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„Wirst du wirklich verrückt, weil du mit mir noch keinen Sex hattest, du wollüstiger Irrer?“, fragte Ramona, nachdem der Tisch abgeräumt wurde.
Gustav schoss die Schamesröte ins Gesicht. Er hatte an seinen kleinen Ausbruch vor dem alten Buchladen keine weiteren Gedanken mehr verschwendet. Verdammte Emotionen!
„Du weißt, dass ich verrückt bin, …nach dir.“, entgegnete er fast schüchtern.
Ramona kicherte wie ein kleines Schulmädchen, antwortete jedoch nichts Entsprechendes. Gustav hätte ihr auch sagen können, dass er sie liebte und sie begehrte, dass sie eine aufreizende Figur besaß und sie hübsch sei. Aber er hätte auch sagen wollen, dass sie sich nicht so prüde anstellen sollte und sich gefälligst auf Sex mit ihm einlassen könnte. Doch Gustav wollte nicht mit ihr streiten.
Sie sah bezaubernd aus, erst recht mit ihren roten Bäckchen, für die der Rotwein sorgte und so schenkte er ihr ein süßes, trauriges Lächeln.
Sie würden auch an diesem Abend getrennt schlafen.
Als er später allein in seinem Zimmer saß und wieder in dem Buch blätterte, klopfte es plötzlich an seiner Tür. Ramona stand im leichten Schlafanzug vor ihm.
„Ich hätte noch Lust auf einen Schlafenstrunk. Darf ich zu dir?“
„Komm rein, du süße Schnapsdrossel.“, sagte Gustav und zog sie zärtlich ins Zimmer, „Einen Whisky könnte ich dir anbieten.“
Ramona lümmelte sich auf das unberührte Bett und Gustav setzte sich neben sie mit zwei gefüllten Gläsern in den Händen. Ramona nahm ihr Glas und trank mit sichtbarem Vergnügen. Dann stellte sie den Whisky ab und unerwartet schmiegte sie sich an Gustav. Zum ersten Mal reichte sie ihm die Lippen und gab sich ihm hin.
Ihre Küsse schmeckten süß wie Honigbonbon.
Knopf für Knopf öffnete Gustav spielend das leichte Nachthemd, streichelte sehnsüchtig ihre Brüste und begann mit seinen Lippen ihren Leib zu liebkosen.
Und als er ihr das Nachthöschen abgestreifte, tauchte er in sie hinein.
Ramona bäumte sich voller Wonne auf und nieder und versuchte ihm auch seine Kleider zu öffnen und abzustreifen.
Plötzlich klopfte es erneut und beide schreckten hoch.
„Verdammt! Ist das hier ein Bahnhof oder ein seriöses Hotel?“, schimpfte Gustav.
Da Ramona bereits splitternackt war, verkroch sie sich schnell unter die Bettdecke. Gustav stopfte sich sein Hemd in die Hose und stolperte hektisch zur Tür.
Als er sie öffnete, stand wieder der Junge von gestern davor und reichte ihm wieder einen Brief. Rigonaldos!
„Wer gab dir den Brief?“, fragte er laut und packte den Jungen.
Der war ängstlich und völlig eingeschüchtert, zeigte zum Fenster und sah hilfesuchend zu Ramona. Gustav zerrte den Jungen mit zum Fenster und sah hinaus.
Unten, von Straßenlampen beleuchtet, stand ein älterer Mann, der schweigend zu ihnen hinauf schaute. Er sah dem Buchverkäufer sehr ähnlich.
„Bleib hier, verschließe hinter mir die Tür und öffne nur mir, sobald ich zurück bin!“, rief er Ramona zu, ließ den Jungen los und stürmte auf die Straße hinaus.
Der Alte war verschwunden. Gustav lief spontan nach links die Straße entlang. Er folgte einfach seinen Instinkten.
Dann sah er in einiger Entfernung den alten Mann wieder. Der eilte gemächlich in Richtung Altstadt. Gustav rannte hinterher.
