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Es ist eine Schande für jeden anständigen Schwarzfahrer mit etwas Ehre im Leib, von diesen beiden Anfängern erwischt zu werden, so viel ist sicher. Hoffentlich sieht mich keiner. Ich verzichte auf Protest und Meckerei, um die Sache so schnell wie möglich und so unauffällig wie möglich über die Bühne zu bringen, falls das eine ist. Ich setze mein Autogramm unter das BVG-Formular. All der Glanz des Abends ist schon wieder verblasst.
Ich bin eben einer, der in der Masse untergeht, keiner erkennt mein Gesicht auf der Straße. So war das schon immer. Ich strahle nur auf der Bühne. Nur wenn ich angeleuchtet werde, kann ich das Licht reflektieren.
Die beiden verschwinden in diesem Kabuff und kippen sich wahrscheinlich einen hinter die Binde. Die haben zumindest jeder einen, mit dem sie was trinken können und ihre Sorgen teilen. Und das war auch noch die letzte U-Bahn.
Ich laufe diesen Weg, den ich immer nehme, wenn ich vom Theater nach Hause gehe, bei jedem Wetter. Immer wenn ich hier entlangkomme, beim Eiscafé, gucke ich mich einmal um, bloß, um herauszufinden, ob mich nicht gleich so ein Fahrrad mit wild gewordener Amazone drauf von hinten erfasst. Immer wenn es nicht passiert, bin ich ein bisschen enttäuscht.
Das wäre doch mal was: In Filmen stoßen die beiden Hauptfiguren doch auch ständig an Häuserecken zusammen, wenn sie sich kennenlernen. Und einer von beiden hat immer unheimlich viele Einkaufstüten in der Hand, damit alles Mögliche auf den Boden fallen und der andere es dann für ihn aufsammeln kann. Aber in Wirklichkeit ist das nie so, und wahrscheinlich würde ich sie auch gar nicht mehr erkennen, die Dame, ohne Rad und umgeworfenen Tisch und Sonnenschein.
Es ist jetzt schon kälter geworden, und es sitzen tagsüber nicht mehr so viele Frauen vor dem Eiscafé. Bald ist es auch zu kalt zum Fahrradfahren. Das Café macht dann zu, das Eis liegt draußen vor der Tür, und der Schnee dämpft jede Bewegung. Mein nächstes Engagement steht noch in den Sternen und alles andere auch. Weihnachten fahre ich nach Hause, aber Silvester, da bin ich wieder zurück, und davor graut es mir besonders.
Da sollte man doch den küssen, mit dem man dann das ganze Jahr zusammen ist, um zwölf, oder nicht? Unbedingt sogar. Man sollte jedenfalls in dem Moment, wenn man küsst, denken, dass es so sein könnte, dass es der oder die Richtige ist. Und wenn man erst gar nicht küsst, oder man küsst nur einen Verwandten oder einen, der grade zufällig neben einem betrunken in der Gegend herumsteht, nein. Dann kann man sich für das ganze nächste Jahr auch gleich abmelden. Dann ist das schon wieder der totale Fehlstart.
Ich erinnere mich noch an so ein völlig entsetzliches Silvester, als ich mit einem kleinen Haufen von Trostbekanntschaften vor einem Club auf irgendeiner gottverlassenen Straße stand, und schlag zwölf dachten dann alle, sie müssten einen auf alte Freunde tun und sich um den Hals fallen. Und so eine Frau, der man ihre ganze Unzufriedenheit damit, dort mit mir stehen zu müssen, direkt ansehen konnte, hielt mir die schon angetrunkene Sektpulle hin. Und als ich nicht gleich zugegriffen habe, meckerte sie noch so: „Ey, trink, los, ich hab kein Lippenherpes oder so was, o. k.“
Ich hab dann gar nichts mehr gesagt, sondern habe mich einfach umgedreht und bin heimgegangen. Seitdem bleib ich Silvester am liebsten zu Hause. Das ist zu armselig und viel zu furchtbar, um so ein neues Jahr zu beginnen. Ich will einfach nicht, dass mir gleich am Anfang des Jahres die ganze Hoffnungslosigkeit meiner Situation vor Augen geführt wird. Aber ich fürchte, es geht mal wieder stramm darauf zu. Meine ganzen Pläne und Strategien bezüglich Akquise von Frau und Kind sind auch dieses Jahr wieder total gescheitert!
