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Es lag aber nicht in der Natur des Metaphysikers, sich der Frage zu enthalten, woher dieses außergewöhnliche Verhalten stamme; und Seine Majestät antwortete würdig, befriedigend und ohne Zögern.
»Augen? mein lieber Bon-Bon, Augen? Sagtest du nicht so? – oh! – ah! – Ich verstehe. Die lächerlichen Drucke, die im Umlauf sind, haben dir eine falsche Vorstellung von meinem Äußeren beigebracht. Augen, Pierre Bon-Bon, sind gut und schön an ihrem richtigen Orte – der ist, wie du behaupten möchtest, der Kopf? Richtig – der Kopf eines Wurms. Auch dir sind diese Sehwerkzeuge unentbehrlich, ich werde dich aber überzeugen, daß meine Sehkraft durchdringender ist als die deine. In der Ecke dort sehe ich eine Katze, eine hübsche Katze; sieh sie dir an, beobachte sie gut. Nun, Bon-Bon, kannst du ihre Gedanken erkennen – die Gedanken, sage ich, die Überlegungen, die Vorstellungen, die sich in ihrem Schädel entwickeln? Da hast du's ja – du kannst es nicht. Sie denkt, daß wir die Länge ihres Schwanzes und die Tiefgründigkeit ihres Gemütes bewundern. Sie ist eben mit sich darüber ins reine gekommen, daß ich der ausgezeichnetste aller Priester bin und daß sie in dir den oberflächlichsten aller Metaphysiker erblickt. Du siehst also, daß ich keineswegs ganz blind bin; aber für einen meines Standes würden die Augen, von denen du sprichst, nur eine Last und im übrigen jederzeit der Gefahr ausgesetzt sein, durch eine Röstgabel oder durch eine Ofengabel aus den Höhlen gerissen zu werden. Ich gestehe allerdings zu, daß dir diese optischen Dinger hier unentbehrlich sein mögen. Bemühe dich also, Bon-Bon, sie gut zu gebrauchen; – meine Sehkraft aber liegt im Innern.«
Hierauf schenkte sich der Gast von dem Weine ein, der auf dem Tische stand, schenkte auch Bon-Bons Humpen voll und forderte ihn auf, ohne Bedenken zu trinken und sich ganz wie zu Hause zu fühlen.
»Dein Buch hier ist tatsächlich hervorragend, Pierre«, mit diesen Worten nahm Seine Majestät die Unterhaltung wieder auf und klopfte ihrem Freund verständnisvoll auf die Schulter, gerade als letzterer sein Glas niedersetzte, nachdem er seine unbedingte Zustimmung zur Rede des Gastes zu erkennen gegeben hatte. »Dein Buch ist gut gemacht, auf Ehre, es ist ein Werk nach meinem Sinne. Immerhin könnte, meiner Meinung nach, in der Sache noch manches verbessert werden, und manche Begriffe erinnern an Aristoteles. Dieser war einer meiner allerintimsten Bekannten. Ich hatte eine große Zuneigung zu ihm wegen seines schrecklich schlechten Charakters und wegen seiner herrlichen Fertigkeit, Verwirrung anzurichten. Nur eine wirklich begründete Wahrheit ist in allem zu finden, was er schrieb, und die habe ich ihm eingegeben aus purem Mitleid mit seiner Albernheit. Ich vermute, Pierre Bon-Bon, daß du wohl weißt, von welcher herrlichen Lehre hier die Rede ist?«
»Ich kann nicht behaupten, daß ich – – –«
»Wirklich? Nun, ich war es, der Aristoteles beibrachte, daß die Menschen durch das Niesen überschüssige Gedanken auf dem Wege des Gesichtsvorsprunges entfernen.«
»Und das ist – hup! – zweifellos auch der Fall«, sagte der Metaphysiker, füllte sich zu gleicher Zeit seinen Humpen aufs neue mit Champagner und bot dem Gaste seine Schnupftabaksdose hin.