Er war barfüßig, aber wenigstens noch bekleidet. Ramona war eine miserable Auskleiderin. Nicht einmal sein Hemd konnte sie ihm ausziehen, geschweige denn die Hose! Es wäre aber auch nicht gut gewesen, würde Gustav so nackt durch Florenz rennen. Schließlich war er kein Irrer.
Gustav war schnell, hatte den Alten fast eingeholt. Nur wenige Meter war er entfernt. „Bleib stehen! Ich muss mit dir reden, nur reden!“, rief er und seine Stimme hallte durch die leeren Straßenschluchten. Der Mann blieb aber nicht stehen, entfernte sich weiter und war plötzlich verschwunden.
Atemlos stand Gustav da. Der Mann war alt, ein Greis und trotzdem war er verschwunden. Sehr wunderlich!
Gustav schaute in alle Richtungen, doch er stand allein auf einen kleinen Platz, von dem viele Straßen und Gassen abzweigten.
Plötzlich bemerkte er, wo er gelandet war. Er war schockiert, denn er stand direkt vor der versiegelten Buchhandlung.
Niemand war zu sehen. Florenz schlief in seiner erhabenen Ruhe.
Vorsichtig drückte Gustav die Türklinke des dunklen Buchladens und knurrend öffnete sich die alte Pforte einen Spalt. Als er sie endgültig öffnen und hineinschlüpfen wollte, hörte er Schritte hinter sich. Schnell zog er die schwere Holztür wieder zu.
„Was machen Sie hier, mein Herr?“, brummte eine Stimme.
Es war der Besitzer des Cafes. Ohne einen Anflug von Ängstlichkeit hielt er eine wuchtige Schrotflinte im Arm.
Auch er erkannte Gustav.
„Ich sagte Ihnen bereits, dass der Laden seit Jahren verschlossen ist. Suchen Sie etwa nach Schätzen? Werden Sie hier nicht finden. Alles, was Wert hatte, wurde ins Polizeirevier abtransportiert. Ich hoffe, dass Sie nicht leichtsinniger Weise die Tür aufgebrochen haben.“
Er kniff seine finsteren Augen zusammen, griff an die Klinke und drückte sie langsam runter, doch der Laden war fest verschlossen.
„Na gut, mein Herr. Gehen Sie jetzt, ansonsten muss ich die Polizei rufen und Sie möchten doch auch keinen Ärger, oder?“, brummte er weiter.
Dabei streichelte er seine Schrotflinte und blickte Gustav scharf in die Augen. Natürlich hatte Gustav kein Bedürfnis nach Ärger. Gewalt verabscheute er zutiefst. Also nickte er dem Mann kurz zu und ging in Gedanken versunken zurück ins Hotel. Er wusste genau, dass die Tür offen war. Er hatte aber auch genau gesehen, wie der Mann die Türklinke betätigte und die Tür verschlossen blieb. Sogar das Polizeisiegel war unversehrt. Sehr merkwürdig!
Die ganze Geschichte war merkwürdig.
Es war tiefe Nacht, als er das Hotel erreichte. Ramona hatte das Zimmer nicht verschlossen, lag eingekuschelt in seinem Bett und schlief einem Engel gleich. Ihren Schlafanzug hatte sie wieder angezogen. Schade!
Gustav beschloss sie nicht zu wecken und legte sich behutsam neben ihr ins Bett. Ihren Duft atmete er zufrieden ein, berührte sie nur leicht und legte vorsichtig seine Hand auf ihren Po. Er ließ einen kleinen Abstand zwischen beiden Leibern und spürte doch die lebendige Wärme, die von ihr ausging. Selige Glücksgefühle.
Gustav fiel in tiefen Schlaf.
Er träumte viele Dinge durcheinander, sah auch Ramona, die mit einer riesigen Schrotflinte ein großes Panoramafenster durchschoss. Dann rief sie nach mehr Wein und rannte nackt durch die Straßen.
Wieder verschwanden alle Bilder und auch das fröhliche Gesicht Ramonas. Bildfetzen flogen hin und her, ohne einen Sinn zu ergeben.
Dann stand sie vor ihm.
Gustav durchlitt sofort eine unbeschreibliche Sehnsucht.
„Du warst heute sehr unklug, als du allein zu Rigonaldos bist. War meine Warnung vergebens?“, hörte er sie.
