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Du bist im Grab, und wir, deine lebendigen Knechte, sind in Trauer begraben. Wir sehnen uns danach, dein Gesicht zu sehen. Wir sehnen uns nach deiner Stimme. Wie sollen wir weitermachen, jetzt, wo uns deine Weisheit und Kraft fehlen? Die Zukunft ist eine Wüste. Wenn die Nacht hereinbricht, werden wir versuchen zu schlafen, aber der Hohn des Morgens wird gewiss kommen. Herr Jesus, meine Augen füllen sich mit Tränen. Wie soll ich dem morgigen Tag ohne dich begegnen?
Klamm und scheußlich
Es wird Sie nicht überraschen zu hören, dass ich nicht nur den Tod verabscheue, sondern es auch schon immer gehasst habe, auf Beerdigungen oder Trauerfeiern zu gehen, besonders, wenn sie in solchen scheußlichen, teakholzinfizierten, scheunenähnlichen Bauten stattfinden, die von einer dunkelbraunen düsteren Atmosphäre gesättigt sind, wo man schon weiß, dass alles in zwanzig Minuten vorbei sein muss, weil sich draußen in dem herzlos blühenden Ziergarten bereits eine trübsinnige Schlange pinguinherdenähnlicher Grüppchen von Trauernden bildet. Ich weiß nie, was ich da denken oder fühlen oder tun soll. Es ist alles so klamm und scheußlich. Das Schlimmste ist vielleicht die Gewissheit, dass die meisten Menschen, die ich geliebt und verloren habe, fassungslos blinzeln oder sogar herzhaft lachen würden über das Missverhältnis zwischen dem, wie sie wirklich waren, und der Art und Weise, wie ihres Verlustes gedacht wird. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe noch nie die Neigung verspürt, an den Gräbern von Menschen, die ich liebe, herumzuhüpfen und Freuden- und Jubellieder zu singen. Wie ich schon gesagt habe: Der Tod macht mir Angst. Ich bin von ihm angewidert, genau, wie Jesus es war, und die Verheißung des Himmels ist ein wackeliges Floß, das mich bei solchen sturmgepeitschten Gelegenheiten nur mit Mühe und Not über Wasser hält.
Tatsache ist, dass ich, da ich nun einmal so schwer an der Zwillingskrankheit der Albernheit und Respektlosigkeit leide, dazu neige, mich inmitten der ernsthaftesten Zeremonien in allen möglichen bizarren Fantasien zu ergehen. Neulich zum Beispiel stand ich in einer Gruppe von vierzig oder fünfzig Trauernden, als der eingesargte Leichnam eines alten Freundes langsam in seine grausige Grube hinabgelassen wurde. Was für ein ordentliches und perfekt geformtes Behältnis, überlegte ich, für die grobgezimmerte Wirklichkeit des Todes. Ein Krampf inneren Widerwillens packte mich. Ich wendete meinen Blick ab und versuchte mich abzulenken, indem ich unauffällig die Gruppe der Umstehenden musterte. Während ich das tat, kam mir eine Frage in den Sinn. Wie wäre es, wenn einer dieser fürchterlich energiegeladenen, immer ungeduldigen Hochzeitsfotografen mit Sprungfedern statt Beinen damit beauftragt worden wäre, diese Veranstaltung der Nachwelt zu überliefern? Wie hätte er wohl diese schwarz gekleidete Schar organisiert und angesprochen?
