Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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► Ist der Neid der Menschen wirklich so groß oder ist das alles übertrieben? Die deutsche Sozialwissenschaftlerin N. Pomes beschwichtigt: „Neid zeigt uns unsere Wünsche.“ Spitzbübisch ist die Feststellung von W. Busch: „Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“ Ähnlich: „In Deutschland ist die höchste Form der Anerkennung der Neid“ (A. Schopenhauer). Manchen zurückgezogen lebenden Menschen baut der Neid sogar auf: „Nichts hilft so gut, die Einsamkeit zu überbrücken wie der Neid“ (M. Genin). Nach Oscar Wilde ist Neid auch mit Anerkennung verbunden, denn: „Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.“ Vor allem wird einem der Neid nicht geschenkt: „Neid muss man sich sehr hart erarbeiten“ (E. Reuter). Es ist bekannt: „Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen“ (R. Lembke). Der griechische Arzt und Dichter Epicharmos geht noch weiter: „Wer von niemandem beneidet wird, der ist nichts wert.“ Mancher genießt den Neid: „Erfolg ist nur halb so schön, wenn es niemanden gibt, der einen beneidet“ (N. Mailer).
► Was lernen wir daraus? Der Menschenkenner A. Schopenhauer bringt es auf den Punkt: „Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt.“ Müssen wir wirklich gegenüber anderen Menschen neidisch sein? Ich sage: „Missgunst und Neid sind keine guten Ratgeber, sondern Merkmale des Bösen.“* „Wie gleichen sich doch Mensch und Tier in Neid und Gier“ (P.E. Schumacher). Neid wird es immer geben: „Die Neider sterben wohl, doch nimmer mehr der Neid“ (Molière). Auch zeigt die Erfahrung: „Neid braucht keinen Grund“ (E. Klepgen). „Neidische Menschen sind doppelt schlimm dran: …denn sie ärgern sich nicht nur über das eigene Unglück, sondern auch über das Glück der anderen“ (Hippias). Wie entsteht Neid?
„Neid entsteht aus Schwäche, Kleinmut, mangelndem Selbstvertrauen, selbstempfundener Unterlegenheit und überspanntem Ehrgeiz. Deswegen verbirgt der Neider seinen unschönen Charakterzug schamhaft. Geht es dem Beneideten an den Kragen, genießt der Neider stille Schadenfreude“
(G. Aly)
Deshalb kommen wir zu dem Ergebnis: „Das sicherste Zeichen des wahrhaft verständigen Menschen ist Neidlosigkeit“ (La Rochefoucauld). Wie sollten wir Menschen uns denn verhalten? Mit der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach können wir zusammenfassen: „Andere neidlos Erfolge erringen sehen, nach denen man selbst strebt, ist Größe.“ Oder etwas anders ausgedrückt: „Andere glücklich und zufrieden zu sehen ist eine der größten Herausforderungen für unseren Neid.“*184 Zum Schluss der hilfreiche Rat von Seneca: „Dem Neide wirst Du entgehen, wenn Du verstehst, Dich im Stillen zu freuen.“
2.5.7 Lüge
Die Lüge ist eine bewusst falsche Aussage oder unwahre Behauptung eines Menschen, beispielsweise lügen aus Angst, Geltungsbedürfnis oder aus Berechnung. In der Absicht zu täuschen werden dabei Tatsachen verdreht.185 Oscar Wilde bringt Lüge und Kunst in Verbindung und behauptet auf seine Art: „Das Lügen und das Dichten sind Künste.“ Beim Kind kann man dann nicht von Lüge sprechen, wenn es zwischen der Realität und den Produkten seiner Phantasie noch nicht unterscheiden kann. Bei Erwachsenen ist die übermäßige Neigung zur Lüge Ausdruck einer psychologischen Fehlentwicklung, die mit Charakterschwäche, Erziehungsfehlern, Enttäuschungen oder schlechtem Umgang zusammenhängen kann. In der Regel fühlen sich Menschen verletzt, und hintergangen, wenn sie belogen werden: Das Christentum verurteilt die Lüge deshalb als Sünde. Auch die Lüge hat eine lange Kulturgeschichte.186 Das Lügen wird im Allgemeinen als Untugend negativ bewertet, aber mitunter auch relativ wohlwollend beurteilt.