Ihre Stimme klang so vertraut und fast zerbrechlich.
Trotzdem, oder gerade deshalb, schmerzte ihr Vorwurf.
Sie nahm Gustav in ihre Arme und drückte ihn fest an sich. Geborgenheit, Wärme, Entzücken und Glück in einem einzigen Moment. Gustav spürte, wie die unendliche Sehnsucht und das Verlangen nach vollendeter Liebe seine eigenen Tränen formten und er begann heftig zu schluchzen.
„Weine nicht, denn die Zeit der Tränen wird erst noch kommen. Ich werde bei dir sein, wenn du mich brauchst. Und jetzt brauchst du Antworten. Ein Blatt Papier kann manchmal mehr enthalten als die oberflächlichen Buchstaben. Das Saure macht sichtbar, was fahle Tinte verbirgt. Und du darfst hier nicht lange Zeit verweilen. Hüte dich vor dieser Frau. Sie hat ihre eigenen Träume, die nicht deine sind.“
Dann löste sie ihre Umarmung und drohte im Schleier weiterer Träume zu entschwinden. Gustav versuchte zu schreien, wollte ihren Namen wissen und flehte sie an, nicht zu gehen. Aber nichts konnte er tun, weder sie festhalten noch hinterher rennen.
Er erwachte tränenverschmiert und schweißgebadet.
Neben sich im Bett saß Ramona aufrecht und schaute ihn verdattert an.
„Welchen Namen willst du wissen? Ich heiße Ramona, bitteschön! Außerdem heulst du im Schlaf, wie ein kleines Mädchen.“
Gustav schaute sie ebenfalls verwundert an. Hatte er etwa im Schlaf geredet? Und hatte er tatsächlich geweint, wie ein…?
„Tut mir leid, Hasenpups.“, stammelte er benommen, „Ich hatte wohl einen bösen Alptraum, wahrscheinlich von dir und deinen unsensiblen Sprüchen.“
„Unsensible? Ich? Spinnst du?“, fauchte sie.
Ramona verschränkte beleidigt ihre Arme. Mechanisch küsste Gustav versöhnlich ihren Hals und meinte etwas von:
„Nur Spaß gemacht und merkwürdigen Traum.“
Er war verwirrt, denn er hatte noch nie so einen körperlichen Traum gehabt.
Als Ramona später unter der Dusche stand, saß Gustav noch immer im Bett und dachte über seinen seltsamen Traum nach. Die nächtlichen Gefühle waren noch so präsent, körperlich und dominierend, dass er schwitzte und sein Herz raste.
Wer war dieses zauberhafte Mädchen?
Ramona konnte es nicht sein und auch nicht sein Wunschbild von Ramona, denn von ihr träumte er zu häufig und kannte sie viel zu gut.
Dieses Traumwesen war hingegen rätselhaft, ihm völlig unbekannt und gleichzeitig so sehr vertraut. Anmut, Weisheit und Erotik. Es waren für Gustav durchaus sehnsüchtige Eigenschaften, die Frauen vereinen sollten. Aber Träume sind die Spiegelbilder des realen Unterbewusstseins. Gustav konnte meist seine Träume analysieren und sicher deuten. Diesmal jedoch erkannte er die Bedeutung nicht, hatte keine Ahnung, wer und was dieses Mädchen widerspiegelte.
Verdammte Träume!
So kam er nicht weiter. Nun versuchte er den Traum einfach als tatsächliches Ereignis zu deuten. Was hatte sie gesagt?
Schlagartig sprang er auf, holte das historische Schriftstück aus seinem Buch und hielt es gegen das Licht.
„
Das Saure macht sichtbar, was fahle Tinte verbirgt!
“, murmelte er vor sich hin.
„Das Bad ist jetzt frei. Beeile dich bitte, Gustav, ich bin hungrig und brauche dringend einen Kaffee.“, sagte Ramona, die aber gleich auf Gustav und das Schriftstück starrte.
„Hast du etwas im Gegenlicht erkannt, eine geheime Botschaft, oder so was?“, fragte sie überrascht.