Der Begräbnisfotograf
»Okay, die unmittelbaren Angehörigen des Toten bitte – nein, ich sagte die unmittelbaren Angehörigen, ja? Sie drei treten bitte zur Seite. Ja, Sie auch. Gehen Sie bitte aus dem Bild. Nein, Sie nicht! Sie! Sie kommen mit dazu! Hören Sie, kriegen wir das vielleicht hin? Ich habe heute noch drei Beerdigungen. Könnten Sie bitte – danke schön! Gut! Sehr schön! (KLICK! KLICK! KLICK!) Und nun die Freunde des Toten bitte. Wenn Sie zur Familie gehören, können Sie keine Freunde sein, oder? Nein, ich habe keine Zeit, darüber zu diskutieren. Freunde des Toten – hier drüben hin. Nein, Sie können jetzt gehen. Ja, gehen Sie nur! Die Freunde des Toten stellen sich bitte hinter dem Grab auf. Kommen Sie, zügig marschiert, fallen Sie ein! Bitte nicht wörtlich nehmen. Haha! Die Kleinen nach vorne. Die Großen nach hinten. An den Seiten bitte enger zusammenrücken. Machen wir es uns schön kuschelig! Gut so. (KLICK!) Entschuldigung, Leute, aber können wir das mit dem Grinsen vielleicht lassen? Schließlich ist das hier eine Beerdigung. Es lächeln immer noch einer oder zwei. Kommen Sie! Denken Sie doch an den lieben Entschlafenen, wie er kalt und tot in dieser Kiste liegt. Denken Sie an Tränen, denken Sie an Trauer, denken Sie traurig, traurig, traurig! So ist es besser. Das ist wunderbar! (KLICK! KLICK! KLICK!) Danke sehr! Und jetzt ein schönes großes Gruppenbild. Bitte alle aufstellen. Der Pfarrer in die Mitte. Eine ordentliche Portion Mitgefühl mit einem Schuss Hoffnung bitte, Herr Pfarrer. Sie kennen ja das Prozedere. Nein, ich möchte, dass Sie mitfühlend aussehen, nicht so, als ob Sie sich gleich übergeben müssten. Die Kirche in ihren besten Momenten, verstehen Sie. Eine schöne kräftige Mischung aus Würde und Empathie. Ja, gut! Oh, sehr schön! (KLICK! KLICK! KLICK!) Gut, ich glaube, das hätten wir. Könnte mir jemand noch einmal den Namen sagen? Nicht, dass ich Ihre Bilder am Ende an die Taufgemeinde vom letzten Dienstag schicke. Haha!«
Brief an Rob Frost
Beerdigungen sind düster und unbehaglich, aber sie sind nur ein Teil von alledem, was aus den Fugen gerät, wenn wir versuchen, uns mit dem völligen Verschwinden von Menschen abzufinden, die wir geliebt haben. Vielleicht gilt das besonders dann, wenn der betreffende Mensch eine außergewöhnlich lebhafte Persönlichkeit hatte. Man sieht sie nicht mehr, aber man bringt es auch nicht fertig, sie nicht zu sehen, wenn Sie wissen, was ich meine. Wahrscheinlich wissen Sie es nicht. Ich glaube, ich weiß es selbst nicht, aber ich weiß, es hat etwas Wichtiges zu bedeuten.
Wo wir gerade von lebhaften Persönlichkeiten reden: Vor ein paar Jahren wurde ich gebeten, bei der Trauerfeier für Rob Frost etwas zu sagen. Ich hatte Rob schon seit einigen Jahren gekannt, hauptsächlich als den mitreißenden Leiter von Easter People, dem Methodistenfestival, zu dem Tausende von Menschen an diversen Veranstaltungsorten quer durch Großbritannien strömen. Ich mochte Rob sehr gern. Leider war es mir wegen eines Terminkonflikts nicht möglich, selbst an der Trauerfeier teilzunehmen. Immerhin konnte ich einen Beitrag senden, den jemand anderes vorlas. Was für eine Form sollte ich dafür wählen? Nachdem ich mir darüber lange den Kopf zerbrochen hatte, beschloss ich, ihm einen Brief zu schreiben. Ich weiß nicht einmal, wer ihn dann letzten Endes vorlas. Ich war nicht dabei. Aber Rob war dort. Er hat ihn gehört.
Lieber Rob,
da Du jetzt im Himmel bist, kann ich so grob sein, wie es mir passt. Bevor ich Dir zum ersten Mal begegnete, sah ich in einer Zeitschrift ein Foto von Deinem Gesicht. Es sah Dir nicht besonders ähnlich, und ich weiß noch, dass ich fand, Du sähest aus wie ein Jahrmarktsbudenbesitzer. Später wurde mir dann klar, dass ich damit gar nicht so falschlag. Du und Jesus und der durchschnittliche Jahrmarktsbudenbesitzer, Ihr hattet schon immer ein wesentliches Merkmal gemeinsam: Ihr wolltet mit aller Kraft und Leidenschaft so viele Nieten einsammeln wie möglich. Du warst völlig versessen auf Jesus, nicht wahr, Rob? Ob Du in Hochstimmung warst oder völlig verzweifelt, erschöpft oder ausgeruht, voll guten Mutes oder tief enttäuscht, Du hast nie das Verlangen verloren, zu erleben, wie Menschen bewusst wird, dass Jesus das einzige Licht ist, das sie in jeder erdenklichen Dunkelheit brauchen.
