Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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2.5.2 Geiz
Der Geiz ist die zwanghafte oder übertriebene Sparsamkeit eines Menschen. Der Geizige ist unfähig, Güter mit anderen zu teilen und unterliegt der Habgier bzw. der Erhaltung und Vermehrung seines Besitzes. Es wird auch vom Pfennigfuchser, Geizhammel und Rappenspalter gesprochen. Das Schicksal von armen Menschen interessiert ihn leider überhaupt nicht. Der Geizige lebt karg und gönnt sich für sein eigenes Leben fast nichts. Vielmehr erfreut er sich am permanenten Anhäufen von Kapital und von Habenzinsen: „Der Geiz hat den Ehrgeiz, immer mehr Geld auf seinem Konto zu horten“ (unbekannt). Merke: „Wer mit einem Geizhals verheiratet ist, hat kein schönes Leben.“* Die Wurzeln dieses Verhaltens liegen wohl schon in der Kindheit. Es kann auch in der Erziehung durch Lernvorgänge bedingt sein. „Wer geizige Eltern hat, wird dadurch stark beeinflusst und verinnerlicht diese Haltung.“* Auch: „Der Geiz wächst mit dem Gelde“ (Sprichwort). Er zählt als Untugend im Christentum zu den 7 Todsünden. Die Nähe zum Neid ist unverkennbar: „Geiz und Neid hausen unter einem Dach“ (aus Sizilien). Das Gegenteil von Geiz ist die Mildtätigkeit.
► Pro-Argumente: Zwischen Geiz und Sparsamkeit sind die Grenzen fließend.169 Wer zu übertriebener Sparsamkeit neigt, findet Geiz gar nicht so schlimm: „Geiz ist geil!“ (Werbespruch). Und fügt schnell hinzu: „Der Geiz ist etwas ausschließlich Menschliches“ (O. Gildemeister). Trotzdem: „Viel Geld zu besitzen und reich zu sein, ist etwas Wunderbares!“ (unbekannt). „Wenn nicht gespart wird, dann ist kein Geld für Kredite da!“ (unbekannt). Und: „Die Volkswirtschaft braucht sparsame Menschen!“* Auch postuliert der Geizige unehrlich: „Ich spare für meine Familie, damit ihr es später besser geht.“ Es ist wohl wahr: „Der Geiz sucht Gründe für seine Sparsamkeit“ (M.M. Jung).
► Contra: Der Geizige gönnt sich selbst und anderen nichts: „Das größte Vergnügen aller Geizhälse besteht darin, sich ein Vergnügen zu versagen“ (G. Benn). Und: „Nichts zu geben findet der Geizige immer Ursache“ (Sprichwort). Es ist kaum zu glauben, aber wahr: „Dem Geizigen ist es sogar um das Wasser leid, mit dem er sich wäscht (T.M. Plautus). Übertriebene Sparsamkeit eines Menschen ist von Übel: „Geiz ist das Futter der Gier“ (S. Schütz). Auch gilt: „Geiz ist ein kranker Geist“ (M. Hinrich). „Der Geiz hat den Ehrgeiz, viel Geld auf seinem Konto zu haben.“* Medizinisch ausgedrückt heißt das: „Wenn ein Geizhals Geld ausgibt, verliert er Blut“ (aus Polen). So sind die Folgen offensichtlich: „Geiz zerstört Körper und Seele“ (aus Abessinien). Und auch: „Geiz macht ein Herz aus Stein und Erz“ (Sprichwort). Auf einen Werbespruch entgegnet A. Selacher: „Geiz ist geil? Geiz macht impotent.“ Großzügigkeit ist für den Geizigen ein Fremdwort: „Mancher Geizkragen hält sich schon für großzügig, wenn er den Sonnenschein mit anderen teilt“ (W. Meurer). Dazu eine kurze Geschichte.