► Thesen: „Die Lüge ist immer ein Selbstmord des Geistes“, meint J.G. Fichte. Das Lügen ist nicht nur in der Politik, sondern auch im Privatbereich weit verbreitet: „Es wird nie mehr so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“, meint O. v. Bismarck. Gerade heute wird in unserer liberalen Gesellschaft viel gelogen: „Wer lügt, der riskiert damit, dass er auch dann, wenn er die Wahrheit sagt, nicht ernst genommen wird.“* Und: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“ (Phädrus). Den Lügenden trifft es dann auch selbst: „Die Strafe des Lügens ist nicht, dass ihm niemand mehr glaubt, sondern dass er selbst niemandem mehr glauben kann“ (G.B. Shaw). Meistens bleibt es nicht bei einer Lüge: „Eine Lüge schleppt zehn andere nach“ (Sprichwort). Die Lüge bringt oft Böses mit sich: „Gutes kann niemals aus Lüge und Gewalt entstehen“ (M. Gandhi). Andere negative Verhaltensweisen sind dann nicht weit: „Lügen und Stehlen gehen miteinander“ (Sprichwort). Gott sei Dank kommt man aber mit der Lüge nicht weit, denn: „Lügen haben kurze Beine“ (Sprichwort). Aus Russland stammt das kluge Sprichwort: „Mit Lügen kann einer durch die Welt kommen, aber bestimmt nicht zurück“ (aus Russland). Interessant ist die folgende Feststellung: „Das Gefährliche an Halbwahrheiten ist, dass immer die falsche Hälfte geglaubt wird“ (H. Krailsheimer). Das alles ist auf die Dauer unbefriedigend und es kommt hinzu: „Die Lüge ist wie ein Schneeball, je mehr an ihn wälzt, desto größer wird er“ (M. Luther). Der Lügner findet sogar im Grab keine Ruhe: „Jemand hat so viel Lügen mit ins Grab genommen, dass angebaut werden musste“ (M. Hinrich).
► Antithesen: Nach S. Dietz ist eine prinzipielle Verurteilung der Lüge aber nicht zu rechtfertigen.187 Auch F.W. Nietzsche stellt fest: „Kein Leben ohne Lügen.“ Außerdem sagt er zum Nachdenken: „Wer nicht lügen kann, weiß nicht, was Wahrheit ist.“ Ist denn das Lügen an sich gar nicht so schlimm? „Mit der ersten Lüge wird man Mensch“ (St. Schütz). Oder gehört die Lüge gar zum Erwachsenwerden? „Wer nie lügt, wird nie groß“ (aus Uganda). Die Lüge kann auch mit Sex verbunden sein: „Die nackte Lüge hat schöne Beine“ (M. Hinrich). R.W. Emerson findet das Lügen sogar schön, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann: „Die Wahrheit ist etwas Schönes, ohne Zweifel, aber Lügen auch.“ Zum Nachdenken: „Manche Menschen können so erfrischend lügen, dass einem der Durst nach Wahrheit vergeht“ (E. Ferstl).
