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Anna läuft die Treppe nach unten, in die Garage, um zu überprüfen, ob der funkelnagelneue Audi A1 ihrer Mutter auf seinem Parkplatz steht. Der Wagen fehlt.
Sie greift zum Telefon. Weder verpasste Anrufe, noch Kurznachrichten werden angezeigt.
Sie versucht nochmals, ihre Mutter zu erreichen. Sie wird direkt in die Mailbox weitergeleitet. Bevor sie nach der obligaten Ansage den Piepton hören würde, unterbricht sie bereits die Verbindung.
Anna schüttelt ihren Kopf und ruft als nächstes Claudia an.
»Bigler?«
»Hallo. Können wir uns abends treffen?«, fragt sie ihre Freundin bedrückt.
»Kann ich dir noch nicht sagen. Sitze hier auf der Terrasse, mit einem netten Bekannten, inmitten der Berge. Blicke auf einen smaragdgrünen See. Hier lässt es sich aushalten. Wir sollten einmal ein Wochenende hier verbringen.«
»Schade – Melde dich, wenn du zurück bist. Brauche jemanden zum … « Ihre Freundin hat das Gespräch bereits unterbrochen. Anna schüttelt den Kopf und steckt verwundert das Mobiltelefon in ihre Tasche.
6
Bei Selbstmord würde eine einfache Bestandsaufnahme genügen, für Mord oder Unfall gibt es noch nicht viele Anhaltspunkte, aber die Möglichkeit besteht, überlegt Peter. Zunächst muss die Identität geklärt werden und er soll hinauf zur Aussichtsplattform. Der Kriminalist ist nicht erfreut über diesen Umstand.
Er blickt hinüber zu Claudia, die in der Nähe des Bootssteges steht und fotografiert.
»Ich muss zum Seeblick hinauf. Sehe ich dich nachher?!«, ruft er Claudia zu.
Sie kommt näher und antwortet mit einem verschmitzten Lächeln auf ihren Lippen: »Selbstverständlich. Du musst mir ja meinen Artikel freigeben. Aber, eine Frage: Darf ich dich begleiten, dir über die Schulter schauen?«
»Äh, das geht nicht. Hier wird ermittelt. Da sind Privatpersonen leider nicht zugelassen … «
»Aber nicht am Weg hinauf. Sieh nur, das Absperrband ist schon entfernt worden. Peter bitte, von da oben hat man sicherlich einen wunderschönen Blick auf den See. Ich könnte atemberaubende Fotos schießen. Lass mich dich … «, bettelt Claudia unabweisbar.
»… Na gut, aber bestenfalls nur über die Schulter sehen. Nichts angreifen«, lässt sich Holzinger breitschlagen.
Schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass Claudias Schuhwerk nicht die beste Wahl für so einen steilen Aufstieg ist. Sie hat Mühe, Peter zu folgen. Doch der Kommissar erweist sich als Gentleman der alten Schule. Immer wieder hält er inne und reicht Claudia seine Hand, hilft ihr über die vielen kleinen Geländestufen hinweg. Auf halber Höhe biegt er in eine Aussichtsbucht ein. Von dort hat man freien Blick auf die danebenliegende Steilwand.
»Willst du nicht fotografieren? Claudia, mach doch ein Foto. Schau … «, sagt er zu seiner Begleiterin und zieht sie an der Hand zu sich.
»Oh Gott, ist das hoch hier. Da wird mir ganz schwindelig …«, presst sie mit weit aufgerissenen Augen hervor. Instinktiv legt Peter den Arm um sie. Claudia umschlingt seine Hüfte und klammert sich an ihm fest.
»Ich halte dich, wenn du fotografieren willst.«
»Versprochen?«
»Ich hab nicht die Absicht, dich in nächster Zeit loszulassen«, säuselt er zweideutig.
»Wie lange ist bei dir ›nächste Zeit‹?«, fragt sie ihn kokettierend.
»Claudia, willst du nun oder nicht?«. Peter täuscht Verärgerung vor.