Der Philosoph Franz von Baader weilte auf dem Gutshof seines Freundes Boris v. U., der als sehr geizig bekannt war und vor allem die Bettler hasste. Nun stand ein sehr alter, zerlumpter Mann vor dem Philosophen und fragte: „Sie sind doch der bekannte Philosoph Professor Franz von Baader, aus Bayern stammend?“ „Ja doch!“ „Sie haben ein bedeutendes Werk über Vermögenslose geschrieben, haben Sie eine milde Gabe für mich?“ Der Philosoph sagte: „Ich habe selbst nicht viel, aber mein guter Freund Boris wird sich vielleicht erkenntlich zeigen!“ Der Hausherr Boris kommt hinzu und rief voller Entsetzen: „Ein Bettler, ich gebe nichts! Raus!“ „Sie sind sehr liebenswürdig“, sagte der Bettler: „… möge es Euch ergehen wie Abraham, Isaak und Jacob!“ Boris meinte erstaunt: „Ein Schnorrer, aber höflich ist er!“ „Höflich?“ meinte der Bettler: „Was ich Euch wünsche ist, dass Ihr umherirrt wie Abraham, blind werdet wie Issak und hinkt wie der unselige Jacob!“
► Conclusio: Manche Geizige wurden mit ihrem Geiz sehr reich, andere haben sich zugrunde gerichtet.170 Kein Mensch möchte als geizig gelten, denn geizige Menschen sind in der Regel nicht beliebt: „Geizhals und Glück werden sich niemals kennen lernen“ (B. Franklin). Der Geiz trennt Paare und er lässt Freundschaften auseinander gehen. Denn: „Geiz ist die Wurzel allen Übels“ (Timotheus 6,10). Wenn Frauen heute auf Partnersuche sind, dann sehen sie den Geiz als die unbeliebteste Eigenschaft bei Männern. Befragungen zeigen, dass die Hälfte der Männer auch keine geizige Frau heiraten möchte. Bei diesem Phänomen sind die Übergänge zwischen Sparsamkeit und Geiz fließend. Der Geizige selbst leidet nicht unter dieser negativen Eigenschaft, sondern er freut sich an seinem Geld. „Wer den Geiz auf die Spitze treibt, kommt nicht umhin, sich in totaler Konsumverweigerung zu ergötzen“ (J. Wilbert). „Geiz beginnt, wo die Armut aufhört“ (H. de Balzac). „Man kann sich keine Niederträchtigkeit denken, deren ein Geizhals nicht fähig wäre“ (A.F. von Knigge). „Viel versprechen, wenig geben, lässt den Geizhals in Frieden leben (aus Flandern).“ „Einen Geizhals kann man aber nicht ändern: man muss ihn nehmen, wie er ist.“* Die gute Seite dabei ist:
„Geiz ist das einzige Laster, das sich in den Augen der Nachkommen in eine Tugend verwandelt“
(Martin Held)
Deshalb gilt: „Geizhälse sind die Plage ihrer Zeitgenossen, aber das Entzücken ihrer Erben“ (Th. Fontane). Und: „Des Geizhalses einzige Wohltat ist sein früher Tod“ (aus Bulgarien). Am Ende kann aber keiner etwas mitnehmen: „Jedenfalls hat es keinen Sinn, der reichste Mann auf dem Friedhof zu sein“ (P. Ustinow).
2.5.3 Eitelkeit
Die Eitelkeit ist dasjenige Wohlgefallen des Menschen an sich selbst, das sich auf vermeintliche Vorzüge vor anderen stützt und im Unterschied zum Stolz diese Vorzüge von den andern unbedingt anerkannt wissen will.171 Beispielsweise die Sorge um die Schönheit, um die geistige Vollkommenheit bzw. um das eigene Aussehen. Dabei sind die Grenzen zwischen der natürlichen Freude am eigenen Körper und der übertriebenen Sorge um die eigene Attraktivität fließend. Wir können als normale Eitelkeit die persönliche und die nationale Eitelkeit unterscheiden. Der überzogen eitle Mensch ist sehr stark von seinen vermeintlichen Vorzügen überzeugt und stellt sie häufig zur Schau. Übertriebene Eitelkeit ist eine Untugend. Das Gegenteil von Eitelkeit ist eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Person bzw. gegenüber Nationen. Man kann nun die Frage aufwerfen: „Ist Eitelkeit ein verwerfliches Laster oder eine fördernde Kraft?“172 Sie hat wohl von beidem etwas:
► Thesen: „Eine gewisse Eitelkeit ist menschlich“* . „Ohne die Eitelkeit wäre die Welt nur halb so schön“ (F. Löchner). Das gilt vor allem für bestimmte Künstler: „Musiker sind nicht eitel, sie bestehen aus Eitelkeit“ (K. Tucholsky). Treffend: „Eitle Fernsehjournalisten halten sich selbst für mindestens ebenso bedeutend wie ihre prominenten Interviewpartner“ (E. Probst). Aber: „Große Eigenschaften entschuldigen kleine Eigenheiten“ (Wiliam Penn). Für den Alltag gilt: „Wem sein Aussehen ganz egal ist, mit dem stimmt etwas nicht“ (unbekannt). Für das Besondere und Große gilt: „Glanz und Gloria, Triumph der Eitelkeit (O. Baumgartner-Amstad). Oder für den Sport gilt: „Medaillenspiegel: Attribut nationaler Eitelkeit“ (A. Eilers). Und: „Wenn der Ehrgeiz als Zwerg zur Welt kommt, nennt man ihn Eitelkeit“ (unbekannt).