Oder anders gesehen: „Lieber eine glatte Lüge als eine ungefällige Wahrheit“ (aus Ägypten). Der englische Philosoph S. Butler sieht es so: „Der beste Lügner ist der, der mit den wenigsten Lügen am längsten auskommt.“ Es gibt Arbeitsfelder, die uns zur Lüge verführten: „Die Einkommensteuer hat mehr Menschen zu Lügnern gemacht als der Teufel“ (W.P. Rogers). Oder wollen wir Menschen gar, dass uns andere mitunter nicht die Wahrheit sagen? „Die Menschen sind alle so geartet, dass sie lieber eine Lüge als eine Absage hören wollen“ (M.T. Cicero). Wir erkennen, dass das Thema Lügen sehr vielschichtig ist, wie uns auch folgende Weisheit vor Augen führt: „Einzig den Ärzten ist es erlaubt zu lügen (unbekannt). Und nach Grotius: „Im Kriegsfall sind List und Lüge erlaubt.“ In bestimmten Situationen bestehe kein Recht auf Wahrheit.188
► Synthese: Psalm 116,11 drückt es ganz hart aus: „Alle Menschen sind Lügner.“ Oder etwas geminderter, aber treffend: „Die Welt ist voller Leute, die Wasser predigen und Wein trinken“ (G. Guareschi). Dazu W. Busch väterlich: „Wer dir sagt, er hätte noch nie gelogen, dem traue nicht, mein Sohn.“ Und: „In der Schnelligkeit ist die Lüge immer der Wahrheit voraus“ (W. Meurer). Manchmal ist mit heute das viele Lügen im Alltag zuwider:
„Lug und Trug regier'n die Welt, weil kein Anstand heut' mehr zählt. Das macht mich alles sehr betroffen, kann nur auf bess're Zeiten hoffen“
(Horst-Joachim Rahn)
Gott sei Dank kann ich mich auf meine Frau und meine Freunde immer verlassen. Denn es gilt zeitlos: „Ehrlich währt am längsten“ (Sprichwort). „Heute wird die Lüge in unserer Gesellschaft leider nicht als ein Vergehen bewertet, sondern als legitimes Mittel zur Selbstverteidigung oder gar als Kavaliersdelikt.“* „Wir sollten die Lüge nicht wohlwollend beurteilen, sondern uns wieder mehr um die Wahrheit bemühen.“* Das gilt ohne Einschränkung auch für die Notlüge, wenngleich J. Joyce feststellt: „Der Erfinder der Notlüge liebte den Frieden mehr als die Wahrheit.“
In der Bibel wird der Teufel als der „Vater der Lüge“ bezeichnet (Joh. 8, 44). Das achte Gebot der Zehn Gebote lautet: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ (5. Mose, 5 20), was im Christentum und im Judentum als generelles Verbot der Lüge interpretiert wird. Auch im Islam ist Lügen nicht erlaubt. Im Buddhismus gilt sie als eine der zehn Untugenden. Augustinus betrachtet die Lüge als eine Sünde. „Wir sollten mehr Wert auf die Achtung und Befolgung aller Zehn Gebote legen, auch wenn das in der Praxis nicht so einfach ist.“* Vergessen wir dabei nicht: „Das permanente Lügen führt – wie alles Böse – zu negativen Festschreibungen in unserer Seele.“*189 „Lüge führt auf längere Sicht zur Unzufriedenheit.“* „Wer gelogen hat, muss dauernd der Wahrheit ausweichen, um von ihr nicht überfahren zu werden“ (W. Ludin). Und ich behaupte zum Schluss: „Es geht auch ohne Lüge! Oder bin ich damit gar unehrlich oder unmenschlich?“*
2.5.8 Faulheit
Faulheit ist die zu geringe innere Motivation eines Menschen, sich anzustrengen und im Leben etwas zu leisten. Die Erklärungen der Faulheit reichen von einer allgemein bestehenden Tendenz zur Trägheit und Bequemlichkeit bis zu einem schlechten Charakter. Faulheit kann individuell-immanent sein, aber auch durch Krankheit, geringe Anreize, bzw. mangelnde Erfolge oder aus Widerstand gegen ein System ausgelöst werden. Also ist vor der Bewertung bzw. Ergreifung von Maßnahmen zu prüfen, warum ein Mensch zur Faulheit neigt. Die Faulheit ist eine Untugend und gehört wie der Geiz, der Neid, die Völlerei, der Stolz, der Zorn und die Wollust im Christentum zu den 7 Todsünden. Das Gegenteil der Faulheit ist der Fleiß. Faulheit lässt sich sowohl wohlwollend als auch kritisch beurteilen.