»Natürlich will ich … «, antwortet sie mit einem anmachenden Augenaufschlag, hebt ihre Kamera an und stellt das Objektiv scharf. »Aber nicht loslassen … versprochen?«
»Keine Angst – jetzt drück schon ab«, fordert er sie auf.
Der Fotoapparat klickt. Claudia schiebt den Ring des Teleobjektivs zurück. Klick. Zu guter Letzt richtet sie das Objektiv nach oben, zum Ende der Wand. Die Digitalkamera rattert wie eine alte Nähmaschine, als sie ein Panoramafoto von der Steilwand nimmt.
»Danke, das war’s.« Claudia haucht ein Küsschen auf Peters Wange, während dieser an den Abgrund herantritt und den leichten Aufwind verspürt. Hier ein paar Bögen mit dem Gleitschirm zu drehen, wäre sehr verlockend, denkt er.
Er schüttelt den Kopf, als wollte er die Gedanken aus seinen Ganglien beuteln und antwortet: »Hier geht es weiter«. Peter zieht Claudia zu sich heran.
Ihr Körper schmiegt sich an ihn. Sie küssen sich. Sie schauen einander in die Augen, bis sie ein lustvolles »Mehr« haucht.
»Ich bin im Dienst«, weist Peter ihr Verlangen lächelnd zurück, dreht sich demonstrativ um und setzt den Weg fort. Claudia bombardiert ihn mit Fragen, die er bereitwillig beantwortet. Er muss ihr ständig von seinem Job und wobei es darauf ankommt erzählen, während sie sich insgeheim fragt: ›wer klettert hier freiwillig hinauf?‹
Als die Beiden schweißgebadet am Seeblick ankommen, packen gerade die Männer in ihren weißen Schutzanzügen ihr Equipment ein.
»Servus Großer … und, habt ihr etwas gefunden?«, begrüßt Peter neugierig die Runde.
»Hallo Peter. – Nicht viel. Leider«, antwortet ihm der Ranghöchste.
»Was bedeutet: nicht viel?«
»Ich habe mich mit unserem Team unten, an der Fundstelle abgestimmt. Soviel steht bereits fest: Die Frau ist von hier aus in die Tiefe gestürzt. Und wie ich dir schon am Telefon mitgeteilt habe, hier gibt es Schleifspuren und den Abdruck eines Schuhs. Es könnten Kampfspuren sein oder es handelt sich um eine Abwehrbewegung. Nachdem sie von keinen anderen Spuren überlagert sind, müssen wir davon ausgehen, dass sie von … «
»Eine Tasche oder Ähnliches?«
»Ja, ein Mobiltelefon lag hier im Gebüsch. Ist aber nicht eingeschaltet. Vielleicht ist der Akku leer.«
»Ladet es auf. Möglicherweise erfahren wir, wem es gehört. Ausweis?«
»Nein, weder hier, noch bei den Leuten unten bei der Leiche.«
»Habt ihr Holzsplitter gefunden?«, fragt Holzinger.
»Wie kommst du jetzt auf Holzsplitter?«
»Der Gerichtsmediziner hat mir gesagt, dass er im Hinterkopf der Toten einen Holzsplitter gefunden hat. … Die Wunde rührt von einem stumpfen Gegenstand her.«
»Na ja, in der Mitte der Wand wachsen ein paar dürre Bäume aus den Spalten. Die haben wir natürlich nicht untersucht, denn wir haben keine Ausrüstung zum Abseilen dabei … nicht sag jetzt, wir sollen da hinunter? … «
»Nachdem ihr hier, ich sage jetzt einmal ›Kampfspuren‹ gefunden habt, bleibt uns nichts anderes übrig. Oder?«
»Uns? Wer ist uns?«
»Mit uns meine ich dich und dein Team.« Peter lacht.
»Du meinst, ich soll noch einmal hier herauf klettern? Und, dass wir uns von hier oben abseilen«, erwidert sein Kollege empört. »Aber … Nicht vor morgen«, fügt er resignierend hinzu.
