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„Das kommt davon, wenn über Generationen Schwester und Bruder die Nachkommen zeugen.“, grinste Gustav seiner Ramona ins Ohr.
Manchmal konnte er wirklich witzig sein.
Es gab salzige Hausmannskost, kräftiges Bier und Erdnüsse. Hin und wieder griff Gustav verwegen ihre Hände. Dann empfahl der Piratenwirt einen einheimischen Pflaumenbrand und beide griffen zu. Dadurch konnte er nur lockerer werden und Ramona würde vielleicht etwas hemmungsloser, so sie doch noch in einem Bett landeten.
Und tatsächlich bewirkte der Schnaps eine ausgelassene Stimmung.
Die anderen Gäste im Wirtshaus setzten sich nach und nach an ihren Tisch und erzählten Geschichten der rauen Bergwelt. So wurde die Atmosphäre immer alberner und Gustav spürte den Pflaumenbrand im Blut zirkulieren. Seine Sprache wurde blumiger.
Ramona war als einzige Frau die Minderheit im Raum. Sie war jedoch auch kein Kind von Traurigkeit und versetzte sich in bester Stimmung.
Nun wurden auch noch Witze erzählt, anfangs harmlos und eher niedlich. Man scherzte und lachte und trank „
Pfläumchen
“.
Wurde ein neues Glas eingeschenkt, dann riefen alle gemeinsam:
„Prosit, mein Pfläumchen!“
Und die Männer zwinkerten fröhlich Ramona zu.
Das war ein wenig anrüchig, aber die Stimmung blieb ausgelassen, auch dann noch, als Gustav seine Begleiterin mit „
Hasenpups
“ betitelte.
Zwar war es Ramona unangenehm, dass Gustav wieder so blöde Kosenamen verwendete, doch es war eine so gesellige Runde.
Und hatte er anfangs maßvoll getrunken, kippte er jetzt zahllose Gläser in sich hinein. Gustav wollte mutiger werden. Angetrunken wie er war, konnte er nicht ahnen und schon gar nicht fühlen, dass seine Witze immer zotiger wurden und seine Hände immer hemmungsloser auf Ramonas Schenkel klatschten. Er war so richtig in Hochform und sie versuchte noch immer die Form zu wahren.
Dann erzählte Gustav seinen besten Witz:
„
Treffen sich zwei Pfläumchen an einer Bar.
Sagt die eine Pflaume: Irgendwas riecht hier nach Sperma.
Sagt die andere Pflaume: Tut mir leid, ich habe nur kurz aufgestoßen und ein Bäuerchen gemacht.
“
Lautes Gelächter und Schenkelklopfer.
Gustav lachte so ungehemmt, als hörte er den Witz zum ersten Mal. Ramona lächelte, um nicht prüde zu wirken.
„Alois, mein Freund!“, rief Gustav dem Schankwirt lautstark zu, der aber dicht neben ihm saß, „Noch eine Runde Pfläumchen und ich hoffe, dass mein Hasenpups danach kein Bäuerchen machen muss!“
Aus dem Lachen wurde Gegröle, doch Ramona reichte es.
„Du kannst gerne mit deinen neuen Freunden weitermachen, Gustav, aber ich gehe jetzt!“
Wütend warf sie dem verdatterten Gustav einen wirklich bösen Blick zu.
Ihr Blick war so finster, dass jedes Gelächter erstickte.
„Aber Ramona, dass war doch nur ein kleiner Scherz!“, stammelte Gustav, doch Ramona hatte bereits die Wirtschaft wutentbrannt verlassen. Schniefend rannte sie allein zum kleinen Alpenhotel.
Als Gustav später im Hotel ankam, klopfte er zaghaft an ihre Tür. Doch kein Laut kam aus ihrem Zimmer und enttäuscht ging er ins Bett.
Nur eine dünne Alpenzimmerwand von Ramona entfernt.
Und Ramona war stinke sauer und sie war froh, dass sie getrennte Betten hatten und jeder sein eigenes Zimmer. Ihre Tränen sah man nicht und die Alpenzimmerwände sorgten dafür, dass es so blieb.