»Auch zu Plato,« fuhr Seine Majestät fort, indem Sie die Schnupftabaksdose und das damit verbundene Kompliment bescheiden ablehnte, »auch zu Plato fühlte ich einst freundschaftliche Zuneigung. Du kennst Plato, Bon-Bon? – Ah, nein, bitte tausendmal um Entschuldigung. Er traf mit mir eines Tages im Parthenon von Athen zusammen und sagte mir, daß er um eine Idee verlegen sei. Ich forderte ihn auf, niederzuschreiben, daß ὁ νους ἐστιν αὐλος. Er sagte, dies würde er tun und ging nach Hause, während ich mich hinüber zu den Pyramiden begab. Aber mein Gewissen strafte mich, weil ich eine Wahrheit geäußert hatte, wenn auch nur, um einem Freunde zu helfen. Ich eilte zurück nach Athen und kam hinter dem Stuhle des Philosophen an, als er gerade das Wort αὐλος niederschrieb.
Nun gab ich schleunigst dem Lambda einen Nasenstüber mit meinem Finger, so daß es auf dem Kopfe stand. Der Satz steht also jetzt folgendermaßen da: ὁ νους ἐστιν αὐγος und dieser Satz ist, wie dir bekannt sein wird, die Grunddoktrin seiner metaphysischen Schriften.«
»Waren Sie jemals in Rom?« fragte der Restaurateur, als er seine zweite Flasche Champagner austrank und für eine genügende Zufuhr von Chambertin sorgte.
»Nur einmal, Herr Bon-Bon, nur ein einziges Mal,« sprach der Teufel in einem Tone, als sagte er etwas Auswendiggelerntes her. »In früheren Zeiten herrschte dort fünf Jahre lang Anarchie. Während dieser Zeit war die Republik aller ihrer Beamten beraubt und hatte keine Oberleitung außer der der Volkstribunen, denen aber keinerlei Exekutivmacht zuband; damals, Herr Bon-Bon, damals war ich zum einzigen Male in Rom, und so kann ich keinerlei irdische Verbindung mit den dortigen Philosophen haben.«
»Wie denken Sie über – wie denken Sie über – hup! – Epikur?«
»Was ich über wen denke?« rief der Teufel im Tone höchstens Erstaunens. »Es fällt Ihnen doch wohl kaum bei, Epikur irgendwie zu tadeln. Was ich über Epikur denke. Meinen Sie mich damit, Herr? – Ich bin Epikur. Ich bin derselbe Philosoph, der jene hundert Abhandlungen erfaßte, die Diogenes Laertes bewahrte.«
»Das ist eine Lüge.« schrie der Metaphysiker, denn der Wein war ihm ein wenig zu Kopfe gestiegen.
»Sehr gut! – sehr gut, mein Herr! – wirklich sehr gut, mein Herr.« sagte Seine Majestät offenbar ungeheuer geschmeichelt.
»Das ist eine Lüge.« wiederholte der Restaurateur gebieterisch; »das ist eine – hup! – eine Lüge.«
»Gut, gut, wie du willst!« sagte der Teufel in beschwichtigendem Tone, und Bon-Bon, der Seine Majestät in der einen Streitfrage geschlagen hatte, hielt es für seine Pflicht, eine zweite Flasche Chambertin zu beendigen.
»Wie ich schon gesagt habe,« fuhr der Besucher fort – »wie ich schon vorhin bemerkt habe, finden sich einige sehr outrierte Begriffe in Ihrem Buche, Herr Bon-Bon. Was zum Beispiel wollen Sie mit all dem Schwindel betreffs der Seele sagen? Aber, bitte, was ist die Seele?«
»Die – hup! – Seele«, antwortete der Metaphysiker, indem er sich auf sein Manuskript bezog, »ist unzweifelhaft – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Ganz zweifellos – – –«
»Nein, mein Herr.« »Unbestreitbar – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Erwiesenermaßen – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Unstreitig – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Hup! – – –«
»Nein, mein Herr.«
»Und ohne jede Frage ein – – –«
»Nein, mein Herr, die Seele ist nichts dergleichen.«
(Hier nahm der Philosoph, indem seine Augen Blitze schossen, die Gelegenheit wahr, auf einen Schlag seiner dritten Flasche Chambertin ein Ende zu bereiten.)
»Dann – hup! – bitte, mein Herr, – was – was ist sie?«
»Gehört nicht hierher, Herr Bon-Bon,« antwortete Seine Majestät in tiefem Nachdenken. »Ich habe einige sehr schlechte, aber auch einige recht gute Seelen genossen – das heißt gekannt.« Dabei leckte er sich die Lippen, und seine Hand berührte unbewußt den Band in seiner Tasche, worauf er in einen heftigen Niesanfall ausbrach.
