Rosmarie Weichsler und das Lächeln des Teufels

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Ein Fehler, wie sich jetzt herausstellte. Rosa hätte möglicherweise eine interessante Beobachtung machen können.
Das Gespräch zwischen Trafikantin und Inspektor wurde immer wieder durch Kunden unterbrochen, die sich mit Zeitungen und Zigaretten versorgten.
»So, jetzt störe ich dich nicht mehr. Halte Augen und Ohren offen! Vielleicht erfährst du etwas über die Beteiligten«, verabschiedete sich Frühauf.
Die meisten Kunden wussten nicht vom Tod des Intendanten. Zeitungen und Fernsehen berichteten noch nicht darüber, nur im Radio hatte es eine Nachricht dazu gegeben.
Kurz vor neun besorgte sich wie jeden Tag Bert Schober seine Memphis-Zigaretten. Drei Packungen. Der Redakteur des Tagesboten war starker Raucher.
»Keine hundert Meter von hier entfernt wurde Siegi ermordet«, stellte er fest.
Die Trafik, die die Schwestern Weichsler von ihrem Vater übernommen hatten, war an die äußere Schlossmauer angebaut.
»Und keine hundert Meter weiter befindet sich die Bundespolizeidirektion mit ihrem Ermittler Herbert Frühauf«, stellte Marie Weichsler fest. »Ein Kraftfeld der Ereignisse in diesem Fall.«
»Diese Formulierung muss ich mir merken. An Ihnen ist ein Journalist verlorengegangen«, sagte Schober und steckte sich eine Zigarette an.
Lächelnd las er die Warnung auf der soeben geöffneten Packung: Rauchen kann Ihre Gesundheit gefährden.
»Siegi hat nicht geraucht und ist jetzt tot. Ich lebe noch. Soviel zu diesem Thema«, meinte er.
»Sie kannten Herrn Hagen?«
»Wer kannte ihn nicht? Er hatte in dieser Stadt überall seinen Nassen drin.« Verschämt ob dieser Aussage senkte er seinen Blick und entschuldigte sich.
»Keine Ursache«, beruhigte ihn Marie Weichsler.
»Ja, und ich kannte ihn von den Schlaraffen her.«
Schon wieder die Schlaraffen, dachte Marie Weichsler. Ein weiteres Kraftfeld in diesem Fall.
»Irgendjemand muss doch Fotos gemacht haben von der Aufführung«, überlegte der Journalist.
»Wenn es nicht verboten war, Fotos zu machen.«
»Das ist heutzutage kein Problem. Man kann mit jedem Handy Aufnahmen machen, ohne dass es jemand bemerkt.«
»Sie meinen …«
»Es wäre«, sagte der Redakteur, »zumindest eine Möglichkeit, zu sehen, wer bei den Getränken war.«
»Sie könnten einen Aufruf in die Zeitung geben, mögliches Material anonym an Sie zu senden.«
»Per E-Mail. Eine gute Idee. Ich weiß, was ich an Ihnen habe, Rosmarie.«
»Ich auch«, erwiderte diese. Und Schober war sich nicht im Klaren, ob er soeben ein Kompliment oder Eigenlob vernommen hatte.
Dann rief Rosa Weichsler bei ihrer Schwester an und teilte ihr mit, dass sie Monika Hauser gebeten habe, sie am Nachmittag in der Trafik zu vertreten. So konnte zumindest eine von ihnen ermitteln, ohne dass das Geheimnis der Zwillingsschwestern verraten wurde.
»Ich werde sie bitten, sich auch an den kommenden Tagen bereitzuhalten«, sagte Marie Weichsler und erkundigte sich nach der Darstellerin des Teufels.
