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Abbildung 30: Karl Dirnhuber, Wettbewerbsprojekt für das Denkmal der Arbeit, 3. Preis (Profil 1935)
Vom Siegerprojekt hat nur die Stele von Ferdinand Opitz überlebt. In halbfertigen Zustand – die Unterschneidungen der Reliefs wurden nicht fertiggestellt – wurde sie 1951 in einem Gemeindebau in Heiligenstadt aufgestellt, wo sie sich problemlos als Kunst-am-Bau in den Zusammenhang der kommunalen Nachkriegswohnhausanlage fügt (Abbildung 31).

Abbildung 31: Heiligenstädter Straße 163, Ferdinand Opitz, Stele für das Denkmal der Arbeit, 1935 (unvollendet)
Die Arbeitsdarstellungen auf der Stele sind weder inhaltlich noch formal spezifisch austrofaschistisch kodiert, ähnlich wie der seine Fesseln sprengende Arbeiter im Projekt zur Umgestaltung des Lassalledenkmals (siehe Seite 59 ff.). Opitz’ Darstellungen fügten sich nahtlos in die ikonografische Tradition der Arbeiterdarstellungen, die im Roten Wien begonnen hatte und die nach 1945 in den kommunalen Wohnbauten des wieder sozialdemokratisch regierten Wien fortgesetzt wurde.
Die Überformung des Lassalledenkmals als „Befreiungsdenkmal“
Das Denkmal für den bedeutenden Wortführer der deutschen Arbeiterbewegung, Ferdinand Lassalle, ging auf eine private Initiative zurück. Die Brigittenauer Arbeiterinnen und Arbeiten ließen es zum 25. Jubiläum ihres Parlamentsabgeordneten Wilhelm Ellenbogen errichten und finanzierten es aus eigenen Mitteln; es war also kein Denkmal der offiziellen Sozialdemokratie oder einer ihrer Institutionen.192 Aufstellungsort war der Platz vor dem Winarskyhof, im Arbeiterbezirk Brigittenau an der nördlichen Peripherie Wiens inmitten einer Gruppe von Gemeindebauten gelegen. Der Ort wurde mit dem Entwerfer des Winarskyhofs, Oskar Strnad, abgestimmt.193 In einem Text formulierte der Entwerfer Mario Petrucci, „ein von den Bluthunden des Faschismus seiner Heimat vertriebener italienischer Künstler“,194 er sei froh, dass er dieses Denkmal „frei vom Konventionalismus der vielgeliebten Sockeln, Hermen, Obelisken und Balustraden […] gestalten durfte.“195 Dies fiel sogar der konservativen Presse auf, die vermeldete: Petrucci wolle „mit der üblichen Denkmalschablone brechen […]. Dies ist ihm sehr gründlich gelungen.“196
Der Künstler gestaltete einen dynamisch aus dem Pflaster des Platzes „herauswachsenden“, zwölf Meter hohen, geschwungenen und verjüngten, ebenfalls gepflasterten Sockel mit einer kleinen Tribüne auf halber Höhe und mit einer bekrönenden Porträtbüste Lassalles (Abbildung 32).

Abbildung 32: Ferdinand-Lassalle-Denkmal (zerstört; historische Ansichtskarte, Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotoarchiv Gerlach, FC1: 4615M)
Herausragendes Merkmal dieses Denkmals war die monumentale und expressive Dynamik, die durch das architektonische Element erzielt wurde. Die Architektur war auch Trägerin des Symbolwerts: Die Pflastersteine erwecken den Eindruck, das Monument schieße in einer gewaltigen dynamischen Eruption aus der Straße empor, ein Symbol der „Loslösung der Arbeiterschaft aus der bürgerlichen Gefolgschaft.“197 Die Darstellung Lassalles mit flammendem Haar unterstrich diesen dynamischen Aspekt. Verlagerung des Hauptakzents von der Denkmalskulptur zur Architektur als bestimmendes Medium hatte das Lassalledenkmal mit dem Republikdenkmal gemeinsam – auch als Unterscheidungsmerkmal zum herkömmlichen Figurendenkmal der Gründerzeit.
