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„Sucht die Diebe!“, befahl Joseph Malone seinen Cowboys, die unverzüglich ausströmten. Es wurde im Saloon, im Drugstore, der Schmiede und der Poststation gesucht.
Kurz darauf zerrten die Cowboys vier Männer zu einem Mietstall neben den Saloon. Das Stalltor war ein großes, dunkel gähnendes Loch. Zwei Cowboys holten vier Pferde aus dem Stall, brachten die ungesattelten Tiere unter den Holzpfosten, der weit über dem Stalltor hervorragte und an dem eine Winde befestigt war. Einer der Männer warf einen Strick über den Balken, zog ihn stramm und knüpfte eine Schlinge.
Reglos stand Malone neben dem Tor und sah hoch. Die Schlinge baumelte herunter und bewegte sich im Abendwind.
Die vier Gefangenen wurden auf die sattellosen Pferde gehoben. Voller Entsetzen begriff Logan, was geschehen sollte.
„Die wollen die Männer aufhängen!“, fluchte er leise.
„Pst!“, flüsterte Elisabeth. „Sei still. Der Richter und der Sheriff sind bezahlte und treue Knappen von Malone. Wenn du etwas unternimmst, wirst du selbst zum Opfer!“
„Aber wir können doch nicht zulassen, dass Malone die Männer aufhängt!“
„Was willst du tun, Logan? Allein gegen zwanzig schwerbewaffnete Cowboys kämpfen?“
Draußen wurden wieder Befehle gebrüllt.
Logan erschauerte. Sein Gesicht war nass, eine erstarrte Landschaft der Gefühle. Er kroch zu seiner Kleidung, zog sich komplett an, und ergriff das Winchester Gewehr.
„Du solltest dich auch anziehen, Elisabeth“, flüsterte er. Die Lehrerin verstand und begann sich die Kleidung überzustreifen.
Logan robbte zurück zur Stallwand.
Ein lauter Schrei dröhnte durch die Straßen der Stadt.
Logan zuckte zusammen.
Der erste der vier Männer hing schlaff und tot am Strick. Das sattellose Pferd war bis zum nächsten Haus gelaufen und dort von einem Cowboy aufgehalten worden. Gerade holte ein Mann den leblosen Körper herunter und löste die Schlinge. Zwei andere Cowboys brachten den zweiten Gefangenen auf dem Pferd sitzend unter die Schlinge.
Grauenvoll stöhnte Logan Bennett auf.
„Nein“, flüsterte er mit aufgewühlter Stimme. „Nein, bitte nicht.“
Doch schon befand sich der zweite Gefangen unter dem mörderischen Strick. Schon wurde auch ihm die Schlinge um den Hals gelegt.
Logan konnte deutlich das Gesicht des Mannes sehen. Er war noch jung, höchstens achtzehn Jahre alt. Aus seinen Augen tropften Tränen.
Logan konnte das alles nicht verstehen.
Es ist doch fast noch ein Kind.
Wie im Traum hob er das Gewehr und richtete es durch eine kleine Öffnung in der Scheunentür.
Niemand sah herüber. Die Cowboys hielten Waffen in den Händen, aber sie kehrten Logan den Rücken zu. Rauch wallte von den Feldern herüber und wehte am Schweinestall vorbei.
Deutlich sah Logan die Meute. Der Anführer stand gleich neben dem Strick und sagte irgendetwas zum Gefangenen. Der gefesselte Junge schüttelte den Kopf und presste den Mund hart zusammen. Tapfer saß er auf dem Pferd. Die Schlinge lag um seinen Hals. Noch hing der Strick locker durch.
Schwer ruhte das Gewehr in Logans nassen Händen.
Die beiden Männer, die etwas abseits gefesselt auf den Pferden saßen, waren so bleich wie der Tod. Sie klagten nicht.
Logan wusste nicht, dass er gleich mit dem Schicksal spielen würde.
Auf einmal war er ganz ruhig. Seine Hände zitterten nicht mehr. Sein Herzschlag ging gleichmäßig. Sogar die Schweine im Erdgeschoss hatten das Grunzen unterbrochen. Die Dämmerung kam immer näher. Schon versank die Sonne sanft am Horizont. Auf der Straße herrschte seltsam fahles Licht.