»Warum fragst du, Rosa?«
»Frühauf verdächtigt sie.«
»Ein sicheres Zeichen, dass die Frau unschuldig ist.«
»Er hat erzählt, dass – ich weiß nicht einmal, wie sie heißt …«
»Viola Gattinger.«
»… dass diese Gattinger schon einmal die Getränke auf der Bühne manipuliert hat. Allerdings nur mit einem Abführmittel.«
»Sie wirkte ziemlich authentisch als Teufel.«
»Du verdächtigst sie auch?«
»Wie gesagt, wenn Frühauf sie nicht in Verdacht hätte, wäre sie ein möglicher Täter.«
»Eine erste Spur, also.«
»Und sonst?«
»Noch nichts Dramatisches. Schober sucht nach heimlich gemachten Fotos.«
»Gut. Du kommst zum Mittagessen.«
»Alles klar. Was gibt es?«
»Marillenknödel.«
»Erdäpfel- oder Topfenteig?«
»Was du willst.«
»Topfen.«
»Ist mir auch lieber.«
»Wirklich?«
»Schließlich sind wir Zwillinge und lieben denselben Mann.«
»Von lieben kann keine Rede sein.«
»Auch darin sind wir uns einig.«
Um Viertel vor elf betraten eine große, stattliche Frau und eine etwas verwachsen wirkende Kleine das Geschäft. Die Große gab drei Lottotipps auf, die Zierliche erwarb Frauenzeitschriften.
Von den beiden erfuhr Marie Weichsler, dass für elf eine Krisensitzung im Schlossrestaurant anberaumt war. Die Frage, ob trotz des Todes des Intendanten weitergespielt werden solle, erübrigte sich zumindest für die Souffleuse.
»Selbstverständlich. Alle zehn Vorstellungen sind ausverkauft. Und es wäre sicherlich auch im Sinne des Verstorbenen, weiterzumachen«, fand Herta Sonnleitner.
»Ich weiß nicht recht«, entgegnete Nella Steiner-Optresal. »Mir macht die Arbeit heuer wenig Freude. Sie steht unter keinem guten Stern.«
»In den Karten finde ich Klarheit und Reinigung«, widersprach ihr die Souffleuse.
»Sie sind Kartenlegerin, Frau Sonnleitner?«, fragte Marie Weichsler.
»Ein Hobby.«
»Welches System?«
»Wie meinen Sie das?«
»Skat, Lenormand, Zigeunerkarten?«
»Tarot«, antwortete die Souffleuse.
»Hast du schon herausgefunden, wer der Mörder ist?«, fragte die Schauspielerin.
»Oder die Mörderin«, sagte die Kleine und blinzelte durch ihre dicken Brillengläser. »Für Gift sind die Frauen zuständig.«
»Und was sagen Ihnen die Karten?«, wollte Marie Weichsler wissen.
»Mehr als mein Verstand. Die Karten deuten auf einen Zwiespalt hin. Noch bin ich mir nicht im Klaren, was genau es bedeutet, aber ich arbeite daran.«
»Gut, dann lassen wir uns überraschen, was die beiden Gro-ßen sagen. Entschuldige, Herta. Wie gedankenlos von mir. Ich meine die beiden Stars. Von ihnen hängt wohl alles ab.«
»Sie meinen Marold-Foltin«, schaltete sich Marie Weichsler wieder in das Gespräch ein.
»Alles tanzt nach ihrer Pfeife. Nur dass jetzt ein Totentanz daraus geworden ist.« Die Stimme von Nella Steiner-Optresal klang verbittert. »Kommst du mit, Herta?«, wandte sich die Schauspielerin des Linzer Landestheaters an die Souffleuse.
»Einen Augenblick noch«, bat die Kleingewachsene.
»Ich geh inzwischen voraus.«
Nach Nella Steiner-Optresals Abgang vertraute Herta Sonnleitner Marie Weichsler an, dass die Steinerin, wie sie sich ausdrückte, eigentlich über Hagens Tod froh sein müsste. Hagen hatte ihr und dem Ursprunger die großen Rollen weggenommen, die sie seit Jahren spielten und sie den Stars überlassen.
»Eine Demütigung für die beiden, die nun wirklich in die Jahre gekommen sind. Romeo und Julia könnten sie nur mehr in einer Parodie geben.«
»Für die Macbeths wären sie ideal«, fand Marie Weichsler.
»Sie glauben, dass sie die Mörder sind?«, fragte die Souffleuse.