„Nein, aber ich möchte mit dir hier im Zimmer frühstücken.“, antwortete Gustav und nahm das Telefon. Er bestellte das übliche Mahl, kräftigen Kaffee, Orangen, Bananen und ungewöhnlich viele Zitronen. Dann ging er ins Bad und drehte die Dusche auf.
Ramona ging in ihr eigenes Zimmer und zog sich an.
Auch sie hatte einen merkwürdigen Traum, der sie beschäftigte.
Ein grauhaariger Mann erschien ihr und er war betrübt. Wie ein vertrauter Sommerwind drangen seine Worte an ihr Ohr. Spielend und behutsam waren die Worte gewählt. Auch sie konnte sich nicht an die Gestalt des Alten erinnern. Es war mehr eine Ahnung, als eine konkrete Person. Erst dachte sie, dass es die Stimme ihres Vaters war, denn sie hatte einen wirklich angenehmen und beruhigenden Klang.
Es war nur wenige Jahre her, als ihr Vater starb. Töchter haben zu ihren Vätern immer eine innige Bindung und so schmerzte sie dieser Verlust noch immer.
Doch die Stimme in ihrem Traum war trotzdem anders. Der greise Mann wollte sie vor einer ernsten Gefahr beschützen. Es hatte mit Gustav zu tun und diesem geheimnisvollen Schriftstück. Ramona erinnerte sich nur an die Warnung, nicht an die Ursache der Gefahr.
Vielleicht war es auch nur ein Traum nach einem turbulenten Tag. Immerhin hatte sie am Abend einen kleinen Orgasmus und auch noch durch Gustav. Nackt und schutzlos war sie in seinem Bett! Wenn das nicht gefährlich war! Ihre Alarmglocken hätten auch so geläutet, auch ohne greise Traumerscheinung.
Verfluchtes Unterbewusstsein!
Als sie darüber nachdachte, wurde sie verlegen, obwohl sie niemand sah und sie sich auch nicht rechtfertigen musste. Dieser Mistkerl!
Hatte sie sich doch tatsächlich hingegeben. Hatte sich verführen lassen, wie ein dummes Schulmädchen und es war sogar äußerst angenehm. Gustav war gegen ihre Erwartungen scheinbar ein erfahrender Liebhaber, mit einer Zunge, die genau wusste, was sie tat. Ramona wurde warm und eine erregende Hitze stieg in ihr auf. Schnell knöpfte sie sich ihr Kleid zu. Verdammte Zunge!
Als sie wieder ins Zimmer von Gustav kam, sah sie ihn über das Schriftstück sitzend mit Zitronen in den Händen. Vorsichtig strich er den Saft über das Papier.
„Komm, mein Schatz, sieh! Es ist tatsächlich eine versteckte Inschrift vorhanden.“, rief er ihr zu, „Eigentlich haben wir das als Kinder auch gespielt. Mit Milch und Feder einen Text geschrieben, der trocken unsichtbar und dann später mit Zitronensaft wieder lesbar gemacht wurde. Keine so geheime Technik. Und doch bleibt sie unschlagbar, wenn man nur einfache Hilfsmittel und wenig Zeit hat.“.
Ramona sah aufgeregt, wie sich zwischen den Textzeilen die ersten blassen Buchstaben formten:
„
Das Gedächtnis der Menschheit, die Bibliothek des Lebens. Alles Wissen ist zusammengetragen, geschrieben in ewiger Schrift und bewahrt bist in alle Zeiten.
“, las sie laut vor.
„Mach weiter, Gustav, da steht noch mehr!“
Ihr Flüstern hätte man weit hören können und Gustav kribbelte es am Ohr, als ihr warmer, scharfer Hauch sein Gesicht streifte. Beide waren ziemlich aufgeregt und ungeduldig.
Je mehr er Zitrone über das Blatt rieb, desto mehr war zu lesen:
„
Zum Himmel hin markiert und im Inneren verborgen, gehütet und beschützt. Ein königliches Tier verschlang die Wege, unter seiner mächtigen Krone, nachdem es gestorben war
.“
Es war in deutscher Sprache geschrieben, alt, aber gut lesbar. Ramona glühte vor Aufregung und krallte ihre Finger fest in Gustavs Schultern.
