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Da war des Alten Stunde gekommen! Mit einem lauten Geheul riß ich die Blendlaterne auf und sprang ins Zimmer. Er schrie auf – nur ein einziges Mal! Im Augenblick zerrte ich ihn auf den Boden hinunter und zog das schwere Federbett über ihn. Dann lächelte ich, froh, die Tat so weit vollbracht zu sehen. Aber noch viele Minuten hörte ich den erstickten Laut des klopfenden Herzens. Das kümmerte mich jedoch nicht. Das konnte nicht durch die Wände hindurch gehört werden. Endlich hörte es auf. Der alte Mann war tot. Ich entfernte das Bett und untersuchte den Leichnam. Ja, er war tot – tot wie ein Stein. Ich legte ihm meine Hand aufs Herz und ließ sie minutenlang da liegen. Kein Pulsschlag war zu spüren. Er war endgültig tot. Sein Auge würde mich nicht mehr belästigen.
Solltet ihr mich noch immer für wahnsinnig halten, so werdet ihr eure Anschauung sicher ändern, wenn ich euch schildere, welch kluge Vorsichtsmaßregeln ich ergriff, um den Leichnam zu verbergen. Die Nacht schwand hin, und ich arbeitete eilig, aber in großer Stille.
Aus dem Fußboden des Zimmers hob ich drei Dielen heraus und bereitete darunter dem Toten sein Grab. Dann legte ich die Bretter wieder an Ort und Stelle. So geschickt, so sorgfältig tat ich dies, daß kein menschliches Auge – nicht einmal das seine – irgend etwas Auffallendes hätte bemerken können. Da gab es nichts wegzuwaschen – keinen Fleck irgendwelcher Art – nicht das kleinste Bluttröpfchen. Dafür war ich viel zu bedachtsam vorgegangen.
Als ich mit dieser Arbeit fertig war, war es vier Uhr – noch immer schwarz wie Mitternacht. Als die Turmuhr die Stunde anschlug, pochte es am Haustor. Ich ging leichten Herzens hinunter, um zu öffnen – denn was hatte ich jetzt zu fürchten? Es traten drei Männer herein, die sich sehr liebenswürdig als Polizeibeamte vorstellten. Ein Nachbar hatte in der Nacht einen Schrei vernommen; man hatte Verdacht gefaßt, hatte dem Polizeiamt Mitteilung gemacht, und sie, die drei Beamten, waren abgesandt worden, um nach der Ursache zu forschen.
Ich lächelte – denn was hatte ich zu fürchten? Ich hieß die Herren willkommen. Den Schrei, sagte ich, hätte ich selbst ausgestoßen, in einem Traum. Der alte Mann sei abwesend, sei aufs Land gereist, bemerkte ich. Ich führte die Besucher durchs ganze Haus. Ich bat sie, sich umzusehen – gut umzusehen. Ich führte sie schließlich in sein Zimmer. Ich zeigte ihnen seine Wertsachen vollzählig und unberührt. Begeistert über meine Gewissensruhe brachte ich Stühle herbei und ersuchte die Herren, sich hier von ihrer Ermüdung zu erholen, während ich, im Bewußtsein meines vollständigen Sieges, voll ausgelassener Kühnheit meinen eigenen Stuhl genau dorthin stellte, wo unter den Dielen der Leichnam des Opfers ruhte.
Die Beamten waren zufrieden. Mein Benehmen hatte sie überzeugt. Ich war ungewöhnlich aufgeräumt. Sie saßen also, und während ich fröhlich Antwort gab, plauderten sie von privaten Angelegenheiten. Aber nicht lange, da fühlte ich, daß ich erbleichte, und ich wünschte sie fort. Mein Kopf schmerzte, und ich glaubte, Ohrensausen zu haben; aber noch immer saßen sie da und plauderten. Das Sausen wurde deutlicher – es hörte nicht auf und wurde immer deutlicher. Ich sprach noch unbefangener, um das seltsame Gefühl loszuwerden. Aber es blieb und nahm zu an Deutlichkeit – bis mir endlich klar wurde, daß das Geräusch nicht in den Ohren selbst war.