So viel symbolische Brisanz und Eigenständigkeit scheint den Austrofaschisten trotz des zentrumsfernen Standorts des Denkmals ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Vom 13. März 1934 ist ein Brief von Franz Effenberger, Obmann des Katholischen Männerbunds von Langenzersdorf, an den Bezirksvorsteher der Brigittenau erhalten, in dem Effenberger klagt, dass an dem Denkmal wegen seiner Lage nahe der Bahngleise „tausende Menschen vorüberkommen, weil ja alle Arbeiter- und Angestelltenzüge wie auch alle anderen Passagiere der Nord- und […] Nordwestbahnstrecke dort vorbeifahren müssen; ich selbst, als Bewohner von Langenzersdorf, gehöre auch zu diesen unfreiwilligen Lassalle-Pilgern. Seit Aufstellung dieses Judenkopfes vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in der Bahn in jedem Waggon eine abfällige Äußerung irgendeines Österreichers über diese Unzier zu hören ist.“ Der Schreiber schlägt vor, den Lassallekopf zu entfernen, durch ein Kreuz zu ersetzen und eine Inschrift mit dem Wortlaut „Dem Gedenken an die Opfer ihrer Gesinnung gewidmet Februar 1934“ anzubringen. Gemeint waren natürlich die Opfer von Heimwehr und Exekutive, die im Februar 1934 gewaltsam gegen die Sozialdemokraten vorgegangen waren.198
Im April 1934 wurden von der Stadt Wien Kostenvoranschläge für die Abtragung des Denkmals eingeholt, die sich als zu teuer erwies; mit seinem massiven Betonkern und den Granitsteinen war der Aufbau robuster als gedacht. Man einigte sich daher auf die Entfernung des Porträtkopfs und der Inschrift sowie der Gründungsurkunde, die dem Historischen Museum übergeben werden sollten. Aber zunächst wurden Büste und Inschrift nur verhüllt, der aussagekräftige Obelisk mit seiner starken symbolischen Bedeutung blieb bestehen.199 Er sollte nach dem Willen der austrofaschistischen Stadtverwaltung durch die Figur eines „Arbeiters, der die Fesseln des roten Terrors sprengt“, uminterpretiert werden. Diese Lösung regte der Bezirksvorsteher an, denn damit hätte „Wien sein erstes, imposantes und würdiges Befreiungsdenkmal.“200

Abbildung 33: Josef Neubacher/Karl Philipp, Entwurf zur Umgestaltung des Lassalledenkmals (FELLER, Kunst-am-Bau, 282)
Für den Entwurf zeichneten Josef Neubacher (Architektur) und Karl Philipp (Skulptur) verantwortlich (Abbildung 33). Auf die Tribüne des Obelisken stellten die Künstler eine frontal dargestellte männliche Figur, in langen Hosen, aber mit nacktem Oberkörper, was der geläufigen sozialdemokratischen Arbeiterikonografie entsprach und daher auf sehr ungeschickte Weise uneindeutig war: Breitbeinig und mit ausgestreckten Armen die gesprengten Fesseln präsentierend, hätte die Figur genauso gut die Befreiung des Arbeiters aus den Fesseln des Kapitalismus darstellen können. Daher war eine klärende Inschrift nötig: „Wien befreit/12. Februar 1934“, sollte sie lauten. Am Ende kam das Projekt nicht zur Ausführung, erst 1936 wurde die Büste entfernt, der Obelisk nach 1938 abgetragen.201
Die Ikonografie des Arbeiters, der die Fesseln sprengt, war sowohl in der Sozialdemokratie als auch im Nationalsozialismus verbreitet.202 Vor allem im Rahmen der austrofaschistischen Denkmalkultur kommt es oft zu nahezu verblüffenden Überschneidungen bei den Ikonografien, aber auch hinsichtlich der Inschriften: Mit „Opfern“ konnten Opfer der Februarkämpfe auf beiden Seiten gemeint sein, für Außenstehende hätte sich die politische Orientierung des Denkmals mit der Arbeiterfigur nicht erschlossen. Der Künstler des monumentalen Lassalleporträts, Mario Petrucci, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg für die Wiener Sozialdemokratie arbeiten sollte, wurde anlässlich einer Ausstellung seiner Arbeiten 1936 Ziel einer widerwärtigen anonymen Schmähschrift, die seinen Arbeiten „völlige Hemmungslosigkeit in der Wahl seiner Ausdrucksmittel“ attestierte.203