► Thesen: Vor allem in der Pubertätszeit stellt die Faulheit ein Problem dar. „Auch ich war in dieser Zeit kein guter Schüler.“*190 Damit bin ich nicht der einzige, denn die Pubertät ist eine schwierige Zeit. Leider gibt es aber auch nicht wenige Erwachsene, die nicht arbeiten wollen: „Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute“ (Sprichwort). Ein fauler Mensch ist bestrebt, sich möglichst wenig anzustrengen: „Ich bin ein fauler Sack, und das ist gut so!“ (unbekannt). Oder ein anderer sagt: „Es ist schön, den ganzen Tag die bequeme Seite des Lebens genießen zu können.“* Faulheit lässt sich in wohlwollender Sicht ganz unterschiedlich ausdrücken:
▪ „Die Faulheit ist keine Zier, doch Entspannung schenkt sie dir“ (Querulix).
▪ „Morgen werde ich mich ändern, gestern wollt ich es heute schon“ (Ch. Busta).
▪ „Faulheit: Das eine nicht tun und das andere lassen“ (W. Ludin).
▪ „Faulheit: der Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit“ (E. Kant).
▪ „Faulheit kennt kein Rückenweh“ (aus Russland).
Oder auch die folgende Version: „Der Faule lebt in Harmonie mit dem Bestehenden und verspürt keinen Drang es zu ändern“ (T. Troll). Manche verehren die Faulheit sogar: „Die Arbeit ist etwas Unnatürliches. Die Faulheit allein ist göttlich“ (A. France). Am Abend haben Arbeitsame und Faule etwas gemeinsam: „Abends werden auch die Faulen müde“ (D. Fleichhammel). Mit Effektivität lässt sich manches auffangen: „Effizienz ist die Faulheit der Intelligenten“ (Gräfin Fito).
► Antithesen: Auch hier zitiere ich gern meinen Lieblingsphilosophen S. Kierkegaard: „Aller Laster Anfang ist Faulheit.“ In realistischer Sicht der Faulheit stellen wir folgende Meinungen vor:
▪ „Faulheit ist Untätigkeit in Potenz“ (J. Panten).
▪ „Faulheit macht Schwielen am Hintern“ (aus Arabien).
▪ „Faulheit steht sich selbst im Wege“ (Seneca).
▪ „Zu den großen Leistungen sind nur wenige fähig, zu großer Faulheit fast jeder“ (H.J. Quadbeck -Seeger).
Gott sei Dank gibt es viele Menschen, die gern arbeiten, weil ihnen ihre Arbeit Spaß macht. Das ist wohl entscheidend. Und es gilt zeitlos: „Faulenzen ist längst nicht so schön, wie es klingt (E. Koch). Lassen wir uns also nicht von der Faulheit verführen.
► Synthese: „Wer in der Schulzeit faul ist, bekommt die negativen Folgen erst später zu spüren.“* Viele Eltern müssen oft resignierend erkennen, dass ihre Kinder in der Schule nicht aufpassen und schlechte Noten bringen. Mit Strafen und Zwang ist oft nicht viel zu gewinnen. Man sollte zuerst die Motivationshemmungen der Kinder zu ergründen versuchen. Auch Anreize für bessere Schulleistungen halte ich für hilfreich. Und: Jugendliche Faulheit erscheint heilbar.191 Jeder praktizierende Pädagoge weiß aber, dass das alles nicht so einfach ist. Später trifft es immer die Betroffenen selbst: dann ist es nicht selten zu spät. Wer auch als Erwachsener faul ist, hat keine Einnahmen: „Faulheit ist der Schlüssel zur Armut“ (Sprichwort). Häufig kommen weitere Probleme hinzu: „Nach Faulheit folgt Krankheit“ (Sprichwort).