Meine Erinnerungen an Dich sind wie Schnappschüsse.
Ich erinnere mich, wie ich einmal auf der Bühne saß, während Du sprachst. Du hattest mich gebeten, ein paar Kleinigkeiten parat zu haben, damit Du hin und wieder, wenn Dir der Dampf ausging, eine kleine Pause einlegen könntest. Nach der zweiten dieser Predigtstrecken wandtest Du dich vom Mikrofon ab und kamst zu mir in den hinteren Bereich der Bühne. Dein Gesicht war bleich und angespannt von der schieren Leidenschaft des Kommunizierens. Du schieltest beinahe vor Erschöpfung.
»Geh hin und mach was«, keuchtest Du, »ich bin völlig ausgepredigt …«
Ich weiß noch, wie ich zu einem Auftritt bei Lantern Arts reiste und bei meiner Ankunft erfuhr, dass meine Frau Bridget, die dort zu mir stoßen wollte, auf der Autobahn einen schweren Unfall gehabt hatte. Die liebevolle und praktische Anteilnahme, die Jacquie und Du mir an diesem Nerven zermürbenden Abend zeigtet, werde ich nie vergessen.
Und ich erinnere mich, wie ich einmal bei Easter People auf der Bühne in einem kleinen Halbkreis von Leuten saß, die während der Woche etwas beitragen würden. Du batest uns, einer nach dem anderen zu erklären, warum wir gekommen waren. Einer sagte, er sei dort, weil er erleben wolle, wie Jesus erhoben und angebetet würde. Ein anderer sprach davon, er hoffe zu erleben, wie das Reich Gottes zunehme. Der Dritte drückte sein Streben aus, den allmächtigen Gott verherrlicht zu sehen. Und so ging es weiter. Es hörte sich alles sehr beeindruckend an. Ich war als Letzter an der Reihe. Mir wollte nichts Rechtes einfallen. Es war eigentlich nicht mehr viel übrig, was ich noch hätte sagen können. Alle guten Sprüche hatten sich die anderen schon unter den Nagel gerissen.
»Und warum bist du hier, Adrian?«, fragtest Du.
»Wegen des Geldes«, erwiderte ich.
Du tatest so, als wärst Du entsetzt.
»Das will ich doch nicht hoffen!«, riefst Du. »Ich muss nachher mit Marian sprechen. Offenbar zahlen wir euch zu viel.«
Aber Du hast uns nicht zu viel gezahlt, Rob. Du hast uns auch nicht zu wenig gezahlt, aber darum ging es nicht. Keiner von uns hat je wegen des Geldes etwas für Dich getan. Wir haben es getan, weil Du eine der größten Gaben von allen hattest: die Fähigkeit, Menschen zu zeigen, dass Du sie wirklich schätztest. Dazu fallen mir jede Menge Schnappschüsse ein. Winzige Erinnerungen an Gesichter, die aufleuchteten, wenn Du jeden einzelnen Menschen so begrüßtest, als wäre er oder sie die wichtigste Person auf der Welt. Und weißt Du was, Rob? Das war es, was Dinge wie Easter People zu etwas so Besonderem machten. Denn diese Haltung sickerte herab und beeinflusste jeden Aspekt des Festivals. Bei Easter People gab es niemals Christen zweiter Klasse. Was für eine Leistung.