Früher hatte man als Schauspieler zur Abwechslung wenigstens noch Affären nach den Aufführungen, mit irgendwelchen anderen Schauspielern oder Kreativen. Desaströse Techtelmechtel, die den Arbeitsalltag unmöglich gemacht, die Moral der Truppe zerrüttet und die Stimmung vergiftet haben. Aber immerhin hat man gelebt, immerhin ist irgendwas passiert.
Jetzt fahren alle nach der Vorstellung nach Hause und loggen sich bei Facebook ein oder so. Beim Drehen genauso. Nach der letzten Klappe geht jeder zu sich an den Computer. Vorbei die Zeiten der wilden Gelage. Ich frag mich, was Fassbinder heutzutage gemacht hätte. Keiner hat mehr Bock auf irgendwelchen echten Liebesstress und Dramen im beruflichen Umfeld. Bloß keine Aufregung, bitte. Dann doch eher ein bisschen skypen mit den Lieben daheim … oder ein paar neue Freunde vom Set online adden und mit denen dann chatten. Obwohl die höchstwahrscheinlich im Wohnwagen gegenüber sitzen. Facebook – die Theaterkantine der Jetztzeit.
Deswegen also: Ich klappe auch den Computer auf und wähle diese Seite an, von der mir die Maskenbildnerin vorhin erzählt hat, bevor sie aus der U-Bahn ausgestiegen ist und ich beim Schwarzfahren erwischt wurde. Da hat sie nämlich ihren Verlobten kennengelernt, nach zahllosen gescheiterten Affären mit irgendwelchen planlosen Künstlern und Tagedieben, die sich nie entscheiden konnten. Und der Neue ist also Beamter, und die sind jetzt schon fünf Monate zusammen, alles läuft super, und sie wollen bald heiraten. Nägel mit Köpfen!
Ohne Internet hätten die sich wahrscheinlich nie getroffen, meinte sie. Und jetzt verbringen sie vielleicht den Rest ihres Lebens miteinander, das muss man sich mal vorstellen. Seltsam, oder? Die haben einfach so einen Test gemacht, wo sie rausgefunden haben, dass sie zu 88 % zusammen passen, und das klappt dann wirklich, viel besser als mit dem anderen Kandidaten, der nur 79 % hatte. Weil sie beide gerne kochen und basteln und sich für Astrologie interessieren.
Vielleicht ist es ja wirklich so einfach, vielleicht brauche ich ja genau das – eine hochprozentige Glückswahrscheinlichkeit mit einer ganz normalen Frau. Und deswegen ist es gut, wenn mir ein Computer das mal ausrechnet und mir eine vorschlägt. Alleine kriege ich das ja anscheinend nicht hin.
Weil die sich eben dort anmelden. Die ganz normalen Frauen, wo soll ich die denn sonst finden? Jedenfalls nicht im Eiscafé, das weiß ich ja mittlerweile schon. Ich überliste mein Schicksal. Ich treffe jemanden, den ich sonst nicht treffen würde. Augen zu und durch!
Ist das peinlich. Die ganzen Fotos von den übrigen Anwärtern in meinem Alter geben mir noch den Rest. Und erst recht diese albernen Namen. Teddy79. NurmitDir. Rosenkavalier … Herzlich willkommen im Gruselkabinett. Bin ich jetzt einer von denen?
Immerhin: In einer Stadt voller Blinde, ist der Einäugige König, oder? Ich geh aufs Ganze, ich werde mein bestes Schauspielerfoto hochladen, wenn schon, denn schon, und mir einen richtig coolen Namen geben … Den coolsten, den es gibt auf der Welt: Cowboy.
Ich wollte schon immer am liebsten ein Cowboy sein. Auch jedes Jahr beim Fasching. Cowboys sind lässig. Cowboys sind gerne allein. Sie lassen sich nichts anmerken, verziehen keine Miene, und wenn es ihnen irgendwo nicht gefällt, reiten sie einfach weiter, ohne sich groß zu scheren. Cowboys melden sich ganz sicher nicht online auf einer Dating-Seite an, wie mir grade klar wird. Aber vielleicht gibt es genau deswegen auch keine Cowboys mehr. Die sind nämlich ausgestorben, die Armen.
