- -
- 100%
- +
Bei der Architekturproduktion der Jahre 1933–1938 soll differenziert werden zwischen der vom Staat, von der Einheitspartei Vaterländische Front (VF) und den Institutionen gewollter Architektur und solcher, die auf dem privaten Sektor produziert wurde. Gibt es deutliche formale Unterschiede? Kommt es zu Überschneidungen und Überlagerungen, zum Beispiel durch die Architektenpersönlichkeiten? Wurde die Vergabe von Förderungen von bestimmten Parametern abhängig gemacht? Einen besonderen Bereich bildet die Kirche als Auftraggeberin. Sie hatte sich sehr zu ihrem eigenen Vorteil vom Staat vereinnahmen lassen. Ihre Projekte wurden selten staatlich finanziert, dienten aber als willkommener Hintergrund für Staatsaktionen und Präsenz der Politik. – Über die gebaute Architektur hinaus gab es eine Reihe unrealisierter Projekte und auch eine Flut an ephemeren Aktionen, sorgfältig inszenierte Massenveranstaltungen wie den Katholikentag 1933 oder das Dollfuß-Begräbnis, außerdem kirchliche und profane Prozessionen, Umzüge, Feste etc., deren minuziöse Gestaltung und Regie ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur visuellen Kultur des Austrofaschismus lieferte.
Zur Beziehung zwischen Politik und Kunst in autoritären Systemen hat Susan Sontag angemerkt, dass nicht die Kunst politischen Zwecken untergeordnet wurde, sondern dass „die Politik sich die Rhetorik der Kunst aneignete.“30 Das stimmt jedenfalls für das faschistische Italien, wo die Politik die Architektur als Staatskunst für sich zu vereinnahmen verstand.31 In der Türkei bediente sich die Regierung mit Clemens Holzmeisters fertig konzipierter Staatsarchitektur eines programmatischen Kulturimports aus Mitteleuropa.32 – Sontags Annahme setzt die Existenz einer verständlichen künstlerischen Rhetorik voraus. Am oben gezeigten Wiener Beispiel, dem Wohnbau in der Tautenhayngasse, war dies allerdings die formale Rhetorik des politischen Gegners Sozialdemokratie. Absicht oder Verlegenheit? Einzelfall oder Regel? Hat diese Rhetorik die älteren sozialdemokratischen Inhalte kommuniziert, oder wurde sie mit den geringfügigen Veränderungen (Schrift und Figur) als austrofaschistisch verstanden?
Nach einer Untersuchung der oben aufgezeigten Fragen in typologischen Blöcken will diese Arbeit Friedrich Achleitners Frage, ob es denn eine austrofaschistische Architektur überhaupt gegeben hat, beantworten. Diese Antwort ist wichtig, denn sie kann einerseits eine von der Kunstgeschichte weitgehend vergessene Epoche wieder sichtbar machen und andererseits einen Beitrag zur komplizierten Problematik einer Architektur autoritärer Systeme liefern. Wichtig ist die Antwort auch, weil die Architektur der 1930er Jahre auch Hinweise auf mögliche Kontinuitäten (aber auch Brüche) aufzeigen kann, die in die zweite Nachkriegszeit hinein reichen.