Nun bist Du also losgezogen, um auszukundschaften, ob all das, worüber wir reden, wirklich wahr ist. Wir beide hatten immer vor, mehr Zeit miteinander zu verbringen, nicht wahr, Rob? Hin und wieder einen Abend in einer jener gemütlichen Kneipen in Sussex zu verleben, von denen ich Dir immer erzählt habe. Das wird jetzt warten müssen, aber auf der neuen Erde wird das Bier bestimmt noch besser schmecken. Ich will Dich nicht länger aufhalten. Wahrscheinlich bist Du gerade mitten dabei, Gabriel zu überreden, bei irgendeiner himmlischen Großveranstaltung die Parkplatzorganisationen zu übernehmen. Danke für alles, was Du warst und bist, Rob. Ich werde Dich vermissen. Bis später. Mach’s gut, Kumpel. Alles Liebe, Adrian.
Was für eine Auferstehung?
Der physische Tod von Rob Frost oder irgendjemandem, den wir geliebt haben, kann eine unsäglich schmerzhafte Erfahrung sein. Was wird das für ein herrlicher Tag sein, wenn wir uns wiederbegegnen. Allerdings gibt es mehr als nur eine Art von Tod, und manchmal müssen wir uns entscheiden, ob wir auferstehen wollen oder nicht, und in welchem Sinne.
Ich bin Leuten begegnet, die von der plötzlichen Erkenntnis überfallen wurden, dass eine Ansicht oder ein Standpunkt, an die sie sich mit beiden Händen geklammert hatten, dabei war, ihnen durch die Erfahrung oder die Umstände entrissen zu werden. Das kann ein zermürbender Schock sein. Wie sollen wir mit der Aussicht umgehen, einen Teil von uns selbst zu verlieren, der in wesentlichem Maße die Identität ausmacht, die wir unserer Außen- und Innenwelt präsentierten? Eine entscheidende Frage ist das zum Beispiel für diejenigen, die routinemäßig die Authentizität des Glaubens bestreiten und dann Gott auf so unleugbare Weise begegnen, dass eine radikale Entscheidung getroffen werden muss. Ich denke, es gibt zwei Möglichkeiten, und beide haben mit einer Art Auferstehung zu tun.
Die erste Möglichkeit ist eine Art falscher Auferstehung. Es ist möglich, wegzugehen und Abstand zwischen sich und den Verlust und den Schmerz und das Risiko und die Möglichkeiten des Neuen zu bringen. Das kann man schaffen. Sie brauchen nur die Wahrheit in der tiefsten Grube zu begraben, die in Ihrem Herzen zu finden ist, und den Irrtum, von dem Sie sich bisher genährt haben, einer eiligen Wiederbelebungsmaßnahme zu unterziehen.
Saulus von Tarsus hat es auch einmal so gemacht, nicht wahr? Erinnern Sie sich an sein Zeugnis vor Agrippa in Apostelgeschichte 26? Dort schildert er, wie die Macht Gottes ihn von seinem Pferd stürzte und Jesus die folgenden denkwürdigen Worte sprach: »Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es ist sinnlos, dass du gegen mich ankämpfst.« Saulus hatte schon seit einiger Zeit verleugnet, was in seinem eigenen Herzen vor sich ging, aber an diesem lebensverändernden und weltverändernden Tag legte Gott ihm einen regelrechten Hinterhalt.
Die zweite Möglichkeit besteht darin, sich nach der wahren Auferstehung auszustrecken, diese Änderung anzunehmen, das Risiko einzugehen, sich aufzumachen zum Licht. Dazu gehört eine Art Tod, und möglicherweise ist ein stattlicher Preis dafür zu zahlen. Aber darin stecken auch eine zweite Geburt und die Verheißung geistlicher Authentizität. Lohnt sich das? Ich werde Ihnen Bescheid sagen. Geboren werden tut weh.
Die meisten von uns haben nicht solche dramatischen und unausweichlichen Erfahrungen wie Saulus auf der Straße nach Damaskus. Viele stecken in der Verleugnung fest. Im Folgenden stelle ich Ihnen einen Mann vor, der diese Wahl treffen muss, von der ich gerade geredet habe. Alt oder neu? Falsch oder wahr? Was für eine Auferstehung soll es sein?
Der Mann, der beim letzten Abendmahl den Wein servierte
Ich war bei jenem letzten Abendmahl dabei.