Hannah
Ich hab’ das Fahrrad dann doch abgeholt und zu mir nach Hause geschoben, ich konnte es doch nicht im Stich lassen, nach all den Jahren. Aber ich habe es nicht mehr repariert. Es steht im Hinterhof und kriegt sein Gnadenbrot. Hatte auch keine Lust, es noch mal bei diesen unfähigen Typen aus dem Fahrradshop abzugeben. Jetzt beim Umzug hat sich die Frage gestellt, ob ich es mitnehmen soll. Aber ich mag lieber richtige Neuanfänge. Ohne kaputte Sachen von früher. Kaputte Dinge oder kaputte Beziehungen. Kaputte Gedanken, kaputte Hoffnungen. Alles soll neu sein und nicht besetzt mit unguten Erinnerungen:
Wenn ich zum Beispiel etwas anhatte, ein rotes Kleid oder so, bei einer Verabredung, die dann ganz furchtbar danebenging, dann kann es sein, dass ich das Kleid nie wieder tragen will. Egal, wie schön es aussieht. Es ist dann aber nun mal einfach das Kleid von diesem Tag, von dieser Verabredung, und das vergesse ich nicht.
Ich hab also das Fahrrad-Schloss abgemacht, bevor ich in den Robben & Wintjes-Wagen zu meinen Arbeitskolleginnen gestiegen bin, und hab das gute Rad freigelassen. Hab ihm einen Klapps auf den Hintern gegeben und gemeint: Mach was draus! Du bist jetzt frei. Es ist aber nicht gleich losgaloppiert wie ein glücklicher Mustang, sondern ratlos dort am Baum stehen geblieben. Irgendeiner wird sich für dich finden, einer, der Sachen reparieren kann und Geduld hat, einer, der dich so liebt, wie du bist, mit allen deinen Fehlern und Macken, meinte ich dann noch so.
Wahrscheinlich habe ich einfach schon zu viele von diesen Ratgebern gelesen, oder? Meine Kolleginnen haben mich jedenfalls ganz komisch angeguckt und dann gerufen: Los jetzt, steig ein, Hannah, und auf die Hupe gedrückt.
Dann sind wir abgefahren, vorbei an dem alten Rad und dem Restaurant an der Ecke, wo mich dieser eine Kellner immer so massiv angemacht hat, dass ich gar nicht mehr wusste, wie ich da vorbeikomme, vorbei an dem Eiscafé und dem Spielplatz, eigentlich nur zweimal um die Ecke und einmal über den Kanal – trotzdem eine andere Welt.
Mein neues Zuhause: Dieser riesige Wohnblock am Kottbusser Tor sieht aus wie ein Ufo, das zufällig dort gelandet ist. Eine verrückte Techno-Arche-Noah, mit Menschen aus allen Ländern, Künstlern und Arbeitslosen oder Schwulen und Lesben, Junkies und Hausmeistern und bestimmt auch ein paar Außerirdischen oder noch nicht weiter analysierten Lebewesen.
Lauter Balkone mit riesigen Satellitenschüsseln, als ob die Leute noch Kontakt zu anderen Planeten halten wollten. Fast ist es ja auch so: Dort, wo diese Satellitenschüsseln am Fenster hängen, wohnen nämlich Menschen mit Migrationshintergrund, wie man so schön sagt, nur die kriegen die Genehmigung, diese Teile an den Balkon zu montieren. Jetzt wollen sie dort viel verändern, meinte die russische Dame von der Hausverwaltung, weniger Hartz-IV-Empfänger, mehr Künstler – als ob das in Berlin nicht meistens das Gleiche wäre. Und Blumen werden auch angepflanzt, bald soll es sogar einen eigenen Kotti-Honig geben, geliefert von einem Bienenstock, der direkt auf dem Dach haust.
Ich weiß nicht so ganz, wie ich in das Konzept passe, wahrscheinlich haben sie gedacht: Erzieherinnen, die basteln doch immer so viel, die sind ja fast so was wie Künstler, jedenfalls sind es aber keine Hartz-IV-Empfänger, und das ist schon mal gut, und deswegen habe ich auch die Wohnung so schnell bekommen, kaum dass ich mir in den Kopf gesetzt hatte, mich zu verändern. Ich hab mich vorher extra noch mal bei der Hausverwaltung versichert, dass niemand aus meiner Kindergartengruppe dort wohnt, damit ich nicht gleich wieder in die Falle gehe und als Notfall-Babysitter für den ganzen Block herhalten muss.