Interessant ist auch folgende Meinung: „Der Mensch hat es so gern, wenn man über ihn spricht, dass ihn sogar eine Unterhaltung über seine Fehler entzückt“ (A. Maurois). Wie lässt sich übertriebene Eitelkeit erkennen? „Selbsterkenntnis behütet dich vor Eitelkeit“ (M. de Cervantes-Saavedra). Auch gilt: „Macht und Eitelkeit machen uns beredt“ (Ch. von Schweden). Außerdem: „Die Eitelkeit ist die Höflichkeits-Maske des Stolzen“ (F.W. Nietzsche). Etwas vermessen ist folgende Feststellung: „Eitelkeit ordnet Lebensglück gern der eigenen Intelligenz zu“ (M.M. Jung). Oft gilt im Leben: „Den größten Streich spiel uns immer noch die eigene Eitelkeit“ (E. Koch). Edle Menschen erkennen rechtzeitig die nötige Konsequenz: „Die Eitelkeit ist das erste, was der Weise ablegt“ (aus China).
► Antithesen: Übertriebene Eitelkeit kann als Untugend süchtig bzw. affig machen: „Eitelkeit ist eine persönliche Ruhmsucht“ (J.W. von Goethe). Auch: „Die Eitelkeit, der nimmersatte Geier, fällt nach verzehrtem Vorrat selbst sich an.“ (Shakespeare). „Wo die Eitelkeit anfängt, hört der Verstand auf“ (M. von Ebner-Eschenbach). Auch viel Geld kann zu überzogener Eitelkeit führen: „Ein schwerer Beutel macht leicht eitel“ (A. a Santa Clara). Dann ist die Überheblichkeit nicht weit: „Wer Eitelkeit zum Mittagbrot hat, bekommt Verachtung zum Abendbrot“ (B. Franklin).
Auch hier gilt: „Wer abhebt, benötigt einen guten Fallschirm.“* Eitelkeit findet sich insbesondere vor dem Spiegel: „Eitelkeit macht jeden Spiegel blind“ (A. Brie). Noch stärker ausgedrückt: „Für die Eitelkeit ist selbst die Pfütze ein wohlgefälliger Spiegel“ (A. Schopenhauer). Aber: „Wenn Menschen in Not sind, dann sinkt der Stellenwert der Eitelkeit enorm:“* „In der Not verdunstet viel Eitelkeit“ (M. Hinrich). Zum Nachdenken: „Die Strafe für Eitelkeit ist Schmeichelei“ (W. Raabe). „Mitunter wird mit übertriebener Eitelkeit bzw. mit Affigkeit versucht, Schwächen der eigenen Person zu übertünchen.“* Wird die überhöhte Eitelkeit verletzt, dann gibt es oft unangemessene Reaktionen: „Verletzte Eitelkeit hat hundert Krallen“ (aus Piemont). Oder: „Verletzte Eitelkeit infiziert sich oft mit Hassgefühlen“ (G. Uhlenbruck). Deshalb gilt auch hier: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“ (Sprichwort).