»Das würde reichen.«
»Danke. Dann bis morgen«, verabschiedet sich der Kollege mürrisch. Er knüllt seinen Arbeitsanzug zusammen und packt ihn in den Koffer. Einer nach dem anderen schiebt sich an Claudia und Peter vorüber, um mit ihrem Abstieg zu beginnen. Als der Große an Holzinger vorübergeht, hält er kurz inne und flüstert dem Kommissar ins Ohr: »Neue Assistentin?«
»Ach, gibt mir doch eine Ruhe«, faucht Peter mit einem breiten Lächeln auf den Lippen zurück. Als die Gruppe außer Hörweite ist, sagt er zu Claudia. »Das habe ich befürchtet. Jetzt muss ich alle befragen. Den Pfarrer, und die komplette Jagdversammlung. Das sind mindestens zwanzig Interviews. Die schaffe ich heute nicht mehr. Das bedeutet, ich bin morgen auch wieder hier. … Das sind die Wochenenden, die ich liebe.«
»Du könntest ja hier übernachten. Das Hotel hat sicher noch Zimmer frei.«
»Wäre eine Idee … «
»Ich bleibe auch. Ist das ein Angebot?«, fragt sie Peter. Sie legt ihre Arme um seinen Nacken.
»Soll das heißen, dass … «. Weiter kommt er nicht, denn Claudia hat ihren Zeigefinger auf seine Lippen gelegt. Anschließend küsst sie ihn auf den Mund.
*
Auf dem Parkplatz ist wieder Ruhe eingekehrt. Das Zelt ist abgebaut, nur mehr ein Einsatzfahrzeug zu sehen. Langsam streckt sich der lange Schatten des Flammenkogels über den See und das Hotel. Keine einzige Wolke zeigt sich am Himmel.
Claudia und Peter haben auf der Terrasse Platz genommen. Der alte Thilo kommt zu ihrem Tisch und erkundigt sich, ob sie einen Getränkewunsch haben.
»Ich hätte gerne ein Bier. … auch wenn ich noch im Dienst bin. Meine Kehle könnte man mit der Sahara vergleichen. Trocken – trockener – am durstigsten«, scherzt Peter.
»Vom Fass oder Flasche?«
»Vom Fass bitte. Claudia, ich lade dich ein. Was hättest du gerne?«
»Vorab ein Mineralwasser, groß und prickelnd. Und danach einen Aperol-Spritz.«
»Kommt sofort … «, antwortet der Alte.
»Äh, verzeihen Sie, ist Ihr Sohn in der Nähe. Ich würde ihm gerne ein paar Fragen stellen.«
Der betagte Thilo hält inne und dreht sich langsam zu Peter. »Wenn es nicht sein muss. Er hat sich niedergelegt, es geht ihm miserabel.«
»Miserabel?«
»Ja, miserabel. Er hat sich übergeben. Ich glaube, der Leichenfund hat ihm zu sehr zugesetzt … «
»… Lassen Sie ihn schlafen. Nicht so wichtig. Andere Frage, haben Sie noch Zimmer frei?«
»Ja. – Fünf Räumlichkeiten haben wir immer bezugsfertig hergerichtet. Wollen Sie Einzel- oder ein Doppelzimmer?«
»Zwei Einzelzimmer bitte«, antwortet der Kriminalist. Thilo schmunzelt.
»Ich bringe Ihnen sofort die Schlüssel.«
Als der Wirt außer Sichtweite ist, sagt Peter zu Claudia: »Der … wie heißt er doch gleich? … Ach ja, Norman Bergmann, der scheint ja von sensibler Natur zu sein. Würde man bei seiner Körperstatur gar nicht vermuten. So kräftig und wohlgenährt, wie der aussieht.«
»Kann ja nicht ein jeder mit solch einem Nervenkorsett ausgestattet sein, wie deiner einer«, schmeichelt ihm Claudia.