Zweifellos: jetzt wurde ich sehr bleich – aber ich redete noch eifriger und mit erhobener Stimme. Doch das Geräusch wurde lauter – und was konnte ich tun? Es war ein leises, dumpfes, schnelles Geräusch – ein Geräusch wie das Ticken einer Uhr, die man mit einem Tuch umwickelt hat. Ich rang nach Atem – und dennoch – die Beamten hörten es noch immer nicht. Ich sprach schneller – heftiger, aber das Geräusch wuchs beständig. Ich stand auf und redete gereizt und zornig; meine Stimme war schrill, und ich gestikulierte wild – aber das Geräusch wuchs beständig. Warum gingen sie denn nicht? Ich lief mit wuchtigen Schritten auf und ab, als ob mich die Reden der Männer in Wut gebracht hätten – aber das Geräusch nahm fortwährend zu. O Gott! Was konnte ich tun? Ich schäumte – ich raste – ich fluchte! Ich ergriff den Stuhl, auf dem ich gesessen, und kratzte damit auf den Dielen hin und her – aber das Geräusch erhob sich über alles und nahm fortgesetzt zu. Es wurde lauter – lauter – lauter! Und immer noch plauderten die Männer freundlich und lächelten. War es möglich, daß sie nicht hörten? Allmächtiger Gott! – nein, nein! Sie hörten! – sie argwöhnten! – sie wußten! Sie trieben Spott mit meinem Entsetzen! – Das war es, was ich dachte, und das denke ich noch. Aber alles andere war besser als diese Pein. Alles war erträglicher als dieser Hohn. Ich konnte dies heuchlerische Lächeln nicht länger ertragen. Ich fühlte, daß ich hinausschreien mußte – oder sterben! – Und jetzt – wieder! – horch! lauter! lauter! lauter! lauter ...!
»Schurken!« kreischte ich, »verstellt euch nicht länger! Ich bekenne die Tat! – Reißt die Dielen auf! – Hier, hier! – Es ist das Schlagen dieses fürchterlichen Herzens.«
Das Stelldichein
Stay for me there! I will not fail
To meet thee in that hollow vale.
(Erwarte mich, ich werde zu dir finden
Auch in des Schattentales finstern Gründen.)
Nachruf Henry Kings, Bischofs von
Chichester, an seine Gattin.
Unglücklicher, geheimnisvoller Mann! der du, in deine eigenen Phantasien verstrickt, hinstürztest in den Flammen deiner eigenen Jugend! Im Geiste sehe ich dich wieder, noch einmal steigst du vor mir auf. Nicht, o nicht so, wie du jetzt bist – im kalten Tal ein stummer Schatten –, sondern so, wie du sein könntest: ein Leben köstlicher Träumereien verschwendend in jener Stadt der blassen Traumgeschichte, in deinem Venedig, dem Elysium, das die Sterne lieben, und in dem die hohen Fenster der Palastbauten Paladios in tiefem, bitterem Sinnen in die Geheimnisse der stummen Wasser hinabschauen. Ja, ich wiederhole es: – wie du sein könntest! Gewißlich gibt es andere Welten denn diese – andere Gedanken als jene der Menge –, andere Anschauungen als jene der Sophisten. Wer also könnte dich zur Verantwortung ziehen? Wer deine träumerischen Stunden tadeln oder solches Tun ein Vergeuden nennen – ein solches Tun, das nur ein Überströmen deiner ewig jungen Kräfte war?
Es war in Venedig unter dem gedeckten Brückengang, genannt ›Ponte dei Sospiri‹, als ich dem Manne, von dem ich hier reden will, zum dritten oder vierten Male begegnete. Meine Erinnerung an die näheren Umstände dieser Begegnung ist wirr und dunkel. Dennoch weiß ich, wie tiefe Mitternacht es war, sehe die Seufzerbrücke, die Weibesschönheit und den Genius der Romantik, der über jenem engen Kanale schwebte.