Er fuhr fort:
»Die Seele von Cratinus – leidlich; Aristophanes – pikant; Plato – köstlich; nicht dein Plato ist hier gemeint, sondern der Lustspieldichter gleichen Namens; bei deinem Plato würde dem Zerberus selbst übel geworden sein – pfui. Also weiter! Naevius, Andronicus, Plautus, Terenz. Dann Lucilius, Catull, Naso, Quintus Flaccus – das gute Quintchen. wie ich ihn nannte, als er zu meiner Belustigung ein Faeculare vortrug, während ich ihn in bester Laune auf einer Gabel briet. Aber es fehlt diesen Römern an Aroma. Ein fetter Grieche ist ein Duzend von ihnen wert, hält sich außerdem vorzüglich, was man aber von den Quiriten nicht behaupten kann. Jetzt probieren wir deinen Sauternes.«
Als die Sache nun so weit gediehen war, hatte sich Bon-Bon zum nil admirari durchgerungen und ließ es sich angelegen sein, die geforderten Flaschen herüberzureichen. Zugleich aber drang ein merkwürdiges, im Raume deutlich vernehmbares Geräusch an sein Ohr, das wie Schwanzwedeln klang. Trotzdem nun der Philosoph dies Benehmen Seiner Majestät höchst unschicklich fand, so gab er sich doch den Anschein, als achte er nicht darauf, gab nur dem Hunde einen Fußstoß und befahl ihm, sich ruhig zu verhalten.
»Ich habe gefunden, daß Horaz und Aristoteles sich im Geschmacke ziemlich ähnlich waren; – Sie wissen, ich liebe Abwechslung. Terenz und Menander konnte ich kaum unterscheiden. Naso entpuppte sich zu meiner Verwunderung als ein anders zubereiteter Nicander. Virgil hatte einen starken Beigeschmack nach Theokrit. Martial erinnerte mich lebhaft an Archilochus, Titus Livius war ganz und gar derselbe wie Polybius.«
»Hup!« – antwortete Bon-Bon, und Seine Majestät fuhr fort:
»Doch meine ganze Neigung, so weit ich überhaupt eine besitze, gehört den Philosophen, aber, Herr Bon-Bon – das eine ist zu beachten: nicht jeder Teuf – – will sagen nicht jeder Mann ist imstande, einen Philosophen richtig auszuwählen. Die Langen taugen nichts; und die Besten werden durch die Einwirkung der Galle etwas ranzig, wenn sie nicht sorgsam ausgeschält werden.«
»Ausgeschält?«
»Ich meine damit natürlich, aus dem Leichnam herausgenommen.«
»Was ist Ihre Ansicht über die – hup! – Ärzte?«
»Erwähnen Sie die nicht! – brr.« – (Hier würgte der Ekel Seine Majestät heftig.) »Ich habe nur ein einzigesmal einen gekostet – diesen elenden Hippokrates. – Er roch nach asa foetida – brr! brr! brr! – ich erwischte einen scheußlichen Schnupfen, als ich ihn im Styx abwusch, und nachher hing er mir die Cholera an.«
»Dieser – hup! – Lump.« stieß Bon-Bon hervor, »diese – hup! – Mißgeburt einer Pillenschachtel.« – und der Philosoph vergoß eine Träne.