Auch er konnte seine Erregung kaum unterdrücken.
„Gut, mehr steht hier nicht. Wir sollten jetzt wirklich frühstücken.“, sagte er und erhob sich. Ramona ließ seine Schulter los und lächelte.
Sie hatten tatsächlich ein Geheimnis entdeckt.
„Bist ein bisschen in Aufregung geraten, mein Hasenpups. Hast dir fast ins Höschen gepinkelt, was?“, bemerkte er.
Gustav warf ihr einen strengen, väterlichen Blick zu, der sie erröten ließ.
„Bist du jetzt mein Bondgirl und begleitest mich auf meiner Mission?“, scherzte er weiter. „Nenne mich bitte ab jetzt James und bringe mir einen Whisky, leicht gerührt und nicht geschüttelt.“, fügte er hinzu.
„Du kannst dir gefälligst selber einen schütteln, du Spinner!“, gab sie selbstsicher zurück. Dabei machte sie eine wirklich unzüchtige Handbewegung.
„Sprich nicht in diesem Ton mit deinem James Bond! Habe ich nicht gerade ein Rätsel entschlüsselt. Gott, bin ich schlau! Ich bin ein Genie!“, jubilierte er.
Stolz hob Gustav sein Kinn und zog seine Augenbrauen hoch.
„Aber du heulst nachts und Sexlosigkeit lässt dich irre werden! Was sollte ein scharfes Bondgirl mit dir anfangen? Reiche mir die Butter, Sklave!“, befahl sie.
Gustav musste nun doch lachen und reichte ihr die Butter.
Dann räusperte er sich verlegen und sagte:
„Gestern Abend übrigens, war es sehr schön mit dir und die Zeit hätte niemals vergehen sollen. Sehr ärgerlich, dass wir so plötzlich getrennt wurden und eigentlich war es sinnlos, denn der geheimnisvolle Briefschreiber ist mir entwischt. Hatte der Junge dir noch etwas erzählen können?“
Ramona sah ihn an und wieder verfärbten sich ihre Wangen.
„Nein, der kleine Hosenscheißer wollte, dass ich die Bettdecke wegziehe. Kaum warst du raus, wurde er auch schon ein wenig anzüglich, weil er sah, dass ich nackt war. Italiener scheinen schon im Kindesalter echte Machos zu sein.“, erzählte sie.
Ungläubig runzelte Gustav die Stirn und Ramona schlürfte schweigend ihren Kaffee.
„Übrigens.“, bemerkte sie, „Im Briefumschlag lag nur ein leeres Blatt.“
Gustav schaute sie verwundert an. Eine Weile lang schwiegen beide und dachten über den gestrigen Abend nach.
„Lass uns durch die Stadt bummeln und in aller Ruhe über diesen Text nachdenken.“, schlug er ihr vor. Sie nickte enttäuscht. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er sie gleich wieder verführen würde. Gustav hatte aber längst das Schriftstück zur Hand statt ihre kleinen Brüste. Doch der rätselhafte Text war ja auch ziemlich aufregend und so zogen sie gemeinsam durch Florenz.
Ins kleine Altstadtviertel der Buchhandlung wollten sie diesmal nicht. Mit einer Schrotflinte oder der Polizei wollten sie nichts zu tun haben. Sie wollten Ruhe.
In einem schattigen Park setzten sie sich auf eine Bank.
Gustav kaufte am nahen Kiosk zwei Becher Fruchtsaft.
„Hilft auch gegen die Aufregung!“
Er legte seinen Arm um ihre Schulter und sagte:
„Ich weiß, was der Text bedeutet. Das königliche Tier mit einer Krone ist der Hirsch. Kein Zufall, wenn genau in diesem historischen Dokument eine Geheimschrift versteckt wurde. Als 1696 der Kurfürst den Hirsch erlegte, wanderte das Geweih mit samt dem Schädel in sein Jagdschloss nach Königswusterhausen, südlich von Berlin.“
Ramona sah ihn erstaunt und etwas bewundernd an.