Historischer Hintergrund33
Seit Mitte 1921 wurde die junge Republik Österreich von konservativen Koalitionen regiert, während die Bundeshauptstadt Wien schon seit 1919 sozialdemokratisch war. Wien konnte bis 1933/1934 ein umfangreiches soziales, politisches und kulturelles Reformprogramm umsetzen, das insbesondere durch seine überragende Wohnbauleistung Weltgeltung erlangte.34 Das Verhältnis zum Bund war spannungsreich, die Gegensätze zwischen urbaner, sozialdemokratisch dominierter Großstadt und katholisch-agrarisch-konservativer Landbevölkerung allzu groß. Auf Bundesebene gewannen im Lauf der 1920er Jahre die rechten paramilitärischen Heimwehren oder Heimatschutz-Verbände35 zunehmend politischen Einfluss. Sie waren nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie zur Verhinderung der Bildung von Räterepubliken und zur Grenzsicherung entstanden. Als Gegenpol dazu gründeten die Sozialdemokraten den Republikanischen Schutzbund. Die sich radikalisierende politische Stimmung eskalierte 1927 mit den Julidemonstrationen gegen das Urteil im Schattendorf-Prozess, bei dem Angehörige einer Heimwehrgruppe freigesprochen wurden, die eine sozialdemokratische Versammlung beschossen, zwei Personen (darunter ein Kind) getötet und fünf Personen verletzt hatten. In den Auseinandersetzungen, in denen die Polizei mit Waffen gegen die DemonstrantInnen vorging, verloren 84 Protestierende und fünf Polizisten ihr Leben. 1929 unterstrich der christlichsoziale Bundeskanzler Seipel die Bedeutung der Heimwehren für die Befreiung der Demokratie „von der Parteienherrschaft“ und deutete damit bereits die Hoffnung auf ein Ende des Parteienstaats an.36 1930 formulierten die Heimwehren im „Korneuburger Eid“ ihre Absage an die parlamentarische Demokratie und ihre Hoffnung auf einen autoritären, ständisch organisierten Führerstaat. In Folge der Weltwirtschaftskrise verschlechterte sich um 1931 die wirtschaftliche Situation in Österreich. Durch die Annahme der Lausanner Anleihe 1932 akzeptierte Österreich neuerlich ein Anschlussverbot an Deutschland.
Im Juni 1932 sprach der Justizminister und spätere Kanzler Kurt Schuschnigg bereits eine Parlamentsausschaltung an.37 Benito Mussolini, an einem Pufferstaat zwischen Italien und Nazideutschland interessiert, förderte die Faschisierungsbestrebungen in Österreich, versorgte die Heimwehren mit Waffen und forderte Dollfuß zur Zerschlagung der Sozialdemokratie auf.38
Am 4. März 1933 traten während einer Sitzung im österreichischen Parlament alle drei Parlamentspräsidenten zurück. Diese Blockade nützte die Regierung Dollfuß zur Anwendung von Notverordnungen auf der Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917. Damit begann in Österreich der von Konservativen und Heimwehr erhoffte politische Umbau, der alles verändern sollte und der dennoch nicht durch die Revolution einer oppositionellen Gruppe, sondern durch die Kontinuität der Macht geschah: Die amtierende demokratisch gewählte Regierung, bestehend aus Christlichsozialen, Landbund und Heimatblock, baute das Land mit Unterstützung der Heimwehren von einer parlamentarischen Demokratie zur autoritären Diktatur um. Hilfestellung dabei gaben Exekutive und Kirche. Harmonisierung statt Klassenkampf, die Ausschaltung des Mehrparteiensystems und sein Ersatz durch die vom Vorbild des italienischen Partito Nazionale Fascista angeregte Einheitspartei Vaterländische Front, der Katholizismus als Staatsreligion, der Rückgriff auf die mittelalterliche berufsständische Gesellschaftsordnung und ein fanatischer Antibolschewismus bildeten die ideologische Basis eines Regimes, das als einziges in Europa auch einen Konkurrenzfaschismus im eigenen Land zu bekämpfen hatte, nämlich den des Nationalsozialismus.39 Im September 1933 hielt Bundeskanzler Dollfuß seine programmatische „Trabrennplatzrede“, in der er die zentralen Themen der nächsten Jahre ansprach: Antiliberalismus, Antimarxismus, Antidemokratismus, Antinazismus, Deutschtum, Katholizismus, Einparteienstaat und Umbau zu einer berufsständischen Gesellschaftsordnung nach Vorbild der Zeit vor der Aufklärung.40 Nach dem italienischen Vorbild wurde diese Rede als „österreichischer Marsch auf Rom“ apostrophiert.41 Zugleich fand in Wien der Deutsche Katholikentag statt, so dass die Kirche als Stützpfeiler des Regimes in einer Art Doppelveranstaltung in den Vordergrund gestellt wurde, obwohl man nicht müde wurde, den unpolitischen Charakter des Katholikentags zu betonen.