Das Ausruhen von der Arbeit ist nicht mir Faulheit zu verwechseln: „Wer immer in den ganzen Tag hinein lebt, kennt den Stellenwert der Pausen nicht.“* „Trotz allem: Eine gewisse Faulheit ist wohl im Innersten eines jeden Menschen gegeben.“* „Aber die Faulheit, welche im Grunde der Seele des Tätigen liegt, verhindert den Menschen, das Wasser aus seinem eigenen Brunnen zu schöpfen“ (F.W. Nietzsche). „Der Mensch sollte auch schon früh lernen, dass es keine Leistung ohne Gegenleistung gibt. Mit unserer Leistungsgesellschaft ist Faulheit des Menschen als allgemeine Tendenz zur Ruhe und Bequemlichkeit nicht vereinbar.“* Auch die Bibel macht es deutlich: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ (2 Thess 3,9). Vor allem junge Menschen sollten zu der Erkenntnis gebracht werden, dass Arbeiten zum Leben gehört und dass Faulsein auf Dauer falsch ist192: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ (G. Schröder). Andere Frage: Sollen wir Almosen geben?
„Man gibt Almosen, um der Not abzuhelfen, aber nicht,
um die Faulheit auf die Weide zu treiben“
(Augustinus Aurelius)
Die Folgen des frühzeitigen Verweigerns von Leistung hat der Mensch immer selbst zu tragen: „Faulheit geht voraus, Schmalhans folgt hintendrein“ (aus Norwegen). Wirtschaftsexperten weisen in Deutschland seit Jahren darauf hin, dass viele Schulabsolventen hinsichtlich des nötigen Wissens und Könnens den Anforderungen der Berufswelt leider nicht mehr entsprechen.193 „Wer Schülerfaulheit nicht vertreibt, deren Lebenszukunft früh vergeigt.“* Wir sollten das ernster nehmen, sonst gibt es bald ein böses Erwachen.
2.5.9 Völlerei
Völlerei ist üppiges und unmäßiges Essen und Trinken, z. B. Fresssucht bzw. Sauferei. Sie zählt im Christentum zu den 7 Todsünden und ist ein Laster, das den Menschen zu einem ausschweifenden Leben verführt. Die Vergehen der Völlerei bzw. der Trunksucht stellten nicht nur im Altertum und in der ganzen Geschichte194 ein Problem dar, sondern sind auch heute noch ein großes Gesellschaftsproblem.195 Nicht wenige von uns können den Verführungen des unmäßigen Essens und Trinkens nicht widerstehen und verhalten sich in ihrer Genusssucht hemmungslos: Die Folgen sind Fettleibigkeit und totales Übergewicht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass vor allem im Alter mangelnde Bewegung das Ganze noch verstärkt. Mögliche Folgen davon sind z. B. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall.196 Das Gegenteil von Völlerei als Maßlosigkeit ist die Mäßigung. Pseudonym-Schriftsteller B. Traven meint zu dem Thema: „Leicht wird es den Menschen auf Erden nicht gemacht, sie würden sonst zu rasch in Völlerei und Unzucht ausarten.“ Außer der Ess- und Trinkvöllerei sind – etwas locker interpretiert – Wissensvöllerei und Kapitalvöllerei unterscheidbar: „Mehr wissen zu wollen, als man braucht, ist eine Art Völlerei“ (Seneca). Zur Gier nach Geld halten wir fest: „Kapitalistische Völlerei ist unchristlich.“*
► Pro: „Das ganze Gerede von der Völlerei ist übertrieben“ (unbekannt). Es heißt doch immer: „Wer gut arbeitet, der soll auch gut essen“ (aus Russland). Wir alle wissen: „Der Appetit kommt beim Essen“ (F. Rabelais). Schon der kluge Konfuzius erkannte: „Essen und Beischlaf sind die beiden größten Begierden des Mannes.“ Manche Männer schwören darauf: „Viel Bier ist gut gegen Schlaflosigkeit“ (unbekannt). Auch: „Eine Flasche Wein pro Tag hilft gegen niedrigen Blutdruck“ (unbekannt). So hat jeder seine Rechtfertigungen. Aber leider gilt: „Der Bauch hat keine Ohren“ (M. Luther). Wenn der Mensch vom vielen Trinken einen Kater hat: „Der Kater hat nicht immer Völlerei, er hat auch Fastenzeiten“ (Sprichwort).