»Schließlich,« fuhr der Besucher fort, »schließlich, wenn ein Teuf ... wenn ein Mann leben will, muß er mehr als ein oder zwei Talente haben; und bei uns gilt ein fettes Gesicht als Zeichen diplomatischer Veranlagung.«
»Wieso?«
»Es geht uns manchmal äußerst schlecht mit der Ernährung. Du mußt wissen, daß in einem so drückend heißen Klima, wie das meine ist, oft keine Möglichkeit besteht, einen Geist länger als zwei bis drei Stunden am Leben zu erhalten; nach dem Tode aber – riechen sie – du verstehst doch, nicht? – wenigstens wenn sie nicht augenblicklich eingepökelt werden (und eingepökelter Geist schmeckt nicht gut). Es besteht immer die Gefahr der Verwesung, wenn die Seelen uns auf dem gewöhnlichen Wege zugesandt werden.«
»Hup! – hup! – heiliger Gott. wie richten Sie es denn ein?«
In diesem Moment hob die eiserne Lampe mit verdoppelter Gewalt hin- und herzuschwingen an, und der Teufel fuhr halb von seinem Sitze auf. Bald jedoch faßte er sich wieder, stieß einen leisen Seufzer aus und sprach mit leiser Stimme: »Ich will dir etwas sagen, Pierre Bon-Bon, wir dürfen keine Verwünschungen mehr laut werden lassen.«
Der Wirt stürzte wieder einen Humpen voll hinab, um dadurch seine Einwilligung und sein volles Verständnis auszudrücken, und der Besucher fuhr fort:
»Nun also, man kann sich auf verschiedene Weise einrichten. Die meisten von den Unsrigen verschmachten, einige begnügen sich mit Eingepökeltem; ich meinerseits ziehe es vor, die Geister vivente corpore zu kaufen; ich finde, auf diese Art halten sie sich sehr gut.«
»Aber der Körper! – hup! – der Körper!«
»Der Körper, der Körper – nun was soll die Frage? – Ach! ja! ich verstehe. Nun, der Körper wird durch den Handel gar nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ich habe in meinem Leben zahllose Geschäfte dieser Art abgeschlossen, und die andere Partei hat sich nie irgendwie dadurch belästigt gefühlt. Kain, Nimrod, Nero, Caligula, Dionys, Pisistratus und – und tausend andere wußten im späteren Lebensalter nichts davon, was es heißt, eine Seele zu haben; trotzdem waren diese Männer eine Zierde der Gesellschaft. Und dann A ..., den Sie so gut kennen wie ich? Ist er nicht im Vollbesitze seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten? Wer schreibt ein scharfsinnigeres Epigramm? Wer urteilt geistreicher? Wer – aber halt! sein Pakt steht ja in meinem Taschenbuche.«
Mit diesen Worten zog er eine flache Brieftasche aus rotem Leder aus seiner Tasche und entnahm ihr eine Anzahl Papiere. Bon-Bon gelang es, auf dem einen oder anderen einige unzusammenhängende Silben zu erspähen: »Machi ..., Maza ..., Robesp ...« – dann auch ganze Worte: »Caligula, George, Elisabeth.« Seine Majestät suchte einen schmalen Pergamentstreifen heraus und las laut die folgenden Worte vor:
»In Anerkennung gewisser geistiger Gaben, auf deren Aufzählung hier einzugehen nicht nötig ist, außerdem in Anerkennung von eintausend Louis d'or trete ich hiermit dem Inhaber dieses Paktes alle meine Rechte, Titel, und Pertinenzien an dem Schatten ab, der sich meine Seele nennt. (gezeichnet) A .....« (Nun nannte Seine Majestät einen Namen. Ich fühle mich nicht berechtigt, ihn in klarerer Weise anzudeuten.)
»Ein gewandter Bursche,« fuhr jener fort; »aber, wie du, lieber Bon-Bon, war er gründlich über die Seele im Irrtum. Du lieber Gott, die Seele ein Schatten. Die Seele ein Schatten! Ha! ha! ha! – he! he! he! – hu! hu! hu! Stell dir nur einmal einen frikassierten Schatten vor!«
»Man stelle sich – hup! – einen frikassierten Schatten vor!« rief unser Held, dessen Geisteskräfte durch die tiefsinnigen Reden Seiner Majestät aufs äußerste angefeuerte wurden. »Man stelle – hup.–sich einen frikassierten Schatten vor. Nun, hol mich der Teufel! – hup! – hm! Als ob ich solch ein – hup! – Einfaltspinsel wäre! Meine Seele, Herr – hm!«
»Ihre Seele, Herr Bon-Bon?«
»Ja! mein Herr – hup! – meine Seele ist – –«
»Was, mein Herr?«
»Kein Schatten, zum Teufel nochmal!«
»Wollten Sie vielleicht behaupten – – –«
»Ja, mein Herr, meine Seele ist – hup! – hm! – ja, mein Herr.«
»Hatten Sie nicht die Absicht, zu erklären – – –«
»Meine Seele ist – hup! – besonders geeignet für – hup! – ein – – –«
»Was, mein Herr?«
»Stew.«
»Ha!«
»Soufflee.«
»Oh.«
»Frikassee.«
»In der Tat.«
»Ragout und Frikandeau – und nun paß auf, mein guter Bursch. Ich werde es dir zukommen lassen – hup! ein Handel.« Er klopfte Seine Majestät auf den Rücken.