Gustav wusste, dass er wieder einmal Mist gebaut hatte. Der Morgen danach war stets ein Tribunal. Er kannte die moralische Stimme in seinem schweren Kopf.
„Was hast du gestern Abend getan?“, fragte seine innere Richterstimme.
„Ich hatte zu viel Alkohol und wollte ja nur einen Witz machen:“, war seine haltlose Verteidigung, die schwach und hilflos erschien.
„Geh, und entschuldige dich bei ihr und mache so etwas nie, nie wieder!“, lautete sein innerlicher Richterspruch.
Wie ein geprügelter Hund setzte er sich im Frühstücksraum zu ihr. Sie blickte immer noch finster und sie war beleidigt.
„Es tut mir so leid, Ramona, ich habe zu viel getrunken und ich wollte dich nicht beleidigen. Ich bin ein bisschen verliebt in dich und ich bin ein Idiot.“
Ramona schlürfte ihren Kaffee, ohne auch nur einen Blick auf Gustav zu verschwenden.
„Ja, du bist ein Idiot! Bei deiner nächsten sexistischen Beleidigung fahre ich zurück und wir sind getrennte Leute!“, sagte sie.
Gustav nickte betroffen. Er war so ohne Appetit.
Damit war das Gespräch beendet und wenig später machten sie sich schweigsam auf den Weg in Richtung Süden.
Florenz
Florenz – Reiselust
Gustav war nun übermotiviert. Ständig fragte er, ob Ramona etwas brauche, sie durstig sei oder hungrig, ob die Klimaanlage nicht zu kalt, die Musik nicht zu laut oder die Fahrt nicht zu langweilig sei.
Immerhin ließ sie sich von ihm zu einem Sahnetörtchen einladen.
Er war ausgesprochen charmant und fürsorglich, machte viele Komplimente.
Ramona gefiel es und im Laufe des Tages war ihr Zorn verflüchtigt.
Auf einem Hügel hielt Gustav an, nahm ihre Hand und küsste sie voller Überschwang.
„Sieh, meine liebe Ramona, dort liegt Florenz, die Stadt der Künste und von Michelangelo. Das ist unser heutiges Ziel. Ich habe dort für ein paar Tage ein kleines Hotel gebucht und ich hoffe, es gefällt dir.“
Ramona lächelte ihn an. Sie war noch nie in Florenz.
„Hast du wieder ein Doppelzimmer gebucht? Die machen dann bestimmt wieder Ärger und Ärger brauchen wir nicht mehr, oder?“, bemerkte sie vorwurfsvoll. Gustav errötete.
Verdammte Planung!
Jetzt musste er viel rücksichtsvoller sein, denn Streit wollte er vermeiden.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Ramona, ich schlafe auch auf dem Sofa.“, sagte er verlegen und gleichzeitig dachte er, dass sie dann wenigstens gemeinsam duschen und auf dem Bett Rotwein trinken könnten. Doch der mahnende Blick von Ramona verriet ihm, dass sie andere Gedanken hegte. Enttäuscht senkte er seine Stimme.
„Aber vielleicht haben die noch Einzelzimmer, auch kein Problem. Ich kümmere mich darum.“, fügte er hinzu.
„Ach Gustav!“, stöhnte Ramona und doch schmunzelte sie.
Irgendwas lag in dieser italienischen Luft und es knisterte. Und so fuhren sie nach Florenz und es sah fast so aus, als wären sie ein Paar.
Gustav hatte Pech, denn das Hotel besaß ausreichend Einzelzimmer, die noch frei waren, verteilt auf unterschiedlichen Etagen. Ärgerlich, denn Ramona erzählte später ganz beiläufig, dass es ihr selber nichts ausgemacht hätte, wären sie in einem Doppelzimmer untergebracht. Verdammte Italiener!