Keine Ahnung, wie oft ich in diesem Leben noch neu anfange. Wie viele Male diese Waschmaschine irgendwo hingetragen wird, ein Nachsendeantrag gestellt und der Name auf dem Klingelschild erst mal mit Sticker überklebt wird.
Wie oft ich mir meine neue Telefonnummer einprägen werde und wie oft ich mich daran gewöhnen muss, in einem neuen Zimmer aufzuwachen, was ab dann mein Zuhause ist.
Im Treppenhaus stinkt es nach Pisse, und so ein völlig verpeilter Typ kifft auf der Terrasse und schwafelt dabei seltsames Zeug. Was sagt er da? Ahh. Herzlich willkommen.
Anscheinend mein neuer Nachbar. Na spitze. Meine Freundinnen gucken mich vor der Abfahrt skeptisch an, mit diesem Können-wir-dich-überhaupt-hier-alleine-lassen-Blick. Ich sag: Ja doch, Leute, zischt ab, ich wohne ja jetzt schließlich hier, das ist mein neues Zuhause. Das beruhigt die aber kaum, eher im Gegenteil, würde ich sagen. Sie fangen dann auch noch mal davon an, ob ich vielleicht in einer Krise stecke und ob es mir unbedingt guttäte, ausgerechnet hierhin zu ziehen, zu all den ganzen Verrückten und Durchgedrehten, und ob sie mir noch ein paar Bücher ausleihen sollen.
Manchmal glaube ich wirklich, ich bin ihr Lieblingsthema. Wenn man jemanden hat, über dessen Leben man reden kann, muss man sich immerhin nicht so intensiv den Kopf über sein eigenes zerbrechen, oder? Ich hab gesagt, mir geht es wunderbar, vor allem jetzt, wo ich endlich umgezogen bin und meine Ruhe habe. Sie sollen sich mal keine Sorgen machen. Jeder, der ein Herz hat, ist im Winter in Berlin ein bisschen melancholisch, oder? Die Selbstmordrate ist auch ziemlich hoch, aber das sag ich nicht, das würde die nicht beruhigen. Vor allem, weil ich jetzt in einem Hochhaus wohne.
Als sie endlich alle gegangen sind, mit ihrem selbstgebackenen Kuchen und ihren Hausratsversicherungen und Lebensweisheiten und allem, hab ich also angefangen, meine Kartons auszupacken, und alles irgendwie provisorisch in windschiefe Regale gestellt. Bestimmt bleibt es jetzt erst mal ewig genauso stehen. Mein ganzes Leben ist irgendwie immer noch provisorisch wie diese schiefen Regale. Buhuhu.
Jetzt werde ich aber wirklich ziemlich melancholisch. Die Wohnung ist mir noch fremd, aber wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich auf einmal nicht nur den Hinterhof, sondern das ganze heftige Leben da draußen. Alles leuchtet und rennt herum auf dem Weg, wieder woandershin, wo vielleicht irgendjemand wartet. Es beruhigt einen irgendwie, dass da draußen was passiert und man nicht allein auf der Welt ist. Dass alle nach irgendwas suchen und immer weiterlaufen, nicht nur man selbst. Man käme sich sonst so verloren vor, oder? Als wäre man der Einzige, der noch nicht herausgefunden hat, worum es geht und was genau das Ziel der ganzen Sache hier ist.
So ein Umzug stellt einen aber auch vor lauter nahezu unlösbare Aufgaben, wie zum Beispiel das Anschließen von Waschmaschine und Geschirrspüler, diese höchst anspruchsvolle Fernsehsenderprogrammierung und das Andübeln von irgendwelchen Brettern im Bad als nahezu unpackbare Herausforderung.