► Contra: Der französische Schriftsteller J.A. Brillat-Savarin drückt es sachlich und treffend aus: „Fresser und Säufer verstehen nichts vom Essen und Trinken.“ Man sollte das Essen und Trinken genießen, aber nicht übertreiben. Vielfach wird auch Weihnachten, eigentlich das Fest der Liebe, missbraucht. „Weihnachten: ein besonderer Tag der Völlerei, Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken, öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen gewidmet“ (A.G. Bierce). Da verhalten sich Tiere besser: „Während das Tier die Lust sucht, um sich zu erhalten, erhalten wir Hedonisten das Leben um der Lust und Völlerei willen und gefährden so nicht selten unsere Selbsterhaltung“ (A. Vogt). Deshalb gelten die folgenden, wohlgemeinten Ratschläge: „Lass dich durch kein Beispiel zu den verbreiteten Ausschweifungen der Völlerei und der Trunkenheit verleiten – die erste bewirkt unvermeidlichen Stumpfsinn und die andere Tollheit“ (P.D. Stanhope). Und zum Schluss: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung und komme dieser Tag schnell über euch.“ (Lukas 21,34).
► Conclusio: Manche Menschen fürchten überhaupt nichts und leben ganz einfach in den Tag hinein. Der deutsche Politiker Walther Rathenau nennt sie Furchtmenschen: „Was den Furchtmenschen unrettbar verrät ist, dass er sich amüsieren kann. Der Furchtfreie kennt die Freude, die Begeisterung, den Rausch, die Völlerei – aber er ist nicht amüsabel.“ Der italienische Regisseur Marco Ferreri geht erheblich weiter: Er schockierte in 1973 mit seinem Film „Das große Fressen“ die Welt, denn er zeigte den Schock des Suizid durch übermäßiges Fressen und erzeugte große Abscheu, u. a. durch unappetitliche Gelage. Auch die Kirche war hier nicht immer ein Vorbild: Der italienische Kirchenlehrer Thomas von Aquin war so beleibt, dass eine Rundung in sein Pult gesägt werden musste, damit er arbeiten konnte. Und im Kloster Sankt Gallen tranken Mönche im Mittelalter nachweislich täglich fünf Maß Bier.197
Die Verführungen des Alkohols und des fetten Essens sind auch heute nicht zu unterschätzen. Deshalb sage ich: „Wenn du lebst im Überfluss, kommt sehr bald ein kalter Guss.“* Denn die Gesundheit spielt irgendwann nicht mehr mit: „Übermäßiges Essen und Trinken tötet mehr Menschen als das Schwert“ (Sir W. Osler). Deshalb ist zu raten: „Wenn das Essen am besten schmeckt, soll man aufhören“ (Sprichwort). Vor allem für manche Jugendliche gilt: „Komasaufen kann keiner brauchen!“* Und auch: „Gelegentliches Fasten ist die beste Heilnahrung“ (E. Rau). Zum Schluss: „Saufen, Fressen und dergleichen, von welchem ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.“ (Galater 5,21).
2.6 Antriebe des Menschen
Antriebe sind in der Psychologie Impulse, die zielgerichtetes Handeln des Menschen auslösen, z. B. Bedürfnisse, Motive, Begehren, Egoismus, Ehrgeiz, Leidenschaft, Strebungen und Wollen. Sie bilden die wichtigste Grundlage des Verhaltens des Menschen. Häufig treten sie zusammen mit Emotionen auf, z. B. mit Affekten, Gefühlen und Stimmungen. Alle hier angesprochenen Antriebe sollen in dialektischer Sicht beurteilt werden.