Da hob Joseph Malone die Hand.
Hinter dem Pferd stand ein Cowboy mit einem schweren Waffengurt in beiden Händen. Damit sollte er auf das Pferd losschlagen, damit es vorwärtssprang. Dann würde der Gefangene vom Pferd rutschen und an der Schlinge hängen.
Tu´s! schrie es in Logan. Rette ihn! Schieß auf den Strick! Du triffst den Strick bestimmt!
Seine Augen flackerten heftig und unruhig. Sekundenlang konnte er nichts sehen. Er kniff sie schnell zusammen, dann war alles wieder erschreckend klar zu erkennen.
Logan Bennett schoss!
Der Rückprall des Gewehres stieß hart gegen seine Schulter. Laut peitschte der Schuss über die Straße.
Die Pferde der Cowboys machten wilde Sprünge. Der Strick straffte sich. Die Männer wirbelten herum.
Die Menge der Cowboys öffnete sich. Eine breite Gasse tat sich auf. Der junge Mann baumelte am Strick und hing wenige Sekunden später schlaff am Seil.
Am Boden, fast unter dem Erhängten, lag Joseph Malone, von der Kugel aus Logans Gewehr getroffen.
Du hast vorbeigeschossen! dachte der Farmer erschrocken, und sprang auf.
„Verstecke dich, Elisabeth! Malones Männer werden gleich hier sein, um nach mir zu suchen. Sie dürfen dich nicht finden!“
Nach diesen Worten drehte er sich um und kletterte die Leiter aus dem Obergeschoss des Stalls herunter. Er hatte doch ganz ruhig auf den Strick gezielt und geschossen! Aber die Kugel hatte Malone getroffen.
Logan hatte keine Zeit, weiter nachzudenken.
Ein Bleihagel kam von den Cowboys herüber und prasselte in das Scheunentor, hinter dem er noch kurz zuvor gestanden hatte. Kugeln fauchten durch das Holz und schlugen in dem Stall ein.
Logan öffnete die rückseitige Stalltür und rannte zu seinem Pferd, das er dort angebunden hatte. Er ritt im Schutz der Häuser entlang. Die Angst kroch ihm den Nacken herauf. Er sah und hörte nichts mehr.
Die Cowboys hetzten zu den Pferden und wollten Logan folgen. Ethan Sawyer, der Vorarbeiter der Ranch, kniete sich neben Joseph Malone.
„Ich werde ihn erwischen, Boss!“, keuchte er. „Der Bastard entkommt mir nicht!“
Joseph Malone lebte noch, die Kugel ihm eine schmerzhaften Streifschuss an der rechten Schulter eingebracht. Er sah hoch und blickte direkt in das raue Gesicht von Ethan Sawyer.
„Bring mir den Mistkerl lebend. Ich werde ihm die Eingeweide persönlich herausreißen“, flüsterte der verletzte Mann.
Ethan nickte und befahl seinen Männer nach einem Arzt zu suchen. Über ihnen knarrte der Strick am hervorspringenden Dachbalken.
Düster blickte Ethan empor und betrachtete den jungen Burschen am Strick, blickte dann zu den beiden anderen Männern, die auf den Pferden hockten und mit dem Schlimmsten rechneten.
Er holte tief Atem und sagte dumpf:
„Bringt den Boss, den Arzt und die beiden Kerle auf die Malone Ranch. Wo ist Mason?“
„Hier bin ich, Ethan“, antwortete ein kräftiger Cowboy und trat vor den Vorarbeiter.
„Durchsuche gemeinsam mit Liam die verdammte Scheune. Vielleicht verstecken sich dort noch weitere Verbrecher. Wenn ihr jemanden findet, dann bringt ihn auch auf die Farm. Der Boss wird später selbst entscheiden, was mit den Gefangenen zu tun ist.“
„Ja, Ethan“, antwortete der Cowboy und rannte gemeinsam mit einem zweiten Mann über die Straße zum Schweinestall.