»Welchen Grund hätten sie dafür? Die Hauptrollen sind und bleiben in anderer Hand. Rache vielleicht?«
»Möglich«, fand Herta Sonnleitner und blätterte weiter in den Frauenzeitschriften.
»Und das Tarot? Sie sprachen von einem Zwiespalt.«
»Ich habe, als ich gestern Nacht nach Hause kam, die Karten befragt und die Teufelskarte gezogen. Sie zeigt einen Zwiespalt an.«
»Zwischen Gut und Böse?«
»Nein. Aber das ist heikel. Ich muss mich erst näher damit befassen.«
Die Kleine bezahlte die drei von ihr gewählten Magazine, huschte bei der Tür hinaus und ließ Marie Weichsler ratlos und neugierig zurück.
Diese entschloss sich, ihre Schwester anzurufen und sie zu bitten, herauszufinden, was genau die Teufelskarte des Tarots zeigte.
»Im Internet, ja. Schau nach!«
Einige Zeit später kam der Anruf mit der gewünschten Auskunft: »Der Teufel sitzt auf einer Art Stein und wirkt ganz und gar nicht bedrohlich, obwohl er recht grimmig dreinschaut. Er hat Hörner, ist behaart. Irgendwie erinnert er mich an Herbert.«
»Frühauf hat keine Hörner und nichts Dämonisches«, verteidigte Marie den gemeinsamen Freund.
»Dieser Teufel auch nicht. Bemerkenswert ist allerdings … Warte einen Augenblick, ich muss zum Herd schauen. Damit die Knödel nicht aufgehen.«
Ein billiger Trick von Rosa, um ihren Recherchen Spannung zu verleihen. Billig und leicht zu durchschauen. Marie würde sich revanchieren.
»So, jetzt bin ich zurück«, meldete sich die Schwester.
»Du entschuldigst mich einen Augenblick. Die Trafik ist voller Leute. Ich ruf dich zurück, sobald es geht.«
Kein Mensch war im Geschäft. Um die Zeit zu überbrücken, nahm sich Marie eine Ausgabe der Tagespost vor und blätterte sie durch, dann tippte sie die Nummer ihres Hauses in die Tastatur des Telefons.
»Du findest etwas bemerkenswert auf der Karte.«
»So, habe ich das gesagt?«
Marie schwieg. Sie wollte ihrer Schwester keine Chance geben, das Hinhaltespiel fortzusetzen.
»Bist du noch dran?«
»Ja. Ich warte auf das Bemerkenswerte.«
»Also, vor dem Teufel, an den Stein angekettet, stehen ein Mann und eine Frau. Nackt.«
»Und der Zwiespalt?«
»Ich habe nichts von einem Zwiespalt gesagt.«
»Du hast Recht. Das war die Souffleuse.«
»Was könnte sie damit gemeint haben?«
»Das musst du sie selbst fragen.«
»Denk nach, Rosa!«
»Zwiespalt zwischen Mensch und Tier, vielleicht. Der Teufel hat Hörner, einen Schwanz, ist stark behaart. Seine Zehen sind eigentlich Klauen.«
»Und die Nackten?«
»Sie haben auch Schwänze.«
»Du meinst den Mann.«
»Auch die Frau.«
»Das versteh ich nicht.«
»Schwänze wie ein Hund, ein Pferd, die vom verlängerten Rücken ausgehen.«
»Ach so.«
»Ganz was anderes. Ich habe Papa eingeladen. Er liebt Marillenknödel. Und er hat Neuigkeiten.«
»Inwiefern.«
»Er hat eine Verabredung mit Herberts Mutter.«
»Nein!«
»Doch. Zwischen den beiden läuft etwas.«
3. UNTERWEGS MIT HERBERT
Der braune Großpudel, der Marie Weichsler überschwänglich begrüßte, als sie von der Garage in den Flur des Hauses trat, das sie mit ihrer Schwester bewohnte, hieß Herbert, wie der Chefinspektor.
Marie kraulte sein gelocktes Haar und gab ihm einen Kuss auf die lange, schlanke Schnauze, dann betrat sie die geräumige Küche, in der es nach gerösteten Semmelbröseln duftete, grüßte ihren Vater und die Schwester und nahm Platz am Esstisch.