Die Stadt am Arno war herrlich und so verschwenderisch. Wenn Geschichte fühlbar war und einen eigenen Geruch besäße, dann hier in dieser ehrwürdigen Stadt. Gassen, Winkel und Plätze in einem Labyrinth historischer Details. Beide waren verzückt und liefen vergnügt durch den Trubel der Altstadt.
Vor einem noblen Restaurant blieben sie stehen und betrachteten das Speiseangebot an üppigen Meeresfrüchten und herrlichen Köstlichkeiten.
„Das ist ein sehr schönes Restaurant.“, meinte Ramona.
„Schön teuer!“, dachte Gustav, der sich aber nun nicht als Geizkragen präsentieren wollte. Also betraten sie das hübsche Restaurant.
Es stellte sich heraus, dass es auch eine kleine Terrasse gab, mit wunderbarem Ausblick auf die Altstadt mit ihrem Fluss.
„Dann nehmen Sie bitte dort Platz, auf unserer Terrasse und ich bringe Ihnen die Karte.“, erklärte der nette Oberkellner, mit einer sehr würdevollen Verneigung.
Sie traten durch die Gasträume, bis sie die besagte Terrasse durch ein breites Panoramafenster erblickten.
„Oh, das ist wirklich sehr hübsch und es ist draußen so angenehm warm.“, säuselte Ramona. Nur eine Tür fanden sie nicht auf Anhieb am großen Panoramafenster. Niemand war in ihrer Nähe und beide ein bisschen ratlos.
Gustav wollte kein Trottel sein und suchte weltmännisch den Durchgang.
Es war auch etwas eng. Vorsichtig schob Gustav die Tische beiseite, um besser an das prächtige Panoramafenster zu gelangen. Die großen Blumekübel störten auch. Er begann zu schwitzen.
„Ich finde hier keine Tür und keinen Öffner! Es bleibt mir ein Rätsel, wie man hierdurch auf die Terrasse kommen will!“, flüsterte er Ramona zu.
Nun packte auch sie mit an und gemeinsam rüttelten sie das riesige Panoramafenster. Irgendwo musste es doch einen Mechanismus geben!
Der nette Oberkellner war nirgends zu sehen.
Inzwischen knieten sie beide auf dem Boden und suchten den Fensterrahmen nach Öffnungsmöglichkeiten ab.
Ramona fand schließlich einen großen Riegel, den sie kraftvoll, aber mit weiblicher Würde und voller Eleganz bewegte. Wild rüttelte sie und laut ächzte der Rahmen. Aber das Panoramafenster war so riesig und schwer, dass es sich nicht bewegen ließ. Ramona fluchte.
Schweißperlen formten sich auf ihrer Stirn und sie wollte nicht vor einem italienischen Mechanismus kapitulieren. Gustav war vielleicht zu provinziell, um den Durchgang zu finden, aber nicht Ramona. Verbissen rüttelte sie an allen möglichen Rahmenecken und Kanten, schlug mit ihren Fäusten gegen das Fenster. Nicht einen Millimeter ließ sich die Glasfront zur Terrasse öffnen.
Grob stieß sie Gustav zur Seite und ihre Augen funkelten wild.
„Ich bräuchte nur ein Rohrzange!“, stöhnte sie.
Gustav erhob sich und kratzte sich am Kopf. Waren die Menschen in Italien bessere Türöffner oder kannten sie einfach nur einen Trick, um solche Panoramafenster zu öffnen? Die traumhafte Terrasse lag mit eingedeckten Tischen einladend vor ihnen. Einen Durchgang gab es aber nicht und die Glasfront blieb geschlossen.
Er stand neben Ramona, die noch immer zu seinen Füßen am Boden kniete und wild um sich fluchte, als plötzlich der nette Oberkellner mit den Speisekarten hinter ihnen auftauchte.
„Mein Herr, wenn Sie das, freundlicher Weise, unterlassen würden.“,
sprach er und zeigte auf Ramona, die am Fußboden begonnen hatte, die Teppichkanten am Fensterboden hochzureißen.