► Synthese: „Wenn sich eine vornehme Frau für ihren Mann vor dem Spiegel schön macht oder der edle Mann eitel seine Fliege für den besonderen Abend zurechtlegt, dann sind diese Verhaltensweisen normal.“* Aber wir stoßen an eine Grenze, wo die Eitelkeit zur Affigkeit wird, die es für alle zu vermeiden gilt. „Männer, die Angst davor haben, dass man ihre gefärbten Haare ans Licht bringen könnte, waren mir schon immer suspekt.“* In der christlichen Theologie zählt die Eitelkeit zu den Hauptsünden, denn sie lenkt das Denken des Menschen von Gott ab und zu sich selbst hin. „Sehr eitle Menschen wollen vor allem sich selbst gefallen“* Dazu äußert sich ein Menschenkenner treffend:
„Man muss sich also eingestehen, dass die eitlen Menschen nicht sowohl Anderen gefallen wollen, als sich selbst, und dass sie so weit gehen, ihren Vorteil dabei zu vernachlässigen; denn es liegt ihnen oft daran, ihre Mitmenschen ungünstig, feindlich, neidisch, also schädlich gegen sich stimmen, nur um die Freude an sich selber, den Selbstgenuss, zu haben“
(F.W. Nietzsche)
Wer gar zu eitel ist, kann sogar zum Schöngeist oder zum Hagestolz werden. Die Betroffenen sollten sich dann nicht wundern: „Niemand hat aber Mitleid mit dem Schmerz der Eitelkeit“ (S. Johnson). Deshalb sollten wir Menschen rechtzeitig gegensteuern: „Tötet eure Eitelkeit, bevor sie euch umbringt“ (P.E. Schumacher). Das ist aber alles gar nicht so einfach, denn: „Eitelkeit ist darum so schwer abzulegen, weil man sie, unter allen Lastern allein, den ganzen Tag genießen kann“ (J. Paul).
2.5.4 Wollust
Wollust ist die extreme Form sexueller Lust, nämlich als sinnliche Begierde mit erotischen Fantasien. Das aktive Handeln des Menschen zur wilden Steigerung der sexuellen Befriedigung ist dabei eingeschlossen. „Moderne Technik eröffnet viele Wege, sündiges Verhalten zu befriedigen“ (F. Löchner). „Die Wollust liebt die Mittel nicht den Zweck“ (H. von Hofmannsthal). Und: „Die Wollust ist die Katastrophe des Genusses“ (E.M. Cioran). Die Wollust zählt im Christentum als Untugend zu den 7 Todsünden. Das Gegenteil der Lust ist die Unlust, das Gegenteil von Wollust ist die Keuschheit als Enthaltsamkeit: „Wo Lust schrumpft, wächst Sitte“ (M.M. Jung). Wir wollen zunächst zwischen Lust und Wollust unterscheiden:
► Die Lust als Glücksgefühl ist etwas ganz Normales: „Es ist eine Lust zu leben“ (U. von Hutten). Die Lust ist ein Antrieb, der auf die Befriedigung eines stark empfundenen Bedürfnisses oder Mangels ausgerichtet ist. Die Lust war schon in der Antike, im Mittelalter und in der neueren Zeit ein interessierendes Thema.173 „Die Lust ist Ursprung und Ziel des glücklichen Lebens“ (Epikur). Sie ist mit heftigen, zeitlich begrenzten Glücksgefühlen (z. B. Liebe, Sex, Lustgefühl, Begierde), Freude (z. B. Sport, Arbeit) bzw. Genuss (z. B. beim Essen, Trinken) verbunden.