Die Nacht war ungewöhnlich finster. Die große Uhr auf der Piazza hatte die fünfte Stunde des italienischen Abends geschlagen. Der Platz des Kampanile lag schweigend und verlassen, und die Lichter im alten Dogenpalast verlöschten eins nach dem andern. Ich kehrte auf dem Großen Kanal von der Piazetta her heim. Als aber meine Gondel gerade bei der Mündung des San-Marco-Kanals angekommen war, gellte aus einem dunklen Schlund eine weibliche Stimme in einem einzigen wilden, langgezogenen Schrei. Erschrocken sprang ich auf, während der Gondolier sein einziges Ruder fallen ließ. Ein Wiederfinden in der pechschwarzen Nacht war unmöglich, wir mußten uns also der Strömung überlassen, die hier vom Großen in den Kleinen Kanal treibt. Wie ein riesiger, schwarzgefiederter Kondor trieben wir langsam der Seufzerbrücke zu, als tausend Fackeln an den Fenstern und am Treppenhaus des Dogenpalastes aufflammten und mit einem Male die tiefe Nacht in bleichen, unnatürlichen Tag verwandelten.
Ein Kind war aus den Armen seiner Mutter von einem der oberen Fenster des hohen Bauwerks in den tiefen dunklen Kanal gestürzt. Die stillen Wasser hatten sich lautlos über ihrem Opfer geschlossen, und obgleich außer meiner Gondel keine einzige andere zu sehen war, kämpfte schon mancher kräftige Schwimmer mit den Fluten und suchte auf der Oberfläche vergebens nach dem Schatz, der, ach! nur drunten in der Tiefe zu finden war. Auf den breiten schwarzen Marmorflächen am Eingang des Palastes und wenige Stufen über dem Wasser stand eine Gestalt, die keiner, der sie damals sah, jemals vergessen haben kann. Es war die ›Marchesa Aphrodite‹ – die Angebetete von ganz Venedig – die Strahlendste der Strahlenden – von allen den Schönheiten die Lieblichste – aber dennoch das junge Weib des alten ränkevollen Mentoni; und sie war die Mutter jenes hübschen Kindes, ihres ersten und einzigen, das jetzt tief im modrigen Wasser in bittrem Harm ihrer süßen Zärtlichkeit gedachte und sein kleines Leben erschöpfte in dem Bemühen, sie herbeizurufen.
Sie stand allein. Ihr schmaler, nackter, silberglänzender Fuß schimmerte auf dem schwarzen Marmor. Ihr Haar, das sie zur Nacht erst halb gelöst, umschmiegte inmitten einer Flut von Diamanten ihr klassisch schönes Haupt in Locken gleich denen des jungen Hyazinth. Ein schneeweißes, schleierfeines Gewand schien fast die einzige Umhüllung des zarten Körpers; doch die Mittsommer- und Mitternachtluft war heiß, stumpf und still, und keine Bewegung der statuenartig reglosen Gestalt verschob die Falten des nebelleichten Gewandes, das sie umhing, wie der schwere Marmor die Niobe umhängt. Doch – seltsam – ihre großen glänzenden Augen blickten nicht hinunter auf das Grab, das ihre strahlendste Hoffnung barg – sondern glühten in eine ganz andere Richtung. Das Gefängnis der alten Republik ist, wie ich glaube, der stattlichste Bau in ganz Venedig; aber wie konnte jene Dame es so starr betrachten, wenn ihr zu Füßen ihr eigenes Kind im Todeskampfe lag? Und jene dunkle Nische – die gerade in das Fenster ihres Zimmers hinübergähnt –, was konnte in ihren Schatten, in ihrer Architektur, in ihren efeuumschlungenen, düsteren Kranzgewinden sein, das die Marchesa di Mentoni nicht schon tausendmal vorher bewundert hätte? Unsinn! – Wer erinnert sich nicht, daß in solchen Schreckensmomenten das Auge gleich einem zertrümmerten Spiegel die Bilder seines Leidens vervielfacht und in zahllosen fernen Plätzen den Jammer sieht, der vor ihm liegt?