„Wir anderen verfolgen diesen Bastard!“
Mit wuchtigen Schritten stapfte Ethan zu seinem Pferd und saß auf. Dann ritten sie die Straße hinauf und folgten Logan. Im Galopp jagten sie in die Nacht hinein.
3
Logan Bennett ritt nach Osten.
Er nahm einfach den Weg, der gerade vor ihm lag. Ihm war klar, dass er gejagt wurde. Die Cowboys von Joseph Malone würden ihm den Schuss auf ihren Boss nicht verzeihen.
Daher nahm er einfach den Weg, der am schnellsten von der Stadt wegführte. Als er sich umblickte, erkannte er die dunklen Staubwirbel hinter sich.
Die Verfolger hatten seine Spur gefunden!
Zäh und unerbittlich blieben sie auf der Fährte. Logan hatte keine Möglichkeit, die Spur zu verwischen. Zu weich war der Boden des Graslandes. Er durfte es auch nicht zu einem Kampf kommen lassen, denn die Verfolger waren in der Überzahl.
Er versuchte so lange wie möglich in der Nacht zu reiten. Zwischendurch legte er eine kurze Pause ein, um das Pferd verschnaufen zu lassen.
Im Morgengrauen stieß er auf einen Fluss. Er trieb das Pferd hinein und ließ es im Flussbett weiterlaufen. So hatte er wenigstens eine kleine Chance, seine Spuren zu verwischen.
Einige Stunden später sah Logan eine Ranch.
Er verließ den Fluss und ritt hinüber. Dort hoffte er auf Unterstützung oder Hilfe. Sein Pferd keuchte laut. Deutlich gruben sich die Hufe in den Boden ein und hinterließen eine gut sichtbare Spur. Logan atmete rasselnd und spürte, wie steif seine Muskeln von dem langen Ritt bereits waren. Sein Gesäß fühlte sich taub an.
Niemand kam ihm entgegen oder rief ihn an.
Der Holzzäune waren eingerissen, der Stall halb zerfallen. Unkraut wucherte überall. Ein loses Brett knarrte im heißen Wind. Die Tür des Ranch Hauses schwang langsam hin und her.
„Hey!“, schrie Logan heiser. „Ist da jemand?“
Seine Stimme fand im Haus ein schwaches und unheimliches Echo.
Verkrampft stieg er vom Pferd und lief zur Tür. Vorsichtig trat er ein, stand in einem leeren und versandeten Raum, sah zerbrochene Flaschen und Krüge, ein paar Reste von Stühlen. Sonst nichts!
Die Ranch war verlassen.
Logan hatte wertvolle Zeit vergeudet und dazu auch noch eine deutliche Spur hinterlassen.
Er kehrte um, lief zum Pferd, zog sich hinauf und ritt wieder los. Er näherte sich dem Fluss mit der dichten Baumkette. Starke Äste mit dichtem Laubwerk warfen Schatten und versperrten den Blick.
Logan neigte sich tief nach vorn, um nicht von den Ästen getroffen zu werden, lenkte das Pferd zum Wasser und horchte.
Dumpfes Hufgetrampel kam näher. Äste brachen und Wasser spritze auf.
Die Verfolger kamen!
Er rutschte vom Pferd und zog das Tier hinter dichte Büsche. Dort hielt er es fest und legte die Hand auf die Nüstern des Tieres.
„Ruhig!“, flüsterte er. „Mach keinen Lärm.“
Dann sah er sie kommen!
Ethan Sawyer ritt vorn, ihm folgten zehn weitere Männer. Sie trieben die Pferde durch den Fluss und zügelten sie plötzlich. Heiser tönte eine Stimme herüber:
„Hier, das ist seine Spur! Er ist zur Ranch geritten!“
Ihre Gesichter waren schweißnass und vom Jagdfieber verzerrt. Sie starrten umher und wischten sich den Schweiß von der Stirn. Die Hosen waren nassgespritzt.
Logan wagte nicht, sich zu rühren. Er hielt das Pferd fest und starrte mit brennenden Augen zum Fluss hinunter. Tiefhängende Äste und dichtes Buschwerk schützten ihn.