Die Dollfußdenkmäler
Am 25. Juli 1934 wurde Bundeskanzler Dollfuß während eines Putschversuchs der Nationalsozialisten im Bundeskanzleramt ermordet. Dadurch rückte er sofort ins Zentrum einer umfassenden Sakralisierung, die ihren Niederschlag in der Errichtung unzähliger Denkmäler, Gedenksteine und -kreuze, Kapellen, Gedenktafeln, Figuren und Ähnliches in ganz Österreich, in Umbenennungen von Straßen und Plätzen und in der Weihe vieler, auch neu errichteter Kirchen an seinen katholischen Namenspatron fand.204 Nach dem Tod des Kanzlers wurden im Ecksalon im Bundeskanzleramt ein Ewiges Licht, ein Porträtfoto und eine Mater-Dolorosa-Büste aufgestellt. Zunächst wurde im Bundeskanzleramt, unterhalb des Sterbezimmers, eine Gedenktafel angebracht.205 Bereits vier Tage nach dem Tod des Kanzlers schlug der Architekt Fritz Neumeier ein Dollfuß-Seipel-Denkmal am Ballhausplatz vor.
Das Begräbnis des Kanzlers legte wichtige Parameter der nachfolgenden Heldenverehrung fest. Dollfuß wurde zunächst in der Volkshalle des Rathauses aufgebahrt, dann über die habsburgisch und luegerisch konnotierte Ringstraße zum Stephansdom, einem weiteren nationalen Identifikationsort, gebracht und im Familiengrab am Hietzinger Friedhof bestattet.206 Als die von Dollfuß selbst noch mitinitiierte Grablege für den 1932 verstorbenen christlichsozialen Bundeskanzlers Ignaz Seipel nach einer Umplanung als Doppelgrabstätte für Seipel und Dollfuß fertig geworden war, wurden beide Kanzler exhumiert und in einem aufwändigen nächtlichen Spektakel in der Kirche beigesetzt, so dass die Genealogisierung Seipel – Dollfuß als Teil des Mythos in der Denkmalkirche sichtbar gemacht werden konnte (zur „Seipel-Dollfuß-Kirche“, eigentlich Pfarrkirche Neufünfhaus, siehe Seite 94 ff.). In einem Raum bei der Grabeskirche wurde das Sofa, auf dem der Kanzler verblutet war, wie eine Reliquie gezeigt.207 Diese Verehrung hat eine Parallele in jener der nationalsozialistischen „Blutfahne“, die das Blut der beim Münchner Putschversuch 1923 getöteten Nationalsozialisten aufgenommen hatte. Die „Märtyrer der Bewegung“ wurden in den Tempelbauten am Münchner Königsplatz in einem quasiliturgischen Ritual verehrt.208
Nach Dollfuß’ Ermordung setzte umgehend ein umfassender propagandistischer Personenkult um den „Märtyrer“ und „Heldenkanzler“ Dollfuß ein, den Lucile Dreidemy 2012 in ihrem Buch ausführlich thematisiert hat. Anweisungen zur Gestaltung von Gedenkfeiern wurden herausgegeben, Büsten, Porträts, Bilder, Reliefs, Denkmäler, Brunnen, Dollfuß-Kreuze etc. überschwemmten das Land. Anweisungen zur Abhaltung von Gedenkfeiern wurden dekretiert, der Todestag zum nationalen Trauertag erklärt, und Straßen und Plätze wurden nach Dollfuß benannt. Eine Reihe von Dollfußkirchen und -kapellen wurde errichtet und dem Patron des Kanzlers, dem hl. Engelbert geweiht (zum Beispiel auf der Hohen Wand, in Feistritz bei Groß-Siegharts, am Hochschwab, in Velden, Jois etc.). St.-Engelbert-Denkmäler entstanden auf der Wiener Höhenstraße, an der Gesäusestraße, und auf dem Großglockner. Beliebt waren auch die Dollfußkreuze (Packstraße, Bisamberg, St. Pölten, Klagenfurt, Maria Luggau, Eisenstadt etc.).209 Dollfußkerzen, -lieder (vor allem das „Jugendlied“: „Ihr Jungen, schließt die Reihen gut / Ein Toter führt uns an“) und -gedichte vervollständigten das kultische Instrumentarium.
