Regentschaft Des Stahls

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„Was hast du da über Bord geworfen?“, fragte Erec.
„Die Innereien eines Simkafischs“, antwortete er.
„Warum?“
„Sie sind giftig“, antwortete er grinsend. „Jeder Fisch, der sie frisst, stirbt auf der Stelle.“
Alistair sah in entsetzt an. „Doch warum willst du die Fische töten?“
Der Mann grinste noch breiter.
„Ich sehe ihnen gerne beim Sterben zu. Ich höre gerne ihre Schreie, und mir gefällt es zu beobachten, wie sie mit dem Bauch nach oben an der Oberfläche treiben. Es mach Spaß.“
Der Mann drehte sich um und ging langsam zurück zu Rest der Besatzung. Während Alistair ihm dabei zusah, bekam sie eine Gänsehaut.
„Was hast du?“, fragte Erec sie.
Alistair wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf. Sie versuchte das ungute Gefühl zu vertreiben, doch es ließ sich nicht abschütteln; es war eine finstere Vorahnung, doch sie war sich nicht sicher wofür.
„Nicht, mein Geliebter.“
Sie lehnte sich wieder an ihn, und versuchte sich einzureden, dass alles in Ordnung war. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass nichts in Ordnung war.
*Erec erwachte mitten in der Nacht. Er spürte, wie das Schiff langsam auf und ab dümpelte, und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Krieger in ihm, der Teil von ihm, der ihn schon immer gewarnt hatte, wenn etwas Schlimmes bevorstand. Er hatte immer einen Gespür dafür gehabt, schon seit er ein kleiner Junge war.
Er setzte sich auf, und sah sich um. Alistair schlief tief und fest neben ihm. Es war noch immer dunkel, das Boot tanzte immer noch auf den Wellen, doch etwas stimmte nicht. Er sah sich um, doch er sah kein Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte.
Welche Gefahr sollte es hier draußen, mitten im Nirgendwo, schon geben? Hatte er nur geträumt?
Erec vertraute seinem Instinkt und griff nach seinem Schwert. Doch bevor er es ergreifen konnte, spürte er plötzlich, wie ein schweres Netz über ihn geworfen wurde und festgezogen wurde.
Bevor er reagieren konnte, wurde er in die Höhe gezogen, wie ein Fisch im Netz, die Maschen des Netzes so eng um ihn, dass er sich nicht bewegen konnte.
Er wurde immer höher gezogen, bis er schließlich, wie ein Tier in der Falle, fünf Meter über dem Deck baumelte.
Erecs Herz pochte wild in seiner Brust, während er versuchte zu verstehen, was vor sich ging. Er blickte auf Alistair herab, die nun ebenfalls aufgewacht war.
„Alistair!“, schrie Erec.
Sie blickte sich nach ihm um, und als sie endlich nach oben sah, war sie geschockt.
„EREC!“, schrie sie verwirrt.
Erec sah, wie ein paar Dutzend Besatzungsmitglieder mit Fackeln auf sie zukamen. Alle hatten ein zu grotesken Fratzen verzogenes, böses Grinsen im Gesicht, als sie sich ihr näherten.
„Es ist an der Zeit, dass du sie mit uns teilst“, sagte einer von ihnen.
„Ich werde dem Prinzesschen zeigen, was ein Seemann alles kann!“, knurrte ein anderer.
Die Gruppe brach in Gelächter aus.
„Du bist nach mir dran“, sagte ein anderer.
„Nicht vor mir!“, brüllte der nächste.
Erec versuchte, sich mit aller Kraft zu befreien, als sie immer näher kamen. Doch es hatte keinen Sinn. Seine Schultern und Arme waren zu sehr festgezurrt, er konnte nicht einmal seinen kleinen Finger rühren.
„ALISTAIR!“, schrie er verzweifelt.
Er konnte nicht mehr tun, als hilflos von oben zuzusehen. Drei der Seemänner stürzten sich von hinten auf Alistair. Sie schrie, als sie sie von den Füssen rissen, ihren Rock hochzerrten und ihre Arme hinter dem Rücken festhielten. Die Männer hielten sie fest, während andere mit lüsternen Mienen auf sie zukamen.