„Weiter!“, krächzte Ethan.
Sie ritten aus dem Fluss, über den sanften Uferrücken, verschwanden zwischen den Bäumen und jagten im Galopp auf die Ranch zu.
Schnell sprang Logan in den Sattel und ritt wieder in den Fluss. Er galoppierte in das Wasserbett und hoffte seine Verfolger abgeschüttelt zu haben.
Plötzlich fielen hinter ihm Schüsse!
Kugeln fauchten durch die Bäume und zerfetzten das Blätterwerk. Zweige knickten und fielen ins Wasser. Dicht neben Logan spritzte es hoch.
Er sah zurück.
Die Verfolger waren hinter ihm im Fluss. Gewehre blitzten im Sonnenlicht grell auf. Helles Mündungsfeuer flammte vor den Reitern. Ihre Gesichter waren vor Anstrengung gerötet. Sie schossen und kamen näher geritten. Eine Kugel streifte Logan am Hemdsärmel.
Er bekam plötzlich schreckliche Angst, dass sie sein Pferd treffen könnten. Zu Fuß hätte er keine Chance.
So trieb er das Pferd unter die Bäume und ritt dicht am Baumstreifen entlang. Als die Verfolger hinter ihm hervorkamen, jagte er sofort wieder zum Wasser. So geschah es mehrere Male. Sie blieben sogar ein wenig zurück, weil sie sich gegenseitig behinderten.
Der Tag war so lang und so heiß. Die Cowboys waren so zäh und folgten ihm so verbissen. Logan hatte kaum noch Hoffnungen. Irgendwann würde sein Pferd vor Erschöpfung zusammenbrechen.
Er wusste nicht mehr, wie er sich die Verfolger vom Leib halten konnte.
Aber er hatte eine kleine Chance.
Sein Pferd war lange im Stall gestanden und ausgeruht. Die Pferde der Verfolger waren schon lange vorher unterwegs gewesen. Sie würden sicher eher ermüden.
Langsam wurde der Abstand größer.
Logan sah sanfte Hügel vor sich. Keuchend jagte er durch die Hitze des Nachmittags, dann erreichte er die Hügel. Die Cowboys blieben auf seiner Spur.
Noch niemals zuvor hatte Logan sich die Nacht so sehnlichst herbeigewünscht. Nur die Dunkelheit konnte ihn retten. Wildes Gestrüpp wucherte zwischen den Hügeln. Bäume und Felsen standen in den Hügelfalten.
Immer wieder sah Logan nach der Sonne. Sie sank viel zu langsam. Die Hitzeschleier am hügeligen Horizont ließen Himmel und Erde ineinanderfließen.
Aber dann war die Nacht da.
Sternenlicht sickerte durch die heranziehenden Wolken.
Sein Pferd war erschöpft. Logan spürte jeden Muskel in seinem Körper. Er brauchte dringend eine Ruhepause und etwas Schlaf.
Er ritt an einem kleinen Fluss entlang und fand eine versteckte Lichtung. Dies war der ideale Ort für eine Pause, dachte er und stieg aus dem Sattel. Er gab dem Pferd zu trinken und sehnte sich nach etwas Essbaren. Dann überkam ihn die Müdigkeit, er legte sich auf den harten Boden und schlief sofort ein.
Ein leises, fremdes Geräusch ließ ihn erschrocken aus dem Schlaf aufwachen. Im Nu hatte er den Oberkörper aufgerichtet und zu seinem Gewehr gegriffen. Das Winchester Gewehr gab ihm ein Gefühl von Sicherheit.
Reglos saß er dann am Uferrücken und lauschte dem Wind, sah die feuchten Flussnebel und spürte die Gefahr, die unsicher hinter den dichten Bäumen lauerte.
Es war ein grauer Morgen, noch ohne Sonne und Licht, kühl und still.
Er spähte suchend umher. Verlassen und friedlich lag der kleine Fluss vor ihm, die Äste der Bäume bogen sich im Wind.
Nichts deutete auf eine Gefahr!
Doch er konnte sie fast körperlich spüren, so als berührte ihn eine kalte Knochenhand.