»So kann nie etwas daraus werden«, setzte ihr Vater das Gespräch mit Rosa fort. »Und die Jüngsten seid ihr auch nicht mehr.«
»Sechsundvierzig«, sagte Marie.
»Wir sind zufrieden, wie es ist«, verteidigte sich Rosa vom Herd her.
»Womit sind wir zufrieden?«, erkundigte sich Marie.
»Mit Herbert.«
»Er ist ganz reizend. Sauber, folgsam und kuschelig.«
»Du meinst den Hund«, brummte der Vater. »Ich spreche von eurer merkwürdigen Beziehung zu Lilys Sohn.«
»Ach, du sprichst vom Chefinspektor.«
»Jawohl, das tue ich. Ihr müsst endlich dieses perverse Spiel aufgeben, das ihr mit ihm treibt. Entscheidet euch, welche ihn am meisten liebt, oder gebt euch als Zwillinge zu erkennen und liebt ihn beide. So aber blockiert ihr alles.«
»Was immer du unter alles verstehst, Papa«, sagte Rosa.
»Und bei dir und deiner Lily ist nichts blockiert?«, fragte Marie.
»Jetzt habt ihr euch wieder verbündet. Zwei gegen einen.«
»Du tust uns wirklich leid. Wie viel?«
»Was heißt das schon wieder?«
»Wie viele Knödel möchtest du?«
»Sie sind ja ziemlich klein.«
»Also acht.«
»Wenn genug für euch übrigbleibt.«
Das Verkosten der saftigen Marillenknödel ließ die Tischgesellschaft verstummen. Erst als sich allmählich Sättigung einstellte, fand Roman Weichsler zum Ausgangsthema zurück: »Man muss in einer Beziehung, die einem wichtig ist, alles auf eine Karte setzen.«
»Und das tust du mit Herberts Mutter.«
»Sie ist noch sehr attraktiv. Eigentlich. Und ich bin auch noch ganz gut in Form.«
Die beiden Töchter schwiegen.
»Oder nicht?«, fragte Vater Weichsler.
»Doch, doch.«
»Eigentlich schon.«
»Sie kommt heute Abend zu mir.«
»Ach.«
»Oh.«
»Ja.«
»Viel Spaß.«
»Hoffentlich.«
»Und die Karte?«
»Welche Karte?«, fragte Papa Weichsler verwirrt.
»Du sagtest, dass man alles auf eine Karte setzen soll.«
»Das ist eine Redensart.«
Teufelskarte, dachten Rosa und Marie und ließen Pudel Herbert ihre Teller leerschlecken.
»Ich weiß nicht, was Trude und ich bei euch falsch gemacht haben. Warum lebt ihr nicht wie andere Menschen?«, raunzte der alte Weichsler.
»Willst du noch einen Knödel?«
»Ja.«
»Dann sei ruhig!«
»Hast du ihr unser Geheimnis verraten?«, fragte Rosa ihren Vater.
»Ich, wieso?«
»Herberts Mutter weiß, dass es zwei von uns gibt.«
»Sie hatte einen Verdacht, und ich fand es kindisch …«
»Du hast geplaudert. Also, so etwas! Dabei hast du uns versprochen …«
»Sie hat mir versichert, ihrem Sohn nichts zu verraten. Und eines Tages wird die Sache ohnehin auffliegen. Er braucht doch nur im Meldeamt nachzufragen. Der Mann ist ja nicht dumm.«
Darauf schwiegen die Zwillingsschwestern.
»Wie auch immer«, meinte der Vater. »Ich lege mich in die Sonne.«
»Tu das! Damit du Liliane mit sportlichem Teint beeindruckst.«
»Ich rufe Herbert an. Wir sollten ihn am Nachmittag bei den Ermittlungen begleiten.«
»Wir?«, fragte Rosa.