Während die Faschisierung auf Bundesebene 1933 voranschritt, blieb Wien zunächst für fast ein Jahr weiterhin die verhasste rote Enklave im schwarzen Österreich. Wien war aber auch Bundeshauptstadt und geriet damit in die paradoxe Situation, 1933 einige der ersten, wichtigsten und richtungsbestimmenden Manifestationen der sich faschisierenden Regierung erleben zu müssen.
Die endgültige und blutige Ausschaltung der Sozialdemokratie erfolgte mit dem Bürgerkrieg vom 12. Februar 1934 durch Polizei, Bundesheer und Heimwehren. Wiener Gemeindebauten wurden beschossen, etwa 1.600 Menschen starben. Bürgermeister Karl Seitz wurde vom Rathaus weg verhaftet, die Institutionen und Medien der Sozialdemokratie sowie die Partei selbst aufgelöst und verboten, Protagonisten des Widerstands gefangengesetzt oder standrechtlich ermordet.42
In Wien wurde bereits am 13. Februar 1934 der Christlichsoziale Richard Schmitz als Bürgermeister eingesetzt; schon am 31. März, ein Monat vor der neuen Bundesverfassung, wurde eine neue ständische und autoritäre Stadtverfassung erlassen. Schmitz hielt eine Antrittsrede, in der er einen zentralen Bezugspunkt des Austrofaschismus thematisierte: Er wollte an die Epoche des christlichsozialen Bürgermeisters Karl Lueger anschließen, die in der Geschichte der Stadt Wien „am hellsten erstrahlte“.43 Die Stützen des Regimes waren der bürgerliche Mittelstand, die katholische Kirche, das Militär und die Heimwehren.44 Rasch wurde eine Stadtvertretung eingesetzt und ein Investitionsprogramm beschlossen, das unter anderem den Bau der Höhenstraße, der Wientalstraße und ein Assanierungsprogramm umfasste, das die bürgerliche Mittelschicht, kleine Industrielle, Kleingewerbe und Handwerk, Beamte und Hausbesitzer als Zielgruppe favorisierte.45
Bei dieser Gelegenheit wurden einige sozialdemokratische Gesetze, wie die zweckbestimmte Wohnbausteuer, aber auch Steuern auf Reitpferde, Kutschen und Hausgehilfinnen oberschichtfreundlich zurückgenommen.46
Bereits im März 1934 erfolgte mit der Unterzeichnung der Römischen Protokolle eine Vereinbarung zwischen Österreich, Italien und dem faschistischen Ungarn unter Horthy zur verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Italiens Einfluss im Donauraum sicherte.