Ich will aber auf keinen Fall noch mal meine Freundinnen und Kolleginnen fragen, das hat heute schon gereicht. Ich kann mir richtig vorstellen, wie die zu Hause dann zu ihrem Freund sagen: „Hilf doch bitte mal der armen Hannah, diese Sachen anzubringen, sie hat doch sonst niemanden. Sie ist doch so allein. Sie braucht wirklich dringend unsere Unterstützung.“ Und der Typ dann so, halb genervt, halb gönnerhaft, entgegnet: „Na, gut, dann werden wir der Kleinen mal helfen. Wir sind ja nicht so … “
Und wenn er dann hier rumsteht, glotzt er mir die ganze Zeit auf den Po und erzählt mir, dass es bei ihnen zu Hause im Bett schon lange nicht mehr so richtig rundläuft. Und ich nicke, bis der Geschirrspüler wieder geht und die Bretter angebracht sind, und versuche dann, den Typen so schnell wie möglich aus der Wohnung zu bekommen, was gar nicht so einfach ist. Hinterher behauptet er zu Hause dann noch gefrustet, ich hätte ihn angemacht. Und seine Freundin tut so, als wüsste sie nicht, was wirklich vorgefallen ist, und regt sich mit ihm auf: „Die scheint es ja wirklich nötig zu haben … Wir haben ihr doch wirklich nur helfen wollen, und dann so was. Dieses Biest. Undank ist der Welt Lohn.“ Auf der Arbeit redet sie dann zwei Wochen nicht mehr mit mir, dann wissen bald alle Bescheid – sogar die Eltern, und so weiter und so weiter. Eine einzige Katastrophe. Eier werden gegen meine Tür geworfen. Ein anonymes Schreiben erreicht mich Sonntagnachmittag.
Irgendwann muss ich dann ganz bestimmt auswandern. Das alles nur, weil ich dachte, ich brauche dringend einen funktionierenden Geschirrspüler. Das alles nur, weil ich als einigermaßen mitteljunge Frau allein lebe. Das ist niemandem richtig geheuer. Wenn es zu lange geht, sieht es nach Herausforderung aus, als würde man das System in Frage stellen. Es kann doch nicht sein, dass sie keinen braucht? Mit der stimmt doch was nicht. Also wenn ich es mir recht überlege: Auf diesen ganzen Trubel kann ich wirklich verzichten, und genau deshalb werde ich mir nichts anmerken lassen!
Es kann unter diesen Umständen allerdings leider wirklich sein, dass ich monatelang ohne Geschirrspüler und Bretter im Bad zubringe. Noch schlimmer ist die Waschmaschine, die kann ich eigentlich unter keinen Umständen entbehren. Nur weil ich niemanden fragen will. Dass im Rahmen eigenständiger Fernsehsendereinstellungsbemühungen bei mir die ARD auf Programmnummer 22 landet und Pro Sieben auf Nummer 2 und das ZDF dafür auf 44 und auf 1 der Offene Kanal, das ist noch das kleinste Problem …
Dann orientiert man sich eben am besten an diesen Symbolen in der Ecke. Vielleicht sind die ja auch dafür da. Für alle, die es sonst nicht hinkriegen. Für Leute wie mich. Was soll’s. Ich wollte sowieso nicht mehr so viel fernsehen.
Ich weiß, emanzipierte Frauen sollten das wirklich selbst hinkriegen, dieses ganze technische Zeug, sonst ist die ganze Frauenunabhängigkeitsnummer auch nur die reinste Heuchelei, aber ich bin absolut unfähig in dieser Hinsicht und dazu auch noch so wahnsinnig ungeduldig. Es muss jemand her, der mir helfen kann: ein Mann. Ein richtiger Mann, der solche Sachen kann, der das beigebracht bekommen hat von seinem Vater oder seinem Stiefvater oder dem Nachbarn, oder vielleicht ja auch von seiner Mutter, die eben andere Talente hat als ich. Kann doch sein. Aber wo soll dieser Mann auf einmal herkommen?
Er soll nicht zum Bekanntenkreis gehören und auch nicht mit jemandem liiert sein, den ich kenne und dem ich dankbar sein muss aus den genannten Gründen.
Bei meiner Arbeit im Kindergarten treffe ich auch nur auf verzweifelte, alleinerziehende Mütter und einige wenige Familienväter, die noch nicht davongelaufen sind und die ihre ganze Energie brauchen, um die Stellung zu halten. Die werde ich mal lieber nicht aus dem Tritt bringen. Es gibt wirklich keinen Beruf, in dem es unmöglicher ist, einen echten Mann kennenzulernen, als Erzieherin, ehrlich. Vielleicht noch Totengräber. Aber da gibt es immerhin noch die Angehörigen, die Trost und Nähe suchen. Ich vermute, selbst das ist allemal besser als im Kindergarten. Dort kriegt man, so weit das Auge blickt, nur gescheiterte Beziehungsmodelle vor Augen geführt, und alle, die da herumlaufen, sind bis auf die Kinder, einigermaßen verzweifelt.