Viele Stufen höher als die Marchesa und innerhalb des Portals stand in festlichem Gewand die Satyrgestalt Mentonis. Er klimperte gelegentlich auf einer Gitarre und schien zu Tode gelangweilt, während er hie und da Befehle erteilte zur Wiederauffindung seines Kindes. Ich war so bestürzt und erschrocken, daß ich, nachdem ich bei dem entsetzlichen Schrei aufgesprungen war, mich nicht zu rühren vermochte, und so mußte ich wohl den Blicken der aufgeregten Gruppe einen gespenstischen und unheimlichen Anblick bieten, wie ich da mit bleichem Antlitz und starren Gliedern in jener trauerschwarzen Gondel an ihnen vorüberglitt.
Alle Anstrengungen waren vergebens. Selbst die Ausdauerndsten gaben die Suche auf und überließen sich düsterem Gram. Es schien nur wenig Hoffnung noch für das Kind zu sein – wie viel weniger also für die Mutter! Doch aus dem Dunkel jener Nische, von der ich schon sagte, daß sie sich am Gefängnis der alten Republik befand und dem Fenster der Marchesa gerade gegenüber lag, trat jetzt eine in einen Mantel gehüllte Gestalt ins Licht; einen Augenblick stand sie droben an der Schwelle des schwindelnden Abgrundes, dann stürzte sie sich kopfüber in den Kanal. Als der Retter gleich darauf mit dem noch lebenden, noch atmenden Kind in den Armen auf den Marmorfliesen neben der Marchesa stand, löste sich sein nasser, schwerer Mantel und fiel zu seinen Füßen nieder und enthüllte den erstaunten Zuschauern die anmutige Gestalt eines jungen Mannes, dessen Name damals in ganz Europa widerhallte.
Kein Wort sprach der Retter. Aber die Marchesa! Jetzt wird sie ihr Kind an sich nehmen – und es ans Herz drücken – wird seinen kleinen Körper streicheln – wird es in Liebkosungen ersticken. Ach! Andere Arme haben es dem Fremden abgenommen – andere Arme haben es fortgenommen und unbeachtet in den Palast getragen! Und die Marchesa! Ihr Mund, ihr schöner Mund zittert; Tränen treten in ihre Augen – in jene Augen, die so milde und fast flüssig waren. Ja! Tränen treten in diese Augen – und sehet! das ganze Weib erbebt aus innerster Seele, die Statue hat Leben bekommen! Die Weiße des marmornen Antlitzes, der schwellende marmorne Busen, das edle Weiß des marmornen Fußes wurden plötzlich von tiefer Röte überflutet; und ein leichter Schauer schüttelt ihren zarten Körper, wie die sanfte Luft Neapels die silbernen Lilien im Grase.
Weshalb errötete die Dame? Auf diese Frage gibt es keine Antwort, es sei denn die, daß sie in Hast und Schrecken ihres mütterlichen Herzens, als sie ihr stilles Gemach verließ, vergessen hatte, die kleinen Füße in Schuhe zu verbergen, und ganz vergessen hatte, über ihre venezianischen Schultern die Hülle zu werfen, die ihnen gebührt. Was sonst hätte sie veranlassen können, so zu erröten? – Was war der Grund für die wilde Klage in diesen Augen? Für den Aufruhr in diesem jagenden Busen? Für den krampfhaften Druck dieser zitternden Hand? Dieser Hand, die, als Mentoni in den Palast zurückkehrte, wie zufällig auf die Hand des Fremden sank? Welcher Grund mochte vorliegen für den leisen, den so sehr leisen Ton jener unverständlichen Worte, die von der Dame hastig geflüstert wurden, ehe sie von ihm ging? »Du hast gesiegt«, sagte sie – oder das Murmeln des Wassers müßte mich getäuscht haben – »du hast gesiegt – eine Stunde nach Sonnenaufgang – werden wir uns treffen – so laß es sein!«
Der Tumult hatte geendet, die Lichter im Palast waren erloschen, und der Fremde, den ich jetzt wiedererkannte, stand allein auf den Fliesen. Er erbebte in unerklärlicher Aufregung, und sein Auge blickte suchend nach einer Gondel umher. Es schien mir das wenigste, daß ich ihm einen Platz in der meinigen anbot. Er nahm dankend an. Wir versahen uns mit einem neuen Ruder und fuhren seiner Wohnung zu, während er seine Selbstbeherrschung schnell zurückgewann und in herzlichem Tone unserer früheren flüchtigen Bekanntschaft gedachte.