»Ausgeschlossen«, sagte letztere ruhig, und damit erhob sie sich. Der Metaphysiker starrte sie an.
»Für den Augenblick bin ich genügend versehen,« sagte Seine Majestät.
»Hu – up! – wa–as?« sprach der Philosoph.
»Momentan ohne Pekunia.«
»Was?«
»Außerdem wäre es meinerseits sehr schofel – – –«
»Mein Herr.«
»Vorteil ziehen zu wollen – von – – –«
»Hup.«
»Ihrer gegenwärtigen widerlichen und unschicklichen Verfassung.«
Der Besucher verbeugte sich und zog sich zurück – wie er dies bewerkstelligte, konnte nicht genau festgestellt werden –, der Metaphysik aber machte eine Anstrengung, eine Flasche nach »dem Schurken« zu schleudern, die dünne Kette, die vom Plafond herabhing, riß auseinander, und der Philosoph wurde durch die herabstürzende Lampe zu Boden gestreckt.
Ils écrivaient sur la philosophie (Cicero, Lucretius, Seneca), mais c'était la philosophie grecque. – Concorcet.
Wer? Arouet.
Das Faß Amontillado
Alle die tausend kränkenden Reden Fortunatos ertrug ich, so gut ich konnte, als er aber Beleidigungen und Beschimpfungen wagte, schwor ich ihm Rache. Ihr werdet doch nicht annehmen – ihr, die ihr so gut das Wesen meiner Seele kennt –, daß ich eine Drohung laut werden ließ. Einmal würde ich gerächt sein! Aber die Bestimmtheit, mit der ich meinen Entschluß faßte, verbot mir alles, was mein Vorhaben gefährden konnte. Ein Unrecht ist nicht bestraft, wenn den Rächer Vergeltung trifft für seine Rachetat; es ist auch nicht bestraft, wenn es dem Rächer nicht gelingt, sich als solcher seinem Opfer zu zeigen.
Es muß vorausgeschickt werden, daß ich Fortunato weder mit Wort noch Tat Grund gegeben, meine gute Gesinnung anzuzweifeln. Ich war weiter liebenswürdig zu ihm, und er gewahrte nicht, daß mein Lächeln jetzt dem Gedanken seiner Vernichtung galt.
Er hatte eine Schwäche, dieser Fortunato – obschon er in anderer Hinsicht ein geachteter und sogar gefürchteter Mann war. Er brüstete sich damit, daß er ein Weinkenner sei. Nur wenige Italiener besitzen den wahren Kunstverstand. Sie begeistern sich meist nur für eine einzige Sache: für betrügerische Manipulationen gegenüber britischen und österreichischen Millionären. In der Beurteilung von Bildern und Edelsteinen war Fortunato, gleich seinen Landsleuten, ein unwissender Prahlhans, in bezug auf alte Weine aber hatte er ein ehrliches und sicheres Urteil. Hierin stand ich selbst ihm kaum nach; ich kannte die italienischen Weine gut und kaufte viel, sooft sich mir günstige Gelegenheit bot.
Es war in der tollen Karnevalszeit, als ich an einem dämmerigen Abend meinem Freunde begegnete. Er begrüßte mich mit übertriebener Wärme, denn er hatte viel getrunken. Der Mann war maskiert. Er trug ein enganliegendes, zur Hälfte gestreiftes Gewand, und auf seinem Kopfe erhob sich die konisch geformte Narrenkappe. Ich freute mich so sehr, ihn zu sehen, daß ich gar kein Ende finden konnte, ihm die Hand zu schütteln.