„Nehmen Sie bitte das gnädige Fräulein und folgen Sie mir zur Terrasse.“, sagte er ruhig und bedächtig.
Verdattert sprang Ramona auf und hakte sich eingeschüchtert bei Gustav unter.
Der nette Oberkellner trat vorbei am verfluchten Panoramafenster, um einen Pfeiler herum und huschte elegant durch eine breite Nebentür, raus auf die Terrasse.
„Warum haben wir diesen Durchgang nicht gesehen?“, fragte Gustav und zeigte auf das kleine Schild mit der Aufschrift „
Zur Terrasse
“.
Es war wirklich ein bisschen peinlich. Nun machte es auch Sinn, dass vor dem Panoramafenster Tische, Stühle und Blumenkübel standen, die er etwas voreilig weg geschoben hatte. Beide schauten betroffen zu Boden und folgten dem netten Oberkellner in seinem schmucken Frack.
Sie besetzten einen eingedeckten Tisch und der Oberkellner entfernte sich wortlos. Er war ein echter Profi.
Die Terrasse war unglaublich romantisch und das Essen vorzüglich. Niemand sprach über das verfluchte Panoramafenster und beide bemühten sich, dieses Thema zu vermeiden. Mit starrer Mine tauchte hin und wieder der Oberkellner auf.
Nach einem Krug Wein entspannten sich beide Gemüter mehr und mehr und Gustav traute sich wieder mit dem netten Oberkellner einen Blickkontakt herzustellen. Aber ein kleines Lächeln konnte er ihm nicht entlocken. Der Wein schmeckte großartig.
Als Gustav schließlich in Ramonas Augen schaute, schlug sie ihre Hand auf den Tisch und brach in hemmungslosem Gelächter aus.
Kraftvoll pustete sie:
„Gott, sind wir blöde! Fast hätten wir das riesige Panoramafenster ausgehebelt!“
Auch Gustav lachte und schüttelte seinen Kopf.
„Was musst du dich auch gleich so reinknien, wie eine übermotivierte, schmutzige Handwerkerin, du gnädiges Fräulein!“, entgegnete er herzhaft und gackerte los.
„Ich? Du Irrer hattest die Tische doch gleich weg geschoben! Wie kann man so blöde sein!“
Sie erlitt einen echten Lachkrampf und Tränen schossen ihr aus den Augen. Er wollte noch erwidern, dass die Terrasse auch sehr schlecht ausgeschildert war, aber gleichzeitig lachen und sprechen, das konnte auch er nicht mehr.
Es war bereits dunkel, als sie wohl gelaunt und angeheitert ihr Hotel erreichten.
Brav blieb Gustav vor ihrem Zimmer stehen. Sie hatte gerötete Wangen und ihre blaugrauen Augen glitzerten.
„Ich würde gern noch etwas mit dir trinken, aber sicherlich bist du müde, oder?“, sagte Gustav leise. Ramona schaute ihn freundlich an und dann drückten sie sich plötzlich eng aneinander und küssten sich.
Nur kurz und die Zungen im Zaum gehalten. Trotzdem!
Noch nie hatten sie sich so hingebungsvoll geküsst. Der Flur war leer und nur ihr schneller Atem durchschnitt die nächtliche Stille.
„Ich liebe dich, Ramona!“, schnaufte Gustav.
„Ich weiß!“, schnaufte Ramona zurück.
Dann löste sie sich aus seiner Umarmung, wünschte eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer. Gustav blieb allein im Flur zurück, der nun noch stiller wirkte und kühle Leere ausstrahlte.
Wie oft hatte er das schon erlebt! Ramona ließ sich niemals in seine Arme fallen, suchte nie von sich aus seine Nähe und würde niemals ihn liebkosen oder gar verführen. Ramona nicht.