Es gibt Menschen, von denen ich gern ausführlich spreche. Der Fremde – laßt mich ihn bei diesem Namen nennen, ihn, der immer aller Welt ein Fremder war –, er ist für mich ein solcher Mensch. An Körpergröße stand er eher unter als über dem Mittelmaß, obgleich es Augenblicke der Leidenschaft gab, in denen seine Gestalt hoch aufwuchs und meine Feststellung Lügen strafte. Die schlanke Ebenmäßigkeit seines Körpers deutete mehr auf jenes schnell bereite Handeln, wie er es an der Seufzerbrücke bewiesen, als auf seine herkulische Kraft, von der man wußte, daß er sie bei gefährlicheren Gelegenheiten gezeigt hatte. Er hatte den schönen Mund und das Kinn eines Gottes – seltsam feurige, tiefe, feuchte Augen, deren Glanz von reinstem Haselnußbraun bis zu strahlendem Schwarz schwankte – und eine Fülle schwarzen Lockenhaares, aus der eine ungewöhnlich breite Stirn wie lauter Licht und Elfenbein hervorstrahlte. Seine Gesichtszüge waren so klassisch ebenmäßig, wie ich sie nur allein im Marmorantlitz des Kaisers Commodus gefunden habe. Dennoch gehörte sein Gesicht zu jenen, die jeder einmal im Leben gesehen hat, doch nie mehr wiederfindet. Es hatte keinen besonderen – keinen herrschenden Ausdruck, der im Gedächtnis haften bleiben konnte; ein Gesicht, das man sah und lieben mußte, doch sofort vergessen hatte – vergessen, mit dem unbestimmten und rastlosen Verlangen, sich seiner wieder zu erinnern. Wohl warf die Seele jeder heftigen Leidenschaft ihr Spiegelbild auf dieses Antlitz – doch gleich dem Spiegel, der nichts festzuhalten weiß, so wies auch dieses keine Spur der Leidenschaft mehr auf, sobald die Leidenschaft verflogen war.
Als ich ihn in der Nacht unseres Abenteuers verließ, bat er mich dringend, ihn sehr früh am andern Morgen zu besuchen. Kurz nach Sonnenaufgang betrat ich also seinen Palazzo, einen der hohen düsteren, aber phantastisch prunkvollen Bauten, wie sie sich in der Nachbarschaft des Rialto zu seiten des Großen Kanals auftürmen. Man wies mich eine breite gewundene Mosaiktreppe hinauf und in ein Gemach, dessen unvergleichliche Pracht wie ein Meer von Glanz durch die geöffnete Tür herausströmte und mich blendete und schwindlig machte.
Ich wußte, daß mein Bekannter wohlhabend war. Man hatte von seinen Reichtümern in Ausdrücken gesprochen, die ich als lächerliche Übertreibungen zurückgewiesen hatte. Als ich aber um mich blickte, schien es mir ganz unmöglich, daß die Schätze irgendeines Menschen in Europa hingereicht haben könnten, um diese fürstliche Pracht zu entfalten, die ringsumher glühte und flammte.
Obwohl, wie ich sagte, die Sonne schon aufgegangen, war das Gemach noch strahlend beleuchtet. Aus diesem Umstand sowie aus einem Zug von Abspannung im Antlitz meines Freundes schloß ich, daß er während der ganzen Nacht nicht zur Ruhe gegangen war. In der Architektur wie in der Ausschmückung des Raumes waltete die offenbare Absicht, zu blenden und zu verblüffen. In der Einrichtung war weder eine Harmonie noch irgendein nationaler Charakter zu finden. Das Auge wanderte von Gegenstand zu Gegenstand und blieb nirgends haften – weder auf den Grotesken griechischer Maler noch den Skulpturen aus Italiens größten Tagen noch den rohen Schnitzereien des unkultivierten Ägypten. Überall im Zimmer hingen kostbare Draperien und zitterten unter dem Hauch einer leisen schwermütigen Musik, von der man nicht wußte, woher sie kam. Mannigfache und unvereinbare Düfte, die aus seltsam geformten Räucherbecken zugleich mit zahllosen leckenden, flackernden Zungen grünlichen und violetten Lichtes aufstiegen, legten sich schwer auf die Sinne. Die Strahlen der Morgensonne strömten herein auf das Ganze – herein durch Fenster, deren jedes einzelne aus einer einzigen Scheibe karminroten Glases bestand. In tausend Reflexen sich spiegelnd tanzten diese natürlichen Strahlen über die schweren Draperien, die wie Katarakte flüssigen Silbers aus ihren Nischen quollen, mischten sich schließlich mit dem künstlichen Licht und wogten in gedämpften Massen über einen Teppich, der aussah wie flüssiges Gold.