1934 wurde die neue österreichische Verfassung just am 1. Mai, dem Feiertag des politischen Gegners Sozialdemokratie, eingesetzt und in den Folgejahren als Jahrestag der Verfassungsverkündung, Tag der Arbeit und Muttertag gefeiert.47 „Im Namen Gottes, des Allmächtigen“ deklarierte sie Österreich als „ christlichen deutschen Staat auf ständischer Grundlage.“48 Damit war die parlamentarische Demokratie in Österreich offiziell beendet. Es gab nur mehr die von der Bundesregierung unter Dollfuß 1933 gegründete Einheitspartei „Vaterländische Front.“ Es folgte die Institutionalisierung einer Reihe repressiver Maßnahmen, unter anderem die Einweisung politischer Gegner in „Anhaltelager“, der Ausbau des Sicherheitsapparates, die Einführung von Sondergerichten und Doppelbestrafungen.49
Eine wichtige Zäsur in der Geschichte des Austrofaschismus war die Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß während des nationalsozialistischen Putschversuchs im Juli 1934. Unter Dollfuß’ Nachfolger, Bundeskanzler Schuschnigg, wurde ein veritabler Dollfuß-Kult initiiert, der sich in einer Fülle von Denkmälern, Straßenumbenennungen und Gedenkveranstaltungen mit zahlreichen Bezügen auf Jahrestage und Jubiläen in ganz Österreich niederschlug und der den toten Kanzler mit Hilfe der Kirche in den Rang eines inoffiziellen vaterländischen Märtyrers erhob. Sogar von Wundern wurde berichtet, man setzte sich für eine Seligsprechung von Dollfuß ein.50
Neben Dollfuß- und Lueger-Verehrung gab es einige weitere zentrale Bezugspunkte für ein „Österreich-Bewusstsein“, das das Regime zur Wahrung der österreichischen Eigenständigkeit und als Abgrenzung gegen Deutschland zu schaffen bemüht war. Dazu gehört die Beschwörung der habsburgischen Vergangenheit im Sinn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – katholisch-gegenreformatorisch-“abendländisch“ im Gegensatz zu „protestantisch-preußisch oder heidnisch-nationalsozialistisch“51 und zugleich ein eigenes österreichisches, katholisches und vor allem kulturell begründetes „Deutschtum“ propagierend. Für das „Österreich-Bewusstsein“ wurden Traditionen in Kunst, Literatur, Musik und Wissenschaft ebenso instrumentiert wie die österreichische Landschaft. Bevorzugte Bezugsepochen waren das Barock, traditionell als besonders glorreiche Epoche österreichischer Geschichte rezipiert, und das Biedermeier als vermeintliche Epoche bürgerlicher Behaglichkeit.
Bundeskanzler Schuschnigg betonte weiterhin die Eigenständigkeit Österreichs. Als Mussolini Ende 1935 einen völkerrechtswidrigen Eroberungskrieg gegen Abessinien begann, unterstützte Österreich die Sanktionen des Völkerbunds gegen Italien nicht und geriet zunehmend in Isolation.52 Italien erhielt Beistand von Deutschland, und 1936 formierte sich die „Achse Berlin-Rom.“ Ein deutsch-österreichisches Abkommen vom Juli 1936 sicherte Österreich weiterhin Selbständigkeit zu, in einem Zusatzabkommen, dem „Gentlemen-Agreement“, wurde jedoch umfassende deutsche wirtschaftliche und politische Einmischung vereinbart. Schuschnigg unterzeichnete im Februar 1938 bei Hitler in Berchtesgaden ein Abkommen, das umfangreiche Zugeständnisse an Deutschland machte: Österreichische Nazi wurde amnestiert und legalisiert, der Nationalsozialist Arthur Seyss-Inquart wurde als Innenminister in die Regierung aufgenommen. Schuschnigg plante für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung zur Selbständigkeit Österreichs, die durch den Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 11./12. März verhindert wurde. Seyss-Inquart wurde zum Regierungschef ernannt und vollzog umgehend die Einverleibung Österreichs in das Deutsche Reich. Damit war der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland vollzogen.
DER DEUTSCHE KATHOLIKENTAG 1933 IN WIEN ALS AUFTAKT DIE PROTAGONISTEN BETRETEN DIE BÜHNE
Im Jahr seiner Konstituierung präsentierte das austrofaschistische Regime unter Bundeskanzler Dollfuß eine Reihe von Interventionen baulicher, aber auch ephemerer und szenischer Art, die – vorwiegend in der Bundeshauptstadt – die Richtung für die folgenden Jahre festlegten, Symbole und Rituale installierten und zentrale Bezugspunkte und Themen definierten. Umzüge, Prozessionen und Feste des Jahres 1933 und ihre architektonische und szenische Umsetzung illustrieren diese Neuinterpretation und Überschreibung des bis dahin sozialdemokratisch besetzen Stadtraums der Hauptstadt besonders deutlich. Zugleich wurde die katholische Kirche als tragende Säule des Politischen Katholizismus und damit des neuen Regimes effektvoll und nachdrücklich positioniert.