»Ich, als die Erstgeborene«, stellte Marie klar. »Und du erkundigst dich bei Monika Hauser in der Trafik, was die Krisensitzung der Theaterleute gebracht hat.«
»In Ordnung. Du bist die Ältere.«
»Willst du mich beleidigen?«
Die Besprechung der Schauspieler war offenbar noch im Gange. Jedenfalls war noch keiner von ihnen in die Trafik gekommen, der Chefinspektor wollte seine Rosmarie gegen vierzehn Uhr abholen, Rosa Weichsler verließ den Garten mit Pudel Herbert durch den Hinterausgang und wanderte den Pfad am Fluss entlang zum Münichholzer Wald, als sich Monika Hauser über das Handy meldete.
»Sie spielen weiter. Ohne Lou Marold und Roger Foltin«, berichtete die Vertretung aus der Trafik.
»Das heißt, dass die Steiner und der Ursprunger die Hauptrollen übernehmen. Wer hat dir das erzählt?«
»Die Kleine.«
»Die Souffleuse?«
Monika Hauser bestätigte das.
Die Gedanken, die anfangs durcheinander wirbelten, setzten sich allmählich. Im Wald war es an diesem heißen Augusttag einigermaßen kühl, Herbert trabte brav die Wege entlang. Er war so gut erzogen, dass er frei laufen konnte, ohne Hasen, Rehe, Jogger oder Radfahrer zu verfolgen. Auch an anderen Hunden zeigte er nur mäßiges Interesse. Ihm waren nur seine beiden Herrinnen wichtig, die sich nie sicher waren, ob er sie auseinanderhalten konnte.
Dem Vater war das nie gelungen. Er war es, der den Namen Rosmarie erfunden hatte. Die früh verstorbene Mutter hatte nie Probleme gehabt, zwischen den beiden Mädchen zu unterscheiden.
Also, überlegte Rosa Weichsler, der Ermordete war ein unsympathischer Mensch gewesen, den niemand wirklich vermisste, außer seiner Familie vielleicht. Er hatte die langjährigen Hauptdarsteller kurzerhand in die zweite Reihe verbannt und zwei wirkliche Stars engagiert. Ein Umstand, der auf Geschick und Durchsetzungskraft schließen ließ. Und jetzt verließen die beiden Großen der Schauspielzunft die Stadt, und Steiner und Ursprunger übernahmen die Rollen. Die Darstellerin des Teufels hatte schon einmal etwas in die Getränke der Tischgesellschaft gemischt. Und die Souffleuse hatte von einer Teufelskarte gesprochen. Und von einem Zwiespalt. Was meinte sie damit? Oder wollte sie sich bloß wichtigmachen?
O Gott, sie war so sehr in Gedanken gewesen, dass sie den herannahenden Herrn Rammerstorfer übersehen hatte. Für gewöhnlich wich sie ihm aus, denn der Mann, der seinen kurzatmigen Mops spazieren führte, konnte dem optimistischsten Menschen die Stimmung vermiesen. Alles Unheil dieser Welt schien sich auf ihn und seinen Hund zu konzentrieren. Rosa nannte ihn den Herrn Jammerstorfer.
»Puppi hat Durchfall«, begrüßte er sie schon von weitem. Herbert machte einen weiten Bogen um den Mops und schnupfte vor sich hin. Der Geruch des Artgenossen schien ihn zu stören.
»Ganz gelb rinnt es aus ihm heraus«, setzte Jammerstorfer die Schilderung der Verdauung seines Hundes fort.
»Hat er etwas Unrechtes gefressen?«, erkundigte sich Rosa Weichsler.
»Der Zimmermann. Sie wissen schon, Frau Rosmarie, die Firma, die unsere Grünflächen betreut, hat die Wege mit Unkrautvernichtungsmittel verseucht und dabei natürlich auch das Gras am Rand erwischt. Puppi hat davon gefressen, und jetzt leidet er. Ich hab es den Leuten vom Zimmermann schon tausendmal gesagt, sie sollen damit aufhören. Aber es nützt nichts. Sie lachen nur frech.«
»Dann wünschen wir Puppsi baldige Genesung«, wollte sich Rosa von Herrn Rammerstorfer verabschieden, doch dieser setzte seine Klagen fort: »Auch mir geht es nicht besonders heute. Die Hitze. Ich bin ganz schwindlig. Mein Gott, der Puppi wäre verloren, wenn mit mir etwas sein sollte.«
»So geht es uns allen«, sagte Rosa und eilte ihrem Herbert nach, der schon längst das Weite gesucht hatte.