Ich mische mich bei der Arbeit nicht in irgendwelche Dinge ein. Das habe ich noch nie getan. Ist nicht meine Art. Es ist schwierig genug, in einer Welt zu leben, geschweige denn in zwei oder drei, wie manche Idioten es tun. Meine Welt ist zu Hause. Da habe ich genug Probleme, ohne mich mit meinem aufgeblasenen Meister oder seinen gierigen Gästen oder irgendeinem dieser Bauern anzulegen, die ihre Brötchen im selben Haus verdienen wie ich. Wohlgemerkt, das soll nicht heißen, dass ich meinen Job nicht richtig mache. Das tue ich. Ich arbeite hart für meinen Lohn. Ich schiebe die Tische und Stühle hin und her, bediene an den Tischen, räume ab, tue alles, was von mir verlangt wird, solange es sich im Rahmen hält. Aber verlangen Sie nicht von mir, dass ich mich einmische. Regloses Gesicht, kaltes Herz. So bin ich nun einmal.
Vielleicht kündige ich. Gestern Abend, das war schon unheimlich, und auf unheimlich stehe ich nicht.
Also, stellen Sie sich Folgendes vor: Da kommt wieder einmal so ein religiöser Spinner daher und schindet bei meinem leichtgläubigen Meister genug Eindruck, dass er ihm für einen Abend seinen besten Raum überlässt. Da sitzt er nun also wie ein kleiner König, umgeben von dem verrücktesten Haufen durchgeknallter Jünger, den Sie im Leben gesehen haben, und mir fällt die Aufgabe zu, für den Weinnachschub zu sorgen. Kein Problem. Habe ich schon hundertmal gemacht.
Na schön. Ich werde es Ihnen sagen. Ich sage es nur einmal, aber ich werde es Ihnen sagen. Nach dem Essen hält der Rabbi seinen Kelch hoch. Ich fange an, ihn zu füllen. Wein fließt, wie Wein schon immer geflossen ist. In meinem Kopf wird alles dunkel. Schwärze verwandelt sich in ein kräftiges Rot. Das ganze Gebäude zittert. Die Welt reißt sich selbst entzwei. Es kracht, knarrt, donnert, ächzt. Millionen Tonnen Gestein zersplittern, brechen, zerbersten. Ich trudele durchs Chaos und suche nach einem Ort, wo ich landen kann. Eine Explosion des Lichts. Friede. Alles wieder normal. Der Kelch des Rabbis ist gefüllt.
Das war’s. Unheimlich. Ich kündige vielleicht.
2 Gebet
Es gibt wahrscheinlich keine richtigen oder falschen Arten des Betens. Wenn es von Herzen kommt, dann singt es. Allerdings ist es eine traurige Tatsache, dass viele Christen immer mehr Mühe mit dem Beten haben, je älter sie werden. Was sind das für Schlachten, die wir ausfechten müssen, wenn wir Boden für ehrliche Kommunikation mit Gott gewinnen wollen? Eine Bitte meiner Tochter hat mich ins Nachdenken gebracht.
Die Sprache des Gebets
Während ich dies schreibe, hat Kate gerade zwei Drittel ihres ersten Jahres als Lehrerin für Tanz und Choreografie an einer katholischen Oberschule in Newcastle upon Tyne hinter sich. Kurz nach dem Beginn ihres Schuljahres fragte sie mich, ob ich ihr bei einem Beitrag zu einer Veranstaltung helfen könne. Thema war das Problem, durch Gruppendruck auf Abwege geführt zu werden. Zu der Präsentation sollte ein Gebet gehören, das eine ihrer Schülerinnen vortragen und das für alle verständlich sein sollte. Nachdem ich das folgende Gebet verfasst hatte, merkte ich, dass ich in meinem Bemühen um Worte und Sätze und Gedanken, die junge Leute ansprechen könnten, tatsächlich etwas geschrieben hatte, was eigentlich jeder Mensch sich ohne Weiteres aufrichtig zu eigen machen könnte.