Der Kommissar holt tief Luft und sagt förmlich: »Ich muss noch ein wenig arbeiten. Ich möchte gerne mit meinem Boss telefonieren und die Notizen ordnen … «
»Absolut kein Problem. Den Artikel für die Zeitung habe ich bei aller Aufregung beinahe vergessen. Aber der ist schnell getippt. Schlage vor, erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
»Klingt gut. So machen wir das. Ich brauche nicht lange.«
Claudia steht auf und am Weg zur Gaststube, wo sie vormittags ihren Computer deponiert hatte, nimmt sie Thilo den Schlüssel und den Aperol-Spritz ab. Sie setzt sich an den Tisch neben dem Eingang. Als sie die Tageszeitung anhebt, merkt sie, dass ihr Diktafon noch immer läuft. Sie schaltet es ab, öffnet den Laptop und beginnt zu tippen.
Headline: Mord am Flammenkogel?
Copy: Heute Morgen fand ein Fischer eine tote Frau, Mitte 50, am Fuße der Erlöserwand. Die Wanderin dürfte von der Ausblickplattform »Seeblick« gestürzt sein. Die Bergung der Leiche gestaltete sich sehr aufwändig. Sie musste mit Booten geborgen werden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung geht zwar von Selbstmord aus, jedoch sind auch Hinweise auf ein Fremdverschulden entdeckt worden. Die Identität gibt der Polizei weitere Rätsel auf. Die Tote hatte weder Ausweis noch ein Mobiltelefon bei sich. (Eigenbericht / Claudia Bigler)
Kaum hat sie den Bericht fertig getippt, drückt sie auf >>SEND<<.
»OOOPS«, entfährt es ihr.
Holzinger blättert in seinen Notizen, als der alte Wirt zum Tisch kommt. »Bitte sehr, ein Frischgezapftes. Lassen Sie es sich schmecken … So hier noch der Schlüssel für Ihr Zimmer. Ist gleich neben dem des Fräuleins. Ist zwar ein Doppelzimmer, aber ich verrechne Ihnen selbstverständlich nur den Einzelzimmerpreis. Ist einfacher beim Saubermachen«, grinst Thilo verschmitzt. »Ich hoffe, die Verbindungstür ist abgeschlossen, wenn nicht, dann geben sie mir Bescheid … «. Das Grinsen des Alten wird stetig breiter. »… und hier habe ich die gewünschte Liste, Sie wissen schon, die mit den Namen.«
»Vielen Dank«, sagt Holzinger und greift nach dem Bier. Mit der anderen Hand nimmt er das Blatt und wirft einen Blick darauf. Er gönnt sich einen tiefen Zug aus dem Bierglas. Der erste Schluck Bier ist immer noch der Beste, philosophiert er insgeheim und wendet sich an den Wirt. »Herr Bergmann, wo kann ich die Leute erreichen? Ich bräuchte deren Adressen.«
»Oh, die einzelnen Häusernummern habe ich jetzt nicht im Kopf. Brauchen Sie die Anschriften heute noch?«
»Nein, nicht heute. Ich will nicht bis Mitternacht unterwegs sein, und die Leute haben am Wochenende sicher etwas anderes vor, als zuhause herumzusitzen. Morgen reicht.«
»Wollen Sie nicht zur Messe ins Dorf fahren? In der Früh, um 8:00. Da werden Sie die meisten antreffen.«
»Ja, das ist eine gute Idee … «
»Warten Sie … «, unterbricht ihn der tranige Thilo und kramt umständlich sein Telefon unter seiner grünen Schürze hervor. »Ich rufe den Jagdaufseher an. Er wird die anderen verständigen, damit Sie morgen zur Messe nach Lengthal kommen. Unser Pfarrer freut sich sicher über ein vollgefülltes Haus«, sagt alte Wirt, während er grinsend eine Nummer ins Mobiltelefon tippt.
»Das würden Sie für mich tun?«
»Selbstverständlich … Moment. Thilo hier. Du, die Polizei muss mit jedem, der am Freitag hier war, reden. Könntest du sie über dein Programm am Telefon informieren, dass sie in die 8:00 Uhr Messe kommen? … Ja, es geht um die Tote, die Norman heute früh gefunden hat … OK, vielen Dank. Vielleicht komm ich auch, aber ich habe meine Aussage ja schon gemacht. Waidmanns Heil. … Dir auch.«
»Ist gebongt. Er verständigt die anderen. Via ›Wotsepp‹ – oder so ähnlich. – Haben Sie ja mitgehört. – kann ich sonst etwas für Sie tun?«
»Nein danke. Sie haben mir sehr geholfen«, erwidert Peter dankbar.