Bekiffte Nachbarn und Oberkellner aus umliegenden gastronomischen Einrichtungen werde ich lieber auch nicht als Handwerker konsultieren, weil diese Kandidaten es so an sich haben, auf meine Dankbarkeitsbekundungen in Naturalien zu spekulieren. Und weil ich ihnen danach auch noch jeden Tag begegne und nicht entrinnen kann, wäre das absolut keine gute Idee.
Letztens hat meine Arbeitskollegin Susa ihren Mann auf so einem Internetportal entdeckt, weil er dort heimlich nach einer Zweitfrau suchte. Eine alleinerziehende Mutter aus meiner Gruppe hatte nämlich ein Date mit ihm, und als er beim Sommerfest aufkreuzte, um Susa abzuholen, und diese Mutter auch da war, ist dann alles aufgeflogen … Sie hat ihn rausgeworfen. Meinte ein paar Wochen lang, es gehe ihr fabelhaft ohne ihn. Dann hat sie nicht mehr so viel darüber geredet. Und jetzt ist er schon wieder bei ihr eingezogen. Und das Kind von der anderen ist jetzt im Hort. Und wir Kollegen tun so, als würden wir uns an nichts erinnern. Aber ich kann mich doch erinnern, und zwar, als wir ihn und sein Foto entdeckt hatten im Computer, da war daneben noch ein Bild von jemandem, der mir gefallen hat. Und ich dachte im Stillen, vielleicht finde ich ja dort eventuell auch meinen Handwerker?! Ich hab mich also da angemeldet, auf diesem Portal, aber ich habe es niemandem erzählt. Jetzt, wo ich endlich allen begreiflich gemacht habe, dass ich niemanden brauche, niemanden will und sehr gut allein klarkomme, würde das ja komplett mein Image ruinieren. Ich meine, ich muss ja nicht gleich den Mann fürs Leben dort finden, aber vielleicht wenigstens einen, der Regalbretter anbringen und eine Waschmaschine anschließen kann.
Natürlich könnte ich mir auch einfach einen Handwerker bestellen, das gebe ich zu. Aber das ist ja auch irgendwie ganz schön peinlich, für all diese kleinen Sachen extra jemanden kommen zu lassen. Ich meine, jeder hat doch irgendjemanden, der ihm ein paar Regalbretter anbringen kann, oder? Nur ich nicht.
Ich lade kein Foto von mir hoch, nachher erkennt mich noch einer wie bei dem Mann meiner Kollegin. Ich beantworte keine einzige Frage und beschreibe mich auch in keinster Weise. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig. Es ist nahezu unmöglich, sich ein Bild von mir zu machen, ich bin so universell wie Maxi Mustermann, und natürlich ist es fraglich, ob ich auf diese Weise auch nur eine einzige Person für mich und meine ganz spezielle Einzigartigkeit begeistern kann. Immerhin lässt es viel Spekulationsfreiraum, man kann sich alles in mein Profil reindenken, und das ist doch auch was, oder? Ich bin ein unbeschriebenes Blatt.
Ich gebe mir aber (natürlich gezwungenermaßen) einen Codenamen, und zwar nenne ich mich ganz einfach Hanna, bloß ohne h am Ende, weil ich keine Lust habe auf alberne Spitznamen und weil keiner sich da so nennt, wie er wirklich heißt, und deswegen würde ja auch keiner darauf kommen, dass man selbst wirklich so heißt. Das ist eigentlich die allerbeste Tarnung, oder? Genial.
Hach. Ich überfliege den ganzen langweiligen Anfangstext und gehe direkt über zur ersten Frage. Ich will diesen Fragebogen möglichst so beantworten, dass mir auf jeden Fall ein paar echte Handwerker angeboten werden. Genau wie früher bei den Frauenzeitschriften, wo man auch immer wusste, was man ankreuzen muss, damit man möglichst gut dasteht beim Psychotest. Sind Sie: die perfekte Geliebte, die gute Freundin oder die Frau fürs Leben? Nach langem Überlegen schreibe ich auch noch, ich bin Erzieherin. Das klingt nett und bodenständig, das klingt nach Harmonie und nach Eisladen, das klingt irgendwie so gar nicht nach mir, wie ich wirklich bin.
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