Eine erste Gelegenheit zur umfassenden Selbstinszenierung der neuen Machthaber bot der Deutsche Katholikentag, der im September 1933, ein halbes Jahr nach der Ausschaltung des Parlaments, in Wien stattfand. Der Zeitpunkt war geschickt gewählt: Am 12. September 1933 jährte sich der Entsatz von Wien zum 250. Mal. 1683 hatte eine Allianz deutscher Fürsten mit dem polnischen König das osmanische Heer, das Wien belagerte, vertrieben – ein Sieg, der seither als Sieg des Christentums gegen den Islam und als Rettung des Abendlandes gefeiert wurde und mit dem Thema des Katholikentags, „Christus und das Abendland“, konform ging. Zugleich konnte man im Rahmen des gesamtdeutschen Charakters der Veranstaltung mit dem Türkensiegbezug die historische Vormachtstellung Österreichs unter den deutschsprachigen Ländern thematisieren. Der Katholikentag wurde geschickt mit Kanzler Dollfuß’ politischer „Trabrennplatzrede“, den Jubiläen zu 250 Jahre Türkenbefreiung 1683 und 500 Jahre Vollendung des Stephansdoms sowie mit dem ersten Generalappell der neu gegründeten Einheitspartei, der Vaterländischen Front, kombiniert.
Das sozialdemokratische Wien wurde in den ersten Herbsttagen 1933 mit einer Fülle kirchlich-politischer Veranstaltungen überschwemmt, die umfangreich in den Medien angekündigt und kommentiert und im Radio übertragen wurden.53 Die Feierlichkeiten begannen am 8. September mit dem Empfang des päpstlichen Kardinallegaten durch Kardinal Innitzer und die Regierung. Abends erfolgte die offizielle Eröffnung vor der Karlskirche, bei der „Österreichs katholische und deutsche Sendung“ und seine Funktion als „Mittler zwischen Nord und Süd“ thematisiert wurden.54 Bei dieser Gelegenheit trat auch der Präsident des Katholikentags, der Architekt Clemens Holzmeister, in offizieller Funktion auf. Am Abend des 9. September fand eine Männerprozession vom Stephansdom über die Kärntner Straße und die Ringstraße statt, die bei der Votivkirche endete (Abbildung 6). Am 10. September folgte eine Messe im Schönbrunner Schlosspark. Am Montag, dem 11. September gab es eine Gedenkveranstaltung für den Kapuzinerpater Marco d’Aviano, der in der Entsatzschlacht von Wien 1683 eine Rolle gespielt hatte. Nachmittags fand der erste Generalappell der neuen Einheitspartei, der Vaterländischen Front, statt; bei dieser Gelegenheit hielt Dollfuß seine Grundsatzrede auf dem Trabrennplatz im Prater, die ebenfalls vom staatlichen Radiosender RAVAG übertragen wurde. Am 13. September wurde der Katholikentag im Stadion festlich geschlossen. Dazu gab es eine Reihe von Rahmenveranstaltungen – Ausstellungen christlicher Kunst in der Albertina, im Diözesanmuseum, im Künstlerhaus, in der Secession usw.55 „Parsifal“ in der Staatsoper und zahlreiche sogenannte Weihespiele an verschiedenen Orten ergänzten das Programm. Die sozialdemokratische Stadtregierung weigerte sich bei dieser Gelegenheit – der 12. September, Tag des „Türkensiegs“, war von der Bundesregierung zum Feiertag erklärt worden –, den Angestellten ihrer Betriebe arbeitsfrei zu geben.56 – Der Katholikentag war eine Art Konzentrat, das nahezu vollständig die zentralen politischen Themen der Folgejahre öffentlich deklarierte und inszenatorisch und medial vorstellte. Außerdem kamen Institutionen, Personen und Orte ins Spiel, die bis 1938, aber teilweise auch bis weit in die zweite Nachkriegszeit hinein als zentrale Parameter der politischen Kultur wirksam sein sollten. Dabei erstaunt, wie früh zahlreiche Institutionen, wie zum Beispiel die Künstlervereinigungen, auf den neuen politischen Zug aufsprangen (siehe dazu Seite 293 ff.).