Erec suchte das Schiff nach dem Kapitän ab. Er fand ihn auf dem Oberdeck, in Ruhe die Szene beobachtend.
„Kapitän!“, schrie Erec. „Das ist dein Schiff. Tu etwas!“
Der Kapitän sah ihn an, dann wendete er sich langsam ab, als wollte er die Szene nicht mitansehen.
Erec sah verzweifelt zu, wie ein Seemann sein Messer zog und es Alistair an den Hals hielt. Sie schrie.
„NEIN!“, schrie Erec.
Es war, als würde sich unter ihm ein Alptraum abspielen – doch am schlimmsten war für ihn, dass er nichts dagegen tun konnte.
.
KAPITEL FÜNF
Thorgrin stand Andronicus alleine auf dem Schlachtfeld gegenüber. Um sie herum lagen überall gefallene Krieger. Er hob sein Schwert hoch und ließ es in Richtung von Andronicus‘ Brust heruntersausen. Als er es tat, ließ Andronicus seine Waffen fallen, lächelte breit und streckte Thor seine Arme entgegen, um ihn zu umarmen.
Mein Sohn.
Thor wollte den Schwerthieb aufhalten, doch es war zu spät. Das Schwert rauschte durch seinen Vater hindurch, und Thor wurde von Trauer zerfressen.
Er blinzelte und fand sich in einem endlos langen Gang wieder und hielt Gwendolyns Hand. Er erkannte, dass das ihr Hochzeitszug war. Sie gingen auf eine blutrote Sonne zu, und als Thor sich umsah, sah er, dass die Sitze auf beiden Seiten leer waren. Er wandte sich zu Gwendolyn um. Schockiert musste er mitansehen, wie ihre Haut verdorrte und sie zu einem Skelett wurde, bis sie schließlich als Sandhäufchen zu Boden fiel.
Im nächsten Augenblick stand Thor vor dem Schloss seiner Mutter. Irgendwie hatte er die Brücke überquert, und stand vor gigantischen Doppeltüren aus Gold. Sie glänzten gleißend in der Sonne und waren dreimal so hoch wie er. Es gab keinen Knauf, darum hämmerte er mit seinen Händen gegen die Türen, bis sie zu bluten anfingen. Der Klang hallte durch die Welt, doch niemand öffnete.
Thor legte den Kopf in den Nacken.
„Mutter!“, schrie er.
Er sank auf die Knie, und plötzlich wurde der Boden zu Schlamm. Thor rutschte von einer Klippe und fiel um sich schlagend durch die Luft, hunderte von Metern, in die tosenden Wellen des Ozeans. Er streckte seine Hände gen Himmel während er das Schloss seiner Mutter aus dem Blick verlor. Er schrie.
Thor riss die atemlos die Augen auf, der Wind wehte ihm über das Gesicht während er sich verwirrt umsah, und versuchte sich zu erinnern, wo er war. Er blickte nach unten und sah, wie der Ozean unter ihm mit schwindelerregender Geschwindigkeit vorbeirauschte. Er hielt sich an etwas rauem fest, hörte das schlagen von riesigen Flügeln und sah, dass er sich an Mycoples Schuppen festhielt. Seine Hände waren kalt von der Luft der Nacht, sein Gesicht taub vom Wind. Thor realisierte, dass er eingeschlafen sein musste. Sie waren schon seit Tagen unterwegs. Mycoples glitt schnell durch den nächtlichen Himmel, der nur von den rot glitzernden Sternen erleuchtet wurde.
Thor seufzte und wischte sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß stand. Er hatte sich geschworen, wach zu bleiben, doch sie waren schon so lange ununterbrochen auf der Suche nach dem Land der Druiden, dass Thor müde war.
Glücklicherweise hatte Mycoples offensichtlich bemerkt, dass er schlief und war umsichtig genug geflogen, um ihn nicht versehentlich abzuwerfen. Sie waren nun schon so lange gemeinsam unterwegs, dass sie eine Einheit geworden waren. So sehr Thor auch den Ring vermisste, er freute sich, alleine mit seiner alten Freundin die Welt zu bereisen; er wusste, dass auch sie glücklich war, denn sie schnurrte zufrieden. Er wusste, dass Mycoples niemals zulassen würde, dass ihm etwas zustieß – und er fühlte genauso für sie.
Thor blickte nach unten und betrachtete die schäumenden, leuchtenden Wasser des Meeres; es war ein seltsamer und exotischer Ozean, den er noch nie zuvor gesehen hatte, jedoch nur einer von vielen, den sie auf ihrer Suche überflogen hatten. Sie flogen immer weiter nach Norden, wobei sie dem Pfeil auf dem Relikt folgten, das er in seinem Dorf gefunden hatte. Thor wusste, dass sie sich seiner Mutter näherten. Ihr und dem Land der Druiden. Er konnte es spüren.
Thor hoffte, dass der Pfeil in die richtige Richtung wies. Doch tief im Inneren wusste er, dass dem so war. Er konnte mit jeder Faser seines Seins spüren, dass das Relikt ihn zu seiner Mutter, zu seinem Schicksal führte.
Thor rieb sich die Augen, fest entschlossen, wach zu bleiben. Er hatte gehofft, dass sie das Land der Druiden bereits erreicht hatten, zumal es sich anfühlte, als wären sie bereits um die halbe Welt gereist. Einen Augenblick lang machte er sich Sorgen: War alles nur eine Fantasie? Was, wenn seine Mutter gar nicht existierte? Was, wenn das Land der Druiden nicht existierte. Was, wenn er dazu verdammt war, sie nie zu finden?
Er versucht, die Gedanken abzuschütteln während Mycoples unermüdlich weiterflog.
Schneller, dachte Thor.
Mycoples schnurrte und schlug fester mit ihren Flügeln; dann senkte sie den Kopf und sie tauchten durch den Nebel, auf einen Ort hinter dem Horizont zu, von dem sich Thor nicht einmal sicher war, ob er überhaupt existierte.
Ein Tag brach an, wie Thor ihn noch nicht gesehen hatte. Nicht zwei, sondern drei Sonnen kletterten am Himmel empor, eine rot, eine grün und eine purpurn.
Sie flogen über die Wolken hinweg, so dicht, dass Thor die dichte Decke, die in bunte Farben getaucht war, fast berühren konnte. Thor genoss den schönsten Sonnenaufgang, den er je gesehen hatte. Die Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken und streichelten seine Haut und tanzten in bunten Farben über Mycoples schillernde Schuppen. Er hatte das Gefühl, der Geburt der Welt entgegen zu fliegen.
Er lenkte Mycoples in einen Sinkflug, und es fühlte sich feucht an, als sie durch die Wolkendecke flogen. Sofort nach dem Eintauchen schwirrte ihre Welt vor bunten Farben und er war wie geblendet vom Licht. Als sie die Wolken verließen, rechnete Thor damit, einen weiteren Ozean unter sich zu finden, eine weitere endlose Leere.
Doch diesmal begrüßte ihn etwas anderes:
Sein Herz machte einen Sprung als er unter sich das sah, was lange Zeit seine Träume beherrscht hatte. Dort, weit unter ihm, kam Land in Sicht. Es war eine Insel, eingehüllt in Nebel, mitten in diesem unglaublichen Ozean. Das Relikt vibrierte in seiner Hand, und als er es ansah, sah er dass der Pfeil blinkte und steil nach unten zeigte. Doch er hätte es nicht einmal sehen müssen – er wusste es auch so. Er spürte es mit jeder Faser seines Seins. Sie war hier. Seine Mutter. Das magische Land der Druiden existierte, und er hatte es gefunden.
Nach unten, liebe Freundin, dachte er.
Mycoples begab sich in den Sinkflug, und als sie näher kamen, konnte Thor immer weitere Details der Insel ausmachen. Er sah endlose blühende Felder, den Feldern in King’s Court ausgesprochen ähnlich. Er konnte es nicht fassen. Die Insel kam ihm so bekannt vor, beinahe so, als ob er nach langer Zeit nach Hause zurückgekehrt war. Er hatte eine exotischere Landschaft erwartet. Es war ihm schon fast unheimlich, wie bekannt ihm alles vorkam. Wie konnte das sein?
Die Insel wurde zu allen Seiten von einem breiten rot glitzernden Sandstrand begrenzt an dem sich die Wellen rauschend brachen. Als sie näher kamen, sah Thor etwas, das ihn überraschte. Zwei riesige Säulen erhoben sich wie ein Tor gen Himmel und verschwanden in den Wolken. Es waren die größten Säulen, die er je gesehen hatte. Eine Mauer, vielleicht sieben Meter hoch, umgab die gesamte Insel, und der einzige Fußweg hinein schien durch diese Säulen zu führen.
Da er jedoch auf Mycoples ritt, entschied Thor, dass er nicht durch die Säulen gehen musste. Er würde einfach über die Mauer hinwegfliegen und landen, wo es ihm gerade gefiel.
Thor lenkte Mycoples in Richtung der Mauer. Doch als sie sich ihr näherten, überraschte ihre Reaktion ihn. Sie schrie auf und wandte sich scharf ab, riss ihre Krallen in die Luft, bis sie fast senkrecht flogen. Es war, als wäre sie gegen einen unsichtbaren Schild geflogen, und Thor musste sich mit aller Kraft festhalten, um nicht abzustürzen. Er wollte, dass sie weiterflog, doch sie weigerte sich.
In diesem Augenblick erkannte Thor: Die Insel war umgeben von einer Art von Energieschild. Einem Schild, der so mächtig war, dass selbst Mycoples ihn nicht durchdringen konnte. Man konnte nicht über die Mauer hinwegfliegen. Er lenkte Mycoples zu den Säulen und wollte sie dazu bewegen, hindurchzufliegen, doch wieder wehrte sie sich und riss ihre Krallen hoch.
Ich kann nicht hinein.
Thor spürte Mycoples Gedanken. Er sah sie an¸ sah, wie sie mit ihre großen glitzernden Augen blinzelte, und verstand.
Sie wollte ihm begreiflich machen, dass er ohne sie ins Land der Druiden gehen musste. Thor sprang in den roten Sand und betrachtete die Säulen.
„Ich kann dich nicht einfach so hier lassen, liebe Freundin“, sagte Thor. „Es ist zu gefährlich für dich. Wenn ich alleine gehen muss, dann muss ich es tun. Doch du kehre nach Hause zurück, wo du sicher bist und warte dort auf mich.“
Mycoples schüttelte den Kopf und ließ sich nieder.
Ich werde auf dich bis ans Ende dieser Welt warten.
Thor lehnte sich vor, strich über Mycoples Kopf und küsste sie. Sie schnurrte und lehnte ihren Kopf an seine Brust.
„Ich komme wieder, liebe Freundin“, sagte Thor.
Er drehte sich um und betrachtete die Säulen. Sie waren aus Gold und glänzten in der Sonne. Er fühlte sich auf eine Weise lebendig, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte als er durch das Tor ging und endlich das Land der Druiden betrat.
KAPITEL SECHS
Gwendolyn saß in der Kutsche, die über die ländlichen Straßen ruckelte, an der Spitze der Karawane ihres Volkes, die sich langsam in Richtung Westen, fort von King’s Court bewegte. Gwendolyn war zufrieden mit der Evakuierung, die bisher geordnet verlaufen war, und zufrieden mit dem Fortschritt, den ihr Volk gemacht hatte. Sie hasste den Gedanken, ihre Stadt zu verlassen, doch sie war sich sicher, dass sie genug Abstand gewonnen hatten, sodass die Leute in Sicherheit waren.
Sicher auf dem Weg zur Westlichen Querung des Canyons, um an der Küste des Tartuvianischen Meeres an Bord der wartenden Flotte zu gehen über das Meer zu den Oberen Inseln zu segeln. Sie wusste, dass das der einzige Weg war, die Sicherheit ihres Volkes zu gewährleisten.
Die Geräusche von tausenden von Menschen in Kutschen und mindestens genauso vielen zu Fuß, von knarzenden Rädern und Hufgetrappel, erfüllten Gwendolyns Ohren. Die Klänge wirkten ermüdend auf Gwendolyn und Guwayne, der an ihrer Brust schlief, während sie ihn sanft schaukelte. Neben ihr saßen Steffen und Illepra in der Kutsche.