Träumen wir nur? „Alle Lust der Welt ist ein Traum nur“ (F. Petrarca). „Wo die Lust anfängt, hört der Spaß auf“, sagt P. Mommertz. Auch: „Lust verkürzt den Weg“ (W. Shakespeare). Ebenfalls gilt: „Lust findet Zeit“ (W. Puzicha). Und: „Je seltener das Angenehme, desto größer die Lust (Epiktet). Ohne Lust bewältigen wir unser Leben nicht: „Lust ist der beste Motor“ (M. Hinrich). Auch gilt für den Sex: „Phantasie ist der größte Lustgewinn“ (D. Wieser). Ähnlich ausgedrückt: „Lust steigert sich an Lust“ (K. Tucholsky). Der französische Philosoph Honoré de Balzac wirft die Frage auf: „Vielleicht ist die Liebe nur Dankbarkeit für die Lust?“ Als Formen der Lust sind Lebenslust und sexuelle Lust zu unterscheiden. Hier eine treffende Beschreibung der sexuellen Lust:
„Dein herrlicher Körper treibt mich zum Wahnsinn. Ich begehre dich heftig, möchte noch mehr; du machst mich verrückter mit jeder Berührung. Ich liebe dich, brauche dich, will dich so sehr“
(H.C. Neuert)
► Gott hat uns aber im Umgang mit der Lust Grenzen gesetzt: „Du sollst nicht gelüsten deines Nächsten Weibes“ (5 Mose, 5,21) und „Du sollst nicht ehebrechen“ (5 Mose, 5,18). Wenn wir meinen, diese Gebote locker umgehen zu können, um sich beim Ehebruch voll der Wollust hinzugeben, dann täuschen wir uns gewaltig, denn die Folgen von Ehebruch können heftig sein: „Wer Lust begehrt, begehrt Leid“ (Buddha). Auch: „In den Katakomben der Lust wohnt auch der Frust“ (F. Löchner). „Wer Laster hat, ist in ständiger Gefahr, von ihnen überfahren zu werden“ (W. Lörzer). Aber es gilt ebenfalls: „Standhaftigkeit bedarf der Versuchungen“ (A. Saheb). Und vor allem: „Wollust nährt Sünde“ (Sprichwort). Nicht nur die Tinte in meinem Füllfederhalter sträubt sich dagegen, von den schrecklichen Ereignissen eines Lustmordes174 oder von der Kinderpornographie zu berichten. Darüber hinaus kokettiert mancher mit den Geboten Gottes: „Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit – aber jetzt noch nicht“ (Augustus Aurelius). Oder in ganz anderer Sicht urteilend: „Ein Eunuch hat es leicht zu moralisieren.“* Die extremen Beurteilungen reichen von der himmelsträchtigen Liebe bis zur niederträchtigen Wollust. Sie wird auch als schönste Todsünde bezeichnet.175
► Synthese: „Gott hat uns u. a. auch die sexuelle Lust geschenkt, damit wir mit unserem Ehepartner glücklich sind, mit ihm in der Liebe Spaß haben und für Nachwuchs sorgen können. Die sexuelle Lust mit dem Ehepartner immer wieder neu zu erleben gehört zu den schönsten Geschenken, die uns Gott gegeben hat.“* Diese Lust ist so wundervoll, dass man sie nicht in Worte kleiden kann; man glaubt, kurze Zeit irgendwie im Paradies zu sein. Aber Gott hat uns hinsichtlich außerehelicher Partnerschaften strenge Grenzen gesetzt. Der Umgang damit ist allerdings nicht einfach, wie es die vielen negativen Ereignisse in unserer heutigen Gesellschaft und in der Welt deutlich zeigen. Der Ehebruch aus dem Motiv bloßer Wollust ist heute nicht selten. Der Ehebruch ist heute leider weit verbreitet und wenn nicht die Angst vor Aids gegeben wäre, hätten wir noch mehr von diesen Verfehlungen. Ehebruch bringt in vielen Fällen tiefes Leid, das den betroffenen Partner seelisch zugrunde richten kann. Deshalb gibt es hier definitiv keine liberalen Kompromisslösungen: „Eheliche Treue ist unverzichtbar, denn Ehe ist nicht teilbar mit anderen Menschen.“*
2.5.5 Zorn
Der Zorn ist die extreme emotionale Erregung eines Menschen und hat eine lange Kultur- und Literaturgeschichte.176 Er kommt in der Praxis als heftiger Ärger, wutartiger Affekt, Aggression, Wut und Impulsivität vor177 und kann schnell zu unkontrollierten Handlungen führen, z. B. zum Anbrüllen anderer Menschen oder zum lauten Fluchen. Er existiert auch als Zürnen, beispielsweise als Zorn über eine Untat, als Jähzorn, als Volkszorn und zuletzt als „Zorn Gottes“. Der Wut geht eine persönliche Kränkung voraus, beispielsweise wenn jemand sehr ungerecht behandelt wird. Wieso? „Auch Ursachen haben Ursachen“ (H.U. Bänziger). Zorn ist als Untugend mit Unmut und häufig mit Unzufriedenheit verbunden. Die Empörung ist ein weiterer Zustand der Erregung. Im Christentum ist der Zorn eine der 7 Todsünden.178 Das Gegenteil von Zorn ist Geduld. Dem Zorn wird ein gewisses Verständnis, aber auch viel Unverständnis entgegengebracht.