Abbildung 6: Ceno Kosak, Entwurf für die Männerprozession am Katholikentag 1933 mit Reitern und Herolden (Profil 1933, 253)

Abbildung 7: Karlskirche, Dekoration zum Katholikentag (Profil 1933, 254)
Eines der zentralen Themen des Austrofaschismus war der Politische Katholizismus, der Primat der katholischen Kirche und ihr traditionelles Naheverhältnis zur Christlichsozialen Partei. Der Katholizismus, getragen von der ländlichen Bevölkerung, von Teilen des Kleinbürgertums, vom Adel und von jenen Akademikern, die über die katholische Leo-Gesellschaft57 oder über den Cartellverband rasch an Einfluss gewannen, war eine der wesentlichen Stützen des Regimes.58 Dieses begründete seine Maßnahmen unter anderem mit der Enzyklika „Quadragesimo anno“, mit der Papst Pius XI. sowohl eine berufsständische Gesellschaftsordnung favorisiert als auch Kommunismus und Sozialismus nachdrücklich und entschieden abgelehnt hatte.
Mit der Ersten Republik hatte die Kirche ihren traditionellen Schutzherren, den Kaiser, verloren. Die traditionelle habsburgische Unterstützung der katholischen Gegenreformation war das Bindeglied zum neuen Regime, dessen Vergangenheitsverliebtheit und Kirchentreue in der Dynastie ein Sinnbild für „gottgewollte“ Herrschaftskontinuität und eine hierarchische Gesellschaftsordnung erkennen wollte. Der 1932 eingesetzte Wiener Erzbischof Theodor Innitzer (1875–1955), 1929/1930 Sozialminister im Kabinett Schober II und seit 1933 Kardinal,59 war Repräsentant eines Episkopats, das seit Anfang 1933 den faschistischen Umbau Österreichs unter Berufung auf „Quadragesimo Anno“ begrüßt und gefördert hatte. Zur Unterstützung des Regimes hatte die Bischofskonferenz den Rückzug von Priestern aus der Politik beschlossen; die Regierung Dollfuß war ihr ein „Garant für die Interessen der Kirche, deshalb fielen die Gründe weg, weshalb Geistliche Mandate oder sonstige politische Positionen innehaben“ sollten. Sogar nach dem harten Vorgehen bei den Februarkämpfen 1934 sollte die Kirche die Regierung weiterhin unterstützen.60 Die Kirche wurde in den Jahren des Austrofaschismus auch im öffentlichen Leben omnipräsent: Kein Fest, keine Eröffnung, keine Zeremonie, keine politische Manifestation sollte in den folgenden Jahren ohne Messe, Weihe, Prozession oder Segnung auskommen. Eine staatlich gesteuerte Rekatholisierung, eine neue Gegenreformation, ein „neuer Kreuzzug“ wurde eingeleitet, und die Kircheneintritte stiegen zwischen 1933 und 1934 von etwa 1.400 auf fast 33 000.61 Einen besonderen Stellenwert hatte in diesem Zusammenhang die Christkönigsverehrung, die mit dem 1925 installierten Christkönigsfest belebt wurde und die zahlreiche Bezugspunkte für eine Ästhetisierung des Führermythos bot.62
Die Habsburger, insbesondere die Kaiser Ferdinand II. (1578–1637) und Ferdinand III. (1608–1657), hatten eine zentrale Rolle in der Gegenreformation und in der Rekatholisierung gespielt. Daher erfolgte im austrofaschistischen Kontext eine massive symbolische Aufwertung habsburgisch-katholischer Erinnerungsorte, die bereits am Katholikentag ihren Niederschlag fand, der Stephansdom, Karlskirche und Votivkirche, aber auch den Kahlenberg, als zentrale Erinnerungsorte und Brennpunkte habsburgischer Vergangenheit reinstallierte und glorifizierte. Dies kam den Anhängern des Regimes entgegen, rekrutierten sich diese doch aus Verlierern der 1918 ausgerufenen Republik: Entlassene Angehörige der aufgelösten k. u. k. Armee ohne soziale und ökonomische Perspektive, der zumindest offiziell gesellschaftlich entmachtete Adel und kleine Gewerbetreibende sehnten sich nach den Zuständen vor 1918 zurück.