Er sah nicht den Cowboy, der hinter einem Baum kauerte und ihn beobachtete. Aber er hörte den Hufschlag von Pferden auf der anderen Uferseite hinter den Bäumen. Das Hufgetrampel entfernte sich.
Der einzelne Cowboy aber blieb in Deckung und saß völlig still, um sich nicht zu verraten. Leise holte er seinen Colt hervor. Er wollte den gesuchten Mann stellen. Er allein! Der Boss wäre stolz auf ihn.
Noch zögerte er, auf Logan zu schießen. Malone wollte ihn lebend für seine Rache. Daher durfte sein Schuss den gesuchten Mann nur verletzen und nicht töten.
Logan saß völlig still.
Seine Augen waren fast geschlossen, er ahnte die Gefahr.
Blätter raschelten.
Plötzlich rollte sich Logan herum und lag auf der Seite. Er richtete sich auf, ergriff die Zügel seines Pferdes und versteckte sich hinter dem dichten Buschwerk. Dann begann er hektisch den Sattel aufzulegen.
Das war der Moment für den Cowboy!
Er hob den Colt, zielte genau und kam näher. Logan hatte das Pferd fertig gesattelt und wollte gerade aufsteigen.
In dieser Sekunde krachte der Colt des Cowboys und stieß das Blei aus. Die Kugel streifte den Oberschenkel von Logan und riss eine Streifwunde in seine Haut. Dann fiel der Farmer schwer zu Boden, warf sich herum und krabbelte unter dichtes Baumgestrüpp.
Er konnte den Mann sehen, der sein Lager erreicht hatte.
„Komm aus deinem Versteck, du Bastard“, schrie der Cowboy zornig in Richtung von Logans Versteck.
Von weit her hörte er Pferdegetrampel. Der Schuss hatte die Verfolger informiert, sie eilten herbei. Gleich würde er von den Verfolgern umzingelt sein. Sein Gewehr lag neben dem Pferd auf dem Boden. Er war unbewaffnet.
Aber es war bereits zu spät!
Als Logan erneut seinen Kopf hob, traf ihn Schlag, der ihn sofort ins Reich der Träume versetzte. Ein zweiter Cowboy, von Logan unbemerkt geblieben, hatte sich hinter den Farmer geschlichen und mit dem Gewehrkolben auf den Hinterkopf geschlagen.
Die Flucht von Logan Bennett war beendet!
4
Es dauerte nur zwei Tage, bis Logan Bennett wegen versuchten Mordes zum Tod verurteilt wurde. Bereits am nächsten Tag wurde das Urteil vollstreckt.
Der grauenhafte, mit einem heiseren Krächzen ersterbende Schrei gellte in ihren Ohren.
„Fahr zur Hölle, Logan!“, zischte Joseph Malone.
Er starrte den Gehenkten, der vom aufkommenden Sturm wild hin- und hergeschaukelt wurde, voll Hass an. Dem Farmer, der in der Schlinge hing, ragte die Zunge weit aus dem verzerrten Mund.
Noch klangen Logan Bennetts letzte Worte in Malones Ohren nach wie Paukenschläge aus einer anderen Welt:
„Verrecken sollt ihr – ich verwünsche euch – in die Hölle sollt ihr fahren und braten bis zum jüngsten Tag!“
Es waren nicht die Worte, die Joseph Malone selbst jetzt noch die Haut am Rücken zusammenzogen. Die Art, wie Bennett es ihnen in die Gesichter geschleudert hatte.
„... meine Seele dem Teufel, wenn er euch dafür holt!“
„Schlag zu, Sheriff. Verdammt, wie lange sollen wir uns dieses Geschwätz noch anhören“, hatte der Ethan Sawyer mit erstickter Stimme gebrüllt. Die Schweißperlen rannen ihm über die Stirn, als hätte ihm jemand einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen.
Und da hatte der Sheriff endgültig ein Ende gemacht. Wusste der Teufel, weshalb er so lange gezögert hatte. Vielleicht aus Angst, weil er einen Unschuldigen aufknüpfte?
Unsinn!