Gwendolyn ließ den Blick über die Straße und die Landschaft vor sich schweifen, und versuchte sich vorzustellen, an einem anderen Ort zu sein – egal wo, nur nicht hier.
Sie hatte so hart gearbeitet, das Königreich wiederaufzubauen, und nun war sie auf der Flucht. Die Invasion durch die McClouds hatte sie dazu gezwungen, ihren Plan von der Massen-Evakuierung in die Tat umzusetzen – doch in erster Linie hatten sie neben den alten Prophezeiungen und Argons Hinweisen ihre Alpträume und Vorahnungen dazu bewogen. Doch was, wenn sie sich irrte? Was, wenn es wirklich nur Träume gewesen sind? Was, wenn sich alles schnell wieder beruhigen würde? War die Evakuierung eine Überreaktion, vielleicht sogar unnötig? Sie könnte ihre Leute schließlich auch in eine andere Stadt evakuieren, nach Silesia vielleicht. Sie musste sie nicht über das Meer schicken.
Das war nur dann nötig, wenn die vollständige Zerstörung des Rings bevorstand. Und nach allem, was sie gelesen, gehört, und gespürt hatte, stand die Zerstörung unmittelbar bevor. Sie versuchte sich einzureden, dass die Evakuierung der einzige Weg war.
Während Gwendolyn den Horizont betrachtete, wünschte sie sich Thor an ihrer Seite. Sie blickte gen Himmel, und fragte sich, wo er jetzt war. Hatte er das Land der Druiden gefunden? Hatte er seine Mutter gefunden? Würde er zu ihr zurückkehren?
Und würden sie jemals heiraten?
Gwendolyn blickte in Guwaynes Augen und es war, als würde sie in Thors graue Augen blicken. Sie drückte ihn an sich. Sie versuchte nicht an das Opfer, das sie im Reich der Toten hatte bringen müssen, zu denken. Würde es geschehen? Konnte das Schicksal wirklich so grausam sein?
„Mylady?“
Gwendolyn zuckte zusammen; sie fuhr herum und sah Steffen, der gen Himmel deutete. Sie bemerkte, dass die Leute um sie herum stehen blieben und auch ihre Kutsche kam plötzlich zum Stillstand. Sie war irritiert, dass der Kutscher ohne ihren Befehl anhielt.
Mit dem Blick folgte sie Steffens Finger, und sah überrascht, dass drei brennende Pfeilen gen Himmel geschossen wurden, aufstiegen und dann wie Sternschnuppen zu Boden fielen. Sie konnte es kaum fassen. Die drei brennenden Pfeile konnten nur eines bedeuten: Ein Zeichen der MacGils. Die Klauen des Falken, ein Siegeszeichen, so alt wie die Zeit. Ihr Vater, sein Vater vor ihm und dessen Vorväter hatten es schon verwenden. Ein Signal der MacGils nur für MacGils. Es gab keine Zweifel: Sie mussten gesiegt haben. Sie mussten King’s Court zurückerobert haben.
Doch wie war das möglich? fragte sie sich. Als sie geflohen waren, bestand keine Hoffnung für die Stadt, geschweige denn für einen Sieg – ihre geliebte Stadt war von den McClouds überrannt worden, und nur wenige waren zurückgeblieben, um für sie und die Bürger Zeit zu gewinnen.
Gwendolyn sah, wie sich am fernen Horizont ein Banner immer höher und höher im Wind erhob. Sie blinzelte, und es bestand kein Zweifel. Es war ihr eigenes Banner. Das konnte nichts anderes bedeuten, als dass King’s Court wieder in den Händen der MacGils war.
Einerseits war Gwendolyn überglücklich, und wollte sofort zurückkehren. Doch andererseits, musste sie an Argons Prophezeiungen denken, an die Schriften, die sie gelesen hatte und an ihre eigenen, dunklen Vorahnungen, wenn sie die Straße betrachtete, auf der sie reisten. Tief im Inneren hatte sie das immer noch das Gefühl, dass sie ihre Leute von hier fort bringen musste. Vielleicht hatten sie King’s Court zurückerobert, doch das hieß noch lange nicht, dass der Ring sicher war. Gwendolyn war sich sicher, dass etwas noch viel Schlimmeres auf sie zukam, und dass sie ihr Volk in Sicherheit bringen musste.