„Du bist wirklich ein schlauer Typ.“, sagte sie, „Woher du solche Dinge weißt, ohne ins Internet zu schauen?“
„Du weißt, dass ich eine Bibliothek besitze. Dort verfüge ich über viele tausend Bücher, ohne dass ich Romane und Ratgeber als Bücher bezeichne. Die Hälfte davon sind Werke über Geschichte und Kultur. Und stell dir vor, mein kleiner Hasenpups, ich habe sie auch gelesen. Sogar Lexika lese ich und es bereitet mit Vergnügen.“, antwortete er mit betonter Bescheidenheit.
„Nenne mich nicht ständig Hasenpups! Scharfes Bondgirl würde mir besser gefallen, wenn überhaupt!“
Ramona stieß dabei ihren Ellenbogen in seine Seite.
„Schon gut, Raaamooonaaa!“, lachte er auf.
Dann wurde er aber gleich wieder ernst und sortierte seine Gedanken weiter:
„Es geht offenbar um eine alte Bibliothek, vielleicht eine bedeutende Sammlung von Schriftrollen aus der Antike. Auf jeden Fall ist sie verborgen und ich glaube, dass es eine Art von Karte gibt, womit man sie finden kann.
Der Hirsch verschlang die Wege, nachdem er gestorben war.
Die Karte wurde im Maul oder im Schädel des erlegten 66-Enders versteckt.“
„Wie jetzt? In Königswusterhausen?“, unterbrach Ramona aufgeregt.
„Nein, nein. Kurfürst Friedrich hatte einen Sohn, der die Soldaten mehr liebte, als die Jägerei und die Jagdtrophäen. Seinen Sohn kennen wir unter dem Namen Friedrich Wilhelm I., auch genannt der Soldatenkönig. Ich glaube, 1728 schenkte er das Geweih dem Sachsenkönig August dem Starken. Der hängte es in sein eigenes Jagdschloss in Moritzburg. Dort kann man es noch heute im Saal der Monströsensammlung besichtigen. Und genau dort sollte man suchen.“, erklärter er.
„Schloss Moritzburg bei Dresden!“
Über Ramona Gesicht huschte ein Anflug von Schatzsuchermentalität. Ihre Augen glänzten vor Begeisterung und sie streichelte Gustav's Oberschenkel, was sie sonst nie tat.
„Höre zu, Ramona! Wir sind hier, weil wir beide gemeinsam eine Urlaubsreise machen wollten. Und das können wir immer noch. Das Buch allein ist eine schöne Rarität für meine Büchersammlung und das handgeschriebene Schriftstück ist fast ein Museumsstück. Eigentlich hatte ich als nächstes Ziel Rom geplant.“, bemerkte er.
„Doppelzimmer oder getrennte Betten?“, fragte sie.
Ramona grinste.
Gustav errötete wieder. Wäre er nur nicht auf dem Gebiet der Verführungen immer so peinlich und leicht durchschaubar gewesen. Er ärgerte sich darüber, dass er immer gleich rot wurde wie ein kleines Schulmädchen. Verdammte Schulmädchen!
„Schöne Zimmer habe ich gebucht.“, antwortete er bockig. „Es geht darum, dass wir, sollten wir uns für die Suche nach dieser geheimnisvollen Bibliothek entscheiden, nach Dresden müssen und unseren Urlaub vergessen können. Nichts mit einer Verlobungsreise zweier Jungverliebten, mein Schatz!“, sagte er.
Nun errötete Ramona. Natürlich konnte sie nicht verleugnen, dass ihr der gestrige Abend Vergnügen bereitete. Sie hatte wohl auch etwas laut gestöhnt vor Wonne. Verdammte Zunge!
„Eine verschollene Bibliothek!“, grübelte Gustav fassungslos.
„Das ist unglaublich!“, pflichtete Ramona bei.
„Es gab schon immer Gerüchte darüber. Wer immer solch eine Bibliothek entdeckt, geht in die Geschichte ein.“, erklärte er.
„Und wir haben einen echten Hinweis gefunden. Das ist aufregend!“, freute sich Ramona und umklammerte seinen Arm.