Als Gustav in seinem eigenen Zimmer ankam, schenkte er sich einen Whisky ein und hing mit seinen Gedanken an Ramona, deren Duft er noch deutlich verspürte. Sie war wirklich schön. Für ihn war sie die pure Verführung selbst. Ein Kunstwerk, das er als Kunstliebhaber begehrte. Und alles, was man begehrt, war am Ende auch schön. Sie hatte mit ihrer Ausstrahlung absolute Gewalt über Gustav und er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, dass jenseits jeder Vernunft, eine schöne Frau auch immer Macht verkörperte. Demzufolge war Hässlichkeit auch die unausweichliche Demut, überlegte er. Sollte er nun demütig oder machtvoll sein? Gustav grübelte darüber nach, fand aber keine Antwort.
Ramona blieb für ihn rätselhaft und verwirrend.
Er fand sie begehrenswert, sie empfand gar keine Gefühle. Warum?
Beide hatten eine kleine Stadtrundfahrt geplant und fuhren mit einem Kleinbus die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab. Der lässige Touristenführer, der sie alle mit Vornamen ansprach, als wären sie gemeinsam in einem Sandkasten aufgewachsen, erklärte in blumigen Beschreibungen die wichtigsten Dinge. Gustav wusste über die meisten Sehenswürdigkeiten besser Bescheid und war gelangweilt. Am liebsten hätte er ein Buch herausgeholt und angefangen zu lesen, doch er wollte gegenüber Ramona nicht unhöflich sein und bemühte sich um Fassung.
„Das stimmte so nicht, was unser Sandkastenfreund da erzählt. Michelangelo war doch kein Adoptivsohn der Medici, sondern nur ein begabter Bildhauerlehrling, der gefördert wurde. Und die Künstler mit ihren Lehrlingen wohnten teilweise im Haus der Medicis. Davon gab es vermutlich viele. Die Medici förderten zahlreiche Künstler und manche hatten eigene Gesellen, die noch im Kindesalter waren. Trotzdem wurde Michelangelo nicht adoptiert. Was für ein Idiot, dieser Touristenführer.“, bemerkte Gustav beiläufig.
„Er gibt sich Mühe und so genau wollen es die Touristen auch nicht wissen.“, entgegnete Ramona, „Außerdem stören deine klugen Kommentare.“
Gustav verzog missmutig seinen Mund und schwieg. Er hätte einfach sein Buch lesen sollen.
Anschließend saßen sie in seinem Hotelzimmer und Ramona meinte, dass Gustav manchmal zu seinen Mitmenschen taktvoller sein sollte. Schließlich hatte auch der Touristenführer nur nett sein wollen.
„Die Leute sollten sich gegenseitig ermutigen und nicht lächerlich machen. Es ist egal, ob andere Menschen dümmer sind.“, sagte sie.
„Ich bin ein kühner und forscher Zeitgenosse ...“, widersprach er mit fester Stimme.
„Ein grüner und morscher Mann mit Flosse?“, flunkerte sie.
„Ein kühler und flotter Zweitmann! … Verdammt!“, rief er entnervt.
„Flotter Zweitmann?“
„Nein! Der erster Mann, der frisch und forsch sein kann!“
Gustav fuchtelte wild mit seinen Armen vor ihr Gesicht.
„Ach was?“
Ramona vergnügte sich und ihre Zungenspitze schnellte kurz und flink hervor. Gustav erkannte, dass sie ihren Schabernack trieb.
Entschlossen packte er ihre Schultern und schaute sie an.
„Wirklich, mein Hasenpups. Ich bin ein furchtbar kühner und frischer Zeitgenosse.“
„So frisch siehst du gar nicht mehr aus.“, grinste sie frech.
„Ich meine: forsch!“
„Aaah-ja!“
Sie kicherte unverhohlen und er sackte ein wenig zusammen. Um wieder Zuversicht zu erlangen, zündete sich Gustav eine Zigarette an. Kühn schnippte er den Streichholz von sich und forsch inhalierte er den Qualm. Wie ein lässiger Privatdetektiv aus einem klassischen Schwarzweißfilm stolzierte Gustav vor Ramona hin und her. Sie grinste immer noch. Dann blieb er direkt vor ihr stehen
„Na, Kleines! Alles frisch im Schritt?“, hauchte er mit rauchiger Stimme.