Warum brauche ich so lange, um solche Lektionen zu lernen? Vor Jahren, als ich mit Kindern unterschiedlichen Alters in einer Heimsituation arbeitete, rief ich alle Kinder zusammen, um über ein kleines Transistorradio (kennen Sie die noch?) zu sprechen, das aus dem Mitarbeiterbüro entwendet worden war. Ich war mir absolut sicher, dass dieses »schwere« Verbrechen von einem unserer Jüngsten, einem achtjährigen Jungen namens Richard, verübt worden war. Dementsprechend achtete ich bei meiner Ansprache an die Gruppe darauf, dass mein Tonfall und meine Wortwahl sorgfältig auf diese Altersgruppe abgestimmt waren.
»Also«, sagte ich, wobei ich es vermied, Richard direkt anzusehen, und mich anhörte wie eine etwas strengere, aber warmherzig großmütterliche Version von Inge Meysel (kennen Sie die noch?), »ihr fragt euch sicher, warum ich euch alle zusammengerufen habe. Leider muss ich euch sagen, dass irgendjemand – irgendjemand – das kleine schwarze Radio aus dem Büro genommen hat, und ich glaube, die betreffende Person weiß, von wem ich spreche.« Ich machte eine eindrucksvolle Pause. »Ich möchte also, dass diese Person Folgendes tut: Sobald diese Versammlung beendet ist, möchte ich, dass du losgehst und das Radio von dort holst, wo du es versteckt hast, und es dann zu mir bringst und dich entschuldigst. Dann werden wir kein Wort mehr darüber reden. Wenn du das aber nicht tust – nun, dann werde ich zu dir kommen, und ich kann dir sagen, dass ich sehr, sehr böse sein werde. Sehr böse! Und das wird dir bestimmt nicht gefallen, oder?«
Schweigend defilierten sie hinaus, und zehn Minuten später klopfte es leise an der Bürotür. Herein stolperte ein hartgesottener achtzehnjähriger Junge namens Russ mit verlegener Miene und einem kleinen schwarzen Radio in der Hand. Meine Ansprache hatte gewirkt. Der richtige Todesfall, die richtige Wortwahl, der falsche Verdächtige. Hätte ich Russ für den Schuldigen gehalten, so hätte ich ihn nicht über eine öffentliche Versammlung zur Rede gestellt, und auf keinen Fall hätte ich eine so simple Methode angewandt.
Vielleicht gibt es für unsere Versuche zu beten etwas Ähnliches zu lernen. Ich mag viele liturgische Gebete einfach deswegen, weil ich schön geschriebene Prosa mit Herz liebe. Aber es ist gewiss an der Zeit, uns von dem unbeholfenen, pseudofrommen Schwachsinn zu befreien, den wir in sogenannten offenen Gebetsgemeinschaften hinausblöken. Gott muss es ziemlich enttäuschend finden, dass auf die angeregtesten Diskussionen unter Christen häufig eine Gebetszeit folgt, in der an die Stelle normaler, herzlicher Kommunikation trübe Mantren und formelhafte Bitten treten, vorgetragen in künstlicher, leicht sonderbarer Sprache.
Es erfordert natürlich einige Übung, sich in diesem Bereich zu verändern. Abgesehen von allem anderen steht manchen Leuten dabei die meist unausgesprochene Frage im Weg, ob sie überhaupt daran glauben, dass der Gott, zu dem sie sprechen, tatsächlich existiert. Ein trivialer, aber möglicherweise nicht unwichtiger Punkt. Laut zu jemandem zu sprechen, den man nicht sehen kann, ist in dieser Hinsicht eine regelrechte Selbstentblößung.
Jedenfalls werden wir nicht locker lassen mit unseren Versuchen, Gott gegenüber so herzlich und gesprächig zu sein, wie wir es bei unseren Freunden sind, und abzuwarten, was dann passiert. In Matthäus 6 schlägt Jesus vor, dass wir uns in unsere Zimmer zurückziehen, damit wir unter vier Augen mit unserem Vater sprechen können. Gute Idee und ein sehr guter Ort, um sich im Normalsein zu üben.
Dies ist das Gebet, das ich für Kates Mädchen und ihre Schulveranstaltung geschrieben habe.