Sie wussten ja alle, dass Logan Bennett unschuldig war. Aber er musste sterben, weil es der mächtige Großgrundbesitzer und Rinderzüchter Joseph Malone so wollte.
Der Gaul hatte sich nicht von der Stelle gerührt und Sheriff Jenkins musste mit wilder Wut zuschlagen, ehe der Braune einen Satz nach vorne machte.
Jetzt pendelte Bennett dort in der Luft!
Joseph Malone wollte grinsen. Aber er bekam die erstarrten Lippen nicht auseinander.
Ein Schwarm Todesvögel kreiste über dem Galgenbaum. In der Ferne zuckten grelle Blitze aus dem wolkenverhangenen Himmel. Donnerrollen tönte von den Bergen herüber.
„Ja“, grinste William Archer. „Er hat seine Seele dem Teufel versprochen, wenn er uns dafür holt. Ein Farmer, der seine Seele verkauft. Hört euch das einmal an.“
Er lachte schrill auf. Finster blickte er auf den Gehängten und spuckte wütend in Richtung des Baumes.
Die Frauen standen in ihren schwarzen Gewändern am Fuße des Hügels. Man hörte das eintönige Gemurmel ihrer Gebete bis herauf zum Galgenbaum. Manchem war aufgefallen, das Elisabeth Smith, nicht anwesend war. Einige hatten die Lehrerin bereits seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Zum Ärger mancher Eltern war die Schule geschlossen.
Die unbescholtenen Bürger hielten sich im Hintergrund und sie bemühten sich, ihre Gesichter zu verbergen. Sie wollten nicht, dass die Hartgesottenen dort oben ihre finsteren Blicke merkten. Sie hatten Angst, höllische Angst. Und sie wollten nicht sterben wie Logan Bennett, der zeitlebens nie jemandem ein Leid zugefügt hatte.
Liam, Mason und Jakob, drei der Cowboys, die Logan Bennett gejagt und gefangen hatten, standen drüben bei den Gäulen. Unruhig starrten sie den Toten an, der sie mit Hilfe des Gesetzes ermordet worden war. Keiner von den dreien war älter als zwanzig. Sie hielten sich für härter als Stahl. Sie hatten längst das letzte Gebet vergessen, das man ihnen als Kinder beigebracht hatte. Aber der Fluch des Farmers steckte ihnen in der Kehle wie die Gräte eines Fisches.
Plötzlich brach der Platzregen los. Es prasselte herab, als wären die Wassertropfen Hagelkörner. Dazu heulte der Sturm, dass man sein eigenes Wort nicht verstand.
„Kommt! Worauf warten wir noch? Vielleicht auf seine Auferstehung?“, brüllte Joseph Malone in das wilde Getöse hinein. Er lachte grell und krampfhaft. Das musste am Wetter liegen. Es machte ihn noch verrückt. Malone kehrte dem Baum den Rücken.
Und da sah er ihn stehen!
Keine zwanzig Schritte entfernt, auf halber Höhe des Hügels. Und wie hinter einem Wasserschleier, so verschwommen.
Joseph Malones Brust krampfte sich zusammen, als packte eine Faust sein Herz.
„Der Teufel!“, gellte Michael Bishops Stimme an Malones Ohr. Er überschrie sogar das Getöse des Orkans.
Der dunkle Umhang, die seltsame Kopfbedeckung. Ja, so stellten sie ihn in ihren Gebetbüchern dar. Der stechende Blick durchdrang Joseph Malone wie ein Dolch.
Auch die anderen hatten den Fremden entdeckt. Und ihnen ging es nicht anders als Malone. Starr und gebannt sahen sie ihn an.
Der bullige Malone riss sich aus seiner Erstarrung. Er begann zu gehen. Erst Schritt für Schritt, dann immer schneller. Am Ende rannte er fast.
Eine Sturmböe fuhr ihm entgegen, wirbelte ihm Sand und Staub in die Augen. Er hatte das Krächzen der Vögel im Ohr. Malone stolperte über einen Stein und fing sich wieder. Er fluchte laut. Seine Hand lag am Revolverkolben.