Nun gackerte sie laut los. Gustav verzog keine Miene und pustete Ringe aus Zigarettenqualm durch die Luft. Effektvoll lösten sie sich in Dunst auf. Mit gespielter Gleichgültigkeit schaute er sie tadelnd an.
„Nun, Kleines! Was kann ich für dich tun, bevor du vor Erregung in Ohnmacht fällst?“, brummte er selbstsicher.
„Ich möchte Wein, du forscher, frischer Bursche!“, lachte sie.
„Sage das nochmals schneller und dreimal hintereinander!“, grinste er.
„
Du froschers, fischers Burste ...
“
Zum Abendessen verbesserte sich seine Laune mit jedem Glas Rotwein.
„Was machen wir heute Abend?“, fragte er mit spannendem Gesichtsausdruck, der alles Mögliche für den Abend erwartete.
„Ich weiß nicht. Wollen wir etwas spielen?“
„Flaschendrehen mit Kleiderpfand?“, rutschte ihm raus. Ramona wollte kein Risiko eingehen und blieb zugeknöpft.
„Vielleicht Karten? Es war auch nur ein Vorschlag.“, meinte sie.
„Also brauchen wir keine Flasche?“, fragte er enttäuscht.
„Ich habe gerade ein gutes Buch und würde es weiter lesen.“
„Darf ich dir dabei zusehen?“
„Hast du kein eigenes Buch dabei?“
„Bücher habe ich immer dabei. Ich dachte aber, dass wir etwas gemeinsam machen könnten.“, entgegnete er gelangweilt und seine Laune verschlechterte sich wieder.
„Eigentlich bin ich heute viel zu müde und gehe doch lieber schlafen.“, sagte sie und gähnte dabei, um ihre Lustlosigkeit zu unterstreichen.
Gustav hatte noch nie Verständnis dafür, wenn jemand zu müde war, um Sex zu haben. Das war eine lächerliche Ausrede. Niemand wäre dafür zu müde. Er wusste, dass Ramona wieder keine Lust empfand, dass sie jede Ausrede anführen würde, um es zu verhindern. Und hätte sie nicht ganz unerwartet die angebliche Müdigkeit, dann wären es Rückenschmerzen, Kopfweh oder ein dringendes Telefonat, wovon der Weltfrieden abhing.
„Ich habe auch Kopfweh.“, erwiderte er schlecht gelaunt und bestellte einen neuen Krug Wein.
Anschließend begleitete er Ramona zu ihrem Zimmer. Nach einem Küsschen zur guten Nacht und einem freundlichen Lächeln verschwand sie und sie sah wirklich müde aus.
Gustav streifte um das Hotelviertel und wählte irgendeine Kneipe, um noch etwas zu trinken. Als er sich gemütlich an einem Tisch setzte und sein Bier trank, bemerkte er, dass er ausgerechnet eine Karaokebar gewählt hatte. Um ihn herum saßen ausschließlich Engländer im älteren Semester. Ein Mann mit kunterbuntem Hemd ging von Tisch zu Tisch und befragte die Gäste als Showman. Dann zielte er mit seinem Mikrophon auf Gustav und frage nach seiner Herkunft.
„Ich komme aus einem kleinen Hotel, zwei Straßen entfernt.“, antwortete Gustav etwas launisch. Gelächter an den Nachbartischen.
„Sagen Sie uns ein Land.“, entgegnete der Animateur und sah ihn auffordernd an. Sein Grinsen strahlte sehr geheimnisvoll.
„Kaufland!“, erwiderte Gustav stur.
„Kaufland?“
„Dort kann man einkaufen.“
„Sie kommen nicht aus Britannien?“, fragte der kunterbunte Hemdträger.
„Ich hoffe nicht.“
Allgemeines Murmeln im Saal. Gustav hatte keine Lust auf Frageantwortspiele. Die anderen Gäste schauten finster zu seinem Tisch hinüber. Unbeeindruckt blieb der bunte Hemdträger an seiner Seite.