Ein erstes Dollfußdenkmal war bereits zu Lebzeiten des Kanzlers für die Marienkapelle in der Michaelerkirche initiiert worden. Die Michaelerkirche gegenüber der Hofburg war die Heimatpfarrkirche der Familie Dollfuß, aber auch die ehemalige Hofpfarrkirche der Habsburger.210 Anlass war ein Attentat auf Dollfuß im Parlament am 3. Oktober 1933, als er vom Nationalsozialisten Rudolf Dertil angeschossen und leicht verletzt wurde.

Abbildung 34: Michaelerkirche, Hans Schwathe, Denkmal für Engelbert Dollfuß
Das Relief zeigt Dollfuß als Betenden, in einer intim-versunkenen Geste, die seine Gläubigkeit betont (Abbildung 34). Die Darstellung, die an einen Adoranten oder Stifter erinnert, erscheint wie ein Ausschnitt aus einem spätmittelalterlichen Altarbild und nimmt damit die spätere Sakralisierung des Kanzlers vorweg. Die Übertragung lebender Personen in Altarbilder, Sacre conversazioni etc. ist bereits von Karl Lueger her bekannt: Der Bürgermeister wurde zum Beispiel im Altarbild der Lainzer Versorgungshauskirche als Stifter dargestellt. Das Dollfußrelief wurde in der Kapelle zu der ebenfalls von Hans Schwathe gestalteten Altarwand in Beziehung gesetzt, die eine Madonnenfigur in einer expressionistisch gestalteten Mandorla und mit der Inschrift: „Unbefleckte Jungfrau, bitte für Österreich“ enthält. Die Kapelle wurde erst nach Dollfuß’ Tod fertiggestellt und konsekriert.211
Aspekte der Kanzlerverehrung reichten von politischen Genealogien (Lueger, Seipel) über den Helden und kaiserlichen Soldaten, die Identifizierung mit Christus, Christkönig und dem hl. Engelbert, das Bauernkind als „Sohn der Scholle“ bis hin zum „Führer mit menschlichem Antlitz“, der auf Fotos und Grafiken – anders als der unnahbar erscheinende Schuschnigg – gerne mit einem liebenswürdigen Lächeln abgebildet wurde. Lucile Dreidemy hat darauf hingewiesen, dass ein wesentliches Merkmal des Dollfußkults auf Identifikation und Sympathie beruhte und nicht, wie bei Hitler und Mussolini, auf der Evozierung von Furcht.212 Die Bandbreite der Darstellungen entsprach den zahlreichen Facetten der Person Dollfuß, die für einen Denkmalkult wie geschaffen schien.