Als Rosa Weichsler in den sommerlich blühenden Garten zurückkehrte, wollte Herbert auf Vater Weichsler losstürmen, der, nur mit einer ziemlich knappen Unterhose bekleidet, auf einer Campingliege schlief.
Der Mann hatte für seine 68 Jahre eine gute Figur, fand Marie, seine Hautfarbe jedoch gefiel ihr gar nicht. Sie ähnelte der eines gekochten Krebses. Also ließ sie den Pudel von der Leine. Herbert beschnupperte Roman Weichslers Gesicht und leckte über den schweißbedeckten, grellroten Oberkörper.
»Rabenvieh, elendes!«, brummte der alte Weichsler und wollte weiterschlafen.
»Dreh dich wenigstens um, sonst brennst du noch an«, sagte die Tochter.
»Ach, du liebe … Was weckt ihr mich denn nicht! Wie sehe ich denn aus!«, schimpfte der Mann.
»Ein Brandopfer.«
»So kann ich mich unmöglich bei Lily sehen lassen.«
»Die glaubt noch, du hast Viagra genommen.«
»Wie kommst du darauf«, klang Papa Weichsler beinahe ertappt.
»Weil du einen so roten Kopf hast.«
»Du musst mich entschuldigen bei ihr.«
»Fällt mir nicht im Traum ein.«
»Sonst verrate ich euer Geheimnis.«
»Das hast du schon.«
»Ich bitte dich darum.«
»Schon gut. Wann, glaubst du, bist du wieder präsentabel?«
»In einer Woche, hoffe ich. Wenn mir dann die Haut in Fetzen …«
»Du bist schon wie der Jammerstorfer«, unterbrach ihn Marie.
»Wer?«
»Ach nichts.«
»Das war ein Wink von Trude.«
»Du machst unsere verstorbene Mutter dafür verantwortlich, dass du in der prallen Sonne einschläfst?«
»Sie ist so eifersüchtig. Sie ist gegen diese Beziehung.«
»Das ist dein schlechtes Gewissen. Sonst gar nichts.«
»Du hast ja keine Ahnung!«
In den drei Jahren, in denen ihm Rosmarie Weichsler bei wichtigen Ermittlungen zur Seite gestanden war, war es aufwärts gegangen mit seiner Karriere. Am Ende des letzten Jahres war Herbert Frühauf zum Chefinspektor befördert worden.
Rosmarie saß in Uniform neben ihm und nannte sich Marie Weichsler. Wenn jemand in ihr die Trafikantin Rosmarie Weichsler zu erkennen glaubte, erklärte man ihm, dass dies ihre Zwillingsschwester Rosa wäre. Marie sei Inspektor bei der Bundespolizei Steyr.
»So eine lächerliche Lüge!«, fand Frühauf. »Aber wenn du meinst, das sei nötig …«
Während der Chefinspektor den Dienstwagen Richtung St. Ulrich lenkte, wo Siegfried Hagens Haus stand, stellte Marie, beziehungsweise Rosmarie, ihm Fragen zum Ermordeten.
»Du kennst ihn von den Schlaraffen. Was für ein Mensch ist er?«
»Eine der Grundregeln unserer Bruderschaft ist Freundschaft, auch wenn das bei manchen nicht so leicht ist.«
»Er war ein Kotzbrocken«, versuchte Marie zum Kern vorzustoßen.
»Sozusagen. Auch wenn ich das nicht so formulieren würde.«
»Inwiefern kotz, inwiefern Brocken?«
»Was soll das werden? Ein Verhör?«
»Ja.«
»Er hat sich etwas zuschulden kommen lassen und sollte dafür ausgeschlossen werden. Durch eine Spende konnte er das verhindern, war aber zum Außenseiter geworden.«
»Er hat in die Vereinskasse gegriffen.«
»Er war Reychsschatzmeister.«
»Das heißt Kassier?«
Der Chefinspektor nickte.