»Hahaha – hahaha!« lachte der Herr des Hauses, als er mich zu einem Sitz geleitete und sich dann der Länge nach auf ein Ruhebett warf. »Ich sehe«, sagte er, da er bemerkte, daß ich mich in diesen eigenartigen Empfang nicht recht zu finden vermochte – »ich sehe, Sie sind verwundert über meine Wohnung, meine Statuen, meine Bilder – meinen sonderbaren Geschmack in Einrichtung und Ausschmückung! Vollkommen berauscht von meiner Prachtentfaltung, wie? Doch verzeihen Sie, mein lieber Freund (hier wurde seine Stimme die Herzlichkeit selbst), verzeihen Sie mir mein ungezogenes Lachen. Sie sehen so furchtbar erstaunt aus! Übrigens sind manche Dinge wirklich so spaßhaft, daß man lachen muß – oder sterben. Lachend zu sterben muß der herrlichste aller herrlichen Tode sein! Sir Thomas More – welch ein feiner Geist war Sir Thomas More –, Sir Thomas More starb lachend, wie Sie wissen. Und in den ›Absurditäten‹ des Ravisius Textor findet sich eine lange Liste von Leuten, die ein solch köstliches Ende nahmen. – Wissen Sie übrigens«, fuhr er nachdenklich fort, »daß in Sparta, dem jetzigen Palaeochori, in Sparta, sage ich, im Westen der Zitadelle inmitten eines Chaos kaum erkennbarer Ruinen eine Art Sockel steht, auf dem noch die Lettern ΛΑΞΜ lesbar sind. Zweifellos sind sie ein Teil des Wortes ΓΕΛΑΞΜΑ. Nun gibt es in Sparta wohl tausend Tempel und Altäre für tausend verschiedene Gottheiten. Wie äußerst seltsam, daß der Altar des Lachens alle anderen überdauert hat! Doch gegenwärtig«, sprach er in ganz an derem Tonfall weiter, »habe ich kein Recht, mich auf Ihre Kosten lustig zu machen. Sie konnten allerdings verblüfft sein. Europa kann nicht zum zweitenmal so Herrliches hervorbringen wie dies mein königliches Gemach. Meine anderen Räume sind keineswegs gleichartig – entsprechen durchaus der modernen Abgeschmacktheit. Dies hier ist besser als das ›Moderne‹ nicht wahr? Dennoch würde sich so leicht kein zweiter Mensch von Vermögen finden, der es liebte und verstände, mir es nachzumachen. Ich hüte aber auch den Raum vor jeder Profanierung. Mit einer einzigen Ausnahme sind Sie, abgesehen von mir und meinem Kammerdiener, das einzige menschliche Wesen, das ihn betreten hat, seitdem er so geschmückt ist, wie Sie ihn sehen.«
Ich verneigte mich dankend, denn der überwältigende Eindruck von Pracht und Duft und Musik zusammen mit der eigenartigen Begrüßung benahmen mir die Worte für eine Empfindung, die ich vielleicht zu einem Kompliment hätte formen können.