Die Stadt Klosterneuburg rühmte sich des ersten Dollfußdenkmals nach dessen Tod in Österreich, einer Plakette, die den Kanzler in der Uniform der Kaiserjäger zeigte. Darunter stand zu lesen: „Ich wollte ja nur den Frieden, den anderen möge der Herrgott vergeben“213 – die angeblich letzten Worte des Kanzlers, in deutlicher Anspielung an Christi letzte Worte am Kreuz und angeblich auch die letzten Worte des hl. Engelbert, der ebenfalls von seinen Gegnern ermordet worden war.214
1935 wurde Dollfuß ein Denkmal in Form seines Namenspatrons, eines nie offiziell heiliggesprochenen Kölner Bischofs, gesetzt. An einer Kehre der Wiener Höhenstraße nahe Grinzing, wo Dollfuß 1934 den ersten Spatenstich für sein Prestigeprojekt gemacht hatte, wurde ein Denkmal nach Entwurf von Alexander Popp und Rudolf Schmidt errichtet (Abbildung 35). Popps Steinsockel ist bis heute erhalten (siehe dazu das Kapitel Infrastruktur). Die Figur von Rudolf Schmidt war aus einem stelenförmigen stehenden Steinblock herausgearbeitet und zeigte den mediävalisierend dargestellten Bischof in Art einer Liegegrabfigur,215 allerdings vertikal aufgestellt. Zu seinen Füßen befand sich ein Drache, den der Heilige mit seinem Bischofsstab durchbohrt, ein Attribut, das nicht zur kanonischen Darstellung des hl. Engelbert gehört, das aber viel Assoziationsspielraum gibt: Der den Drachen tötende hl. Georg, die gegenreformatische Madonna, die der Schlange stellvertretend für das Böse den Kopf zertritt, liegen nahe, aber auch die Identifizierung des Drachen mit dem politischen Gegner. Die blockgebundene Form der Skulptur assoziiert passend zum umgebenden Wienerwald Bildstöcke oder Wegkapellen, wie sie im ländlichen Bereich üblich waren. Der erste Bauabschnitt der Straße, zu deren Patron St. Engelbert ernannt wurde, mitsamt dem Denkmal wurde am 16. Oktober 1935 eröffnet.216

Abbildung 35: Alexander Popp/Rudolf Schmidt, Dollfußdenkmal an der Höhenstraße bei der Eröffnung (APA Picture Desk/IMAGNO)
In den Städten wurden einige monumentale Dollfußdenkmäler auf zentralen Plätzen aufgestellt, etwa in St. Pölten und Graz. Das St. Pöltner Denkmal (Abbildung 36) bestand aus einem Stufensockel mit einer hohen, kantigen Stele mit Rechteckgrundriss, an deren Schmalseite eine vergleichsweise kleine Porträtdarstellung angebracht war, so dass der architektonische Denkmalcharakter dominierte. Das Denkmal wurde von Rudolf Wondracek entworfen und ebenso wie das Grazer Dollfußdenkmal bereits am 12. März 1938 abgerissen. Das Grazer Denkmal war ebenfalls eine hohe, schlanke Stele mit einer bekrönenden überlebensgroßen Porträtbüste von Gustinus Ambrosi.217

Abbildung 36: Rudolf Wondracek, Dollfußdenkmal St. Pölten (zerstört; www.austria-forum.org.)