Ich sagte zu ihm: »Mein lieber Fortunato, es freut mich, dich zu treffen. Wie prächtig du heute aussiehst – außerordentlich wohl! Doch höre: ich habe ein Faß Wein bekommen, das für Amontillado gilt, und ich habe meine Zweifel.«
»Wie?« sagte er, »Amontillado? Ein Faß? Unmöglich! Und mitten im Karneval?«
»Ich habe meine Zweifel«, erwiderte ich. »Und ich war töricht genug, den vollen Amontillado-Preis zu zahlen, ohne dich erst zu Rate zu ziehen. Du warst nicht zu finden, und ich fürchtete, durch eine Verzögerung den ganzen Handel zu verlieren.«
»Amontillado!«
»Ich habe meine Zweifel.«
»Amontillado!«
»Und ich muß sie zum Schweigen bringen.«
»Amontillado!«
»Da du beschäftigt bist, werde ich Luchesi aufsuchen. Wenn einer ein kritisches Urteil hat, ist er es. Er wird mir sagen –«
»Luchesi kann Amontillado nicht von Sherry unterscheiden!«
»Und doch behaupten so ein paar Narren, daß sein Weinverstand dem deinigen gleichkomme.«
»Komm, laß uns gehen.«
»Wohin?«
»In deine Kellereien.«
»Nein, mein Freund; ich will nicht deine Gutmütigkeit ausnützen. Ich sehe, du bist beschäftigt. Luchesi –«
»Ich bin nicht beschäftigt, komm!«
»Lieber Freund, nein! Es ist ja nicht nur das, daß du etwas anderes vorhattest; du bist ernstlich erkältet. Die Kellergewölbe sind unerträglich feucht. Sie haben eine Salpeterkruste angesetzt.«
»Laß uns trotzdem gehen! Die Erkältung ist nicht der Rede wert. Amontillado! Man hat dich betrogen; und Luchesi – der kann Sherry von Amontillado nicht unterscheiden.«
Mit diesen Worten zog Fortunato mich fort. Ich nahm eine schwarze Seidenmaske vors Gesicht, hüllte mich dicht in meinen Mantel und duldete, daß er mich eilends zu meinem Palazzo geleitete.
Die Dienerschaft war nicht zu Hause; der Karneval hatte sie hinausgelockt. Ich hatte den Leuten gesagt, daß ich nicht vor dem nächsten Morgen heimkommen würde, und ihnen streng verboten, sich aus dem Hause zu rühren. Ich wußte, daß dies genügte, damit alle zusammen, sobald ich ihnen den Rücken wandte, davonliefen.
Ich nahm aus den Ringen an der Wand zwei Fackeln, gab Fortunato eine davon und komplimentierte ihn durch mehrere Zimmerreihen in den Bogengang, der zu den Gewölben führte. Ich schritt eine lange gewundene Treppe hinab und bat ihn, mir vorsichtig zu folgen. Endlich kamen wir unten an und standen zusammen in der feuchten Tiefe der Katakomben der Montresors.
Der Gang meines Freundes war unsicher, und die Schellen an seiner Kappe klingelten bei jedem Schritt.
»Das Faß!« sagte er.
»Das ist weiter hinten«, antwortete ich. »Siehst du das weiße Gewebe, das da ringsum von den Kellermauern leuchtet?«
Er wandte sich mir zu und sah mir in die Augen. Seine Blicke waren feucht von Schnupfen und Trunkenheit.
»Salpeter?« fragte er schließlich.
»Salpeter«, erwiderte ich. »Wie lange hast du schon diesen Husten?«
Er hustete, hustete, hustete. Mein armer Freund konnte minutenlang keine Antwort geben.
»Es ist nichts«, erwiderte er dann.
»Komm«, sagte ich sehr bestimmt, »wir wollen umkehren; deine Gesundheit ist kostbar. Du bist reich, geachtet, bewundert, geliebt; du bist glücklich, wie ich einst war. Du würdest eine Lücke hinterlassen. Um mich ist es nicht schade. Wir wollen umkehren! Du wirst krank werden, und ich kann das nicht verantworten. Übrigens kann ja Luchesi –«
»Genug!« sagte er. »Der Husten ist ganz belanglos; er wird mich nicht umbringen. Ich werde nicht daran zugrunde gehen.«
»Wahr – wahr«, erwiderte ich. »Wirklich, ich hatte nicht die Absicht, dich unnötig zu beunruhigen – aber du solltest die Vorsicht nicht außer acht lassen. Ein Schluck Médoc wird uns vor der Einwirkung der Dünste schützen.«
Bei diesen Worten zog ich aus einer langen Flaschenreihe, die längs der Mauer auf der Erde lag, eine Flasche hervor und schlug ihr den Hals ab.