»Ich schicke Ihnen nachher meinen Sohn vorbei, sollte er sich heute Abend nochmals blicken lassen. Aber wie schon gesagt: Es hat ihn ziemlich umgehauen. Sie müssen wissen, tatsächlich ist mein Sohn hochsensibel. Ich weiß, er macht nicht diesen Eindruck. Aber so ist er nun mal.«
»Danke, danke, es läuft mir nichts davon. Es reicht morgen in der Früh. Richten Sie ihrem Sohn meine Genesungswünsche aus«, ruft er Thilo nach, der einen Arm hebt, um sich zu bedanken.
Holzinger blättert nochmals seine Notizen vom Anfang bis Ende durch. Schließlich greift er zum Telefon und wählt Hauptkommissars Tomacics Privatnummer.
»Ja bitte?«
»Servus Richard. Peter spricht.«
»Grüß dich. Wo brennt’s? Läuft alles?«
»Ich bin noch beim See … «
»Warum das? Gibt es ein Problem?«, will Richard neugierig wissen und schaut auf seine Uhr.
»Keines und viele. Ich möchte dir ein kurzes Update geben, was hier so abgeht: Hör zu: Also die Tote scheint von der Aussichtsplattform gesprungen zu sein. Extreme Höhe! Aber Fremdverschulden ist auch nicht auszuschließen. Die Leiche ist derart verunstaltet, dass wir sie bis jetzt nicht identifizieren konnten. Hier am See wird sie von niemanden vermisst. – Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt. – Die Spurensicherung hat ein Mobiltelefon gefunden, mit leerem Akku, aber das könnte auch ein Wanderer, oben bei der Plattform, verloren haben. Die Kollegen kümmern sich schon darum. Sie werden versuchen, es zu laden und zu aktivieren, sollte es … «
»... Heißt das, dass die Tote keinen Ausweis bei sich hatte? Das wäre seltsam.«
»Ist leider so, wir haben weder eine Handtasche, noch ein Fahrzeug am Parkplatz gefunden, das zur Identifizierung beitragen könnte.« Peter blättert in seinen Notizen. »Ja – noch etwas. Die Leiche hat am Hinterkopf eine stumpfe Platzwunde, in der man Holzsplitter gefunden hat. Rühren wahrscheinlich von einem Schlag mit einem Ast her oder von einem der dürren Bäume, die sich in der Steilwand wachsen. Die Kollegen kommen morgen nochmals her. Mit Alpinausrüstung.«
»Die Kollegen kommen nochmals? Du hast vor, im Berghof zu übernachten? Überstunden … «, seufzt Richard.
»… Ja, die Kollegen werden sich morgen über die Steilwand abseilen und nach weiteren Spuren suchen. Das auch deshalb, weil Schleif- oder Rutschspuren oben gefunden wurden. Könnten sogar von einem kurzen Kampf herrühren … «, versucht Peter die Gedanken seines Chefs wieder auf die Ermittlungen zu konzentrieren.
»Verstehe ich dich richtig, du vermutest tatsächlich ein Gewaltverbrechen?«
»Glaube es zwar nicht, aber wie hat mein Lehrmeister, der alte Tomacic, immer gemeint: Wenn du ein ungutes Gefühl im Bauch hast, überprüfe es. Deshalb bleibe ich jetzt bis morgen hier … «
»… Ich hab’s befürchtet … «, fällt ihm Richard ins Wort.