Eine architektonische, oft sehr monumentale Sonderform des Dollfußmals waren die sogenannten Dollfußkreuze, die einerseits als Grabkreuze gedeutet werden können, andererseits unausgesprochen eine Verbindung zwischen dem „Opfertod“ Dollfuß’ und dem Tod Christi am Kreuz herstellten. In diesem Zusammenhang sind wiederum Dollfuß’ angebliche letzte Worte von Bedeutung. Das monumentale Kreuz an der Packer Höhenstraße (Entwurf Wilhelm Göser, Höhe acht Meter218) wirkte mit seiner schlanken Basis, dem nach oben hin verbreitertem Schaft und damit der Umkehrung der traditionellen Proportionsverhältnisse relativ modern. Der Querbalken trug die Inschrift „Christus regnat“, an der Basis war ein Wappenrelief eingearbeitet. Dollfußkreuze waren weit verbreitet, vielleicht auch, weil sie auch preiswert aus Holz gefertigt werden konnten. Es gab solche Kreuze zum Beispiel in Salzburg, auf dem Braunsberg nahe Hainburg, bei Werfenweng, in Klosterneuburg usw. Sogar die österreichische Siedlung Babenberg in Brasilien leistete sich ihr eigenes Dollfußkreuz.219
Die Überziehung Österreichs mit Dollfußdenkmälern unterschiedlichster künstlerischer Qualität war 1936 sogar dem „Profil“ zu viel. Angesichts von zweifelhaften Dollfußbüsten aus Zuckerguss und unfreiwillig komischen Schuschniggporträts in Marzipan und Schokolade (Abbildung 37) donnerte das ansonsten regimetreue Organ der Architektenvereinigung entschlossen: „Fort mit dem patriotischen Kitsch!“220

Abbildung 37: Dollfuß- und Schuschniggdarstellungen aus Marzipan, Zuckerguss und Schokolade (Profil 1936, 568)
Nationales Kanzlergedenken: Dollfußdenkmal oder „Dollfuß-Führerschule“?
Bald wurde der Wunsch nach einem größeren und gesamtnationalen Dollfußdenkmal laut. Die Bundesregierung richtete Spendenaufrufe an die Bevölkerung. Bald polarisierte sich die Diskussion: Sollte ein klassisches Monument errichtet werden oder ein Forum, das verschiedene Funktionen in einem großen Komplex bündeln konnte? Kanzler Schuschnigg war ein Verfechter der letzteren Version.221 Ein Vorschlag für einen gigantischen Memorialkomplex mit Denkmal, Kapelle und Ausbildungsstätten auf dem Kahlen- oder Leopoldsberg wurde nur kurz thematisiert.222 Die beiden Berge waren bereits zuvor mehrfach als Standorte projektierter Denkmalbauten im Gespräch gewesen.223
Weitere Anregungen datieren aus 1935, als die Witwe Alwine Dollfuß ein Denkmal im Umkreis des Bundeskanzleramts vorschlug. Über Form und Typ – Kapelle, Stadtbild, Porträt – sollte ein künstlerischer Ausschuss entscheiden, der einen Wettbewerb für alle österreichischen Künstler auszuschreiben hatte.224 Dieses Denkmal war zur wandfesten Anbringung an der Fassade des Bundeskanzleramts gedacht. Der Wettbewerb brachte kein Siegerprojekt; zwei zweite Preise gingen an Ernst Lichtblau und Peydl/Schilhab, die ihre Entwürfe überarbeiten sollten. Nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Anbringung am Gebäude wurde das Projekt schließlich fallen gelassen.225
In der Folge wurden Denkmalidee und Projekt eines Dollfuß gewidmeten Infrastrukturbaus auf zwei Standorte aufgeteilt. Die „Dollfuß-Führerschule“ sollte nach einigem Hin und Her in stark reduzierter Form im Schönbrunner Fasangarten gebaut werden (siehe dazu Seite 70), das Denkmal war für den zentralen Ballhausplatz vorgesehen.
Das Dollfuß-Denkmal auf dem Ballhausplatz
Im Jahr 1936 wurde für ein Dollfußdenkmal auf dem Ballhausplatz durch das Denkmalkomitee der Vaterländischen Front ein beschränkten Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem die Architekten Clemens Holzmeister, Eugen Kastner/Fritz Waage, Hermann Stiegholzer/Herbert Kastinger und Josef Heinzle/Stefan Simony eingeladen wurden.226 Der Ballhausplatz mit dem Bundeskanzleramt als Regierungssitz und mit der kaiserlichen Burg wurde als Zentrum der Macht, als „österreichischster aller Plätze“, so Kanzler Schuschnigg, gesehen.227 Aus den drei Entwürfen wählte nicht etwa eine Jury, sondern „der Frontführer [Schuschnigg, d. A.]“ selbst – weder das zurückhaltende Projekt von Heinzle/Simony noch die asymmetrische, moderne Lösung von Kastner & Waage, sondern das konservative und symmetrische Projekt von Clemens Holzmeister mit seinem sepulkralen Charakter (Abbildung 38).