»Hier«, begann er wieder, indem er aufsprang, mich beim Arm nahm und mit mir die Runde durchs Zimmer machte, »hier sind Gemälde von den Griechen bis Cimabue, und von Cimabue bis zur Gegenwart. Gar manche sind, wie Sie sehen, ohne Rücksicht auf herrschende Sittenbegriffe ausgewählt. Sie geben jedoch alle den passenden Hintergrund für ein Zim mer wie dieses. Hier sind auch Meisterwerke unbekannter Größen, und hier unfertige Entwürfe von Leuten, die zu ihrer Zeit berühmt gewesen, Entwürfe, die der Scharfblick der Akademien der Vergessenheit und mir anheimfallen ließ. Was halten Sie«, fragte er und wandte sich ganz plötzlich einem Bilde zu, »was halten Sie von dieser Madonna della Pietà?«
»Sie ist ein echter Guido«, sagte ich mit all der Begeisterung, deren ich fähig bin, denn ich hatte ihre unvergleichliche Lieblichkeit beseligt in mich aufgenommen. »Ein echter Guido! – Wie konnten Sie nur dazu kommen? Sie ist unbedingt das in der Malerei, was die Venus in der Skulptur ist.«
»Oh«, sagte er gedankenvoll, »die Venus – die schöne Venus? Die Venus von Medici? – Die mit dem kleinen Kopf und dem goldenen Haar? Ein Teil des linken Armes (hier ließ er die Stimme sinken, so daß man ihn kaum verstand) und der ganze rechte sind spätere Ersatzstücke; und in der Koketterie jenes rechten Armes liegt, finde ich, die Quintessenz aller Ziererei. Gebt mir den Canova! Der Apollo – auch er ist eine Kopie – da kann kein Zweifel sein – blinder Narr, der ich bin, daß ich die viel gerühmte Offenbarung in dem Apollo nicht finden kann! Ich kann mir nicht helfen, ich muß dem Antonius den Vorzug geben. War es nicht Sokrates, der sagte, der Bildhauer habe sein Bildwerk schon im rohen Marmorblock er blickt? Dann wären also Michelangelos Zeilen keineswegs Original:
Non ha l'ottimo artista alcun concetto
Che un marmo solo in se non circonscriva.«
Es ist – oder sollte doch oft bemerkt worden sein, daß das Gebaren eines Edelmenschen sich von dem der anderen sehr unterscheidet, ohne daß man doch genau feststellen könnte, worin der Unterschied besteht. Konnte ich diese Beobachtung im weitesten Maße auf meines Freundes äußeres Benehmen anwenden, so auch, wie ich an diesem ereignisreichen Morgen spürte, auf seine geistigen Eigenschaften. Auch kann ich die besondere Geistesart, die ihn so wesentlich über alle anderen Menschen hinaushob, nur als eine Gewohnheit zu eingehender, immerwährender Betrachtung kennzeichnen, die sein alltägliches Tun durchdrang, seine tändelnden Stunden belebte und selbst die Minuten der Heiterkeit durchwob – gleich den Nattern, die sich aus den Augenhöhlen der grinsenden Masken am Kranzgesims der Tempel von Persepolis herauswinden.
Ich konnte aber nicht umhin, aus der halb leichtfertigen, halb feierlichen Art, mit der er eigentlich unwichtige Dinge umständlich abhandelte, eine zitternde Angst, oder besser eine nervöse Inbrunst herauszufühlen – eine Erregtheit im Tun und Reden, die mir unerklärlich schien und mich mehrfach stark beunruhigte. Öfter hielt er auch mitten in einem Satze inne, dessen Anfang er anscheinend vergessen, und lauschte voll tiefer Andacht vor sich hin, so als erwarte er einen ersehnten Besuch, oder als horche er auf Klänge, die wohl allein in seiner Einbildung ertönen mußten.
Während einer seiner derartigen Träumereien blätterte ich in Polizians, des Dichters und Gelehrten köstlicher Tragödie ›Orpheus‹ – der ersten echt italienischen Tragödie –, die neben mir auf einer Ottomane lag. Gegen Ende des dritten Aktes fand ich eine mit Bleistift unterstrichene Stelle; es war eine Stelle voll herzbewegender Gewalt – eine Stelle so voll tiefer Wollust, daß kein Mann sie lesen könnte ohne einen Schauer unerhörter Erregung, kein Weib ohne einen Seufzer. Die ganze Seite war mit frischen Tränen getränkt, und auf dem daneben eingehefteten Blatt standen in englischer Sprache und in einer Handschrift, in der ich nur mit einiger Mühe die charakteristische Schrift meines Freundes erkennen konnte, folgende Verse:
Du warst für mich all dieses, Lieb,