zu kommen.
Immer wieder redet sie sich ein, dass sie kein Recht auf ihn hat und ihn nicht begehren darf, weil er verheiratet ist und zu seiner Familie gehört.
Trotz allem fühlt sie in sich drin, dass er sie liebt und für sein Schweigen Gründe haben wird. Mara will stark sein.
Die fast durchwachte Nacht ist schnell vorüber und 6.15 Uhr klingelt ihr Wecker. Nun zack, zack und fertigmachen, denn gleich wird sie abgeholt.
Mara begreift diese Fahrt nach Schwerin als eine Art Flucht vor ihren Gefühlen, denn es wird sie ablenken. Andererseits würde sie auch gerne beginnen, einen Roman über Hanno und sich zu schreiben, denn sie fühlt gerade ihre schon voll aufgeplatzte Schreibader. Auf verschiedenen Zetteln schreibt sie quasi beim Hin- und Herlaufen alles auf, was ihr gerade in den Sinn kommt.
Vom Frühstück bekommt sie nur einen Bissen herunter und packt das restliche Butterbrot ein.
Nun sieht sie das Auto des Kollegen vor der Tür und sputet sich herauszukommen.
Im Autoradio hört sie: „Good night my love, it’s hart to die … The stars we could reach, were just starfish on the beach.“ Von wem ist denn dieses Lied? Dann fällt ihr ein, dass dieser Lyrik-Song-Text von Terry Jacks ist mit dem Titel „Seasons in the sun“. Dieser etwas traurige und melancholische Text passt heute gut zur Stimmung, in der sich Mara gerade befindet. Sie inhaliert die Worte, denkt an Hanno und lebt ihren Schmerz aus, indem sie beim Treffpunkt bittet, doch noch bis zum Ende des Liedes im Auto zu bleiben und das bei voller Lautstärke.
Auf der gesamten Wegstrecke scheint es ihr gerade, dass der NDR lauter Songs spielt, die ihre Seele berühren. Dabei singt Mara mit und gestikuliert mit ihrem ganzen Körper bis sie plötzlich in Tränen ausbricht, weil sie nicht mehr kann und sagt: „Verzeiht, es geht mir heute nicht gut, habe wohl ’nen Kaffeeschock vom vielen Kaffee heute, der mir offensichtlich auf den Magen geschlagen ist.“ Während der ganzen Fahrt lösen sich in Mara Trauer- und Glücksgefühle ab. Als sich der Himmel mit Wolken wie Wattebüschel zuzieht, bekommt Mara das Gefühl, als würden diese sie mit ihrer Zartheit streicheln; und ihre Seele beruhigt sich.
Plötzlich scheint aller Kummer verflogen, Mara fühlt sich wieder geliebt und ist glücklich. Sie steuern einen Parkplatz an, als sich gerade eine Regenwolke über sie entleert. Mara geht raus in den Regen, singt was ihr gerade so einfällt und tanzt mit sich selbst dazu. Das tut ihr so was von gut; und sie tanzt und singt und singt und tanzt glücklich im Regen. Dabei ist es ihr völlig egal, was andere denken könnten; sollen sie doch alle mit ihren verkniffenen Gesichtern und ihren unterdrückten Gefühlen auf der Strecke bleiben. Mara genießt diese Minuten und merkt wie gut es ihr tut. Sie will so sein, wie sie ist und so bleiben; nein eine angepasste Langweilerin, das ist nichts für sie.
Schwerin entpuppt sich als hübscher Ort. Mara versüßt sich den Aufenthalt durch diverse Frustkäufe, damit sie das Gefühl hat, sich Gutes zu tun und von Hanno ablenkt. Am Abend stellt sie sich vor, dass es Hanno sicher viel schlechter gehen würde als ihr und bestimmt eines Tages alles gut werden würde.
Das Wochenende nimmt mit vielen Schönen und auch unschönen Dingen seinen Lauf.
Etwas entspannt, aber völlig kaputt, kommt Mara wieder in Niendorf an der Ostsee an und ist froh, in ihrer Wohnung und alleine zu sein.
Hanno hat sich leider nicht gemeldet und ist auf seinem Handy auch nicht zu erreichen.
Mara hängt zwar durch, aber tröstet sich immer wieder mit seinem Liebesbrief und dass es das ja nicht gewesen sein kann.
Endlich, am Montagnachmittag, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter: „Ich hasse Anrufbeantworter, spreche nur drauf, weil ich beweisen will, dass ich angerufen habe.“
Zunächst einmal macht es Mara glücklich, denn nun weiß sie, dass er noch lebt, aber mehr auch nicht. Sie zermartert sich den Kopf, ob er wohl seiner Frau alles erzählt hat und sie jetzt einen Abschiedsbrief bekommen würde? Ja, den würde sie doch wohl erhalten und er nicht einfach so aus ihrem Leben verschwinden. Dann hört sie im Radio: „Erst sprichst du von Liebe, dann machst du ‘ne Fliege.“
„Irgendwie alles schei…“, sagt Mara zu sich und „morgen rufe ich ihn an.“
Immer wieder zermartert sich Mara ihren Kopf, was der Grund sein könnte, warum sie schon eine Woche nichts von Hanno gehört hat. Sie versucht ihn anzurufen, aber erfolglos. Am Abend gegen 20 Uhr klingelt endlich das Telefon und eine Stimme sagt: „Na, du Unerreichbare!“
Mara: „Hanno, endlich.“
„Habe es nicht mehr ausgehalten; rufe von zuhause aus an, kann nicht lange sprechen, werde noch verrückt.“
„Ja, ich werde auch schon wahnsinnig“, hört Mara sich reden. „Mach bloß kein Scheiß oder so ähnlich und rufe nicht bei mir zuhause an. Liebst du mich noch?“
„Ja, es ist alles so schrecklich ohne dich. Würde dich so gerne verwöhnen und glücklich machen. Schon fast zwei Jahrzehnte bin ich Single, aber so ein Mann wie du ist mir noch nicht begegnet. Wenn ich dich nicht bekomme, bleibe ich alleine, weil es so einen Mann wie dich nur einmal gibt und ich alle mit dir vergleichen würde. Ich glaube einfach nicht, dass dir jemand ebenbürtig sein könnte.“ Hanno ist total begeistert. „Gleich kommt meine Frau, ich lehne hier am Fenster und schaue auf die Tür. Leg du auf, ich kann es nicht.“ Sie beteuern ihre Sehnsucht und Liebe und Hanno fragt: „Wann kann ich dich morgen erreichen?“