Ein Gebet darum, stark zu sein und nicht auf Abwege zu geraten
Gott, unser Vater, meistens wollen wir irgendwie gut sein, und wir wollen die richtigen Entscheidungen treffen, was wir tun und wie wir uns verhalten. Aber manchmal ist es richtig, richtig schwer. Was uns Angst macht, ist, dass wir uns womöglich am Ende doof vorkommen, wenn wir am Rand stehen, weil wir Nein gesagt und bei etwas nicht mitgemacht haben, wovon wir wissen, dass es schlecht für uns wäre. Wir haben es nicht gern, wenn über uns gelacht wird. Wir hassen es sogar, und es ist so schwer, wenn man das Gefühl hat, nicht mehr dazuzugehören. Kannst du uns bitte helfen? Kannst du uns helfen, stärker und tapferer zu sein, wenn wir diese schwierigen Entscheidungen treffen müssen? Tief im Innern wissen wir ja, dass davon abhängen könnte, was für den Rest unseres Lebens aus uns wird. Danke, dass du uns zuerst liebst und an unserer Seite stehst und uns sagst, dass es okay ist, so zu sein, wie wir sind, statt schwach und nachgiebig zu sein und uns so zu verhalten, wie andere Leute offenbar denken, dass wir uns verhalten sollten. Vielen Dank, lieber Vater. Amen.
Keine fröhlichen Gesellen?
Wo wir gerade davon sprechen, uns in unser Zimmer zurückzuziehen und mit Gott zu reden – es ist meine feste Überzeugung, dass wir in dieser privaten, familiären Situation alles sagen können, was wir auf dem Herzen haben. Ich sage das, weil ich aus trauriger Erfahrung weiß, dass wir manchmal einfach nicht das Vertrauen aufbringen, dass Gott tatsächlich bereit sein könnte, Mülleimern wie uns zuzuhören.
Zu glauben, dass es bei Gott für geschlagene Verlierer wie mich und unzählige andere Flüchtlinge aus dem Jammertal der Finsternis und der Probleme eine Million Neuanfänge gibt, gehört zu den Dingen, die für uns Menschen am notwendigsten und zugleich am schwersten sind. Ich schätze, eines der Probleme dabei ist, dass wir, wenn wir knietief durch irgendwelche exkrementellen Erfahrungen waten, es kaum schaffen, dem Gedanken Raum zu geben, dass ein eifriger Gärtner genau diese Exkremente vielleicht ganz anders betrachten und sie Dünger nennen würde. Ich bin kein Gärtner, aber ich habe gehört, dass man mit Dünger Dinge zum Wachsen bringen kann. Rosen zum Beispiel. Meine Lieblingsblumen.
Die Wege Gottes sind geheimnisvoll, um nicht zu sagen äußerst merkwürdig, aber die Geschichte seines Umgangs mit leidenden, sündigen Menschen ergibt eine interessante Lektüre. Manchmal heilt er den Verstand oder den Körper oder den Geist – oder alle drei. Manchmal tut er es nicht. Woran liegt das? Ach, was könnte ich für einen unglaublichen Bestseller schreiben, wenn der Herr mir eine unwiderlegbare Antwort auf diese Frage gäbe. Ich habe dazu den einen oder anderen Gedanken, und vielleicht haben Sie auch ein paar, aber mit Sicherheit sagen kann ich in diesem Zusammenhang nur eines. Tief in meinem Herzen oder in meinem Geist oder wo auch immer man sich der Dinge am sichersten ist, bin ich davon überzeugt, dass dieser barmherzige, spielerische, hartnäckige, einfallsreiche, leidende, freundliche Gott nicht will, dass irgendjemand in einem Gefängnis der Vergangenheit festsitzt und dass er immer auf der Suche nach Wegen ist, um Freiheit möglich zu machen. Es könnte also sein, dass sich ein Versuch lohnt. Es könnte einen Versuch wert sein, mit ihm offen und ehrlich darüber zu reden, was passiert ist und was Sie nötig haben. Ja, natürlich weiß er es ohnehin schon, aber wir haben es doch alle gern, wenn die Leute, die wir lieben, mit uns reden. Und wenn bei Ihnen alles mehr oder weniger in Ordnung ist, warum halten Sie dann nicht Fürsprache für jemand anderen? Sie würden vielleicht staunen.