Abbildung 38: Clemens Holzmeister, Projekt für ein Dollfußdenkmal auf dem Ballhausplatz (Profil 1936, 444)
Der geplante Standort dieses Denkmals, dessen Grundstein am 18. Oktober 1936 zusammen mit jenem des nahe gelegenen Hauses der Vaterländischen Front (siehe Seite 133) gelegt wurde, ist bis heute sichtbar: Eine rechteckige Ausnehmung des Volksgartens ist dort von einem Zaun umgeben, der links von einem Pfeiler aus den lanzenförmigen Gusseisenelementen der gründerzeitlichen Einfriedung besteht, während die stilistierten Lanzen rechts vom Pfeiler das Denkmalgebiet von 1936 ausgrenzen und bezeichnen (Abbildung 39).

Abbildung 39: Ballhausplatz, Einfriedung des Burggartens am geplanten Standort des Dollfußdenkmals
In der Ausnehmung, in die das Dollfußdenkmal zu stehen kommen sollte, befindet sich seit 2014 das Denkmal für die Opfer der NS-Justiz von Olaf Nikolai.
Clemens Holzmeister verlängerte in seinem Projekt die Löwelstraße bis zum Leopoldinischen Trakt der Hofburg. Dort schlug er im Anschluss an den Volksgarten ein 40 Meter langes, zehn Meter breites und um zwei Meter tiefer gelegtes Rasenparterre mit seitlichen Treppen vor (Abbildung 40), das mit einem hohen Gitter umschlossen werden sollte. Diese Umfriedung hätte in Verlängerung des Leopoldinischen Trakts und entlang der Außenseite des Denkmals den Ballhausplatz vom Heldenplatz getrennt.228 Diese Absperrung hätte nicht nur den Regierungssitz gesichert, sondern auch in bestürzender Weise den Ausschluss der Öffentlichkeit von den am Ballhausplatz autoritär geführten Regierungsgeschäften abgebildet.

Abbildung 40: Clemens Holzmeister, Projekt für das Dollfußdenkmal am Ballhausplatz, Lageplan (Profil 1936, 445)
Inmitten des Parterres projektierte Holzmeister einen Werksteinsockel mit einem Kruckenkreuz, der einen etwas vorkragenden liegenden Steinblock mit den Maßen 10 mal 3,5 mal 2,3 Metern tragen sollte. An seiner Frontseite war ein Steinrelief geplant, das den Kanzler als Schöpfer des „Neuen Österreich“ inmitten der Jugend und der Stände zeigen sollte. Die Oberkante des Reliefsteins sollte bündig mit der Einfriedung abschließen. Mit dem Block, der in seiner Aufstellung als überdimensionale Altarmensa oder als Sarkophag erschien, und der Vertiefung im Rasenparterre, das nach Norden durch eine Baumreihe abgeschlossen wurde, paraphrasierte der Entwurf in vordergründiger Symbolik eine monumentalisierte Grabstätte.
Weitaus transparenter erschien der Entwurf von Kastner & Waage, der den Platz nach Norden und Westen hin zwar durch Mauern abschloss, über breite Tore mit Gittereinsätzen aber Sichtverbindungen in die Umgebung ermöglichte. Das eigentliche Denkmal war im Nordwesten der Anlage außermittig positioniert: Ein in die Umfassungsmauer integrierter, rechteckiger Pavillon in der beschriebenen Ausnehmung des Volksgartens, der im Norden und Osten geschlossen, an den beiden anderen Seiten aber mit einem Eckpfeiler offen gestaltet und flach gedeckt war. Hier sollten Plastik und Inschriften angebracht werden.