»Trink«, sagte ich und bot ihm den Wein. Er setzte ihn an die Lippen. Er hielt inne und nickte mir vertraulich zu; seine Glöckchen klingelten.
»Ich trinke«, sagte er, »auf die Toten, die hier unten ruhen.«
»Und ich auf dein langes Leben!«
Er nahm von neuem meinen Arm, und wir gingen weiter.
»Diese Gewölbe«, sagte er, »sind weitläufig.«
»Die Montresors«, erwiderte ich, »waren eine große und zahlreiche Familie.«
»Ich vergaß dein Wappenzeichen.«
»Ein riesiger goldener Fuß in blauem Felde; der Fuß zertritt eine sich bäumende Schlange, deren Zähne ihm in der Ferse sitzen.«
»Und das Motto?«
»Nemo me impune lacessit.«
»Gut!« sagte er.
Der Wein flackerte aus seinen Augen, und die Glöckchen klingelten. Auch mir stieg der Médoc zu Kopfe. Wir waren an einer ganzen Reihe aufgestapelter Skelette und Fässer vorbei bis in den entferntesten Teil der Katakomben gelangt. Ich blieb wieder stehen, und diesmal wagte ich es, Fortunato am Arm zu rütteln.
»Der Salpeter!« sagte ich. »Sieh, wie es immer mehr wird. Er hängt an den Wölbungen wie Moos. Wir sind unter dem Flußbett. Die Nässe tropft durch die Skelette. Komm, wir wollen umkehren, ehe es zu spät ist. Dein Husten –«
»Nicht der Rede wert«, sagte er; »laß uns weitergehen. Vorher aber ... noch einen Schluck Médoc.«
Ich schlug einer Flasche de Grave den Hals ab und reichte sie ihm. Er leerte sie mit einem Zug. In seinen Augen flackerte ein wildes Licht. Er lachte und warf die Flasche mit einer seltsamen Bewegung zur Decke – eine Geste, die ich nicht verstand.
Ich sah ihn verwundert an. Er wiederholte die absonderliche Geste.
»Du verstehst nicht?« fragte er.
»Nicht im geringsten«, antwortete ich.
»Du gehörst nicht zur Bruderschaft!«
»Wie?«
»Du bist kein Maurer.«
»Ja, ja«, sagte ich. »Jawohl, ja.«
»Du? Unmöglich! Ein Maurer?«
»Ein Maurer«, antwortete ich.
»Ein Zeichen!« sagte er.
»Hier ist es«, erwiderte ich, aus den Falten meines Überwurfs eine Maurerkelle hervorziehend.
»Du spaßest«, rief er aus und wich vor mir zurück. »Aber komm weiter zum Amontillado!«
»Gut also«, sagte ich, nahm die Kelle wieder unten den Mantel und bot ihm den Arm. Er lehnte sich schwer darauf. Wir setzten unseren Weg fort. Wir gingen durch mehrere niedere Bogengänge, gingen hinab, hinauf und wieder hinab, und betraten nun eine tiefe Gruft, wo die Luft so modrig war, daß unsere Fackeln nicht mehr flammten, sondern nur noch schwelten.
Am entlegensten Ende der Gruft kam eine andere, kleinere zum Vorschein. An ihren Wänden waren bis zur Decke hinauf Menschenknochen aufgestapelt gewesen, ähnlich wie in den großen Katakomben von Paris. Drei Seiten dieser innersten Gruftkammer waren noch jetzt so geschmückt.
Von der vierten waren die Knochen weggeräumt; sie lagen auf dem Boden herum und waren an einer Stelle zu einem Haufen aufgetürmt. Inmitten der so bloßgelegten Mauer bemerkten wir noch eine letzte Höhlung. Sie war etwa vier Fuß tief, drei Fuß breit und sechs bis sieben Fuß hoch. Sie schien nicht zu irgendeinem besonderen Zwecke gemacht worden zu sein, sondern bildete lediglich den Zwischenraum zwischen drei der mächtigen Stützpfeiler, die die Deckenwölbung der Katakomben trugen; ihre Rückwand wurde von einer der massiven Granitmauern gebildet.