„Was möchten Sie singen?“, fragte der Animateur hartnäckig weiter.
„Ich möchte hier nur in aller Ruhe mein Bier trinken. Aber Sie können mir auch etwas vorsingen, danke.“
„Irgend ein Titel. Machen Sie uns die Freude!“
„Na gut! Die Leute sollen was Französisches singen!“, brüllte Gustav ins Mikrofon. Alle Briten erstarrten und warfen hasserfüllte Blicke zu ihm. Er wollte ja auch nur ein Bier in aller Ruhe genießen.
Tumult. Gläser fielen zu Boden, Frauen kreischten und starke Briten warfen den Deutschen, der so gut englisch sprach, hinaus.
Gustav stand wieder auf der Straße, allein und er durfte nicht einmal sein Bier austrinken. Um die Ecke rauschte ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene vorbei. Irgendwie taten Gustav die Florentiner Polizisten leid, da sie so spät noch in eine Kneipe gerufen wurden.
Verdammte Engländer!
In bester Laune ging er zu Bett.
Am nächsten Tag gingen Ramona und Gustav gemeinsam durch die Stadt. Hin und wieder besuchten sie einige Läden, ohne etwas zu kaufen. Es war pure Neugier, als sie einen schäbigen und doch sehr antiquarischen Buchladen betraten.
„Hier haben die sogar deutsche Bücher und manche sehen ziemlich alt aus.“, bemerkte Gustav, der Bücher über alles liebte.
Ramona wollte hingegen lieber einen anderen Laden aufsuchen und so verabredeten sie sich für eine Stunde später in einem nahen Restaurant.
Gustav sah auf seine Uhr, um die Zeit nicht zu vergessen. Oft verlor er sich in solchen Bibliotheken.
Er fand einige Bücher, die uralt und eindeutig in deutscher Sprache geschrieben waren. Manchmal musste er richtig wühlen, um an bestimmte Bücher zu kommen. Dem Inhaber störte es scheinbar nicht und wahrscheinlich war es üblich hier zu kramen. Ein Buch fesselte besonders seine Aufmerksamkeit.
„
Chronik der Weltgeschichte
“, stand auf dem abgegriffenen Einband.
Interessiert blätterte Gustav in den Seiten. Dazwischen lagen einige handgeschriebene Zettel. Irgendwer hatte sie in die Buchseiten gesteckt.
Die ersten Blätter waren einfache Rechnungen und Steuerlisten deutscher Klöster. Sie sahen sehr alt aus. Doch ein Pergament war dabei, was anders war. Gustav war hypnotisiert von dem Inhalt.
Eine in Hamburg 1699 verfasste Handschrift schilderte einen bemerkenswerten Hirschabschuss. Es geschah im Jahre 1696, als der Brandenburgische Kurfürst
Friedrich III.
in einem Wald nahe dem märkischen Dorf Briesen diesen Hirsch erlegte. Das Tier hatte 66 Enden am Geweih und galt als kapitalstes Tier aller Zeiten. Gustav las die historische Schrift und bebte vor Aufregung.
Er kannte diese Geschichte und in Briesen verbrachte er einen Teil seiner unbekümmerten Kindheit. In dem unscheinbaren Dorf lebte damals seine Urgroßmutter und dort waren seine Eltern und er regelmäßig als Feriengäste. Und jetzt entdeckte er hier in Florenz eine alte Weltchronik und eine historische Originalhandschrift über den legendären „
Briesener 66-Ender“
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Gustav hatte sein ganzes Leben lang großartige Bücher gesammelt und besaß inzwischen eine eigene kleine Bibliothek. Doch dieses Buch, mit den losen Handschriften im Inneren, war ein richtiger Schatz, eine echte Rarität. Er klappte das schwere Buch zu und achtete darauf, dass die interessanten Pergamente im Buchinneren versteckt blieben.
Der alte Ladenbesitzer warf nur kurz einen Blick auf den Einband und sagte gelangweilt: