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Der starke Geruch von Treibstoff lag in der Luft, gemischt mit Staub, Rauch und Meersalz. Caitlin hörte Stimmen in der Ferne, von Menschen die riefen, stritten und vor Schmerzen aufschrien. Sie wusste sofort, dass das Schloss gefüllt gewesen war, als es vom Flugzeug getroffen wurde, und dass viele Menschen verletzt worden waren. Sie zitterte und wurde von einer Welle der Schuld überrollt.
Caitlins Haare waren durch den Fallschirmsprung und die wilden Wellen in ein triefendes Chaos verwandelt worden. Ihre Kleidung war an verschiedenen Stellen zerrissen. Caleb sah auch nicht besser aus.
“Also?” fragte er. “Kannst du sie spüren?”
Caitlin legte einen Finger an die Lippen und bedeutete ihm ruhig zu sein. Sie versuchte ihre Tochter zu fühlen, sich von ihren Instinkten sagen zu lassen wo sie war, aber es viel ihr schwer etwas Klares zu erkennen. Das laute Knattern des Hubschraubers über ihnen, die Hitze des Feuers, die Schreie der Verletzten, alles beeinflusste ihre Fähigkeiten und machte es schwer einen klaren Gedanken zu fassen.
“Ich kann sie nicht fühlen,” flüsterte Caitlin niedergeschlagen.
Caleb rieb sich das Kinn. Caitlin sah, dass er am Ende seiner Weisheit angelangt war. Sie wünschte sich sie könnte mehr tun, aber ihr Geist war zu aufgewühlt um sich auf Scarlet konzentrieren zu können.
“Ist sie hier irgendwo im Schloss?” fragte Caleb.
Trotz seines Versuchs es zu verstecken, konnte Caitlin den Frust in seiner Stimme hören. Sie hatte ihn an diesen Ort geführt, ihn gezwungen aus dem Flugzeug zu springen und jetzt konnte sie ihm nicht sagen ob sie richtig waren oder nicht.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte ihren Geist zu beruhigen.
“Ich denke das ist sie,” sagte sie schließlich. “Ich glaube sie ist hier irgendwo.”
“Dann suchen wir,” erwiderte Caleb.
Er wandte sich zum gehen, aber Caitlin hielt ihn am Arm fest.
“Ich habe Angst,” sagte sie.
“Vor dem was wir vielleicht finden?”
Sie schüttelte den Kopf.
“Nein,” sagte sie, “ davor den Schaden zu sehen, den ich angerichtet habe.”
Caleb griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft.
Dann gingen sie weiter in das Schloss. Sie liefen sehr vorsichtig, da der Boden instabil schien. Dann blieb Caleb plötzlich stehen und hielt Caitlin mit ausgestrecktem Arm davon ab weiterzugehen. Sie nahm an, dass eine Art Hindernis vor ihnen lag. Aber als sie um seine Schulter herumblickte fiel ihr vor Überraschung die Kinnlade herunter. Nicht weit von ihnen entfernt waren hunderte von Männern und Frauen. Einige flogen, andere schwebten und alle sahen auf einen Mann, der größer war als jeder Mensch, den Caitlin je gesehen hatte. Er musste mindestens doppelt so groß sein wie ein normaler Mensch. Die Hälfte seines Gesichts hing in verbrannten Fetzen herunter.
“Was ist er?” wisperte Caitlin ihrem Mann zu.
Caleb schüttelte den Kopf.
Caitlin schauderte. Ihre Tochter zu finden schien nun wichtiger zu sein als jemals zuvor. Diese seltsamen Menschen machten sie unruhig, vor allem dieser gigantische Mann mit dem entstellten Gesicht.
“Hier entlang,” flüsterte Caleb mit gedämpfter Stimme.
Sie krochen weiter, bedacht darauf keinen Laut zu machen und in den Schatten zu bleiben, wo die Menge sie nicht sehen konnte. Dann legte Caitlin ihre Hand auf Calebs Arm um ihn zu stoppen. Er sah sie an.
“Was ist? Was stimmt nicht?”
“Scarlet,” sagte Caitlin. “Ich kann sie nicht mehr fühlen.”
“Du meinst sie ist nicht hier?” verlangte Caleb.
Caitlin wich vor der Wut in seiner Stimme zurück.
“Ich glaube, dass sie woanders hingegangen ist,” sagte sie leise und fühlte sich niedergeschlagen und verzweifelt. “Ich konnte sie vorher fühlen, genau dort, wo wir in das Schloss gegangen sind, aber je weiter wir gehen, desto schwächer wird das Gefühl. Ich glaube sie ist gegangen bevor wir überhaupt hier angekommen sind. Sie ist dort aus dem Schloss geflohen, wo wir reingegangen sind.”
Caleb fuhr sich frustriert mit seiner Hand durchs Haar.
“Das glaube ich einfach nicht,” murmelte er vor sich hin.
In dem Moment fiel ein starker Lichtstrahl von dem Hubschrauber aus auf das Schloss. Er sank durch die eingebrochene Decke.
“Er versucht zu laden!” rief Caleb ungläubig.
Die Menge in dem großen Saal stob auseinander, einige rannten davon, andere flogen.
“Wir müssen hier weg,” sagte Caitlin zu ihrem Mann.
“Ich weiß,” erwiderte er. “Aber wie?”
“Hier entlang,” sagte Caitlin und zog ihn am Arm.
Sie führte ihn durch den großen Saal. Dank des herabsinkenden Hubschraubers schien niemand der seltsamen Menschen in dem Saal zu bemerken, dass die beiden Figuren, die durch den Raum rannten, Fremde waren. Die Rotorblätter des Hubschraubers erzeugten einen Minitornado im Saal, der Rauchwolken durcheinanderwirbelte und das Chaos noch verstärkte.
Caitlin und Caleb sprinteten aus dem Saal in einen düsteren Korridor. Der Rauch war dicht und das Licht gedämpft. Zusammen rannten Caitlin und Caleb den Gang entlang, bis sie zu einer Tür kamen. Caleb stieß sie mit der Schulter auf und sie öffnete sich in die Außenwelt.
“Dort drüben!” rief Caitlin.
Caleb sah in die Richtung, in die sie zeigte.
Dort unten, vor den Steinstufen die zum Schloss führten, war ein kleiner Parkplatz für vier bis fünf Autos. Darunter war auch ein Motorrad.
Sie rannten darauf zu. Es war weder abgeschlossen noch in irgendeiner Weise gesichert.
Es brauchte mehrere Anläufe bis Caleb den Motor starten konnte, aber dann ratterte die Maschine und spuckte Dampf aus. Mittlerweile waren Menschen aus dem zusammenfallenden Schloss gekommen.
“Schnell,” rief Caitlin und sprang hinter Caleb auf die Maschine. “Sie kommen.”
Aber noch bevor Caleb die Möglichkeit zum Beschleunigen hatte, waren die Sirenen von Polizeiwagen in der Nähe zu hören.
Er gab Gas und wich den entgegenkommenden Menschen aus dem Schloss aus. Hinter ihnen sahen sie die Polizisten, die mit dem Hubschrauber angekommen waren. Vor ihnen tauchten auf den dunklen, sich windenden Wegen mehrere Streifenwagen auf, deren Lichter wild blinkten.
“Was jetzt?” schrie Caitlin über den Lärm.
Caleb sah sie an. Dann ließ er den Motor des Motorrads aufheulen.
“Jetzt hältst du dich fest,” sagte er.
Caitlin hatte gerade noch Zeit ihre Arme um seine Taille zu schlingen bevor er davonbrauste.
*
Das Motorrad holperte über die Straße. Caitlin war erschöpft. Sie ließ ihren Kopf auf Calebs Rücken fallen, getröstet durch das gleichmäßige Klopfen seines Herzens, und sah in den schwarzen Nachthimmel. Aber sie wusste, dass sie sich nicht ausruhen konnte. Scarlet brauchte ihre Hilfe und sie konnte sich nicht für eine Minute zurücklehnen während sie noch in Gefahr war.
“Irgendeine Idee?” rief Caleb über seine Schulter, bemüht mit seiner Stimme den Wind zu übertönen und die Polizeisirenen, die ihnen folgten. “Welche Richtung?”
Caitlin wusste, dass er sein Bestes tat um ruhig und gefasst zu bleiben, aber innerlich war er genauso erschöpft wie Caitlin.
“Ich kann sie nicht fühlen,” rief Caitlin zurück. “Nicht jetzt.”
Caleb sagte nichts, aber Caitlin sah, wie er den Lenker so fest umklammerte, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Das Motorrad brauste weiter und vergrößerte stetig seinen Abstand zu den Streifenwagen.
Sie waren auf einer engen Landstraße, die anfing bergan zu führen. Bald fiel neben ihnen ein steiler Abhang, während auf der anderen Seite eine Klippe aufstieg. Caitlin duckte sich hinter den schützenden Rücken von Caleb, als sie anfing sich schwindelig zu fühlen. Der Wind spielte mit ihrem Haar.
Dann spürte sie plötzlich eine Vibration in ihrer Tasche. Sicherlich konnte das nicht ihr Handy sein. Aber als Caitlin in ihre Tasche griff, entdeckte sie, dass ihr Handy tatsächlich den Sprung ins Meer überlebt hatte. Sie hatte vorher keinen Empfang gehabt, aber jetzt war es plötzlich angegangen und zeigte ihr eine Sprachnachricht an.
Caitlin wählte den Anrufbeantworter an und hörte Aidans hastige Stimme am anderen Ende.
“Caitlin,” sagte er. “Wo bist du? Du musst mich sofort zurückrufen.”
Die Nachricht endete. Das war alles. Sie wollte den Rückrufknopf drücken, aber verlor das Signal.
“Verdammt!” rief sie.
“Was ist los?” rief Caleb über seine Schulter.
“Wir müssen anhalten,” erwiderte Caitlin, als sie auf die Batterieanzeige ihres Handys blickte, die nur noch ein Prozent zeigte.
“Ich kann nicht anhalten,” gab Caleb zurück. “Die Polizei ist uns auf den Fersen. Wir müssen erst hier wegkommen.”
Da bemerkte Caitlin eine Höhle im Fels.
“Da vorne” rief sie.
Caleb sah was sie meinte und schaffte es mit erstaunlicher Präzision den Lenker herumzureißen und in die Höhle zu driften, wo sie Staub aufwirbelten als sie zum Stehen kamen.
Sobald sie angehalten hatten drehte er sich zu seiner Frau um. “Kannst du Scarlet spüren?”
“Nein,” erwiderte Caitlin. “Mein Handy ist angegangen. Ich muss Aidan anrufen.”
In dem Moment flogen die Polizeiwagen, die sie verfolgt hatten, mit lauten Sirenen an der Höhle vorbei, in der Caitlin und Caleb sich versteckten.
Caitlin griff nach ihrem Handy, wählte Aidans Nummer und betete, dass die Batterie halten würde. Er antwortete nach dem dritten Klingeln.
“Du hast dir Zeit gelassen,” sagte er.
“Wir waren beschäftigt,” erwiderte Caitlin und dachte an ihren Fallschirmsprung ins Meer. “Also, was musst du mir sagen?”
Caitlin hörte, wie Aidan am anderen Ende durch Papiere und Bücher blätterte. Sie fühlte ihre Frustration steigen.
“Kannst du dich bitte beeilen?” bellte Caitlin. “Die Batterie ist gleich alle.”
“Ah, ja,” sagte er schließlich.
“Was?” verlangte Caitlin. “Erzähl!”
“Sag mir noch einmal den Spruch. Sag mir den Spruch für das Heilmittel.”
Caitlin suchte durch ihre Taschen und zog die Notizen heraus, die sie sich gemacht hatte. Aber sie waren vollkommen durchweicht und die Tinte verlaufen. Sie schloss die Augen und versuchte die Seite zu visualisieren, wie sie sie gelesen hatte. Die Worte erschienen vor ihrem inneren Auge.
“Ich bin die See, der Himmel und der Sand,
Ich bin der Pollen im Wind.
Ich bin der Horizont, ich bin die Heide auf dem Hügel.
Ich bin Eis,
Ich bin das Nichts,
Ich bin ausgestorben.”
Caitlin öffnete die Augen und die Worte verschwanden. Es folgte ein langer Moment des Schweigens.
Caitlin wollte ihn anschreien sich zu beeilen.
“Caitlin!” sagte er dann. “Ich habe es. Ich habe es!”
“Erzähl,” erwiderte Caitlin eilig mit pochendem Herzen.
“Wir waren so dumm. Es ist überhaupt kein Spruch.”
Caitlin runzelte die Stirn.
“Was meinst du? Wie kann es nicht ein Spruch sein? Ich verstehe nicht.”
“Ich meine, dass der Spruch nicht die Heilung ist,” erwiderte Aidan, dessen Worte sich vor Aufregung fast überschlugen. “Der Spruch ist ein Hinweis zu dem Heilmittel!”
Caitlin spürte wie ihr Herz erwartungsvoll schlug.
“Also was ist der Hinweis?” fragte sie.
“Caitlin. Denk darüber nach. Es ist ein Rätsel. Richtungsangaben. Es sagt dir, wo du hingehen musst.”
Caitlin fühlte wie sie blass wurde als die Worte durch ihren Kopf liefen.
“Ich bin die See, der Himmel und der Sand,” wiederholte sie. Dann, plötzlich, verstand sie. “Nein. Du meinst doch nicht--”
“Ja,” erwiderte Aidan. “S.P.H.I.N.X.”
“Die Vampirstadt,” wisperte Caitlin.
Natürlich. Bevor Scarlet verschwunden war und sich in Gefahr gebracht hatte, war Caitlin auf der Suche nach einem Heilmittel gewesen, einem Weg um ihre Tochter wieder in einen Menschen zu verwandeln. Sie hatte gedacht, dass die Worte auf der Seite Scarlet vorgelesen werden mussten, dass das, was sie gefunden hatte, die Heilung wäre. Aber nein. Sie hatte einen Hinweis gefunden, der sie zur Heilung führen würde. Caitlin hatte ihre Angst als Mutter den vernünftigen, logischen Teil ihres Gehirns überrennen lassen, den, der ihr gesagt hätte, dass das Rätsel nicht die Heilung sondern eine Karte war.
“Danke, Aidan,” sagte sie schnell.
Ihr Handy ging aus.
Caitlin sah in Calebs erwartungsvolles Gesicht.
“Also?” fragte er.
“Ich weiß, wo wir hingehen,” erwiderte Caitlin, die seit langem wieder einen Funken Hoffnung verspürte.
Caleb zog eine Augenbraue hoch und sah seine Frau an.
“Wohin?”
Caitlin lächelte.
“Wir gehen nach Ägypten.”
KAPITEL ACHT
Lore stand auf einem Hügel aus Schutt in den Ruinen von Boldt Castle. Die Rotorblätter des herabsinkenden Hubschraubers ließen seine zerrissene Kleidung und sein Haar im Wind flattern. Er betrachtete die Zerstörung, die das Flugzeug angerichtet hatte. Hass erfüllte ihn.
Er schrie und schüttelte seine Faust dem klaffenden Loch in der Seite des antiken Schlosses entgegen. Dann atmete er tief durch. Er durfte keine Zeit verlieren. Seine Leute würden tot sein, ausgelöscht, am Ende der Nacht. Ihre einzige Hoffnung war das Mädchen zu finden, dass das Herz seines Cousins gestohlen hatte. Und das bedeutete jeden zu töten, der ihm im Weg stand.
Aber die Unsterblichen waren panisch, überrascht von der Ankunft des Hubschraubers. Sie fingen an durch den Saal zu flitzen und einige flohen aus dem Schloss in ihren unausweichlichen Tod.
“Woran denkst du, Sohn?” fragte eine Stimme neben Lore und riss ihn aus seinen Gedanken.
Er sah nach unten und blickte in das Gesicht seiner Mutter. Obwohl Unsterblichen die Eltern-Kind-Beziehung anders erlebten als Menschen, hatte Lore dennoch Respekt für die Frau, die ihn gefüttert und gekleidet und sicher durch das Kindesalter gebracht hatte. Der Gedanke daran, dass sie am Ende der Nacht sterben würde, schmerzte ihn noch mehr als der Gedanke an seinen eigenen Tod.
“Ich denke an Sage,” erwiderte Lore. “Wir haben ihn als Köder benutzt und das Mädchen ist gekommen.”
Seine Mutter runzelte die Stirn.
“Du denkst es gibt noch Hoffnung?” fragte sie leise.
Lore konnte sehen, dass sich Resignation in ihren Blick geschlichen hatte. Sie war bereit zu sterben. Oder zumindest dazu aufzuhören dagegen anzukämpfen.
Aber Lore war nicht bereit. Genauso wenig wie die hunderten von Unsterblichen, die hier im Boldt Castle noch an ihren Leben hingen.
“Ich werde nicht aufgeben,” erklärte Lore bestimmt. “Wir können unsere Leute nicht sterben lassen nur weil mein Cousin sich in einen Vampir verliebt hat. Er wird sowieso sterben. Was für einen Sinn macht es also?”
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