„Vielleicht gibt es über mich auch einmal ein Buch, als Entdecker der verschollenen Bibliothek.“, schwärmte Gustav.
„Das wäre großartig!“
Beide saßen nun für ein paar Augenblicke schweigend und etwas berührt nebeneinander.
„Dresden ist auch schön und dort bekommen wir bestimmt ein gemeinsames Zimmer. Lass uns nach der Karte suchen, Gustav. Ich verspreche dir, dass ich nicht enttäuscht bin, falls wir am Ende nichts entdecken. Sind wir beide spontan oder was?“, unterbrach Ramona schließlich ihr Schweigen.
Gustav sah sie erfreut an und küsste sie spontan mit einem lauten Schmatz.
„Wir sind spontan! Auf nach Dresden!“, rief er.
Fest hielten sie sich in den Armen. Noch nie empfanden sie so viel Gemeinsamkeit und Zweisamkeit miteinander.
„Deutschland ist viel gesünder für uns. Die kleinen Italiener nerven sowieso und alles ist hier abartig kitschig. Wie kann man hier nur Urlaub machen? Verdammte Touristen!“, sagte Gustav und lächelte, zufrieden mit sich und der Welt, als wäre er mit seiner großen Liebe im romantischen Urlaub im schönen Italien.
Ramona lächelte auch leise in sich hinein. Sie war längst in Abenteuerstimmung.
„Eine verborgene Bibliothek!“, rief sie.
„Stell dir vor, was dort für Schätzen liegen können!“, bestätigte er aufgeregt.
„Verschollene Bücher, Schriftrollen vom Toten Meer, historische Aufzeichnungen!“, sagte Ramona und ihre Augen funkelten wild.
„Der größte Schatz dieser Welt ist das Wissen und wir gehen auf die Suche danach. Ein fantastische Geschichte, die uns passiert. Doch erst einmal müssen wir diese mysteriöse Bibliothek finden und darauf hoffen, dass es sie tatsächlich gibt.“, versuchte er ihre Begeisterung etwas zu dämpfen. Für seinen Geschmack war sie viel zu euphorisch.
„Ich habe daran keine Zweifel!“, erwiderte sie. Ramona war in Hochstimmung.
Anschließend verbrachten sie den Tag mit ausgedehnten Spaziergängen. Überall fanden sie Hinterlassenschaften der Medici. Gustav prahlte ein wenig mit seinem Wissen. Erklärte seiner Begleiterin die Geschichte der Adelsfamilie, die über mehrere Generationen Florenz beherrschte. Wie sie den großen Michelangelo als jungen Künstler förderten und dieser seinen monumentalen David mitten in Florenz aufstellte. Schließlich gelangte er mit seinem Referat zum Petersdom in Rom und zum Papst Julius II. und seine Nachfolger.
„Oh Gott!“, stöhnte Ramona, als Gustav gerade begann über das Grab des Petrus zu sprechen und wie Petrus der Jünger von Jesus wurde.
„Du musst nicht Gott zu mir sagen! Ein einfaches Gustav oder Liebling würde mir ausreichen.“, konterte er in bester Laune. Ramona verdrehte ihre Augen. Zu viele Informationen!
„Was hast du, mein Hasenpups? Geschichte fasziniert mich ungemein. Hier ist an jeder Ecke die pure Geschichte in Stein gemeißelt. Das ist, als lese man ein spannendes Buch über Meisterwerke des 15. und 16. Jahrhunderts.“, rechtfertigte er sich.
Verständnisvoll schmunzelte Ramona.
„Schon gut, mein Lieber! Ist ja alles auch für mich sehr spannend. Aber ich fühle mich etwas unterbelichtet, wenn du so mit Wissen um dich schmeißt.“, sagte sie.
„Du und unterbelichtet? Also bitte! Du weißt so viele andere Dinge, die mir unbekannt sind. Außerdem würde ich einer ungebildeten Tussi keine Vorträge über Kunstgeschichte halten. Das wäre, als wenn man guten Samen auf unfruchtbaren Boden wirft.“, meinte er in lieber Aufmunterung, merkte aber gleich, dass seine Formulierung nicht ankam. Ramona blieb prompt stehen.