„Scheint, dass wir gesiegt haben!“, sagte Steffen.
„Ein Grund zu feiern, mein Kind!“, rief Aberthol, der sich ihrer Kutsche näherte.
„King’s Court ist unser!“, riefen die Bürger unter lautem Jubel.
„Wir müssen sofort zurückkehren!“
Die Bürger jubelten erleichtert, doch Gwendolyn schüttelte entschlossen den Kopf. Sie stand auf und wandte sich ihrem Volk zu. Alle Augen lagen auf ihr.
„Meine lieben Bürger! Wir werden nicht umkehren!“, rief sie. „Wir haben die Evakuierung begonnen, und wir müssen dem Plan weiter folgen. Ich spüre, dass dem Ring große Gefahr droht, und ich muss euch alle in Sicherheit bringen, bevor es zu spät ist.“
Die Leute murrten unzufrieden, während einige Bürger vortraten und gen Horizont wiesen.
„Ich weiß nicht, wie der Rest von euch darüber denkt“, bellte einer, „doch King’s Court ist meine Heimat! Es ist mein Ein und Alles! Ich werde ganz sicher nicht das Meer überqueren um auf eine mir fremde Insel zu fliehen, wissend, dass die Stadt fest in unseren Händen ist! Ich gehe zurück!“
Die Leute jubelten ihm zu als an Gwendolyns Kutsche vorbei zurück in Richtung King’s Court ging. Hunderte von Bürgern folgten ihm zu Fuß oder in ihren Kutschen und machten sich auf den Weg zurück nach King’s Court.
„Mylady, soll ich sie aufhalten?“, fragte Steffen irritiert. Loyal wie er war, wäre ihm das nie eingefallen.
„Du hörst die Stimme des Volkes, mein Kind“, sagte Aberthol. „Es wäre dumm, es ihnen zu verweigern. Du kannst, es ihnen nicht verweigern. Es ist ihre Heimat, alles was sie kennen. Streite nicht mit deinen eigenen Leuten. Führe sie nicht ohne guten Grund von hier fort.“
„Aber ich habe einen guten Grund“, sagte sie. „Ich weiß, dass die Zerstörung bevorsteht!“
Aberthol schüttelte seinen Kopf. „Doch sie wissen es nicht“, antwortete er. „Ich zweifle nicht an dir. Herrscher blicken voraus, während die Massen lediglich ihren Instinkten folgen. Und Herrscher sind nur so mächtig, wie das Volk es ihnen zu sein erlaubt.“
Gwendolyn stand mit geballten Fäusten in der Kutsche. Die Frustration brannte tief in ihr, während sie mitansehen musste, wie sich ihr Volk ihrem Befehl widersetze und nach King’s Court zurückkehrte. Es war das erste Mal, dass sie sich ihr offen widersetzten und ihr gefiel das Gefühl ganz und gar nicht. War das ein Ausblick auf das, was noch kommen würde? Waren ihre Tage als Herrscherin gezählt?
„Mylady, soll ich den Kriegern befehlen, sie aufzuhalten?“, fragte Steffen.
Sie hatte das Gefühl, dass er der einzige war, der ihr noch treu ergeben war. Nur zu gerne hätte sie ja gesagt.
Doch als sie immer mehr Menschen in Richtung King’s Court aufbrechen sah, wusste sie, dass es vergeben wäre.
„Nein“, sagte sie leise mit gebrochener Stimme. Sie fühlte sich im Stich gelassen. Doch was ihr am meisten wehtat, war dass sie wusste, dass die Rückkehr ihres Volkes ihnen nur schaden würde, und dass es nichts gab, was sie tun konnte, um diesen Prozess aufzuhalten. „Ich kann nicht aufhalten, was das Schicksal für sie vorgesehen hat.“
*Niedergeschlagen folgte Gwendolyn ihrem Volk zurück nach King’s Court. Als ihre Kutsche durch die Tore von King’s Court fuhr konnte sie schon die Jubelschreie und Feierlichkeiten auf der anderen Seite hören. Ihre Bürger waren glücklich, tanzten und warfen ihre Heute in die Luft als sie wieder in der Stadt ankamen. Ihr geliebtes King’s Court – ihre Heimat. Alle strömten zu den siegreichen Kriegern um Kendrick und die Silver, um ihnen zu gratulieren.
Doch Gwendolyn war hin und hergerissen. Einerseits war sie froh, wieder hier zu sein, zufrieden, dass sie die McClouds besiegt hatten, und glücklich, Kendrick und die anderen in Sicherheit zu wissen. Sie war stolz darauf, die toten McClouds überall in der Stadt zu sehen, und überglücklich dass ihr Bruder Godfrey überlebt hatte. Er saß am Rande des Geschehens und ließ seine Verletzungen versorgen.
Doch andererseits, konnte Gwendolyn das ungute Gefühl nicht loswerden, dass ihnen allen schreckliches Unheil bevorstand, und dass es für ihr Volk das beste gewesen wäre, es zu evakuieren, bevor es zu spät war.
Doch die Leute hatten sich vom Sieg hinreißen lassen. Sie würden nicht auf die Stimme der Vernunft hören.
Als sie sich umsah, bemerkte sie erleichtert, dass die McClouds schnell besiegt worden waren, bevor sie die Gelegenheit gehabt hatten, allzu großen Schaden anzurichten.
„Gwendolyn!“
Gwendolyn drehte sich um. Kendrick sprang vom Pferd, stürmte zu ihr herüber, und umarmte sie. Sie fiel ihm um den Hals, nachdem sie Guwayne Illepra in die Arme gelegt hatte. Seine Rüstung fühlte sich hart und kalt an.
„Mein Bruder“, sagte sie und sah ihn an. Seine Augen glänzten im Siegestaumel. „Ich bin stolz auf dich. Du hast so viel mehr getan, als nur die Stadt zu halten – du hast die MacGils ausgelöscht. Du und deine Silver. Ihr verkörpert alles, was Tapferkeit und Ehre bedeutet. Vater wäre stolz!“
Kendrick lächelte und deutete eine Verneigung an.
„Danke für deine Worte, liebe Schwester. Ich konnte nicht zulassen, dass unsere Stadt, die Stadt unseres Vaters, von diesen Heiden zerstört wird. Doch ich war nicht allein; du hättest sehen sollen, wie Godfrey den ersten Widerstand geleistet hat. Er und eine Handvoll anderer, und selbst die Rekruten der Legion – sie alle haben geholfen, die Angreifer aufzuhalten.“
Gwendolyn wandte sich zu Godfrey um, der mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen zu ihnen hinüber getrottet kam. Er hielt sich den Kopf; an seiner Schläfe klebte getrocknetes Blut.
„Du bist heute zum Mann geworden, mein Bruder“, sagte sie ernst zu ihm, während sie ihm den Arm um die Schulter legte. „Vater wäre stolz auf dich.“
Godfrey lächelte sie scheu an.
„Ich wollte dich nur warnen“, sagte er.
„Du hast so viel mehr als das getan.“
Elden, O’Connor, Conven, und dutzende von jungen Rekruten gesellten sich ebenfalls zu ihnen.
„Mylady“, sagte Elden. „Unsere Männer haben heute tapfer gekämpft. Doch wir haben leider viele von ihnen verloren.“
Gwendolyn sah an ihm vorbei zu den Toten, die überall verstreut lagen. Neben einer Menge McClouds sah sie dutzende von Rekruten der Legion und sogar eine Handvoll toter Silver. Der Anblick weckte schmerzliche Erinnerungen an die letzte Invasion ihrer Stadt. Gwen musste den Blick abwenden.
Sie drehte sich um und sah ein Dutzend McClouds, die überlebt hatte, mit gefesselten Händen und gesenkten Blicken.
„Wer sind die da?“
„Die Generäle der McClouds“, antwortete Kendrick. „Wir haben sie am Leben gelassen. Sie sind alles, was von ihrer Armee noch übrig ist. Was sollen wir mit ihnen tun?“
Gwendolyn sah sie an. Doch trotz ihrer Niederlage starrten sie trotzig und stolz zurück. Sie waren grobschlächtige Männer, typische McClouds, die nie auch nur einen Anflug von Reue zeigten.