► Thesen: Zorn ist als Erregung etwas Normales, denn kein Mensch ist normalerweise in der Lage, die Ungerechtigkeiten dieser Welt so einfach hinzunehmen. Auch Martin Luther hat das gespürt: „Der erste Zorn ist immer der beste.“ Definitiv: „Der Zorn ist kurze Raserei.“ (Horaz). Auch unerfüllte Liebe kann mit Zorn verbunden sein: „Liebe kennt keinen Hass, aber Zorn (P. Mommertz). Und es gilt: „Wer nie im Zorn erglühte, kennt auch die Liebe nicht“ (E.M. Arendt). Sogar: „Zorn macht Schwache stark“ (Ovid). Zorn ist häufig mit Lautstärke verbunden: „Der Zorn bläst laut ins Horn.“* Die Reaktion darauf sollte nicht laut sein, denn: „Sanfte Rede stellt den Zorn“ (Sprichwort). Ein wahres Wort: „Die Empörung ist der Zorn der Gerechtigkeit“ (S. Prudhomme). Wenn die Gerechtigkeit verletzt wird, sollten wir uns mehr darüber aufregen! Wir lassen uns viel zu viel bieten, ohne uns zu wehren, sagt St. Hessel, und damit hat er Recht: „Empört Euch“: en francais: „Indignez vous!“179
► Antithesen: Der Zorn hat als Untugend auch eine bösartige Seite: „Ach, der Zorn verderbt die Besten“ (F. von Schiller). „Der Zorn verrät ein böses Gewissen“ (F. von Schiller). „Ein kurzes Wort mit Unbedacht bringt Jahre voller Zorn und Krach“ (A. Bechstein). Mitunter kann es schlimm ausgehen, denn: „Der Zorn schafft eine Waffe“ (Vergil). Vielfach gilt: „Im Zorn trifft man nur selten gute Entscheidungen“ (E. Limpach). „Keine Leidenschaft trübt die Unvoreingenommenheit des Urteils mehr als der Zorn“ (M. de Montaigne). Auch der Glaube der Juden stellt richtig: „Sobald der Mensch in Zorn gerät, gerät er in Irrtum“ (Talmud). Und: „Nimmer hat die Wut sich gut verteidigt“ (Shakespeare). Manchmal geht es hitzig zu: „Wo es funkt, kann es heiß werden“ (P.F. Keller). Aber: „Jähzornige Frauenzimmer – gleich wie Männer auch – sind weniger schlimm als stille Wasser, welche tief“ (Euripides). Man glaubt es kaum: „Auch im Lamm ist Zorn“ (Sprichwort). Nicht selten: „Ohnmacht züchtet Wut“ (E. Pannek). Zuweilen gilt auch: „Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man“ (F.W. Nietzsche). Manchmal geht es sehr laut zur Sache: „Zorn ist eine große Kraft, die mehr Leid als Freude schafft“ (L. Hirn). Und: „Ärger ist wie Säure. Er zerfrisst vor allem das Gefäß, in dem er sich befindet“ (P. Hohl). Zum Schluss: „Der Zorn lässt die Menschen nicht alt werden“ (Sprichwort). Deshalb kommen wir zu dem klaren Ergebnis: „Wut muss man bekämpfen“ (Shakespeare).
► Synthese: „Kann sich der Mensch einerseits in seiner Erregung wehren, aber anderseits sein eigene Wut bekämpfen? Ja, denn alles zu seiner Zeit. Manchmal muss man sich u. U. auch lautstark empören, z. B. wenn ein hilfsbereiter älterer Mensch von einem Rüpel niedergeschlagen und obwohl er hilflos am Boden liegt immer noch getreten wird.“* In anderen Fällen ist es wichtig, dass man sich zusammenreißt, nämlich wenn man sich aus persönlichen Gründen verständlicherweise geärgert, der Partner es aber ganz anders gemeint hat. Merke: „Missverständnisse lösen nicht selten Zorn aus.“* „Auch zu viel Alkohol kann Zorn mit sich bringen.“*
Deshalb: „Der Edle bändigt seinen Zorn und mäßigt seine Triebe“ (aus China). Wie kann man auf Zorn reagieren? Vor allem: „Dem Zornigen soll man das Schwert nehmen.“ Außerdem: „Tue nie etwas aus momentanem Zorn heraus.“ Der folgende gute Rat ist schon sehr alt: „Das größte Gegenmittel gegen den Zorn ist der Aufschub“ (Seneca). „Manchmal ist es gut, dass man ausweicht (z. B. nach draußen gehen), wenn man den Zorn spürt.“* Denn: „Zorn ist ein Windsturm, der die Lampe des Verstandes ausbläst“ (R.G. Ingersoll). Folgendes ist auch richtig:
„Es ist besser, im Zorn zu kommen und im Frieden zu gehen, als in Frieden zu kommen und im Zorn zu gehen“
(W.J. Reus)
Übrigens: „Gemütsmenschen kommen aufgrund ihres Wesens mit der Bekämpfung von Wut besser zurecht als Choleriker, da diese meistens zum Aufbrausen neigen.“* Zum Schluss versöhnlich: „Wenn der Zorn verebbt, flutet die Reue“ (G. Uhlenbruck).
