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»Wir sind von einer Party nach Haus’ g’fahren«, begann er zu berichten. »Es war kurz nach Mitternacht, als uns ein Auto entgegen’kommen ist, mit auf’blendeten Scheinwerfern. Ich hab nichts g’sehen und den Fahrer als einen Trottel beschimpft, weil ich g’dacht hab, dass er bloß vergess’n hat, das Abblendlicht einz’schalten. Ich hab g’dacht, das passt schon irgendwie, das geht sich aus, wie so oft, wenn so was passiert. Ich hab noch zur Paula hinüberg’schaut … Sie hat die Augen zusammen’kniffen. Auch sie hat bestimmt g’glaubt, dass alles gut werden würd’. Wer denkt denn schon, dass …« Eckinger brach ab und bekämpfte die Tränen, die an die Oberfläche drängten. Es musste für ihn äußerst schmerzhaft sein, sich an die Ereignisse von damals zu erinnern, die seiner Frau das Leben gekostet hatten. Nach einer Weile redete Eckinger weiter. Seine Stimme war brüchig und kaum zu hören. Es war, als erlebte er alles noch einmal. »Die Lichter sind immer weiter auf unsere Fahrbahn rüberg’kommen. Ich hab g’schrien, er soll auf seine Seite zurückfahr’n, obwohl ich natürlich g’wusst hab, dass des Null bringt. Trotzdem hab ich g’schrien! Immer wieder! Was hätt’ ich denn sonst tun soll’n?« Eckinger sah die Kriminalbeamten hilflos an. Tränen rannten ihm über die Wangen, und der Schmerz wirkte in seinem Gesicht wie eingemeißelt. Wahrscheinlich hatte er diesen Augenblick schon zu oft durchleben müssen.
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte Grünbrecht sanft.
»Als ich g’wusst hab, dass es keinen Ausweg mehr gibt und wir jede Sekunde aufeinanderprallen, hab ich das Lenkrad verrissen. Bei einem Frontalzusammenstoß hätt’ niemand überlebt. So aber hatten wir wenigstens eine kleine Chance … Das hab ich zumindest g’dacht.« Manuel Eckinger blickte die Polizisten an, als suchte er in ihren Gesichtern nach einem Funken Verständnis für sein Handeln. Wahrscheinlich fühlte er sich schuldig für den Tod seiner Frau, auch wenn ihn keine Schuld traf, wenn sich der Unfall so zugetragen hatte, wie er ihn schilderte. Dann räusperte er sich und starrte für eine Weile in seinen Schoß, als fände er dort die Vergebung, die er so dringend brauchte.
Stern empfand die Stimmung als sehr bedrückend, und auch Grünbrecht war hin- und hergerissen, wie weit sie sich in die Geschichte dieses Mannes hineinziehen lassen sollte. Denn natürlich empfand sie großes Mitleid mit ihm, doch näher an sich heranlassen als üblich durfte sie sein Schicksal dennoch nicht. Sonst lief sie Gefahr, selbst auszubrennen, und davon hatte keiner etwas.
Als Eckinger die Augen wieder auf die Inspektoren richtete, hatte sich etwas an ihm verändert. Er schien in die Gegenwart zurückgekehrt zu sein. »Paula ist sofort tot g’wesen, und ich bin seither ein Krüppel«, sagte er verbittert.
»Das alles tut uns sehr leid«, erwiderte Stern. Und das war keinesfalls eine dieser Floskeln, die man von sich gab, weil es der Umstand verlangte. Er meinte es ernst. Der Mann hatte sein tiefstes Mitgefühl. Er wusste nicht, was er tun würde, wenn ihn dessen Schicksal getroffen hätte.
»Ich bin damals mehrere Wochen im Krankenhaus g’legen und hab anschließend eine Reha g’macht, aber g’holfen hat das alles nix. Die Ärzte sagten, dass es ein Wunder ist, dass ich überlebt hab. Seltsam, wie ein Wunder kommt mir das gar net vor.« Eckinger rollte vom Tisch weg zurück zum Fenster. Er starrte hinaus und wandte den Kriminalbeamten den Rücken zu. Eine tiefe Traurigkeit ging von ihm aus, die Stern und Grünbrecht betroffen machte.
»Sagen Sie das nicht«, warf die Gruppeninspektorin ein.
»Es ist die Hölle, glauben S’ mir! Es wär’ besser g’wesen, ich wär’ statt Paula g’storben.« Verstohlen wischte Eckinger mit dem Handrücken über seine Wangen. »Ich hab sogar das Bründl-Wasser ausprobiert«, erzählte er dann, als er sich wieder gefasst hatte und zu ihnen an den Tisch zurückkehrte.
»Sie meinen, das Heilwasser aus der Quelle im Wald?«, fragte Grünbrecht.
Auf Eckingers Gesicht zeichnete sich ein verstohlenes Lächeln ab. »Sie halten mich jetzt bestimmt für abergläubisch, stimmt’s?«
»Nein, das tun wir nicht«, antwortete Grünbrecht rasch, bevor Stern sagen konnte, dass er schlichtweg gar nichts von diesem Hokuspokus hielt – obwohl das so nun ja nicht mehr stimmte. Aber vielleicht wurde Stern im Alter ja etwas offener für diese Dinge und gab alternativen Möglichkeiten eine Chance.
»Gut. Das ist gut.« Eckinger wirkte erleichtert und lächelte Grünbrecht an. »Sie müssen nämlich wissen, dass die Leute busweise nach St. Oswald kommen und das Wasser in Flaschen füllen. Ich hab keine Ahnung, was die damit anstellen.«
»Manche trinken es«, raunte Stern und dachte dabei ein Weber.
»Andere waschen ihr Gesicht damit«, ergänzte Grünbrecht spitz und sah zu Stern hinüber. Als der nichts erwiderte, sondern ihr lediglich einen warnenden Blick zuwarf, fügte sie hinzu: »Es ist doch gut, wenn man an etwas glauben kann, das einem Hoffnung schenkt.«
»Vielleicht haben S’ recht. Mir hat es allerdings net g’holfen, dieses Bründl-Wasser«, sagte Eckinger.
»Das tut uns leid. Das tut es doch, gell, Chef?«
Stern brummte, was Zustimmung bedeuten konnte oder auch Verneinung.
»Versprechen S’ mir, dass S’ denjenigen finden, der das Grab meiner Frau g’schändet hat?« Eckinger blickte die Inspektoren eindringlich an.
»Wir tun unser Bestes«, antwortete Stern.
»Das hab’n die damals auch g’sagt«, entgegnete Eckinger enttäuscht. In seinen Augen lag nun wieder ein trauriger Ausdruck, während er auf einen imaginären Punkt zwischen Stern und Grünbrecht starrte.
»Wer sind die?«, hakte Stern nach.
»Die Polizisten, die nach dem anderen Lenker g’sucht hab’n, der Fahrerflucht b’gangen hat.«
»Sie haben ihn nie gefunden?«
»Nein.«
»Das tut uns leid.« Stern konnte verstehen, was in dem Mann vorging. Vor nicht allzu langer Zeit war seine Ex-Frau Franziska von einem Lastwagen überrollt und getötet worden. Dem Fahrer hatte man noch an der Unfallstelle Blut abgenommen, um herauszufinden, ob er Alkohol getrunken hatte. Der Test war positiv ausgefallen. Aber dadurch, dass Stern wusste, wer der Kerl war, der seine Ex-Frau überfahren hatte, hatte er damit abschließen können. Das war Manuel Eckinger bisher leider nicht vergönnt gewesen. Außerdem machte es emotional einen großen Unterschied, ob die Ehefrau oder die Ex-Frau starb.
»Vielleicht ist es Schicksal, dass dieser Koch ausg’rechnet auf dem Grab meiner Frau g’funden worden ist.«
Die Kriminalbeamten ließ die Aussage aufhorchen. »Wie meinen Sie das?«, wollte Stern erklärt haben.
»Vielleicht wird der Unfalltod von Paula jetzt noch einmal aufg’rollt, weil sie nach einer Verbindung zwischen ihr und diesem Koch suchen.«
»Und weiter?«
»Es wär’ doch möglich, dass Sie dadurch auf den Fahrer von damals stoßen, oder etwa nicht?«
»Möglich wäre es.«
»Finden Sie ihn!«, sagte Eckinger und beugte sich nach vorn. »Damit ich endlich mit all dem abschließen kann!« Die Augen des Mannes flehten die Inspektoren regelrecht an.
»Wir können Ihnen nichts versprechen, Herr Eckinger. Aber wir werden sehen, was sich machen lässt«, sagte Stern. Der gewaltsame Tod eines geliebten Menschen war immer schwer zu verkraften. Doch es war besser, wenn man dem Täter ins Gesicht blicken konnte, als wenn man nie erfuhr, wer die Schuld am Tod der Ehefrau, des Ehemannes oder des geliebten Kindes trug.
Die Kriminalbeamten verließen, nachdem sie sich verabschiedet hatten, Eckingers Haus.
»Armes Schwein«, sagte Stern, als sie im Wagen saßen.
»Er hat viel durchgemacht«, schloss sich Grünbrecht ihm an.
»Und er steht auf Sie«, konnte Stern sich nicht verkneifen zu sagen.
»Echt jetzt?« Grünbrecht musterte ihren Chef von der Seite.
»Ich hab’s genau gesehen! Er hat Sie regelrecht angeschmachtet.«
»Wie können Sie darüber jetzt scherzen?«, fuhr Grünbrecht ihren Vorgesetzten an.
»Aber …«
»Was machen wir nun?«, schnitt sie ihm das Wort ab.
Stern war vor den Kopf gestoßen. Es war ihm ein Rätsel, wie das weibliche Geschlecht oftmals auf seine Aussagen reagierte. Dieses Unverständnis war wohl einer der Gründe gewesen, warum sich Franziska vor Jahren von ihm hatte scheiden lassen.
»Wir müssen herausfinden, wo Oliver Koch zum Zeitpunkt des Unfalls der Eckingers gewesen ist«, wechselte er das Thema. Über Grünbrechts Verhalten nachzugrübeln hatte ohnehin keinen Sinn. Er hoffte, dass sie sich von allein wieder einkriegen würde. »Vielleicht ist er derjenige, der Fahrerflucht begangen hat. Dann hätten wir ein Motiv, warum der Täter seine Leiche auf Paula Eckingers Grab zurückgelassen hat, als würde er für ihre Erlösung beten.«
»Oder für seine.«
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