»Ich übernachte im Berghof und in der Früh spreche ich mit dem Pfarrer, den man um die fragliche Zeit hier gesehen hat. Mit den Restaurantgästen ebenso. Ich werde sie alle, morgen, in der heiligen Messe im Dorf treffen. Ist schon arrangiert. Wird ein ›Early Bird‹.«
»Das klingt höchst merkwürdig. Du in einem Gottesdienst? Dann kannst du gleich beginnen deine Sünden zu notieren. Nimm aber ein großes Blatt Papier und schreibe mit kleiner Schrift … «, lacht Richard ins Telefon. »… Spaß beiseite. Das ist alles sehr aufwändig. Ich hoffe für uns beide, dass es sich nur um Schall und Rauch handelt, du weißt, ich möchte mich in Ruhe von meinem Job verabschieden und keine offenen Fälle hinterlassen. Ungeachtet dessen tu, was du für nötig hältst. Ich stehe hinter dir. Wenn du mich morgen brauchst, rufe mich jederzeit an. Ich verständige vorab die Staatsanwaltschaft. Schauen wir Mal, was sie zu dem Fall sagt. … Ansonsten sehen wir uns am Montag in der Früh, in alter Frische, im Büro. … «
»… Passt. Ich halte dich am Laufenden. Ciao.« Peter legt auf und atmet tief durch.
Er überfliegt nochmals seine Aufzeichnungen. Wo hat er nur den ›Priester‹ notiert, fragt er sich. Zuletzt findet er die Stelle: Pfarrer kommt von Plattform. Ist in Eile. – Bierführer trinkt Mineral an Theke …
›Muss Norman nach der genauen Uhrzeit fragen‹, vermerkt Peter am Ende der Liste, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürt.
»Na, kommst du voran?«, fragt ihn Claudia neugierig.
»Ja. Ab sofort bin ich im Freizeitmodus. Ich habe mit meinem Chef telefoniert, habe ihn auf den neusten Stand gebracht. Er ist mit den von mir getroffenen Entscheidungen zufrieden. Als ich mit ihm sprach, hatte ich den Eindruck, als hörte ich ständig das leise Klingeln einer Registrierkasse in seinem Hinterkopf. So als wollte er mich darauf hinweisen, dass er derjenige ist, der meine Spesenabrechnung unterschreibt. Und wie sieht es bei dir aus?«
»Habe fertig«, scherzt sie. »Habe nur einen kurzen Artikel geschrieben … «
»Zeig her, ich muss ihn dir ja freigeben? Oder?«
»Äh …. Ja, das musst du«, antwortet Claudia, die insgeheim gehofft hat, dass Peter ihre Vereinbarung nicht so wörtlich nehmen würde. Sie öffnet ihren Computer und zeigt ihm den Artikel. Er liest und runzelt die Stirn.
»Wo hast du denn das mit dem Fremdverschulden her?«, fragt er Claudia streng.
»Wer Ohren hat, kann hören«, antwortet sie keck. »… und wer mitdenkt, der kann kombinieren.«
»Also, ich weiß nicht, ob ich diese leise Vermutung in der Presse lesen will.«
Claudia massiert Peters Nacken, beugt sich zu seinem Ohr und flüstert: »Was wäre die Welt ohne Fake-News? Langweilig. Ein bisschen Flunkern muss erlaubt sein, erhöht die Auflage ungemein … «
»Meinetwegen. Schicke es ab«, antwortet Peter und drückt seiner Freundin ein Küsschen auf die Wange. Erfreut bedankt sie sich, klappt ihren Laptop zu und setzt sich zu ihm.
»Und wie legen wir jetzt den angefangenen Abend an?«, schnurrt Claudia.
»Ich schlage vor, wir gehen zum Steg hinunter, setzen uns auf diese Bank unter der Trauerweide und genießen das letzte Tageslicht. Anschließend dinieren wir hier im Restaurant. Heute gibt es ja Forellen, steht zumindest dort unten auf der Tafel. Und für hinterher fällt uns sicherlich auch noch etwas ein.«
»Au ja, Forelle. Habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Ein großartiger Vorschlag. Und für nachher bin ich mir ganz sicher, dass uns da etwas einfällt«, lacht Claudia begeistert.