2.5.6 Neid
Der Neid ist das ethisch vorwerfbare, intensive Empfinden des Menschen, nämlich seine Auffassung, die Besserstellung anderer Menschen sei ungerechtfertigt. Bosheit, Feindseligkeit, ohnmächtiges Begehren, verborgener Groll und Gehässigkeit beschreiben dieses Laster.180 Es ist eine Missgunst mit dem Wunsch, diese Besserstellung (z. B. Besitztümer, Gesundheit, Schönheit, Status) selbst zu besitzen bzw. ist das große Verlangen, sie anderen wegnehmen zu wollen. Im Christentum zählt der Neid zu den 7 Todsünden, weil gerade er die dunkle Seite der menschlichen Natur zeigt. Das Gegenteil des Neids ist das Wohlwollen. Neid hat viele, aber kaum freundliche Gesichter.181 Nach Nietzsche begründet sich die soziale Gerechtigkeitsbewegung in dem Neid der zu kurz Gekommenen und sie zeigt sich z. B. im Sozialneid. Der kollektive Neid ist oft verbunden mit der Empörung über die ungerechte Güterverteilung und kann weitgehende politische Wirkungen haben.182 „Gerade heute ist Sozialneid nicht zu unterschätzen.“* Niccolo Paganini meint grundsätzlich: „Die Tüchtigen werden beneidet, den Talentierten wird geschadet und die Genies werden gehasst.“ Demgegenüber gibt es bei den Tieren den Futterneid. Auch der Neid lässt sich unterschiedlich bewerten.
► Der Neid ist heute in unserer Gesellschaft als Untugend leider sehr weit verbreitet, denn: „Die gefährlichsten Herzkrankheiten sind immer noch Neid, Hass und Geiz“ (P.S. Buck). „Der Neider gönnt anderen auch das nicht, was er selbst nicht haben möchte“ (M. Pickford). Aus Frankreich stammt die Erkenntnis: „Der Neid ist die Wurzel aller Übel.“ Er lässt den Betroffenen einfach nicht in Ruhe, wie uns ein Spruch aus Großbritannien vermittelt: „Der Neid ist sein eigener Folterknecht.“ Eigenartig ist, dass ein Neider die Gegebenheiten meist überzogen bewertet: „Neid schaut immer durchs Vergrößerungsglas“ (E. Blanck). In der Gruppe hat es sich auch folgendes gezeigt: „Auf Neid ist mehr Verlass als auf Solidarität“, wie H.J. Quadbeck-Seeger richtig bemerkt. Mitunter kommt der Neid schneller auf als uns recht sein kann: „Kaum hat mal einer ein bissel was, gleich gibt es welche, die ärgert das“ (W. Busch). Zuweilen setzt sich der Neid längerfristig fest: „Unser Neid dauert stets länger als das Glück derer, die wir beneiden“ (La Rochefoucauld). Wer anderen etwas neidet, behält es meist nicht für sich: „Die Tochter des Neids ist die Verleumdung“ (G. Casanova). Deshalb sind wir über folgendes nicht erstaunt, was J.W. von Goethe erkannt hat: „Man darf sich nicht wundern, wenn Neid schnell in Hass übergeht.“ Neid hat auch eine Schwester: Die lachende Schwester des Neides ist die Schadenfreude.183 Sie ist eine positiv erlebte Emotion, der in der Regel Neid vorausgegangen ist, obwohl die angemessene Reaktion Mitleid wäre.