»Und er hat den Schaden beglichen und darüber hinaus gespendet?«
»Ich habe so etwas läuten gehört.«
»Alles klar.«
Das Haus der Hagens fiel auf in der kleinen Siedlung des Steyrer Vorortes St. Ulrich. Ein geschwungenes zweiflügeliges Tor aus Metall verwehrte den Zutritt zur Auffahrtsrampe, die mit Pappeln gesäumt war. Am Ende dieser Straße stand ein burgartiges Gebäude in Schönbrunnergelb.
»Möchtegern-Schlossherr«, lästerte Frühauf.
»Passend zu meiner Möchtegern-Polizistinnen-Uniform«, sagte Marie Weichsler.
»Sie erleichtert uns die Arbeit.«
Frühauf öffnete ein Fenster des VW Touran und drückte den Knopf am linken Torpfeiler. Eine verzerrte weibliche Stimme meldete sich und bat, den Wagen draußen zu lassen, weil sonst die Auffahrt beschädigt werde.
Marie Weichsler und der Chefinspektor näherten sich dem Hauseingang also zu Fuß.
In der offenen Tür stand die extrem schlanke Frau des Ermordeten.
Marie Weichsler fielen Anita Hagens Augen auf. Sie waren groß und dunkel und glänzten unnatürlich. Die Frau hatte entweder Medikamente genommen oder viel geweint, oder beides.
Ihr fuchsartiges Gesicht war von tiefen Falten geprägt, sie war nicht geschminkt, trug nur einen Hauch von Lippenstift.
Sie bat Marie Weichsler und Herbert Frühauf in die Küche und bot ihnen Kaffee an.
»Die Kinder sind bei meinen Eltern. Ich versuche hier durchzuhalten, weil einige Formalitäten zu erledigen sind«, erklärte die Frau.
»Hat Ihr Mann ein Testament hinterlassen?«, fragte der Chefinspektor.
»Darauf habe ich bestanden.«
»Und Sie sind finanziell abgesichert?«
»Die Ausbildung der Kinder ist durch eine Lebensversicherung gedeckt. Der Rest ist fraglich.«
»Wie meinen Sie das, Frau Hagen?«, stellte Marie Weichsler ihre erste Frage.
»Siegfried war ein Spieler«, erklärte die Frau. »Kein Glücksspieler, nein. Ich meine das beruflich. Ein Projekt führte zum nächsten und wurde durch dieses finanziert. Kredite, Stiftungen, neuerdings in den ehemaligen Oststaaten. Einkaufszentren, die er selbst mieten musste, weil sich keine Interessenten fanden. All das bezeichnete er als Anfangsschwierigkeiten. Er sprach von notwendigen Investitionen, die sich tausendfach rechnen würden. Daneben schlug er sich noch mit gesellschaftlichen Verpflichtungen herum, die er als Netzwerk bezeichnete, ohne das man nicht an die entscheidenden Leute herankomme.«
»Die Intendanz der Sommerspiele«, bemerkte Marie Weichsler.
»Eine völlig überflüssige Angelegenheit, die ihm nur Ärger brachte.«
»Das kann man wohl sagen«, meinte Frühauf, entschuldigte sich jedoch umgehend bei Frau Hagen für die unbedachte Äußerung.
»Wie meinten Sie das mit dem Ärger?«, nahm Marie Weichsler den Gesprächsfaden auf.
»Man wollte ihn nicht mehr als Intendant. Statt dass er froh darüber gewesen wäre, diese Last endlich ablegen zu können, bemühte er sich um die beiden Stars. Die Folge waren Hasstiraden der Schauspieler, die sich benachteiligt fühlten.«
»Steiner-Optresal und Ursprunger«, sagte Rosa Weichsler.
Die Frau nickte.
»Wie ist es Ihrem Mann gelungen, die beiden Stars zu engagieren?«, wollte Marie Weichsler wissen.
»Er kannte Lou Marold persönlich.«
»Wie hat er sie kennengelernt?«
»Mein Mann war in einem Internat in Bad Ischl, wo er auch maturierte. Frau Marold war Mitschülerin.«