Der Stephansdom ist historisch über eine Initiative Herzog Rudolfs IV. zur Errichtung eines selbständigen, von Passau unabhängigen Wiener Bistums mit den Habsburgern verbunden. Er wurde auch wegen eines bezugsreichen Jubiläums als Ort und Ausgangspunkt zahlreicher Veranstaltungen des Katholikentags gewählt: Am 2. Oktober 1433 war die Kreuzrose auf den Südturm des Doms aufgesetzt worden, was als Vollendungsakt des Dombaus galt. Als Kathedrale und Bischofssitz ist der Dom das Zentrum des katholischen Österreich, als traditionelles österreichisches und Wiener Wahrzeichen der symbolische Mittelpunkt der Stadt, ihre „Herzzone“.63 In Verbindung mit den Habsburgern, als Stiftungsobjekt, Grablege, Ort offizieller Akte und nicht zuletzt als Höhepunkt der österreichischen Gotik war seine symbolische Bedeutung für das Regime unumstritten, wobei all diese Bezüge erst auf die Geschichte des habsburgischen Ausbaus ab dem frühen 14. Jahrhundert abzielten.
Alle großen kirchlichen Zeremonien wurden im Dom abgehalten, die im Austrofaschismus wiederbelebten Fronleichnamsprozessionen, Staatsbegräbnisse und offizielle Messen fanden im Dom statt, und Kanzler Dollfuß sollte 1934 gar vorschlagen, dort zukünftig den Bundespräsidenten von den Bürgermeistern wählen zu lassen: „[…] durch einen feierlichen Staatsakt, vielleicht sogar im historischen Dom zu St. Stephan.“64
Auch der Bezug zur Türkenbefreiung war traditionell am Stephansdom vorhanden. Der Südturm, dessen monumentale Silhouette auch für sich allein bis heute den Dom symbolisiert, hatte bis ins 19. Jahrhundert mehrere Bekrönungen, deren Inschriften – in Nachfolge des legendären „Mondscheins“, einer Kugel mit Halbmond und Stern – Bezug auf die Türkenbefreiung nahmen.65
Anlässlich des Katholikentags druckte die „Reichspost“ am 8. September 1933 auf ihrer Titelseite zum Auftakt des Katholikentags das 1884 am Stephansdom angebrachte Türkenbefreiungsdenkmal von Edmund Hellmer ab (Abbildung 8): Es zeigt eine Mondsichelmadonna, eine gegenreformatorische Ikonografie der Muttergottes, flankiert von Kaiser Leopold I. und Papst Innozenz XI. und brachte damit den Bezugsrahmen der Themen Habsburg/Kirche/Türkenabwehr neuerlich zu Bewusstsein.

Abbildung 8: Titelblatt der „Reichspost“ zum Katholikentag 1933
Ein weiterer wichtiger Bezugsort des Austrofaschismus war die Karlskirche, wo am Abend des 9. September 1933 die Eröffnung des Katholikentags stattfand. Die Karlskirche, „heiliger Tempelbezirk katholischen Glaubens und österreichischer Vergangenheit,“66 eine Stiftung Kaiser Karls VI. zum Ende der Pest und seinem Namenspatron St. Karl Borromäus, einem bedeutenden Heiligen der Gegenreformation, geweiht, bot als traditionell akklamierter Höhepunkt habsburgischer barocker Baukunst den idealen ideologischen und szenischen Hintergrund für den Auftakt. Zwischen den beiden antikisierenden Triumphsäulen der Fassade war ein kolossales Kreuz angebracht, vor dem die Ansprachen gehalten wurden (Abbildung 7).