Plötzlich hören sie Thilos Stimme neben sich: »Darf ich den Herrschaften noch etwas bringen?«
»Nein danke, wir sind bestens versorgt. Aber … wir würden gerne in einer Stunde Abendessen. Die Forellen haben es uns angetan … «
»… Forellen? Ich muss sie leider enttäuschen. Wir haben nur mehr ein fangfrisches Stück von heute Morgen. … Wegen dem Unfall sind wir nicht mehr dazugekommen, nochmals auf den See … «, fällt ihm Thilo ins Wort.
»… das ist jetzt schade … dann für mich ein Steak. Geht das?«
»Durchgebraten, medium oder rare?«
»Medium rare, mit Pfeffersauce und Bratkartoffeln.«
»Ja, kein Problem, ein Pfeffersteak und Ihnen, mein liebes Fräulein, empfehle ich: Forelle-Blau mit Salzkartoffel und grünem Salat.«
»Klingt ausgezeichnet. Das nehme ich«, stimmt Claudia dem Vorschlag zu.
»Ach ja, wie es aussieht, haben Sie ja kein Gepäck dabei. Falls Sie ein frisches Leibchen benötigen, Sie finden jeweils ein T-Shirt aus unserem Souvenirshop auf ihr Zimmer. Einwegzahnbürsten sind im Badezimmer.«
»Sehr aufmerksam. Ich habe zwar einen ›Notfallkoffer‹ immer dabei, aber ich befürchte, dass ich lediglich frische Unterwäsche eingepackt habe. Ich für meinen Teil, nehme ihr Angebot an. – Äh, welche Farbe hat denn das T-Shirt?«, erkundigt sich Claudia.
»Dunkelgrün, mit gesticktem gelbem Berghof-Logo«, ergänzt Thilo und zeigt auf seine Schürze.
»Super, dann sind wir ja morgen im Partnerlook unterwegs«, antwortet Peter mit einem breiten Lachen.
Das Abendessen schmeckte hervorragend, obwohl Thilo anstelle von Norman die Pfannen in der Küche schwang.
Vom Alkohol beflügelt gehen die beiden auf ihre Zimmer. Als Claudia die unversperrte Verbindungstür entdeckt und obendrein sieht, dass Peter ein Doppelbett zur Verfügung hat, lacht sie laut auf, um im nächsten Augenblick eine ernste Miene aufzusetzen: »Das hast du aber fein eingefädelt. So ganz hinter meinem Rücken … Du glaubst doch nicht, dass das so einfach ist. Dass ich so leicht zu haben bin.«
Claudia dreht sich um, schlägt mit einem lauten Knall die Verbindungstür zu und lächelt amüsiert.
Peter hingegen ist perplex. Jedenfalls hat er ihr mehr Humor zugetraut. War es nicht sie, die ihm den ganzen Tag Avancen gemacht hat? Hat er sich nicht stets zurückgehalten und ließ sie gewähren? Und jetzt das? Peter resigniert und verschwindet zur Abendtoilette im kleinen, modern eingerichteten Badezimmer. Er nimmt eine erfrischende Dusche, danach trocknet er sich ab, und hüpft unbekleidet, in Ermangelung eines Pyjamas, in sein Bett. Er dreht das Licht ab und versucht gerade, einzuschlafen, als die Verbindungstür aufgestoßen wird.
Claudias Zimmer wird von der Nachttischlampe beleuchtet. Sie selbst steht lasziv im Türrahmen, mit einem Hauch von Nachthemd bekleidet. Ihre wohl geformte Silhouette zeichnet sich nur allzu deutlich im Hintergrundlicht ab. Peter erkennt, dass sie nichts darunter trägt.
»Ich habe gewonnen«, haucht sie.
»Irrtum. ICH habe gewonnen. Das Adamskostüm gewinnt immer«, erwidert er und wirft die Decke zur Seite.
Zu guter Letzt liegen sie eng umschlungen in der Löffelchenstellung nebeneinander.
»Haben wir jetzt auf Staatskosten geschnackselt?«, neckt ihn eine sichtlich zufriedene Claudia.
»Ich hoffe, – wenn Richard, mein Boss die Spesenabrechnung unterzeichnet«, flüstert ihr Peter ins Ohr.
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