Endlich konnte er wieder sehen, obwohl die Augen noch tränten und schmerzten. Ruckartig blieb Malone stehen, denn er konnte die seltsame Gestalt im schwarzen Umhang plötzlich nicht mehr entdecken. Der Regenguss prasselte jetzt in armdicken Strahlen herab und hüllte alles ein.
„Wo ist der Kerl!“, brüllte Malone und begann wieder zu laufen.
Diesmal strauchelte er über einen Felsbrocken und schlug der Länge nach hin. Er hatte das Gefühl, als presse ihm jemand den Kopf in den Sand und er glaubte, ersticken zu müssen. Es kostete ihn unendliche Kraft, wieder hochzukommen. Im selben Augenblick hörte er die gellenden Schreie und wandte sich um.
Ethan Sawyer kam angekeucht. Er brüllte unverständliche Worte und deutete hinter sich. Erst als er dicht neben Malone stand, vernahm dieser, was der Vorarbeiter mit sich überschlagender Stimme schrie:
„Hexerei – Teufelsspuk! Er ist weg, Malone.“
„Verdammt!“, fluchte Joseph Malone. „Wer soll weg sein?“
„Bennett. Er hängt nicht mehr am Baum!“
Malone spürte, wie es ihm die Kehle zuschnürte. Er blickte zum Galgenbaum. Aber alles war völlig verschwommen. Ringsum war alles schwarz und dunkel, als wäre es schon Nacht. Dazu der Regenschleier, der alles wie Nebel einhüllte.
„Narretei!“, krächzte Malone böse. „Wenn du dich verrückt machst, Ethan, bei mir gelingt das nicht.“
Aber er begann zu laufen. In Richtung des Galgenbaumes. Die anderen standen unbeweglich da und starrten auf den Ast, an den sie Logan Bennett gehängt hatten.
Malone stockte der Fuß. Er sah das Seil. Es schlug im Sturm wild hin und her. Aber Bennett hing nicht mehr in der Schlinge.
„Was ist geschehen?“, brüllte Malone die drei Jungs bei den Gäulen an.
Jakob sagte: „Wir haben nichts gesehen, Boss. Ich habe euch nachgeschaut. Dann hat Liam gebrüllt, dass Bennett nicht mehr am Baum hängt.“
„Ja, plötzlich war er nicht mehr da“, stöhnte Liam.
„Der Sturm“, keuchte Malone. „Er muss ihn vom Seil gerissen haben, ihr Idioten. Bestimmt liegt er unter dem Baum.“
Er begann wieder zu laufen. Er konnte Bennett aber nirgends am Boden entdecken, obwohl weit und breit kein Gebüsch, der ganze Hügel glatt und sandig war.
Joseph Malone hatte den Baum fast erreicht, als ein Blitz grell dicht vor ihm niederzuckte. Er brüllte auf und taumelte geblendet zurück.
Als ihm Michael Bishop aufhalf, brannte der Baum schon lichterloh. Der Sturm fegte heiß über den Hügel, ganze Wolken von Sand vor sich hertreibend. Der Regen hatte so plötzlich aufgehört, wie er begonnen hatte. Der Galgenbaum war nur noch eine einzige Fackel.
„Er ist spurlos verschwunden, Boss“ sagte Michael Bishop leise. Seine Augen flatterten vor Angst. „So wie der Teufel vorhin. Er hat Bennett geholt!“
„Verdammt!“, krächzte der Ethan Sawyer. „Er wird auch uns holen!“
„Mein Pferd, Liam!“, schrie Joseph Malone zu den Jungs herüber.
Liam, etwas klein geraten und dicklich, die rote Stirnlocke wie immer unter dem Hutrand hervorschauend, kam mit dem scheuen Gaul quer über den Hügel gerannt. Der Sturm trieb brennende Äste, die vom Galgenbaum brachen, wie Feuerräder vor sich her. Liam hatte alle Mühe, das aufsteigende Tier zu bändigen.
„Los, wir reiten“, knurrte Malone mürrisch. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Dieser sonderbar gekleidete Mann vorhin, die spurlos verschwundene Leiche des Farmers...