2.6.1 Bedürfnis
Ein Bedürfnis ist das Empfinden eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch, ihn zu beheben.198 Es stellt einen Beweggrund für menschliches Handeln dar: „Der Mensch braucht Wünsche“ (C.A. Helvetius). Die Bedürfnisse der Menschen sind praktisch unbegrenzt, die Mittel zu ihrer Befriedigung aber knapp. Die Bedürfnisse können vielfältiger Art199 sein, z. B. primäre Bedürfnisse (z. B. Hunger, Durst) und sekundäre Bedürfnisse, z. B. geistig-kulturelle Bedürfnisse. Es gibt soziale Bedürfnisse (z. B. Kontakt-, Geltungsbedürfnisse) und ökonomische Bedürfnisse, z. B. Kaufbedürfnisse. Es können auch individuelle und kollektive Bedürfnisse (z. B. Wunsch nach Verkehrssicherheit) unterschieden werden. Die Bedürfnispyramide von A. Maslow zeigt die hierarchische Ordnung der Bedürfnisse.200 Die Bedürfnisse sind Motive, die uns Menschen antreiben. Dabei gilt: „Die Evolution des Triebes ist das legitime Bedürfnis“ (F.P. Rinnhofer). Motive können im geisteswissenschaftlichen Universum positive und negative Wirkungen auslösen.
► Wir Menschen möchten glücklich leben: „Der Mensch hat ein gebieterisches und unaufhörliches Bedürfnis nach Glück“ (Sprichwort). Dabei haben Körper und Geist nicht die gleichen Motive: „Des Leibes Bedürfnis heißt nehmen, des Geistes Bedürfnis geben“ (A. Essigmann). Der Geist sucht eher den Genuss: „Essen ist ein Bedürfnis, genießen ist eine Kunst“ (La Rochefoucauld). Jeder Mensch genießt aber anders: „Jedem das Seine“ (M.P. Cato). Mancher liest dem Partner die Wünsche vom Mund ab: „Dein Wunsch ist mir Befehl“ (Vergil). Und: „Wir sollten nicht vergessen, dass sich jeder Mensch nach Liebe sehnt.“* „Der Mensch ist wohl mit einem Bedürfnis nach Liebe geboren, dem er nie entwächst“ (Sprichwort). Zum Schluss eine Weisheit: „Wer sich vom Feuer der Liebe verzehren lässt, hat kein Bedürfnis, das Feuer des Hasses zu schüren“ (K. Haberstich).
► Bedürfnisse können aber auch negative Wirkungen haben: „Jede Begierde ist ein Bedürfnis, das sich als Schmerz bemerkbar macht“ (Voltaire). Ein ähnliches Argument liefert A. Einstein: „Ein Leben, das vor allem auf die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist, führt früher oder später zur bitteren Enttäuschung.“ Und: „Je größer die Bedürfnisse, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Unzufriedenheit.“ Es gibt im Leben nicht nur große sondern auch kleine Geister: „Kleingeister verspüren ein großes Bedürfnis, sich anderen überlegen zu fühlen“ (E. Ferstl). Wie entsteht unser Wille? „Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also des Leides“ (A. Schopenhauer). Welche Folgen sind mit Machtbedürfnissen verbunden? „Das Bedürfnis des Machtgefühls treibt die große Politik vorwärts“ (F.W. Nietzsche). Und zum Schluss typisch: „Es gehört zum deutschen Bedürfnis, beim Biere von der Regierung schlecht zu reden“ (O. von Bismarck).
► Fazit: Wir Menschen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse, die beispielsweise durch die Tradition, den Instinkt, die Bildung, die Gesellschaft bzw. die soziale Stellung geprägt sein können. Und es gilt auch: „Hinter jedem irritiertem Bedürfnis steckt ein gesunder, unerfüllter Wunsch“ (A. Selacher). Stärker ausgedrückt: „Was die Triebe dir diktieren, kann der Kopf nicht korrigieren“ (E. Koch). In den Wirtschaftswissenschaften rücken diejenigen Bedürfnisse in den Vordergrund, die am Markt als effektive Nachfrage wirksam werden. An der Spitze der individuellen Bedürfnisse des Menschen steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, welches für eine Person die erstrebte Entfaltung und Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten mit sich bringt. Selbstverwirklichung stößt aber immer wieder dann an Grenzen, wenn sie in die Gefahr gerät, dass sie ausufert. Dazu ein weiser Spruch:





